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Strandpiraten

 

 

 

Hallo. Ich bin Lena. Ihr kennt mich vielleicht von den Geschichten meines Papas. Genauer gesagt von seinen Familiengeschichten. Da spielen wir ja die Hauptrolle. Mein Papa, meine Mama, mein blöder Bruder David und ich.

Manchmal übertreibt es mein Papa in seinen Geschichten aber etwas. Er sagt dann, er müsse seine Geschichten ausschmücken. Ich hab das mal bei einem Aufsatz für die Schule probiert und was hat der Lehrer drunter geschrieben? „Thema verfehlt!“ Immerhin bekam ich noch eine Drei dafür, weil dem Lehrer der Aufsatz doch ganz gut gefallen hatte und es kaum Rechtschreibfehler gab.

Der Lehrer meinte, wenn ich nicht so weit vom Thema abgeschweift wäre, hätte es eine glatte eins gegeben. Ich kam dann noch mit dem Argument der künstlerischen Freiheit. Das benutzt mein Papa immer, wenn er keine Antwort auf Fragen hat, was das Schreiben betrifft. Aber, das zog bei meinem Lehrer nicht. Mein Papa war aber trotz der Drei stolz auf mich und meinen künstlerisch freien Aufsatz.

Aber eigentlich wollte ich was anderes erzählen. Eine Familiengeschichte, bei der meine Eltern nicht dabei waren. Und die deswegen auch nicht mein Papa euch erzählen kann.

Es waren Sommerferien. Und eines Tages bot mein Onkel Manfred und Tante Sabine meinen Eltern an, mit meinem Bruder und mir für einen Tag an den See zu fahren. Meine Eltern hatten nämlich irgendetwas im Haus zu tun. Keller fliesen oder so was, was Erwachsene halt machen, wenn ihnen langweilig wird. Mein blöder Bruder bestand darauf, dass er seine noch blödere Freundin mitnehmen durfte. Ich glaub es gibt nur einen Menschen auf der Welt, der die Doofheit meines Bruders toppen kann. Und genau die hat er gefunden. Was er an der Zicke gut findet, bleibt mir rätselhaft. Aber egal. Ich fühlte mich als fünftes Rad am Wagen und bestand deshalb darauf, dass meine zwei besten Freundinnen mit kamen. Wenn die Eltern meiner Freundinnen nichts dagegen hätten, stünde dem nichts im Wege, meinte mein Onkel.

Die Eltern hatten nichts dagegen und so durften meine Freundinnen mit.

Am Strand angekommen, pustete mein Onkel unser Schlauchboot mit der Luftpumpe auf. „Aber ihr dürft nicht ohne Schwimmwesten auf den See!“, sagte er. Wir maulten natürlich sofort los. „Piraten tragen keine Schwimmwesten“, entgegnete ich. „Ihr und Piraten?“, lachte mein Bruder. „Dass ich mich nicht krumm lache. Ihr seid höchstens Prinzessin Lillifee auf hoher See.“

„Und paddelt nicht zu weit raus“, ermahnte uns mein Onkel, während wir in das Boot kletterten. „Bleibt immer in Sichtweite“, fügte er hinzu. Mein Bruder lachte immer noch über seinen dämlichen Witz. „Das gilt auch für dich, Freundchen“, sagte mein Onkel zu ihm.

Schlagartig wurde mein Bruder ernst. „Hey, Moment mal“, erwiderte er. „So läuft das nicht. Ich bin kein Kind, Alter.“

„Erstens“, erklärte mein Onkel. „Ich bin nicht dein Alter, Und Zweitens, Ich habe für euch die Verantwortung. Also haltet ihr euch an meine Regeln.“ Anscheinend erwartete er eine Antwort, weil er uns fragend ansah. „Geht das klar?“, bekräftigte er sein Forderung.

„Na klar, geht klar“, antwortete ich und paddelte mit meine Freundinnen hinaus auf den See.

„Und wo paddeln wir jetzt hin?“, wollte Tina wissen. „Wir nehmen Kurs auf die Insel“, antwortete ich. „Die Hirteninsel? Aber das ist ganz schön weit“, gab Tina zu bedenken. „Na und? Wir haben doch den ganzen Nachmittag Zeit“, entgegnete ich. „Aber Tina hat recht“, sagte Vanessa. „Dann sind wir außer Sichtweite.“ „Da kann ich doch nichts dafür, wenn mein Onkel nicht so gut sieht“, sagte ich.

„Außerdem ist Sichtweite immer Ansichtssache“, fügte ich hinzu. „Wenn mein Onkel sehen könnte, wie ein Seeadler, könnte er uns sogar noch auf der Insel sehen.“

Das überzeugte die Beiden und wir nahmen Kurs auf die Insel.

