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Xan & Camden

Fantasie ist eine eigene Welt und jeder hat sie, man muss sie nur finden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich piekte den letzten Bissen auf meine Gabel und schob sie mir in den Mund. Ich war schon vollkommen satt, aber es war wirklich lecker und das konnte ich nicht einfach auf dem Teller liegen lassen. Als ich fertig war, blieb ich noch ein bisschen sitzen. Nach ein paar Minuten kamen Fi und Cannes rein. Fi kicherte und Cannes legte einen Arm um sie. Es war, als ob sie schon ewig zusammen waren, nicht erst zwei Monate. Sie wirkten so vertraut miteinander, als sie sich gegenüber von mir setzten. Fi bemerkte mich erst als sie saß und sah mich an. „Du hast schon gegessen?“ Sie war nicht böse, höchstens amüsiert. „Ja. Tu mir leid, ich hatte einfach so einen Hunger.“ sagte ich und schaute sie schmunzelnd an. Sie zuckte mit den Schultern. „Macht doch nichts.“ Sie zwinkerte mir zu und wand sich dann wieder Cannes zu. Dann betrat Angel den Raum. „Nein wirst du nicht!“ schrie sie. Gleich nach ihr kam Stayr, der grinste, was Angel allerdings nicht sehen konnte, denn das hätte sie noch wütender gemacht.  Stattdessen schlang er ihr die Arme um die Hüfte und zog sie an sich. Sie drehte sich um und lächelte jetzt auch. Ich drehte mein Gesicht weg, um ihnen nicht beim Küssen zuzusehen. Erst als ich einen Stuhl über den Boden schaben hörte, sah ich wieder auf. Sie hatten sich neben mich gesetzt. Fi kicherte und auch Cannes musste schmunzeln. „Kann ich schon aufstehen?“ fragte ich. Ich wollte noch duschen und früher ins Bett gehen. Ich war in den letzten Tagen so müde gewesen. Fi nickte und auch Cannes schien nichts dagegen zu haben. Angel oder Stayr fragte ich gar nicht erst, die waren so oder so abgelenkt und achteten nicht auf mich oder irgendeinen anderen. Ich stand auf und verließ den Saal. In der kurzen Zeit, die wir hier waren, war viel passiert. Raphael und Angel hatten was, sie hat herausgefunden, dass Stayr sie gerettet hatte und nicht er, Raphael hat ihr einen Statue über den Kopf gezogen, er war gegangen  - oder vielmehr dazu gezwungen worden - und Stayr hatte sie schlussendlich in einen Vampir verwandelt. Seitdem waren die beiden unzertrennlich und fast immer am Streiten. Aber sie liebten sich und das war die Hauptsache. Ich lief in langsamen Schritten aus dem Saal, war merkwürdig geschafft von dem Tag, an dem ich eigentlich nicht viel gemacht hatte. Musste wohl an dem Wetter liegen, heute hatte es den ganzen Tag geschneit und man konnte die Hand vor Augen nicht sehen. Völlig in Gedanken versunken, rannte ich fast gegen jemanden, der mitten in der Halle stand. Er zog sich gerade seinen Mantel aus und schüttelte sich einige Schneeflocken aus seinen Haaren. Seinen umwerfenden Haaren, wie mir bei einem genauerem Blick auffiel. Als ich ihn bemerkt hatte, hatte er mich auch bemerkt und drehte sich zu mir um. Eindeutig Vampir. Noch einer! Dann lächelte er und reichte mir seine Hand. „Camden.“ Seine Stimme war wundervoll. Ich lächelte ihn an und gab ihm meine. „Xan.“ erwiderte ich. Plötzlich verkrampften sich seine Hand und sein gesamter Körper. Sein Blick war auf etwas hinter mir gerichtet, doch bevor ich mich umdrehen und nachsehen konnte, fing er wieder an zu lächeln. Jedoch war dieses Lächeln nicht so weich und hübsch wie das was er mir geschenkt hatte, sondern er höhnend. „Bruder.