als buchhändler und antiquar hatte ich viele erlebnisse, die es vielleicht wert sind,
als geschichten festgehalten und aufgeschrieben zu werden. auf jedem fall spiegeln sich in
ihnen - heiter, ironisch, nachdenklich - manche erfahrungen eines inzwischen langen berufslebens.
1. HERR MISSLICH LERNT FLIEGEN
2. VOM BÜCHERGLÜCK UND UNGLÜCK
3. AUF DER SUCHE NACH HEINRICH HEINE
4. PHILEMON UND BAUCIS
5. WIE WÜBBELZAHN EINMAL MAX FRISCH TRAF
6. EIN GEDICHT VON RIO REISER
7. GEWINN UND VERLUST - ODER: DER WERT EINER PETROLEUMLAMPE
8. EIN SCHRANK UND SEINE "FLORALEN MOTIVE"
9. VON DEN BÜCHERN UND DER LEERE DES ZEN
10. WÜBBELZAHN RÄUMT ENDLICH AUF!
11. WOHIN MIT DEN VIELEN, SCHÖNEN BÜCHERN?
12. GOETHE IM WÄSCHESCHRANK
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HERR MISSLICH LERNT FLIEGEN
ANTIQUAR wübbelzahn kommt mit vielen kunden ins gespräch und manche schütten ihm ihr herz aus. da ist zum beispiel herr misslich. inzwischen ist er längst pensioniert, aber früher arbeitete er im finanzamt - und weil das nur wenige schritte entfernt von antiquar wübbelzahns laden liegt, kam herr misslich regelmässig in der mittagspause vorbei. aber auch später, als er schon längst pensioniert war, liess er von seiner gewohnheit nicht ab.
herr misslich sammelte alles zu fliegerei. antiquar wübbelzahn reservierte ihm deswegen auch immer die seltensten und ganz besonderen bücher. er konnte sicher sein, herrn misslich damit eine freude zu machen. herr misslich strahlte und bei antiquar wübbelzahn klingelte die kasse.
die liebe zur fliegerei - so erzählte herr misslich es antiquar wübbelzahn im vertraulichen gespräch - entdeckte er, als er an einem feuchten wintertag in seinem büro sass und voller schrecken bemerkte, dass der stapel akten auf seinem schreibtisch nicht kleiner wurde. kaum hatte er einige akten bearbeitet, flog die tür auf, und amtmann würzig rollte auf einem kleinen handwagen berge von neuen akten heran.
herr misslich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. er durfte allerdings nicht darauf hoffen, dass amtmann würzig irgendwann wegen eines schnupfens zu hause blieb, um ihm auf diese weise eine atempause zu gönnen.
denn amtmann würzig sagte jedem, der es nicht hören wollte: „ein lied auf der lippe verjagt schnupfen und grippe!“
deswegen konnte herr misslich amtmann würzig auch schon auf dem flur des finanzamts singen hören - ziemlich schief und bei weitem unerträglicher als das hässliche quietschen seines handwagens.
vielleicht könnte mich ein steckenpferd von der arbeit, die nie weniger wird, ablenken, dachte herr misslich. also skat, bridge, doppelkopf spielen ... sich der numerologie oder astrologie widmen ... münzen oder briefmarken sammeln ... dem glücksspiel oder den frauen verfallen ...
während er noch nachdachte und sein blick dabei aus dem fenster zu den tief hängenden, grauen wolken wanderte, flog hoch oben ein kleiner silberner punkt vorbei. als herr misslich genauer hinsah, wurde der punkt zu einem kleinen flugzeug, das knapp unter den wolken flog und rasch die breite des bürofensters durchmessen hatte ...
„fliegen wäre schön“, dachte herr misslich.
und so geschah es, dass er, der nie in einem flugzeug gesessen hatte, zu antiquar wübbelzahn eilte und - kaum dass er den laden betreten hatte - laut ausrief: „packen sie mir alles zur fliegerei ein!“
auf diese weise wurde herr misslich zum stammkunden von antiquar wübbelzahn. sie lebten fortan in einem verhältnis miteinander, das mit fug und recht als „symbiotisch“ bezeichnet werden kann. sie brauchten sich, schätzten sich, tauschten buch gegen geld, und befreundeten sich sogar ... wenigstens so, wie es die fliegerei zwischen zwei buchdeckeln zulässt.
deswegen fiel antiquar wübbelzahn eines tages mit nicht geringer bestürzung auf, dass er herrn misslich schon seit wochen nicht mehr in seinem laden gesehen hatte. war herrn misslich etwas zugestossen? abgestürzt konnte er nicht sein, aber es geschieht dennoch zuweilen, dass wir menschen - aus gründen, denen wir nichts entgegensetzen können - aus den augen verlieren ...
um so erleichterter war antiquar wübbelzahn, als er herrn misslich wenige tage später vor seinem laden bemerkte. er eilte hinaus, um ihn zu begrüssen.
„warum kommen sie nicht herein? ich habe einige wunderbare bücher zur fliegerei in meinem sortiment!“
herr misslich schaute antiquar wübbelzahn traurig an. „ich möchte nichts kaufen. ich weiss ja schon jetzt nicht mehr, wohin mit den vielen büchern. gerade ist mir etwas schlimmes passiert: ich habe eine kiste mit büchern, die in meinem regal keinen mehr platz fanden, so besonders sorgfältig fortgeräumt, dass ich sie nicht wiederfinde. das schlimmste: ich kann mich nicht erinnern, welche bücher in dieser kiste sind. das allerschlimmste aber: ich habe die bücher noch nicht einmal gelesen.“
antiquar wübbelzahn wiegte den kopf. das problem kannte er, eine lösung jedoch nicht. also wollte er herrn misslich trösten:
„kaufen sie doch ein paar neue bücher zur fliegerei. dann haben sie genügend lesestoff, bis sie die kiste wiedergefunden haben.“
herr misslich sah ihn erschrocken an: „das aller-allerschlimmste habe ich ihnen doch noch gar nicht erzählt!“
antiquar wübbelzahn wurde unruhig. ein seltsam-schwindeliges gefühl sagte ihm, dass gerade eine grosse, zu beiderseitigem nutzen geschlossene freundschaft zu ende ging. er legte deswegen besonderes mitgefühl in seine stimme und fragte:
„was ist denn so schlimm, herr misslich? sagen sie es mir doch!“
„das aller-allerschlimmste ist: mir wurde erst bei der suche nach der kiste klar, dass ich auch die bücher in den regalen noch nicht gelesen habe.“
antiquar wübbelzahn stöhnte leise auf. das erzählten ihm fast alle stammkunden. er blickte zum himmel, als erwartete er dort einen trost, den er entweder für sich selbst nehmen oder an seinen kunden weitergeben könnte. dort sah er aber nur einen kleinen, silbernen punkt, der knapp unter den tiefhängenden wolken flog und sich rasch entfernte.
herr misslich zog seinen hut, um sich zu verabschieden. „sehen wir uns denn einmal wieder?“ fragte antiquar wübbelzahn.
„ganz bestimmt. ich gehe doch noch jeden tag ins finanzamt - oder besser gesagt: in die kantine dort. denn wissen sie, was mir im ruhestand am meisten fehlt?“
„bestimmt ein spannendes buch über die fliegerei aus der kiste!“
„nein, das quietschen des rollwagens von amtmann würzig!“
VOM BÜCHERGLÜCK UND UNGLÜCK
ANTIQUAR wübbelzahn beschäftigt sich schon eine ganze weile mit büchern. deswegen denkt er auch manchmal an einen kunden zurück, dessen grösster wunsch es war, die erstausgabe von elias canetti "die blendung" zu besitzen.
nun muss man wissen, dass dieses buch äusserst selten ist. es erschien 1936 in einer kleinen auflage in wien. erst jahrzehnte später wurde elias canetti berühmt und sein buch vielfach neu aufgelegt.
eines tages konnte antiquar wübbelzahn das buch dann doch finden. eilig (und aufgeregt) rief er seinen kunden an (antiquar wübbelzahn war zu dieser zeit noch ein wenig enthusiastischer als heute). als sein kunde das buch endlich in den händen hielt, war das eine freude ohne ende.
einige jahre später schlenderte antiquar wübbelzahn über eine antiquariatsmesse. einigermassen erstaunt war er, als er gleich am ersten stand die erstausgabe von elias canetti bemerkte, noch erstaunter aber, dass er sie auf seinem rundgang über die messe am ende gleich dreimal entdeckt hatte.
"das ist merkwürdig", meinte antiquar wübbelzahn zu einem kollegen gewandt. "die besucher könnten den eindruck gewinnen, dieses buch sei besonders häufig." sein kollege pflichtete ihm bei: "und dieser eindruck (jeder muss doch denken, das buch sei wohlfeil) wird manchen interessenten am kauf hindern."
schon lange fragt niemand mehr antiquar wübbelzahn nach elias canetti. inzwischen ist "die blendung" nämlich zu einem nicht weiter aufregenden handelsgut unter anderem verkommen. wenn auch die auflage seiner zeit besonders klein war - das buch folglich immer noch sehr selten ist - kann es heute jederzeit und in minutenschnelle im internet abgerufen werden.
aus diesem grunde hat antiquar wübbelzahn auch viele seiner treusten kunden verloren, an deren leuchtende augen er sich immer noch gut erinnert. deswegen ist ihm auch allmählich der enthusiasmus abhanden gekommen. seine kunden erfüllen sich ihre wünsche inzwischen im internet und antiquar wübbelzahn weiss, dass jedes noch so seltene buch, das er ins fenster legt, mehrfach im internet vorhanden und zu bestellen ist.
manchmal sitzt antiquar wübbelzahn in seinem laden und erinnert sich an die zeit, wenn im garten seiner eltern die himbeeren reif wurden. es gab keine grössere freude, als sie sich - wenn sie endlich rot und saftig waren - in den mund zu schieben.
wenn dann aber seine frau anruft und ihn bittet, noch eine packung himbeeren im supermarkt aus der tiefkühlung zu besorgen, ist antiquar wübbelzahn wieder in der gegenwart angekommen.
