Es ist viele jahre her - und niemand kann sich an ein datum erinnern. und doch geschah es, dass ein römischer soldat in der syrischen wüste stand und sich fragte, was er dort sollte. er sah zum horizont, wo sich der himmel mit der erde traf und so schmutzig gelb war wie der sand. er war schon so lange hier und konnte sich kaum noch erinnern, woher er gekommen war.
eines tages marschierten soldaten in sein dorf und riefen die jungen und auch ihn zu sich. er kam barfuss gelaufen - er war doch noch ein kind. sie hatten ihn gleich zu seinen freunden claudius und valerian gestossen, die mit gesenktem kopf abseits der soldaten standen. das waren die söhne des schmieds und um einiges älter als er. was und wie es geschah, wusste er später nicht mehr. er hörte nur einen schrei - das war seine mutter, die mit den anderen frauen am rande des staubigen platzes stand und ihr gesicht mit einem schwarzen tuch verhüllte. es kann auch sein, dass sie in die knie fiel und ihre arme in den gelb-schmutzigen himmel warf. vielleicht war es aber auch ganz anders gewesen und seine mutter hatte sich wortlos abgewandt und war dorthin zurück gekehrt, wo sie immer schon gewesen war - in den kreis des armseligen hauses, das nur in seiner erinnerung gross, schön und mit nichts zu vergleichen war.
sein vater stand auch dabei. ein soldat, der einen besonders grossen und in der sonne blitzenden helm trug, trat zu dem alten mann und legte ihm einige münzen in die hand.
dann verliessen sie das dorf und führten in ihrer mitte die drei jungen mit sich fort.
als er sich noch einmal umschaute, sah er die gelben felder, die ungezählten reihen von olivenbäumen und die im dunst schwebenden berge - das war seine heimat. als die soldaten ihn zur eile mahnten, ahnte er, dass er dies alles nicht wieder sehen würde.
es folgten namenlose jahre in namenlosen garnisonen, die an den grenzen eines reiches lagen, von dem er nicht wusste, wie gross oder klein es war. in der ersten zeit sprachen er und seine kameraden noch vom krieg, den sie nicht kannten, und wie es wohl sein würde, gegen den feind anzurennen und ihn in die flucht zu schlagen. sie träumten davon, als helden in jene stadt einzumarschieren, aus der sie ihre befehle erhielten - und auch die weisung, die ihn eines tages statt in den krieg in die syrische wüste gebracht hatte.
er nahm eine handvoll wüstensand und liess ihn durch seine finger rinnen. „genau so ist es“, dachte er, „irgendwann wird keiner mehr wissen, welches sandkorn in der wüste des lebens meinen namen trug.“
als soldat bewachte er eine grenze, von der niemand wusste, wo sie verlief. es gab keine grenzsteine oder wegemarken, wie er sie im norden gesehen hatte. hier war die wüste die grenze - glühend unter der sonne und ohne jeden schatten hielt sie die feinde fern.
was sollte er hier? er hatte das töten gelernt - aber doch nicht das warten auf nichts. es war seltsam genug, dass er dem befehl folgen musste, jeden tag sein schwert zu schärfen. für wen tat er es? für irgend einen krieg in ferner zukunft oder nur für die offiziere, die um so herrschsüchtiger und boshafter wurden, je weniger sie zu tun hatten?
er ging zu einem niedrigen unterstand, dessen dach aus palmenblättern gegen die alles verbrennende sonne geflochten war. davon gab es viele in der wüste. sie zogen sich wie eine kette über hunderte von meilen hin und hielten durch lichtzeichen miteinander verbindung - tags mit spiegeln und nachts mit laternen. hier war er gott sei dank allein und fern von den schikanen seiner offiziere, die sich aus langeweile und missmut immer neue grausamkeiten einfallen liessen. er trank von dem abgestandenen wasser, das - bitter und warm - in einem tonkrug in der ecke des unterstands aufbewahrt wurde. dann setzte er sich auf den staubigen boden und lehnte seinen kopf an die mauer aus lehm.
was hatten die soldaten seinem vater wohl bezahlt? hatte das geld gereicht, endlich den esel zu kaufen, von dem er so lange gesprochen hatte?
"mein leben für einen esel!“ dachte er und schlief ein.
erst war da nur dunkelheit - und dann ein kleines licht am horizont, das schnell grösser wurde. waren das die feindlichen soldaten? kamen sie mit fackeln über die weiten felder der wüste? er musste ein lichtzeichen geben, um seine kameraden zu warnen. er wollte sich erheben, doch die dunkle klammer aus schlaf und traum hielt ihn fest. jetzt war das licht ganz nah und die wüste tauchte in ein weisses licht. aber, woher wusste er das? er hielt seine augen doch noch immer geschlossen. er zwang sich, sie zu öffnen und schrak vor einem feuer zurück, das sich wie eine wand vor ihm auftürmte und lodernd in der wüste brüllte und brannte.
