Cover

Dachau

 

 

 

Viele Jahre ist es her Ein ganz normaler Tag im Leben eines 14 jährigen Jungen.

Ich war damals in der achten Klasse und unsere Klassenfahrt sollte nach Dachau gehen. Einem kleinen beschaulichen Ort in der Nähe von München.

Natürlich wussten wir, was Dachau noch bedeutet. Im dritten Reich befand sich in Dachau ein Konzentrationslager.

Bevor die Fahrt begann, nahmen wir das dritte Reich natürlich im Unterricht durch. Niemand sollte unvorbereitet mit den Gräueltaten unserer Vorfahren konfrontiert werden.

Aber was wir im Unterricht erfuhren war irreal. Nicht vorstellbar und hatte schon gar nichts mit dem Deutschland, das wir kannten zu tun. Es war die Generation unserer Großeltern, denen dieses unmenschliche Verhalten vorgeworfen wurde. Aber kein Kind in der Klasse konnte seinem Opa oder seiner Oma so etwas zutrauen. Etwas stimmte einfach nicht.

Als wir dann die Klassenfahrt antraten, war alles wie immer. Die Chaoten saßen wie immer ganz hinten und wir Normalos in der Mitte oder vorne.

Der Bus hielt dann genau vor dem Konzentrationslager. Wir stiegen aus und mussten noch etwas auf unseren Führer warten. Ist ein blödes Wort, in dem Zusammenhang, ich weiß. Aber es war halt der Mann, der uns durch das Lager geführt und uns alles erklärt hat.

Der erste Raum war so eine Art Minikino. Da wurde uns ein Film vor geführt.

Wir waren zuerst noch etwas darüber amüsiert, weil der Schwarz Weiß Film etwas zu schnell ab lief. Doch dann realisierten wir immer mehr, was uns da vor geführt wurde.

Der Film war ohne Ton. Ohne theatralische Musik. Nur die Bilder wirkten auf uns.

Ab und zu erklärte uns unser Lagerführer in knappen Worten etwas zu dem Film.

Ich sah Menschen, die in dieses Lager gebracht wurden. Ich sah ausgemergelte Körper. In den Augen dieser Körper war nichts mehr. Keine Seele mehr zu sehen.

Und dann sah ich eine Großaufnahme eines Menschen. Nur sein Gesicht. Es war unmöglich zu erahnen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Der Schädel kahl geschoren. Der Blick. Diesen Blick werde ich nie vergessen.

Der Blick der sagte, wieso macht ihr das? Wieso darf ich nicht leben?

Nach dem Film wurden wir weitergeführt in einer der Baracken.

Hier hausten die Insassen also. Über Monate, über Jahre. In engsten Verhältnissen, in zwei oder drei Betten übereinander.

Wir erfuhren, wer hier inhaftiert wurde. Juden, Staatsfeinde und so ziemlich alle, die dem Ideal nicht entsprachen.

Weiter ging es in den Duschraum. Die eigentliche Gaskammer.

Hier wurde uns erklärt, dass man mit verschiedenen Gasen experimentiert hatte, um ein möglichst humanes Töten zu gewährleisten.

Zum Schluss bekamen wir dann noch die Öfen zu sehen, in denen die von ihren Qualen befreiten Körpern verbrannt wurden.

Unser Lagerführer hielt noch eine ziemlich lange Rede in diesem Raum. Ich weiß nicht mehr, was er gesagt hat.

Ich weiß nur noch, eine dieser Ofentüren stand offen. Dahinter ein tief schwarzes Loch, wie es nur in der Hölle sein konnte. Und ich meinte die Augen wieder zu sehen in der tiefen Finsternis, die ich bereits in dem Film gesehen hatte.

Diese Augen, die eine Antwort forderten. Warum macht ihr das? Warum darf ich nicht leben?

Ich glaube, vielen meiner Klassenkameraden ging es ähnlich, denn keiner sagte ein Wort, als wir das Lager verließen.

Doch mit jedem Kilometer, mit dem wir uns von Dachau entfernten, kam auch unser Lebensmut zurück.

Aber eines ist geblieben. Die Frage nach dem Warum, auf die ich bis heute keine Antwort habe. 

 

Impressum

Texte: Roland Schilling
Bildmaterialien: Roland Schilling
Tag der Veröffentlichung: 11.09.2016

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /