Cover


Grenzen los!?

Ich musste noch einmal zurück, musste mit mir und meinen Gedanken allein sein. Musste zurück zum Brandenburger Tor. Natürlich kamen wir hier auf der Stadtrundfahrt vorbei, doch der Bus hielt nur für 15 Minuten. Zeit genug für ein paar Erinnerungsfotos und einen Gang zu Fuß und mit hoch erhobenem Haupt, wie es der Reiseleiter formulierte, durch das Symbol der deutschen Einheit.
Ich hatte es mir nicht so riesig vorgestellt und ein eigenartiger Schauer überkam mich, als ich mitten durch das Tor schritt, das einst Brüder und Schwestern trennte.
Vom Hotel war es zu Fuß nicht weit hier her und so beschloss ich, diesen Ort nochmal allein auf zu suchen. Wie mir schien, übte dieser Ort nicht nur auf mich eine Faszination aus, die man mit Worten eigentlich gar nicht beschreiben kann. Touristen aus allen Ländern der Welt besuchten dieses einzigartige Wahrzeichen der Versöhnung zwischen zwei Staaten, die noch wenige Tage vor dem Mauerfall niemand für möglich gehalten hätte.
Der Krieg hatte diese Stadt zerstört, zerrissen , geteilt und dem Erdboden gleich gemacht. Wenn man jetzt in die lachenden und scherzenden Gesichter dieser fröhlichen Menschen sah, wusste man: So sieht Frieden aus.
Ein Pantomime stand reglos auf einem Podest, gekleidet in einer alten DDR Uniform. Er sah aus wie eine Schaufensterpuppe. Als eine Japanerin sich neben ihn stellte, um sich fotografieren zu lassen, strich er ihr über den Kopf. Sie hatte sich natürlich zuerst furchtbar erschrocken, aber dann doch herzhaft gelacht. Und alle haben mit ihr gelacht.
Ich schlenderte weiter und fand die Markierung im Boden, wo einst die Mauer verlief. Ich musste an die wenigen Mauerreste denken, die wir auf der Stadtrundfahrt gesehen hatten. Auf einer Seite grau und auf der andern bunt bemalt. Die Menschen hatten es satt, auf dieses graue Monster zu starren. Menschen wollen Farben sehen. Als ich diese Markierung mit den eingelassenen Jahreszahlen betrachtete, überlegte ich, wie mein Leben wohl verlaufen wäre, wenn ich im Osten das Licht der Welt erblickt hätte. Hätte ich mich dem System angepasst, oder hätte ich für meine Freiheit gekämpft? Kann man eigentlich für etwas kämpfen, das man eigentlich gar nicht kennt?
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als eine kleine Gruppe Touristen an das Brandenburger Tor kam. Ein älterer Herr mit unverkennbarem sächsischem Dialekt erklärte den anderen in der Gruppe, dass seine Familie damals getrennt wurde und wie sie sich nach Jahrzehnten wieder getroffen hatten, als die Gruppe von ein paar Jugendlichen angepöbelt wurde. „Äy, Ossis, verzieht euch!“ Stänkerte der Eine, während die anderen dumm grinsten.
Ganz sind wir unsere Grenzen wohl doch nicht los.

Impressum

Texte: Roland Schilling
Bildmaterialien: Rolland Schilling
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /