1. herr stranssen schaut vorbei!
um 16 uhr treffen wir uns - also pappa, mama, evi und ich - pünktlich in der garage.
weil im wohnzimmer der tannenbaum und die gabentische stehen, hat papa schon morgens den mercedes auf die strasse gefahren und mama die garage mit tannenzweigen festlich geschmückt. wir könnten natürlich auch in evis kinderzimmer (unaufgeräumt) oder in meinem (ebenso) kaffee trinken.
aber oma, die immer um 15 uhr anruft, um mitzuteilen, dass sie ihre migräne nun doch noch überwunden hat und sich sofort auf den weg macht, würde das nicht gefallen.
wir sitzen gemütlich am tapeziertisch in der garage und trinken kaffee. oma erklärt uns, dass sie ihre geschenke mal wieder zu hause vergessen hat. das macht doch nichts. wenigstens ist sie da, um mit uns kaffee zu trinken. mama stellt ihr immer einen heizstrahler an die füsse, damit sie unten herum warm bleibt. denn kalt ist es in der garage - oh, ja! - fast so wie im stall in bethlehem.
�ich sollte noch vor silvester die winterreifen aufziehen�, denkt pappa laut nach und mama meint: �hoffentlich leidet unser mercedes nicht allzu sehr, wenn er am heiligen abend auf der strasse steht!�
oma aber setzt die kaffeetasse ab, sieht sich in der garage um und sagt: �kinder, euer wohnzimmer könnte einen neuen anstrich vertragen!�
alles ist sehr gemütlich, bis herr stranssen - unser nachbar von nebenan - wie jedes jahr an die garagentür klopft. pappa betätigt auch gleich die elektronik, damit sich die tür öffnet.
herr stranssen, gerade erst eingetreten, hält sich nie lange bei den üblichen floskeln auf. kaum ist ihm ein �frohes weihnachten� über die lippen gekommen, fragt er nach punsch.
wo ist hier der punsch?
herr stranssen fragt immer nach punsch - an jedem heiligen abend in unserer garage.
den punsch hat mama - sie kennt die vorlieben von herrn stranssen - auf dem heizstrahler zu füssen von oma bereit gestellt: �bitte sehr!�
als aber herr stranssen nach dem glas greift, sagt oma: �mein herr, das ist wirklich besonders aufmerksam�, nimmt ihm den punsch aus der hand und trinkt das glas mit einem zug leer.
�jetzt ist mir gleich viel wohler und die migräne wie weggeblasen�, ruft sie und herr stranssen bittet pappa, noch einmal die elektronik der garagentür zu bemühen, um auszutreten.
warum verlässt er aber unsere kaffeetafel ein wenig schwankend? vielleicht deswegen, weil er zuvor schon alle anderen nachbarn in ihren weihnachtlich geschmückten garagen besucht hat.
***
2. wo ist der weihnachtsbaum?
oma schaut nervös auf ihre uhr. �sind wir auch im zeitplan - wird pünktlich beschert?� mama beruhigt sie. �wir haben alles im griff, nach menschlichem ermessen kann nichts schief gehen!� oma ist zufrieden und nimmt noch einen spekulatius.
�hoffentlich nadelt der weihnachtbaum nicht wie der, den wir im letzten jahr hatten�, sagt pappa. �du wirst schon den richtigen ausgesucht haben!�, beschwichtigt mama. �wieso ich?� fragt pappa. �für den baum bist doch du zuständig!� mama sieht ihn empört an. �noch nie habe ich mich um den weihnachtsbaum gekümmert. das war immer deine aufgabe.� pappa schüttelt den kopf: �vielleicht erinnerst du dich, dass der weihnachtsbaum im letzten jahr zu kurz und zu krumm war - wenigstens deiner meinung nach.�
�war er etwa nicht krumm und kurz?� mamas stimme ist einigermassen gereizt. �er hatte auch kaum noch nadeln und ...�
... deswegen habe ich im letzten jahr noch am heiligen abend gesagt�, unterbricht pappa sie, �dass gefälligst du den nächsten weihnachtsbaum aussuchst. also - wo ist er?�
�wie soll ich mich daran erinnern, was du mir im letzten jahr gesagt hast? ich weiss ja kaum, was in der weihnachtsgeschichte steht - und die muss ich mir jedes jahr mindestens einmal anhören�, stöhnt mama.
jetzt mischt sich oma ein. �nun streitet euch doch nicht - hatten wir im letzten jahr überhaupt einen weihnachtsbaum? ich kann mich gar nicht erinnern.�
�doch, doch�, ruft evi. �er war viel zu kurz und zu krumm!�
�aber über die springform von deiner mutter habe ich mich trotzdem gefreut�, lächelt oma und nimmt noch einen spekulatius.
