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1. hassan ist oft ausgebucht

das hotel, in dem ich seit jahren in agadir wohne, wird mir langsam ungemütlich. das liegt nicht nur daran, dass abends in der bar eigentlich nur noch marokkanische nüttchen auf ihre marokkanischen freier warten (europäische touristen besuchen die bar schon lange nicht mehr - die ist nur noch umlagert von marokkanern). es hat auch etwas damit zu tun, dass gegenüber der rezeption ein sofa steht. dort sitzt tagsüber ahmed, der direktor des hotels und „passt auf“. manchmal trinkt er auch ein glas tee, während er aufpasst.

ahmed, er ist um die 60 jahre alt, hat einen stellvertreter: der heisst hassan.

hassan ist knapp über 30 und ist wohl in den augen vieler (ich kann das nicht weiter beurteilen) ein schöner mann. er zieht sich auch immer ausnehmend gut und korrekt an. ein mann ohne fehl und tadel. er ist schlank und hat ein gewinnendes lächeln - für andere, nicht für mich. denn als er er mir einmal verbieten wollte, eine flasche wein mit ins hotel zu nehmen, sagte ich:

nun hören sie mir einmal zu. ich weiss, dass ich mich in marokko befinde. und in diesem land kann mir nur einer etwas verbieten. nun glauben sie bitte nicht, dass sie damit gemeint sind. aber wenn der marokkanische könig mir sagt: ich verbiete ihnen, eine flasche wein mit ins hotel zu nehmen, dann respektiere ich das. er ist der einzige - wirklich der einzige - der mir etwas verbieten kann. und nur unter diesen umständen würde ich die flasche wein draussen auf der hoteltreppe trinken.

seitdem schaut hassan an mir vorbei, sobald er mich sieht.

das sofa!

ahmed, der direktor, geht immer um 19 uhr nach hause. dann übernimmt hassan den dienst an der rezeption, frisch geduscht, parfümiert, den schlips korrekt gebunden.

das sofa ist nun leer. aber doch nicht lange!

schon bald sitzt dort eine blonde, junge frau ... und das jeden abend. erst dachte ich: es ist vielleicht seine frau, denn ich traf sie dort auf dem sofa an, wann immer ich urlaub in agadir machte. irgendwann dachte ich: hat sie denn nichts anderes zu tun, als auf dem sofa zu sitzen und hassan bei der arbeit zuzuschauen?

da sah ich mir eines tages die junge frau einmal näher an und stellte zu meiner überraschung fest: das war gar nicht immer dieselbe frau, die dort sass. es waren vielmehr ganz verschiedene frauen, die sich allerdings beim flüchtigen hinsehen ähnelten wie zwillinge, drillinge oder 10-linge.

während der 14 tage meines urlaubs sass dort auf dem sofa (immer ab 19 uhr) also jeweils eine andere. und ob ich nun im februar oder november nach agadir reiste - das sofa war immer besetzt.

hassan spricht ein ausnehmend gutes deutsch. vielleicht liegt es daran, dass die jungen frauen immer aus deutschland sind. nun bilde ich mir nicht ein, einer frau an der nasenspitze anzusehen, ob sie verliebt ist. aber die blicke, die diese jungen, blonden frauen hassan schicken, kann man gar nicht falsch interpretieren. sie sind nicht nur verliebt - sie sind verliebt bis über beide ohren.

deswegen gehen sie abends nicht aus, treffen sich nicht mit freunden, gehen nicht ins restaurant oder in eine bar ... sondern sitzen auf dem sofa im hotel - hassan gegenüber. sie lächeln und warten. sie versüssen ihm sozusagen die arbeit. hassan geniesst ihre blicke, wenn er geschickt einen schlüssel vom bord nimmt, um ihn einem gast zu reichen. besonders aufregend scheint es für die damen zu sein, wenn er per telefon ein taxi ruft oder einem gast das geld wechselt.

vielleicht denken die frauen: wie toll er doch telefonieren kann - und wie souverän er mit geld umgeht.

immerhin: das sind nicht die schlechtesten voraussetzungen für eine partnerschaft zwischen einem marokkaner und einer deutschen.

ich habe es längst aufgegeben, die damen zu zählen, die auf dem sofa - jahrein, jahraus - platz nehmen. ich gab es auch deswegen auf, weil ich ja doch keinen überblick über die zahl der damen bekommen könnte - ich bin ja nicht immer in agadir. so über den daumen gepeilt und eine normale verweildauer von 14 urlaubstagen angenommen, muss jeder, der auch nur ein wenig rechnen kann, allerdings auf 26 blonde, junge damen kommen, die summa summarum und im jahresschnitt auf dem sofa platz nehmen.

