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Opa und oma habe ich als leidenschaftliche fernsehzuschauer in erinnerung. in den 50er jahren war das auch ohne weiteres möglich, denn die fernsehprogramme nahmen noch rücksicht auf die lebensgewohnheiten älterer menschen. gesendet wurde damals nicht vor 17 uhr („augsburger puppenkiste“) - sendeschluss war gegen 22 uhr (die „windrose“ mit peter von zahn). das waren zeiten, in denen opa entweder sein nachmittagsschläfchen beendet hatte - oder seinen nachtschlaf gerade beginnen wollte.

irene koss - habe ich es schon erwähnt? - führte durchs programm.

meine oma sah am liebsten die „aktuelle schaubude“. sie wurde samstag abend (immer vor der „tagesschau“) aus hamburg ausgestrahlt. dazu räumten die redakteure vom NDR (oder war es noch der NWDR?) jeweils ein ganzes autohaus aus und verwandelten es in ein „gläsernes studio“. dieter thomas heck verkaufte dort werktags autos (und nur die!) ... samstags aber standen die menschen vor den grossen schaufenstern und hörten werner baecker zu ... grosse welt, direkt gegenüber der staatsoper.

irene koss - habe ich es schon erwähnt? - führte durchs programm.

mein opa sah am liebsten den „internationalen frühschoppen“ mit werner höfer, der es auf wundersame weise fertig gebracht hatte, statt nazibrauner kommentare (als journalist im 3. reich) plötzlich gepflegte demokratische einsichten zu vermitteln (im NWDR - oder war es schon der WDR?). sein "stammtisch" wenigstens wurde sonntags um 12 uhr ausgestrahlt. das machte aber nichts, denn omas braten kam - immer pünktlich - um 13 uhr auf den tisch. dann hatten die herren das studio in köln - mit einem leichten schwips - schon längst verlassen.

irene koss - habe ich es schon erwähnt? - führte durchs programm.

oma sah auch gern die sendungen von clemens wilmenroth. der war eigentlich schauspieler, aber nach ende des krieges mit seiner begabung (?) ein wenig unter die räder geraten. deswegen verlegte sich clemens wilmenroth auf kulinarisches, band sich eine schürze um, auf der sein kopf zu sehen war (doppelt hält besser!), und bekochte die erste sendung im deutschen fernsehen, in der es um wirtschaftswunder-rezepte ging.

omas „toast hawaii“ hätte es ohne ihn nie gegeben.

irene koss - habe ich es schon erwähnt? - führte durchs programm.

als das fernsehen vielfältiger wurde und deswegen die gespräche zwischen oma und opa immer mehr verstummten ...

... beide sich stattdessen über „mister pumpernickel“ aufregten, der im fernsehen schräge englische schallplatten auflegte, sich andererseits über „vorsicht kamera“ halb tot lachten ...

... kamen zwei bequeme ohrensessel ins haus, die strategisch günstig zum fernseher aufgestellt wurden.

irene koss - habe ich es schon erwähnt? - führte durchs programm.

dafür verschwand der esstisch aus dem wohnzimmer, denn gegessen wurde nur noch in den ohrensesseln - besser gesagt: am „dinett“. das war eine art teewagen auf einem bein, aber - wie gewohnt - auf drei rädern. zusammen geklappt fand er hinter einem schrank platz. um aber die volle funktion zu nutzen, mussten seine schrauben fest angezogen sein, sonst konnte es passieren, dass die servierplatte in die senkrechte kippte und die „käse-häppchen“ in die ritzen der ohrensessel von oma und opa rutschten.

opa allerdings bemerkte alle tage wieder: "ich habe überhaupt keinen appetit!" das lag an den salzstangen, die oma ihm hinstellte. er ass sie in grossen mengen - und wusste nicht, was er tat und wovon er satt wurde. ohne fernsehen gäbe es in deutschland keine salzstangen.

irene koss - habe ich es schon erwähnt? - führte durchs programm.

opa kaufte einen globus, der - innen beleuchtet - auf dem fernseher platz fand und deswegen eine ideale lichtquelle war: indirekte beleuchtung schont nämlich die augen. zu etwas anderem wurde der globus nicht gebraucht. wozu auch? für oma lag bayern in den bergen und russland in der "zone".

opa und oma hörten es gar nicht gern, wenn das telefon während der „tagesschau“ klingelte. diese anrufe - ("es wird doch wohl nichts schlimmes sein!") - schimpften sie als unhöflich und ungezogen. allerdings musste das telefon auch während „schaubude“, „durbridge“, „internationaler frühschoppen“ und „augsburger puppenkiste“ schweigen. wer oma oder opa etwas wichtiges zu sagen hatte, telefonierte nicht, sondern setzte sich zu ihnen an den fernseher.

nur am rande sei erwähnt: oma und opa hatten schreckliche angst vor einbrechern. deswegen schloss opa um 18 uhr das haus ab und oma liess wenig später die rollos vor die fenster fallen. sie wollten beim fernsehen ungestört sein. wäre aber ein einbrecher just zur „tagesschau“ bei ihnen eingestiegen, hätten sie es überhaupt nicht bemerkt. im übrigen: auch der schuss des halstuchmörders wäre lauter gewesen.

irene koss - habe ich es schon erwähnt? - führte durchs programm.

wenn oma zum kolonialwarenhändler ging, um eine flasche wein zu kaufen, wurde sie nicht länger vor die alternative gestellt: „lieblich oder sauer - rhein oder mosel?“.

man fragte sie stattdessen (neue zeit!):

„darf es ein fernsehwein sein?“

... vermutlich ein tropfen, der oma und opa beim „goldenen schuss“ mit lu van burg nicht gar zu sehr zu kopfe steigen sollte.

irene koss - habe ich es schon erwähnt? - führte durchs programm.

die zeiten hatten sich gründlich geändert. oma und opa sassen nicht länger vor ihren volksempfängern, sondern hingen an den lippen von irene koss, wenn sie einen neuen schwank des ohnesorg-theaters ansagte - willy millowitsch aus köln hingegen sahen opa und oma „aus prinzip“ nicht. was aber taten sie an diesen ungewollt fernseh-freien abenden? assen sie einen hawai-toast, warteten vergeblich auf einen telefonanruf und gingen, nachdem opa noch einmal wütend aufs gehäuse des fernsehers geschlagen hatte, resigniert zu bett?

irene koss - habe ich es schon erwähnt? - führte durchs programm.

wenn aber ohnesorg nicht mit millowitsch konkurrierte, war alles in schönster ordnung ...

... bis eines tages oma vom einkaufen nach hause kam und - es war früher vormittag - opa in seinem ohrensessel antraf.

„was machst du so früh am fernseher?“, fragte sie.

„ich wollte einmal schauen, was sie morgens im programm haben!“

„und - was zeigen sie?“

„keine ahnung! jetzt sehe ich schon eine stunde lang zu und weiss immer noch nicht, um was es geht. das fernsehen wird immer langweiliger!“

opa stand auf und schaltete den fernseher aus - und mit ihm das testbild, auf das er so lange gestarrt hatte.

irene koss - habe ich es schon erwähnt? - führte an diesem vormittag ausnahmsweise nicht durchs programm.


copy: rolf, januar 2006

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Tag der Veröffentlichung: 29.08.2008

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