�das waren handschuhe!� mamas stimme klingt nicht nur gereizt - sondern inzwischen auch empört.
�und jetzt?� fragt pappa ratlos.
� ... haben wir keinen weihnachtsbaum!� stellt mama fest.
�wir könnten die bescherung um eine stunde nach hinten verschieben�, meldet sich oma zu wort. �und was soll das bringen?� fragt evi. �dann beginnt die tagesschau - und wir brauchen keinen weihnachtsbaum mehr ... beim fernsehen reicht die kleine lampe auf eurer vitrine. vielleicht sollten wir überhaupt ganz auf die bescherung verzichten, denn ich habe, wie ihr wisst, eure geschenke zu hause vergessen. es kann sogar sein, dass ich sie gar nicht besorgt habe. das kommt dabei heraus, wenn man weihnachten so viel zu bedenken hat�, seufzt oma und greift erneut nach den spekulatius.
�ich fasse es nicht - weihnachten ohne baum! das ist wie ostern ohne hase ...� stöhnt papa.
�ich bleibe bei meinem vorschlag! wir verschieben das weihnachtsfest nach hinten - mindestens um eine stunde, besser aber noch um drei tage, dann könnt ihr nach dem fest schauen, ob noch irgendwo ein weihnachtsbaum zu kaufen ist", schlägt oma vor und wird mit einem mal ganz philosophisch:
�konventionen sind nämlich dazu da, dass wir sie im rechten moment vergessen - wie die geschenke für euch!�
�eine gute idee!� ruft evi. �ich weiss auch schon, woher wir den weihnachtsbaum nehmen. bei stranssens steht er immer schon kurz nach weihnachten zur entsorgung an der strasse.�
***
3. alles frisch - alles lametta!
es klopft schon wieder an der garagentür. will herr stranssen etwa noch einen punsch? das kann gut sein - denn den ersten hat ja oma ausgetrunken. es ist aber frau nietenstamm, unsere zugehfrau. was will sie? ihr weihnachtsgeld wenigstens, das mama ihr immer in naturalien auszahlt, hat sie längst bekommen.
in diesem jahr bekam frau nietenstamm drei kilogramm walnüsse, zwei kilogramm mandarinen, ein kilogramm marzipanbruch, 10 gläser curry-pulver, 20 pakete kartoffelklösse, ein kilogramm milchpulver, 34 ananas-konserven, 50 tüten fertigsuppe (spargelcreme) und fünf kilogramm spiralnudeln. �damit ihre kinder sich einmal richtig satt essen können!� sagte mama, denn frau nietenstamm ist spätaussiedlerin und lebte, bevor sie mit ihrem mann und acht kindern nach deutschland kam, in sibirien.
und dort gibt es bekanntlich nichts zu essen.
frau nietenstamm kommt aber nur, um sich für die schönen dinge zu bedanken und zu fragen, ob sie vor der bescherung �alles noch mal ein wenig frisch machen soll".
�sind sie denn mit ihrer bescherung schon fertig?� fragt pappa. �längst�, antwortet frau nietenstamm. �sie wissen doch: mein mann ist bei der feuerwehr und heute ist der wichtigste tag im jahr. mein mann ist im dienst und wartet auf den ersten zimmerbrand.�
pappa überlegt - dann sagt er: �was ist denn mit ihrem tannenbaum? ich meine - wenn ihre bescherung schon vorbei ist ...�
� ... längst!� unterbricht ihn frau nietenstamm. �gegessen haben wir auch schon. es gab spargelcremesuppe mit kartoffelklösschen und spiralnudeleinlage - und zum nachtisch ananas.�
�spargel im winter - was für eine schöne idee und so ausgefallen!�, ruft oma.
�dann hat sich das mit ihrem weihnachtsbaum ja inzwischen erledigt", meldet sich jetzt wieder pappa zu wort.
�da haben sie ganz recht. er wird bei uns nur zur bescherung angezündet. die vielen kerzen, um ihn auch noch an den anderen weihnachtstagen brennen zu lassen, wären die reine verschwendung.�
�wunderbar!� ruft pappa. � wir benötigen nämlich dringend einen weihnachtsbaum. vielleicht können sie uns ihren ausleihen, ich bringe ihn auch gleich nach der bescherung zurück - ehrenwort!�
und so kam es, dass pappa frau nietenstamm in seinen mercedes bat, um ihren weihnachtsbaum zu holen.
