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Wie geht`s ?
Von Roland Schilling

Es war Freitagabend. Mir fiel ein, dass ich noch etwas in der Stadt besorgen musste. In die Stadt waren es gerade mal eine halbe Stunde zu Fuß. Ich konnte es also schaffen, musste mich aber beeilen, wenn ich noch vor Ladenschluss ankommen wollte.
Ich schlüpfte also in meine Schuhe, warf meine Jacke über und überzeugte mich davon, dass ich meinen Hausschlüssel und meine Brieftasche dabei hatte, während ich das Haus verließ.
Auf meinem Weg kam ich an diesem weißem Gartenzaun vorbei. In dem dazugehörigem Haus wohnte eine ältere Dame. Alleinstehend, seit ihr Mann vor einem Jahr verstarb.
Sie stand just in dem Moment an dem besagten Zaun, als ich im Begriff war vorbei zu hasten, mit dem Ziel, meine Besorgung in der Stadt zu machen.
Nichts ahnend, nicht die möglichen Folgen bedenkend, höflich, wie ich nun mal bin, rief ich ihr entgegen: „Wie geht`s?“
Hätte ich es nur mal bleiben lassen. Wäre ich nur vorbei gegangen, ohne ein Wort.
Pfeif auf die Höflichkeit. Es gibt wichtigeres im Leben.
Aber nein. Ich wusste nicht, was es war, das mich diese zwei Worte sagen ließ.
War es anerzogen? War es angeboren?
Ich wollte nicht wirklich wissen, wie es ihr geht, aber die Worte kamen wie automatisch über meine Lippen.
Und wenn mal Worte deinen Mund verlassen, dann hast du für die Konsequenzen gerade zu stehen.
Das sag ich dir als Freund.
Die zwei verhängnisvollen Worte waren also ausgesprochen und nicht mehr rückgängig zu machen. Und kaum hatten diese Worte meinen Mund verlassen, passierte es. Sie antwortete.
„Ach, wissen Sie,“ begann sie ihre Lebensstory, die sie vorhatte, mir noch im Laufe des Abends zu kredenzen, „im Moment geht es mir gar nicht so gut.“
Hier hätte ich die Chance gehabt, den Abend zu retten. Hätte sagen könne: „Tut mir Leid, wird schon wieder.“ Oder eine ähnliche Floskel. Aber nein, ich machte den zweiten fatalen Fehler. Ich blieb stehen.
Und sie fuhr fort, innerlich lächelnd, nach außen ein wehleidiger Blick, der sagte, es geht mir so schlecht, doch niemanden interresierts, doch nun hab ich ein Opfer gefunden, dem ich mein Leid klagen kann.
„Wissen Sie,“ wiederholte sie sich, „Mein Sohn war Gestern bei mir zu Besuch. Ach das hat mich so gefreut.“ `Ja,` dachte ich, `dieser Angeber mit seinem dicken Schlitten. Besucht nur alle Monate einmal seine armen alte Mutter für ein paar Minuten. Dieser Erbschleicher, dieser hinterhältige`.
„Wie schön für Sie ,“ sagte ich.
„Ja, er war im Urlaub in Ägypten,“ erzählte sie voller Stolz.
`Dieser Nichtsnutz hat doch das ganze Jahr Urlaub` , dachte ich bei mir. „Wie schön,“ sagte ich.
„Er hat mir Bilder gezeigt, von den Pyramiden,“ fuhr sie fort. „Wissen Sie,“ (das muss ihr Lieblingsspruch sein), „ich sehe ja nicht mehr so gut. Und er hat mir alles so schön erklärt.“
Ich sah unauffällig auf meine Armbanduhr. Wenn ich jetzt nicht bald los ging, konnte ich meine Besorgung vergessen.
„Ich muss dann los. Muss in der Stadt noch was besorgen.“ Erklärte ich ihr.
Sie lachte. „Ach, ihr jungen Leute, habt es immer eilig. Genau wie mein Sohn.“
Langsam hasste ich diesen blöden Kerl, der in seinem blöden Ägypten seine blöden Fotos machte und wegen dem ich jetzt nicht meine Besorgung in der Stadt machen konnte.
Da hörte ich hinter mir eine schrille Stimme, die mich zusammen zucken lies.
„Ach Elfriiiiiede!“ Eine weitere alte Dame kam mit ihrem Gehwägelchen direkt auf uns zu gesteuert.
Elfriede schaute in die Richtung, aus der ihre Freundin kam. Das war ihr Fehler und meine Rettung.
„Also dann, bis bald!“ Rief ich noch, während ich flüchtete.
Von weitem hörte ich noch, wie sich die beiden Damen über Söhne, Ägypten und was weiß ich noch alles unterhielten.
Ich habe mir geschworen, wenn ich wieder mal in Eile bin, bleib ich nicht stehen. Ich rufe nicht „Wie geht’s?“ Ich haste vorbei mit vielleicht einem kurzem, mürrischem „Geht`s?“
Also, wenn ich mal an euch vorbei eile, und nur ein mürrisches „Geht`s?“ über meine Lippen kommt, wisst ihr ja jetzt, warum.

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Texte: Roland Schilling
Bildmaterialien: Cover Roland Schilling
Tag der Veröffentlichung: 24.04.2012

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