“ Camden löste seine Hand von meiner und ging an mir vorbei. Sofort vermisste ich seine Hand an meiner. Hä, was? Ich kannte ihn doch erst seit zwei Minuten! Ich drehte mich um und sah Stayr, der diesen Camden misstrauisch anstarrte. Er hatte einen Bruder? Davon hatte er nie etwas erwähnt. „Was machst du hier?“ fuhr Stayr ihn an. Ich hatte nicht viele Erfahrungen mit Vampirfamilien, aber begrüßte man so seinen Bruder? Stayr schien sogar fast wütend zu sein. „Was ist denn hier los? Warum stehst du einfach vom Tisch auf?“ fing Angel an zu keifen. Natürlich. Sie würden wieder streiten. Und sich dann küssen. Wie immer. Stayr bewegte sich ein kleines Stück und brachte sich so direkt zwischen Angel und Camden. Dieser bemerkte es und fing an zu grinsen. Er machte einen Schritt an Stayr vorbei, auf Angel zu. Stayr ging wie erwartet einen Schritt mit und das wiederrum bemerkte Angel. Sie schubste ihn beiseite, um Camden gegenüber stehen zu können. „Lass das. Du bist nicht mein Babysitter.“ fauchte sie Stayr an. Dann wandte sie sich Camden zu. „Du musst ihn bitte entschuldigen. Er ist immer so.“ Jetzt war es Stayr, der fauchte. „Wer bist du?“ ignorierte sie ihn und unterhielt sich immer noch vollkommen ungerührt mit Camden. „Camden. Der Bruder dieses… ungehobelten und unhöflichen Mistkerls. Aber anscheinend hat er mich nie erwähnt…“ stellte er sich vor. Angel drehte sich langsam zu Stayr um. „Bruder. Du hast einen Bruder? Warum weiß ich davon nichts?“ fuhr sie ihn an. Stayrs Miene verschlechterte sich noch. „Bitte, nicht jetzt. Ich werde es dir später erklären. Aber jetzt wieder zu dir.“ Er wandte sich wieder zu seinem Bruder um. „Was willst du hier?“ Wow, der schien ja richtig angepisst zu sein! Camdens Lächeln verzog sich. „Es ist wichtig. Wo ist Cannes. Er sollte es auch wissen.“ Stayr funkelte ihn an und versuchte herauszufinden, ob es wirklich so wichtig war oder ob er ihn einfach wieder rausschmeißen sollte. Da kam Cannes aus dem Saal, Fi an seiner Seite. Er neigte kurz seinen Kopf grüßend. „Camden. Was gibt‘s?“ Camden sah sich kurz um, ließ seinen Blick über Angel und Stayr, Fi und schließlich über mich schweifen. „Ich vertraue ihnen. Du kannst es sagen.“ sagte Cannes. Camden holte tief Luft. „Na gut. Die Werwesen haben anscheinend ein Problem mit euch. Aus verlässlicher Quelle weiß ich, dass sie angreifen werden. Bald.“ Er sah Cannes an und sogar Stayr. „Es wird einen Krieg geben. Ich weiß nicht genau, ob vielleicht noch mehr Rudel dabei sind, aber das Eine will euch alle…“ - er sah Angel und Fi besonders an, immerhin hatten sie hier die Probleme mit ihnen gehabt – „…tot sehen.“ schloss er. Nachdem er fertig gesprochen hatte, war es still. Wir standen alle ruhig da und sahen uns an. Ein Krieg? Mit diesen Werwesen, die Fi und Angel entführt und angegriffen hatten? Das war nicht gut. Gar nicht gut. Cannes fasste sich als Erster. „Nun gut. Das war zu erwarten, nach den ganzen Vorfällen. Würdest du mir bitte folgen, wir haben gewiss etwas zu besprechen.“ Cannes ging wieder zurück in den Saal und murmelte Fi etwas ins Ohr. Sie nickte „Xan, Angel, wollen wir nicht nach oben gehen?“ Angel sah sie völlig entgeistert an. Doch ich zog sie einfach mit. Stayr folgte den beiden anderen Männern. Fi schleppte uns nach oben. Wir gingen direkt in das erste Zimmer - meines - und schlossen die Tür. Angel setzte sich in den Sessel und Fi und ich pflanzten uns aufs Bett. „Also, wieso sollten wir nicht dabei sein? Ich sehe gar nicht ein…“ sie verstummte. Was war los? Auch Fi war still. „Achso. Okay, ich verstehe wieso ich nicht dabei sein sollte. Dieser Arsch!“ Was war denn jetzt los? Ich sah die beiden fragend an. „Würde mir vielleicht mal einer sagen, was hier los ist?!