ich weiss nicht, wie ihre urlaubstage in agadir aussehen - was sie also vor 19 uhr unternehmen. ich stelle mir vor, dass sie dann mit hassan zusammen sind. das sind sie zwar auch auf dem sofa, aber das ist doch irgendwie anders.

ich stelle mir auch vor, wie sie tagsüber pläne mit hassan schmieden. wie sie über ihre gemeinsame zukunft sprechen und auch schon einmal darüber nachdenken, dass es viel besser wäre zu heiraten - als immerzu auf dem sofa zu sitzen. so verliebt wie die damen hassan ansehen, müssen sie einfach von einem leben an seiner seite träumen.

ich nehme auch an, dass sie ihm zum abschied tief in die augen sehen und flüstern: ach, hassan - jetzt wird das sofa für lange zeit leer bleiben. aber sei darüber nicht traurig - ich komme ja wieder - ganz bestimmt.

und dann lächelt hassan, drückt sie fest an sich und erwidert: mein sonnenschein, ich werde immer auf dich warten - aber sage mir rechtzeitig bescheid. du weisst doch ...

... wir sind oft ausgebucht.

2. erika und das vorsichtige glück

heute abend war ich im supermarkt. manchmal sitzt dort eine traurige, ernste frau an der kasse. sie ist aushilfskraft, wohl an die 60 jahre alt, und schaut ganz bitter ...

ich dachte nicht nur: oh, wie traurig siehst du aus, sondern dachte (warum nur?): was wäre wohl, wenn du einmal nach tunesien oder marokko reisen würdest?

wohlgmerkt: ich habe ihr das nicht gesagt. wie könnte ich auch? ich habe es nur .... gedacht.

nun stellen wir uns einmal vor, dass erika (so nenne ich sie, weil ich ihren namen nicht kenne) wirklich nach tunesien reist. dort kommt sie abgekämpft an und fragt sich im café sogar noch beim zweiten campari, was das pfund erdbeeren kostet. dabei muss sie das - im urlaub - gar nicht wissen! ihr gehirn aber rattert unaufhörlich weiter. und dann - warum, wieso, weshalb? - setzt sich ein tunesier an ihren tisch.

nein, anders!

er fragt höflich, ob er sich setzen dürfte. und weil erika nicht unhöflich sein will, nickt sie und denkt: was will der?

es folgt die übliche konversation: woher, wohin und überhaupt ... nichts, um darüber tiefer nachzudenken.

erika bestellt noch einen campari.

irgendwann kommt der satz, auf den keiner gewartet hat, der aber doch wohl fallen muss, damit die nächsten schritte glücken:

sie sind eine sehr schöne frau!
sagt der tunesier. und er sagt gleich weiter:
aber ich sehe: sie sind so müde. doch ihre augen ... ihre augen!

erika zwinkert und weiss nicht recht, was sie von seinen worten halten soll.

ihre augen sind die eines jungen mädchens ... sagt der tunesier.

das weiss erika: wenigstens ihre augen sind so geblieben wie damals, als sie jung, aber nicht weniger unglücklich war.

die augen!

ich habe sie schon heute nachmittag im hotel gesehen, sagt der tunesier. ich weiss alles über sie (er lacht).

erika weiss, dass sie nicht schön ist ... oder nicht mehr schön ist ... oder nie schön war. aber ihre augen ... ja, ihre augen sind schön: dunkel, blitzend, braun ... wenn sie nicht zu müde sind.

warum um alles in der welt sagt der tunesier ihr soetwas? schon ihr vater sagte immer: erika, deine augen sind wie sterne am himmel!

und jetzt dreht der tunesier an ihrem tisch sein gesicht in die nacht und sagt ... er sagt es wirklich ...

ihre augen sind wie sterne am tunesischen himmel!

erika greift nach ihrem campari-glas und trinkt es hastig aus. sie will nun ganz schnell ins hotel. es war nett, sie kennen zu lernen, sagt sie und gibt ihm die hand. dann tritt sie auf die strasse.

sie hofft ... ahnt ... weiss ... dass ihr augen hinterher schauen, die viel schöner sind als ihre. sie fühlt sich angesehen! der blick, den sie in ihrem rücken spürt, verleiht ihr ... leichtigkeit.

erika sagt - zu sich selbst und bevor sie ins hotel verschwindet:

er hat mir in die augen gesehen - er hat mir in mein herz gesehen!

und dann noch:

ich möchte ihn gern wiedersehen!


