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Oh du hektische Vorweihnachtszeit
Von Roland Schilling

Das erste Adventswochenende stand bevor und wir hatten einen Einkaufsbummel mit anschließendem Besuch des Nürnberger Cristkindlesmarktes beschlossen.
Ich konnte meine Familie gerade noch davon überzeugen, nicht mit dem Zug nach Nürnberg zu fahren, wie meine Frau zuerst vorgeschlagen hatte. Die Erinnerung an den letzten Besuch des vorweihnachtlichen Nürnbergs vor drei Jahren, jagte mir noch immer einen Schauer über den Rücken. Damals fuhren wir mit dem Zug. Meine Tochter war sechs und mein Sohn zwölf. Und jetzt stellen Sie sich mal mit zwei quengelnten Kindern dieses Alters zwischen zwei Zugabteile, eingepfercht wie Sardinen in der Büchse, weil der Zug so voll ist. Und das für eine geschlagene volle Stunde, weil der Bummelzug an jedem Kuhdorf mit drei Häusern hält.
Nein, diesmal würden wir mit dem Auto fahren. Das hatte auch noch den Vorteil, dass wir unsere Einkäufe im Kofferraum verstauen konnten, bevor wir den Christkindlesmarkt besuchten.
Gesagt, getan. Am ersten Adventssamstag machten wir uns also auf den Weg in die Großstadt. Dort angekommen, zeigte uns ein Wegweiser zum nächstgelegenen Parkhaus, dass da noch 150 freie Plätze zu finden seien. Da dieses Parkhaus auch noch ziemlich zentrumsnah war, steuerte ich es also an. Ich zog mein Parkticket, worauf sich die Schranke öffnete. Dann jagte ich meinen Boliden die steile Rampe rauf. Das erste Deck war zwar gähnend leer, aber für Frauen reserviert. „Na, jetzt können ja nur noch die echten Männerdecks kommen!“, sagte ich zu meiner Frau und schoss die zweite Rampe hoch. Nach der dritten zweifelte ich langsam an der Ehrlichkeit der Anzeigetafel, die uns 150 freie Parkplätze versprochen hatte. Doch im vierten Stock wurden wir dann endlich fündig.
Wir stellten unseren Wagen ab und fuhren mit dem Aufzug ins Erdgeschoss. Es waren nur ein paar Schritte bis zum weißen Turm, an dem die größte, zusammenhängende Fußgängerzone Deutschlands, wie es Werbeprospekte versprachen, begann.
Gleich neben dem weißen Turm befand sich dieses große Bekleidungsgeschäft mit den zwei Buchstaben und dem & dazwischen. Meine Tochter wollte wissen, was die zwei Buchstaben zu bedeuten hätten. Da ich keine Ahnung hatte, sagte ich: „Das sind die Anfangsbuchstaben der Gründer dieses Kaufhauses.“ Vielleicht stimmte das sogar. Jedenfalls war meine Tochter einverstanden mit der Antwort.
Kaum hatten wir diesen Klamottentempel betreten, gab es kein Halten mehr für meine Frau. Sie hatte mich ja zu Hause schon vor gewarnt, dass sie ein neues Kleid für die Weihnachtsfeier mit ihren Arbeitskollegen bräuchte. Ich entgegnete, dass ich das gleiche anziehen würde, wie letztes Jahr und das Jahr davor und noch keiner meiner Kollegen hätte sich darüber beschwert.
Ich musste mich belehren lassen, dass das bei einer Frau eben anders sei.
Wenig später probierte sie nacheinander ein grün-blaues und ein blaugrünes Kleid an und stellte mich vor die Entscheidung, zu welchem Kleid ich tendieren würde. Damit meine Kinder und ich endlich unseren Frieden hatten, entschied ich mich für das Blaugrüne. Sie nahm das Grün-blaue, weil das angeblich besser zu ihren Haaren passte.
„Mein Gott,“ sagte ich etwas genervt , „du bist blond, was hat Grün oder Blau mit deinen Haaren zu tun? Und warum fragst du mich dann eigentlich, wenn du dich dann doch anders entscheidest?“
Sie entgegnete, dass ich sowieso keine Ahnung von Mode hätte und ich solle mich nur mal selber anschauen, wie ich rum laufen würde. Ich sah an mir herab und fand nicht gerade, dass ich in Lumpen gekleidet war.
Dann brauchte sie natürlich noch die passenden Schuhe. Obwohl ich mir sicher war, dass sie sowohl ein blaues als auch ein grünes Paar hatte. Aber ich sagte vorsichtshalber nichts.
