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Seine frau zog mich in den salon. sie freue sich über meinen besuch und sei dankbar, mich, den sohn seines bruders, kennen zu lernen. aber, so fuhr sie fort: „mein mann braucht ein wenig ruhe! er schläft nachts so schlecht!“ sie entschuldigte sich mit vielen worten. es täte ihr leid wegen der einladung, aber ich müsse verstehen, dass ihr mann sehr viel durchgemacht habe. gegen abend würde er sich bestimmt besser fühlen und uns gesellschaft leisten.

ich beruhigte sie und sagte, dass ich manchmal auch schlecht träume, und fragte, was denn ihren mann um den schlaf brächte.

sie sah mich mit stumpfen augen an und atmete tief ein. dann richtete sie sich in ihrem stuhl auf und erklärte, dass sie mir nun alles erzählen wollte. sie könne, so fuhr sie fort, dies nicht mehr allein für sich behalten. sie seufzte und ich nickte sanft.

es war ein nachmittag im november und früh dunkel geworden. ich sass im salon zwischen den dunklen schatten, die durchs fenster fielen und hörte zu.

sie habe, sagte sie ins dunkel hinein, das alles natürlich nicht miterlebt, vielmehr habe ihr mann das folgende immer und immer wieder berichtet: nachts, wenn er schweissgebadet und wie im fieber aufrecht im bett sitzt und die wand anstarre. schon manches mal habe sie um ihn angst gehabt, denn sein herz sei nicht das beste - wirklich nicht.

ich nickte sanft, aber sie sah es wohl gar nicht.

in diesen nächten habe er fieber und zittere am ganzen körper. er risse sich den schlafanzug vom körper und habe grosse angst zu ersticken.

es war so dunkel. ich wollte jedoch kein licht machen. es stand mir nicht zu, in einem fremden haus eine lampe anzuzünden. und weil sie weiter im dunkel verharrte - und dabei ganz klein in ihrem sessel war - nickte ich nur sanft.

er spräche in diesen nächten wirre sätze. sie habe ihn nie verstanden. aber es müsse um den krieg gehen. ich wüsste doch, dass ihr mann als offizier der wehrmacht in polen gewesen sei.

ich nickte sanft, wusste aber, dass ich davon bis heute nie gehört hatte.

immer und immer wieder spräche er in den nächten von den toten. überall lägen sie herum und würden ihn mit weit aufgerissenen augen ansehen. er könne das nicht ertragen.

sie selbst - sie richtete sich in ihrem sessel auf und suchte meine augen - habe noch nie einen toten gesehen, es müsse aber wohl ein schrecklicher anblick sein.

er habe sie erschiessen müssen. das sei ein befehl gewesen: männer, aber auch frauen und kinder - eben alle, die er in dem kleinen ort hinter kattowitz antraf. er sei doch offizier gewesen und habe den befehlen folge leisten müssen.

oder?

es seien juden gewesen, besser gesagt: polnische juden. der krieg sei nun einmal grausam und schrecklich. ob ich das nicht wüsste?

die pausen zwischen ihren sätzen wurden grösser und der nachmittag war längst zum abend geworden. wenn sie nicht sprach, war es still im haus. totenstill.

ich hätte jetzt gern die lampen angezündet, ihr sanft zugenickt und einen cognac getrunken.

sie wüsste - so sprach sie ins halbdunkel hinein - sehr genau, dass sie eine schlechte gastgeberin sei, aber sie mache sich so grosse sorgen um ihren mann, dass ihr selbst die einfachsten dinge schwer fielen - zum beispiel das licht anzuzünden und mir einen cognac anzubieten. sie sei nur immer in angst um ihren mann. was habe er denn getan, dass er heute so leiden müsse? es hat befehle gegeben - erst in dem kleinen ort bei kattowitz und später in russland. ob denn niemand wüsste, dass alles, was geschah, zum krieg gehörte? einem befehl müsse man doch gehorchen - und wenn der befehl auch hiesse: zu töten. ihr mann habe die befehle erhalten und ausgeführt. deswegen könne man dies, bei licht besehen, auch überhaupt nicht ihm anlasten.

die dunkelheit zwischen uns war gross und grösser noch die stille, wenn sie nicht sprach.

sei das der preis dafür, gehorcht zu haben: von ängsten heimgesucht zu sein und nicht zu wissen, ob man die nacht überleben wird? wo sei da die gerechtigkeit? keiner habe damals oder später gefragt, warum er das alles tun musste. er war ein offizier, es war krieg, mehr gäbe es dazu auch heute nicht zu sagen. jetzt sei ihr mann krank. was ihm genau fehle, wüsste sie nicht. er würde ihr nie etwas sagen, sondern nur immer schreien - nachts.

vielleicht läge er oben und sei schon tot. sie fürchte sich davor aber nicht mehr - sie habe längst alles bedacht. irgendwann habe sie gelernt, an der seite eines kranken das sterben hinzunehmen. sie wolle nur nicht, dass er mit diesen erinnerungen von der welt geht. das habe er nun wirklich nicht verdient.

es war spät geworden. ich stand auf und suchte in der dunkelheit ihre hand. sie war weich, klein und kraftlos. ich wollte etwas sagen - etwas sanftes - doch es fiel mir nichts ein. weil ich aber wusste, dass sie etwas tröstendes von mir hören wollte, sagte ich:

„ich werde an ihn denken!“

bevor jede dunkelheit und alle stille über mir zusammen stürzten, lief ich hastig aus diesem toten haus.


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Tag der Veröffentlichung: 29.08.2008

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