3. wie es meine freundin macht ...

nennen wir meine freundin einfach ... marion. sie fährt seit 25 jahren nach agadir. erst mit ihren kindern - sie ist lange geschieden - dann (später) allein. sie hatte dort eine affäre mit einem hotelkoch. ob er gut kochte, weiss sie bis heute nicht, denn er arbeitete in einem anderen hotel. als sie aus agadir weggefahren war, erfuhr sie über dritte, dass ihr hotelkoch sich gerade neu verliebt hatte (vielleicht braucht er das, um ein gutes cous-cous zu kochen, wer weiss?).

marion war fertig mit der welt - und mit agadir. sie wollte alle marokkaner in der pfeife rauchen (so drückte sie sich aus), tat es dann aber wegen möglicher hustenanfälle doch nicht.

seitdem sie ihrem koch adieu gesagt hatte, änderte sie ihre taktik.

von stunde an setzte sie sich einen ehering auf, wenn sie nach marokko reiste. seitdem begrüsst man sie dort mit "madame". sie wird auch ständig gefragt, warum sie allein reist und wie es ihrem mann geht. marion antwortet dann: so weit ich weiss sehr gut - aber als kripobeamter hat er leider viel zu viel zu tun!

wenn marion zum strand geht, holt sie eines ihrer herrenhemden aus dem koffer. sie hat davon immer drei dabei. sie zieht sich eines über - aber nicht nur, weil die sonne am strand gefährlich ist.

die herrenhemden amüsieren die marokkaner. sie fragen marion, warum sie so komische hemden trägt. erstens sind sie praktisch und zweitens brauchen sie nicht so schnell auf, antwortet marion.

was ist „aufbrauchen“?, fragen die marokkaner. sie gehen nicht so schnell kaputt, antwortet marion. und weil sie in den letzten jahren immer in herrenhemden am strand sitzt, haben es die marokkaner eingesehen: solche herrenhemden halten ein leben lang und ein kripobeamter in deutschland verdient nicht so viel geld, um seiner frau - statt seiner hemden - einmal eine bluse zu schenken.

marion erntet inzwischen viel mitleid am strand von agadir.

natürlich wird auch marion manchmal schwach. wenn ihr ein marokkaner besonders gut gefällt, lädt sie ihn in ein restaurant auf der strandpromenade ein. diese einladungen sind inzwischen bei den marokkanern gefürchtet. im restaurant gibt es nämlich eine hühnersuppe für 10 dirham. sie ist sehr lecker. am anfang fanden sich immer wieder marokkaner, die mitgingen und hofften, dass aus der hühnersuppe ein menue würde. da dachten sie jedoch ganz falsch. kaum war die hühnersuppe aufgegessen, brachte marion ihnen das deutsche wort "danke" bei und ging an den strand zurück.

besonders grosszügig ist marion immer dann, wenn sie bemerkt, dass der marokkaner an ihrer seite gern eine zigarette rauchen würde. gegen das rauchen hat sie nichts. sie fragt: möchtest du rauchen? und wenn er nickt, winkt marion einen der zigarettenkäufer zu sich heran, die immer irgendwo herumstehen. ihr marokkanischer begleiter darf sich aus der hingehaltenen marlboro-schachtel eine zigarette aussuchen und marion bezahlt sie. das ist ehrensache. sie ist im übrigen auch sehr freigiebig im verteilen von schokolade. sie verschenkt jeweils einige stückchen von der tafel - als ersatz für das trinkgeld.

marion sagt: an den süssen geschmack der schokolade werden sich die marokkanischen männer viel länger erinnern als an einige dirham, die doch gleich wieder ausgegeben sind.

muss ich noch erwähnen, dass die marokkaner marion mit grösstem respekt begegnen? dass ihre frage: geht es madame gut?, wirklich aus dem herzen kommt?

bei ihrem letzten urlaub hat marion dem zimmermädchen einen zwirnsfaden von der bluse geschnippt. marion traf sie zufällig im flur.

warum erzähle ich das eigentlich? es gehört gar nicht hierher!

marion hatte über die breite ihrer zimmertür im hotel einen zwirnsfaden gezogen. sie musste nämlich feststellen, dass ihr einige höschen (keine herrenhemden!) aus dem koffer fehlten. jetzt wollte sie dem täter auf die spur kommen.

als sie mir das erzählte, musste ich lachen. sie aber meinte: lache du nur über eine frau in meinem alter, die viel früher auf die idee mit dem zwirnsfaden hätte kommen sollen.

denkst du noch immer an deinen koch? fragte ich.

ja! denn ich weiss bis heute nicht, ob er es damals überhaupt war!

"du fragst dich noch immer, ob er der täter war?" lachte ich.

sie dachte nach:

wäre ich doch nur schon damals auf die idee mit dem zwirnsfaden gekommen - ich hätte ihn auch ganz bestimmt sehr diskret von seinem jackett geschnippt.


copyright: r.d. venzlaff / 2005


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.08.2008

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