“ Fi lächelte ein wenig, jedoch war es Angel, die mir antwortete. „Stimmt ja, du kannst es nicht hören. Jetzt verstehe ich auch, warum er ihn mir verschwiegen hat. Also das da unten ist nicht gerade ein netter Kaffeeklatsch unter alten Damen. Die scheinen sich richtig zu hassen. Und nicht nur Stayr teilt aus. Dieser Camden ist auch nicht der Liebste aller Vampire.“ Okay, wenn ich das richtig verstanden hatte, lieferten sich die Männer da unten, zumindest die beiden Brüder, eine ordentliche Schlacht. Hoffentlich nur wörtlich. Aber dennoch war etwas passiert. Die Werwesen hatten uns eine Kriegserklärung gemacht. Und wie ich aus Erzählungen von Angel und Fi wusste, waren sie keine süßen, kleinen Kuscheltiere. Eher haarige, mordlustige und brutale Monster. Das würde nicht lustig werden und ich als Mensch hatte von vorneherein die schlimmsten Karten. Ich war nicht so schnell, nicht so stark und viel zu leicht umzubringen. Meine beiden Freundinnen waren Vampire. Beide von ihrem Vampir verwandelt worden. Sie waren glücklich und das fand ich gut. Sie würden mit ihrem Gefährten zusammenbleiben, bis in alle Ewigkeit. Ich hingegen musste wieder zurück nach Deutschland und mir einen neuen Job suchen. Mir Gedanken machen, wie ich etwas zu Essen bekam und meine Wohnung bezahlte. Und dass ich nicht von umherlaufenden Werwesen entführt wurde. Ich stand auf. Ich wollte noch duschen gehen und das mit dem früh-ins-Bett-gehen hatte sich erledigt, dank diesem Camden. „Ich wollte heute eigentlich früher ins Bett gehen. Aber das hat sich dann erledigt. Würdet ihr mir den Gefallen tun und mich alleine lassen?“ Fi lächelte mir zu und erhob sich vom Bett. Auch Angel machte Anstalten aufzustehen und den Raum zu verlassen. „Danke und tut mir leid, dass ich euch so rausschmeiße.“ „Macht nichts.“ sagte Fi. Ich lächelte erleichtert. „Okay. Und gute Nacht.“ Ich begleitete die beiden bis zur Tür. Angel wandte sich plötzlich nach rechts. „Du kannst in dem zweiten Zimmer von links schlafen.“ ertönte Cannes Stimme. Angel ging zu Stayr und zog ihn in sein Zimmer. Das würde wieder Streit geben, aber wie ich mittlerweile herausgefunden hatte, waren die Zimmer Vampirgehör-schalldicht und ich würde garantiert nichts mitbekommen. Fi und Cannes gingen in ein anderes Zimmer, wahrscheinlich seines, da ich ihr vorheriges hatte. Camden sah zu, wie meine Freundinnen ihre Vampire wegzogen. Er schmunzelte und schüttelte den Kopf. Dann bemerkte er mich und wandte sich zu mir herum, wie vorhin unten in der Halle. Ich lächelte ihm leicht zu. „Alles gut?“ fragte ich. Immerhin hatte er eine Krisensitzung mit seinem Bruder hinter sich, den er ganz offensichtlich zu hassen schien. „Wenn man einen nahenden Krieg mit Werwesen und meinen nervenden Bruder als gut bezeichnen kann, ja, dann ist alles gut.“ Ich lachte leise. „Na dann. Gute Nacht.“ sagte ich, warf ihm noch einen Blick zu und zwang mich dann die Tür zu schließen. Er sah schon verdammt gut aus. Ich schnappte mir meine Sachen für die Nacht und ging duschen. Danach kuschelte ich mich unter die schweren, weichen Decken und versuchte zu schlafen. Ich verdrängte die Gedanken an einen Krieg, streitende Geschwister, die Anwesenheit von mindestens fünf Vampiren und an den großen, dunkelhaarigen, gutaussehenden Vampir, der nebenan schlief. Theoretisch nur einen Meter entfernt, weil die Zimmer spiegelverkehrt aufgestellt waren und das Bett an derselben Wand stand wie meines. Na toll, das mit dem Verdrängen bekomme ich ja richtig gut hin.

