Fantasie ist eine eigene Welt und jeder hat sie, man muss sie nur finden.
Ich formte mit meinen tauben Fingern den nächsten Schneeball und hielt Ausschau nach ihm. Er musste hier ja irgendwo sein. Um nicht selber ausversehen in seine Schussbahn zu kommen, duckte ich mich hinter einen Baum und suchte dann den kleinen Vorgarten ab. Wo war er nur? Es gab nur zwei Bäume, hinter dem einen versteckte ich mich und der andere war viel zu schmal, als das man dich dahinter verstecken könnte. Wahrscheinlich war er hinter der Hauswand und wartete darauf, dass ich meine Deckung aufgab. Ich grinste. Darauf konnte er lange warten. Aber ich hatte eine Idee. Ich schlich mich langsam hinter dem Baum hervor, auf die andere Seite meines Hauses zu. Wenn ich um das Haus herumgehe, könnte ich ihn von hinten überraschen. Ich rannte schnell über den matschigen Schnee, auf die Hausecke zu. Doch kurz bevor ich sie erreichen konnte, wurde ich von einem Schneeklumpen getroffen, stolperte und fiel hin. Mein sorgfältig geformter Schneeball fiel auf den Boden und zerbrach. Ich hörte sein Lachen und sah zu ihm auf. Er war wie erwartet an der Hauswand und kam jetzt auf mich zu. Ich rappelte mich schnell auf, klopfte mir den Schnee von der schon hoffnungslos durchnässten Hose und von meiner dicken Winterjacke. „Alles okay?“ rief er und lachte immer noch. Ich streckte ihm die Zunge raus. Das brachte ihn noch mehr zum Lachen, er krümmte sich und hielt sich den Bauch. Schnell raffte ich Schnee vom Boden auf, nahm ein wenig in beide Hände, rannte zu ihm und schüttete es ihm in den Nacken. Erschrocken hörte er sofort auf zu Lachen. Sein Gesicht war witzig. Das brachte mich zum Lachen. „Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“ Sagte ich und er funkelte mich amüsiert an. „Na warte..“ drohte er spielend und bückte sich um schon den nächsten Schnee aufzusammeln. Ich wich zurück und machte mich ebenfalls auf eine neue Kälteattacke gefasst. Doch gerade als wie beide uns wieder besinnungslos mit Schnee bombardieren wollten, rief meine Mutter von drinnen. „Ihr müsst doch völlig durchgefroren sein. Kommt rein und trinkt erst mal einen warmen Kakao, während eure Sachen trocknen. Ihr holt euch ja noch den Tod!“ Ich sah meinen Spielgefährten an und er nickte. Ich ließ meinen Schnee fallen und lief schnell ins Warme. Drinnen zogen wir uns schnell die nass-kalten Sachen aus, wickelten uns in die warmen Decken, setzten uns vor den knisternden Kamin und schlürften unsere heiße Schokolade. Langsam tauten Finger und Zehen wieder auf und man konnte sie wieder fühlen. Mein Blick fiel auf die festlich dekorierten Fenster und Regalborten, die schon mit weihnachtlichem Schmuck versehen waren. Auch der große Tannenbaum war schon geschmückt, mit großen, goldenen und roten Kugeln, kleinen Weihnachtengeln und Glitzerschmuck. Mama, Papa, mein Schneekampfrivale und ich hatten ihn gestern zusammen gekauft und ihn fertig geschmückt. Seine Eltern mussten gestern und heute überraschender Weise arbeiten, deswegen hatte er bei mir geschlafen. Und als Dankeschön an uns und als eine Art Entschuldigung, dass sie so kurz vor Heiligabend nicht da waren, feierten wir alle zusammen Weihnachten. Ich freute mich schon sehr darauf, denn ich kannte ihn schon sehr lange und hatte das Gefühl es waren viel mehr Jahre, als wirklich waren. Er war mein bester Freund, seit ich den ersten Tag im Kindergarten war. Damals wollte niemand mit mir spielen, alle haben mich gemieden, weil ich ‚die Neue‘ war. Wir waren nämlich gerade erst hergezogen und ich hatte noch keinen gekannt. Doch er hatte sich zu mir gesetzt und mit mir gespielt. Seitdem waren wir unzertrennlich. Er wohnte gegenüber von uns und jetzt in der Winterzeit machte es uns besonders viel Spaß draußen zu sein. Der Schnee lag in diesem Jahr höher als sonst, weswegen wir viele Schneemänner bauen und viele Schneeballschlachten machen konnten. In meinen ganzen zehn Lebensjahren hatte ich noch nie einen so schönen Winter gehabt. Und es würde der letzte sein, den ich so mit meiner Familie und meinem Freund verleben würde. Am Neujahrstag werde ich in einen Zug gesetzt und auf ein Internat geschickt werden. Es war nicht die Entscheidung meiner Eltern, sondern die Entscheidung der Leiter der Schule. Sie hatten mich dafür ausgewählt an ihrer Schule lernen zu dürfen. Es war nämlich keine normale Schule. Ich würde dort keine hohe Mathematik lernen, Kommasetzung oder die homologe Reihe der Alkane, sondern ich würde lernen zu kämpfen, zu überleben und mich zu verteidigen. Meine Familie wusste nichts davon, doch vor ungefähr einem Monat wurde ich über die Schule aufgeklärt. Ich sollte es niemandem sagen und das hatte ich auch nicht. Selbst mein bester Freund wusste nichts davon. Er wird auch auf ein Internat gehen, aber seines war in Amerika. Seine Eltern arbeiten viel und lange, deswegen hatten sie ihn auf ein qualifiziertes Internat geschickt, dass perfekt auf ihn abgestimmt war. Mein Internat war in England, am anderen Ende der Welt. Ich hatte nur noch sieben Tage mit ihm und bei dem Gedanken, ihn vielleicht nur noch in den Ferien sehen zu können, wurde mir fast übel. Was sollte ich den ohne ihn tun? Ich war doch vollkommen aufgeschmissen ohne ihn an meiner Seite, ohne ihn, der mich vor miesen Klassenkameradinnen oder vor gemeinen Jungs beschützte. Seit ich wusste, dass unsere Wege sich trennen würden, hatte ich diese Gedanken verdrängt. Ich wollte die letzten Tage mit ihm als wunderschön in Erinnerung behalten, ohne den grauen Schatten der Zukunft. „Hey, guck mal.“ Sagte er und riss mich aus meinen trübseligen Gedanken. Er hob die Hände und warf mit seinen Fingern Schatten an die Wände. Mal einen Hasen, ein Krokodil und sogar einen Vogel. Ich lachte. Meine Mutter kam herein und lächelte uns an. Auch sie wollte nicht wirklich, dass ich so weit weggehe, aber wenn ich dadurch ein gutes Leben bekommen würde und glücklich bin, war sie bereit dieses Opfer aufzubringen. „Na los, macht euch schnell fertig. Wir müssen in die Kirche.“ Ich seufzte theatralisch. Ich fand Kirche langweilig. Mein Freund neben mir und meine Mutter kicherten beide leise. Dann richtete sie sich an meinen Freund. „Deine Eltern haben gerade angerufen, sie warten schon in der Kirche auf uns.“ Ein glückliches Lächeln trat auf sein Gesicht und ich sprang schnell auf. „Na los, komm schon.“ Sagte ich. Er sah seine Eltern viel zu wenig und dies war einer der letzten Momente für ihn sie zu sehen. Wir zogen uns alle schnell an und machten und auf den Weg in die Kirche. Seine Eltern waren tatsächlich schon da und hatten uns Plätze freigehalten. Sobald er sie gesehen hatte, zwängte er sich durch die anderen Besucher, rannte auf sie zu und fiel seiner Mutter in die Arme. Sie drückte ihn fest an sich und küsste ihn auf Haar. Dann umarmte er auch seinen Vater. Dieser hob ihn hoch sagte etwas mit einem breitem Lächeln im Gesicht, setzte ihn dann ab und wandte sich an uns. „Danke noch mal, dass ihr so kurz vor Weihnachten auf ihn aufgepasst habt.“ Sagte er und deutete auf die freien Plätze. „Das haben wir doch gerne gemacht.“ Sagte mein Vater und folgte meiner Mutter auf seinen Platz. Ich setzte mich neben sie, dann setzte sich mein Freund zu meiner anderen Seite und dann seine Eltern. Gebannt sahen wir dem Krippenspiel zu und erwarteten sehnsüchtig das Ende des Gottesdienstes, denn die Geschenke lagen bestimmt schon zuhause unter dem Baum. Ich hatte mir etwas Besonderes als Geschenk überlegt, damit mein bester Freund mich niemals vergessen würde. Als wir im Sommer am See waren, hatte er einen Stein gefunden. Wenn man ihn im Schatten ansah, war er einfach nur grau. Wenn man ihn jedoch in die Sonne hielt, schimmerte er blau, rot und grün. Diesen Stein hatte ich mithilfe meiner Eltern zu einem Ring schmieden lassen. Der Stein war jetzt eingefasst in einer Kuhle des Silberrings. Der Ring um den Finger bestand aus zwei Bögen, die von dem Stein abgingen und die sich hinter dem Finger kunstvoll verschnörkelten. Er würde ihn jetzt noch nicht tragen können, aber es würde ihn hoffentlich an mich erinnern, wenn er in seinem Internat in Amerika war. Als der Gottesdienst zu Ende war, fuhren wir in zwei Autos zurück nach Hause und setzten uns alle an den großen Esstisch. Wir aßen kleine Würstchen, Brötchen und Käsespieße, bis wir es schließlich nicht mehr aushielten. Ich bekam viele Dinge für meine neue Schule. Eine neue Tasche und allerlei anderen Schulkram. Aber ich bekam auch ein Fotoalbum, mit wunderschönen Fotos, von mir, meinen Eltern, meinem Freund und seiner Familie. Alle freuten sich über ihre Geschenke, bis schließlich nur noch ich und er eines vor uns liegen hatten. Sein letztes Geschenk war der Ring. Ich wartete und wollte seinen Gesichtsausdruck sehen, wenn er ihn sah. Er öffnete das Papier und das funkelnde Silber kam zum Vorschein. Er hob ihn vorsichtig heraus und sah ihn aufmerksam an. Dann klappte sein Mund auf und er sah mich an. „Ist das von dir?“ fragte er fassungslos. Aus dem Augenwinkel konnte ich die Eltern lächeln sehen. Ich nickte und sah ihn an. Er warf noch einen Blick auf den Ring hinunter drehte ihn leicht und man konnte die bunte Oberfläche sehen. Plötzlich stand er auf und kam zu mir. Er umarmte mich und flüsterte mir etwas ins Ohr. „Danke. Er ist wunderschön, ich werde ihn immer behalten.“ Ich umarmte ihn kurz zurück, doch dann wich er zurück und sah auf mein letztes Geschenk hinunter. „Ich glaube, meines ist nicht ganz so gut.“ Sagte er. Neugierig nahm ich es in die Hand und riss das Papier auf. Ein langes Lederband kam zum Vorschein, mit einer schwarzen Perle daran, die im Licht funkelte und glitzerte. Fasziniert schaute ich darauf. „Es ist unglaublich.“ Hauchte ich und sah ihn dann an. Ich umarmte ich auch kurz und hängte sie mir um. Jetzt hatte ich auch etwas von ihm, etwas was mir vielleicht Halt geben wird, wenn ich mich einsam und verlassen fühlen würde in dem Internat. Der Rest des Abends verging schnell, ich brachte meine Geschenke in mein Zimmer und verstaute sie. Kurze Zeit später gingen unsere Besucher auch und bedankten sich noch mal für den tollen Abend und die Geschenke. Ich sagte meinen Eltern gute Nacht und machte mich schnell bettfertig. Als ich im Bett lag und es dunkel war, merkte ich, dass ich viel zu aufgewühlt war, um schlafen zu können. Ich griff unter mein Schlafshirt nach der Kette und nahm die kleine, schwarze Perle in die Hand. Sie fühlte sich glatt an meiner Haut an, doch an einer Stellte war sie rau. Als ob etwas hineingeritzt worden war. Ich tastete nach dem Schalter meiner Nachtlampe und sah mir das kleine Schmuckstück genauer an. Und da war wirklich etwas eingeritzt worden. Drei Wörter um genau zu sein. Raven + Ray…
Ich lief schnell durch die kühlen Gänge und meine Stiefel klackten laut in der Stille. Ich würde zu spät kommen, dachte ich düster und beschleunigte meine Schritte noch mal. Als ich vor der Tür ankam, sah ich die anderen schon drin stehen und dem Lehrer zuhören. Leise huschte ich hinein, schlüpfte in die Umkleidekabine und zog mir schnell die anderen Sachen an. Dann stellte ich mich schnell mit in die Reihe. Doch mein verspätetes Erscheinen blieb nicht unbemerkt und Herr Hugd sah zu mir. „Raven, wie schön, dass du uns doch mit deiner Anwesenheit beehrst. Darf ich wissen, wieso du erst jetzt kommst?“ fragte er und einige Mitschüler lachten leise. Ich ignorierte sie, streckte meinen Rücken und sah Herr Hugd unverwandt an. „Ich hatte noch ein wichtiges Gespräch. Ich bitte um Verzeihung.“ Sagte ich. Es stimme sogar. Die Schulleiterin – Frau Dotz – hatte mich nach der zweiten Stunde in ihr Büro gebeten, um etwas Wichtiges mit mir zu besprechen. „Nun gut. Ich werde dir das mal glauben. Aber du kannst uns doch sicherlich sagen, was wir letztes Mal gemacht haben, nicht wahr?“ Ich sah in die Runde. „Aber natürlich. Sie haben uns eine der tödlichen Angriffe gezeigt, die wir nur im Notfall ausführen sollen, weil sie ausschließlich nur für solche Momente gedacht sind. Zum Beispiel wenn uns jemand aus dem Clan der Kämpfer angreift. Der Clan der Kämpfer steht unserem, dem Clan der Jäger, feindlich gegenüber. Sie lassen im Falle einer Konfrontation keine Gnade walten, genauso wenig wie wir, weshalb der Angriff der Kobra sehr effektiv ist.“ Schloss ich. Herr Hugd nickte anerkennend, aber er war noch nicht fertig. „Und wie sieht dieser Angriff aus?“ fragte er weiter. „Man täuscht auf die Brust, das Herz, an. Während der Gegner versucht sich zu schützen, greift man schnell mit der anderen Hand nach seinem Genick und drehte es herum, bis es knackt und der Feind tot ist.“ Herr Hugd nickte wieder zufrieden, wandte sich endlich von mir ab und fuhr mit dem Unterricht fort. Ich konnte den Großteil schon und was ich nicht konnte, lernte ich leicht und schnell. Deswegen wollte Frau Dotz auch mit mir sprechen. Sie hat meine Fortschritte innerhalb der letzten neun Jahre beobachtet und war mehr als zufrieden. Sie hatte mich zu sich gebeten und mir einen Vorschlag gemacht. Eine Stelle als Krieger war frei geworden, nach einer vergangen Auseinandersetzung mit dem Clan der Kämpfer. Sie wollte mich für die Stelle. Das würde bedeuten, dass ich das letzte Ausbildungsjahr überspringen müsste. Ich hatte damit kein Problem, denn ich hatte weder Freunde, noch irgendetwas anderes, was mich dazu veranlassen sollte, noch ein Jahr zu warten. Ich hatte also ihr Angebot angenommen und war jetzt ein Krieger des Jägerclans. Das hörte sich doch ganz gut an. Sie Stunde ging schnell vorbei und ich zog mir schnell wieder meine Hose und mein Top an. Niemand sprach mit mir und ich verließ schnell die kleine Gruppe. Ich hatte seit Ray keinen Freund mehr gehabt und eine Freundin schon gar nicht. Sie alle passten einfach nicht zu mir, sie waren anders und entweder mochte ich sie nicht oder sie gingen mir aus dem Weg. Aber ich war die letzten neun Jahre gut allein ausgekommen und ich würde auch noch die letzten paar Tage allein auskommen. Gedankenverloren ging ich durch die Gänge und rollte die kleine, schwarze Perle in der Hand umher, bis ich angerempelt wurde. Es waren drei Jungs aus dem Jahrgang über mir, die mich finster ansahen. Ich wollte gerade wieder loslaufen, als ich am Arm festgehalten wurde und zu ihnen zurückgezogen wurde. „Wo wollen wir denn so schnell hin?“ fragte einer und beäugte mich. Idioten wie diese hier liefen hier zahlreich herum. Sie rissen immer groß die Klappe auf und zogen letzten Endes doch den Schwanz ein. „Ich hab gerade keine Zeit für euch, lass mich los.“ Sagte ich gelangweilt und wollte schon wieder loslaufen, als ich wieder an meinem Arm unsanft zurückgezogen wurde. Mit einem Fauchen drehte ich mich zu ihnen herum und drehte demjenigen, der mich festhielt den Arm herum und befreite mich. Dieser jaulte kurz auf und sah mich böse an. Seine Freunde wollten auf mich losgehen und ich seufzte. Darauf hatte ich jetzt echt keine Lust. Einer griff nach meinen Haaren, der andere wollte mir gegen das Schienbein treten. Ich ergriff die Hand des einen und das Bein des anderen und zog beides mit einem Ruck zu mir. Sie stolperten und fielen und der andere, der immer noch seinen Arm hielt, sah mich ängstlich an. Ich schnaubte und ging den Gang hinunter. Ich wollte jetzt einfach nur in mein Zimmer, ein Buch lesen und dann schlafen. Ich kam ohne weitere Zwischenfälle an und zog mich schnell um. Dann kuschelte ich mich in das vertraute Bett und wollte nach meinem Buch greifen, was auf dem kleinen Schränkchen neben dem Bett stand, doch da merkte ich wie müde ich eigentlich war und beschloss, so schlafen zu gehen. Ich schaltete die kleine Lampe aus und drehte mich auf die Seite. Bald würde ich nicht mehr solchen Idioten begegnen, ich würde nicht mehr diesen eingebildeten Zicken und besserwisserischen Idioten meiner Klasse ausgesetzt sein. Ich würde eine Kriegerin sein. Etwas, wovon einige hier nur träumen konnten. Ein seltenes Lächeln huschte über mein Gesicht und glücklich über meine Zukunft schlief ich ein.
In der nächsten Woche war alles ein wenig anders. Mein Lehrer, Herr Hugd, war netter als sonst, wahrscheinlich weil er wusste, dass einer seiner Schüler vorzeitig ein Krieger geworden ist und stolz auf mich oder viel eher auf sich war. Meine Mitschüler sahen mich mit verstohlenen Blicken an und manche trauten sich sogar mich anzusprechen. Sie alle wollten wohl gerne mehr über die Kriegerin im neunten Ausbildungsjahr erfahren. Aber der Zug ist abgefahren. In einem Gespräch mit Frau Dotz wurde mir erklärt, dass ich in einem Gebäude des Clans ein Apartment bekommen würde. Ich würde keine festen Arbeitszeiten haben, müsste dafür aber immer bereit stehen, denn wir konnten jeden Moment angegriffen werden. Ich freute mich schon darauf. Eine Woche danach zog ich ihn die Wohnung, die vier Zimmer hatte. Zwei Zimmer, die ich einrichten konnte wie ich will, eine Küche und ein Badezimmer. Ich packte meine geringe Garderobe in einen Kleiderschrank, der in einem der Zimmer stand und schaute mir alles genauer an. Ich würde ein festes Gehalt bekommen, von dem ich mehr als gut leben konnte. Am zweiten Tag ging ich erst mal einkaufen und machte es mir in meinem neuen Zuhause gemütlich. Ich hatte sogar ein Telefon. Im Internat hatte man einmal in der Woche die Möglichkeit zu telefonieren. Gleich am zweiten Abend schnappte ich mir den Hörer, setzte mich auf mein Bett und wählte die vertraute Nummer. „Hallo, wer da?“ fragte die Stimme meiner Mutter. „Hey, Mama! Ich bin es Raven! Du glaubst ja gar nicht, was mir passiert ist!“ platzte ich heraus. Fast im selben Moment fiel mir ein, dass ich doch nichts sagen durfte. Sie durfte nie erfahren, was ich war, weshalb ich es war und was ich machte. „Jetzt bin ich aber neugierig.“ Antwortete sie. Na toll. Aber einen gewissen Teil konnte ich doch sagen, oder? „Ich habe jetzt eine Wohnung. Ich habe einen Nebenjob und kann mir jetzt eine eigene Unterkunft leisten.“ Sagte ich. In gewisser Weise stimmte das ja auch. Ich hatte einen Job, auch wenn es kein Nebenjob war, und eine eigene Unterkunft, die ich mir leisten konnte. „Das freut mich. Und wie ist es so?“ „Ich hab sie erst seit gestern, aber bisher ist es wundervoll.“ Schwärmte ich. Ich hörte sie lachen. „Ja, so ging es mir auch bei meiner ersten Wohnung.“ Wie redeten noch eine Weile, wobei ich das Thema ‚Schule‘ und ‚Job‘ mied. Nach einer halben Stunde legte ich schließlich auf und machte mir etwas zu Essen. Ich hatte mittlerweile richtig Hunger. Gerade, als ich mich an den Tisch setzen und über meine Nudeln herfallen wollte, klopfte es an der Tür. Nicht viele wussten, dass diese Wohnung bewohnt war, hatte mir die Schulleiterin gesagt. Also stand ich mit einem Seufzen auf und öffnete die Tür. Ein älterer Mann stand davor und warf einen kritischen Blick auf meine Klamotten. Ich hatte mir vorhin nach der Dusche nur eine Jogginghose und ein Top angezogen und meine Haare waren bestimm auch zerzaust. „Miss Raven?“ fragte er. In der Schule des Jägerclans wurde man nur mit dem Vornamen angesprochen. Ich nickte und bat ihn herein. Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht. Vielleicht war er doch nicht so spießig, wie ich dachte. „Nein, danke. Ich bin nur kurz hier um ihnen das zu geben.“ Sagte er und gab mir einen Umschlag. Ich bedankte mich und dann war er auch schon wieder weg. Wieder in der Küche schob ich den Teller mit Essen beiseite und öffnete den Brief.
An Miss Raven,
wir heißen sie willkommen im Clan des Jägers. Anlässlich ihres Beitritts bitten wir sie zu einer Audienz unserer Gemeinschaft, um sie in ihre Tätigkeit als Krieger und Verteidiger ihres Clans einzuweisen.
Ihre Anwesenheit ist verpflichtend und sie werden um 22.00 Uhr erwartet.
O. Dotz
Eine Audienz? Und die um zweiundzwanzig Uhr? Das ist aber ziemlich spät für ein Treffen, oder nicht? Ich schob das Schreiben beiseite und aß meine Nudeln, die mittlerweile kalt waren. Danach spülte ich den Teller ab, machte das Licht überall aus, zog mir Schlafsachen an und versuchte zu schlafen. Aber mir ging dieses Schreiben nicht mehr aus dem Kopf. Was wollten die von mir? Ich wusste doch eigentlich schon alles. Ich wusste, wie ich mich verteidigen und angreifen kann. Und mehr musste man doch nicht können, oder? Ich hatte doch eine neunjährige Ausbildung hinter mir, die sich auf genau das spezifierte. Aber wenn die unbedingt wollten, dass ich dahin gehe, werde ich das auch tun. Vielleicht ist ja auch ganz nützlich. Ich drehte mich auf die andere Seite und schloss die Augen. Automatisch wanderte meine Hand zu der kleinen Perle an dem alten Lederband. Wie jeden Abend umschloss ich sie mit der Hand. Es war das einzige, was mir noch geblieben war. In all den Jahren hat sich alles immer wieder geändert, nichts war geblieben. Nur dieses Schmuckstück ist immer da gewesen. Obwohl es nur Holz und Leder war, war es das Wertvollste in meinem Leben. Es erinnerte mich an Ray, an jenen Tag, an dem er mir die Kette geschenkt hatte. Heiligabend. Die Schneeballschlacht. Ich fragte mich, was er wohl gerade machte. Wo er war. Wie es ihm ging. Ich habe ihn seit damals nicht mehr gesehen. Silvester hatten wir zusammen gefeiert und als wir um kurz nach zwölf wieder rein sollten, haben wir uns das letzte Mal gesehen. Wir beide hatten es damals gewusst und wollten es doch nicht wahrhaben. Ich hatte ihn umarmt und ihn einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange gegeben. Er hatte gegrinst und gemeint, dass es nicht das Ende der Welt sei und wir uns schon wiedersehen würden. Aber dabei hatte er so traurig geguckt, als ob wüsste, dass das nie passieren würde. Ich hatte nicht einschlafen können und mir die schlimmsten Gedanken wegen der neuen Schule gemacht. Im Morgengrauen war ich dann doch eingeschlafen, mit geschwollen und verweinten Augen und um die kleine Perle in meiner Hand zusammengerollt. Mit der Zeit hatte ich mich daran gewöhnt, dass ich Ray nicht mehr sehe, doch am Anfang war es schlimm. Immer wieder hatte ich gehofft, dass er mich hier raus holt. Mich mit nach Hause nimmt und alles so wird wie damals. Aber das ist nie passiert. Mit der Zeit bin ich abgehärtet und habe aufgehört zu hoffen, ihn jemals wiederzusehen. Er ist in Amerika, hatte dort ein normales Leben als High-School-Schüler, nur das er an einem Internat war. Er hatte mich bestimmt schon längst vergessen und sich anderen Dingen zugewandt. Ich seufzte und drehte mich auf die andere Seite. Das war nun wirklich nicht hilfreich beim Einschlafen.
