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Das Lied der Maus

 

Das Lied der Maus

 

Von Roland Schilling



Es war kalt. Bitterkalt. Die kleine Maus tapste über den hart gefrorenen Boden. Sie fand nichts zu essen. In die Häuser und Keller der Menschen traute sie sich nicht, wegen der fiesen Katzen.
Das einzige Gebäude, in dem sie ab und zu Unterschlupf suchte, war die kleine Kirche des Dorfes.
Dort war sie geschützt, vor dem eisigen, schneidenden Wind. Ab und zu stellte ihr der Organist, der gleichzeitig auch Dorfschullehrer war, ein Schälchen Milch mit einigen harten Brotkrusten hin. Das durfte aber keiner wissen. Wie würden da die Frauen des Dorfes reagieren. Eine Maus in einer Kirche.
Die Maus suchte also das Schälchen Milch. Sie hatte so einen Hunger. Aber, so sehr sie auch suchte. Sie fand weder Milch, noch Brot. Alles, was sie fand, war dieses komische Ding, hinter der Orgel. Sie wusste nicht, was es war. Es roch aber irgendwie tierisch. Es war braun und weich. Die Maus fing an, daran zu knappern. Es schmeckte zwar nach nichts, stillte aber den Hunger. Müde schlich sich die kleine Maus schließlich nach Hause. Sie hatte sich im Holzstoß vor dem Pfarrhaus ein kleines Nest gebaut, wo sie wenigstens vor dem schneidend kaltem Wind etwas geschützt war.
Am nächsten Morgen wurde sie durch laute Stimmen geweckt, die aus der Kirche zu ihr drangen. Und da Mäuse nun mal von Natur aus neugierig sind, trippelte sie im Eiltempo zur Kirche. Dort waren der Pfarrer und der Organist, die sich über etwas furchtbar aufregten. „ Der Blasebalg ist kaputt, da ist nichts mehr zu machen. Und ohne Blasebalg keine Musik.“ Der Pfarrer, der Organist und die Maus begutachteten das braune Ding, in das die Maus ein Loch gebissen hatte. Sie hatte schon oft dem Organisten gelauscht, wie er aus dem großen Kasten mit den schwarzen und weißen Tasten Musik hervor gezaubert hat, aber dass das komische Ding etwas damit zu tun hatte, wusste sie nicht. Die beiden Männer waren sehr verzweifelt, denn bald war Heiligabend. Und eine Christmette ohne Orgel und Gesang, war einfach nicht dasselbe. Die Maus konnte sich an das Weihnachtsfest im letzten Jahr erinnern. Der festliche Tannenbaum, die fröhlichen Menschen und die ergreifende Musik des Organisten. Es war wie ein Stück Himmel auf Erden, mitten im kalten Winter. Und dieser Zauber sollte wegen ihr jetzt vorbei sein?
Am Abend konnte die Maus nicht schlafen, weil sie sich so viele Gedanken machte. Ausgerechnet ihrem Freund, dem Organisten musste sie so etwas antun. Sie beschloss, zu seinem Haus zu gehen, um zu sehen, wie es ihm ging. Es kostete sie sehr viel Überwindung, da sie noch nie zuvor im Haus eines Menschen war. Man muss dazu sagen, dass die Häuser damals in dieser Gegend sehr einfach gebaute Holzhäuser waren, bei denen eine Maus immer ein Schlupfloch finden konnte, um hinein zu gelangen. Die Maus schaffte es schließlich bis ins Schlafzimmer ihres Freundes. Und der hatte auch einen ziemlich unruhigen Schlaf. Er wälzte sich, von Sorgen geplagt, hin und her. Die Maus kletterte auf den Nachttisch, um so nah, wie möglich bei ihm zu sein. „ Es tut mir so Leid.“ Piepste sie. Doch er hörte sie nicht. Da fiel der Maus ein Lied ein, das ihre Mutter immer gesungen hatte, wenn sie nicht einschlafen konnte. Und die Maus fing an zu singen: „ Lahh la la lahh. Lahh la la lahh...“ Schließlich zeigte sich ein Lächeln auf dem Gesicht des Organisten und er schlief friedlich und fest.
Am nächsten Morgen waren der Organist und der Pfarrer wieder in der Kirche und auch die Maus wollte wissen, ob sie inzwischen schon eine Idee hatten , wie sie das Weihnachtsfest retten konnten.
„ Für eine Reparatur fehlt uns das Geld. Außerdem würden wir jetzt sowieso niemanden mehr bekommen, der es reparieren könnte.“ Sagte der Pfarrer. Der Organist stimmte ihm stumm nickend zu. „ Das wird eine stille Nacht, diese heilige Nacht.“ seufzte der Pfarrer. Da erhellte sich die Mine des Organisten. „ Ich hab da eine Idee!“ Rief er. „ Ich krieg da seit gestern diese Melodie nicht mehr aus dem Kopf.“ Der Pfarrer sah ihn fragend an. „ Also ob, gestern Nacht, ein Engel sie mir vorgesungen hätte.“ Versuchte er zu erklären. „ Komm einfach mit und ich erklär es dir..“
Die Maus kam fast um, vor Neugierde. Sie konnte es kaum erwarten bis es Heiligabend war.
Endlich war es so weit. Die Glocken der Kirche riefen zur Christmette. Die Maus schlich sich in die voll besetzte Kirche. Sie musste acht geben, dass sie ja niemand sah. Und dann sah sie den Pfarrer und den Organisten neben dem mit zahlreichen Kerzen beleuchteten Baum. Der Pfarrer spielte auf einer Blockflöte und der Organist saß neben ihm und hatte eine Gitarre auf dem Schoß, auf der er spielte. Plötzlich strahlten die Äuglein der Maus, denn sie erkannte ihre Melodie. Die Melodie, die sie ihrem Freund vorgesungen hatte, weil der vor Sorgen nicht schlafen konnte. Und dann sang der Organist und die ganze Gemeinde. Sie sangen das Lied der Maus.
„ Stille Nacht, heilige Nacht.
Alles schläft, einsam wacht.
Nur das traute, hoch heilige, Paar.
Holder Knabe, im lockigen Haar.
Schlaf in himmlischer Ruh.
Schlaf in himmlischer Ruh.