Am nächsten Tag wachte ich ziemlich spät auf, denn als ich auf die Uhr schaute war es kurz nach eins. Das war wohl eine kleine Revanche für das spätere zu-bett-gehen. Ich stemmte mich müde unter der Decke hervor und tappte durch das kalte Zimmer ins Bad. Obwohl die Heizung an war, drang die kalte Luft von draußen durch die Wände und kühlte die Räume immer ein bisschen aus. Im Badezimmer duschte ich, zog mich um und putzte mir die Zähne. Dann schmiss ich meine Sachen, wie immer, auf den Koffer und machte mich auf den Weg in den Saal, um etwas zu frühstücken. Ich war schon öfters so spät aufgestanden und wusste, dass man fast den ganzen Tag frühstücken konnte. Ich sagte Stefan Bescheid und er brachte mir ein Brötchen mit Aufschnitt und ein paar Gurkenscheiben. Ich aß gemächlich alles auf und als ich fertig war, ließ ich mir noch einen Kaffee bringen. Den schlürfte ich dann auch noch eine Weile und wunderte mich, wo die anderen waren. Ich hatte bisher noch keinen gesehen und eigentlich war ja praktisch Mittagszeit. Allerdings waren das ja alle Vampire und die hatten ja noch eine andere Nahrungsquelle, als normales Essen. Ich trank meinen letzten Schluck Kaffee und gab Stefan die Tasse, der gerade aus der Tür kam. Dann bedankte ich mich und stand auf. Was sollte ich denn jetzt noch den ganzen Tag machen? Hier gab es doch nichts, außer draußen im Wald spazieren zu gehen, aber dafür war es mir zu kalt. Das hieß, dass ich wohl den Rest des Tages alleine in meinem Zimmer sitzen und nach draußen oder die Wand anstarren werde. Oder, mir kam eine völlig unnützige und nur Zeit-todschlagende Aktivität in den Sinn, vielleicht konnte ich meine Sachen aus dem Koffer und in den Schrank räumen. Da war nichts drin, ich hatte was zu tun und ich musste nicht immer meinen ganzen Koffer durchwühlen. Ich seufzte, das war jetzt auch nicht gerade die beste Beschäftigung und ging aus dem Raum. Und wäre beinahe wieder in diesen Vampir gerannt. Ein wenig genervt, ging ich einen Schritt zurück und sah ihn an. „Hey. Xan, richtig?“ fragte er. Ich unterdrückte schnell das Schnauben. Na toll, ich lag mitten in der Nacht in meinem Bett und versuche ihn aus meinen Gedanken zu verbannen und er hatte schon meinen Namen vergessen. Ein richtiger Traummann. Ich nickte ihm zu. „Jap, die bin ich.“ Ich machte einen Schritt an ihm vorbei und auf die Treppe zu. „Weißt du wo die anderen sind?“ Ich unterdrückte ein erneutes Seufzen und drehte mich zu ihm um. „Nee. Ich hab mich auch schon gefragt wo die alle sind. Allerdings dachte ich, dass die oben irgendwo sind. Sind sie gar nicht da?“ Er schüttelte den Kopf. Mit einem gemurmeltem ‚na toll‘  drehte mich wieder herum, um meine höchst sinnvollen Dinge zu erledigen. Meinen Koffer ausräumen, aus dem ich schon seit knapp zwei Wochen lebte. Also eigentlich vollkommen überflüssig. Aber wieso hatte mir niemand Bescheid gesagt, bevor sie mich alleine mit diesem Camden ließen? Ich dachte an gestern Abend, als er so plötzlich in das Haus geplatzt war und verkündet hatte, dass die Werwesen uns den Krieg erklärt hatten. Und Stayrs abschätzende Reaktion. Mich würde interessieren, was zwischen den beiden passiert war, dass sie sich so hassten. Und da ich so oder so nichts Besseres zu tun hatte, drehte ich mich zu Camden um. Aber er war nicht mehr da! Ich sah in den Saal, doch dort war er auch nicht. Wo war er hin verschwunden? War er rausgegangen? Ich öffnete die Tür ein kleines bisschen und zog bei dem eisigen Luftstoß die Nase kraus. Es hatte aufgehört zu schneien und die Luft war eisig klar und klirrend. Aber draußen war er auch nicht. Das gibt es doch nicht. „Camden?