Am nächsten Abend pünktlich um elf Uhr abends stand ich vor dem Büro der Schulleiterin und klopfte. „Herein.“ Ertönte ihre feste Stimme und öffnete die Tür. Sie sah auf und lächelte mich an. „Hallo Raven. Pünktlich, das gefällt mir.“ Sagte sie und stand auf. „Folge mir.“ Ich nickte und wir verließen das große Büro wieder. Wir liefen eine ganze Weile, doch schließlich kamen wir nach einer halben Stunde an einer unscheinbaren Tür auf dem hinteren Hof des Schulgebäudes an. Sie legte die Hand auf die Klinke und sagte leise etwas. Die Tür sprang auf und sie deutete mir, vor zu gehen. Ich tat wie mir geheißen und lief in die Dunkelheit. Frau Dotz nahm eine Fackel von der Wand und leuchtete uns den Weg. Sobald die Tür geschlossen war, fühlte ich mich wie in einem alten Mittelalterfilm. Dunkler Gang, Fackeln und ein mulmiges Gefühl. Nach weiteren fünfzehn Minuten kamen wir in einem kuppelähnlichen Saal an. Frau Dotz steckte die Fackel in einen Halter an der Wand, den dieser Raum wurde mit Strom erhellt. Sie ging wieder vor und wir durchquerten den Raum und kamen in einen anderen. Dort waren kreisförmig an den Wänden Bänke aufgestellt, am Kopf des Raumes ragte ein großes Pult in den Raum hinein und mitten in der Mitte stand ein einziger Stuhl. Und auf den sollte ich mich setzen. Mit einem unguten Gefühl setzte ich mich darauf und schlagartig begann sich der Raum zu füllen. Fast alle Bänke wurden besetzt und schließlich trat ein großer Mann zu dem Pult und ging eine mir verborgene Stufe hinaus, um sie dahinter zu setzen. Er sah auf mich hinunter und alles wurde ruhig. Mein Herz schlug schneller, doch nach außen hin bemühte ich mich, dass mir niemand ansah, wie aufgeregt und verängstigt ich war. „Miss Raven?“ fragte der Mann mit voller Stimme und sah auf mich hinunter. Ich nickte tapfer. Er lächelte leicht, als ob er weiß, wie es mir geht. Vielleicht war das hier doch alles ganz anders, als ich dachte. „Sie sind heute hier um ein vollwertiges Mitglied des Jägerclans zu werden. Stimmen sie dem über ein?“ Ich nickte erneut. „Nun gut. Ich weiß, dass sie für diesen Rang mehr als qualifiziert sind. Jetzt bleibt uns nur noch der letzte Schritt. Schwören sie hier, jetzt und für immer, dass ihre Treue und Loyalität dem Clan der Jäger gehört?“ „Ich schwöre.“ Sagte ich mit festerer Stimme als ich dachte. Der Mann nickte. „Bringt es ihr.“ Rief er mit lauterer Stimme. Was sollte mir gebracht werden? Ich wagte es nicht meinen Blick von dem Mann abzuwenden und wartete. Ich hörte wie hinter mir jemand den Raum betrat. Die Schritte hielten neben mir und der Mann deutete daraus. Langsam wandte ich meinen Kopf und sah eine lächelnde Frau, die mir einen großen Kelch reichte. Die Flüssigkeit darin war dunkel. Ich nahm den Kelch und musste ihn mit beiden Händen nehmen, da er schwerer war, als ich gedacht hatte. Unsicher sah ich mich um, doch alle sahen mich abwartend an. Ich musste das Zeug echt trinken. Ich beäugte es kurz, dann setzte ich den Kelch an meinem Mund und trank alles mit mehreren Schlucken aus. Während ich trank, schmeckte ich nichts, aber nach dem letzten Schluck hatte ich einen würzigen, dunklen Geschmack im Mund. Was war das? Der Kelch wurde mir aus der Hand genommen und Frau Dotz stand plötzlich neben mir mit einem undefinierbaren Gegenstand in der Hand. Erst, als sie ihn an meine Haut setzte, an meinem Schlüsselbein. Es war eine Art Messer. Nur hatte es eine schwarze Spitze. Dieses stach sie jetzt durch meine Haut und zog sie hindurch. Es tat eigentlich gar nicht weh, nur ein leichter Schmerz zeugte von der Wunde. In den Trainingsstunden hatte ich viel schlimmere Verletzungen erleiden müssen. Die Prozedur dauerte ungefähr fünf Minuten. Als sie zurückwich lächelte sich mich an und verschwand wieder. Ich setzte mich wieder gerade auf den Stuhl und sah den Mann an. Doch plötzlich raste immenser Schmerz durch meinen Körper. Durch meinen Bauch, meine Brust, überall. Sogar bis in den kleinen Zeh. Alles tat weh, als ob mir jeder einzelne Knochen zweimal gebrochen wird. Ich keuchte, zwang mich aber ansonsten ruhig zu bleiben. Der Schmerz war unglaublich und ich krümmte mich nach vorn, sodass ich vom Stuhl fiel und mich auf dem Boden zusammenrollte. Die Dunkelheit der Ohnmacht kam schnell näher, doch für mich war es immer noch zu langsam. Die Schmerzen hielten hartnäckig an und zermarterten mich und meinen Körper. Die allmählich herannahende Bewusstlosigkeit verzehrte die Schmerzen langsam und ließ mich endlich wegdriften.
Wir saßen jetzt schon seit ungefähr drei Stunden in dieser dunklen Gasse. Es roch nass und faulig und die Straße, die an der Gasse vorbei ging, war zu dieser Tages-, oder eher Nachtzeit, auch nichts mehr los. Meine Gruppe und ich hatten uns alle hier versteckt und harrten nun schon schmerzhaft lange in ein und derselben Position aus. Unsere Muskeln waren alle verkrampft und ich machte mir immer mehr Gedanken, ob wir so gut sein würden, wenn es wirklich losging. Denn wir hatten die Information bekommen, dass heute Nacht in dieser Gasse ein Treffen des feindlichen Clans der Kämpfer war. Und die wollten ich und meine Gruppe heute Abend überraschen. Wir hatten den Auftrag einen der ihren gefangen zu nehmen, um etwas über den Kämpferclan herauszubekommen, denn die waren in letzter Zeit einfach zu ruhig gewesen. Wir hatten das ungute Gefühl, dass die was planten. Ich sah zu meinen Gefährten, die sich auch schon ungeduldig umsahen. Lange würde ich hier nicht mehr sitzen. Doch dann tat sich was. Eine kleine Gruppe betrat die Gasse und ging mit bestimmten Schritten zu einer kleinen Tür, die direkt neben mir war. Na endlich. Sie schauten sich nur kurz um, aber ansonsten schienen sie unbesorgt. Wir hatten besprochen, dass wir sie überwältigen, sobald sie ein Stück vom Eingang der Gasse entfernt waren. Dann könnten sie uns nicht entkommen und ich, als Anführer der kleinen Gruppe, konnte mir einen rauspicken, der dann den Leitern übergeben wird. Sie waren jetzt fast bei der Tür, bei der wir vorher natürlich geguckt hatten, ob und was dahinter war, als wir uns aus unseren Verstecken schlichen. Wir waren fünf, sie nur drei. Ich sah sie mir genauer an. Es war ein Blonder, er lief zusammengesunken und ohne jegliche Aufmerksamkeit auf seine Umgebung. Dafür hatte er aber ein bemerkenswertes Waffenarsenal bei sich. Der zweite war schon etwas aufmerksamer, hatte dafür nur ein Messer am Gürtel. Und dann war da noch der, der ganz vorne lief. Er lief selbstsicher und kontrolliert auf die Tür zu, die anderen folgten ihm wie selbstverständlich. Er hatte zwei Messer an seiner Hüfte festgeschnallt und eine Halbautomatik. Der war gefährlich. Allerdings sah eher wie jemand aus, der in Pläne eingewiesen wird, als die anderen beiden. Wenn wir etwas Richtiges wissen wollten, war er der Richtige. Und auch der Schwerste, mit Sicherheit. Ich gab ihnen ein Zeichen, dass er mir gehörte. Sie gingen auf die anderen beiden zu und hatten sie schnell erledigt. Mein Ziel blieb stehen und seine Hand wanderte zu seinem Messer. Doch dazu ließ ich es gar nicht kommen und ritzte ihm mit meinem Messer den Arm auf. Es war in ein extremes Schlafmittel getaucht worden, weshalb der Kerl vor mir in ungefähr… hmm, zehn Sekunden tief und fest schläft. Er drehte sich erschrocken zu mir herum, er hatte mich nicht gesehen und sah mich an. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, doch er erstarrte. Seine Hand streckte sich zu der Kette aus, die mir um den Hals hing und nahm sie in die Hand, doch dann brach er zusammen. Was sollte das denn jetzt, fragte ich mich und hob den Koloss auf. Er war schwerer als ich dachte, weshalb ich ihn eher hinter mir her schleifte, als das ich ihn trug. Die anderen kamen hinzu und halfen mir. Um der Ecke stand ein schwarzer Lieferwagen, in den ich den großen Kämpfer zog. Dann setzte ich mich neben ihn und zwei andere aus meinem Team setzten sich zu mir. Das Schlafmittel würde eine Stunde anhalten und die Fahrt dauert eine halbe Stunde, wir hatten also nicht mehr so viel Zeit. Als wir ankamen, riss ich schnell die Tür auf, zog ihn hinaus und hievte ihn in das unscheinbare Gebäude. Dieser dämliche Riese wiegt mindestens eine Tonne. Laut fluchend zog und zerrte ich ihn bis in den großen Raum, in dem wir erwartet wurden. Frau Dotz und Herr Kuhv, der Leiter des Clan der Jäger, standen bereits ungeduldig in der kleinen Halle. Als sie uns sahen, lächelten sie und warfen einen abschätzenden Blick auf den Kämpfer. „Folge uns.“ Sagte Herr Kuhv zufrieden und ging voran. Schwerfällig zog ich den Kerl hinter mir her. Die beiden steuerten auf die unterirdischen Verließe zu. Dort, wo auch die große Folterkammer war. Den beneide ich ganz bestimmt nicht. Unten angekommen, ließ Herr Kuhv ihn in eine der ersten Zellen stecken. Er schloss die schwere Gittertür auf und hielt sie auf, damit ich ihn reinschleppen konnte. Dämlicher Sack. Hätte mir auch helfen können. Ich zerrte den Kerl auf das Bett und ließ ihn dann darauf liegen. Er hatte immer noch seine Messer und seine Waffe an seiner Hüfte, doch die nahm ich ihm jetzt ab und steckte sie mir selber an den Gürtel. Einen kleinen Profit musste ich ja machen, oder?! Der Kämpfer regte sich ein bisschen und seine rechte Hand fiel vom Bett. Eigentlich würde ich auf so was nur unterbewusst achten, falls sie mich angreifen sollte, aber sie erregte meine Aufmerksamkeit. Etwas glitzerte an einem seiner Finger und ich sah genauer hin. Es war ein Ring. Ein silberner mit einem Stein. Vom Fenster, was eingebaut wurde, damit die Gefangen die Freiheit sehen konnten, fühlen konnten, aber doch wissen, dass sie sterben werden, fiel ein wenig Licht hinein, auf den Ring, den Stein. Ich schnappte nach Atem. Der Stein leuchtete rot, blau und grün. Und auch die Fassung kannte ich. Mein Gesicht wanderte zu dem Gesicht des schlafenden Riesen. Die braunen Haare waren kurz und er hatte ein wunderschönes Gesicht, kantig und maskulin. Und so schmerzhaft vertraut. Ich kannte ihn. Den Ring. Ach Scheiße. „Raven, kommst du?“ fragte Frau Dotz. „Ja, natürlich.“ Antwortete ich und trat langsam zurück. Herr Kuhv schloss die Tür wieder ab und ging mit Frau Dotz davon. Ich warf noch einen letzten Blick auf den schlafenden Kämpfer und folgte ihnen. In der Halle bedankte und lobte ich mein Team für die heutige Arbeit und verabschiedete mich von ihnen, um in meine Wohnung zu gehen. Auf dem Weg dorthin verbot ich mir jeglichen Gedanken an den Kämpfer. In meinem Schlafzimmer angekommen, zog ich mich schnell um und legte mich ins Bett. Ich zog mir die Decke bis zum Kinn. Krampfhaft schloss ich die Augen und zwang mich an alles zu denken, außer an ihn. Er war ein Kämpfer! Wie konnte das nur passieren? Wie konnte Ray zu meinem bittersten Feind werden? Er war doch damals in das Internat nach Amerika gegangen. Ich erinnerte mich an eine der Theoriestunde von Herr Hugd. Mehrere Schulen, wie wir… eine der größten und erfolgreichsten in Amerika, Ohio… Oh Scheiße. Er war nach Amerika gegangen, aus denselben Beweggründen wie ich nach England gegangen war. Er hatte sich ausbilden lassen. Vom Clan der Kämpfer. Und ich war Ausgebildete vom Clan der Jäger. Und wir wollten ihn jetzt solange foltern, bis er etwas über seine Seite sagte. Ich sollte eigentlich nichts dabei empfinden, wenn ich daran dachte, wie er auf einer metallenen Liege lag, Messer in seinen Körper getrieben wurden, Gliedmaßen zerquetscht, gedehnt, verbrannt oder sonst wie zerstört wurden. Ich hatte das schon unzählige Male gemacht. Ich hatte schon so viele der ihren umgebracht und auch das nicht immer auf die sanfte Weise. Also warum wollte ich jetzt am Liebsten nach unten in die Keller rennen und ihn retten? Ihn vor dem langsamen, qualvollen Tod bewahren? Ich ertappte mich dabei, wie ich mich aufsetzte und die Decke zurückschlug. Dass ich aufstand und meine Sachen zum Anziehen herauskramte. Verdammt noch mal! Ich sollte das echt nicht tun. Ich warf einen Blick zurück zum Bett, doch es fühlte sich falsch an, wieder dahin zurückzukehren. Ich musste Ray retten. Er war mal mein Freund gewesen und nur deshalb würde ich mich jetzt auf den Weg zu ihm machen. Und nachdem ich ihn freigelassen hatte, werde ich wieder in mein Bett gehen und schlafen. Bis morgen, wo ich dann wie die anderen überrascht feststellen werde, dass der Kämpfer fliehen konnte. Ich zog mir ein schwarzes T-Shirt, eine schwarze Hose, meine schwarzen Stiefel und eine schwarze Lederjacke an und meine roten Haare band ich mir zu einem Zopf zusammen. Dann schnappte ich mir seine Messer und die Halbautomatik, außerdem meine beiden Lieblings Dolche. Den einen steckte ich mir in den Zopf, den anderen zwischen meine Brüste. Dann verließ ich meine Wohnung leise und machte mich schnell und geräuschlos auf den Weg in den Keller. Ich schaffte es ohne größere Zwischenfälle und fand den Keller schnell. Doch vor seiner Zelle war wie erwartet ein Wächter, der wach und äußerst aufmerksam war. Was nun? Mein Blick fiel auf einen kleinen Stein, der von der Steinwand des Kellers abgebrochen war. Ich nahm ihn hoch und fixierte meine Ziel an. Die Türklinke des anderen Ausganges. Ich traf die Klinke, die sich ein wenig hinunterdrückte. Das merkte der Wachtmann natürlich sofort und stürmte los. Es lief geradewegs an mir vorbei, sodass ich mir schnell den Schlüssel schnappen konnte und ihm die Waffe von Ray über den Kopf ziehen konnte. Der Wächter sackte bewusstlos zusammen und ich machte mich schnell auf den Weg zu der Zelle mit Ray. Er war durch den Tumult aufgewacht und starrte angestrengt durch die Dunkelheit in meine Richtung, doch er konnte nichts erkennen. Ich machte noch einen Schritt unsicher auf die Zelltür zu und steckte denn Schlüssel in das Schloss. Dann schloss ich schnell auf und sah noch einmal zu Ray, der auf dem Bett saß und mich immer noch nicht erkennen konnte. Aber ich musste hier wieder weg. Ich durfte nicht länger bei ihm bleiben, ansonsten würde ich dabei erwischt werden, wie ich einen Feind befreie. Und darauf stand die Todesstrafe. Ich sah ihn noch einmal an und Trauer durchfuhr mich. Falls wir uns jemals wiedersehen sollten, wäre das auf feindlichen Seiten in einer blutigen Auseinandersetzung. In der er oder ich sterben würden, denn so war es uns beiden beigebracht worden. Ich drehte mich um und lief davon. Ich muss jetzt schnell zurück in meine Bett, konnte es mir nicht leisten noch länger hier zu bleiben. Ich ging an dem bewusstlosen Wächter vorbei, zur Tür. Doch gerade, als ich durch sie hindurch gehen wollte, wurde ich festgehalten. Eine starke Hand hatte sich um meinen Arm geschlossen und ließ mich nicht los, egal wie sehr ich daran zog. „Warum hast du das getan?“ fragte er mit einer dunklen, männlichen Stimme. Ich konnte den Ray aus meiner Kindheit daraus nicht hören. Diese Stimme war nicht freundlich, warm oder beschützend. Sie war kalt und abweisend. Aber trotzdem hatte diese Stimme etwas an sich, die mich an jede einzelne Nacht zurückdenken ließ, in der ich alleine in meinem Bett lag, die schwarze Perle fest in der Hand. Ich zuckte mit den Schultern und versuchte erneut mich zu lösen, aber ich schaffte es nicht. „Ich wiederhole mich nur ungern. Wenn du nicht möchtest, dass gleich sämtliche Jäger hier unten stehen und sehen, dass du mir, einem Kämpfer, geholfen hast zu entkommen, dann solltest du reden.“ Sagte er drohend dicht neben meinem Ohr. Ich wagte es nicht mich umzudrehen. „Ich könnte nicht mit dem Wissen leben, dass ich dafür gesorgt habe, dass ein Mensch gefoltert und ermordet wird. Auch wenn es nur ein Kämpfer ist.“ Ray, der anscheinend nicht wusste, dass ich es war, lachte. „Genau und deswegen hast du auch angeordnet die beiden Deppen, die mit mir in der Gasse waren, umzubringen. Du hast schon so viele auf dem Gewissen, da würde einer mehr auch nicht mehr auffallen.“ Den letzten Satz flüsterte er. Blöder Kämpfer. Blöder Ray. Ich sah auf die Hand hinab, die mich nach wie vor mit einem festen Griff hielt. Der Ring schimmerte in dem kargen Mondlicht, was durch die Fenster fiel, silbern und bunt. Unwillkürlich strich ich mit meinem Zeigefinger darüber. Er war so schön wie damals. Und er trägt ihn! Ihm bedeutet er zumindest so viel, dass er ihn nicht weggeschmissen oder eingetauscht hatte. Ray zuckte zurück und brachte den Ring schnell aus meiner Reichweite, hielt mich aber weiterhin fest. „Lass das.“ Zischte er. „Und sag mir endlich die Wahrheit. Eine Jägerin rettet nicht einfach einen Kämpfer vor dem Tod.“ Verdammt nochmal, konnte er mir nicht einfach glauben? Dann wäre alles viel unkomplizierter. Ich wäre schon längst wieder auf dem Weg nach oben, er wäre wieder hier raus und alles wäre gut. „Würdest du mich jetzt bitte loslassen, oder ich sorge dafür, dass die anderen hier aufkreuzen. Ich würde ihnen womöglich sagen müssen, dass du den Wächter außer Gefecht gesetzt hast und fliehen wolltest, als ich dich aufgehalten habe. Und das willst du doch nicht, oder?!“ Ich würde ihm nicht freiwillig verraten, wer ich war und warum ich nicht sterben lassen wollte. Er lachte leise. „Das traust du dich nicht. Und der Wächter liegt ungefähr vier Meter von der Zelle entfernt. Wie soll ein armer Gefangener das bitte schaffen?“ fragte er scheinheilig. „Also sag es mir endlich, dann können wir beide getrennte Wege gehen.“ Seine Stimme war nicht mehr so dicht hinter meinem Ohr, was mich in eine leichte Alarmbereitschaft versetzte. Doch als er mich mit einem brutalen Schwung zu sich herumdrehte, konnte ich nichts daran ändern, außer im letzten Moment mein Gesicht zu senken, damit er mich nicht erkennen konnte. „Haben wir uns schon mal gesehen? Ich glaube ich kenne dich. Sind wir uns begegnet?“ fragte er nachdenklich. Begegnet. Ha! Ich schnaubte und ich spürte seine sofortige Aufmerksamkeit wieder. „Schau mich an.“ Befahl er. Ich ließ mein Gesicht weiterhin unten und zerrte wieder an seiner Hand. „Na, da hat jemand wohl etwas zu verbergen. Und ich wüsste nur zu gerne was.