Ich bin dann mal blöd.
Von Roland Schilling.
Es war Samstagnachmittag, als ich ,wie immer, die Prospekte aus dem Briefkasten ins Haus holte. Sämtliche Verbrauchermärkte und Einkaufszentren der näheren und weiteren Umgebung wollten, wie immer, unser Bestes. Unser Geld. Und da die meisten Menschen am Wochenende die meiste Zeit für anspruchsvolle Literatur haben, verlegte man, strategisch geschickt, den Prospektvertrieb auf den Samstag. Vielleicht lag es auch daran, dass die Jugendlichen, die sich nebenbei den ein oder anderen Euro verdienen und die Prospekte verteilen, nur samstags Zeit hatten.
Egal. Ich packte also den Wust von Prospekten auf unseren Esszimmertisch und wollte schon mal die Spreu vom Weizen trennen. Denn einige dieser Prospekte, seid doch mal ehrlich, sind doch von Anfang an für die Tonne.
Mir fiel ein Prospekt auf, mit schreiend roten und weißen und schwarzen Farben, eines bekannten Elektronikmarktes. Neueröffnung. Keine 20 Kilometer von uns entfernt. Ich legte es auf den Stapel: `Sollte man im Auge behalten`, als mein 15 jähriger Sohn David das Zimmer betrat. „Ey, wie geil ist das denn?“ Legte er los und nahm das Prospekt an sich. „Die haben die neue PS!“ Freute er sich.
Mir schwante Übles. Ich ging gleich zum Verteidigungsangriff über. „Du denkst doch nicht, ich kauf dir dieses PS-Dingens, nur weil es da drin steht?“ Er guckte mich an, als ob ich von einem anderen Stern wäre. „Alle meine Freunde haben das!“ Verteidigte er sich. Das war immer seine Verteidigung. Er war so leicht durchschaubar, Er hatte nicht meine Lebenserfahrung. Tappte immer wieder in die gleiche Falle. Ich lehnte mich lächelnd zurück. „Und wenn alle deine Freunde eine Mondrakete haben, soll ich dir auch eine kaufen?“ Das hatte gesessen. „Ey, Alter, du tschekst gar nix!“ Schrie er mich an, als ein gellender Schrei mein Trommelfell auf die Zerreißprobe stellte. Meine neunjährige Tochter Lena hatte inzwischen unbemerkt das Zimmer betreten und das Prospekt gesehen. „Wie geil ist das denn?“ Rief sie in immer noch der gleichen gellenden Stimmlage. „Der Barbie- Superstar-Recorder.“ Ich schielte auf das Prospekt und sah einen pinkfarbenes Kästchen mit aufgedruckten Puppenmotiven und einem angeschlossenem Mikrofon. Der Text versprach der potentiellen Besitzerin, eine schon fast unausweichliche Karriere als next best Superstar.
„Ey, Kleine, erst krieg ich meine PS3, bevor du den Plastikschrott da bekommst.“
„Au, ja,“ freute sie sich, „mit dem neuen Singstar.“
„Vergiss es,“ zischte mein Sohn, „auf meiner Ps läüft dein dämliches Gehopse nicht. Da spiel ich das neue GTA.“
Ich begriff überhaupt nichts mehr. „Moment...Moment... MOOOOMENT!!!“ Rief ich und machte das Time out Zeichen, das ich mal im Fernsehen gesehen hatte.
Die Beiden starrten mich an. „Ich weiß noch nicht einmal, wovon ihr da redet,“ sagte ich. Verzweifelt versuchte ich das Unheil abzuwenden. Ich wusste, was passieren würde, wenn ich mit meiner ganzen Horde in diesen Elektronikmarkt einfiel. Meine Kids haben eine menge Freunde und eine menge Freunde bedeuten eine menge Dinge, die meine Kids dann natürlich auch haben mussten. Ich hatte keine Lust, mitten unterm Jahr den Weihnachtsmann zu spielen. Im Augenwinkel sah ich Rettung nahen. Meine Frau betrat das Zimmer. Als sie das Prospekt in die Hand nahm richteten sich alle Augen erwartungsvoll auf sie. In den Augen meiner Kinder spiegelte sich die Erwartung auf Nebenbeigeschenke wider, während in meinen Augen die Erwartung der Rettung meines Kontos vor dem Ruin zu lesen war.