„der feind!“ schrie er - und von diesem schrei erwachte er. es war abend geworden.
die nacht war noch stiller als sonst. warum hatte er vom feind und vom feuer geträumt? er hatte es sich angewöhnt, seine träume ernst zu nehmen und mit ihnen zwiesprache zu halten. er vergass nie zu fragen, was sie ihm sagen wollten. seitdem er soldat war und einsam noch dazu, waren ihm seine träume zu kameraden geworden, die ihn trösteten oder warnten. sie machten ihn oft traurig und brachten ihn manchmal zum lachen.
er verstand seinen traum nicht. er wollte noch einmal hinaus in die wüste gehen, denn das war der beste ort, um über alles nachzudenken.
der sand gab unter seinen sandalen nach. manchmal blieb er stehen, um sich auszuruhen. er sah hinauf in den schwarzen himmel, in dem grosse und kleine sterne hingen. der mond stand als schmale sichel über den dünen und würde wohl bald verschwinden.
„es wäre gut, wenn es jemanden gäbe“, so dachte er beim weitergehen, „an den ich mich wenden und fragen könnte. etwa, warum mein vater mich damals für so wenig geld verkaufte - denn viel kann es nicht gewesen sein, weil zwar ein esel nicht billig, aber doch auch nicht so teuer ist, dass ihn sich ein armer bauer nicht kaufen könnte. ich würde auch fragen, warum meine mutter dazu gar nichts sagte, sondern nur stumm und ohne klage ins haus zurück ging.
ich hätte noch so viele fragen.
warum der offizier nausius, der vor gar nicht langer zeit den soldaten marcus zu tode prügelte, überhaupt nicht zur verantwortung gezogen wurde. und warum eines tages in einem dorf im norden so viele tote frauen und kinder lagen, von denen es hiess, dass soldaten einer römischen kohorte sie umgebracht hatten, bevor sie daran gingen, die häuser zu plündern?
es geht wirklich schlimm, ungerecht und gemein auf der welt zu!“ seufzte er und liess sich in den sand fallen. „überall lügen - und es ist niemand da, der die wahrheit beim namen nennt und sie laut heraus ruft. alle haben angst. deswegen müsste die wahrheit wie ein grosses feuer sein ...“
er erschrak, weil er sich an seinen traum vom nachmittag erinnerte, als er vor der feuerwand stand und sich fürchtete. sprach sein traum womöglich gar nicht von irgend einem feind, der mit lodernden fackeln durch die wüste heran stürmte, sondern von den worten der wahrheit, die alles gemeine und niederträchtige verbrennen wollten?
seine stirn war heiss und das herz klopfte in seinen ohren. warum hatte er bis heute geglaubt, dass kriege nur mit dem schwert geführt werden können? der krieg, an dessen ende der wirkliche, immerwährende friede steht, konnte doch nur mit worten erfochten werden, die alle widerworte aushalten, weil sie die wahrheit sprechen.
genau davon hatte sein traum erzählt. das war aber auch die botschaft, die ihn ins fieber gestürzt hatte, denn wie sollte er, wenn er seinen traum ernst nahm, noch länger soldat sein? und konnte es denn überhaupt einen immerwährenden frieden geben? lief er vielleicht einem kinderglauben hinter her, der vergeblich darauf hofft, allein mit worten berge zu versetzen?
„ich weiss es nicht!“ stöhnte er, „ weil ich die wahrheit nicht kenne. doch wenn ich wüsste, dass einer lebt, der den worten die gewalt der wahrheit verleiht, würde ich ihn suchen und ein soldat der worte werden.“
der mond, der nur noch eine schmale sichel gewesen war, hatte sich hinter den sanddünen verkrochen und kälte wehte durch die wüste. sterne blinkten am schwarzen himmel und die stille war so gross, dass er meinte, seine gedanken hören zu können. „er muss mir nur ein zeichen geben!“ dachte er und seine gedanken kamen als lautes echo von den bergen zurück.
und dann geschah es, dass der himmel sich öffnete und flammen herab zur erde stiessen. er blickte in ein feuer, das über den himmel raste und die sterne verbrannte. er schlug die hände vor seine augen und fiel in den sand.
„was geschieht hier?“ schluchzte er. das was er sah, überstieg alles, was er kannte. die welt war in brand geraten und die flammen frassen sich in sein fleisch.
„ich träume!“ wimmerte er in seine schmerzen hinein, „aber noch nie hat ein mensch einen traum zweimal geträumt!“
die schmerzen waren schrecklich - und plötzlich vorbei. als er seine augen öffnete, sah er in eine wüste, die leer und kalt war, und über die sich ein stiller himmel spannte, aus dem matt die sterne leuchteten. er richtete sich auf und suchte an den horizonten, wo berge schwarz vor einem noch schwärzeren himmel standen, nach den zeichen seiner kameraden. sie hatten wohl längst die laternen entzündet, um auch ihn vor dem unheil zu warnen, das über die welt gekommen war.
aber die horizonte waren leer und schwiegen.
„das zeichen!“ schrie er. „nur ich habe es gesehen. mir hat es gegolten - und es war kein traum!“
als der morgen aus den bergen der syrischen wüste kam und felsen, steine und sand mit seinem klaren licht beschien, war der soldat fort. als sie nach ihm suchten, fanden sie nur noch die uniform und sein schwert im verlassenen unterstand.
er wanderte durch wüsten und berge. sein weg war nicht kurz und nicht lang - denn er wusste kein ziel. er trank wasser aus den quellen und bat die menschen um brot. manchmal blieb er hungrig und manchmal luden sie ihn ein, mit am tisch zu sitzen. dann erzählte er wunderliche dinge - und auch, dass er ein soldat des wortes und der wahrheit sei. viele lachten über ihn, aber einige bewegten seine worte auch in ihren herzen. er sprach von der gerechtigkeit - und wie sie mit füssen getreten wurde, er nannte die bosheit und den eigennutz einen schlimmen fluch. er rief aber auch die liebe herbei, umarmte die menschen und segnete sie. manchmal schwieg er und hörte nur zu. das blieb allen, die ihm ihr leid erzählten, als das kostbarste in erinnerung. überhaupt sprachen die menschen noch lange von ihm, auch wenn keiner zu sagen wusste, warum sie nun gerade ihn im gedächtnis behielten.
die wüsten waren heiss, die berge felsig, die nächte kalt, die quellen kühl. er sprach zu den menschen, sie lachten ihn das eine mal aus und nannten ihn einen narren, applaudierten das andere mal und verehrten ihn als einen weisen. so vergingen die jahre.
eines tages kam er in ein dorf, das ihn so sehr an seine heimat erinnerte, dass er auf die suche nach seinem elternhaus ging. er fand es nicht. als ihm ein blinder mann auf dem souk begegnete, hielt er ihn am arm fest: „sag´ du mir, wo das haus meiner eltern steht!“ der blinde richtete seine leeren augenhöhlen zu den fernen hügeln. „du stellst mir eine schwere frage, aber weil mir geholfen wurde ... denn du musst wissen: seit gestern kann ich sehen - nicht mit meinen augen, aber doch mit meinem herzen! ... werde ich dir antworten: es kann sein, dass dein elternhaus hinter jenem berg dort liegt. vielleicht aber auch, dass der wind durch seine fenster wehte, bis es entzwei ging. ganz bestimmt aber steht es dort ...“ der blinde legte seinen zeigefinger auf die brust des syrischen soldaten, „...wo das herz die wahrheit und das auge ihren sinn erkennt!“
ein gewürzhändler hatte die unterhaltung beobachtet. er trat zu ihnen und jagte den blinden mann mit zornigen worten fort. zu dem syrischen soldaten aber sagte er: „so seid ihr lumpen doch alle! der blinde ibrahim bittet euch um ein almosen - und was tut ihr? anstatt ihm eine münze zu geben, damit er brot kaufen kann, tröstet ihr ihn mit dem paradies. dort wird er aber nie anklopfen - weil er bald verhungert ist!“ bei diesen worten lachte er.
„was weisst denn du von meinem gespräch? der mann bat nicht um almosen und ich versprach ihm nicht das paradies!“
„dann hast du ihm wohl von irgendeiner gnade und der liebe unter den menschen gepredigt. ist es nicht so? einer wie du war erst gestern hier. auch der erzählte ibrahim solchen unsinn - ich lachte mich wirklich krank! - und dann sagte er noch, dass er - höre mir genau zu! - der sohn gottes sei und die welt erlösen würde. na, gut! einen narren sperrt man nicht ein. wir haben ihn aber ganz schnell aus dem dorf gejagt. ihr zwei verrückten passt übrigens zusammen wie der sand und die wüste! laufe ihm nach, vielleicht erwischst du ihn noch.“ er lachte immer weiter und ging davon.
„ich wusste den weg nicht und bin doch am ziel!“ dachte der syrische soldat, der sein schwert vor vielen jahren gegen die worte getauscht hatte. „ich bin endlich angekommen. bald werde ich ihn sehen, der mich mit dem feuer in der wüste zur wahrheit und zu meinem leben rief.“
copyright: rolf-dieter venzlaff, weihnachten 2004
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2008
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Widmung:
Marion gewidmet