“ Flüsterte er nahe an meinem Gesicht und legte mir einen Finger unter das Kinn. Ich wehrte mich, doch es war zwecklos. Er hob es an, bis mir meine Haare aus dem Gesicht fielen und ich direkt ansehen musste. Seine grauen Augen starrten zornig und belustigt in meine. Aber als er mich erkannte, waren es Wiedererkennen und Erstaunen, die sich in seiner Miene wiederspiegelten. Oh Scheiße. Seine freie Hand glitt zu meinem T-Shirt Ausschnitt und zog die lange Kette hervor. Ich hielt still, als er sie im kahlen Licht beobachtete. „Raven…“ murmelte er und sah mich wieder überrascht an. Die Hand an meinem Kinn verkrampfte sich und ich konnte seinem Blick nicht ausweichen. Während ich ihm so in die Augen sah und die Umgebung vergesse, konnte ich fast glauben, dass alles gut werden würde. Dass ich nicht mehr alleine sein würde und wir wieder zusammen wären. Ray seufzte und sah sich traurig um. „Was machst du nur?“ fragte er hilflos. Ich? Was machte er! „Du bist ein Kämpfer.“ Sagte ich leise. „Und du eine Jägerin.“ Wir waren Feinde. Als wir klein waren, unerfahren, da waren wir Freunde gewesen. Aber die letzten neun Jahre hatten uns verändert. Die Vergangenheit war vorbei und wir würden niemals wieder so sein wie damals. Ein Geräusch riss uns wieder zurück in die Gegenwart. Jemand hatte den Keller betreten. Ich sah Ray an, der sich schon ruhig und selbstbewusst nach dem nächsten Ausgang umsah. Dann zog er mich mit und wir verließen leise die Verließe. Ich konnte Frau Dotz noch zu Jemandem sprechen hören. „… auch nicht auf ihrem Zimmer. Der Wachtmann hat uns versichert, dass sie es ist. Raven hat den Schlüssel geklaut und die Zelle zu dem Kämpfer aufgeschlossen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen muss, aber sie ist eine Verräterin und du weißt, was auf Verrat steht. Aber das können wir später klären, jetzt müssen wir die beiden erst Mal…“ Ray zog mich schnell aus dem Keller und rannte mit mir die verwinkelten Flure entlang. An einer Gabelung sah er ratlos nach rechts und links. Ich machte mich von ihm los und rannte nach rechts. Dort war die Küche der Schule. Man konnte durch einen Lieferausgang ins Freie gelangen. In der Küche war nichts los, nur einzelne Lampen leuchteten noch. Bald würde es hier nur so vor Menschen wimmeln, die das Frühstück für hunderte von Schülern vorbereiteten. Ich steuerte auf die große Schwingtür zu und rannte hindurch. Dies war der Lagerraum und am hinteren Ende befand sich die Tür. Doch kurz davor sprang uns eine Gestalt in den Weg. Einer meiner Teammitglieder von letzter Nacht ging mit gezücktem Messer auf uns los. Ich drängte Ray hinter mich und zog ebenfalls eines seiner Messer von meinem Gürtel. Als er angriff, schnitt ich ihm die Kehle durch und er fiel leblos zu Boden. Ich war ja schließlich nicht umsonst Anführerin einer Truppe. Idiot. Wir liefen weiter und erreichten die Tür ohne weitere Zusammenstöße. Draußen war es kalt und es nieselte leicht. Eine lange Straße führt von der Schule weg und ich hatte vor, parallel zu ihr zu laufen und ihr zu folgen. Wir würden dann irgendwann in eine Stadt kommen, in der ich mir dann weitere Gedanken über meinen Verbleib machen kann. Ray würde schon klarkommen, er würde einfach zurück zu seinem Clan gehen. Ich hingegen war jetzt ohne Clan. Meiner hatte mich soeben verstoßen und zum Tode verurteilt. Wir rannten die fünf Kilometer bis zu der kleinen Stadt durch und versteckten uns dann hinter einem großen Haus. Ich sah mich zu Ray um, der aufmerksam die Umgebung musterte. Dann sah er mich an. „Sieht nicht gut aus für dich.“ Sagte er. Ach nee. Ehrlich? Da wäre ich jetzt wirklich nicht draufgekommen. Ich schüttelte den Kopf und schaute um die Ecke. Niemand da. Ich drehte mich wieder zu Ray und sah ihn an. „Also schön. Das war ganz große Scheiße. Aber du bist frei. Geh zu deinen Leuten und bring dich in Sicherheit vor den Jägern. Sie werden uns suchen und noch mal möchte ich dich nicht retten.“ Er nickte ernst „Und war schön dich wiederzusehen. Hätte nicht gedacht das du ein Kämpfer bist. Na ja, vielleicht sieht man sich. Oder eher nicht.“ Schloss ich und ging um die Ecke. Ich war nicht gut in Verabschieden und wollte es nicht unnötig in die Länge ziehen. Ich würde mir jetzt irgendwo, irgendwie Geld, Essen und ein Auto klauen und dann würde ich so weit wie möglich von hier wegfahren. Vielleicht würde ich meine Eltern besuchen oder so. Ich hastete unauffällig die Straße entlang, bis zu einer belebten Fußgängerkreuzung. Ich lief zwischen die vielen Menschen, die aufgeregt und hektisch über den Asphalt liefen, um ihren Bus oder die Bahn zu ihrer Arbeit zu bekommen. Es war schon hell und ich nahm an, dass es mittlerweile sieben Uhr sein musste. Unschlüssig ließ ich mich von ihnen treiben, ohne eine wirklich Ahnung, wo ich hin sollte. Ich würde erst heute Nacht zuschlagen können, wenn alle Leute schlafen. Plötzlich spürte ich, wie ich an meiner Hand festgehalten wurde und durch die Menschen gezogen wurde. Was zur Hölle…!? Ich wurde aus der Masse heraus gezogen und gegen eine Mauer gedrückt. Ray sah böse auf mich hinunter. „Wo gedenkst du hinzugehen?“ fragte er leise und drohend. Ich zog die Brauen fragend zusammen. Was wollte er denn jetzt? „Ähh.. ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber ich bin praktisch tot. Mein gesamter Clan, man könnte ihn auch Todesschwadron oder Killerelite nennen, um es dir verständlicher zu machen, sucht mich um mich umzubringen. Und da ist es doch verständlich, wenn ich so weit wie möglich von hier weg will. Egal wie. Und dich kann ich dabei nicht gebrauchen. Du bist ein Kämpfer. Ich wurde die Hälfte meines Lebens so erzogen, jeden von euch umzubringen. Du hast deinen Clan noch, also geh zu ihm und lass mich in Ruhe.“ Zischte ich, damit die vorbeilaufenden Menschen mich nicht hören konnten. Er lachte leise. „Du wirst also irgendwie irgendwas klauen und damit dann durch England fahren, in der Hoffnung nicht entdeckt zu werden?! Das ist ein sehr kluger Plan. Wirklich.“ Er lachte wieder und ich fühlte mich vollkommen blöd. Ja, das war wirklich mein Plan. Um ehrlich zu sein, genau wie er es gesagt hatte. „Wie schön, dass dich meine Scheißsituation so zum Lachen bringt. Ich finde die nämlich gar nicht lustig. Was vielleicht auch daran liegen könnte, dass ich diejenige bin, die sie tot sehen wollen. Du bist nur einer von vielen.“ Fauchte ich und versuchte mich loszumachen. Die Menschen liefen alle an uns vorbei, ohne auf uns zu achten. Doch plötzlich sah ich ein vertrautes Gesicht in der Masse. Frau Dotz! Scheiße, wie war sie denn so schnell hierhergekommen? Ray bemerkte, dass sich etwas verändert hatte und sah sich auch um. Auch er sah Frau Dotz und erstarrte kurz. Dann drehte er sich wieder zu mir herum und flüsterte mir ins Ohr. „Sie wird uns sehen, wenn wir weiter hier so rumstehen.“ Sein Atem traf auf meine Haut und ich bekam eine Gänsehaut. Dämlicher Kämpfer. „Ich weiß.“ Antwortete ich und behielt sie im Auge. Bisher hatte sie uns noch nicht gesehen und kämpfte sich weiter durch die Massen. „Ich hätte da eine Idee, die uns helfen würde, unbemerkt zu bleiben.“ Ich nickte. Ich hatte nur eine: Wegrennen. Aber dabei wären wir gesehen worden und wenn wir uns jetzt hinhocken und davon kriechen würden, würde mindestens ein Mensch stehenbleiben und uns ansehen, was bedeutet, wir hätten doch wieder die Aufmerksamkeit. Also war sein Vorschlag vielleicht eine Erwägung wert, dachte ich zähneknirschend. Ich wartete, doch Ray machte nichts. Was hatte er den vor? Frau Dotz würde uns gleich sehen und dann wäre alles aus. „Worauf wartest du?“ zischte ich. Ray wich mit seinem Gesicht ein Stück zurück, sodass er mir und ich ihm in die Augen sehen konnte. „Es ist nur Ablenkung.“ Sagte er leise. Hä? Doch dann lagen seine Lippen auf meinen. Mein Verstand setzte aus und ich konnte keinen einzigen zusammenhängenden Gedanken mehr fassen. Rays Zunge glitt über meine Lippen und ich schauderte. Ich öffnete zittrig meinen Mund und seine Zunge tauchte hinein. Ich ließ sie sich an meiner reiben und keuchte. Ich spürte seine Hände, wie sie sich um meine Taille schlangen und mich gegen die Wand drückten. Ich keuchte noch mal und hob meine Hände in sein Haar, um ihn noch näher an mich zu ziehen. Jegliche Gedanken an meinen und seinen Clan waren weggewischt. Das einzige was mich jetzt noch interessierte, was ich jetzt noch wahrnahm, waren seine heißen Hände auf meinen Hüften und der Druck, den sie dabei ausübten. Ich wühlte meine Finger in sein kurzes Haar und sog an seiner Zunge. Wer hätte gedacht, dass mich ein gespielter Kuss so aus der Fassung bringt? Ich ließ meine Hände wieder auf seinen Rücken wandern und zog ihn an mich. Jetzt war er es, der keuchte. Dieses Geräusch sorgte dafür, dass einen Welle der Lust mich überkam. Aber er spielte doch alles nur!, redete ich mir ein. Dieser Gedanke, der es schließlich dann doch geschafft hatte, zu mir durchzudringen, ließ mich in die Realität zurückkehren und die Welle abebben. Ich hatte meine Arme immer noch um seine Taille geschlungen und küsste ihn. Aber dieses Mal beherrschte ich mich und ließ mich nicht von der Lust überwältigen. Ich öffnete die Augen ein winziges bisschen und sah über seine Schulter nach Frau Dotz. Und Ray hatte wirklich recht gehabt. Wir waren gar nicht aufgefallen. Sie war am anderen Ende der Fußgängerzone und sah sich noch einmal um, um sicherzugehen, dass wir hier nicht waren. Ihr Blick glitt geradewegs über uns hinweg und dann verschwand sie. Ray küsste mich immer noch und ich erlaubte es mir, ihn noch einmal zurück zu küssen, ein letztes Mal diese Lust zu verspüren, ihn ein letztes Mal zu umschlingen. Dann löste ich mich von ihm, nahm meine Hände wieder zu mir und nickte ihn an. „Du hattest Recht. Wir sind ihr nicht aufgefallen.“ Sagte ich ein wenig atemlos, was meine ruhige, selbstbeherrschte Fassung ins Wanken brachte. Ray grinste und löste sich auch von mir. „Sag ich doch.“ Antwortete er arrogant. Ich schnaubte. „Na gut, also… ähm, danke. Aber ohne dich würde ich hier gar nicht stehen, als tu mir jetzt den Gefallen und lass mich in Ruhe. Ich muss nämlich dafür sorgen, dass ich in dieser Nacht aus dieser Stadt rauskomme und habe weder Geld, noch irgendwelche Ideen. Oder Schlaf.“ Fügte ich hinzu. Ich hatte seit ungefähr fünfundzwanzig Stunden nicht mehr geschlafen und war total müde. Aber schlafen konnte ich, wenn ich in Sicherheit war, dazu blieb mir jetzt einfach nicht die Zeit. Ich wollte wieder an ihm vorbeigehen, doch wie im Keller hielt er mich fest. „Du wirst nirgendwo hingehen. Zumindest nicht ohne mich. Ich habe lange nach dir gesucht, Raven. Seitdem wir damals auf die getrennten Schulen gegangen sind. Und du gehörst jetzt keinem Clan mehr an, was bedeutet mein Clan kann nichts mehr gegen dich haben. Wir werden zu mir gehen, nach Amerika. Und außerdem habe ich Geld und Ideen. Und du kannst schlafen, denn wir werden mit dem Flugzeug ungefähr zehn Stunden brauchen.“ Sagte er und als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, zog er mich wieder in die Menschenmassen. Was glaubte er eigentlich, wer er ist? Ich war nicht mehr das kleine Mädchen von damals, auf das er aufpassen musste. Nein, dachte ich bitter, das war ich schon lange nicht mehr. In den Jahren voller Einsamkeit hatte ich gelernt auf mich selber aufzupassen und um meinen Willen zu kämpfen. Er zog mich immer tiefer in die Menge. Als es so viele waren, dass ich nicht mal mehr ihn sehen konnte, riss ich mich los, duckte mich und lief nach rechts, unbemerkt an ihm vorbei. Hoffentlich würde er glauben, dass ich nach hinten gerannt bin, dass würde mir nämlich ein wenig Zeit verschaffen um zu verschwinden. Ich rannte durch die Menschen hindurch, auf die gegenüberliegende Seite und huschte in eine kleine Gasse auf deren anderen Seite die Straße verlockend leer und sonnenbeschienen war. Gleich hatte ich es geschafft. Nur noch dieses kleine Stück. Aber wie um mich zu verhöhnen, wurde ich auf dem letzten Meter wie gerade eben wieder gegen die Wand gedrückt, nur dieses Mal ziemlich unsanft. Ich sammelte mich schnell wieder und startete einen erneuten Fluchtversuch, doch da wurde ich von einer starken Hand an der Wand festgehalten. „Hör auf, Raven! Verdammt nochmal, hör auf!“ Ich hatte damit begonnen um mich zu schlagen, um mich wieder zu befreien. „Nein!“ schrie ich und schlug wieder auf ihn ein. Kurz ließ er mich los und ich fragte mich schon, was los sei, als meine Fäuste gegriffen und über meinen Kopf an die Wand gedrückt wurden. Ich wehrte mich trotzdem noch, trat nach ihm, versuchte ihm eine Kopfnuss zu geben, aber es klappte einfach nicht. „Halt still, oder ich werde die so eine knallen, dass du erst wieder in Amerika aufwachst.“ Sagte er barsch. Erschrocken sah ich ihn an. Dieser Ray hatte nichts, absolut nichts, mit dem Ray aus meiner Kindheit zutun. Dieser Mann vor mir war ein völlig Fremder. Mein Ray würde mir niemals drohen. Meine Wut war mit einem Schlag erloschen und ich sah ihn traurig an. In den letzten Jahren waren Ray und sein Geschenk das einzige gewesen, was mich davor bewahrt hatte aufzugeben. Nur um jetzt feststellen zu müssen, dass es ihn schon längst nicht mehr gab. Ray, wie ich ihn kannte, war tot. An dem Tag gestorben, als er seine neue Schule betreten hatte. Ich hatte unbewusst meinen besten und einzigen Freund verloren. Ich hörte auf mich zu wehren und sackte zusammen. Mein ganzes Leben war im Arsch. Ich hatte seit damals keine richtige Familie. Ich hatte keinen Clan mehr und trotz des überraschenden Wiedersehens mit Ray war er doch nicht mehr derselbe. Ich hatte alles verloren, was ich jemals besessen hatte. Eine verirrte Träne rollte über meine Wange und erschrocken wischte ich sie sofort weg. Ich sah auf die Menschen, die etwas entfernt noch immer vorbei eilten. Ich wollte ihn jetzt nicht angucken, fühlte mich fast belästigt von der Nähe, die er zu mir hatte. „Hey.. du weinst doch nicht?! Bitte nicht weinen!“ sagte er und hörte sich fast verzweifelt an, sodass ich zu ihm aufsah. Er sah mich mit derselben Verzweiflung im Blick an, wie sie in seiner Stimme war und ich konnte doch ein Stück von dem Ray aus meiner Kindheit erkennen, der sich immer Sorgen gemacht hatte, bei einem seiner Scherze zu weit gegangen zu sein. „Ich will einfach nur hier weg. Und bei deinem Clan bin ich nicht gut aufgehoben. Ich bin – oder war zumindest – eine Jägerin! Unsere Clans hassen sich und bringen sich bei jeder Gelegenheit um, also warum sollten sie mich akzeptieren und verschonen wollen?“ fragte ich ihn. Er sah mich fest an. „Weil ich es will.“ Antwortete er bestimmt und ließ meine Hände los. Dann nahm er mein Gesicht und hob es an. Ich suchte in seinem Blick nach Ray und fand erschreckender Weise doch etwas. Ich war mir aber nicht ganz sicher und er verschwand schnell wieder. „Hab keine Angst. Ich werde nicht zulassen, dass sie dir etwas antun, versprochen.“ Er sprach leise und beruhigend. Er schafft es sogar einen Teil meines Misstrauens und meiner Angst zu nehmen, sodass ich unsicher hinter ihm herlief, als er auf die leere Straße hinausging. Als wir in der Sonne standen, trat er neben mich und legte mir seinen Arm leicht um die Schulter, wie damals, wenn er mich wieder vor irgendwelchen Idioten oder Tussen beschützt hatte. Unweigerlich fühlte ich mich sofort besser und neigte mich mehr in die Umarmung. Wir liefen die Straßen entlang, bis wir zu einem Café kamen. Er führte mich hinein und wir setzten uns an einen der Tische, die im Dunkeln lagen. Ray bestellte zwei große Frühstücke, mit Kaffee und allem Drum und Dran. Gierig aß und trank ich alles auf und konnte Rays Blick auf mir spüren. Als ich zu ihm aufsah, musste ich lächeln. „Ähh.. danke. Für das Frühstück.“ Brachte ich hervor. Er nickte nur und biss ein Stück von seinem Brötchen ab. Es dauerte eine Weile, bis wir beide fertig waren. Die Uhr zeigte drei Uhr nachmittags an. Ray und ich saßen noch eine Weile da und schwiegen uns an. Gegen fünf Uhr und nach weiteren drei Kaffees verließen wir das Café wieder und liefen über die sich langsam verdunkelnden Straßen. Ray führte mich durch die Gassen und Wege und ich hatte keine Ahnung, wohin wir gehen oder wo wir waren. Ich war ihm ehrlich dankbar, für seine Hilfe und für das Essen, aber ich wollte wenigstens wissen, wie er vorhatte mich zu meinen ärgsten Feinden zu bringen, also blieb ich stehen und wartete. Nach ein paar Schritten merkte Ray, dass ich nicht weitergelaufen war. Er drehte sich zu mir herum und sah mich fragend an. „Wo gehen wir hin? Was machen wir jetzt?“ Wollte ich wissen. Ich hatte keine Lust die ganze Zeit hinter meinem freundlichen Feind herzulaufen. „Das sagte ich doch schon. Wir werden nach Amerika reisen. Zu meinem Clan.“ Ich seufzte. „Ja, aber was machst du jetzt? Ziellos durch die Straßen Englands irren?“ Ray schüttelte belustigt den Kopf und zog mich wieder weiter. „Ich habe mit meinem Clan telefoniert, als du auf Toilette warst. Und ich habe ein Flugzeug bestellt, damit wir zurück in die Staaten kommen. Und ich irre nicht. Ich gehe bestimmt zu dem kleinen Platz.“ Wir liefen die mittlerweile dunklen Straßen hinunter. Ich wurde immer müder und meine Augen fielen schon beim Laufen zu, ich konnte sie nicht mehr lange aufhalten. Ich fühlte plötzlich Rays Arm um meiner Taille. „Hey, geradeaus laufen!“ Sagte er und stützte mich. Ich schlief jetzt fast im Gehen und bekam gar nicht mehr mit, wohin wir liefen. Nach einer Weile blieb Ray stehen und hielt mich fest, damit ich nicht hinfiel. Ich öffnete meine schweren Augen einen Spalt und sah Ray direkt ins Gesicht. „Du hast wohl eine längere Zeit nicht mehr geschlafen.“ Er kicherte leise und hob mich dann hoch. Er griff mit dem einen Arm unter meine Knie und mit dem anderen hielt er mich hinter dem Rücken. „Schlaf jetzt. Ich bringe uns schon hier weg.“ Flüsterte er. Die ruhige Bewegung in seinem Gang beruhigte mich und ich legte meinen Kopf an seinen Hals. Mein Gesicht drückte ich in die warme Kuhle, wo die Schulter in den Hals überging und schlief tatsächlich ein.