Dann entschied sie: „Da müssen wir unbedingt hin!“ Fiel sie mir in den Rücken.
„Auch du, mein Weib...,“ war mein Gedanke, bevor ich getroffen wie einst Cäsar, zusammensackte.
Meine Kinder feierten ihren Sieg über das wohl sparsamste Familienoberhaupt und verließen im Triumphzug das Zimmer.
Schließlich überzeugte mich meine Frau, dass sie unschlagbar günstige Eröffnugsangebote hätten, für Dinge, die wir bis jetzt weder hatten, noch vermissten, aber unbedingt bräuchten.
Ich mein wozu muss ein Bügeleisen unbedingt Dampf speien. Meine Oma hatte ihr Eisen auf dem Herd heiß gemacht und mein Opa hatte immer perfekte Bügelfalten an seiner Hose. Und noch nicht mal Bügelfalten braucht man heute noch.
Aber, sei es, wie es war. Die Sache war beschlossen und am nächsten Samstag, gleich nach dem Mittagessen, machten wir uns auf den Weg zum Erlebnisseinkaufsbummel in den brandneuen Elektronikmarkt.
Schon die Ankunft am Parkplatz war der Horror. Alles gesteckt voll. Ich fuhr durch die voll geparkten Reihen bis ganz nach vorne. Meine Frau, die sofort meine Absicht erkannte, ganz vorne einen Parkplatz zu suchen zeterte. „Siehst du nicht, dass da vorne alles voll ist?“ Schimpfte sie.
„Frau,“ versuchte ich meiner Frau die männliche Logik zu erklären. „Es gibt wesentlich klügere Menschen als uns. Und eben jene haben sich schon am Morgen aufgemacht, den Elektronikmarkt zu besuchen. Da war der Parkplatz natürlich noch leer und sie stellten ihre Fahrzeuge ganz vorne ab. Doch jetzt sind sie mit ihren Einkäufen fertig und machen sich auf den Nachhauseweg. Eine dieser freiwerdende Parklücken können wir dann für uns beanspruchen.“
Kurz gesagt, die klugen Menschen pfiffen uns was. Ich fuhr sämtlich Parkreihen bis ganz nach hinten, wo wir noch einen freien Platz ergattern konnten. Wir hatten also einen beträchtlichen Fußmarsch vor uns. Nach einigen derben Sprüchen meiner Kinder, die ich hier lieber nicht wiederholen möchte und gefühlten 25 „Ich habs ja gleich gesagt!“ Von meiner Frau, erreichten wir endlich den Eingang.
Zuerst einmal machten wir uns auf den Weg in die Spielkonsolen Abteilung, um unseren Stammhalter zufrieden zu stellen. Schließlich ist es auch im Tierreich so, dass der Älteste zu erst zu Fressen bekommt. Der liebe Gott wird sich schon was dabei gedacht haben. Nur, dass Pappa Löwe das Fressen nicht bezahlen muss.
Mit dem untrüglichen Instinkt, den nur ein 15 Jähriger aufbringen kann, fand er dieses Ps- Dingens. Sofort umringte ihn auch ein Verkäufer. Die liefen an diesem Tag in ganzen Rudeln auf der Suche nach potentiellen Opfern durch den Markt. Mir war schleierhaft, wo die auf einmal so viele Experten her bekommen hatten. „Die ist Klasse,“ umgarnte der Verkäufer meinen Sohn. „Die hat mein Sohn auch. Viel besser, als das Vorgängermodell. Mein Sohn ist ganz begeistert. Ich krieg ihn da gar nicht mehr weg.“ Als er dann noch anfing von HD, blueray und was weiß ich noch alles zu schwärmen und ich befürchten musste, er hebt gleich ab und schwebt vor lauter Glückseligkeit durch den Markt, sagte ich: „Komm, pack das Ding ein und nichts wie weg.“ Er hechtete uns noch hinterher, weil er seinen Stempel noch auf den Karton stempeln musste. „Den brauchen die an der Kasse,“ keuchte er, als er uns endlich eingeholt hatte.