***
mama, oma, evi und ich laufen neugierig aus der garage, als pappa zurückkehrt - mit einem geschmückten tannenbaum, den er auf das dach des autos geschnallt hat. er löst die schnüren und stellt den baum zur probe im vorgarten auf. �zu kurz und zu krumm!� bemerkt evi. �nadeln tut er auch�, stellt oma fest.
pappa aber sagt: �einem geschenkten weihnachtsbaum schaut man nicht ins maul!�
�schrecklich, dieses lametta!� ruft mama, �was ist das nur für ein hässlicher baum. bringe ihn sofort frau nietenstamm zurück!�
�sie hat ihn uns aber auf ehrenwort ausgeliehen!�
�wie furchtbar!� seufzt mama.
als erstes müssen wir den baum vom lametta befreien. das ist schwierig, weil die zweige, sobald wir sie nur berühren, ihre nadeln verlieren. endlich steht der baum ohne lametta - aber auch fast ohne nadeln - in unserem vorgarten.
�wir sollten das lametta wieder über die zweige hängen�, meint papa, �dann sieht man nicht gleich, dass er so fürchterlich genadelt hat".
das ist ein guter vorschlag und wir machen uns gleich an die arbeit. als er - mit lametta geschmückt wie zuvor - im vorgarten steht, sagt oma:
�ihr müsst nur die augen zusammen kneifen und euch bunte kugeln hinzu denken - dann haben wir in diesem jahr eigentlich einen besonders schönen weihnachtsbaum!�
also blinzeln wir alle die entnadelte tanne an und ich höre pappa sagen: �nächstes jahr stellen wir einen weihnachtsbaum in unseren vorgarten. das sieht hübsch aus!�
�aber ohne lametta!� bemerkt oma, schaut auf ihre uhr und ruft:
�kinder - uns rennt die zeit weg. nur wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch pünktlich zur bescherung!�
***
4. schlechte scherze - kurz vor der bescherung!
pappa trägt den weihnachtsbaum vorsichtig ins haus, wobei es nicht zu vermeiden ist, dass die tanne auch noch ihre letzten nadeln verliert. das telefon klingelt. weil pappa keine hand frei hat, nehme ich den hörer ab.
�hallo, hier ist frau nietenstamm. es ist mir wirklich peinlich, aber richte deinen eltern bitte aus, dass wir den weihnachtsbaum zu silvester zurück haben müssen. mein bruder von der wolga hat eben seinen besuch angekündigt. deshalb wollen wir ihm eine freude machen und den weihnachtsbaum ausnahmsweise silvester noch einmal anzünden. neujahr bekommt ihr ihn aber ganz bestimmt zurück. das wird er gewiss überstehen - es ist ja eine edeltanne, die nicht nadelt.�
�ich werde es meinen eltern ausrichten, frau nietenstamm. auf wiederhören!�
�typisch - wenn man frau nietenstamm braucht, ist sie nicht da!� höre ich mama schimpfen. �alles muss man selber machen - evi, hole den staubsauger ...�
jetzt sehe ich es auch. auf der treppe zum haus und auch in der diele häufen sich die vertrockneten tannennadeln - und weil pappa das tannengerippe durch die tür zum weihnachtszimmer bugsieren musste, liegen auch auf der türschwelle nicht nur tannennadeln, sondern viele abgeknickte zweige und noch viel mehr lametta.
mama schreit: �bei so einem gottverdammten tannenbaum kann die nietenstamm noch so viel �frisch� machen, das ganze ist und bleibt eine sauerei.�
�kind, nicht diese worte!� ruft oma erschrocken, �es sind doch kinder in der nähe.�
evi saugt pappa hinterher - bis ins weihnachtszimmer.
�evi!� schreit mama, �komm´ da sofort raus. du hast im weihnachtszimmer nichts zu suchen. �ich bin schon fertig - hier hat es sich gottseidank ausgenadelt�, ruft evi und schaltet den staubsauger aus.
ich höre pappa rufen:
�wo ist der blöde baumständer?�
�wo er immer ist - in der garage�, ruft mama zurück. dann überlegt sie: �allerdings habe ich ihn weggeräumt, als ich die garage adventlich geschmückt habe. aber - wo habe ich ihn hingestellt?�
evi ist mit dem staubsauger vors haus getreten. �was machst du da draussen?� fragt oma. �ach, nichts! ich will nur sehen, ob man auch schnee aufsaugen kann - das erspart das schippen!�
�evi, du ruinierst den staubsauger!� ruft mama. da schiesst aber schon eine stichflamme aus dem gerät und alle sicherungen im haus fliegen mit einem lauten knall heraus.