Ich erwachte aus einem tiefen, traumlosen Schlaf, wie ich ihn schon lange nicht mehr gehabt hatte. Ich drehte mich um und erwartete die große Uhr an der Wand zu sehen, doch stattdessen sah ich einen Autositz. Verwirrt setzte ich mich auf. Ich war in einem Auto! Aber wie zur Hölle kam ich von meinem Schlafzimmer in ein Auto? Eines, das ich noch nicht mal kannte? Ich warf einen Blick in den Rückspiegel und sah ein männliches, gutaussehendes Gesicht. Ray! Ich musste lächeln und alles fiel mir wieder ein. Seine Gefangennahme, die Rettung und die Flucht. Und der Kuss. Er hatte es getan, damit wir nicht auffallen. Oder? Ich zumindest, und das gab ich nur sehr widerwillig zu, hatte den Kuss genossen und nicht gespielt. Na ja, am Anfang nicht, als ich noch vollkommen überrumpelt von der Situation war. Es war eine gute Idee gewesen, aber wieso gerade das? Und warum, um alles in der Welt, dachte ich schon wieder an diesen einen Kuss, den es eigentlich gar nicht geben dürfte? Ich war zwar nicht mehr im Clan der Jäger, aber trotzdem waren wir neun, fast zehn Jahre, bittere Feinde gewesen. Er hatte gesagt, dass es nur Ablenkung ist. Also warum konnte ich es nicht dabei belassen? Ray sah im Rückspiegel nach hinten und ich bemerkte, dass ich ihn immer noch anstarrte. Mist. Er grinste. „Guten Morgen. Oder eher guten Abend. Gut geschlafen?“ fragte er. Ich nickte und sah schnell aus dem Fenster, um seinem Blick zu entgehen. Am Ende würde er noch herausbekommen, worüber ich nachdachte. „Wo sind wir?“ Die Sonne hier stand schon ein wenig tiefer und färbte den Horizont orange, gelb und rot. Der Rest des Himmels war blau und nur ein paar Wolken zogen sich hindurch. Die Erde war grün, mit vielen Wiesen, Bäumen und Büschen. Es war wirklich schön. „In der Nähe des Internats. Wir kommen in ungefähr fünf Minuten an. Wärest du nicht von alleine aufgewacht, hatte ich dich spätestens jetzt geweckt.“ Informierte er mich. Ich nickte und machte mich daran, auf den Beifahrersitz zu klettern. „Was wird das denn?“ Ray sah mir belustigt zu, wie ich mich durch die beiden Vordersitze quetschte und schließlich mit einem Keuchen auf dem Sitz zusammen sank. „Ich habe keine Lust wie ein kleines Kind oder eine Gefangene auf deinem Rücksitz zu deinem Clan gebracht zu werden. Wenn schon, werde ich vorne sitzen und ihnen gleich ins Gesicht sehen, damit ich sie einschätzen kann und weiß, wer mich sofort tot sehen will und wer die Sache erst mal nur plant.“ Sagte ich und sah mich weiter um. Nirgends konnte ich etwas erkennen, was an ein Haus erinnern könnte. Doch dann wurde ich im Sitz nach vorne geschleudert und konnte mich gerade noch mit den Händen am Handschuhfach abfangen, damit ich nicht aus der Frontscheibe flog, weil ich den Gurt noch nicht umgelegt hatte. „Bist du wahnsinnig?!“ brüllte ich ihn an. Ich hätte dabei draufgehen können! Ich sah ihn wütend an. Er sah nur ruhig zurück. „Ich werde es dir jetzt noch einmal sagen und zwar das letzte Mal. Ich werde weder zulassen, dass sie planen dich umzubringen, noch das sie sich gleich oder irgendwann anders auf dich stürzen werden, okay?! Hast du das jetzt verstanden?“ fragte er mich. Sein Blick bohrte sich sanft in meinen und ich traute mich nicht, ihm auszuweichen. Ich nickte langsam. „Wirklich?“ wollte er wissen. „Ja. Wirklich. Ich vertraue dir, dass du das möchtest und vielleicht sogar dafür kämpfen würdest. Aber du musst auch verstehen, dass ich mich nicht nur darauf verlassen kann. Ich werde immer den Hintergedanken haben, dass sie etwas planen oder hinter der nächsten Ecke auftauchen könnten. Ich bin die Hälfte meines Lebens so erzogen worden, genauso wie du in Bezug auf den Jägerclan.“ „Ja, das stimmt. Aber du bist meine Freundin und ich werde verhindern, dass sie dir auch nur ein Haar krümmen.“ Ich lächelte ihn leicht an und hob eine Hand, um sie an seine Wange zu legen. „Ray. Als wir klein waren und bevor das alles hier begann, waren wir Freunde. Gute Freunde. Jetzt sind wir Feinde, die sich gegenseitig helfen.“ Empört sah er mich an und wollte etwas sagen, doch ich unterbrach ihn, denn ich war noch nicht fertig. „Die ganzen Jahre habe ich mich immer gefragt, wie es dir geht, wo du bist und was du machst. Ich habe dich zu Anfang so sehr vermisst, dass ich mich an den Wochenenden eingeschlossen und weder gegessen, getrunken noch geschlafen hatte. Ich habe einfach nur in meinem Zimmer gesessen und die Wand angestarrt, die kleine schwarze Perle immer fest in der Hand. Doch mit den Jahren wurde es besser. Ich habe gelernt, dass nichts im Leben bleibt, alles geht. Meine Familie, du… alles. Ab da habe ich mich ausschließlich auf die Schule und meine Ausbildung konzentriert. Ich wurde besser als die anderen und wurde schon nach neun Jahren als Kriegerin gewählt. Ich habe mich innerlich abgehärtet und interessierte mich für gar nichts mehr. Aber dann, in jener Nacht, als ich dich in die Zelle gebracht hatte, fiel deine Hand vom Bett und ich sah den Ring.“ Meine Lippen kräuselten sich zu einem abstrakten Lächeln, als ich an den Schock dachte, den er mir damit eingejagt hatte. „Ich wollte in mein Bett, schlafen und nicht daran denken was sie mit dir machen würden. Aber als ich mich dann dabei erwischt hatte, dass ich mir die Waffen angesteckt und mich angezogen hatte, gab es kein Zurück mehr. Und seit der Flucht frage ich mich wer du bist. Ich habe nämlich keine Ahnung wer du bist. Das einzige, was ich weiß, ist das du nicht mehr mein Ray bist. Mein Freund.“ Sagte ich flüsternd, lächelte ihn an und verdrängte eine Träne. Er hatte mir aufmerksam zugehört und blieb jetzt still. Ray sah mich eine Weile an und im Augenwinkel sah ich, dass die Sonne schon ziemlich tief gesunken war. Ich holte Luft und sammelte mich wieder. „Ich glaube, wir sollten weiterfahren, es wird gleich dunkel. Geht es nicht hier entlang? Ich kann noch gar nichts sehen. Ist eure Schule genauso groß wie die der Jäger, oder ist sie kleiner? Du bist hier doch auch zur Schule gegangen, du müsstest das doch wissen. Und…“ weiter kam ich nicht, denn Ray hatte mir eine Hand auf den Mund gelegt. „Du redest wirres Zeug, Raven. Aber ja, es ist in dieser Richtung und ja, es ist ein wenig kleiner. Wir werden auch gleich wieder losfahren und pünktlich da sein. Aber jetzt haben wir die Gelegenheit uns darüber zu unterhalten, weshalb du glaubst ich sei jemand anderes. Wenn ich mich tatsächlich so verändert hätte, hätte ich dich in der kleinen Stadt allein gelassen und mich so schnell wie möglich auf den Weg hierher gemacht. Mich hätte es nicht im Geringsten interessiert, ob nun eine Jägerin stirbt oder nicht. Selbst wenn sie mich gerettet hat, sie hat mich ja auch hineingebracht. Aber als ich in der Gasse plötzlich dir gegenüber stand konnte ich noch nicht mal sagen, was ich gefühlt hatte. Was vielleicht auch daran lag, dass du mich betäubt hast. Und die Kette. Du hast sie getragen. Doch bevor ich irgendwas sagen konnte, war ich ja schon weg. Und bei der Flucht, ich habe dich mitgenommen. Bin bereit zu kämpfen, wenn mein Clan dir etwas tun sollte. Und jetzt sag mir noch mal, dass ich nicht mehr dein Freund bin.“ Er sah mir immer noch in die Augen und hob dann die Hand, an der der Ring steckte. „Seit ich ihn mit dreizehn Jahren das erste Mal anstecken konnte, weil er endlich nicht mehr hinunterrutschte, habe ich ihn nicht mehr abgenommen.“ Fügte er noch hinzu und ich sah auf den Ring hinab. Er hatte ihm also doch wirklich was bedeutet? Und nicht nur umgemacht, weil er ihn schön fand, sondern weil er ihn mit mir verband? Ich schloss die Augen und sackte mit einem Seufzen zurück in den Sitz. „Das ist alles so kompliziert.“ Sagte ich leise. Ich spürte seine Hand plötzlich in meinem Nacken und wie er mich wieder aus dem Sitz zog. „Nein, ist es eigentlich nicht.“ Seine Stimme war ruhig und ich öffnete wieder die Augen. Er sah mich fest an und ließ nicht zu, dass ich mich abwandte. „Hör zu. Du wirst immer meine kleine Freundin Raven sein. Nur das du jetzt tödlicher, schneller, stärker und… nun ja, besser bist.“ Er grinste mich so an, dass ich zurück grinste. „Guck, alles wieder gut.“ Seine grauen Augen starrten in meine und ich konnte sie immer noch nicht abwenden. Ich musste wieder an den Kuss denken, wie toll er sich angefühlt hatte. Doch dann dachte ich daran, dass es nur ‚Ablenkung‘ war. Es hat ihm nichts bedeutet. Er hat mir doch geradeeben selber gesagt, dass er mich nur als ‚kleine‘ Freundin sieht. Ich sah wieder auf die Straße. „Na los. Sonst ist es wirklich dunkel bevor wir ankommen.“ Er zog eine Braue hoch, lächelte aber und fuhr weiter. Ich sah wieder auf die Landschaft und versuchte die Gedanken an den Kuss zu verdrängen. Nach ein paar Minuten kam die dunkle Silhouette eines großen Hauses am Horizont in Sicht. Mein Herzschlag verdoppelte sich und Adrenalin schoss mir durch die Adern. Meine Hand krallte sich in den Sitz und ich versuchte mich zu beruhigen. Da spürte ich Rays Hand auf meiner und wie sie sie langsam löste und zurück auf mein Bein legte. Dabei berührte er mit dem kleinen Finger mein Bein und schickte damit Schauer durch meinen Körper. Seine Hand war warm auf meiner und schaffte es, mich ein wenig zu entspannen. Er fuhr in den Hof ein und hielt vor einer großen Tür, an der schon jemand wartete. Ich holte tief Luft, schloss die Augen, redete mir hartnäckig ein, dass mir nicht passieren würde und öffnete dann die Tür. Ein Windstoß ging mir durch die Haare und zog leicht an meinem Zopf. Das erinnerte mich an etwas. Ich ließ meine Hand unauffällig an meinen Hinterkopf wandern. Ich fühlte eine kleine Erhöhung. Mein Messer! Und auch das andere war noch da wo es hingehörte, wie ich mit einem kurzen Schielen nach unten feststellte. Sofort wurde ich ruhiger. Aber ich hatte ja noch Rays Waffen bei mir und wenn ich einen vertrauenserweckenden Eindruck machen wollte, sollte ich sie ihm vielleicht geben oder sie zumindest nicht bei mir tragen. Ich schnallte sie vorsichtig ab und tippte Ray an der Schulter an. „Was? Oh… gute Idee. Danke.“ Sagte er und schnallte sie wieder sich selbst um. Dann nahm er mich beim Arm und führte mich zu dem Mann, der oben an der Eingangstreppe wartete. „Ray, schön dass du wieder da bist. Aber wen bringst du da mit?“ Der Mann sah schon älter aus, aber davon ließ ich mich nicht täuschen. Wir Jäger hatten auch eine längere Lebensspanne als normale Menschen. Diese wurde uns bei der Audienz verabreicht, in Form von dem dunklen Getränk und einem bleibendem Tattoo auf dem Schlüsselbein, was einen Bogen mit einem blutigen Pfeil darstellte. Ich war erst neunzehn und hatte dank der Audienz noch ungefähr fünfhundert Jahre zu leben. Und wenn dieser Mann vor mir schon so alt aussah, hatte er bestimmt eine Menge Erfahrung, die mir gefährlich werden konnte. Außerdem sah er mich alles andere als nett an. „Das ist Raven. Eine alte Freundin. Aber ich glaube das sollten wir drinnen besprechen. Wir haben eine lange Reise hinter uns und wir sind beide erschöpft.“ Erklärte Ray und der Mann nickte. „Natürlich.“ Er drehte sich um und ging durch eine große Tür in das Gebäude. Verunsichert und auch ein wenig ängstlich sah ich Ray an, doch der nahm wieder meinen Arm und führte mich in die kleine Halle. „Miss Raven, es wurde ihnen ein Zimmer bereitgestellt, wenn sie ihm bitte folgen würden.“ Wies der Mann mich an und deutete auf einen jüngeren Mann, der mich interessiert ansah. Ray sah ihn mit einem bösen Blick an und drückte nochmal kurz meinen Arm. Dann ließ er mich frei und ich folgte dem jungen Mann, der mir mein Zimmer zeigte. Nachdem wir vor einer kleinen Holztür ankamen und er sie aufgeschlossen hatte, drehte er sich zu mir herum. „Raven also. Ist ein schöner Name. Darf ich fragen unter was für Umständen sie uns mit ihrer faszinierenden Anwesenheit beehren?“ Schleim, Schleim. Oh Gott. Was war er denn für einer? Doch ich sah mich lieber vor und lächelte ihn kokett an. „Ray und ich hatten eine… Auseinandersetzung und er war der Ansicht, dass ich wir hier sicher sein würden.“ Sagte ich und wollte in das Zimmer gehen, doch er hielt mich zurück. Ich sah ihn nochmal an und konnte mich gerade noch daran hindern eine Braue genervt hochzuziehen. „Also Miss, sie sind wirklich sehr schön.“ Der Typ kam weiter auf mich zu und legte seine Hand auf meinen Arm. Unwillkürlich zuckte ich zusammen und wich zurück. „Danke für ihre Gastfreundschaftlichkeit, aber ich bin wirklich müde und würde gerne etwas schlafen.“ Brachte ich hervor und drehte mich schneller um, um ihm zu entkommen. Aber er packte mich wieder am Arm und drückte mich gegen die Wand. Seine Hand wanderte meinen Arm hinauf, bis sie sich um meinen Nacken legte und meinen Kopf stillhielt. „Ich glaube du hast nicht recht verstanden.“ Flüsterte er in mein Ohr. Als Ray mir etwas ins Ohr geflüstert hatte, hatte ich vor Wohlwollen geschaudert. Jetzt war es Angst und Ekel. Er griff mit seiner freien Hand meine Arme und legte sie sich um die Taille. Dann drückte er sich an mich und ich konnte das erneute Schauern nicht unterdrücken. „Gefällt dir das?“ fragte er, immer noch dicht an meinem Ohr. Seine Hand zog an meinem T-Shirtausschnitt, versuchte es weiter hinunterzuziehen. Das brachte mich wieder in die Gegenwart zurück, ich war doch kein hilfloses Frauchen! Ich hatte schon viele Männer umgebracht, die stärker und schlauer waren als dieser Peversling hier. Aber dann wich er zurück, einen erschrockenen Ausdruck auf dem Gesicht. Sein Blick wanderte von meiner Schulter zu meinem Blick, dann verschwand er. Verwirrt warf ich auch einen Blick auf meine Schulter. Oder eher mein Schlüsselbein. Es war frei und man konnte ungehindert mein Mal sehen. Oh Scheiße. Schnell zog ich das Shirt wieder hoch und ging in das Zimmer. Das war nicht gut. Damit hatte ich Ray und mich in Gefahr gebracht. Er hatte mich hierhergebracht und wenn die erfahren, dass ich eine Jägerin war, würden sie auf ihn bestimmt auch sauer sein. Ich setzte mich aufs Bett und stützte den Kopf in die Hände. Was mache ich hier nur? Ich sollte eigentlich in meinem weichen Bett bei meinem Clan sein, keine Gedanken an die Kämpfer verschwenden und einfach nur ruhig einschlafen. Ich seufzte, als Ray die Tür aufriss. „Komm mit. Los!“ zischte er und verließ den Raum wieder. Ich rannte schnell hinter ihm her und wir liefen den einsamen Flur entlang, zurück zum Auto. „Das ist sie!“ hörte ich den Typ rufen und rannte noch schneller. Ray ließ den Motor sofort an und fuhr rückwärts, als wir saßen. Dann donnerte er von der Auffahrt und ließ die wütenden Kämpfer zurück. Wir rasten durch die Landschaft, die nun vollends dunkel war. Ich traute mich nicht, etwas zu sagen. Er musste bestimmt unglaublich sauer sein und ich hatte keine Ahnung, was er jetzt mit mir machen wird. Sein Clan schien anscheinend nicht sehr gut mit mir klarzukommen, was also hatte er jetzt vor? Ich blieb still und auf alles gefasst, während wir uns immer mehr von dem grauen Gebäude entfernten. Wir fuhren ungefähr eine Stunde durch die Dunkelheit und schwiegen uns an. Er war bestimmt richtig sauer. Aber dann hielt er plötzlich an und stieg aus. Jetzt geht’s los, dachte ich bitter. Vorsichtig stieg ich ebenfalls aus, sah mich schnell um und wartete. Wir waren auf einem Parkplatz von einem kleinen Raststätten Hotel. Es sah nicht gerade aus wie ein fünf-Sterne-Hotel – und auch nicht wie eines mit drei Sternen oder auch nur einem Stern – aber es sah auch nicht so verwahrlost aus, wie man sich es eigentlich vorstellt. Ich blieb am Auto gelehnt stehen und suchte nach Ray, welchen ich in der Dunkelheit nicht mehr ausmachen konnte. Doch als ich mich zur Seite drehte, stand er neben mir und ich zuckte und wich zurück. Sein Gesichtsausdruck wurde schlagartig düster und er griff meinen Arm. „Komm, hier werden wir erst mal sicher sein.“ Sagte er und zog mich über den kleinen Parkplatz. Verunsichert folgte ich ihm. War das nur Show, um mich hinterher mit einem Messer in der Hand überraschen zu können? War das alles hier ein Auftrag seine Clans? Immer noch vorsichtig und aufmerksam ließ ich mich in die Eingangshalle führen und hörte gar nicht richtig hin, als er anscheinen die Zimmer buchte. Danach gingen wir zu den Treppen und hoch in den ersten Stock. An dem Zimmer mit der Nummer ‚28‘ blieben wir stehen und er schloss auf. Dahinter erschien ein Raum, mit einem größeren Bett, als ich es für dieses Etablissement erwartet hätte, ein kleiner Schrank und ein ansonsten sehr geschmackvoll eingerichtetes Zimmer mit Bad. Ray ließ mich los und streckte die Hand aus, um mir zu zeigen, dass ich hineingehen soll. Ich kehrte im nur ungern den Rücken zu, aber ich hoffte, dass er die Tür zu machen und in sein Zimmer gehen würde, wenn ich mich vertrauenswürdig und verantwortungsvoll benahm. Und tatsächlich hörte ich, wie die Tür geschlossen wurde, als ich ungefähr die Mitte des Raumes erreicht hatte. Mit einem Seufzen ging ich zum Bett und ließ mich darauf sinken. Das Gesicht in die Hände gestützt, versuchte ich erst mal alles zu ordnen. Wie konnte sich mein Leben nur so schnell ändern? Aber solche Gedanken helfen mir auch nicht mehr die passierten Dinge rückgängig zu machen und deshalb beschloss ich, duschen zu gehen, um meinen von innen gefrorenen Körper aufzuwärmen und mich abzulenken. Ich stand wieder auf und erstarrte. Mist. Verdammter Mist. Ray stand mitten im Raum, anscheinend hatte er ihn nie verlassen, und sah mich unschlüssig an. Er machte einen Schritt auf mich zu und hob die Hand um etwas zu sagen, doch ich kam ihm zuvor. „Ich will gerne duschen gehen. Wenn du also mit mir sprechen willst, dann bitte danach, okay?! Ich werde dann zu deinem Zimmer kommen. Welche Nummer hast du?“ fragte ich und sah ihn träge an. Ein Schmunzeln zierte seine schmalen Lippen. „Wir haben nur ein Zimmer. Ich werde also hier warten müssen.“ Entgegnete er und setzte sich auf einen Stuhl. Ich seufzte. Warum? Warum ich? „Gibt es hier wenigstens irgendwo Klamotten? Ich laufe nun schon seit knapp drei Tagen darin herum.“ „Ich kann welche besorgen.“ Sagte er und stand wieder auf. Bevor er jedoch die Tür erreichte, blieb er noch mal stehen. „Du bleibst hier. Und wirst nicht versuchen zu fliehen.“ Und damit verließ er den Raum. Ich starrte die Tür an und schüttelte fassungslos den Kopf. Dann schloss ich mich im Bad ein und stellte mich unter die Dusche. Sie war herrlich warm und ich blieb viel länger als ich eigentlich vorhatte unter dem wohltuendem Wasserstrahl. Doch ich konnte meinem Leben ja nicht für immer entkommen und Ray wartete bestimmt schon. Als ich aus der Dusche trat, wurde ich mir etwas bewusst. Wollte ich mir jetzt wieder die alten Sachen anziehen, um zu ihm hinüberzugehen, oder sollte ich mir eben schnell nur das Handtuch umwickeln? Ich sah unschlüssig zwischen meinen achtlos in die Ecke geworfenen Sachen und dem sorgfältig gefaltetem Handtuch in dem Regal hin und her. Nach einer Minute dachte ich schließlich ‚Was solls?!‘, schnappte mir das Handtuch und wickelte es mir fest um den Körper. Ich stellte mich vor die Tür, die Hand auf der Klinke, und holte tief Luft. Aber was sollte ich schon zu befürchten haben? Ray würde mir doch nicht das Handtuch vom Leib reißen oder so. Erschrocken über einen kleinen Teil von mir, der sich fragte, was daran so schlimm wäre, schloss ich auf und sah in das Zimmer. Ray saß schon mit den Klamotten auf dem Bett und sah mich an. „Das hat aber lange gedauert.“ Sagte er amüsiert. Dann ließ er einen Blick über mich wandern und sah nicht, dass ich ihm die Zunge raussteckte. Er interessiert sich gar nicht mehr für mein Gesicht, sondern ihm schienen meine nackten Beine und mein ansonsten fast nackter Körper viel mehr zu gefallen. Ich bemühte mich um einen bösen Gesichtsausruck, in Wahrheit war ich jedoch ein wenig geschmeichelt. „Kann ich jetzt die Sachen haben?“ Sein Blick wanderte wieder zu meinem Gesicht und sah mich anerkennend an. Er nahm die Hälfte der Sachen vom Bett und stand auf, um sie mir zu bringen. Als er bei mir wir, entnahm ich sie ihm und drehte mich wieder um, die Hand an dem sich langsam lösendem Handtuch, und wollte zurück ins Bad gehen. Ich wollte endlich diesem Blick entgehen, denn wenn er mich noch lange so ansah, konnte ich für nichts mehr garantieren. Doch er hielt mich am Arm fest, sodass ich stehen bleiben musste. Ich spürte, wie er sich der Länge nach an mich presste und sich sein Mund an mein Ohr senkte. „Du hast dich verändert seit damals.“ Flüsterte er und wie in der Fußgängerzone traf sein Atem auf meine Haut und ich schauderte. Blöder Kämpfer. Seine Hände legten sich auf meine Hüfte und augenblicklich wurde mir heiß. Was sollte das verdammt?! Er war doch sauer auf mich, weil er durch mich seinen Clan in Ärger versetzt hatte. Ich wusste ja noch nicht einmal, was er mit mir vorhatte! Seine Hände wanderten höher und sein Gesicht drückte sich an meinen Hals. Ich musste hier ehrlich weg. Zu meiner Sicherheit. Zumindest redete ich mir das ein. In Wahrheit hatte ich nämlich eine Heidenangst vor den Gefühlen und vor allem dem Verlangen, das er in mir hervorrief. Aber er machte es mir nicht gerade leicht. Sein Mund drückte sich an meine Haut und ich versuchte das Stöhnen zu unterdrücken, aber ein abgehacktes Keuchen drang doch aus meinem Mund. Das ging zu weit! Ich sammelte all meine Kraft und löste mich von ihm. Erst seine Hände und mit einem Schritt nach vorne seinen Mund und seinen restlichen Körper. Ich hob die Hand, in der ich die Sachen hielt. „Danke. Für die Sachen.“ Sagte ich mit fester Stimme und verschwand schnell im Bad. Ich hoffte, er hat nicht gehört, wie verwirrt, verunsichert und konfus ich war. Im Bad zog ich mich schnell um und stellte mit Glück fest, dass Ray mir eine Jogginghose, eine Jeans, zwei Tops und zweimal Unterwäsche gegeben hat. Ich zog mir die graue Jogginghose und das rote Top an und raffte meine anderen Sachen zusammen. In dem kleinen Bad war auch eine Waschmaschine und als ich in dem kleinen Schrank kramte, fand ich sogar Waschpulver. Ich schmiss meine Sachen, bis auf die Stiefel und die Lederjacke, hinein. Dann schloss ich auf und öffnete die Tür ein Stück. „Hast du auch Wäsche, die gewaschen werden muss?