AUF DER SUCHE NACH HEINRICH HEINE
ALS ANTIQUAR WÜBBELZAHN noch ein junger mann war und nicht ahnte, dass er sich eines tages beruflich mit alten büchern geschäftigen würde, besuchte er häufig die antiquariate seiner heimatstadt - vor allem eines, wo ein alter mann, der stets einen grau-blauen arbeitskittel trug, über die heerscharen von büchern wachte, die sich - treppauf, treppab - in den regalen reihten.
wenn der junge wübbelzahn das antiquariat besuchte, gab der alte antiquar ihm eine leiter in die hand und dann begannen die expeditionen in die literatur.
der junge wübbelzahn suchte auch nach einer gesamtausgabe von heinrich heine. das war allerdings ein schwieriges unterfangen. so oft er auch fragte - der alte antiquar schüttelte immer nur den kopf.
der junge wübbelzahn konnte sich darauf keinen reim machen. es standen doch goethe-, schiller- und lessing-ausgaben zuhauf in den regalen. warum also nicht auch eine von heine?
erst einige jahre später fand er eine antwort auf seine frage. heinrich heine war jude - und deswegen im Dritten Reich geächtet. wer also damals eine ausgabe des dichters bei sich zu hause stehen hatte, brachte sie brav zu einer sammelstelle der nazipartei, die nichts anderes zu tun hatte, als deutsche literatur zu verbrennen.
auf diese weise waren bald die allermeisten deutschen bücherschränke von heinrich heine „gesäubert“. es blieben kolbenheyer, carossa und will vesper.
sie waren deutsch - und schrieben deutsch ...
heinrich heine schrieb zwar auch deutsch, aber manchmal auch einen satz wie: „denk ich an deutschland in der nacht, so bin ich um den schlaf gebracht.“
wie recht er hatte, dachte der junge wübbelzahn bisweilen ... und gab allein schon deswegen seine suche nach dem dichter nicht auf. aber so oft der alte antiquar auch bücher in die regale räumte - heinrich heine war nie dabei.
„den haben sie gründlich verbrannt“, pflegte der antiquar zu sagen und pustete dabei verächtlich den staub aus den kolbenheyers, carossas und vespers, die seinen laden hoffnungslos verstopften.
der junge wübbelzahn musste einsehen, dass er im antiquariat nicht fündig wurde. allerdings sah es im modernen buchhandel nicht anders aus. kein verlag in westdeutschland verlegte - auch 25 jahre nach kriegsende - heinrich heine. das schlimme verdikt vom „juden heine“ wirkte auf boshafte weise weiter und sorgte für ein grosses vergessen. das war in diesem fall besonders schlimm, denn der junge wübbelzahn wusste sehr genau, dass heinrich heine zu den grössten dichtern überhaupt gehört.
eines tages fuhr der junge wübbelzahn nach berlin. die reise wurde vom gesamtdeutschen ministerium bezahlt. er liess es sich deswegen - also ganz gesamtdeutsch - nicht nehmen, einen blick über die mauer zu tun.
gleich sein erster weg in ostberlin führte ihn in eine buchhandlung. nun muss man wissen, dass die DDR grossen wert auf die pflege der literatur legte. die bücher, die der junge wübbelzahn dort in die hand nahm, waren ausgesprochen sorgfältig gebunden und ausgestattet. mochte sich die auswahl auch an der russischen literatur orientieren, so fehlten doch keineswegs thomas mann, ernst maria remarque, ernst toller, klaus und heinrich mann, leonhard frank und bert brecht.
der junge wübbelzahn interessierte sich jedoch vor allem für die klassiker-ausgaben des aufbau-verlags. das waren schlichte, in leinen gebunde bände, die den ganzen kosmos der deutschen literatur umspannten. wer wäre damals in westdeutschland auf die idee gekommen, autoren wie philip moritz arndt, ludwig börne oder karl gutzkow zu verlegen? in der reihe des aufbau-verlags fehlte jedoch keiner von ihnen ... und auch heinrich heine nicht.
der junge wübbelzahn trug den schatz - die vierbändige, in taubenblaues leinen gebundene ausgabe - über die grenze nach westdeutschland. endlich hatte er gefunden, wonach er so lange gesucht hatte ...
heute sitzt antiquar wübbelzahn machmal in seinem laden und lässt den blick über die regale mit den klassikern gleiten. dort stehen auch drei schöne, alte heine-ausgaben:
von bong, dem bibliographischen institut und von reclam.
sie stehen da nicht etwa, weil er sie inzwischen so oft findet. sie sind nach wie vor selten - wie zu zeiten, als der junge wübbelzahn danach suchte. sie sammeln sich vielmehr im regal, weil keiner nach ihnen fragt.
antiquar wübbelzahn würde sogar so weit gehen, einem jungen mann oder einer jungen frau eine leiter in die hand zu geben - nur, damit sie in seinem laden auf entdeckungsreise gehen können und vielleicht ...
ja, vielleicht auch auf heinrich heine stossen.
aber - zum einen ist das geschäft von antiquar wübbelzahn recht übersichtlich und aufgeräumt - und zum anderen verirrt sich kaum ein junger mensch in seinen laden. also nimmt er selbst manchmal einen band aus dem regal und beginnt zu lesen ...
... etwa die gedichte von heinrich heine, dessen bücher einst verbrannt wurden und die heute - was genau so schlimm und im resultat dasselbe ist - wohl langsam in die vergessenheit sinken.
PHILEMON UND BAUCIS
ANTIQUAR wübbelzahn sitzt nicht immer in seinem laden und blättert in alten folianten. weil er die bücher, die er verkauft, zuvor erworben haben muss, ist er immer froh, wenn ihn jemand anruft und gleich ein ganzes dutzend davon - oder noch viel mehr - in aussicht stellt.
manches mal ist antiquar wübbelzahn deswegen weite wege durchs land gefahren, um sich die bücher anzusehen - immer in der hoffnung, besonders wertvolles und schönes zu finden. die wege sind nötig, denn wenn antiquar wübbelzahn auch jedes mal am telefon fragt, was ihn erwartet, erhält er doch viel zu oft die wenig befriedigende antwort:
„von allem etwas!“
weil aber antiquar wübbelzahn kein kolonialwarenhändler ist, der „von allem etwas“ in seinem laden vorrätig halten muss, fährt er zu den kunden, um sich die bücher erst einmal anzusehen.
so war es auch an jenem sonntagnachmittag im winter.
es hatte geschneit und antiquar wübbelzahn fuhr aus der stadt hinaus. die landstrasse schlängelte sich durch weiss überstäubte felder und ging vorbei an wäldern, in denen sich die zweige der tannen unter dem frisch gefallenen schnee bogen. fast hätte er den wegweiser übersehen, der ihn von der strasse auf einen schmalen weg wies - so verschneit, dass antiquar wübbelzahn fürchtete, mit dem auto stecken zu bleiben. auch bezweifelte er bald, dass ihn der weg zu irgendwelchen büchern führen würde.
war er also einem scherz aufgesessen? hatte ihn jemand, der ihm übel wollte, aus einer gehässigen laune heraus in diese verschneite einsamkeit gelockt?
antiquar wübbelzahn achtete angestrengt darauf, sein auto in der spur zu halten, die von einem fahrzeug stammte, das irgendwann zuvor durch den tiefen schnee gefahren war. er dachte auch unentwegt darüber nach, wer ihm diesen seltsamen schabernack gespielt haben könnte. weil er aber fest davon überzeugt war, keinen feind auf erden zu haben, setzte er die fahrt mit einiger skepsis fort. immerhin hatte man ihm diesen weg am telefon beschrieben. er würde also höchstens im schnee stecken bleiben - aber doch nicht in feindes hand fallen. er musste sich dennoch eingestehen - und dabei fröstelte es ihm - dass er allerhand bücher kannte, in denen menschen davon berichteten, wie sie im eis eingeschlossen wurden und in schlimmster kälte auf keine hilfe hoffen konnten.
„amundsen“, dachte antiquar wübbelzahn, als der weg plötzlich eine biegung machte und im wald verschwand. dort kam er allerdings mit dem auto ein wenig besser voran, denn die tannen hatten den schnee schon hochoben in ihren kronen aufgefangen.
„amundsen vertraute seinem kompass - und ich einer vagen beschreibung am telefon. jetzt verstehe ich, warum amundsen im eis stecken blieb - und ich im wald.“
er seufzte, wollte keinen meter mehr weiter fahren, sondern sein auto auf der stelle wenden, als er hinter den bäumen ein niedriges haus bemerkte. als er vorsichtig weiter fuhr, öffnete sich der wald zu einer lichtung und er erkannte, dass das haus, aus dessen schornstein dunkler rauch stieg, ganz aus holz gebaut war.
„was soll ich hier?“ fragte er sich, als er angehalten hatte, aber unentschlossen im auto sitzen blieb. „hier wohnt vielleicht ein förster - doch auch der ...“, antiquar wübbelzahn gab sich einen ruck und stieg aus, „... liest vielleicht zuweilen ein buch.“
neben der eingangstür las er tatsächlich den namen, den man ihm am telefon genannt hatte. er war also an der richtigen adresse, wenn auch wohl am falschen ort. er klopfte und kurz darauf öffnete ihm ein alter mann die tür.