Auf dem Weg zum Schuhgeschäft bekam mein Sohn Hunger. „Ich brauch jetzt´n LKW,“ sagte er und steuerte auf einen Imbissstand zu. (LKW= Leberkäsweggla oder auch eine fingerdicke Scheibe Leberkäs, in manchen Gegenden Deutschlands auch Fleischkäse genannt, in einer Semmel. Der Aut.) Ich erinnerte ihn daran, dass wir gleich zu Mittag essen wollten. Er entgegnete: „Kein Problem.“ Und biss genüsslich in seine Leberkässemmel.
Im Schuhgeschäft probierte dann meine Frau einige blaue und grüne Paar Schuhe an. Ich wollte sie schon darauf hinweisen, dass eine Weihnachtsfeier normalerweise im Winter stattfindet und das alles Sommerschuhe wären, die sie da anprobierte. Aber, ich hielt meinen Mund. Als sie wieder mal ein blaues Paar an hatte und mir einen fragenden Blick zu warf, machte ich eine abwehrende Handbewegung und sagte: „Ich halt mich da raus.“
„Du hast wieder eine Laune,“ murmelte sie und entschied sich dann, wie es sich für erwachsene Menschen gehört, selbstständig für das Paar, das ihr am besten gefiel.
Als nächstes wollte meine Tochter unbedingt in eine Buchhandlung. Nachdem sie eine Zeit lang gestöbert hatte, wollte ich wissen, nach welchem Buch sie suchen würde. „Nach einem Weihnachtsbuch. Wir lesen uns in der Schule doch in den letzten Tagen vor den Weihnachtsferien immer Geschichten vor.“ Da war ich natürlich der richtige Mann. „Na, wenn´s weiter nichts ist. Ich kann dir doch eine Geschichte schreiben. Dann hast du eine, die bestimmt keiner kennt.“
Mein Sohn lachte schallend und schlug mir auf die Schulter, so dass sich schon die Leute nach uns umdrehten. „Unser Paps“, meinte er. „Schreibt lieber selber eine Geschichte, weil er zu geizig ist, ein Buch zu kaufen.“ Jetzt war ich aber in meiner Ehre gekränkt. „Das hat mit Geiz nichts zu tun“, erwiderte ich. „Das nennt man Kreativität. Aber davon verstehst du natürlich nichts.“
Meine Tochter war einverstanden, warnte mich aber, wenn sie nicht gut sei, würde sie ein E-book im Internet runter laden.
Als wir auch dieses Problem gelöst hatten war es Zeit zu Mittag zu essen. Wir entschlossen uns für eine Pizzeria mit einem roten Hut als Logo. (Warum auch immer das ihr Logo war. Wahrscheinlich hatte der Gründer der Pizzeria immer einen roten Hut auf.)
Wir aßen Pizza direkt aus der Pfanne und besprachen den weiteren Tagesverlauf. Planten in welchen Geschäften und Kaufhäusern wir noch was zu besorgen hätten.
Als wir unseren Einkaufsbummel beendet hatten kamen wir, schwer bepackt mit Taschen, wieder an unserem Ausgagspunkt, dem weißen Turm an. „Mein Sohn und ich tragen die Einkäufe ins Auto und ihr wartet hier!“, entschied ich.
Als wir unsere Ausbeute im Kofferraum verstaut hatten und zurück kamen, standen meine Frau und meine Tochter, unschuldig lächelnd, mit je einer Einkaufstüte einer Boutique neben dem Brunnen, vor dem weißen Turm.
„Wie um alles in der Welt habt ihr in der kurzen Zeit noch was einkaufen können?“, wollte ich wissen. „Wir konnten nicht widerstehen“, entschuldigten sich die Beiden im Duett und streckten mir ihre Einkaufstaschen entgegen.
„Ey, Alter. Ich latsch da jetzt nicht nochmal mit“, meinte mein Sohn. Ich nahm also die beiden Taschen an mich, nicht ohne meine Frauen zu ermahnen, jetzt ja nichts mehr zu kaufen.
Ich eilte Richtung Parkhaus, vergaß, dass es einen Aufzug gab, hastete bis zum vierten Stock, verstaute die beiden Taschen im Kofferraum, erinnerte mich diesmal daran, dass es einen Aufzug gab und drückte die Taste um ihn anzufordern. Als sich die Türen öffneten, war ich nicht sicher, ob das Auto verschlossen war. Ich begab mich also zurück zum Wagen und rüttelte an den abgesperrten Türen. Dann fuhr ich mit dem Aufzug ins Erdgeschoss und ging zurück zu meiner Familie.