“ fragte ich. „Jap. Dafür müsste ich mich jedoch ausziehen…“ Seine Stimme klang amüsiert. Er würde sich doch aber nicht ausziehen, oder? Doch nicht, wenn ich dabei bin. Bitte nicht. Ich verließ schnell das Bad und nahm die anderen Sachen mit. „Das Bad ist frei.“ Er grinste mich vielsagend an und verschwand dann glücklicherweise im Bad. Kurze Zeit später hörte ich, wie die Waschmaschine rumorte und dann die Dusche. Ich machte das Licht aus und ging in das Bett. Ich rutschte ganz an den Rand und drehte mich auf die Seite, meinen Rücken zur Badezimmertür gewandt. Aber natürlich war nicht an Schlafen zu denken. Wie denn auch? In dem Raum neben mir duschte gerade mein bester Freund aus Kindheitszeiten, mein schlimmster Feind und derjenige, bei dem ich echt keine Ahnung hatte was ich für ihn empfinden soll. Wenn er mir so nahe kommt wie gerade, dann schaltete mein Gehirn und gesunder Verstand ab und meine Libido und Verlangen übernahmen. Und das war gar nicht gut, wenn man die Folgen bedachte. Aber wieso empfand ich so etwas überhaupt? Ich sollte für ihn Freundschaft, Hass oder sonst was empfinden, aber nicht Verlangen. Die Badtür ging auf und Ray kam in den Raum. Ich hatte gar nicht gehört, dass die Dusche ausgegangen war. Ich zwang mich, meinen Atem ruhig zu behalten und mich nicht aufzuregen. Das Bett senkte sich auf der einen Seite, als er sich darauf legte. Ich konnte nicht verhindern, dass ich mich versteifte und hellwach war. Mit weit offenen Augen versuchte ich jede Bewegung herauszuhören und vorauszuahnen. Aber er schien nichts anderes zu machen, außer sich auf den Rücken zu legen und zu seufzen. Könnte ich noch ein Stück weiter von ihm wegrutschen, hätte ich das getan. „Vielleicht sollten wir reden.“ Sagte er schließlich. Überrascht legte ich mich auch auf den Rücken und vergaß die Distanz zwischen uns. „Könnte was bringen.“ Gab ich zu. „Wie konnte der bescheuerte Kerl herausfinden wer du bist? Oder warst.“ Fragte er. „Er…“ ich stockte. Ich wollte ihm nicht erzählen, dass dieser ‚bescheuerte Kerl‘ mich angetatscht hatte. „Na?“ „Er hat das Mal gesehen. An meiner Schulter. Dann ist er wie von der Tarantel gestochen davongerannt.“ Erzählte ich ihm. Er drehte sich zu mir herum und sah mich misstrauisch an. „Wie konnte er das sehen? Dein T-Shirt hat es verdeckt. Sehr gut sogar, darauf hatte ich extra geachtet. Wie also hat er es entdecken können?“ Er sah mich unmöglicher Weise noch misstrauischer an und mit einer hochgezogenen Braue. „Keine Ahnung.“ Wich ich ihm aus und starrte nach rechts, um seinem forschenden Blick zu entgehen. Ich wusste nicht genau, warum ich nicht wollte dass er es wusste, aber trotzdem wollte ich es ihm nicht sagen. „Hör auf zu lügen. Woher wusste er das.“ Fragte er jetzt ernst. Ich sah wieder zu ihm und seufzte. Ich musste es ihm wohl sagen. „Er hatte mir doch das Zimmer gezeigt. Nun ja und er fand mich wohl sehr… hübsch. Verstanden?“ Ich war genervt, dass ich es ihm doch sagen musste. Seine Augen wurden mit einem Schlag groß und er starrte mich an. „Was? Er… er hat dich angefasst?“ Er schien ehrlich geschockt zu sein. „Schon gut, na ja. Auf jeden Fall hat er dadurch…“ „Nichts ist gut. Er hat dich angefasst! Er sollte dir nur dein Zimmer zeigen! Was wäre, wenn er das Mal nicht gesehen hätte? Wie weit wäre er noch gegangen. Wie weit wärest du gegangen?“ brüllte er. Ich setzte mich auf. Jetzt wusste ich, warum ich es ihm nicht sagen wollte. Weil er so oder so wütend werden würde. Aber das brachte mir jetzt auch nichts mehr. „Du kannst so wütend werden, wie du willst, es bringt mir so oder so nichts mehr. Also reg dich ab und erzähl mir lieber, was du jetzt vorhast und warum zur Hölle wir in einem Zimmer und in einem Bett schlafen!“ Ich sah ihn finster an. „Ich weiß, dass es uns nichts bringt, dass ich wütend werde, aber trotzdem bin ich es. Und was ich jetzt vorhabe? Ich habe keine Ahnung!“ Seine wütende Stimmung verflog und er lachte. „Ich denke, dass wir uns irgendwo eine Unterkunft suchen müssen, bis ausreichend Gras über die Sache gewachsen ist. Dann überlegen wir weiter. Und ich habe nur ein Zimmer gebucht, um sicherzugehen, dass du nicht wieder versuchst abzuhauen. Außerdem war es billiger.“ „Aja. Aber die Idee, dass ich auch ein Recht auf Privatsphäre habe, ist dir nicht gekommen, oder wie?“ fragte ich ihn und legte mich wieder auf den Rücken. Ray drehte sich auf die Seite und rutschte näher an mich heran. „Doch, aber lieber gehe ich deinen Ärger ein, als dass ich dich durch die gesamten Staaten suchen muss. Oder du dich in Gefahr bringst.“ Ich sah ihn an. „Und was ist mit deinem Clan? Was denken die dazu? Ich bin sicher, die sind damit nicht einverstanden.“ Er nickte und grinste. „Ich weiß. Aber nachdem ich mit einer Jägerin bei ihnen aufgetaucht bin und sie mir gesagt hatten, dass ich dich umbringen soll, was nicht in meinem Interesse liegt, musste ich mich kurzerhand anders entscheiden. Also bin ich mit dir geflohen und habe mich somit aus dem Clan geschmissen. Jetzt bist nicht mehr nur du etwas Besonderes, sondern ich werde jetzt auch gesucht.“ Jetzt starrte ich ihn an, legte meine Hände auf seine Schultern und schüttelte ihn. „Bist. Du. Wahnsinnig? Wieso tust du das? Du hättest mich doch einfach wegschicken können. Dann würde wenigstens dein Arsch sicher sein. Ich kann schon auf mich aufpassen, aber ich möchte nicht auch noch, dass du bei jedem Schritt darauf achten musst, dass du nicht umgebracht wirst.“ Ist er nicht ganz frisch? Was macht er denn? Er hatte seine ganze Vergangenheit und auch Zukunft aufs Spiel gesetzt, um mir zu helfen. Er nahm meine Hände von seinen Schultern und nahm sie stattdessen in seine. „Wenn ich bei ihnen geblieben wäre, hätte ich die Aufgabe, dich zu finden und zu erledigen. Und da feststeht, dass ich das nicht tue, hätten sie mich so oder so umgebracht.“ Er zwinkerte mir zu. „So schnell wirst du mich nicht los.“ Sagte er schmunzelnd. Ich zog meine Hände aus seinen – diese dämliche Wärme breitete sich schon über sie durch meinen gesamten Körper aus – und legte mich wieder auf den Rücken. Na toll. Wie sollte das denn jetzt weitergehen? Bei jeder Berührung, jedem Blick musste ich mich beherrschen und zurechtweisen. Und das für die nächsten Tage, Wochen, Monate oder gar Jahre? Das würde ich nicht aushalten. Vielleicht eine Woche. Höchstens. „Wie lange müssen wir uns verstecken?“ fragte ich ihn leise. Vielleicht war er schon eingeschlafen und dann wollte ich ihn nicht wecken. „Keine Ahnung. Bis sie uns vergessen haben oder nicht mehr so aktiv nach uns suchen. Also so ungefähr fünf bis zehn Jahre.“ Was?! So viel? Ich keuchte erschrocken auf. Das war viel mehr als ich erwartete hatte. „Was ist? Ich weiß, dass ihr Jäger auch eine längere Lebensspanne habt, was bedeutet, dass selbst zehn Jahre ein Wimpernschlag für dich sind.“ Ich sah im Augenwinkel, wie er sich zu mir hindrehte und mich ansah. Schnell bemühte ich mich um einen neutralen Gesichtsausdruck, damit er nicht merkte, wie erschrocken ich war. „Nichts.“ antwortete ich schnell. Er stemmte sich hoch und sah auf mich herunter. Oh Mist. „Sag schon.“ Sagte er sanft und sah mir in die Augen. Ich wich seinem Blick aus und suchte nach einer Antwort, solange es nicht eine war wie ‚Weil ich keine zehn Jahre lang die Finger von dir lassen kann, wenn du jeden Tag bei mir bist‘. „Ich… mag es halt nicht, wenn man mich äh… ständig herumkommandiert.“ Brachte ich schließlich heraus. Er senkte sein Gesicht über meines und ich musste ihn ansehen, wenn ich nicht den Kopf drehen wollte. Und wenn ich das getan hätte, wette ich damit, dass er ihn wieder zurück geschoben hätte. „Ja. Das mag keiner. Aber ehrlich, weswegen warst du so erschrocken? Hast du geglaubt, dass wir uns nur eine Woche verstecken müssen und alles wäre wieder gut?“ Meine Wangen wären fast rot geworden. Ich hatte das zwar nicht geglaubt, aber gehofft. Sehr sogar. Aber die hatte er dann ja zerstört. Ich schüttelte langsam denn Kopf. Wie eine Maus, die nicht aufhören kann, der Schlange in die Augen zu sehen, konnte ich nicht aufhören ihm in seine wundervollen, grauen Augen zu schauen. Wenn ich meine Hände austrecken würde, könnte ich sein Gesicht berühren, seine Haare, ihn. Ich konnte ihn an mich drücken und küssen. Niemand findet uns hier, niemand würde uns stören. Ich bemerkte, dass ich meinen Kopf immer noch wie in Trance schüttelte und hörte damit auf. Dann klammerten ich mich an den letzten Rest klarem Verstand, der mir geblieben war und schloss die Augen. Er ist ein Kämpfer und dein Feind. Er ist ein Kämpfer und dein Feind. Er ist ein Kämpfer und verdammt noch mal dein Feind! Wieso fühlte ich mich so zu ihm hingezogen? Ich zwang mich die Hände zu heben und ihn von mir wegzudrücken. Erstaunlicher Weise ließ er es geschehen und legte sich wieder neben mich, wobei mir nicht entging, dass es wieder ein Stückchen näher an mir war. Wollte er mich quälen? War es das, was er wollte? Ich versuchte noch ein klein wenig wegzurutschen, bemerkte aber zu spät, dass das Bett schon zuende war und fiel aus dem Bett. Ich verkrampfte mich und erwartete den harten Boden an meiner Schulter zu spüren, aber stattdessen fühlte ich nur einen warmen, starken Arm, der mich fing und wieder hochzog. Jedoch zog er mich nicht nur hoch, er zog mich weiter, bis ich an seiner Brust gelehnt dalag. Erst dann blieb ich liegen, mit dem Arm noch immer auf meiner Hüfte. Ich hörte ein Brummen, was neben meinem Kopf zu sein schien. Ich drehte ihn und sah, dass es kein Brummen war, sondern ein sich totlachender Ray, der sein Gesicht in das Kissen gedrückt hatte. Sein Körper wurde von den Lachern geschüttelt. Ich sah ihn böse an, denn ich fand das gar nicht witzig. Immerhin bin ich ja nur weitergerutscht, um nicht neben ihm liegen zu müssen. In einem Bett. Und jetzt wo ich darüber nachdachte, war der Boden auch viel verlockender als die starke, muskelbepackte Schulter an dich ich gepresst wurde. Den Boden fand ich wenigstens nicht attraktiv und wollte ihn nicht küssen, berühren oder etwas anderes, was ich hinterher ziemlich bereuen würde. Rays Lachen wurde leiser und er hob den Kopf um auf mich hinunter zu sehen. Er kicherte immer noch ein wenig und ich starrte ihn finster an, während ich versuchte mich von ihm zu lösen. „Oh ja. Es ist ja so was von lustig. Ich lach mich gleich tot.“ Murmelte ich und zog ein wenig brutal seinen Arm von meinem Körper. Schnell rutschte ich wieder weg von ihm und wollte aufstehen. Wenn es nötig war, würde ich mir eine Decke schnappen und auf besagtem Boden schlafen. Der Teppich sah weich aus und eine Nacht konnte ich darauf wohl verbringen. Doch bevor ich mich überhaupt aufsetzen konnte, schlang sich sein Arm wieder um meine Taille, zog mich nach hinten, wieder an seine harte Brust. „Verdammt!“ fluchte ich laut. Er kicherte wieder, während ich erneut versuchte ihm zu entkommen. „Raven, lass das. Es bringt doch sowieso nichts.“ Flüsterte er. Er hatte Recht, doch ich wollte nicht kampflos aufgeben. Ich musste hier weg! Doch gerade, als ich mich wieder ein Stückchen freigekämpft hatte, zog er mich mit einem Ruck zu sich, drehte mich herum und schlang auch noch seinen zweiten Arm um mich. Unsere Gesichter waren jetzt auf derselben Höhe und sein Mund war eindeutig zu nah an meinem. Ich versuchte ihn mit meinen Beinen zu treffen, ihn zu treten oder zumindest dafür zu sorgen, dass er mich für einen kurzen Moment losließ, aber er legte eines seiner Beine schwer auf meines und sorgte dafür, dass ich mich nun gar nicht mehr bewegen konnte. Missmutig hörte ich auf mich zu wehren und wurde ruhig. Scheiße. Warum war der blöde Kämpfer nur so stark? „Geht doch.“ Sagte er leise und sein Atem traf meine Lippen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und wiederstand dem Drang ihn zu küssen. Es war schwer, aber ich schaffte es. Ich ließ mich tiefer ins Kissen sinken und schloss erschöpft die Augen. An Schlaf war natürlich nicht zu denken, aber vielleicht könnte ich ein wenig dösen, bis er eingeschlafen war, ihm die Decke klauen und auf dem Teppich schlafen. Ich spürte, dass Rays Atem ruhiger und tiefer wurde. Doch ich wagte mich nicht zu bewegen, da ich nicht wollte, dass er wieder aufwachte und er mir womöglich noch näher kam. Stattdessen öffnete ich die Augen und sah sein friedliches Gesicht vor mir. Seine Lider zuckten leicht, aber ansonsten war er bis auf seine sich hebende und senkende Brust still. Seine Lippen waren geschlossen und sahen so verführerisch aus, dass sich meine Hände ich die Decke krallten, nur damit ich regungslos liegen blieb. Das kindliche Gesicht von Ray war teilweise noch in diesem unglaublichem Gesicht zu erkennen. Die Nase hatte immer noch einen leichten Schwung, die Augenbrauen ebenfalls. Jedoch ist sein Gesicht insgesamt kantiger und schmaler geworden. Seine Haare waren kurz, verwuschelt und dunkel, wie damals. Ich hatte sie damals schon gerne gemocht und als er bei Weihnachten bei mir übernachtet hatte, hatte nicht wiederstehen können und sie berührt. Natürlich hatte er geschlafen, aber sie hatte sich genauso weich angefühlt, wie sie aussahen. Und aus eigenen Erfahrungen wusste ich, dass das immer noch so war. Ich wüsste nur zu gerne, was sonst noch geblieben ist und was nicht. Ob er immer noch mein Freund war, mich beschützte und auf mich aufpasste. Ich hätte es nämlich nie zugegeben, aber ich habe es vermisst, dass jemand auf mich aufpasst. Auf mich achtgibt und dafür sorgt, dass ich ein Lächeln im Gesicht habe. Das tat er ja auch jetzt. Er hat seinen Clan für mich verlassen, damit er mich nicht umbringen muss. War ich ihm ehrlich noch so viel Wert? Wieso das? Wir haben uns fast zehn Jahre nicht gesehen und trotzdem trug er den Ring und will mich beschützen, obwohl ich es war, die uns erst in diese Situation gebracht hatte. Ich hätte mir an jenem Abend auch einen anderen aussuchen können und dann wäre er nicht gefangen genommen worden. Aber er wäre getötet worden. Erschrocken schnappte ich nach Luft. Könnte ich damit leben, wenn er tot wäre? Und wenn ich daran Schuld bin? Ich sah ihn an und wusste die Antwort sofort. Trotz der ganzen Jahre und der verschiedenen Clans würde ich niemals wollen, dass er stirbt. Egal ob ich mit Schuld habe oder nicht. Er war doch mein Freund! Auch wenn ich keine Ahnung hatte, was da sonst noch ist. Warum will ich ihn so sehr? Das ergibt doch gar keinen Sinn! Mein Blick kehrte zurück zu Ray und mit einem Schrecken bemerkte ich, dass seine aufmerksamen, grauen Augen offen waren. Er hob den Kopf ein wenig und sah mich an. Ich lächelte ihn leicht an. Wie könnte ich jemals wollen, dass wir etwas anderes sind als Freunde? Nie wieder will ich von ihm getrennt sein. Er soll für immer an meiner Seite bleiben, denn da gehörte er hin. Nur als was? Sein Blick wanderte zu meinen Lippen und mir wurde warm. Um genau zu sagen heiß. Konnten wir hier nicht mal das Fenster aufmachen? Ich spürte, wie eine Hand meinen Rücken hinaufglitt, träge über meinen Arm fuhr und zu meinem Dekolleté wanderte. Ich ballte meine Hand wieder zu einer Faust um mich daran zu hindern ihn ebenfalls anzufassen. Seine Finger zogen die Kette unter dem Top hervor. Als er die kleine Perle in der Hand hielt, sah er nachdenklich auf sie herab. „Hast du sie wirklich die ganzen Jahre über getragen?“ fragte er flüsternd. Ich nickte ihn an und er sah mich überrascht und erfreut an. Ich ließ eine Hand zu seiner gleiten und fühlte den Ring, den ich ihm geschenkt hatte. Meine Finger strichen sanft über seine weiche Haut und umspielten den Ring. „Und du? Hast du ihn wirklich immer getragen?“ fragte ich ebenfalls. Er fing an zu grinsen. „Ich habe ihn jeden Tag getragen.“ Flüsterte er. Und dann küsste er mich endlich. Ich wollte es gar nicht anders und wehren konnte ich mich auch nicht mehr. Was vielleicht daran liegt, dass ich es gar nicht wollte. Meine Hände krallten sich in sein Shirt und zogen ihn noch enger an mich heran um ihn überall zu spüren. Ich öffnete meinen Mund, fühlte wie seine Zunge sich in meinen Mund wand und sich um meine schlang. Als ich fühlte, wie er mich ebenfalls näher zog und sich an mich presste, stöhnte ich auf. Ich drückte ihn nach hinten, küsste ihn und schob mich auf ihn. Ich zwängte ihn zwischen meine Beine und spürte dass er hart war. Er keuchte, als ich mich auf ihm bewegte und drückte mich wieder an sich. Sein Mund wanderte zu meinem Hals und saugte leicht an ihm. Ich erschauerte und presste mich impulsiv an ihn. Sog an seiner Zunge und legte ihm die Hände auf die Brust. Ich fuhr über die Haut unter dem Shirt und ließ meine Finger unter den Saum fahren. Doch weil er auf dem Rücken lag, konnte ich es nicht hochziehen, egal wie sehr ich es versuchte. Ich fühlte wie seine Hände sich um meiner Taille schlossen und uns herumdrehte. Jetzt lag ich auf dem Rücken und er zwängte mich zwischen seine Beine. Ich bog mich ihm entgegen und unsere Münder fanden wieder zueinander. Ich keuchte und zog ihn näher an mich. Presste ihn an mich. Ich wollte ihn an mir spüren und zog sein Shirt höher, bis ich es ihm über den Kopf ziehen konnte. Nachdem ich es auf den Boden geworfen hatte, konnte ich mit meinen Fingern endlich über seine nackte Haut fahren. Ich ließ sie über seinen Bauch hoch zu seiner Brust wandern. Seine Haut war weich und warm und geradezu einladend. Ich legte sie ihm wieder auf den Rücken und zog ihn an mich um ihn wieder zu küssen. Ich wollte ihm die Beine um die Taille schlingen, doch er hielt sie ja unter ihm fest. Doch jetzt zog er mich hoch und setzte uns auf. Ich zog meine Beine unter ihm hervor und schlang sie um ihn. Meine Arme schlang ich um seinen Hals und wühlte sie in seine weichen Haare. Seine Hände fuhren jetzt unter mein Top und hoben es an. Es war als würden tausend Schmetterlinge in meinen Bauch vor Aufregung umherflattern. Das war mehr als Lust. Das war… Liebe. Mit einem Mal war die Lust, das Verlangen weg und ich erstarrte. Ray küsste noch immer meinen Nacken und zog das Top höher. Halt. Stopp. Nicht Liebe. Oh, bitte nicht. Seine warmen Finger berührten meine Haut und ich bekam eine Gänsehaut. Na gut, es war nicht alles weg. Im Gegenteil, durch diese erschreckende Erkenntnis, die ich wer weiß wie lange schon mir selbst verheimlicht hatte, fühlte ich mich frei. Ich fühlte mich gut und gelöst, hatte endlich einen Grund für all das hier. Aber Liebe?! Hektisch löste ich mich schnell von ihm, zog mein Top wieder herunter, was mittlerweile schon bis zum Hals hochgerutscht ist und sprang vom Bett. Dann rannte ich ins Bad und schloss mich darin ein. Ich setzte mich auf das Klo und holte tief und abgehakt Luft. Bitte nicht. Nicht Liebe. Alles, nur das nicht. Liebe machte Leute schwach und berechenbar. Sie macht sie verletzbar und das war ich in den letzten Jahren echt genug. Ray klopfte leise an die Tür. „Raven? Was ist los? Habe ich etwas falsch gemacht?“ fragte er verzweifelt. Ich klammerte mich an dem Plastik des Klodeckels fest und zwang mich ruhig zu bleiben. „Sag doch was. Bitte Raven.“ Sagte er etwas lauter. Ich stand lautlos auf und ging zu dem Waschbecken hinüber. Ich stützte mich darauf ab und sah mich im Spiegel an. Meine Wangen waren gerötet, meine Lippen ein wenig geschwollen und meine Augen geweitet. „Rede wenigstens mit mir, bitte. Sag mir nur, ob es dir gut geht. Habe ich dir wehgetan? Oh Gott, das habe ich oder?“ Er hörte sich immer noch verzweifelt an und ich war kurz davor die Tür zu öffnen, mich ihm in die Arme zu werfen und ihm zu sagen, dass er mir nie wehgetan hat. Ihn beruhigen und mich von ihm trösten lassen. Aber ich umklammerte das Becken nur fester und sagte nichts. „Raven, ich kann die Tür auch aufbrechen, aber das möchte ich nicht. Und du lässt mir gerade keine Wahl. Sag doch was.“ Ich schloss die Augen und sank auf den Boden. Geh doch. Bitte. Ich wollte nicht, dass er sah, wie schwach und verletzt ich war. Woran nur diese dämliche Liebe schuld war. Ich lehnte mich an die Heizung, die neben dem Waschbecken an der Wand hing, zog die Knie an und schlang die Arme darum. Nach ein paar Minuten voller Stille knallte die Tür plötzlich auf und Ray kam in den Raum. Er sah sich um und als er mich auf dem Boden kauern sah, stieß er die Luft aus. Vorsichtig und langsam kam er auf mich zu. Ich achtete nicht auf ihn und starrte einfach nur weiter die Wand an. „Oh Gott, was habe ich getan?!“ Als er bei mir war, schob er mir die Arme hinter den Rücken und die Knie und hob mich hoch. Er trug mich nach nebenan, in das große Bett. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und klammerte mich an seinem Shirt fest, was er sich wohl wieder angezogen hatte. Mein Verstand konnte sich nicht entscheiden, ob ich mich an ihn kuscheln sollte, mich freistrampeln und im Bad schlafen soll oder ob ich mich wieder auf ihn werfen und da weitermachen wollte, wo wir – oder ich – aufgehört hatten. Aber ich hatte in den letzten Minuten meine Meinung von ‚Sex‘ zu ‚Übernachtung im Bad‘ geändert und jetzt war ich einfach zu müde, kaputt und fertig um mich nochmal aus der jetzigen Situation ‚frustriertes Kuscheln‘ herauszuentscheiden. Also ließ ich mich zu dem Bett tragen und darauf legen. Als er versuchte, meine Finger von sich zu lösen, hielt ich mich noch mehr fest. Er schaffte es nicht und als er mich ins Bett legte, musste er sich dazulegen. Er lag wie ein Brett und bewegte sich kein einziges Mal. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass ich wieder davonlaufen würde. Aber dafür war ich jetzt zu müde. Dieses Mal war ich es, die sich an ihn schmiegte und die Augen schloss. Zaghaft legte er einen Arm um mich und ließ ihn auf meine Hüfte liegen. Ich spürte, dass der Schlaf näherkam und dachte, dass ich so für immer einschlafen will. In seinen Armen. Ich dummes Mädchen.