„sie sind bestimmt der antiquar aus der stadt. kommen sie nur herein!“
antiquar wübbelzahn bückte sich, denn die tür war niedrig. als er sich wieder aufrichtete, stand er in einem raum, der die gesamte grundfläche des hauses einzunehmen schien. obwohl sein augenmerk von berufs wegen den büchern gelten sollte, fiel sein blick zunächst auf einen schwarzen klavierflügel, der inmitten des zimmers stand. er sah auch, dass die hölzernen dielen des fussbodens mit dicken teppichen belegt waren und dass sich an den vier wänden, nur unterbrochen von niedrigen fenstern, regale bis unter die decke hinzogen, in denen so viele bücher aufbewahrt waren, dass er sich sogleich an seinen laden erinnert fühlte.
in einer ecke des zimmers stand ein grüner kachelofen.
er hörte ein knarren über seinem kopf. „das ist meine frau, sie wird gleich kommen“. der alte mann deutete mit dem zeigefinger zu einer schmalen wendeltreppe, die das wohnzimmer mit dem dachgeschoss verband. „da oben ist unser schlafzimmer - sehr kalt zu dieser jahreszeit, wäre da nicht ...“ er führte den satz nicht zu ende, sondern lächelte.
gleich darauf stieg eine weisshaarige frau die treppe herunter. sie lief mit einem freundlichen lächeln auf antiquar wübbelzahn zu, nahm seine hand und rief:
„wie schön, ein gast aus der stadt, der sich für bücher interessiert. ich werde uns einen tee zubereiten.“
mit diesen worten verschwand sie ... in den büchern. wenigstens kam es antiquar wübbelzahn so vor. erst später entdeckte er zwischen den regalen eine tür, die zur küche führte.
sein blick glitt über die regale. er wusste aber längst, dass ihn das ehepaar, das mitten im wald in einem holzhaus lebte, viel mehr interessierte als die bücher.
„vielleicht finden sie unter den büchern etwas. nehmen sie, was sie wollen. es gibt so viele schöne bücher, obwohl ...“
der alte mann zog ein buch aus dem regal, besah es sich, blätterte darin und fuhr fort:
„ ... vom „zauberberg“ trenne ich mich ungern. aber das leben besteht nun einmal aus abschieden. sie können den thomas mann also gern mitnehmen.“
er reichte das buch antiquar wübbelzahn, der nur einen kurzen blick darauf werfen musste, um zu wissen, dass es sich um die erstausgabe von 1924 handelte ...
und nicht nur das.
antiquar wübbelzahn strich über die weissen seiten, befühlte den weichen, roten ledereinband, las die handschriftliche widmung des dichters auf dem vorsatz, und wusste, dass er auf einem ganz anderen zauberberg angekommen war.
„es fällt mir leicht, mich von meinen büchern zu trennen. ich habe sie alle gelesen und kenne sie inzwischen auswendig ...“ der alte mann lächelte. „ ... nun, gut - fast auswendig.
wussten sie eigentlich, dass rilke ein dichter der frauen ist?“ er zwinkerte antiquar wübbelzahn zu. „ich weiss das, weil meine frau mir jeden abend vorm schlafengehen ein gedicht von ihm ins ohr flüstert. ich würde ihr gern mit einigen zeilen von gottfried benn antworten, aber dann schläft sie schon - oder tut wenigstens so.“
als seine frau den tee brachte, setzten sie sich an einen kleinen tisch, der unter eines der fenster gerückt war, durch das sie in den verschneiten wald sehen konnten.
„mein mann wird es ihnen erzählt haben ...“, sie nahm einen schluck vom tee, „dass wir hier seit hundert jahren mit unseren büchern und der musik leben ... hat er sich schon ans klavier gesetzt? ich habe gar nichts gehört ... emil, spiel unserem gast doch etwas vor!“
ihr mann schien verlegen zu sein. „luise, was erzählst du da? warum sollte unser gast das glauben? hundert jahre ...“ er schüttelte den kopf, stand auf, setzte sich an den flügel, hob wie entschuldigend die schultern und spielte ein prelude von chopin.
als der letzte ton verklungen war und die frühe dunkelheit durch die fenster ins zimmer fiel, hörte antiquar wübbelzahn den alten mann sagen: „ich sollte ihnen vielleicht erklären, warum wir sie gerufen haben. sie müssen wissen: es macht weder meiner frau noch mir etwas aus, uns von den büchern und den noten zu trennen. das meiste - ich sagte es ja schon - kennen wir auswendig ... das alles brauchen wir nicht mehr ...“
„du übertreibst!“ fiel ihm seine frau ins wort und klatschte dabei in die hände.
„das, was wirklich weh tut ...“ er schlug einen einzigen und lange nachklingenden ton auf dem klavier an, „... ist die gewissheit, dass wir - also meine frau und ich - irgendwann voneinander getrennt sein werden“.
„aber doch erst in hundert jahren“, lachte seine frau und fasste sich an den knoten, der ihr haar zusammen hielt.
„heute, morgen, in hundert jahren ... was weiss ich!“ er schlug erneut einen ton auf dem klavier an.
„möchten sie noch tee?“ fragte seine frau.
antiquar wübbelzahn nickte erst, räusperte sich dann und hustete mehrfach. endlich sagte er: „tee? ja, gern ... aber die bücher ... es geht doch auch um die bücher, nicht wahr?“
er schämte sich im selben moment für seine worte.
„aber gewiss. nehmen sie, was sie möchten!“ rief der alte mann und legte das notenblatt auf dem klavier beiseite. „wir brauchen sie wirklich nicht mehr!“
antiquar wübbelzahn zog aus den regalen die erstausgaben von thomas mann, franz kafka und alfred döblin. er fand auch eine reihe von kubin, slevogt und liebermann illustrierter bücher und legte sie beiseite. er tat das alles mit trockenem mund und heisser stirn, denn er fühlte winterkalt, dass er daran mitwirkte, ein absehbares ende zu beschleunigen und eine unwiderbringliche zeit zu beschliessen.
als er seine arbeit getan, das geld bezahlt und die bücher im auto verstaut hatte, verabschiedete er sich.
„es war uns eine grosse freude!“ sagte der alte mann zum abschied. „nächstes mal backe ich auch einen kuchen!“ meinte seine frau. sie standen beide vor ihrem haus und winkten, als antiquar wübbelzahn davon fuhr.
als er das auto durch den fast schneefreien wald lenkte, dachte er: „hätte amundsen auf seinen winterlichen reisen je ein solches ziel erreicht, wäre er nie in die - von uns so genannte - zivilisation zurück gekehrt. warum tue ich es dann?“
als er auf die vom schnee einigermassen freie landstrasse einbog, fiel antiquar wübbelzahn auch noch ein, dass er es ganz vergessen hatte, sich eine quittung für die soeben erworbenen bücher unterschreiben zu lassen.
deswegen musste er aber nicht umkehren, denn er beschloss - zum ersten und einzigen mal in seinem leben - eine unterschrift zu fälschen.
so geschah es, dass er dem finanzamt eine quittung vorlegte, die mit „philemon und baucis“ unterschrieben war.
... und niemand hat es je beanstandet.
WIE WÜBBEZAHN EINMAL MAX FRISCH TRAF
ANTIQUAR wübbelzahn kann sich - gott sei dank - immer noch auf sein gedächtnis verlassen. selbst kunden, die er mitunter viele jahre nicht gesehen hat, legt er ohne jedes weitere wort die bücher vor, von denen er weiss, dass sie ihr interesse finden. wenn die kunden dann fragen: „woher wissen sie so genau, was ich suche?“, lächelt antiquar wübbelzahn.
er weiss es eben - und das muss reichen.
das ist natürlich kein hokuspokus - und noch viel weniger hexerei. antiquar wübbelzahn hat allerdings im laufe der jahre gelernt, seinen kunden ins herz zu sehen. das gelingt jedoch nur, wenn man ihm die herzen auch öffnet - und sei es nur für einen winzigen augenblick.
„ich suche schon so lange ... ich hätte so gern ... wie froh wäre ich, von diesem schriftsteller etwas zu finden ... das buch fehlt mir ... was gäbe ich darum, das buch zu besitzen ...
diese worte sind der schlüssel zum herzen seiner kunden. antiquar wübbelzahn muss nur aufpassen, die vielen schlüssel nicht zu verwechseln, denn wer - wenn nicht er - wüsste besser, dass in jedes schloss immer nur ein schlüssel passt
das wissen um die wünsche seiner kunden ist - geheimnis hin und her - nichts weiter als die routine seines berufs: geübt, antrainiert und im laufe der jahre bis zum überdruss verfeinert ...
