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Oktoberwald





Die Nebel des Morgens haben sich fast verzogen. Nur einige Schleierreste ziehen noch über die Felder. Die aufgehende Sonne , die die Landschaft in ein magisches Licht taucht, wird auch sie noch beseitigen. Ich mag die kalte Jahreszeit nicht. Ich mag die Sonne, die Wärme. Ich mag es, wenn sie mich morgens weckt und die Luft am offenen Fenster nach Freiheit riecht.
Nur ein paar Schritte noch entlang der abgeernteten Felder hin zum Wald. Der schon zu so früher Stunde, dank der hinter ihm aufgehenden Sonne, eine Leuchtkraft besitzt, die einen magisch anzieht. Ich mag die nasse Kälte des Herbstes nicht, doch ich mag seinen Farben. Das eine kann man nicht haben, ohne das andere in Kauf nehmen zu müssen.
Man kann sich die Farben des Herbstes auf Bildern ansehen, oder in Filmen.
Aber es ist nicht das gleiche.
Man hat nicht den Geruch taufeuchter Erde in der Nase, spürt nicht das Rascheln der zentimeterdicken Laubschicht des Waldes unter seinen Füßen.
Erlebt nicht die herrliche Einsamkeit des erwachenden Waldes.
Ich beobachte ein Eichhörnchen, das emsig Futter für den Winter sammelt. Es hat keine Zeit für mich. Noch nicht einmal Zeit, Angst vor mir zu haben und sich vor mir zu verstecken. Es hat wichtigeres zu tun, als vor mir davon zu laufen. Es muss sammeln, damit es den Winter überlebt. Das ist das wichtigste, was es gibt.
Auch Menschen wollen überleben. Wollen den Winter überleben, wollen die nächsten Jahre überleben.
Wollen das Leben überleben.
Mit ihrem unbändigen Überlebenswillen, ersticken sie die Natur mit ihrer Zivilisation.
Wenn das Eichhörnchen genug für den Winter gesammelt hat, kann es zufrieden dem Frühjahr entgegensehen.
Im Sommer ist der Weg, den ich jetzt gehe ein beliebter Wanderweg. Dann sieht man Gruppen von Menschen, ihre Probleme laut diskutierend, schnellen Schrittes durch den Wald hasten. Ihr Ziel ist das alte Försterhaus, das zu einer Gaststätte mit Biergarten umgebaut wurde.
Ich vermisse diese Sommerwandermenschen nicht. Im Herbst gehört der Wald denen, die die Natur zu schätzen wissen und den Eichhörnchen.
Ich knöpfe meine Jacke noch etwas fester zu und stelle den Kragen auf. Es ist kühl geworden. Es ist immer am kühlsten, wenn die Sonne aufgeht.
Ich gehe weiter durch das Laub des Waldes das unter meine Füßen raschelt. Die Sonne steigt langsam höher und bietet mir ein zauberhaftes Farbenspiel mit den bunten Blättern der Bäume.
Die ersten Vögel, die sich noch nicht auf die Reise in den Süden gemacht haben erwachen und stimmen ihren Morgengesang an.
Ein Wort kommt mir in den Sinn.“ Indian Summer.“
Ich bleibe stehen. Schaue nach oben. In die mächtigen, bunten, leuchtenden Laubkronen der Bäume. Und lausche dem vielstimmigen Gesang der Vögel.
Und ich fühle mich als ein Teil dieser großartigen Natur.
Ja, wahrhaftig, ich liebe den Herbst.

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Texte: Roland Schilling
Bildmaterialien: Roland Schilling
Cover: Roland Schilling
Tag der Veröffentlichung: 15.10.2011

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