Am nächsten Morgen wachte ich früher auf als er und sah sein schlafendes Gesicht neben mir. Wir lagen immer noch so, wie wir eingeschlafen waren, sein Arm auf meiner Hüfte und ich dicht bei ihm. Ich lächelte, als mir der letzte Abend wieder einfiel. Ich liebte ihn! Das war doch absurd. Aber die Situation schien nicht mehr so schlimm wie gestern. Ich war verletzbar die letzten Jahre gewesen, ja und? Er ist doch wieder hier. Bei mir. Und er mochte mich! Er hat gesagt er hat den Ring getragen, jeden Tag. Er hätte mit mir geschlafen, wenn ich nicht aufgehört hätte. Also, was empfand er für mich? Und wollte ich ihn überhaupt lieben? Das bringt doch viel zu viele Probleme mit sich. Die nächsten Jahre müssen wir uns verstecken und immer wachsam sein, da kann ich mich nicht von Liebe ablenken lassen. Ich löste seinen Arm sanft von mir und stand auf. Ich konnte jetzt erst mal eine Dusche gebrauchen und dann würden wir weitersehen. Die Wäsche war trocken, nachdem sich die Waschmaschine von alleine auf das ‚Trockner-‘ programm eingestellte hatte. Ich zog meine Sachen heraus, duschte schnell und zog sie mir wieder an. Die Kette lag vertraut zwischen meinen Brüsten und als ich vor dem Spiegel stand, sah ich sie gedankenverloren an. Nach kurzer Zeit wanderte mein Blick zu dem Pfeil und Bogen und ich strich nachdenklich mit dem Finger darüber. Plötzlich erstarrte ich. Scheiße! Ich erinnerte mich an eine der langweiligen Theoriestunden von Herr Hugd, in denen er gesagt hatte, dass jeder Krieger ein solches Mal hatte. Der Bogen beinhaltete die Kraft, die uns so alt und stark werden ließ und außerdem wie ein Heilmittel wirkte, was Wunden schneller heilen ließ als normalerweise. Der Pfeil war ein Erkennungszeichen und konnte hilfreich sein, wenn der Krieger verschwand. Derjenige, der ihn gezeichnet hatte, wusste immer wo sich die Person befindet und kann sie aufspüren. Erschrocken sah ich mich an. Sie wussten wo ich war. Und sie könnten jeden Moment reinkommen. Verdammt! Hektisch riss ich die Tür auf und sah Ray, der sich gerade anzog. Er hob den Kopf und sah mich schmunzelnd an, doch das verschwand schnell. Er stand auf und kam auf mich zu. „Was ist los?“ fragte er. Ich zog mein T-Shirt ein wenig hinunter, damit er es sehen konnte. „Wir haben ein Problem.“ Er sah mich verwirrt an. „Jeder Krieger hat dieses Mal. Dadurch können sie aufgespürt werden. Sie wissen wo wir sind.“ Hauchte ich. Rays Gesicht wurde starr, dann drehte er sich um und… machte absurder Weise das Bett! „Alles muss so aussehen, als ob wir nie hier gewesen wären.“ Sagte er schnell. Doch mich interessierte jetzt nicht, ob das Bett gemacht war oder die Vorhänge ordentlich waren. Wir würden wieder fliehen, aber mit dem Mal konnte ich so viel fliehen wie ich wollte, sie würden mich immer finden. Ich ging durch den Raum zu der kleinen Kommode, auf der ich gestern Abend meine Messer hingelegt hatte und nahm mir eines. Ich hoffte es klappte. Ich setzte das Messer an den Pfeil. Langsam bohrte ich die Spitze in die Haut und schnitt durch den Pfeil. Ich keuchte vor Schmerz, beherrschte mich aber und schnitt solange weiter, bis der Pfeil nicht mehr zu erkennen war. Ich legte das Messer wieder auf die Kommode und drückte die Hand gegen die Wunde, als ich ins Badezimmer stolperte. Dort nahm ich mir ein Handtuch und stoppte damit die Blutung. Als ich wieder zurück im Schlafzimmer war, war Ray fertig und sammelte gerade seine Sachen ein. Ich schnappte mir mit der freien Hand meine Waffen, zog meine Stiefel an und nahm meine Jacke. Ray hielt mir die Tür auf und sah sie dabei nochmal um, ob alles so war, wie er es wollte. Ich ging auf den Flur, machte jedoch sofort einen Schritt wieder zurück, prallte gegen ihn und drängte uns beiden wieder in den Raum. „Sie sind schon da.“ Sagte ich leise. Ray fluchte und zog mich dann zum Fenster. Es ging nicht allzu weit hinunter, aber mit meiner Schulter konnte ich das unmöglich machen. Er sprang als Erster behände durch das Fenster und landete ohne Beschwerden unten. Ich sah auf ihn herab und er streckte die Arme aus. „Komm, ich fang dich!“ rief er. Ich hörte, wie die Jäger an der verschlossenen Tür rüttelten und setzte mich auf die schmale Fensterbank. Gerade als die Tür hinter mir mit einem Krachen nachgab, ließ ich mich fallen. Ich hielt das Handtuch fest an mein Schlüsselbein gedrückt und spürte, wie Ray mich mit einem Ruck auffing. Ich konnte mir einen kleinen Schmerzensschrei nicht verkneifen, ließ ihn aber sofort wieder verstummen. Er stellte mich auf die Füße und zog mich schon mit, auf das Auto zu. Sobald wir saßen, startete er den Motor und raste davon. Erst als wir bestimmt zehn Kilometer zwischen uns und das Hotel gebracht hatten, ließ ich mich erschöpft in den Sitz sinken. Vorsichtig hob ich das Handtuch, um zu sehen, ob es mittlerweile aufgehört hatte zu bluten. Das Tuch war zwar rot und noch warm, genauso wie meine Hand, aber es blutete nicht mehr. Ich lächelte leicht und begann, das Handtuch um meine Schulter zu binden und zog es fest, um eine Art Verband zu bekommen. „Was zur Hölle hast du gemacht?!“ brüllte Ray plötzlich neben mir los und ich zuckte zusammen. Hä? Was? Ich sah ihn verwirrt an und er deutete wütend auf meine Schulter. „Achso. Das. Ich habe dir doch erzählt, dass sie mich immer aufgespürt hätten. Also habe ich dafür gesorgt, dass sie es nicht können.“ Sagte ich gelassen. „Du hast dich aufgeschnitten?“ „Jap. Aber halb so wild, tut schon gar nicht mehr weh. Also konzentrier dich bitte auf die Straße.“ Er starrte nämlich immer noch meinen Arm an. „Du bist wahnsinnig! Wir hätten schon einen anderen Weg gefunden, außer dem, bei dem du dich verstümmelst.“ Sagte er energisch. Ich schnaubte. „‚Verstümmelt‘ ist jetzt übertrieben, findest du nicht? Ich habe nur die Haut aufgeritzt, damit der Pfeil nicht mehr zu erkennen ist.“ Jetzt war er es, der schnaubte. Er streckte die Hand aus, drückte sie auf das Handtuch und ich keuchte vor Schmerz auf. „Nur geritzt, was?“ Er hörte sich immer noch verärgert an. „Ich versteh dich nicht. Hätte ich ihn immer noch, würde uns jetzt mein ganzer Clan verfolgen, weil sie genau wüssten wo wir sind. Jetzt wissen sie es nicht mehr. Also, wo ist das Problem?“ fragte ich empört. Ich hatte doch richtig gehandelt! „Mein Problem ist, dass du anscheinend auf Schmerz und Leid stehst. Erst willst du alleine vor deinem ‚Todesschwadron‘ – wie du es nennst – fliehen und jetzt schneidest du dir selber ins Fleisch. Ich sollte dich eher fragen, was dein Problem ist.“ Ich wollte nicht auf diese Frage antworten und starrte stattdessen aus dem Fenster. Ich hatte doch nur helfen wollen. Außerdem was hätten wir denn sonst machen sollen? Das Mal kann man nicht abkriegen, außer man schneidet sich die Haut ab. Und das habe ich ja schon nicht getan, sondern nur zerschnitten. Der Himmel war bewölkt und die Sonne schien nicht hindurch. Außerdem fing es gerade an zu regnen, was meine Stimmung nicht gerade hebte. Es erweckte den Anschein mit ihm hier in dem Auto eingesperrt zu sein und ich konnte mich immer noch nicht entscheiden, ob ich das gut oder schlecht fand. Ich liebte ihn. Ich sollte wirklich alles empfinden, aber nicht Liebe! Warum nur? Warum hatte das Schicksal beschlossen mir mein Leben zu zerstören? Es war doch alle gut gewesen, oder? Ich hatte einen guten Job gehabt, ein festes Einkommen und Bleibe. Etwas, was mit zwei zugedrückten Augen eine Familie nennen konnte und ansonsten war auch alles okay gewesen. Wieso also musste er an jenem Abend in der Gasse sein? Ich sah einem Regentropfen dabei zu, wie er die Scheibe hinunterrann und sich mit anderen verband. Immer schneller flossen sie an dem glatten Glas hinab, bis sie schließlich unten angekommen waren. Ich lehnte meinen Kopf an die kalte Scheibe und schloss die Augen. Ich wollte nicht mehr. Ich wollte nicht fliehen. Ich wollte wieder nach England, wo ich mich wenigstens ein bisschen auskenne. Und ich wollte weg von ihm! Zumindest wollte das der rationale Teil von mir. Der andere wollte sich einfach nur in seine Arme werfen und losheulen. Aber ich hatte solange nicht mehr ‚geheult‘, also werde ich das auch jetzt nicht tun. Ich öffnete die Augen wieder und sah, dass wir durch eine Stadt fuhren. Menschen liefen schnell über die Gehwege oder stellten sich unter. Autos rasten durch die Straßen, hielten an roten Ampeln und ließen die Fußgänger rüber. Aber das alles war schnell vorbeigezogen und wir fuhren wieder über Land. Die Bäume bogen sich ein wenig von dem Wind, der über die Wiesen peitschte. Ungefähr zwei Stunden fuhren wir so weiter, bis Ray in einen kleinen Feldweg einbog. Wir hatten die ganze Fahrt über nicht geredet, sondern uns angeschwiegen und uns auf andere Dinge konzentriert. Am Ende des Weges kamen wir an ein altes Haus. Es sah aus wie eine Art Bauernhof, riesengroß und mit einer Scheune. Was wollten wir hier? Ray machte den Motor aus und verließ das Auto. Kurze Zeit später wurde meine Tür geöffnet und er schien zu erwarten, dass ich ausstieg. Ich beschloss ihm zu vertrauen und folgte ihm dann zu dem Haus. Vielleicht war es ja leerstehend und wir uns hier verstecken. Perfekt war es ja, es war weit von der Straße entfernt, schwer zu sehen und wirkte überhaupt nicht wie ein Versteck für totgeweihte Flüchtlinge. Aber anstatt irgendwie durch eine Hintertür in das Haus zu schlüpfen, klingelte Ray an der Haustür. Eine Weile passierte gar nichts, aber dann hörte ich, wie ein Schlüssel herumgedreht wurde und die Tür ein Stück geöffnet wurde. Ein alter Mann kam in unser Sichtfeld mit einer Schrotflinte in der Hand. Aber als er Ray sah, senkte er die Hand mit der Waffe und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ray, mein Junge! Schön dich zu sehen! Und wen hast du uns denn da mitgebracht? Ach, kommt rein in die gute Stube.“ Sagte er gutmütig und lächelte mir zu. Ich lächelte höflich zurück und machte einen Schritt auf Ray zu. „Hallo John. Schön dich zu sehen.“ Begrüßte er ihn und betrat das Haus. Ich folgte ihm ein wenig unsicher, bis wir in ein Wohnzimmer kamen. Es sah zumindest so aus. Dort saß auf einer gemütlichen Couch eine ältere Dame, die uns ebenfalls nett anlächelte. Sie stemmte sich schwerfällig hoch und umarmte Ray. „Ach, ist das schön dich zu sehen, Ray. Wo hast du nur gesteckt? Und wer ist das?“ Sie warf einen neugierigen Blick auf mich. John kam hinter mir in den Raum und legte die Flinte beiseite. „Es freut mich ebenfalls euch wiederzusehen. Und das ist Raven. Eine Freundin.“ Begrüßte er sie und ich reichte beiden die Hand. John, der Opa, bot mir an, mich zu setzen und ich ließ mich neben der Oma nieder. Ray nahm uns gegenüber in einem Sessel Platz und wirkte zum ersten Mal irgendwie… unbeschwert. Das brachte mich zu der Frage woher er die beiden kannte. „Also Junge, wo warst du so lange. Ich glaube das letzte Mal das du uns besucht hast, ist schon vier Jahre her.“ Sagte die Oma und sah Ray ein wenig vorwurfsvoll an. „Ich hatte zu tun. Aber als wir hier in der Nähe waren, dachte ich mir, wir könnten euch doch mal besuchen.“ „Okay und was ist wirklich los? Das letzte Mal hast du dich hier vor deinem Clan versteckt. Was ist es dieses Mal?“ fragte John. Ich sah Ray ebenfalls fragend an. Die beiden wussten von seinem Leben? Und wer waren sie, dass Ray ihnen so sehr vertraute? „Um ehrlich zu sein, bin nicht nur ich es, der sich versteckt. Wir werden beide gesucht, sie von ihrem und ich von meinem Clan. Aber dieses Mal ist es ein wenig ernster, denn wenn wir gefunden werden sollten, bringen sie uns um.“ John grinste. „Wusste ich es doch. Und jetzt seid ihr hier, um euch zu verstecken, nicht wahr.“ Ray nickte. John lachte und die Oma auch ein wenig. „Naja, aber ihr habt bestimmt Hunger, wollt ihr was? Dann kann ich euch schnell eines der Zimmer oben fertig machen.“ Wir ließen uns in eine Küche führen und uns etwas zu essen geben. Wir aßen mit genauso vielen Wörtern wie wir im Auto gesprochen hatten, nämlich gar keinen. Die Stimmung schien immer noch schlecht zu sein, aber war es nur, weil er sich über meine Wunde aufregte? Die mittlerweile schon fast wieder weg war. Aber deswegen war die Stimmung doch nicht so… komisch, oder? Als wir fertig waren und alles verspeist hatten, wurden wir nach oben geführt und uns wurde jedem ein Zimmer gegeben. Ich freute mich, dass ich in der damit verbundenen Einsamkeit endlich mal in Ruhe nachdenken konnte. Über ihn, mein Leben und die Zukunft. Was jetzt passierte. Erschöpft setzte ich mich auf das Bett und ließ mich nach hinten fallen. Ich wollte jetzt einfach nur schlafen. Doch kurz darauf ertönte ein leises Klopfen an der Tür. „Kann ich reinkommen?“ fragte die zierliche Stimme der alten Dame. „Natürlich, kommen sie herein.“ Sagte ich und stand auf. Sie lächelte mich an und schloss die Tür hinter sich. „Ich will eigentlich gar nicht lange stören, sondern nur sagen, dass du dir gerne etwas zum Anziehen aus dem Schrank nehmen kannst.“ Bot sie mir an. Ich nickte ihr dankbar zu. „Ich danke ihnen, dass sie all das für uns machen. Wir alle wissen, dass sie sich damit in große Gefahr bringen und ich schätze ihre Hilfe sehr.“ Sie nickte mir zu. „Ray ist schon mal bei uns untergetaucht, vor ein paar Jahren. Sein Clan hat ihm viel bedeutet und es wundert mich, wie er es hinbekommen hat, dass sie ihn jetzt erledigen wollen. Aber wir werden euch aufnehmen, solange es nötig ist.“ Sie verschwand wieder und ließ mich alleine. Obwohl ich die beiden erst kannte, mochte ich sie jetzt schon. Ich quälte mich hoch und duschte schnell. Ich war viel zu müde und durcheinander, als das ich mich bei einer Dusche entspannen könnte. Danach suchte ich mir was aus dem Schrank – Unterwäsche und ein großes Shirt – und legte mich dann ins Bett. Ich war angespannt und abgekämpft. Ich hatte niemanden mehr. Ray war nicht mehr der, den ich kannte. Ich liebte ihn und er war ein Kämpfer! Da stimmt doch was nicht, aber egal wie oft ich mit das sagte, es änderte nicht. Mein Clan wird mich umbringen, sobald er mich findet. Die letzten zehn Jahre war er das einzige gewesen, was mir noch etwas bedeutet hat, abgesehen von der Kette. Ich habe mich durch die Ausbildung und durch all die unzähligen Tage und Wochen voller Training geschleppt, um… warum eigentlich? Um Krieger zu werden? Um ihnen zu beweisen, dass ich schon klarkomme? Ich wusste es nicht. Meine Eltern konnte ich nicht einweihen, wer weiß was die Jäger mit ihnen machen werden, um an mich heranzukommen. Ich drehte mein Gesicht in das Kissen und versuchte die Tränen der Verzweiflung zurückzudrängen. Ein paar flossen dennoch in das Kissen und ich war wütend über mich selbst deswegen. Ich konnte fast fühlen, wie Ray die Tür leise hinter sich schloss und durch den Raum auf mich zukam. Aber das wäre ja noch schöner! Dann würde er am Ende noch sehen, dass ich wie ein kleines Kind heule. Ich konnte die eingebildeten Bewegungen spüren, wie er zum Bett kam und sich auf der Matratze niederließ. Aber dann wurde mir erschreckender Weise etwas klar: Das Bett senkte sich tatsächlich und ich spürte seine Hand, wie sie sich beruhigend auf meinen Rücken legte. Empört richtete ich mich auf, wischte mir schnell die Tränen weg und rutschte von ihm weg. „Was willst du hier?“ fragte ich ihn erbost. Ich wollte ihn hier nicht haben. Ich wollte in meinem Selbstelend ertrinken und dann irgendwann mit verquollenen Augen einschlafen. Wie damals, an Silvester. Aber selbst das ist mir wohl nicht vergönnt. „Wir müssen reden.“ Er sah mich an und hob die Hand, um mir eine Träne wegzuwischen, die noch auf meiner Wange war und die ich wohl vergessen hatte. „Und so einiges klären.“ Fügte er hinzu. Ich schnaubte. „Na gut, dann leg los.“ Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, aber ich kam ihm zuvor. „Oder, ich habe eine bessere Idee. Ich fange an. Woher kennst du diese Leute? Du scheinst sie ja sehr gut zu kennen und du vertraust ihnen offensichtlich sehr, stehen sie dir nahe? Und die Oma meinte, dass es sie verwundert, dass du jetzt von deinem Clan verstoßen wurdest, da er dir doch so viel bedeutet hat. Warum also hast du ihn verlassen? Du hättest mich einfach stehen lassen können. In England, bei deinem Clan und eigentlich überall! Und dann weist du mich auch noch zurecht, wie ich mich zu benehmen habe! Und selbst wenn es für uns nicht den geringsten Wert und Sinn hat, kann es dir völlig egal sein, ob ich mich ritze, aufschneide oder mir sonst wie Schmerzen zufüge!“ brüllte ich ihn an. Ich hoffte nur, dass die beiden Alten uns nicht hörten. Er sah mich an und Wut funkelte in seinen Augen. „Und ob mich das was angeht! Hör zu, ich habe dich bei mir behalten, weil ich wollte dass du in Sicherheit bist. Nicht, weil ich dich ärgern oder an irgendetwas hindern wollte. Als ich dich in dem Keller, dem Verließ zum ersten Mal wiedergesehen hatte, wusste ich, dass ich dich mit mir nehmen würde. Ich wollte dich nicht bei ihnen zurücklassen, selbst wenn dein Verrat nie herausgekommen wäre, hätte ich dich an jenem Abend mitgenommen. Nur um dann mitanzusehen, wie du dich selbst verletzt?!“ „Es hat dich einen Dreck zu interessieren!“ warf ich dazwischen. Meine Traurigkeit hatte ich vergessen, ich fühlte nur noch Wut. Wut über meine Verzweiflung und seine Arroganz. Ich stand auf, vergaß dass ich ja halbnackt war und zog ihn mit. Sein Blick blieb wie gestern an meinen nackten Beinen hängen und vollkommen unpassend erinnerte ich mich auch an den Kuss von gestern. Um mich abzulenken schob ich ihn von mir weg und auf die Tür zu. Er konnte seinen Blick immer noch nicht von mir losreißen, selbst nicht, als ich ihn schon in den Flur geschoben hatte. Er sah aus wie ein dummer kleiner Junge, der zum ersten Mal in seinem Leben nackte Haut sieht. Doch als ich die Tür zumachte, klarte sein Blick schlagartig auf. „Nein! Wir müssen das klären, du wirst nie wieder…“ Doch dann knallte die Tür zu und er verstummte. Schnell schloss ich ab und warf den Schlüssel auf die Kommode. Ich drehte mich um, achtete nicht auf seine Versuche die Tür aufzubekommen und legte mich wieder unter die Decke. Diese zog ich mir über den Kopf und ließ seine Stimme dadurch leiser werden. Nach ungefähr drei Stunden schaffte ich es endlich einzuschlafen.