Dort angekommen schoben wir das Boot an Land und spielten erstmal Fangen, bis wir erschöpft ins Gras fielen. Dann beobachteten wir die Wolken, die über uns hinweg zogen und erzählten uns gegenseitig, was wir darin sahen. Das war richtig lustig. Da gab es Schiffe und Meerjungfrauen und Tirolerhüte. „Die sieht aus wie ein Prinz auf einem weißen Pferd“, sagte ich und deutete auf eine Wolke. Aber die Wolken blieben nicht so, wie sie waren. Durch den Wind wurden sie verzerrt und verändert. Tina lachte. „Jetzt sieht es so aus, als ob dein Prinz auf einer Wildsau reitet.“

Ich schreckte hoch. „Almächd!“, rief ich. „Es ist schon ganz schön spät. Mein Onkel wird fuchsteufelswild sein.“ Tina wollte noch wissen, wie ich ausgerechnet bei dem Begriff Wildsau auf meinen Onkel kam, doch dafür war jetzt keine Zeit mehr.

„Wir müssen zurück rudern. Und zwar so schnell wie möglich!“, sagte ich. Wir schoben unser Boot also wieder ins Wasser und paddelten zurück an den Strand. Schon von Weitem konnten wir meinen Onkel sehen, wie er wie ein aufgescheuchter Truthahn am Strand auf und ab hüpfte und irgendetwas rief. Dort angekommen schimpfte er uns dann auch gleich aus. „Wo wart ihr denn so lange? Ihr könnt doch nicht einfach abhauen. Wir haben uns Sorgen gemacht, Wir hätten fast die Wasserwacht verständigt.“ „Tschuldigung“, sagte ich leise. „Wir haben total die Zeit vergessen.“ „Die... Zeit... vergessen?“ Er schnappte hörbar nach Luft. „Und wo ist eigentlich dein Bruder?“, wollte er wissen.

„Das weiß ich doch nicht?“, antwortete ich, als dieser auch schon mit seiner Freundin an geschlendert kam. Jetzt wendete sich mein Onkel meinem Bruder zu. „Wo wart ihr so lange? Ihr könnt doch nicht einfach abhauen...“ „Sie hätten fast die Wasserwacht gerufen“, ergänzte ich seine Rede, worauf mich mein Onkel mit einem strafendem Blick ansah.

„Die Wasserwacht?“, lachte mein Bruder. „Wozu das denn? Wir waren am Strand spazieren, haben ein Eis gegessen und sind dann noch Tretboot gefahren. Was issn passiert?“

„Was... passiert... ist?“, schnappte mein Onkel weiter nach Luft. „Ihr seid passiert. Mit euch kann man nirgends hin. Das geht einfach nicht. Ihr macht einfach was ihr wollt. Ihr packt jetzt auf der Stelle zusammen und ich fahr euch nach Hause.“ Ich wollte noch scherzhaft fragen, auf welcher Stelle. Das hab ich dann aber lieber bleiben lassen.

Zuerst fuhr er meine Freundinnen und die Freundin meines Bruders nach Hause und dann uns.

Mit den Worten, „Da hast du deinen Nachwuchs wieder. Mit denen kann man keinen Ausflug machen. Das geht einfach nicht“, übergab er uns unserem Papa und brauste davon.

Mein Papa sah ihm verdutzt hinterher. Dann sah er zuerst mich an, dann meinen Bruder und dann wieder mich. „Also gut, kleines Fräulein“, sagte er schließlich. „Was hast du angestellt?“ „ICH?“, rief ich ganz unschuldig, während ich verzweifelt versuchte alles meinem Bruder in die Schuhe zu schieben, als dieser völlig unerwartet seinen Arm um meine Schulter legte. „Lena hat gar nichts getan“,verteidigte er mich. „Onkel Manfred ist vielleicht nur überarbeitet, oder er kann mit Kindern nicht umgehen. Er hat ja selber keine.“ Mein Papa schaute immer noch skeptisch. „Das wird’s wohl sein“, sagte er schließlich und das Thema war erledigt.

Naja. Wenn seine blöde Freundin nicht dabei ist, ist mein Bruder halt doch der beste Bruder auf der Welt. :-)

Einen Sommer lang.

 Diese Geschichte is auch nach zu lesen in der Anthologie: Einen Sommer lang. Geschichten und Gedichte.

ISBN 9781517067083

 

Autoren und Autorinnen der Bookrix-Comunity schreiben Geschichten und Gedichte rund um das Thema Sommer.

Sie verzichten dabei auf ihr Honorar, so dass der Reinerlös des Buches als Spende für notleidende Tiere zur Verfügung gestellt wird.

Impressum

Texte: Roland Schilling
Bildmaterialien: Roland Schilling
Tag der Veröffentlichung: 12.09.2013

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