Der größte Schritt in meinem Leben.
Ich hatte Angst. Ja, ich muss zugeben, ich hatte schreckliche Angst. Viele sind diesen Weg gegangen. Doch was sollte das für ein Trost für mich sein. Ich war es, der diesen Weg gehen musste. Allein. Ich wusste, ich musste da durch. Reiß dich zusammen. Es haben schon ganz andere geschafft.
Je näher ich diesem Gebäude kam, desto bedrohlicher wirkte es auf mich. Ich schritt auf dieses Gebäude zu, wie automatisiert, obwohl ich gar nicht wollte. Alles in mir sträubte sich dagegen, dieses bedrohliche Gebäude zu betreten.
Ich mochte mein bisheriges Leben, sah keinen Grund irgendetwas daran zu ändern.
Doch es wurde von mir verlangt.
Niemand konnte mir erklären, wer es verlangen würde, mich in diese ungewisse Zukunft zu begeben. Niemand konnte mir erklären, welchen Sinn es machte, meine Freiheit auf zu geben.
„Irgendwann muss jeder diesen Schritt machen!“, war die Antwort.
Ich gab mich mit dieser Antwort nie zu Frieden.
Widerwillig betrat ich das Gebäude. Meine Schritte hallten in den endlosen Fluren. Und nicht nur meine. Es waren viele meiner Leidensgenossen, die hier her gebracht wurden.
Viele hatten panische Angst, vor dem was sie erwartete. Einige hörte man weinen. Andere freuten sich darauf, was kommen würde. Was ich bis heute nicht verstehe.
Dann stand ich vor dieser riesigen Pforte. Ein Schritt noch, und mein Leben würde sich für immer verändern.
Ich spürte mein Herz schlagen bis zum Hals. Ich sah mich um, ob es eine letzte Fluchtmöglichkeit gab.
Doch, vergebens. Ich war umzingelt. Umzingelt von den Opfern, die gleich das gleiche Schicksal ereilen würde wie mich und von denen, die sie her gebracht hatten.
Es gab keinen Ausweg mehr. Mein Leben in Freiheit war vorbei.
Dann hörte ich die Stimme. Die Stimme meiner Mutter: „Nur Mut mein Kleiner und viel Spaß an deinem ersten Schultag.“
Ich packte meine Schultüte unter den Arm, nahm meinen ganzen Mut zusammen und betrat das Klassenzimmer der ersten Klasse in meiner Grundschule.
Texte: Roland Schilling
Bildmaterialien: bookrix
Tag der Veröffentlichung: 08.12.2012
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