Nach einer Woche waren wir immer noch bei Helen und John. Ray und ich hatten seit dem ersten Abend nur sehr wenig gesprochen und das Weniges beschränkte sich auf kühle Konversation, die wir betrieben, um den anderen beiden keinen unhöflichen Eindruck zu vermitteln. Ich wusste, dass er mich ansah, wenn ich nicht hinschaute, genauso wie ich ihn manchmal ansah. Es war etwas, was ich nicht lassen konnte. Jeden Abend schloss ich mich in meinem Zimmer ein und war den Tränen nahe. Ich gab es nur ungern zu, aber ich vermisste ihn. Ich vermisste seine arrogante Art, seine Blicke, seine zufälligen Brührungen. Aber das wollte ich nicht. Jedoch schien das meine Gefühlswelt einen Scheiß zu interessieren. Wir saßen gerade am großen Wohnzimmertisch um Abendbrot zu essen. Ich hatte nicht wirklich Hunger und saß einfach nur da und starrte aus dem Fenster. Ray unterhielt sich mit Helen und John aß genüsslich sein Brot. „Kann ich aufstehen?“ fragte ich schließlich leise und alle bis auf Ray sahen mich an. Helen sah mich ein wenig verwirrt an, sagte aber dann doch, dass sie nicht dagegen hätte. Ich räumte meine Sachen schnell ab, wünschte allen eine gute Nacht und verschwand dann in mein Zimmer. Dort duschte ich wie jeden Abend und legte mich dann in mein Bett. Um dann die nächsten zwei bis drei Stunden über mein Leben nachzugrübeln und zu dem Schluss zu kommen, dass alles im Eimer war. Ich drehte mich auf die rechte Seite, sah aus dem kleinen Fenster auf den Mond und die Sterne. Es war so schön. Ich nickte langsam weg, und hörte leise den Wind an besagten Fenstern rasseln und klacken. Ich schreckte hoch. Klacken? Ich setzte mich gerade noch rechtzeitig auf um mit anzusehen, wie die Tür leise aufglitt und eine dunkle Gestalt hineinkam. Geräuschlos rutschte ich aus dem Bett, griff nach meinen Messern unterm Kissen und lief schnell zu einer dunklen Ecke im Zimmer. Ich war mir bewusst, dass es Ray war, aber ich wollte ihn hier nicht haben. Immerhin hatte ich die Tür ja nicht umsonst abgeschlossen. Er ging zu dem Bett und legte eine Hand auf die Stelle wo ich gerade noch gelegen hatte. Schnell huschte ich aus der Dunkelheit, trat hinter ihm und legte ihm das Messer an die Kehle. „Was willst du hier?“ knurrte ich. Wir standen eine Weile so da, er vollkommen erstarrt unter meiner Klinge und ich hinter ihm, darauf bedacht ihn nur so wenig wie möglich zu berühren. Nur weil ich Frust schiebe, heißt das nicht, dass ich ihn nicht begehre und in dieser Hinsicht völlig unberechenbar war. Aber das wusste er ja nicht. Hoffte ich. „Also?“ zischte ich. Weshalb kommt er mitten in der Nacht in mein Zimmer? Wenn er reden wollte, hätte er mich den ganzen Tag über mehrmals ansprechen können. Ich erschrak, als er sich zu mir herumdrehte und somit die Schneide über seinen gesamten Hals glitt. Nun stand er direkt vor mir und ich musste meinen Kopf leicht nach hinten neigen, wenn ich ihn ansehen wollte. Ich konnte natürlich auch weiter geradeaus starren, aber dann würde ich mit seiner Brust sprechen und das war mir dann doch ein wenig unangenehm. Ich drückte das Messer stärker an die weiche Haut, um ihm zu verdeutlichen, dass ich mich nicht ablenken ließ. „Was ich hier will?“ fragte er sarkastisch mit leiser Stimme. Seine Hände hoben sich an mein Gesicht und umfassten es. Seines senkte er direkt davor und er sah mir in die Augen. Obwohl ich ihn in den letzten Tagen vermisst hatte, durfte ich jetzt nicht das Messer in meiner Hand vergessen. Er sollte nicht hier sein! Und ich darf nicht nachgeben. Was sich jedoch als äußerst schwierig herausstellte, denn die Kraft, mit der ich das Messer an seiner Kehle hielt verschwand allmählich und in mir wuchs der absurde Wunsch es fallen zu lassen und meine Arme um ihn zu schlingen. Doch bevor ich mich dafür oder dagegen entscheiden konnte, drückte er seinen Mund auf meinen. Er bewegte sich nicht, hielt einfach nur seinen Mund auf meinen gepresst. Meine Augen, die ich erst vor Schreck weit geöffnet hatte, schlossen sich und ich genoss das Gefühl des Kusses. Doch dann zog er sich zurück und ich erinnerte mich daran, dass ich die Waffe ja immer noch in der Hand hielt. Schnell richtete ich sie wieder auf und brachte mich ebenfalls in Position. Ich funkelte ihn an. „Das ändert gar nichts.“ Stellte ich klar. Er schmunzelte. „Oh doch. Und das weißt du auch.“ Und damit schlug er meine Hand mit dem Messer fort, welches aus meiner Hand und auf den Boden flog, und küsste mich wieder. Ich wollte mich wehren, mich von ihm wegschieben, solange ich noch einen klaren Verstand hatte. Das hier war nicht gut. Ich hatte mich doch extra eingesperrt, damit er nicht hereinkam. Ich hatte ihn bedroht, damit er mich in Ruhe ließ. Also war doch jetzt irgendetwas schief gelaufen, oder? Gewaltig schief. Ich stemmte meine Hände gegen seine Brust und versuchte mein Gesicht aus seinem Griff zu befreien, aber es klappte nicht. Dann schob ich mich weg, zuerst nur die Beine, dann die Hüfte, die Brust, jetzt fehlte nur noch das Gesicht. Aber er hielt seinen Mund nach wie vor fest an seinen gedrückt, schlang dann auch noch seine Arme um meine Taille und strich gleichzeitig mit seiner Zunge über meine Lippen. Ich musste wohlig schaudern und wollte ihn und mich einfach nur auf das Bett hinter ihn werfen. Aber ich musste stark bleiben. Ich würde es hinterher bereuen. Wir waren Feinde, die sich zusammen versteckten und da konnten wir uns beide keine Turteleien erlauben, oder? Seine Hände zogen mich näher an ihn und all mein Wehren brachte mir rein gar nichts. Er presste mich an seine Brust und küsste mich wieder. Und ich hielt, wenn ich mich schon nicht lösen konnte, meinen Mund zu. Seine Zunge strich hartnäckig über meine mühsam verschlossenen Lippen und ich begann zu zittern. Langsam halte ich das nicht mehr aus, Feind hin oder her. Aber dann wich Ray ein kleines Stück zurück und sah mich an. „Ich fühle mich wie ein Idiot, aber das ist es, weswegen ich mitten in der Nacht in dein Zimmer einbreche. Ich weiß nicht wieso, aber ich mag dich. Sehr.“ Flüsterte er leise und ließ mich los. Dann drehte er sich herum und ging zur Tür. Mit gemischten Gefühlen sah ich ihm hinterher, unsicher und unentschlossen. Doch eines wurde mir jetzt klar, als ich ihm dabei zusah, wie er mein Zimmer verließ. Es gab genug Probleme, unlösbare Probleme, in diesem Moment und wenn ich eines davon anfangen konnte zu lösen, nämlich was ich wirklich für ihn empfand und ob es sich nur um Lust handelte, dann konnte ich das doch tun, ohne gleich ein schlechtes Gewissen zu bekommen, oder? Er war noch nicht bei der Tür, sondern ging leicht geknickt noch immer darauf zu. Ich lief schnell zu ihm, überholte ihn, schlug die Tür zu und drehte mich dann mit einem Lächeln zu ihm herum. Er sah mich verwirrt an, doch zu mehr hatte er gar nicht die Zeit, wie damals in der Gasse, da hatte ich ihn an die Wand gedrückt und küsste ihn stürmisch. Ich wollte jetzt wissen, was ich für ihn empfand. Ich ließ meine Hände fordernd über seinen Bauch und seine Brust wandern. Ray keuchte und war immer noch ein wenig überrascht. „Was wird das?“ fragte er heiser. Ich lachte leise und küsste ihn wieder. Meine Zunge strich jetzt über seinen Mund, bis er den seinen endlich öffnete und sie sich mit seiner verbinden konnte. Seine Hände legten sich auf meinen Rücken, fuhren höher, in meine Haare. Ich wollte die Zeit jedoch nicht mit Küssen verbringen und ließ wie beim letzten Mal meine Hände unter sein T-Shirt gleiten. Jedoch ließ ich sie erst über seine nackte Haut wandern, seine Bauch- und Brustmuskeln, die sich unter meiner Berührung anspannten. Dann zog ich den Saum seine Oberteils erst hoch, doch dann hielt er meine Hände fest, sodass ich nicht weitermachen konnte. Er hörte auf mich zu küssen und sah mich an. „Wenn du wieder aufhören willst, dann tu es jetzt. Denn dieses Mal kann ich mich bestimmt nicht beherrschen.“ Ein Schauer der Lust durchfuhr mich. „Dann ist ja gut.“ Flüsterte ich an seinen Lippen und küsste ihn wieder, während ich ihm sein Shirt auszog. Unachtsam warf ich es beiseite und konnte endlich einen Blick auf seine nackte Brust werfen. Bedächtig fuhr ich mit meinen Fingern hinüber und genoss die Schauder, die ihn daraufhin durchfuhren. Seine Hände wanderten jetzt unter mein Top und zogen es hoch. Letztes Mal hatte ich ihn daran gehindert, weil mir bewusst geworden war, dass ich ihn liebte. Doch jetzt wusste ich es und hatte nichts dagegen. Er warf es genauso achtlos beiseite wie ich zuvor seines und fuhr mir ebenfalls mit den Fingern über den fast nackten Oberkörper. Dann wanderten sie zu meinem Rücken und öffneten den Verschluss meines BHs. Er ließ ihn langsam über meine Arme nach unten gleiten. Als er auf den Boden gefallen war, starrte er mich wie vor ungefähr einer Woche an, als ich ihn so unsanft rausgeworfen hatte. Und auch dieses Mal wollte ich ihn unterbrechen, doch rausschicken lag mir nicht im Sinn. Nein, stattdessen drückte ich ihn an mich und küsste ihn. Ich spürte wie seine nackte Brust sich gegen meine presste und ich bekam ein warmes Kribbeln. Er drängte mich weiter zu dem Bett, lief mit und versuchte gleichzeitig ihm seine Hose auszuziehen. Ich konnte sie öffnen und ihm über die Knie ziehen, bis er mit den Füßen heraussteigen konnte. Er trug nichts darunter und das fachte meine Leidenschaft noch mehr an. Ich drängte ihn weiter auf das Bett zu und er zog derweil meine Hose herunter. Ich stieg schnell hinaus und schob ihn zum Bett, bis er schließlich rückwärts darauf fiel. Ich folgte ihm schnell und ließ mich auf ihn nieder. Ich küsste ihn wieder und fuhr mit den Händen an den Seiten seines Körpers entlang. Er schauderte und drückte mich impulsiv stärker an sich. Ich keuchte und ließ meinen Mund zu seinem Hals wandern. Er zog uns höher auf das Bett, bis sein Kopf auf dem Kissen lag und unsere Beine auf der Decke ausgebreitet waren. Mein Mund wanderte wieder zu seinem und ich schlang meine Zunge um seine. Er ließ seine Hände über meinen Rücken wandern und ließ sei schließlich auf meinem Hintern liegen. Dann drehte er uns herum, sodass er oben lag. Er fing an sich zu bewegen und keuchte erneut. Seine Hände zogen an meinem Höschen, zogen es schließlich ganz hinunter und warfen es ebenfalls weg. Seine Erektion drückte spürbar an meine Hüfte und ich stöhnte auf. Ich rieb mich an ihn und er war derjenige der keuchte. Ich hob meine Beine und schlang sie um seine Mitte. Bevor ich ihn noch mal küssen konnte oder mich bewegen konnte, drang er mit einem gekonnten Stoß in mich ein. Wir beide stöhnten unisono auf. Es war mein erstes Mal und ich fühlte ein kleines Brennen. Doch angesichts der großen Lust, die ich verspürte, während er in mir war, vergaß ich den Schmerz. Er fing an sich zu bewegen und ich keuchte erneut. Ich küsste ihn und lenkte mich von dem letzten bisschen Schmerz ab. Ein unglaubliches Gefühl jagte durch meinen Körper, bis es schließlich in meiner Mitte zusammenkam und mich schier überwältigte. Ich erzitterte und all meine Nervenenden begannen zu zucken und sich zu winden. Ich schrie kurz auf, als der Orgasmus mich mitriss. Kurz nach mir kam Ray über mir und verkrampfte sich ebenfalls. Er ließ sich auf mich sinken und atmete genauso gepresst wie ich selber. Nachdem wir endlich wieder einigermaßen normal Luft holten, rollte er sich von mir herunter, neben mich und schlang mir seine Arme um die Taille, um mich an sich zu ziehen. Ich ließ es zu, legte mein Gesicht an seine Brust und lächelte. Und wie ich so darüber nachdachte, stellte ich fest, dass ich glücklich war. Absolut glücklich! Ich durfte jetzt nur nicht daran denken, was ich mit meinen Gefühlen für ihn alles anrichten konnte. Dass würde alles vermiesen und ich war so selten zufrieden, diese Moment waren kostbar und ich hatte vor, sie in vollen Zügen zu genießen. Es war so angenehm die Wärme seines Körpers zu spüren und das gehörte nur mir. Seine eine Hand wanderte nach oben und strich durch meine Haare. Ich wich ein wenig zurück um ihn in die Augen zu sehen. Er schaute müde auf mich hinunter und lächelte träge. Ich streckte mich hoch, um ihn einen Kuss auf den Mund zu drücken. Er zog mich wieder enger an sich und seine Zunge schlang sich um meine. Ich löste mich leise lachend. Er sah mir in die Augen und hielt mein Gesicht fest. „Ich…“ fing er an, doch er unterbrach sich. „Na?“ Ich schmunzelte ihn an. Hatte er jetzt schon die Sprache verloren? Endlich hatte ich ein Mittel gefunden ihn zum Schweigen zu bringen. Er schloss kurz die Augen, öffnete sie dann wieder und zog mein Gesicht noch näher heran, bis unsere Nasenspitzen sich berührten. „Ich…“ Ich zog die Brauen hoch. „Ich… liebe dich.“ Murmelte er. Ich lächelte noch und dachte, dass ich ihn nicht verstanden hatte. Oder falsch verstanden hatte. Aber als er mir ernst in die Augen sah, merkte ich, dass ich ihn nicht falsch verstanden hatte und er es verdammt ernst meinte. Erschrocken rutschte ich von ihm weg und stand auf. Verwirrt stand ich auf und blieb neben dem Bett stehen. Er liebte mich? Aber… aber das geht doch nicht. Er konnte das doch nicht so einfach sagen. Wusste er denn nicht, was er damit anrichtet? Ich drehte mich zu ihm herum und sah ihn verärgert an. Er lag immer noch im Bett und sah genauso verwirrt aus, wie ich mich fühlte. „Was?! Das meinst du doch nicht ernst!“ fragte ich ihn. Er schnaubte. „Weißt du eigentlich, wie viel Überwindung mich das gekostet hat? Oder mitten in der Nacht in dein Zimmer zu kommen? Und du stehst hier einfach und fragst mich ob ich das ernst meine!“ sagte er wütend und ich war noch mehr verwirrt. Er meinte das tatsächlich ernst! Er liebte mich. Oh Gott. Ich ließ mich auf die Knie sinken, stützte meine Ellbogen auf das Bett und legte mein Gesicht hinein. Oh Nein. Er hatte somit alles kaputtgemacht. Denn jetzt stand uns nichts mehr im Weg. Kein feindlicher Clan, kein Hass oder andere hindernde Emotionen, alles war gut. Aber irgendetwas stimmte doch nicht, oder? Es kann nicht sein, dass ich endlich und vollkommen glücklich sein kann. Das ist unmöglich, es gibt immer einen Hacken. Immer. Ich hatte einfach nicht so viel Glück. Ich hörte, dass Ray sich bewegte und aus dem Bett stieg. Wahrscheinlich geht er jetzt, was verständlich war. Ich wusste doch selber, wie groß der Mut für eine solche Aussage sein muss, noch dazu unter den jetzigen Umständen, und ich hatte ihm voll vor den Kopf gestoßen. Ich sackte noch mehr zusammen. Ich wollte nicht das er ging. Es war doch gerade so schön gewesen. Aber vermutlich war es besser so, wenn wir jetzt erst mal Abstand voneinander nehmen. Ich hatte mit ihm geschlafen um herauszufinden, was ich für ihn empfinde. Und das wusste ich jetzt. Ich liebte ihn, trotz allem. Und den kleinen Bonus hatte ich auch noch bekommen: er liebte mich auch. Aber es geht nicht! Eine Träne rann mir über die Wange und fiel in meine Hände. Doch ich drängte sie zurück – noch hatte ich nicht gehört wie die Tür ins Schloss gefallen ist und somit seine Abwesenheit bestätigt hätte. Stattdessen erschreckte ich mich, als ich eine warme Hand auf meinem Rücken spürte, die sich tröstend darauf legte. Ich streckte ihn durch und richtete mich auf. Als ich sicher war, dass meine Tränen versiegt waren, drehte ich mich zu ihm herum. Ray sah mich fragend an und war immer noch herrlich nackt. „Was ist los?“ fragte er sanft. Ich hatte das nicht verdient. Ich hatte seinen Mut infrage gestellt, hatte mein und sein Leben ruiniert und er war immer noch nett zu mir! „Warum hasst du mich nicht?“ Ich sah ihn verständnislos an. Er lachte leise, hob mich hoch und setzte mich auf das Bett. Dann legte er meinen Kopf auf das Kissen und deckte mich sorgfältig zu. Er setzte sich neben mich und sah auf mich herunter. Seine Hand glitt zu meinem Gesicht und schob mir eine Haarsträhne weg. „Wie könnte ich? Jedes Mal wenn ich dich ansehe, sehe ich die kleine Raven, die völlig durchgefroren in ihrem Vorgarten steht und mit den Zähnen klappert. Jedoch leuchten ihre Augen kampflustig und in ihren Händen wartet bereits der nächste Schneeball. Du warst immer mein Mädchen, damals wie heute. Glaub mir, zu Anfang habe ich genau wie du versucht dich nur als Feind zu sehen, versucht dich zu hassen. Aber egal wie oft ich mir gesagt hatte, dass du eine Jägerin und somit mein Todfeind bist, hat es nichts gebracht. Im Gegenteil. Ich war stolz auf dich, dass du es so weit gebracht hast. Du bist eine starke Frau und hast dich nicht unterkriegen lassen, obwohl du genügend Gründe dafür hast. Das kleine trotzige Mädchen ist zu einer mörderischen Frau geworden, doch meine Gefühle für dich haben sich nur noch verstärkt. Wir werden von mehreren gutausgebildeten Kopfgeldjägern gesucht und das einzige woran ich denken kann ist, wie ich dir sagen soll, was ich für dich empfinde. Ich wollte heute Abend nicht in dein Zimmer kommen. Ich wusste, dass du dich die ganze Woche, seit unserem Gespräch, eingeschlossen hast, um mir aus dem Weg zu gehen. Ich war gekränkt darüber und wollte nur mit dir reden, aber als du mir dein Messer an die Kehle hieltest und ich gemerkt hatte, wie nah du mir warst, ist mir nur wieder klar geworden, wie sehr ich dich vermisst hatte. Es ist unglaublich wie sehr du mich innerhalb weniger Tage so verändern konntest. Aber ich liebe dich und ich stehe dazu. Egal was du denkst. Allerdings würde ich das gerne wissen.“ Murmelte er. Ich sah ihn mit großen Augen an. Was sollte ich denn dazu sagen? ‚Ich liebe dich auch‘?! Ich schlang meine Arme um seinen Nacken und zog ihn zu mir hinunter, um ihn einen kurzen Kuss auf die Lippen zu drücken. „Ich danke dir. Obwohl es verrückt klingt, bin ich seit jenem Tag an dem wir aus dem Keller der Jäger geflohen sind, wieder glücklich gewesen. Die ganzen Jahre über habe ich einfach nur vor mich hin gelebt, habe mich nur auf die Schule konzentriert. Ich wusste, wenn ich dich schon nicht in den Ferien sehe, dann sehe ich dich nie wieder. Immerhin war ich eine Jägerin und du warst an einer normalen Schule, mit normalen Freunden und normalen Verhältnissen, zumindest dachte ich das. Ich habe dich mehr als meine Familie vermisst, du warst mein erster und einziger Freund den ich je hatte. Du hast mir mehr als die Welt bedeutet, aber ich hatte dich verloren und ich dachte, dass du bestimmt noch nicht mal mehr einen Gedanken an mich verschwendest. Die Kette, das Weihnachtsgeschenk von dir, war das einzige, was mir noch etwas bedeutete. Und zu Anfang wollte ich dich hassen, aber schon nachdem du mich in der Fußgängerzone geküsst hattest, wusste ich, dass es nichts bringen würde. Dass ich dich ab da noch weniger würde vergessen können, als ich es ohnehin schon nicht konnte. Ich hatte Angst bei dir zu bleiben, weil ich nicht wusste wie ich reagieren würde. Vor einer Woche, als wir in dem Hotel waren, war ich zum ersten Mal wieder so richtig glücklich gewesen. Du trägst den Ring, du hast mich geküsst. Aber dann bin ich mir etwas bewusst geworden und habe Angst bekommen. Ich wollte das nicht. Ich war glücklich und das ist viel zu surreal um wirklich zu sein. Es gab immer einen Haken in meinem Leben. Was wäre, wenn ich dich wieder verloren hätte? Oder du mich hinterher hassen würdest? Ich wollte das Risiko nicht eingehen und bin geflohen. Ich hatte jetzt eine Woche zum Überlegen und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich es mir bestimmt nur eingebildet haben muss. Aber als du dann hier rein geschlichen bist, traf es mich wieder mit voller Macht. Und als du dann rausgehen wolltest, dachte ich mir, dass ich mir wenigstens gönnen konnte, herauszufinden, was ich wirklich für dich empfinde und zu meinem eigenen Schrecken habe ich das auch.“ Ich verstummte und holte tief Luft. Dann lächelte ich ihn leicht an. „Ich liebe dich auch.“ Murmelte ich leise. Er sah mich erstaunt an. „Du…?“ fing er an doch sprach nicht weiter. Ich nickte ihn schüchtern an. Langsam breitete sich ein großes Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er kam mir wieder näher, seine Arme legten sich um meine Hüfte. Doch ich wich zurück, obwohl ich ihn liebte, hatte ich immer noch etwas gegen ein Happy End. Ich versuchte auch seine Arme von mir zu nehmen, aber er behielt sie hartnäckig wo sie waren. „Was ist?“ fragte er verwirrt. Wie süß. Er dachte alles wäre in Ordnung und so einfach. Man, eigentlich war es ja auch so leicht. Zu leicht für meinen Geschmack. Verstand er denn nicht, dass es einen Haken geben musste? Er hob eine Hand und legte sie mir unters Kinn, um mein Gesicht anzuheben und damit er in meine Augen sehen konnte. „Was ist los?“ fragte er sanft. Ich schüttelte den Kopf. „Das ist alles zu gut für mich. Du bist zu gut für mich. Womit habe ich das denn verdient? Es gibt doch immer den einen Haken und was ist er diesmal? Ich kann und darf dich nicht lieben, verstehst du?!“ versuchte ich ihm verständlich zu machen. Doch er lächelte nur leicht und schüttelte den Kopf. „Es gibt keinen Haken. Es gibt nur dich und mich. Nichts anderes, hörst du?“ Ich versuchte in seinen Augen einen Zweifel oder Unsicherheit zu finden, aber ich fand keine. „Aber…“ „Nicht aber. Ich liebe dich, du liebst mich. Wo ist denn da noch das Problem? Wir gehören keinem Clan mehr an, sind frei und können machen was wir wollen. Es gibt keinen Haken oder Komplikation. Es ist so einfach wie es scheint.“ Flüsterte er und neigte sich näher zu mir. Bevor er mich küsste sah er mir noch mal in die Augen, dann fanden sich unsere Lippen. Ich erlaubte mir nicht meine Arme um ihn zu schlingen oder ihn zurück zu küssen. Ich war noch nicht überzeugt und wusste nicht mehr, was ich tun konnte und was nicht. Er wich ein wenig zurück, hielt mich jedoch immer noch fest umschlossen. „Küss mich.“ Murmelte er heiser. „Küss mich.“ Wiederholte er und drückte seinen Mund wieder auf meinen. Ich keuchte. Er machte es mir wirklich sehr schwer. Ganz langsam begann ich meine Lippen zu bewegen. Er zog mich sofort enger an mich und versuchte endlich unsere Zungen miteinander zu vereinen. Vorsichtig stieß ich mit meiner gegen seine und schlang zögernd meine Arme um ihn. Ich spürte wie er lächelte. Ich spürte ein warmes Kribbeln und zog ihn an mich. Wie beim ersten Kuss vergaß ich alles und interessierte mich nicht mehr im Geringsten für meine Unsicherheit. Ich hob meine Hände um sein Gesicht zu umfassen und zog ihn enger an mich. Ich rieb meine Zunge an seiner und er keuchte auf. Er löste sich von mir, hielt mein Gesicht aber immer noch fest. „Darauf habe ich immer gewartet, seit du mir damals den Ring geschenkt hast, ob du es glaubst oder nicht. Ich werde für immer bei dir bleiben und dich beschützen.“ Sagte er an meinem Mund. Plötzlich fühlte ich mich geborgen und sicher. Ich spürte, dass er Recht hatte, ich hatte es einfach nur nicht sehen wollen. Ein kleiner Teil wehrte sich immer noch gegen das Glück, aber der Rest genoss es einfach. „Du mich beschützen? Das hast du in den letzten zehn Jahren nicht sehr gut hinbekommen.“ Zog ich ihn neckend auf und grinste. Er knurrte gespielt und warf mich rückwärts auf das Bett. Ich kicherte und er küsste mich nochmal. Ich schlang ihm die Beine um die Hüfte und unser kleines Liebesspiel begann von vorn.