�macht sofort das licht wieder an!� schreit pappa im weihnachtszimmer. �wie soll ich den weihnachtsbaum aufstellen, wenn alles dunkel ist?�
�nimm doch einfach elektrische kerzen für den baum!� bemerkt oma, die sich mit diesem scherz aber nur die wut von pappa zuzieht:
�das war das letzte mal, dass wir dich zu weihnachten eingeladen haben. ich kann deine saublöden sprüche nicht mehr hören.� dann fällt ihm noch etwas besonders gemeines ein:
�eine frau in deinem alter sollte sowieso nur sprechen, wenn sie gefragt wird. und hier fragt dich keiner. basta!�
schliesslich trifft pappa eine entscheidung: er lehnt den tannenbaum einfach an die wand des weihnachtszimmers - und weil er ein wenig krumm ist, fällt das auch nicht weiter auf. nachdem pappa einige kerzen angezündet hat, macht das ganze einen wirklich manierlichen eindruck - wenigstens dann, wenn man (wie oma vorgeschlagen hatte) die augen zusammen kneift.
pappa läutet mit der glocke - die bescherung kann beginnen. oma schaut auf die uhr:
�ich wusste es doch - wir sind 10 minuten zu spät dran. aber mich fragt ja keiner!�
***
5. evi flötet - oma nörgelt!
mama geht voran und wir folgen im gänsemarsch ins weihnachtszimmer. kaum haben wir uns vor dem zu krummen und zu kurzen tannenbaum versammelt, ruft pappa: �alle wieder raus - ich habe etwas vergessen!� wir drehen auf dem absatz um und finden uns vor der tür wieder. �was soll das?� fragt oma. �so ganz viele verzögerungen bei der bescherung können wir uns nun wirklich nicht mehr leisten!�
oma hofft immer noch, dass wir zeitig mit der bescherung fertig sein werden, damit sie die �tagesschau� nicht verpasst.
�nach der bescherung spricht die bundeskanzlerin im fernsehen!�
bei diesen worten zieht oma ihre augenbrauen in die höhe. das habe ich zuvor erst einmal gesehen: als evi uns ihren neuen freund vorstellte. er ist schwarz, kommt aus kamerun, studiert elektrotechnik und scheint oma auch sonst reichlich mysteriös zu sein.
�ihr könnt jetzt kommen�, ruft pappa. also geht mama abermals voran und wir folgen ihr im gänsemarsch ins weihnachtszimmer.
�wenn wir aber zum zweiten mal hinaus geschickt werden, gehe ich in die küche und bereite den kartoffelsalat vor�, bemerkt mama spitz.
�ich habe seit heute mittag nur spekulatius gegessen�, nörgelt oma. �sie liegen mir schwer im magen!�
�es tut mir leid - ich hatte ganz vergessen, wo die bibel ist. aber jetzt habe ich sie gefunden - sie lag beim weihnachtsschmuck im schrank", sagt pappa entschuldigend. �auf welcher seite steht die weihnachtsgeschichte?�
wie sehen uns ratlos an. sogar oma, die sonst sehr bibelfest ist, pfeift - so als ob sie nicht zu uns gehört - ein lied, das sich wie �lilli marleen� anhört.
�am besten ist es, du beginnst am anfang und arbeitest dich langsam weiter", schlägt evi vor. �irgendwann wirst du schon auf die weihnachtsgeschichte stossen.�
omas pfeifen verstummt: �ihr könnt gern bei adam und eva beginnen - aber spätestens bei angelika merkel bin ich zu hause.�
jetzt mischt sich mama ein: �ich entsinne mich, dass wir dieses rätsel bereits im letzten jahr lösen mussten. deswegen hast du damals ein lesezeichen in die bibel gelegt - war es nicht so?�
pappa ist erleichtert. jetzt kann er die weihnachtsgeschichte schnell finden und vorlesen. als pappa zu ende ist, sagt mama: �vergiss um gottes willen nicht, das lesezeichen wieder an die richtige stelle zu stecken - wer weiss, wer im nächsten jahr bundeskanzler ist!�
pappa klappt die bibel zu und fordert evi auf: �nimm deine blockflöte, wir wollen ein weihnachtslied singen!�
�wenn wir so weitermachen, sehe ich von der tagesschau nur noch die wetterkarte!�, nörgelt oma. �können wir das weihnachtsprogramm nicht ein wenig straffen? ich meine: im fernsehen wird auch nicht alles gesendet. es kommt immer auf die auswahl an.�
evi flötet das lied �ihr kinderlein kommet�. mama singt zu dieser melodie: �morgen kinder wirds was geben�, pappa stimmt den text von: �stille nacht, heilige nacht� an und oma jubiliert im schönsten sopran: �davon geht die welt nicht unter�.