... so dass er schliesslich jedes gesicht, das er zu kennen meinte, mit den bildern abglich, die er von seinen kunden im gedächtnis gespeichert hatte. ergaben sich übereinstimmungen, wusste er, was zu tun war:
er startete eine endlose reihe von diapositiven in seinem kopf ...
eine grosswildjagd in afrika, eine vorlesung heideggers in heidelberg, einen segelflug auf der rhön, die explosion eines zeppelins, thomas mann in princeton, die stürmische fahrt der windjammer bei kap horn ...
er musste nur in die gesichter seiner kunden blicken, um in ihren augen die bilder zu erkennen, weswegen sie in seinen laden kamen.
manchmal irrte sich antiquar wübbelzahn jedoch gewaltig.
wie sollte man sonst beschreiben, was ihm eines tages - gelegentlich eines urlaubs in der schweiz - passierte?
antiquar wübbelzahn war ins tessin gereist und hatte in locarno station gemacht. an einem sonnigen morgen trat er vor die tür seines hotels und beschloss, mit dem auto ins centovalli zu fahren, sich dort auf eine wiese zu setzen und den schmetterlingen nachzusehen ...
antiquar wübbelzahn liebt schmetterlinge, weil sie - ganz im gegensatz zu den büchern in seinem laden - immer in bewegung sind und selten an einer stelle verharren.
gerade wollte er die tür seines autos öffnen, als neben ihm eine limousine hielt. aus den augenwinkeln beobachte er, wie auf der fahrerseite ein mann, auf der beifahrerseite aber eine dame ausstieg. sie war - er sah es sofort - mit ihrer schlanken figur und dem dunklen kostüm von unvergleichlicher eleganz.
antiquar wübbelzahn war neugierig genug, um auf die frage, wer eine so schöne frau begleiten darf, auch eine antwort zu suchen. also nahm er ihren begleiter, der gerade die tür der limousine abschloss, kritisch ins auge.
antiquar wübbelzahn wusste sofort, dass er einen kunden vor sich hatte, dessen gesicht ihm überdies aufs wärmste vertraut war - er hatte den mann so oft gesehen, dass ein irrtum ausgeschlossen war.
dort stand ohne zweifel einer seiner besten kunden ...
antiquar wübbelzahn wollte zu ihm eilen, ihn begrüssen und sich bei dieser gelegenheit der überaus eleganten begleiterin vorstellen. aber so angestrengt er auch nachdachte und dabei den mann aus den augenwinkeln musterte ... es fiel ihm nichts weiter ein, als dass er ihn kannte.
mehr aber auch nicht ...
und das war, wie antiquar wübbelzahn zugeben musste, reichlich wenig. zwar tröstete er sich damit, dass er an einem sommertag in locarno gar nicht in der lage war, seinem kunden ein sortiment von büchern vorzulegen. er hätte - und das war viel schlimmer - auch gar nicht gewusst, was für bücher es hätten sein sollen.
sein instinkt, zu jedem gesicht auch das entsprechende bild und thema zu erkennen, versagte so total, dass er von einer minute zur anderen ganz und gar mutlos wurde. er konnte daher nichts weiter tun, als dem mann und seiner begleiterin resigniert nachzusehen, wie sie sich, lachend und plaudernd, von ihrer limousine entfernten.
antiquar wübbelzahn wollte es nicht dabei bewenden lassen, sondern nahm einen letzten gedanklichen anlauf:
die rosen von redoute, picassos blaue bilder, der gral der tempelritter, sokrates letzte worte ...
... der mensch erscheint im holozän.
antiquar wübbelzahn schüttelte den kopf. er fand, so angestrengt er auch nachdachte, den passenden schlüssel nicht. er konnte sich - bilder hin, bilder her - nur an den titel eines buches von max frisch erinnern, worin wochen unablässigen regens im centovalli beschrieben sind, der die menschen am ende einsam, hilflos und stumm macht.
"der mensch erscheint im holozän" ...
antiquar wübbelzahn öffnete die tür seines autos und setzte sich hinein. er wollte immer noch ins centovalli fahren, dort auf den grünen wiesen sitzen und den schmetterlingen hinterher sehen ...
er wusste, dass es nur ein kleiner umweg war, dort oben am haus von max frisch vorbeizufahren und einen blick darauf zu werfen.
was aber wäre gewesen, wenn er die elegante dame wieder getroffen und gesehen hätte, wie sie mit aufgelösten, strähnigen haaren, einer fleckigen gärtnerschürze und schmutzigen gummistiefeln den garten in ordnung hielt?
nein, er wollte sie in besserer erinnerung behalten. „meine kunden sind immerhin auch die, deren bücher in meinen regalen stehen. sie tragen ihre wünsche allerdings nicht in den augen ... sondern auf den lippen und fassen sie - so gut es eben geht - in worte!“
antiquar wübbelzahn fuhr - heiterer als sonst - ins centovalli davon.
EIN GEDICHT VON RIO REISER
ANTIQUAR wübbelzahn fragt sich zuweilen, warum er mit manchen kunden schon nach kurzer zeit in ein erfreuliches gespräch kommt, er jedoch mit anderen kein rechtes thema findet, es auch gar nicht sucht, und sich deswegen der geschäftliche kontakt aufs notwendigste beschränkt.
er tröstet sich damit, dass ihm auch sonst manche menschen sympathisch sind, während andere ihn beim besten willen nicht interessieren.
warum er aber meint, dies alles seinem gegenüber schon an der nasenspitze anzusehen, ist ihm ein rätsel. manches mal nannte er sein verhalten deswegen „dumme ignoranz“ oder - schlimmer noch - „arrogantes vorurteil“. er ist nur froh, dass er seine gefühle einigermassen gut verbergen kann, und die kunden davon in den allermeisten fällen nichts mitbekommen.
der kunde, der eines nachmittags sein geschäft betrat, war ihm vom ersten augenblick an sympathisch. warum das so war, hätte antiquar wübbelzahn - aus inzwischen bekannten gründen - nicht sagen können. er stellte sich diese frage auch nicht mehr, sondern liess seinen gefühlen freien lauf, ohne sie allerdings - darauf achtete er nach wie vor - seinen kunden zu zeigen. dabei hätte er doch wissen müssen, dass irgendwelche gefühle unserem gegenüber niemals verborgen bleiben. dazu braucht es gar keiner besonderen äusserung irgendeiner abneigung oder zuneigung.
der kunde, ein noch junger mann, der etwas nachlässig gekleidet war, und immer wieder seine langen haare aus dem gesicht strich, war bestimmt nicht einer, von dem antiquar wübbelzahn hoffen konnte, mit ihm ein gutes geschäft zu machen. wenn so jemand am ende ein taschenbuch kaufte, konnte ein antiquar schon zufrieden sein.
die gegenwart des jungen mannes wirkte indes auf geheimnisvolle weise so angenehm, dass es antiquar wübbelzahn sogleich völlig egal war, ob er am ende ein buch verkaufen würde oder nicht. er sah zu dem jungen mann hinüber, der gerade in den lyrik-bänden blätterte, und hoffte, er möge beim lesen der gedichte die zeit vergessen.
er wusste, dass die zahl derer, die bei den gedichten von gottfried benn, rose ausländer, else lasker-schüler und günter eich alles um sich her vergessen, immer kleiner wird. er fürchtete deswegen den tag, an dem er das kleine regal mit den gedichtbänden abbauen müsste, weil es niemanden mehr gab, der mit den namen der dichter und ihren dunklen worten etwas anzufangen wusste. dann würden die gedichte den weg gehen, den vor ihnen schon so viele bücher aus seinem laden genommen hatten:
zuletzt nahm sich ein flohmarkt-händler ihrer an, kaufte sie ihm für 20 cent das stück ab und warf sie in einen der vielen bananen-kartons, die er sonntags auf einen flohmarkt stellte, um am montag darauf antiquar wübbelzahn sein leid zu klagen - dass nämlich niemand bereit sei, für die bücher aus den kisten auch nur einen cent zu bezahlen ...
als ob antiquar wübbelzahn das nicht schmerzlich selber wüsste.
„kennen sie das?“ der junge mann wartete keine antwort ab, sondern las, ein buch in der hand, laut vor:
„Und die Mädchen, die vor Tür und Toren
halbverschlafen in die Sonne sehn,
strecken sich und fragen traumverloren:
wo doch nur die vielen Rosen stehn?“
er las die zeilen des gedichts mit so viel ernst, dass sich antiquar wübbelzahn gewünscht hätte, ihm noch viel länger zuhören zu können.
„nein, das gedicht kenne ich nicht - von wem ist es denn?“
der junge mann schlug die erste seite des buches auf. „von gustav falke“!
antiquar wübbelzahn wusste, wer gustav falke war: ein lyriker aus der windstillen lübecker provinz. er wäre also nie auf die idee gekommen, so jemanden neben günter eich, else lasker-schüler, rose ausländer und gottfried benn zu stellen. er hatte nur vergessen, den gedichtband seinem flohmarkthändler mitzugeben - allerdings ...
... das gedicht, das der junge mann soeben vorgelesen hatte, gefiel ihm - und noch viel besser gefiel ihm, wie er es vorgelesen hatte.
„man findet doch immer wieder zu unrecht vergessenes!“ rief der junge mann. „deswegen mag ich antiquariate. darf ich mich noch ein wenig umsehen?“
antiquar wübbelzahn nickte heftig mit dem kopf und nahm sich vor, dem jungen mann die gedichte von gustav falke mitzugeben - ihm also das buch zu schenken, bevor es auf irgend einem flohmarkt ein trauriges ende nahm ...
„wie schön er das gedicht vorgelesen hat!“ dachte antiquar wübbelzahn. „beim klang seiner stimme wird plötzlich alles so vertraut ... die sonne ... der traum ... die mädchen ... die rosen.“
wenn antiquar wübbelzahn später an den nachmittag zurück dachte, fiel ihm zuerst dies ein:
ein junger mann, der unablässig seine haare aus dem gesicht strich, sonnenstrahlen, die schräg durch das schaufenster in den laden fielen, traum-dunkle verse von georg trakl, otto müllers getuschte mädchen und redoutés rot und gelb leuchtende rosen.
sie blätterten in gedichtbänden, lasen sich sätze aus romanen von proust und zola vor und entnahmen arabesk-verzierten kunstmappen die heliogravüren alter meister.
sie waren neugierig, machten sich auf unbekanntes aufmerksam, waren überrascht und vergassen darüber die zeit.
antiquar wübbelzahn hätte - wenn er später an diesen nachmittag zurück dachte - beschwören können, den jungen mann immer schon gekannt zu haben. es schien also kein zufall zu sein, dass er ihm in seinem laden begegnet war. manche menschen müssen irgendwann aufeinander treffen - das ist ein gesetz der natur ... von ihr so gewollt, um unsere einsamkeit zu lindern und uns nicht ohne jede hoffnung zu lassen.
zum abschied legte antiquar wübbelzahn die gedichte von gustav falke zu den büchern von ezra pound und giuseppe ungaretti, die der junge mann in seinem laden entdeckt hatte und nun in seine manteltasche stopfte. er bedankte sich für das gespräch und lief hinaus ...