Ich wachte langsam auf und spürte starke, warme Arme, die von hinten um mich geschlungen waren. Ich grinste und kuschelte mich mehr an seine Brust. „Morgen.“ Murmelte er heiser und verschlafen. Ich drehte mich zu ihm herum und schaute mit funkelnden Augen zu ihm herauf. „Morgen.“ Sagte ich und küsste ihn. Er zog mich wieder an sich und ich legte meinen Kopf an seine Schulter. Wir blieben ein paar Minuten so liegen und ich genoss einfach nur seine Wärme und Anwesenheit. Doch dann hörte ich wie ein Auto vorfuhr und Autotüren zufielen. Wir richteten uns auf und versuchten einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Helen und John hatten kein Auto. Dafür trat der jetzt die Tür auf und sah uns ernst an. „Zieht euch an und verschwindet. Sie haben euch.“ Sagte er bestimmt und mein Blick fiel auf die Schrotflinte in seiner Hand. Ray nickte ihm ernst zu und stand auf. John nickte zurück und verließ den Raum wieder. Oh Shit. Ich sprang ebenfalls aus dem Bett und suchte meine Sachen von dem Tag meiner Ankunft, um sie wieder anzuziehen. Innerhalb von wenigen Minuten hatten wir uns angezogen und bewaffnet. Ich ging zum Fenster und sah Frau Dotz und Herr Kuhv aus einem silbernen Auto steigen. Oh verdammte Scheiße. Ich drehte mich zu Ray um, der sich soeben seinen Waffengürtel umgeschnallt hatte. „Jetzt geht es los.“ Sagte er bestimmt und nickte. Ich nickte ernst zurück und wollte zur Tür gehen, als ich aus dem Augenwinkel sah, wie Herr Kuhv etwas warf. Erschrocken drehte ich mich herum und sah, wie er das nächste Wurfgeschoss in die Hand nahm. Einen Molotowcocktail! Ich hörte den Knall beim Aufprall und spürte die Erschütterung. Die würden uns hier in die Luft jagen! Ich fühlte, dass Ray mein Handgelenk umschloss und mich durch den Raum zog. Wir liefen schnell den Flur entlang, bis zu einem Zimmer, dessen Tür er auftrat und zu dessen Fenster wir stürmten. Er schlug die Scheibe ein und sah hinaus. Ich riss das Laken vom Bett und band es am Fensterrahmen fest. „Du zuerst.“ Schrie er über den Krach hinweg. Ich griff nach dem Laken und sprang aus dem Fenster. Unten angekommen bewegte ich ein wenig das Seil, damit er merkte, dass ich unten war und er jetzt nachkommen konnte. Doch er kam nicht. Er war doch nicht etwa zurückgerannt?! Er musste mit mir kommen! Er durfte nicht sein Leben aufs Spiel setzen. Nicht jetzt. Nicht nachdem er gesagt hat er liebt mich und ich es zugelassen hatte. Er musste jetzt runterkommen! Ich warf einen Blick nach oben und nach ein paar Sekunden erschien er sogar am Laken und kletterte herunter. Die letzten Meter sprang er. Als er unten war, suchte ich ihn mit Blicken nach Wunden und Verletzungen ab, fand aber gottseidank nichts. Dann boxte ich ihn gegen den Arm. „Was hast du dir dabei gedacht?!“ brüllte ich ihn an, als er mich von dem Haus wegzog. „Dafür ist jetzt keine Zeit.“ Antwortete er. Er begann zu rennen und ich stolperte hinter ihm her. „Wo gehen wir hin?“ Dieses Mal antwortete er nicht und zog mich weiter. Ich holte zu ihm auf und lief neben ihm her. Aber dann hörte ich eine Explosion und wurde nach vorne geschleudert. Ich landete hart auf dem Boden und spürte fast zeitgleich, wie Ray sich auf mich legte und mich mit seinem Körper schützte. Jedoch war der Krach genauso schnell wieder weg, wie er gekommen war und zurück blieb nur ein großer Tinnitus. Er rappelte sich auf und half mir beim Aufstehen. Als wir standen warf er einen Blick zurück zum Haus, was jetzt nur noch ein Holzgestell war und lichterloh brannte. Ich sah zu Ray hoch und sah, dass er unglaublich traurig war. Da wurde mir so einiges klar. Weshalb er sich so gefreut hatte sie wiederzusehen, so nett zu ihnen war. Und entweder gehörten sie jetzt dem Clan oder sie waren in den Flammen umgekommen. Ich schlang Ray die Arme um die Hüfte und drückte mein Gesicht tröstend an seine Brust. Er zitterte leicht und vergrub sein Gesicht in meinem Haar. Wir standen eine Weile so da, bis ich die Stimmen der beiden Verursacher hörte. Sie näherten sich uns und dem Haus. „… sollten sie nicht überlebt haben, jedoch denke ich, dass wir uns vergewissern sollten, ob wir uns das Problem wirklich von Hals geschafft haben.“ Sagte Frau Dotz gerade. Das Haus brannte jetzt nur noch an einigen Stellen und rauchte ansonsten nur noch. Wir wurden von den Bäumen verdeckt und konnten die beiden beobachten ohne dass sie uns sahen. Sie gingen hinein und verschwanden aus unserem Blickfeld. Ray hatte sein Gesicht immer noch in meinem Haar und hielt mich stumm fest. Ich ließ meine Hände beruhigend seinen Rücken hoch und runter gleiten, bis die beiden Jäger wieder aus den Trümmern kamen. Frau Dotz rief Herr Kuhv, der voranlief, gerade etwas zu. „… einfacher als gedacht. Und einen Kämpfer noch dazu!“ sagte sie freudig und stieg zurück in das Auto und sie fuhren davon. Also waren sie tot. Ray keuchte einmal kurz, richtete sich dann auf und sah mit starrem Blick an mir vorbei auf das Haus. Dann senkte er denn Blick und zog mich weg. Das Auto war mit in die Luft geflogen und wir liefen schweigsam durch den Wald. Nach einiger Zeit kamen wir an eine Straße, zu der wir parallel liefen, bis zur nächsten Stadt. Es war meine Schuld. Hätte ich ihn nicht mitgenommen, damals in der Gasse, oder hätte ich ihn nicht befreit, würden die beiden noch leben. Ich hätte auch weglaufen können oder wenigstens vorsichtiger sein können. Wegen mir sind sie tot. Es war mein ehemaliger Clan, der sie umgebracht hat. Ich lief mit hängendem Kopf neben ihm her, ich fühlte mich grausam. Ich hatte ihm das Letzte genommen, was er noch hatte. Etwas was er vielleicht noch als Familie hatte. „Da ist eine Stadt.“ Meinte Ray und zeigte ein paar Kilometer vor uns. Ich nickte nur und lief weiter. Ich fühlte seinen Arm, der sich auf meine Schultern legte und mich an ihn zog, es nahm mir zumindest ein wenig von meinem schlechten Gewissen. „Und wo gehen wir jetzt hin? Wir sind frei!“ sagte er mit ein wenig Freude im Ton. Ich lächelte leicht. Er hatte Recht, wir waren frei, so frei wir zuletzt vor zehn Jahren. Das brachte mich auf eine Idee. „Wie wärs wenn wir zurück nach Hause fahren? Ich habe meine Eltern so lange nicht mehr gesehen.“ Ray sah auf mich herunter und ich erwartete ein zorniges Gesicht. Ich hatte vielleicht seine Familie zerstört und verlangte jetzt zu meiner zu gehen?! Doch ich fand nur ein Lächeln vor. „Das ist eine gute Idee.“ Murmelte er und beugte sich zu mir herunter um mich zu küssen. Ich wich ein kleines Stück zurück bevor ich es verhindern konnte. Kurz vor meinem Gesicht hielt er inne und sah mich an. „Was ist denn?“ fragte er so sanft wie gestern Abend. Ich schüttelte den Kopf. „Sie sind tot. Ich weiß, sie standen dir nahe und wenn man es genau nimmt, habe ich sie auf dem Gewissen. Ich hätte nicht bei dir bleiben sollen, es war mein Clan, der sie umgebracht hat. Ich hätte dich gar nicht erst entführen sollen!“ brachte ich hervor. Er lachte kurz bitter. „Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Ich war doch derjenige, der zu ihnen gefahren ist. Ich hätte aufmerksamer sein und sie daraus holen müssen. Wenn hier jemanden die Schuld trifft, dann mich.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen, dass er mir keine Schuld gab und schämte mich sofort dafür. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, umfasste sein Gesicht und sah ihm tief in die Augen. „Du bist nicht schuld daran, okay? Es waren die beiden, sie haben das Haus in die Luft gejagt. Und dafür werden sie büßen. Für Helen und John. Versprochen.“ Flüsterte ich und drückte meinen Mund auf seinen. Es war ein sanfter Kuss. Danach liefen wir weiter in Richtung Stadt, wir wollten uns informieren, wo der nächste Flughafen sein würde. Und außerdem hatte Ray auf seinem Konto von seinem Clan noch Geld. Er wollte alles abheben, damit wir wenigstens etwas haben. Also liefen wir den Rest des Tages durch die Stadt, suchten nach netten Leuten für eine Auskunft und nach einem Geldautomaten. Am Ende des Tages, so gegen elf, hatten wir alles erledigt und Ray wollte in einem Hotel übernachten. Als er an der Rezeption buchte, erinnerte ich mich mit einem Lächeln an die letzte Hotelnacht. Es schien ewig her zu sein. “Kommst du?“ fragte er von der Treppe und bot mir seinen Arm an. Ich hakte mich unter und wir stiegen hoch. Das Zimmer war größer als das andere und auch teurer ausgestattet. „Gefällt es dir?“ Ich drehte mich zu ihm um. „Ja.“ Sagte ich und küsste ihn kurz auf den Mund. „Das ist gut.“ Erwiderte er grinsend und zog mich wieder aus dem Raum. „Wo gehen wir denn hin?“ wollte ich wissen. „Ich habe Hunger und ich denke du auch, deshalb gehen wir jetzt was essen.“ Antwortete er bestimmt und zog mich immer noch mit. Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf, folgte ihm aber. Als wir in dem kleinen hoteleigenem Restaurant ankamen, wurden wir zu einem Tisch gebracht und die Speisekarten wurden uns gereicht. Ich wählte ein Putenfilet mit Kartoffeln und Ray ein Rindersteak, ebenfalls mit Kartoffeln. Dazu tranken wir einen Rotwein. Es war wunderschön. Wir lachten und malten uns unser neues Leben aus, ohne Clan und andere Sachen die uns in unserer Freiheit einengen könnten. Wir können hinziehen wo wir wollen, allerdings nicht gerade in die Nähe der Clan, wir konnten machen was wir wollten, wann wir es wollten. Es war toll! Als ich bei meinem Nachtisch und schon vollkommen satt war, warf ich einen Blick auf die anderen Gäste. Sie alle wirkten unterschiedlich, da saß ein einsamer Mann, der grimmig sein Essen verschlang. Dann ein altes Paar, was lächelnd aß. Und eine kleine Familie, mit einem Kind im Hochstuhl, was lachend versuchte das Kind ohne kleckern zu füttern. Ich drehte mich wieder zu Ray um. Ich war wirklich und wahrhaftig glücklich. Endlich. Ich freute mich schon auf meine Eltern, darauf, dass ich meinen Ray wieder hatte und einfach das es alles jetzt so war, wie es ist. Als ich einen Blick zum Eingang warf, brachten mich die eintretenden Personen auf einen Gedanken. Es war wirklich alles in Ordnung. Bis auf ein kleines Problem. Herr Kuhv und Frau Dotz. Scheiße! Ich machte Ray schnell verständlich, dass wir uns aus dem Staub machen sollten und er reagierte sofort. Diskret rief er einen Kellner nach der Rechnung und wir zahlten schnell. Aber die beiden brachten mich auf eine Idee. Sie hatten mindestens zwei nette Menschen auf dem Gewissen und dafür würden sie büßen. Ich hielt Ray an der Tür zurück, als er schon die Treppe hinauf wollte. Als er mich fragend ansah, zwinkerte ich ihm zu. Die nächste Stunde saßen wir mit Zeitschriften vor dem Gesicht in der Lobby, die an das Restaurant angrenzte und beobachteten dessen Ausgang. Als sie heraus kamen, konnten wir ihnen unbemerkt folgen, bis zu ihren Zimmern. Jetzt hatten wir sie. Wir verschwanden einen Stock tiefer in unserem Zimmer und warteten. Punkt drei war es soweit. „Du willst das wirklich?“ fragte Ray mich. Ich nickte ihn ernst an. Er grinste. „Das ist die Raven die ich liebe.“ Sagte er und wuschelte mir durch die Haare. Ich küsste ihn kurz und dann machten wir uns auf den Weg zu ihren Zimmern. Jeder von uns hatte ein Messer und abgemacht, dass ich mir Frau Dotz und er sich Herr Kuhv vornahm. Ich schlich leise in ihr Zimmer. Es lag im Dunkeln und ich konnte sie gerade noch so unter der Decke erahnen. Geräuschlos ging ich auf sie zu, zückte mein Messer. Als ich neben ihr stand, schlug sie ihre Augen auf, doch ich hatte schon meine Klinge an ihre Kehle gesetzt. Sie konnte mich erkennen und sah hektisch zu mir auf. „Wer sind sie?“ presste sie hervor. Ich neigte meinen Mund zu ihrem Ohr. „Ihr Alptraum.“ Murmelte ich, lachte und fühlte, wie sie schauderte. „Du hast Angst? Gut so.“ sagte ich, als ich zurückwich. „Was werden sie tun? Ich kann ihnen Geld, Ansehen, alles geben!“ flehte sie und ich lachte noch mal. „Wissen sie noch, als sie sagten, dass sie mit meinen Fortschritten zufrieden sind? Tja, ich bin es auch.“ Erkennen spiegelte sich in ihren Augen und sie wollte schreien, doch dann zog ich ihr das Messer tief durch die Kehle und sie verstummte. Das Blut floss schnell in das weiße Kissen und auf ihr Nachthemd. Mein Arm hatte einige Spritzer abbekommen, die ich an ihrer Bettdecke abwischte. Nach einem kurzen Blick stellte ich fest, dass der Rest von mir von solchen Flecken verschont blieb und machte mich auf den Weg aus dem Zimmer. Ray lehnte an der Wand und steckte gerade sein Messer weg. Als er mich sah, lächelte er. „Na, alles gut?“ fragte er und ich nickte. „Und bei dir?“ Er nickte auch. Dann nahm er meine Hand und wir gingen zu unserem Zimmer.
Am nächsten Tag besorgten wir uns Flugtickets und schafften es irgendwie zu einem Flughafen. Der Flug war lang gewesen und ich war müde, denn ich hatte nur schlecht geschlafen. Ich war viel zu aufgeregt. Ray hatte zwischenzeitlich wie ein Stein geschlafen, mit seinem Kopf auf meiner Schulter uns seinen Armen um mich geschlungen. Wir hatten einen Nachtflug genommen und deshalb ertönte den gesamten Flug Schnarchen von überall zu mir, doch ich konnte einfach nicht schlafen. Am Flughafen haben wir uns dann ein Taxi genommen und fuhren jetzt gerade zu mir nach Hause. Wir hatten vor, erst zu meinen Eltern zu gehen und dann gemeinsam zu seinen. Das Auto hielt vor der Tür, wir bezahlten und stiegen aus. Ich wartete, bis Ray neben mir stand und wir gingen gemeinsam durch den Vorgarten. Jene Schneeballschlacht im Schnee, am letzten Heiligabend, kam mir wieder ins Gedächtnis. Ich grinste Ray an. „Du hast mir den Schnee damals voll in den Nacken geworfen.“ Warf er mir vor. Ich grinste. „Du hattest es ja auch nicht anders verdient.“ Sagte ich und sah zu ihm auf. Er legte mir seine Arme um die Taille und zog mich an sich. „Das ist aber nicht sehr nett.“ Murmelte er an meinem Mund. Ich grinste. „Ich weiß.“ Flüsterte ich und küsste ihn kurz. Dann löste ich mich widerwillig von ihm und zog ihn zur Tür. Ich holte tief Luft und drückte dann die Klingel. Das vertraute Klingeln ertönte und man hörte drinnen jemand auf die Tür zukommen. Mein Herz begann schneller zu schlagen und als die Tür schließlich geöffnet wurde, setzte es aus. Das älter gewordene Gesicht meiner Mutter erschien in der Tür und starrte uns erst nur an. Dann erkannte sie mich und Ray und ihr Mund öffnete sich ungläubig. „Raven…?“ fragte sie leise. „Hey.“ Sagte ich und grinste. Sie drehte sich um, um etwas zurück in das Haus zu rufen. „Schatz, komm mal her. Du wirst nicht glauben, wer hier vor der Tür steht.“ Rief sie aufgeregt. Eine zweite Person erschien an der Tür. Mein Vater. Auch er war verwirrt. Doch dann fingen beide an zu lachen und kamen raus und umarmten mich. „Oh Raven! Wo hast du nur die ganze Zeit gesteckt?“ Als sie mich genug gequetscht und gedrückt hatten, wichen sie einen Schritt zurück und sahen uns an. „Ray, dich hat man ja auch lange nicht mehr gesehen. Schön, dass ihr hier seid.“ Sagte mein Vater und schüttelte ihm die Hand. „Kommt rein! Ich glaube, ihr habt uns eine Menge zu erzählen.“ Sagte meine Mutter aufgeregt. Unsicher drehte ich mich zu Ray um. Was konnten wir ihnen erzählen, ohne sie in Gefahr zu bringen? Er nickte mir aufmunternd zu und folgte meiner Mutter nach drinnen. Also ging ich ebenfalls hinein und schloss die Tür hinter mir. Wir gingen ins Wohnzimmer und erneut traf mich ein Schwall voll Erinnerungen. Es war wieder jener Heilig Abend, an dem er mir die Kette geschenkt hatte. Ich griff unbewusst nach der Kette und nahm sie in die Hand. Sie hatte mich die ganzen Jahre über begleitet und beschützt. Und jetzt bin ich wieder nachhause gekehrt. Ray und ich setzten uns neben einander auf die Couch und meine Eltern begannen uns mit Fragen zu löchern. Wir beantworteten alles geduldig und klärten Unwissenheiten auf. Sie waren geschockt, als sie erfuhren, in was für eine Schule sie mich geschickt hatten und was ich statt normalen Unterrichts gelernt hatte. Und auch als wir ihnen von Rays Schule und den Zusammenhang dazwischen erzählt hatten, waren sie noch schockierter. Als schließlich alles über unsere sachliche Vergangenheit gesagt hatten, fingen sie an uns nach unserem Verhältnis auszufragen. „Also, nachdem du ihn gefangen genommen hast, damit dein… Clan ihn foltern kann, hast du ihn doch wieder befreit und ihr seid geflohen. Daraufhin habt ihr euch versteckt, euer Unterschlupf wurde in die Luft gejagt und ihr habt sie schließlich ermordet. Richtig?!“ fragte meine Mutter ungläubig. Ich nickte. „Ja. Ja genau so war es.“ Meine Eltern sahen sich abschätzend an. Als sie sich wieder uns zuwandten, schienen sie sich dazu entschieden zu haben, uns zu glauben. Als wir eine Weile schweigsam so dasaßen, spürte ich wie Ray ungeduldig wurde. Er würde seine Eltern ja noch sehen und wir saßen hier untätig rum. „Ähh… also wir wollten auch noch zu Rays Eltern und ich glaube er ist genauso aufgeregt, wie ich es war.“ Ich stand langsam auf und die anderen drei taten es mir nach. „Okay. Das ist verständlich. Aber wenn ihr wollt, könnt ihr hier übernachten. Wir haben dein Zimmer schon vor Jahren umgebaut, weil wir dachten, dass du häufiger kommen würdest. Na ja, es ist größer und ein neues Bett steht auch drin.“ Sagten sie ein wenig verlegen und ich musste grinsen. „Wir werden es uns überlegen.“ Dann gingen wir raus, verabschiedeten und von meinen Eltern und steuerten auf die andere Straßenseite zu, Rays Elternhaus. Als wir klingelten, verlief die gesamte Willkommensprozedur genauso wie bei mir. Die Freude, die Ungläubigkeit und dann wieder Freude, dass wir endlich wieder hier waren. Ray freute sich genauso sehr, wie ich mich gefreut hatte und es war schön ihn so lächeln zu sehen. Schlussendlich verabschiedeten wir uns auch wieder von ihnen, da sein ehemaliges Zimmer noch das kleine Bett hatte und er nicht mehr darein passte. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag und liefen wieder rüber zu mir, in mein altes Zimmer. Sie hatten es wirklich verändert. Die Wände waren nicht mehr gelb und orange, sondern blau und weiß. Die Regale enthielten noch ein paar meiner Sachen aus meiner Kindheit und mein Herz wurde schwer. Sie hatten all die Jahre auf mich gewartet und ich war nie zurückgekommen. „Wir wünschen euch eine gute Nacht. Wir sehen uns morgen.“ Sagte meine Mutter und umarmte mich kurz. Mein Vater küsste mich kurz auf die Stirn und dann verließen beide das Zimmer. Ich setzte mich auf das Bett und sah Ray an. Er kam zu mir und legte sich auf das Bett. „Mir gefällt es. So eines sollten wir auch in unser Haus stellen.“ Sagte er müde und schloss die Augen. Ich legte mich neben ihn und bettete meinen Kopf auf seiner Schulter. „Unser Haus?“ fragte ich ihn schmunzelnd. Er drehte sich auf die Seite und sah mich an. „Ja, unser. Ich weiß zwar noch nicht wie, wo oder wann, aber du bleibst bei mir. Und wir können ja nicht ewig in deinem Kinderzimmer wohnen. Außer du möchtest das gerne.“ Fügte er hinzu. Ich boxte ihn leicht in die Seite. Er lachte leise und schlang seine Arme um mich und zog mich an sich. Ich löste mich von ihm und stand auf. „Wo willst du denn jetzt hin?“ „Mich umziehen. Es musste hier ja irgendwo noch was zum Schlafen sein. Ich kramte die Schubladen durch und fand tatsächlich ein altes Shirt, was ich damals benutzt hatte. Es hing mir damals bis über die Knie, jetzt schien es nur noch meine Oberschenkel zu umspielen. Ich zog mich schnell aus und striff das über. Dann ging ich in das Bad, was jetzt an mein Zimmer angrenzt und wusch mir das Gesicht. Der Spiegel war immer noch derselbe und ich betrachtete mich darin. Ich war das letzte Mal in meinen ersten Ferien hier gewesen. Wie viel Zeit seitdem doch vergangen ist! Und wie viel sich verändert hat. Doch ich grinste es nur an und schaltete das Licht wieder aus, als ich zurück in mein Zimmer ging. Ray lag mit verschränkten Armen hinter dem Kopf auf dem Bett und sah mich an. Wie schon im Hotelzimmer und bei Helen und John war es dieser lange, anzügliche Blick. Ich schüttelte leicht den Kopf und legte mich wieder zu ihm. Er zog die Decke um mich und deckte mich sorgfältig zu. Er blieb auf ihr liegen und trennte uns damit voneinander. Ich wollte ihn an mir spüren und versuchte ihn wieder zu mir zu ziehen. Aber als ich meine Arme um seine Hüfte schlang und zog, löste er sie wieder. Ich sah ihn verwirrt und ein wenig enttäuscht an. „Was ist denn?“ fragte ich leise. Meine Eltern sind bestimmt schon zu Bett gegangen und wir mussten sie ja nicht aufwecken. Ich versuchte näher an ihn ran zu rutschen, wobei die Decke ebenfalls rutschte. Er hielt mich mit einem Arm fest und zog die Decke wieder hoch. Ich machte mich los und strampelte mich aus der Decke. Ich stellte mich hin und stemmte die Hände in die Hüfte. Er blieb liegen und sah aus dem Fenster, was neben dem Bett war und dessen Rollo nicht unten war. „Würdest du mich wenigstens ansehen? Was ist mit dir los?“ fragte ich ihn verzweifelt. Was hatte er? Sein Kopf wandte sich mir zu und er sah mich unergründlich an. Ich kniete mich auf das Bett, neben ihn und sah auf ihn hinunter. „Leg dich wieder hin.“ Sagte er und klopfte auf den leeren Platz neben sich. Ich schüttelte nur stumm den Kopf. „Ich will wissen, was los ist.“ Entgegnete ich bestimmt. Er machte keine Anstalten zu antworten, ich beugte mich über ihn und hielt seine Arme fest. Dann neigte ich mein Gesicht vor seines, brachte unsere Lippen aneinander und strich mit der Zunge darüber. Dann strich ich mit den Lippen zu seinem Ohr. „Sagst du es mir jetzt?“ flüsterte ich und biss kurz in sein Ohrläppchen. Er keuchte und stieß mich von sich. Gleichzeitig rollte er uns herum, sodass er oben war. Er hielt mich fest und drückte mich auf das Bett. Aber sein Griff lockerte sich und er wollte mich wieder loslassen, als ich ihm meine Arme um die Taille schlang und ihn auf mich herunter zog. Ich wollte jetzt wissen was er hatte und würde mich davon nicht abbringen lassen. Ich küsste seine Wange, seine Nase, bis er sich abwandte. Ich schlang ihm meine Beine um die Hüfte und bog mich ihm entgegen. Er keuchte und ich stieß ihn von mir, neben mich wieder aufs Bett. „Und jetzt sag mir, was du dir, verdammt noch mal, dabei denkst!“ Er sah mich und meinen halbnackten Körper gequält an. „Deine Eltern.“ Ich sah ihn verwirrt an. Meine Eltern? Was hatten die denn mit uns zu tun? Die beiden waren unten und konnten uns noch nicht mal hören. Das wusste ich aus Kindertagen, als ich immer noch heimlich Musik gehört hatte, obwohl ich schon längst ins Bett gemusst hatte. „Ja und? Sie sind unten.“ „Ja, aber sie könnten jederzeit hereinkommen. Oder uns hören.“ Murmelte er und ich verstand endlich, worauf er hinauswollte. War ihm die Vorstellung peinlich, wenn meine Eltern uns erwischten? Was, abgesehen davon, gar nicht passieren würde. Meine Eltern würden nicht mehr hochkommen, außer es war etwas Wichtiges. Sie konnten sich wahrscheinlich denken, dass Ray nicht auf dem Boden schlafen würde und auch, dass wir etwas miteinander hatten. Also würden sie es selber peinlich finden uns zu stören. Ich kicherte und Ray sah mich finster an. „Was ist daran so lustig?“ fragte er. Ich zog ihn wieder zu mir. „Sie werden nicht hochkommen. Das trauen sie sich gar nicht und hören können sie uns auch nicht, dafür sind wir zu weit auseinander.“ Sagte ich leise an seinem Mund, den ich wieder näher zu mir gezogen hatte. Er sah mich immer noch ein wenig unsicher an, doch dann schlang er mir seine Arme um die Hüfte und küsste mich. Seine Zunge rieb sich an meiner und gierig zog ich ihn an mich. Ich kuschelte mich an seine Brust und dieses Mal zog er die Decke über uns beide. Ich legte meine Wange an die warme Haut und er grub seinen in mein Haar. Seine Hände strichen träge über meinen Rücken, trotzdem bekam ich eine Gänsehaut. Alles war gut, ich hatte meinen Freund wieder und meine Familie. Ich hob meinen Kopf und sah ihm in die Augen, als er den seinen ebenfalls gehoben hatte. „Ich hätte nie gedacht, dass wir und jemals wiedersehen und um ehrlich zu sein, hatte ich die Hoffnung auch schon aufgegeben. Aber ich habe dich wieder und das ist mir mehr wert, als alles andere auf dieser Welt und ich werde dich nie wieder verlieren. Ich liebe dich Ray.“ Flüsterte ich. Er lächelte und sah mich freudig an. „Ich liebe dich auch, Raven.“ Er neigte seinen Kopf noch mal zu mir und küsste mich, sodass ich wieder dieses angenehme Kribbeln bekam. Dann legte ich kuschelte ich mich wieder an ihn und bevor ich einschlief, hörte ich seine ruhiges atmen an meinem Kopf. Meine Augen fielen zu und das letzte was ich dachte war: Für immer.
The End
Tag der Veröffentlichung: 08.07.2014
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