Als Nächstes war unsere Tochter an der Reihe. Wir suchten und fanden diesen pinkfarbenen Recorder samt dem dazugehörigen Verkäufer. „Den hat meine Tochter auch,“ schwärmte der Verkäufer. Ich wurde stutzig. Konnte es sein, dass jeder Verkäufer jedes Gerät, das es im Markt zu kaufen gab zu hause hatte?
Jedenfalls pries er das pinkfarbene Plastikding in den höchsten Tönen. Als auch das im Einkaufswagen gelandet war, wollte meine Frau noch nach einem neuen Bügeleisen sehen.
Am Regal angekommen war sie jedoch unschlüssig, welches nun am besten geeignet war. Sie nahm eines dieser Eisen in die Hand um es genauer zu begutachten, als schon der nächste Verkäufer in den Startlöchern stand. „Eine gute Wahl,“ begann er sein Verkaufsgespräch. „Das hat... .“ Jetzt reichte es mir und ziemlich schroff unterbrach ich ihn. „Wenn sie jetzt sagen, den hat meine Oma auch, oder einen ähnlichen Schwachsinn, mache ich auf dem Absatz kehrt, verlasse diesen Laden und komme nie wieder.“ Der Verkäufer starrte mich verdutzt an. Er wurde sichtlich nervös. Im Gedanken durch blätterte er wahrscheinlich sein Verkäuferhandbuch mit dem Titel `Leute über den Tisch ziehen für Dummis`, nachdem der Standartsatz schon im Ansatz voll in die Hose ging. „Ääääh,“ sagte er. Er glotzte mich an, ich starrte ihn an. „Ääääh?“ Forderte ich eine Erklärung. Hastig sah er sich um, ob er nicht einen kompatibleren Kunden finden konnte.als mich. „Ääääh,“ wiederholte er, nur um sicherzugehen, dass ich ihn auch verstanden hatte. „Nein, ich meine, äääh, das ist das neueste Modell auf dem Markt,“ fuhr er etwas nervös fort. Während seines Verkaufsgesprächs nahm er immer wieder das kleine Täfelchen in die Hand, das neben dem Bügeleisen stand und auf dem die Vorzüge des Produktes vermerkt waren, um uns fachlich kompetent die Vorzüge des Bügeleisens zu kredenzen.
Ich hielt die ganze Zeit über Blickkontakt und sah ihm ganz tief in die Pupillen. Nur nicht den Rücken zu wenden, sonst haben sie dich, das lernte ich schon beim Militär. Seiner Sprache war nicht richtig anzumerken, ob er gleich lachen oder heulen würde. Immer wieder verhaspelte er sich in seinen Worten. Ab und zu fuhr er mit einem Finger in seinen Kragen um seine Krawatte zu lockern. Eine Schweißperle ran von seiner Schläfe. Endlich hatte er sein Verkaufsgespräch erfolgreich beendet.
Ich klopfte ihm anerkennend auf die Schultern. „Na also, geht doch,“ sagte ich, „das war eine sehr kompetente, fachliche Beratung,“ lächelte ich und zwinkerte ihm zu.
Ich packte das Bügeleisen in den Wagen und verließ grinsend mit meiner Familie den Schauplatz des Dramas. Im Augenwinkel sah ich noch, wie sich der Verkäufer hastig den Schweiß von der Stirn wischte.
„Was sollte das denn?“ Zischte meine Frau. „Was hat der arme Junge dir denn getan?“ „Nun,“ versuchte ich mich zu verteidigen, „ich brauchte halt auch mein Erfolgserlebnis. Und wenn ich wieder mal herkomme, wissen sie, dass ich eine Beratung wünsche und keine holen Phrasen.“
Nach einigen Wochen kam ich wieder in den Markt und sah, dass mein Freund sich in die Küchenkleingeräte- Abteilung versetzten hatte lassen. Wahrscheinlich weil die Kundschaft dort überwiegend weiblich ist. Ich überlegte ernsthaft mir einen Mixer an zu schaffen.
Natürlich bräuchte ich dann eine kompetente, fachliche Beratung.
Texte: Roland Schilling
Bildmaterialien: Zeichnung Roland Schilling
Tag der Veröffentlichung: 30.06.2012
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