Des Teufels Mauer.
Von Roland Schilling.
Unheilvoll und dunkel türmten sich die schwarzen Wolken am Horizont auf. Von Ferne hörte man schon das Donnergrollen, das ein schweres Unwetter ankündigte. Die plötzlich aufkommenden Windböen erschwerten die Arbeit auf dem Feld. Bauer Jakob und seine Söhne versuchten so viel wie möglich von der Ernte ein zu fahren und vor dem drohenden Unwetter zu retten.
Mit zusammengekniffenen Augen blickte der Bauer in Richtung Horizont, was sein Gesicht noch furchiger und windgegerbter erscheinen ließ. Mit kurzen, knappen Sätzen wies er seine Söhne an, was zu tun ist, damit sie soviel wie möglich von der Ernte in Sicherheit brachten. So rasch sie konnten luden sie das reife Korn auf den von schweren Ochsen gezogenen Wagen. Immer höher türmte sich die kostbare Fracht auf dem hölzernen Fuhrwerk. Schließlich machten sie sich auf den Weg nach Hause. Rumpelnd und ächzend wurde das schwere Fuhrwerk von den starken Ochsen über den holprigen Feldweg in Richtung Hof gezogen. Der Bauer befürchtete, die Hälfte der wertvollen Fracht auf dem steinigen, von tiefen Fahrrinnen durchzogenem Weg zu verlieren. Aber, es blieb ihm nichts anderes übrig, als dieses Wagnis ein zu gehen. Eine zweite Fahrt könnte sein und seiner Söhne Leib und Leben in Gefahr bringen. Und auch das Leben seiner Zugtiere. Die Hälfte des guten Korns auf dem Feld zu lassen, konnten sie sich nicht leisten. Es könnte durch das Unwetter vernichtet werden.
Endlich fuhr das Gespann in die sichere Scheune, deren schweres, hölzernes Tor eiligst von den Söhnen hinter dem Fuhrwerk krachend geschlossen wurde.
Eine Sekunde später und sie hätten den gelbrötlichen Feuerschweif gesehen, der mit einem lauten Zischen die sich türmenden grauen Wolken durch schnitt.
Der Herr der Finsternis persönlich war in seinem, von Funken schnaubenden Rössern gezogenen, feurigen Wagen unterwegs in Richtung Himmel. Er wollte den Schöpfer der Welt zur Rede stellen.
Er fand es ungerecht, dass Gott die ganze Welt besaß und er nichts. Es reichte ihm nicht mehr, nur der Herr der Unterwelt zu sein. Er wollte einen Teil der Erde, wo er herrschen konnte.
Beim Herrn angekommen brachte er, laut fluchend und brüllend, Funkensterne spuckend, so als ob ein Schmied sein glühendes Eisen schlägt, sein Anliegen vor.
Er sei genauso mächtig, wie der Schöpfer der Welt. Er hätte einen Anspruch auf einen Teil der Welt.
Als er mit seinem Gekeife und Gefluche fertig war, überlegte Gott ein Weilchen und machte dem Teufel schließlich ein Angebot. „Das Stück Land, um das du von Sonnenuntergang bis zum ersten Hahnenschrei eine Mauer ziehen kannst, soll dir gehören. Schafft du es aber nicht, die Mauer fertig zu stellen, noch ehe der erste Hahn kräht, sollst du dorthin zurückkehren, woher du gekommen bist und nie mehr auf der Erde wandeln.“
Der Teufel war einverstanden. Hatte er doch eine ganze Armee von Dämonen. Die ihm behilflich sein konnten. Ein riesiges Reich würde er sich zu Eigen machen. Und würde er erstmal auf der Erde herrschen, könnte er auch andere Länder erobern, so der teuflische Plan des Bösen.
Also fuhr er in seinem Feuerwagen zurück zur Erde und beschwor alle Dämonen der Finsternis und alle Seelen der Verdammnis herauf, ihm zu helfen die Mauer zu bauen.
Die Bauernfamilien verschanzten sich in ihren Stuben, zündeten geweihte Kerzen an und beteten zu allen Schutzheiligen, Während draußen der Teufel mit seinem Dämonen in Windeseile die Mauer durch die Landschaft zogen. Schließlich kam der Bau in die Nähe des Hofes von Bauer Jakob an.
Aufgeschreckt, durch den dämonischen Lärm, flatterte der Hahn des Hofes aus seinem Stall auf den Misthaufen und krähte aus Leibeskräften.
Der Teufel hielt inne. Das konnte doch nicht sein. Es war doch gerade erst Mitternacht vorbei. Wie ein feuriger Blitz fuhr er auf den Hof und drehte dem armen Vieh den Kragen um. Aber, es war zu spät. Er hatte verloren. Die Wolkendecke riss auf und die donnernde Stimme des Herrn war zu vernehmen. „Das war der erste Hahnenschrei. Kehre nun zurück, woher du gekommen bist!“
Der Teufel aber war so zornig, dass er mit lautem Gefluche über die Mauer fuhr und sie zerstörte. Nach allen Richtungen flogen die Steine und Balken durch die Gegend.
Die Überreste der Mauer aber ziehen sich noch heute schnurgerade durchs Frankenland.
Epilog.
Die Überreste dieses Bauwerks, das sich schnurgerade, nicht nur durch Franken zieht, stammen natürlich nicht vom Teufel. Es sind die Überreste der nördlichsten Grenze des einstigen römischen Reiches. Der Limes.
Nach dessen Untergang geriet der Sinn und Zweck dieses Bauwerks relativ schnell in Vergessenheit.
Und was man sich nicht erklären konnte, hatte man im Mittelalter gerne Teufeln und Dämonen angedichtet.
Funde von mehreren Kastellen und römischer Artefakte entlang des Limes führten schließlich dazu, dass die Mauerruine in das Welterbe der UNESCO aufgenommen wurde. Nicht zuletzt, um eine endgültige Zerstörung durch Land- und Forstwirtschaft, sowie ein nochmaliges „Vergessen“ dieser logistischen Meisterleistung des einst so mächtigen römischen Reiches zu verhindern.
Texte: Cover und Text: Roland Schilling
Tag der Veröffentlichung: 03.02.2012
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