ich singe nicht mit. mehr als diese auswahl von weihnachtssliedern kenne ich auch nicht.
***
6. putzi, mohammed und thomas gottschalk!
wo ist eigentlich opa?� evi setzt die blockflöte ab, alle hören auf zu singen und sehen sich fragend an. evi hat wirklich eine gute frage gestellt:
wo ist opa?
die frage kann nur oma beantworten. wenn wir ihn bisher nicht vermissten, liegt das daran, dass opa zum weihnachtsfest wenig, oder besser gesagt: gar nichts beiträgt. er sitzt nur in der ecke, raucht eine zigarre nach der anderen und sehnt sich nach seinen kanarienvögeln, die er seit seiner pensionierung züchtet. �putzi� will er sogar das sprechen beigebracht haben - aber das glaube ich nicht. wenn dieser kanarienvogel allerdings die weihnachtsgeschichte auswendig lernen könnte, wäre pappa einige sorgen los.
wo ist opa?
�ich kann es euch nicht sagen!� stöhnt oma. �ich weiss nur noch, dass er sich heute mittag aufs sofa legte ... an mehr kann ich mich beim besten willen nicht erinnern. aber - ist das so wichtig?�
�er ist doch unser opa!� ruft evi empört.
�ich werde nach ihm schauen. die bescherung muss warten!� mit diesen worten läuft pappa aus dem weihnachtszimmer.
�dann gehe ich in die küche und bereite den kartoffelsalat vor�, sagt mama.
�kann ich dir beim putzen des rosenkohls behilflich sein?� fragt oma.
�welcher rosenkohl?� mama starrt oma verständnislos an. �es gibt kartoffelsalat mit würstchen - wie jedes jahr!�
�schreie mich nicht an - man wird doch wohl noch rosenkohl putzen dürfen�, erwidert oma - gründlich beleidigt - macht jedoch gleich einen neuen vorschlag:
�ich könnte aber auch die sahne aufschlagen ...�
� ... für den kartoffelsalat?� mama schaut oma so dermassen gequält an, als wären ihr selbst zweifel gekommen, was es zu essen geben soll.
oma hingegen stöhnt: �weiss ich, was du kochen willst - bin ich ein hellseher?"
mama verschwindet in der küche und ich spüre deutlich, dass wir alle noch üben und an der routine des heiligabends feilen müssen. so denkt wohl auch oma, denn sie sagt:
�dieser schreckliche kartoffelsalat mit würstchen! als deine mutter noch ein kind war, hat sie sich regelmässig am heiligen abend übergeben - die mayonaise liegt einfach zu schwer im magen.�
ich muss ihr recht geben: �dann weiss ich allerdings nicht, warum wir jedes jahr zu weihnachten diesen ungesunden kram essen müssen!�
oma seufzt: �ein heiligabend ohne kartoffelsalat und würstchen geht eben nicht. das wäre wie die weihnachtsgeschichte ohne das christuskind. vielleicht bemerkt es niemand - aber es würde doch etwas fehlen, verstehst du?�
pappa ist zurück. er schiebt opa ins weihnachtszimmer, der eine adidas-jacke über seinem unterhemd trägt, was nun überhaupt nicht zu unserer festlichen stimmung passt. würde es nach mir gehen, hätte opa ruhig auf seinem sofa bleiben können.