... auf ähnlich verschlungene wege, die ihn einige stunden zuvor - vielleicht einer notwendigkeit folgend - in das leben eines anderen geführt hatten.
als antiquar wübbelzahn am abend, der jenem nachmittag folgte, den fernsehapparat einschaltete, um sich eine talkshow anzusehen, hörte er, dass einer der gäste abgesagt hatte.
er wusste schon alles:
„rio reiser, menschlich nicht ganz einfach und bekannt für seine spontanen entschlüsse, hat es vorgezogen, im hotel zu bleiben und ein buch zu lesen. wir bedauern dies und entschuldigen uns bei unseren zuschauern.“
GEWINN UND VERLUST - ODER: DER WERT EINER PETROLEUMLAMPE
ES ist schon eine ganze weile her, dass antiquar wübbelzahn - einer laune folgend - eine petroleumlampe kaufte. eigentlich handelt er ja nur mit büchern, aber die petroleumlampe war hübsch, mindestens 100 jahre alt und gut in schuss. da wurde antiquar wübbelzahn schwach und bezahlte der kundin, die ihm die lampe anbot, 80 euro.
weil aber so eine petroleumlampe bei licht besehen (nicht ihrem eigenen) ein rechter staubfänger ist, beschloss er bald, sie weiterzuverkaufen. also nahm antiquar wübbelzahn ein preissschild, schrieb darauf "140 euro" und stellte die lampe ins schaufenster.
wenige stunden später stürmte die kundin, die ihm die lampe verkauft hatte, in seinen laden.
ein lump sei er, schimpfte sie, ein betrüger und halunke. wenn sie gewusst hätte, was ihre lampe wert ist, hätte sie das schöne stück niemals für 80 euro verkauft.
sie schnappte nach luft - und war beleidigt.
antiquar wübbelzahn verzichtete darauf, ihr einen vortrag über die marktwirtschaft zu halten. stattdessen erklärte er ihr, dass die petroleumlampe ja erst einmal für 140 euro verkauft sein müsse - was bestimmt nicht einfach wäre. um es der kundin ein wenig einfacher zu machen, suchte er nach einem vergleich:
"stellen sie sich einmal vor, sie wollen ihren VW verkaufen. sie hängen dazu ein schild "3000 euro" hinter die windschutzscheibe. jetzt müssen sie warten. denn erst wenn sie einen käufer gefunden haben, der ihnen das geld bezahlt, ist der VW tatsächlich 3000 euro wert. falls jedoch niemand interesse am kauf zeigt, müssen sie entweder einen niedrigeren preis ansetzen - oder das auto selbst weiter fahren ...
... so gesehen, ist ihre petroleumlampe - wenigstens so lange sie nicht verkauft ist - überhaupt nichts wert."
"was für ein unsinn!" rief die kundin empört. "ich habe gar keinen VW - was eigentlich hat ein VW mit einer petroleumlampe zu tun?" erbost lief sie aus dem laden und rief, schon auf der strasse:
"nie wieder verkaufe ich ihnen eine petroleumlampe, sie ... sie dieb ... sie!"
vor einigen tagen bekam antiquar wübbelzahn besuch von einem flohmarkthändler. der nimmt für billiges geld mit, was sich - trotz rabatt und gutem zureden - im laden nicht verkaufen lässt. bei dieser gelegenheit fiel ihm auch die petroleumlampe auf, die in einer ecke stand, langsam einstaubte und deswegen einen etwas trostlosen eindruck machte.
"und was ist mit der lampe? für 20 euro nehme ich sie mit auf den flohmarkt!"
antiquar wübbelzahn steckte das geld ein, rechnete kurz nach, behielt aber das ergebnis - ein wenig deprimiert - für sich, denn ...
... wer weiss, ob die kundin, die ihm damals die petroleumlampe verkaufte, noch einmal zurückkehren würde, um lautstark die 20 euro einzufordern - also den "gewinn", den er mit der schönen lampe gemacht hatte.
EIN SCHRANK UND SEINE "FLORALEN MOTIVE"
„nehmen sie den schrank doch gleich mit!“
die ältere dame nickte aufmunternd und freundlich. eigentlich hatte antiquar wübbelzahn sie nur besucht, um sich einige bücher anzuschauen, die sie verkaufen wollte. an einen schrank hatte er jedoch nicht gedacht. „sie können ihn in ihr geschäft stellen, dann haben meine bücher gleich wieder einen schönen platz.“
antiquar wübbelzahn besah sich den schrank, der ihm einige rätsel aufgab. das untergestell war zweifelsfrei „gelsenkirchener barock“, das oberteil schien aus dem biedermeier zu stammen, den mittleren teil konnte er so ohne weiteres keiner stilepoche zuordnen, die türen mit ihren floralen motiven waren aber eindeutig aus der zeit des jugendstils.
„ganz ohne bücher brauche ich den schrank nicht mehr. schauen sie sich nur einmal seine türen an - sind sie nicht wunderschön?“
antiquar wübbelzahn ahnte, dass es der älteren dame in wahrheit nur darum ging, den schrank loszuwerden. wenn er ihn also mitnahm, ersparte sie sich den anruf beim sperrmüll. deswegen erklärte er sich schliesslich bereit, den schrank mitsamt den büchern am nächsten tag abholen zu lassen.
„sie brauchen für den schrank auch nichts zu bezahlen!“ rief die dame, als er ihr haus verliess. „bei ihnen ist er bestimmt in guten händen!“
so kam es, dass antiquar wübbelzahn in den besitz eines schrankes kam, für den er keine verwendung hatte. auch sah das möbelstück in seiner mischung aus vielerlei stilepochen mehr als verunglückt aus. er überlegte lange, wofür er ihn nutzen könnte. jedenfalls bot der schrank, so entschied er, eigentlich nur dann einen einigermassen erträglichen anblick, wenn die türen - mit ihren floralen motiven auf der aussenfläche - fest geschlossen blieben.
also rückte er den schrank in die hinterste ecke seines geschäfts, verstaute darin diverse aktenordner, die er nicht mehr brauchte, und schloss die türen. „wenn ich die augen zukneife“, dachte antiquar wübbelzahn, „könnte ich vielleicht dem irrtum verfallen, einen schrank aus dem jugendstil vor mir zu haben ...
... aber wirklich nur, wenn ich die augen fest zukneife und mich ausschliesslich auf die türen mit den floralen motiven konzentriere.“
im laufe der zeit wurde der schrank zum festen ladeninventar und störte, je länger antiquar wübbelzahn mit ihm lebte, immer weniger. er übersah ihn einfach.
„da ist ja mein schöner schrank!“ antiquar wübbelzahn, der hinter einem bücherregal stand, erschrak. er hatte nicht gehört, dass ein kunde sein geschäft betreten hatte. er sah sich in seinem laden um und entdeckte eine ältere dame, die vor dem aktenschrank stand.
„erkennen sie mich wieder?“ fragte die dame. „ich habe ihnen vor einiger zeit bücher verkauft - und diesen schönen schrank mitgegeben!“
antiquar wübbelzahn erinnerte sich.
„keine angst - ich will ihn nicht zurück!“ lachte die dame und strich zärtlich über die türen mit den floralen motiven. „ein wunderbarer bücherschrank“, seufzte sie. „er fehlt mir ...!“
„ja, der schrank ...“ antiquar wübbelzahn bemühte sich, seiner stimme einen ehrlichen klang zu geben. „... ich freue mich jeden tag, wenn ich ihn sehe!“
die dame schaute ihn mitleidig an. „ich will sie um gottes willen nicht traurig machen, aber ...“
antiquar wübbelzahn horchte auf. was wollte sie ... etwa den schrank zurück?
„kein problem - wenn ihnen der schrank so sehr fehlt, nehmen sie ihn doch einfach wieder mit. die akten, die ich darin gelagert habe, sind schnell ausgeräumt.“
antiquar wübbelzahn kniff die augen zusammen, schielte nach dem schrank und konnte sich nicht erklären, warum er darauf verfallen war, dieses monstrum in seinem geschäft aufzustellen. es schien ihm, als würde sich der schrank erst jetzt in seiner ganzen nackten hässlichkeit zeigen.
aber es war offensichtlich noch nicht zu spät, den fehler zu korrigieren.
„wohin soll ich ihn denn bringen?“ rief er erleichtert, öffnete die schranktüren und zog eifrig die staubigen akten heraus.
„nein, nein ... sie dürfen den schönen schrank behalten. hier in ihrem geschäft kommt er prächtig zur geltung.“
antiquar wübbelzahn war verwirrt, hielt einen stapel akten im arm und wusste nicht wohin damit.
„wie kann ich ihnen denn helfen?“ fragte er gequält, als der aktenstapel ins rutschen geriet und der dame polternd vor die füsse fiel.