Stille Nacht, heilige Nacht.
Gottes Sohn, o wie lacht.
Lieb aus deinem göttlichen Mund,
da und schlägt die rettende Stund.
Christ in deiner Geburt.
Christ in deiner Geburt.

Stille Nacht, heilige Nacht.
Hirten erst, kund gemacht,
durch der Engel Halleluja.
Tönt es laut von fern und nah:
Christ, der Retter ist da.
Christ, der Retter ist da.“

Epilog



Das Lied, „ Stille Nacht“, ist eines der wenigen, alten Weihnachtslieder, von denen man weiß, wer es getextet und komponiert hat.
Uraufgeführt wurde es 1818 von Dorfschullehrer und Organist Gruber und Hilfspfarrer Mohr in Oberndorf bei Salzburg.
Anders, als in der Geschichte, fiel den beiden der Text nicht erst kurz vor der Uraufführung ein, wo der Pfarrer sagt: „ Das wird eine stille Nacht, diese heilige Nacht.“ In Wirklichkeit schrieb Mohr den Text als Gedicht bereits zwei Jahre früher.
Organist Gruber komponierte dann kurz vor Heiligabend 1818 eine Melodie zu diesem Gedicht weil, wie in der Geschichte, die Orgel nicht bespielbar war und man ein möglichst einfaches und dennoch festliches Lied brauchte, das man nur mit Gitarren Begleitung vortragen konnte.
Die Blockflöte habe ich dann, wegen der noch festlicheren Stimmung dazu gedichtet.
Ob die Orgel damals tatsächlich wegen Schäden, die durch Mäuse verursacht wurden lahm gelegt wurde, ist nicht überliefert, aber sehr wahrscheinlich.
Und ob dann tatsächlich eine kleine Maus dem Dorfschullehrer Gruber die Melodie ins Ohr gesummt haben soll, die dann zum beliebtesten und meist gespielten Weihnachtslied der Welt werden sollte, wer weiß?

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Tag der Veröffentlichung: 18.12.2011

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