�was für ein grossartiger weihnachtsbaum�, ruft opa. �er wird von jahr zu jahr prächtiger. und erst das lametta - ich wusste doch, dass soetwas schönes eines tages wieder in mode kommt.�
opa lässt sich in einen sessel fallen und sagt zu pappa:
�mein geschenk - die kiste zigarren - kannst du mir jetzt schon geben. ich habe nämlich grosse lust, eine zu paffen!�
mama kommt mit den worten: �die würstchen müssen noch ein paar minuten ziehen!� zurück ins weihnachtszimmer. also steht der bescherung nichts mehr im wege. heikel ist nur, dass mama in diesem jahr für opa keine kiste zigarren, sondern ein thermometer fürs aquarium gekauft hat.
das ist aber in wahrheit nur teil einer längerfristigen strategie von oma, die sich seit langem bemüht, opa das kanarienvogel-hobby mit dem argument: �es macht nur schmutz und lärm� auszureden. stattdessen will sie ihn davon überzeugen, dass fische im aquarium zwar nicht wie kanarienvögel singen, aber auch nicht so viel kacken.
pappa holt das thermometer und legt es auf den tisch. opa besieht es sich und meint entrüstet: �ich bin nicht krank - und auch �putzi� ist putzmunter. was soll ich also mit einem fieberthermometer? nun mal her mit der kiste!�
endlich ist es so weit, dass auch evi, pappa, oma und ich beschert werden sollen. mama muss allerdings erst nachdenken, wo sie unsere geschenke versteckt hat. für evi läuft sie in die besenkammer, als pappas geschenk an der reihe ist, durchsucht sie die kleiderschränke im schlafzimmer, bei oma ist es der heizungskeller und bei mir der dachboden.
es hilft jedoch alles nichts. mama findet die geschenke nicht wieder. �ich weiss nur, dass ich mir in diesem jahr besonders raffinierte verstecke ausgedacht habe", jammert sie und zählt auf, was sie uns - rein virtuell natürlich - geschenkt hat.
�sie sind alle geplatzt!� evi steht mit besonders blassem gesicht in der tür des weihnachtszimmers. mama nimmt sie in den arm: �wer oder was ist geplatzt - etwa deine verabredung mit mohammed?�
oma zuckt zusammen, als hätte mama etwas ganz und gar unschickliches gesagt: �mohammed? ist das etwa dieser schwarze elektrofritze aus dem urwald?�
�viel schlimmer - die würstchen�, stöhnt evi. �sie sind alle geplatzt!�
�ich habe schon heute mittag ordentlich gegessen. ich wusste doch, dass es mit den würstchen nicht klappt,� kommentiert opa die traurige nachricht und dreht weiter ungläubig das thermometer in seinen händen.
�ich kann uns was vom türken besorgen!� schlage ich vor, aber keiner hört mir zu. stattdessen ruft mama (wie ich inzwischen weiss: wider besseres wissen):
�wir haben ja noch den besonders leckeren kartoffelsalat!�
�was wohl angelika merkel gesagt hat?� oma schaut fragend in die runde. �leider werden wir es nie erfahren�, seufzt sie, �denn die bescherung hat exakt 43 minuten zu lange gedauert. aber jetzt kommt thomas gottschalk mit seiner grossen weihnachtsgala - das wird bestimmt sehr festlich.�
�wer um himmels willen hat diese verrückte nervensäge eingeladen?� fragt opa. �wo ist er? warum will denn ausgerechnet thomas gottschalk bei uns seine gala feiern? er kann es doch auch bei stranssens oder eurer zugehfrau - wie heisst sie doch gleich? ... frau nierentisch - tun. nein, auf diesen besuch kann ich gern verzichten. ich sehe mir weihnachten lieber im fernsehen an!�
es klingelt an der haustür. evi öffnet und kommt mit mohammed ins weihnachtszimmer zurück. opa springt wie elektrisiert auf.
�guten tag, herr gottschalk. ich weiss, sie sind bei meinen kindern eingeladen. ich will auch nicht unhöflich sein. trotzdem gestatten sie mir bitte eine bemerkung: ihre anzüge sind ja schon das allerletzte - aber warum schminken sie sich jetzt auch noch als neger?�
�das ist doch nicht thomas gottschalk�, unterbricht oma die begrüssung, �das ist der elektofritze aus dem urwald!�
opa schaut pappa fragend an: �habt ihr etwa einen kurzschluss? dann können es nur die elektrischen kerzen am baum sein. lass mich mal ran, soetwas bekommt ein neger niemals auf die reihe!�
jetzt denke ich die ganze zeit darüber nach, wo die elektrischen kerzen eigentlich sind, die opa am weihnachtsbaum gesehen haben will. vielleicht weiss es ja frau nietenstamm - immerhin, es ist ihre tanne.
sie kommt allerdings erst in drei tagen und macht bei uns hoffentlich ...
... alles wieder frisch".
ENDE
copyright: rolf, dezember 2005
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2008
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