„nur die türen!“ rief sie und wich erschrocken zurück.
der schrank war leer, sein inhalt auf dem boden verstreut ... antiquar wübbelzahn stand inmitten der vielen aktenordner und verstand nicht, was die dame wollte.
„also die türen ... was ist denn mit den türen?“ fragte er matt.
„sie haben so wundervolle florale motive!“ antwortete die dame und strich zärtlich über die oberfläche des schranks.
„jugendstil ...!“ stöhnte antiquar wübbelzahn. „... und das in bester umgebung!“
„darum bin ich hier!“ rief die dame. „mein neffe hat nämlich auf dem flohmarkt einen schrank gekauft ... reiner jungendstil, wunderschön!“
„da kann man ja ihrem neffen nur gratulieren!“ antiquar wübbelzahn schob ärgerlich die akten mit den füssen zu einem haufen zusammen.
„aber dem schrank fehlen leider die türen. deswegen erinnerte ich mich sofort an meinen schrank. die türen mit den floralen motiven sind nämlich genau das, was mein neffe braucht. sie passen zu seinem schrank wie ...“
„biedermeier und gelsenkirchener barock?“ antiquar wübbelzahn sah die dame aus ungläubigen augen an.
„nein ... wie die faust aufs auge!“ rief sie triumphierend. „können sie die türen gleich abschrauben? mein neffe kommt in einer halben stunde und nimmt sie mit.“
seitdem hatte antiquar wübbelzahn einen schrank in seinem geschäft stehen, dessen unterer teil zweifelsfrei „gelsenkirchener barock“ war, das oberteil aber aus dem biedermeier zu stammen schien, während der mittelteil nicht ohne weiteres einer stilepoche zuzuordnen war.
dem schrank fehlten allerdings die türen ...
darüber machte sich antiquar wübbelzahn jedoch keine weiteren gedanken. im gegenteil: er vermied es fortan grimmig und entschlossen, beim anblick des schrankes auch nur einmal die augen zuzukneifen.
VON DEN BÜCHERN UND DER LEERE DES ZEN
wer meint, dass sich der berufliche alltag von antiquar wübbelzahn darauf beschränkt, im laden zu sitzen und auf kunden zu warten, irrt. nicht eben wenig zeit verbringt er damit, kunden zu besuchen, die ihm ihre bücher verkaufen wollen. sie tun das, weil sie ihre häuser aufgeben und ins altersheim ziehen - oder weil sie eines tages aufwachen und feststellen, dass sie sich - anders als gedacht - überhaupt nichts aus büchern machen.
antiquar wübbelzahn erinnert sich - was dies betrifft - besonders an einen kunden, der eine stattliche bibliothek besass und sie - einem seltsamen einfall folgend - plötzlich verkaufen wollte. dieser kunde hatte eines tages ein japanisches gedicht gelesen, das - ganz im geiste des "zen" - von verzicht, bedürfnislosigkeit und der einfalt des herzens sprach. er war beeindruckt und schon bald überzeugt, dass alles, was er in seinem leben zusammengetragen hatte, nutzlos war. nicht die dinge sind es, so dachte er, die unserem leben sinn verleihen, sondern die leere um uns her. denn nur sie verhilft dem menschen zu höherer erkenntnis.
antiquar wübbelzahn hatte also die aufgabe, nicht nur einige ausgewählte bücher, sondern gleich eine ganze bibliothek zu kaufen - was ihn vor schwierige logistische probleme stellte, denn die bibliothek erstreckte sich, mit einigen verzweigungen in schlaf- und kinderzimmer, bis unters dach.
nachdem die bibliothek in seinem laden eingetroffen war, tat er viele wochen nichts anderes, als die bücher zu sortieren und in den regalen platz zu schaffen, um die aberwitzige menge zu verstauen. das wäre ihm gewiss zügiger von der hand gegangen, wenn er nicht immer wieder unterbrochen worden wäre. schon bald kam nämlich der kunde, von dem er die bibliothek erworben hatte, mit den worten in seinen laden:
„kann es sein, dass ich ihnen das buch mit den bildern von cezanne mitgegeben habe? das wäre schade, denn das brauche ich unbedingt.“
wenige tage später war es ein buch über den expressionismus, kurze zeit darauf ein band mit den gedichten von goethe. so ging es viele wochen, bis der kunde sich wieder eine stattliche bibliothek zusammengekauft hatte.
nur einmal musste ihn antiquar wübbelzahn enttäuschen. das buch mit den japanischen gedichten fand sich - trotz ausgiebiger suche in allen regalen - nicht wieder.
WÜBBELZAHN RÄUMT ENDLICH AUF!
IMMER im januar erfasst antiquar wübbelzahn einige unruhe. er sieht sich in seinem laden um und denkt: „ich müsste einmal aufräumen.“
übers jahr tröstet er sich mit der feststellung, dass eine gewisse unordnung nun einmal zu seinem beruf gehört, wenn aber die bücherstapel eine gewisse höhe erreicht haben, ihm über den kopf wachsen und die sicht auf seine kunden versperren, kann er den gedanken nicht mehr einfach von sich weisen, endlich für eine gewisse übersichtlichkeit zu sorgen.
besonders dringlich wird es, wenn ein kunde sich einem bücherstapel nähert und auf ein buch, das ganz weit unten liegt, zeigt: „das hätte ich gern!“. dann heisst es, den bücherberg abzutragen, nur damit er an anderer stelle wieder in die höhe wächst.
es bleibt nicht aus, dass sich antiquar wübbelzahn in dieser zeit zuweilen über sich selbst ärgert. denn immer im januar bemerkt er auch jene bücher, die überall verstreut sind, weil er sie im laufe eines jahres für die eigene lektüre reserviert hat. sie liegen - aufgeschlagen, mit einem lesezeichen versehen oder (das ist eine besonders dumme angewohnheit) mit eselsohr versehen - auf seinem schreibtisch, zwischen den aktenordnern, in schubladen und regalen herum. es gehen im laufe eines jahres viele bücher durch wübbelzahns hände - und viel zu oft ist eines dabei, das sein besonderes interesse weckt. dann legt er es beiseite, beginnt vielleicht auch zu lesen ... muss sich aber zumeist bald anderen aufgaben widmen. also bleibt das buch - höchstens bis seite 10 gelesen - einfach liegen.
andere kunden bringen andere bücher ... und wieder ist bestimmt eines dabei, das antiquar wübbelzahn unbedingt lesen möchte. auf diese weise sammeln sich die mehr oder weniger ungelesenen bücher zu raumgreifend, grossen stapeln.
„das ist immer noch besser als ein angebissenes brötchen!“ dachte wübbezahn, als ihn wieder einmal der bohrende wille zur ordnung überfiel. er erinnerte sich an einen jungen mitarbeiter, der die angewohnheit hatte, überall seine angebissenen brötchen liegen zu lassen. wübbelzahn fand sie in den regalen, zwischen den büchern, in schubladen oder im schaufenster. das allein wäre noch kein grund zur kündigung gewesen. als er aber einmal seinen mitarbeiter bat, ihm bei einem büchertransport zu helfen, erhielt er die antwort: „ich bin hier, um bücher zu verkaufen - und nicht, um sie zu tragen.“ da sammelte antiquar wübbelzahn alle angebissenen brötchen, die er finden konnte, zusammen, und überreichte sie seinem mitarbeiter mit den worten: „wenn sie das alles aufgegessen haben, werden sie gewiss die kraft haben, auch einmal ein buch in die hand zu nehmen. guten appetit und adieu!“
entschlossen machte sich antiquar wübbelzahn an die arbeit, um ordnung in seinen laden zu bringen. er griff nach einem buch (mit zwei eselsohren), war überrascht, gerade dieses, lange vermisste wiederzufinden, setzte sich und vertiefte sich in die lektüre. er kam immerhin bis seite 16, als ein kunde seinen laden betrat und wübbelzahn deswegen das buch gleich wieder vergass.
voller bewunderung dachte wübbelzahn an den alten buchhändler zurück, bei dem er seine lehre absolviert hatte. jeden abend packte dieser mann fünf oder sechs bücher, die gerade erschienen waren, in seine aktentasche. am nächsten morgen rief er seine angestellten ins büro und berichtete über jedes der bücher - mit einer detaillierten inhaltsangabe und einer knappen wertung. wübbelzahn hatte nie verstanden, wie es der alte buchhändler schaffte, in einer nacht gleich fünf oder sechs bücher zu lesen. hilflos schaute er auf seine verstreuten, angelesenen bücher, konnte sich aber nicht entschliessen, auch nur eine stunde seiner nächtlichen bettruhe dafür zu opfern.
„ich habe meinen beruf verfehlt“, seufzte wübbelzahn, „mir fehlt die leidenschaft!“
der alte buchhändler hatte ein steckenpferd - das waren landkarten, die er auch in seinem laden verkaufte. besonders fasziniert war er von den messtischblättern. sie verzeichnen ja nicht nur städte, dörfer und flüsse. wenn man sie zu lesen versteht, enthüllen sie noch viel mehr: grössere und kleinere wege, wiesen und gehöfte, bäche, höhenzüge und vorzeitliche hünengräber.
für antiquar wübbelzahn waren das aber „hühnergräber“. er hatte als kind etwas falsch verstanden. deswegen dachte er noch als erwachsener, dass unter den grossen steinen kleine hühnergerippe liegen müssten - den sinn des ganzen begriff er allerdings nie.
der alte buchhänder plante die familienausflüge mit der systematik des grossen generalstabs. über ein messtischblatt gebeugt, erklärte er seiner frau und den beiden söhnen, wohin es am sonntag gehen sollte. er forderte sie auf, den rechten weg durch wiesen und felder zu finden, und ermahnte sie, die kleinen hügel nicht zu vernachlässigen, die besondere kraft beim aufstieg erforderten, besonders auch auf die kleinen bäche zu achten, bei denen erst einmal eine brücke gefunden werden musste, um sie überqueren zu können. das alles geriet dem alten buchhändler so präzis, dass seine familie die landschaft schon in allen details vor sich sah, noch bevor sie diese leibhaftig in augenschein genommen hatte.