Sie standen noch immer am Brunnen vor dem weißen Turm, nur dass jetzt mein Sohn eine kleine Plastiktüte eines nahen Elektronikmarktes in der Hand hatte. Er bemerkte meinen Blick und sagte: „Nur ne CD.“
Ich atmete einmal tief durch und verkündete dann: „Auf zum Christkindlesmarkt!“
Auf dem Weg dorthin wollte meine Tochter unbedingt die Kinderweihnacht sehen. Das ist ein kleiner, romantischer Weihnachtsmarkt speziell für Kinder. Auf den Dächern der Buden werden weihnachtliche Szenen mit Puppen nachgestellt. Es gibt ein nostalgisches Kinderkarussell und sogar eine Weihnachtseisenbahn für Kinder.
Mein Sohn war zwar nicht so begeistert von diesem „Babyquatsch“, wie er sich ausdrückte, doch ich fand diesen romantischen kleinen Markt auf dem Hans- Sachs- Platz auch ganz niedlich.
Dann aber erreichten wir endlich den original Nürnberger Chrirstkindlesmarkt. Gleich am Eingang stand eine dieser berühmten Rostbratwurstbuden, Mein Sohn hatte Hunger und stellte sich in die Reihe der Wartenden. Auch ich musste zugeben, dass der Duft der Rostbratwürste mich hungrig machte und der Rest der Familie schloss sich uns an. Vor uns war aber zuerst noch ein Ehepaar dran, das eindeutig nicht aus Franken stammte. Es kam wie es kommen musste und der Mann bestellte: „Zweimal so kleine Würstchen im Brötchen.“
Das konnte ein echter Nürnberger Bratwurstbräter nicht auf sich sitzen lassen, da können noch so viele hungrige Menschen warten.. „Also, horch amol!“, begann er dem Mann zu erklären. „Des hast bei uns drei im Weggla oder Bradwurschtsemmel. Ein Brötchen wäre ein kleines Brot. Aber Semmeln und Brote sind aus verschiedenen Teigen gemacht, also kann eine Semmel ka Brötchen, also ka kleines Brot sei!“ So eingeweiht in die fränkische Grammatik bestellte der Herr dann, zwar noch etwas holprig aber fast stilecht: „Zweimal drei so Dingens im äh... im Wecklah.“
Dann wandte sich der Bratwurstbräter an uns. „Wollt ihr a wos essn oder nur schaung?“
Als wir unsere Bratwurstsemmeln verspeisten, wollte meine Tochter wissen, wieso die original Nürnberger Bratwürste eigentlich so klein sind. Da wusste ich Bescheid und erklärte ihr: „Das kommt aus dem Mittelalter. Damals wütete die Pest und viele Menschen trauten sich nicht mehr aus dem Haus. Damit sie aber trotzdem nicht auf ihre Bratwürste verzichten mussten, machte man sie so klein, dass sie durchs Schlüsselloch passten.“
„Hmm“, sagte sie. Ich ahnte schon, was gleich kommen würde. Immer wenn man ihr eine Antwort gab und es folgte dieses `Hmm`, folgte eine Frage, auf die man garantiert keine Antwort mehr hatte.
Und da kam sie auch schon. „Und wie haben sie die Semmeln da rein gekriegt?“ Doch bevor ich mir noch etwas ausdenken konnte, antwortete mein Sohn. „Die haben sie rein gesemmelt.“ Dabei machte er eine Bewegung wie ein Baseball Spieler beim Abwurf eines Balls. Dann lachte er über seinen eigenen Witz. Auch seine Schwester musste so lachen, dass sie sich fast an ihrer Bratwurst verschluckt hätte. Ich fand das gar nicht witzig, schließlich gab ich gerade eine Lektion zum Geschichtsunterricht zum Besten.
Als wir zu Ende gegessen hatten, schlenderten wir durch die Budengassen, oder vielmehr, wurden durch dieselben von den Menschenmassen geschoben. Vorbei an glitzernden Christbaumschmuck, an handgeschnitzten Krippen samt Zubehör, an Zwetschgenmänchen, Kunsthandwerk und selbst gestrickten Socken. Am Ende unseres Rundgangs spie uns die Menschenmenge wieder aus und wir machten uns auf den Rückweg ins Parkhaus.
Ich bewunderte auf dem Weg dorthin die festlich beleuchteten Schaufenster. Mein Blick schweifte mal nach Links dann wieder nach Rechts. Als ich wieder mal nach Rechts blickte, lief mein Sohn neben mir, mit einer Leberkässemmel in der Hand. Verwundert schüttelte ich den Kopf, da mir nicht bewusst war, dass wir an einem Imbissstand vorbei kamen, noch dass wir irgendwo angehalten hätten. Ich erinnerte ihn daran, dass wir zu Hause noch zu Abend essen würden. „Kein Problem“, war seine Antwort, während er genüsslich weiter aß.



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Texte: Roland Schilling
Bildmaterialien: Rolland Schilling
Tag der Veröffentlichung: 02.12.2012

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