„sie hätten auch zu hause bleiben können!“ dachte antiquar wübbelzahn, erinnerte sich aber daran, dass die familie des alten buchhändlers nie ohne bücher zu ihren sonntäglichen ausflügen aufbrach. jeder mit einem buch in der hand durchstreiften sie eine landschaft, die sie längst vom messtischblatt her kannten, und der sie deswegen auch keine besondere aufmerksamkeit schenken mussten.
antiquar wübbelzahn kam angesichts der unordnung in seinem geschäft der gedanke, auch von seinem laden ein messtischblatt anzufertigen. darauf hätte alles seinen richtigen platz und die bücher wären in schönster ordnung aufgeräumt. so ein messtischblatt würde ihm einen mustergültigen laden zeigen und er könnte - eines seiner vielen ungelesenen bücher vor der nase - dort nach herzenslust herum spazieren, ohne gefahr zu laufen, über irgendwelche bücherstapel zu fallen.
antiquar wübbelzahn erinnerte sich aber auch, dass der alte buchhändler das lesen von messtischblättern im krieg gelernt hatte - das steckenpferd also seinem ursprung nach ein militärisches war. weil sich wübbelzahn aber im tiefsten herzen als pazifist fühlte, verwarf er sogleich den plan, ein messtischblatt seines ladens anzufertigen - denn so eine landkarte war ja erst einmal grundlage für militärische taktik und strategie, auch wenn sie - was die familienausflüge des alten buchhändlers beweisen - manchmal durchaus zivilen zwecken dienen konnte.
antiquar wübbelzahn kam nicht umhin, in seinem laden selbst für ordnung zu sorgen und die bücherstapel auf eine erträgliche höhe zurückzuführen. er trennte sich bei dieser gelegenheit auch von einigen, nie zu ende gelesenen büchern, weil sich seine interessen inzwischen verlagert hatten oder er zum thema anderes und besseres gefunden hatte.
als auf diese weise wenigstens die oberflächliche ordnung wiederhergestellt war, atmete er auf. ein ganzes jahr - also bis zum nächsten januar - würde ihn sein mahnendes gewissen in ruhe lassen ... auch wenn er immer noch nicht wusste, wohin die messtischblätter geraten waren, die er irgendwann im vergangenen jahr erworben hatte. „hoffentlich“, so dachte wübbelzahn, als er den staub von den büchern pustete, „kommt kein familienvater auf die idee, mit hilfe so eines messtischblattes nach hühnergräbern zu suchen!“
wübbelzahns instikt sagte ihm nämlich, dass die messtischblätter - wenn überhaupt - nur ganz weit unten in einem der vielen bücherstapel liegen konnten.
WOHIN MIT DEN VIELEN, SCHÖNEN BÜCHERN?
ANTIQUAR wübbelzahn geht es wie vielen anderen kaufleuten auch. am monatsende beugt er sich über seine rechnungsbücher und stellt fest, dass schon wieder kein geld übrig geblieben ist.
er hat fast alles für die vielen bücher ausgegeben, die in seinen regalen schlummern und hoffen, nicht so bald wieder bewegt zu werden. bücher lieben es nicht, aus bibliotheken gerissen zu werden. wenn sie nach einer solchen störung eine neue heimat gefunden haben - und sei es auch nur eine vorläufige wie das antiquariat - lassen sie sich ins regal fallen und hoffen von neuem auf eine möglichst lange, ungestörte ruhe.
deswegen ist es in bibliotheken und antiquariaten auch immer so still.
diese stille überträgt sich in geheimnisvoller weise auf die besucher und kunden. sobald sie vor den hohen regalen mit den schlummernden büchern stehen, dämpfen sie ihre stimme und flüstern nur noch miteinander.
das tun sie aus respekt und rücksicht.
antiquar wübbelzahn würde sich über seine ausgaben keine weiteren gedanken machen, denn das geld muss sich einerseits - der profession entsprechend - in büchern materialisieren. andererseits sollten sich die bücher aber auch in angemessener frist wieder in geld verwandeln.
so ist es aber nicht immer. deswegen zerbricht er sich zuweilen den kopf.
alle paar monate greift sich antiquar wübbelzahn einen grossen stapel bücher und trägt ihn in den keller. das ist sein "endlager", das aus einem labyrinth von regalen besteht, auf denen zahllose bücher nicht sorglos vor sich hin schlummern, sondern - zu recht - ängstlich auf ihr ende warten.
antiquar wübbelzahn kennt den grossen respekt seiner kunden vor jeglicher art von büchern. wenn ihm früher ein buch angeboten wurde, für das er keine verwendung hatte, bemerkte er manchmal: „tut mir leid, auch im keller ist kein platz dafür!“
die reaktion der kunden war immer dieselbe:
„aber wir können das buch doch nicht zum altpapier tun, das gehört sich nicht. nun nehmen sie es doch schon - ich will dafür auch nur zwei euro!“
antiquar wübbelzahn schätzt die zahl der bücher in seinem "endlager" auf 3000. wenn er jedes von ihnen auch nur mit zwei euros angekauft hat, liegt dort unten ein schatz von mindestens 6000 euro. nur, dass dieser schatz nicht - wie sonst üblich - blitzt und geheimnisvoll schimmert. dieser schatz besteht vielmehr aus vergessen-verstaubten büchern, auf deren rücken man unter anderem „will vesper“, „hans carossa“ und „die kunst der deutschen gaue“ lesen kann.
regelmässig platzt das lager so gefährlich aus den fugen, dass antiquar wübbelzahn nicht umhin kommt, sich von einem teil seines „schatzes“ zu trennen. dann bestellt er, im grunde seines herzens erleichtert, einen container und füllt ihn bis zum rand mit will vesper, hans carossa und der kunst der deutschen gaue. ziel ihrer letzten reise ist die papierverwertung.
„so wird aus meinem schatz wenigstens noch packpapier!“ seufzt wübbelzahn, wenn der container huckepack auf einen lkw steht und davon fährt. es tröstet ihn jedoch nicht im geringsten, wenn er gleich darauf feststellt: „bald ist der schatz wieder so gross wie zuvor!“
noch vor gar nicht langer zeit hatte er gewissen kunden, die mit entsetzen in der stimme davon sprachen, dass man bücher doch nicht in die mülltonne werfen könne, gleichmütig geantwortet, dass es irgend jemand am ende ja doch tun müsse ... und das wäre dann die undankbare aufgabe des antiquars.
diese antwort, so sorgfältig überlegt und realitätsnah sie auch war, forderte regelmässig den protest heraus.
... was für ein frevel, bücher zu vernichten ... weiss der zynische herr antiquar nicht, dass man in deutschland einst bücher verbrannte, er aber wohl von dieser schlimmen praxis nicht lassen will ... welche bücher es denn sind, die er beliebt zu schreddern? er wird wohl eine auswahl treffen und man möchte doch zu gern wissen, wie so eine „selektion“ aussieht ... vielleicht bequemt sich der ignorante herr antiquar und erinnert sich, dass sigmund freud, thomas mann, stefan zweig und so viele andere einst ins feuer geworfen wurden ... hat er denn gar nichts gelernt ... ist er vielleicht ein nazi ... mit dem notorischen hass auf jedes freie wort?
so eine beschimpfung mit zunehmender lautstärke endete fast immer mit dem satz: „ihnen werde ich das buch nicht verkaufen - noch nicht einmal für zwei euro. es ist bei ihnen nicht in guten händen!“
inzwischen unterlässt antiquar wübbelzahn jeglichen hinweis auf sein labyrinthisches "endlager", weil es falsche assoziationen provozieren könnte - und auch deswegen, weil er weiss, dass dort fast nur bücher liegen, die niemals gefahr liefen, verbrannt zu werden. was den nazis missfiel, zogen die eilfertigen bürger schon selbst und ohne weitere aufforderung aus ihren bücherschränken und trugen es zu den dafür eingerichteten sammelstellen ...
... weswegen bestimmte bücher heute kaum noch zu finden sind.
die gehorsamen bürger waren wohl der überzeugung, dass die nazis besonders sorgfältig mit den büchern jüdischer und linker schriftsteller umgehen würden. wenigstens war die mülltonne - das wusste selbst der bravste volksdeutsche - für diese art der entsorgung viel zu schade.
„man wirft ein buch doch nicht in die mülltonne!“
„gewiss!“ antwortete antiquar wübbelzahn - aus erfahrung klug geworden. „man kann es auch im regal stehen lassen.“
„ich möchte es aber verkaufen, weil ich es nicht mehr brauche!“
diese antwort verleitete antiquar wübbelzahn noch vor gar nicht langer zeit zu einer weiteren, als skandalös empfundenen bemerkung:
„sie können doch auch nicht jeden getragenen pullover, jedes paar socken oder ihre fadenscheinig gewordenen unterhemden verkaufen.“
„hier geht es aber nicht um eine socke - sondern um ein buch ... um ein buch, verstehen sie?“
„... im prinzip ist es dasselbe!“
das hätte antiquar wübbelzahn nicht sagen und dabei auch nicht mit den schultern zucken dürfen.
„... und sie nennen sich antiquar? schämen sollten sie sich. sie wissen den wert eines buches ja gar nicht zu schätzen. werden sie doch glücklich mit ihren socken - dieses buch verkaufe ich ihnen nicht ... um keinen preis der welt!“
antiquar wübbelzahn hat es sich inzwischen angewöhnt zu schweigen, wenn ihm bücher angeboten werden. er sagt „ja“, er sagt „nein“ und enthält sich ansonsten jeden kommentars.
er schweigt auch, wenn er sich am monatsende über seine rechnungsbücher beugt und darüber nachsinnt, wo das geld geblieben ist. vielleicht im keller? manchmal schweifen seine gedanken jedoch auch ab und ihm fällt vielleicht ein, dass er sich ein paar neue socken kaufen muss.
das würde er aber nie laut sagen, denn ein antiquar denkt an soetwas ganz zuletzt. er hat womöglich für diesen luxus auch gar kein geld, weil er - und nur er - dazu verpflichtet ist, alle bücher dieser welt zu kaufen, um sie vor der mülltonne zu bewahren.
seine alten socken aber will keiner!
GOETHE IM WÄSCHESCHRANK
ANTIQUAR wübbelzahn hat sich in einem langen berufsleben daran gewöhnt, dass die allermeisten seiner kunden der meinung sind, er würde sich tagein, tagaus nur mit schiller und goethe beschäftigen. wenn er allerdings darüber nachdenkt, wie oft ihm schiller- und goetheausgaben zum kauf angeboten werden, ahnt er, dass es zuerst einmal seine kunden sind, die bis zum überdruss mit den büchern der deutschen klassik beschäftigt sind ...
... weil sie darüber nachsinnen, wie sie diese staubfänger am besten los werden.
wenn er manchmal eine besonders schöne klassiker-ausgabe kauft, dann nur deswegen, weil sie einfach dazu gehört. kunden erwarten, im antiquariat das wiederzufinden, was sie zu hause nicht mehr ertragen können.
manchmal kommt es jedoch auch vor, dass sich kunden an ein ganz besonderes buch erinnern. sie wissen, dass es bei ihnen im bücherschrank stand - finden es aber nicht mehr.
könnte es sein, dass sie es irgendwann einem antiquar überlassen haben?
besonders im frühjahr, in der zeit der konfirmationen ...
... wir erinnern uns: antiquar wübbelzahn betreibt seine geschäfte im protestantischen, um nicht zu sagen: calvinistischen norden ...
... kommt es zuweilen vor, dass eine ältere dame seinen laden betritt und für ihren enkel, der konfirmiert werden soll, nach einem bestimmten buch fragt.
antiquar wübbelzahn, der sich mit dem handel in der alten kaufmannsstadt, in der er doch selbst als kaufmann tätig ist, nicht wirklich auskennt, weiss wenigstens eines sehr genau: mit diesem buch wurden ganze generationen von kaufleuten erwachsen - auch wenn sie es wohl nie gelesen haben, folglich auch in ihrem weiteren leben keine besonders schlimmen antisemiten wurden.
zur konfirmation gab es immer die goldene uhr ... und natürlich den roman „soll und haben“ von gustav freytag.
bei diesem gedanken zuckte antiquar wübbelzahn zusammen, eilte zum regal, suchte den buchstaben „f“ wie freytag und war erleichtert, drei exemplare des romans zu finden.
den konfirmationen stand, was ihn betraf, auch in diesem jahr nichts im wege.
er zog eines der bücher aus dem regal, schlug es auf und las das vorwort:
Der Roman soll das deutsche Volk dort suchen, wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei seiner Arbeit.
antiquar wübbelzahn erschrak, denn er merkte, dass ihm gerade jetzt die arbeit - mangels kunden, die ein konfirmationsgeschenk suchten - fehlte. er seufzte, schlug das buch zu und hoffte auf den tag, wo nicht mehr das „soll“ tückisch lauerte, aber auch nicht das „haben“ grösste verlockung war.
„es können doch nicht immer die juden schuld sein, wenn etwas falsch läuft“, schüttelte antiquar wübbelzahn den kopf und stellte das buch von gustav freytag wieder ins alphabet ... ausgerechnet neben die romane von lion feuchtwanger.
erst jetzt verstand er, warum man ihm täglich irgendwelche goethe- und schillerausgaben zum kauf anbot. eine goldene uhr, die man zur konfirmation geschenkt bekommen hatte, konnte ums handgelenk gebunden werden - was aber tat man mit gustav freytag, friedrich schiller und johann wolfgang von goethe?
man stellte sie nach den festtagen in den schrank und vergass sie.
das alles wiederholte sich zur hochzeit, weil zur aussteuer zwingend die töpfe und pfannen, die bettwäsche, das schlafzimmer aus eiche ... aber auch eine gesamtausgabe von schiller oder goethe gehörte. irgendein verwandter fand sich immer, der das brautpaar mit einer klassiker-ausgabe überraschte - um sich auf seine art an verwandten zu rächen, die ihm zur eigenen hochzeit ähnlich schreckliches verehrt hatten.
antiquar wübbelzahn wurde aus seinen - nicht eben heiteren - gedanken gerissen, als das telefon klingelte. „endlich arbeit!“ seufzte er und schielte auf die bücher von gustav freytag, die im regal standen - bereit zum sprung zur nächsten konfirmation.
„wir hätten eine sehr schöne schillerausgabe anzubieten. sie hat goldschnitt ... nur der letzte band fehlt“, hörte er eine stimme am telefon.
„das macht doch nichts!“, antiquar wübbelzahn spürte eine schmerzhafte übersäuerung seines magens, die langsam die speiseröhre heraufstieg und sich - wie sonderbar - auf seinen lungenflügeln ausbreitete. er schluckte heftig, ohne dass der schmerz verschwand, und antwortete: „auf den letzten band kann man getrost verzichten. dort ist ja doch nur die rede von schillers ende ... wie sollte es am ende einer gesamtausgabe auch anders sein!“
„war schiller denn so krank?“ hörte er eine besorgte stimme aus dem telefon.
„nein, es war wohl nur eine leichte übersäuerung des magens!“ antwortete antiquar wübbelzahn und schluckte.
„da bin ich aber beruhigt. dürfen wir ihnen den schiller also anbieten?“ fragte die stimme.
„aber gern doch!“ rief antiquar wübbelzahn. „kommen sie nur gleich vorbei. bringen sie aber bitte eine packung bullrich-salz mit ... das ist gut für den magen und komplettiert auch irgendwie die gesamtausgabe!“
kaum hatte antiquar wübbelzahn aufgelegt, betrat eine ältere dame seinen laden.
konfirmation, gustav freytag ... blitzte es ihm durch den kopf.
sollte er es laut sagen?
Der Roman soll das deutsche Volk dort suchen, wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei seiner Arbeit.
noch ehe die kundin ihren wunsch äussern konnte, war antiquar wübbelzahn ans regal getreten, zog ein buch heraus und rief:
„ein wirklich schönes geschenk zur konfirmation!“
viel zu spät erkannte er, dass er daneben gegriffen und statt „soll und haben“ den roman „jud süss“ von lion feuchtwanger in der hand hatte.
zum glück hatte seine kundin nicht hingeschaut. wie hätte er ihr auch erklären sollen, dass lion feuchtwangers buch eine - wen auch späte - ohrfeige für das war, was gustav freytag in seinem roman schwadroniert hatte?
die kundin lief zum regal mit den klassiker-ausgaben und rief:
„endlich eine gesamtausgabe von goethe mit seiner wunderbaren farbenlehre ... die nehme ich!“
antiquar wübbelzahn wollte ihr nicht widersprechen, erinnerte sich aber, dass goethe ... als er seine „farbenlehre“ schrieb ... womöglich unter farbblindheit litt ... weil aber sein geschäftssinn oberhand behielt, tröstete er sich:
was weiss ein antiquar schon von der physik?
„ein geschenk zur konfirmation oder zur hochzeit?“ fragte antiquar wübbelzahn mit dem freundlichsten lächeln, das ihm zu gebote stand, als er die goethe-ausgabe in eine plastiktüte stopfte. er erwartete keine antwort - dachte nur daran, dass der verkauf höchstens temporär eine bresche in sein regal schlug - zu viele goethe-ausgaben warteten noch auf ihre erlösung.
die kundin lächelte: „es ist ein geschenk zur konfirmation“! antiquar wübbelzahn spürte schon wieder seinen übersäuerten magen. es war allerdings alarmierend, dass der schmerz auf einmal in seine beine schoss.
„dann wird sich der konfirmand bestimmt über goethes farbenlehre freuen!“ der schmerz hatte - seltam genug - inzwischen seine fussohlen erreicht.
„mit der konfirmation hat es noch zeit“. die kundin lächelte immer noch. „mein enkel ist doch erst zwei jahre alt!“
antiquar wübbelzahn stellte mit erstaunen fest, dass der schmerz, so stechend er sich auch in seinen fuss und danach in seine zehen gebohrt hatte, plötzlich verschwunden war ...
... dabei hatte ihn die schillerausgabe - mit dem bullrich-salz als ersatz für den fehlenden, letzten band - doch noch gar nicht erreicht. er hörte seine kundin wie von fern durch einen staubigen nebel sagen:
„die goethe-ausgabe bekommt mein enkel zur konfirmation - die farbenlehre jedoch erst zum abitur. bis dahin bleibt alles im wäscheschrank!“
COPYRIGHT: ROLF-DIETER VENZLAFF, 2007 - 2008
Tag der Veröffentlichung: 28.08.2008
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Widmung:
Allen meinen Geschäftsfreunden und Kunden in Bremen und "umzu" gewidmet!