“ rief ich. „Hmm?“ fragte seine dunkle Stimme hinter mir. Ich fuhr zusammen. Verdammt! Wie war er dahin gekommen? Als ich ihm wieder gegenüber stand, kniff ich die Augen zusammen, um ihn zu zeigen, dass es mir gar nicht gefallen hatte, dass er mich so erschreckt hatte. Er grinste nur. „Lass das.“ fauchte ich und fuhr dann fort. „Ich hab eine Frage. Gestern, als du hier ankamst, hat dein Bruder nicht gerade sehr fröhlich reagiert. Und er hat auch nie von dir gesprochen und die anderen haben gestern angedeutet, dass ihr euch…“ sollte ich ‚hasst‘ sagen? Nein, ich glaube das klang zu mies „... nicht sonderlich mögt. Wieso nicht?“ Camden zog eine Augenbraue hoch. Mir kam der Gedanke, dass das eine ziemlich persönliche Frage war. Immerhin war ich einfach nur eine Freundin der Freundin des Freundes seines Bruders. Und noch dazu ein Mensch. Ich würde es verstehen, wenn er es mir nicht sagen wollte. Er lachte kurz leise. „Du hast Recht, wir mögen uns nicht direkt. Wir hassen uns eher.“ er lachte wieder. Was war daran so lustig? Er gehört doch zu seiner Familie. „Aber warum nicht. Ich kenne bisher niemanden, der seinen Bruder so sehr hasst. Ihr sollt euch wohl gestern richtig beschimpft haben, wenn ich Fi und Angel richtig verstanden habe.“ „Jaaa. War vielleicht ganz gut, dass ihr nicht dabei wart. Wir haben... uns länger nicht mehr gesehen.“ Er schmunzelte. Er fand das wohl echt lustig. Ich schüttelte den Kopf. Dann sah ich ihn fragend an und wartete auf eine Antwort. Jetzt seufzte er. „Na gut. Aber nicht hier.“ Er schaute sich um und sein Blick blieb an der Tür zu Saal hängen. Hatte er etwa Angst, dass jemand mithörte? Wir waren alleine und der einzige, der noch hier war, war Stefan. Hatte er Angst, dass Stefan petzen würde? Ehrlich? „Nicht hier?“ fragte ich ungläubig. Er nickte ernst. Dann zog er mich auf die Treppe zu. Als wir oben waren schob er mich in mein Zimmer. Verdutzt setzte ich mich auf mein Bett und wartete immer noch auf seine Antwort. Als er durch den Raum auf das Fenster zuging, lehnte ich mich im Schneidersitz an die Kissen und beobachtete ihn. Er war groß, muskulös - aber nicht so abartig aufgepumpt, sondern eher männlich und sexy - und seine schulterlangen, dunkel braunen Haare schwangen leicht beim Gehen. Als er am Fenster stand, schwieg er und starrte draußen auf die schneebedeckten Wiesen und Bäume. Ich spürte, wie langsam ungeduldig wurde. „Also…?“ versuchte ich ihn zum Reden zu animieren. Er warf noch einen Blick hinaus, dann drehte er sich zu mir herum. „Es ist alles ein bisschen schwerer und ich weiß nicht, ob ich alles einfach so ausplaudern darf. Immerhin geht es auch Stayr was an und es wäre vielleicht gegen seinen Willen.“ Ich nickte - und wartete. Er würde schon entscheiden, ob er es mir sagen wollte oder nicht. Mein Ja oder Nein würde ihm und mir auch nicht viel dabei helfen. Camden setzte sich auf mein Bett und holte tief Luft. „Okay, ich werde es dir sagen. Aber du hast es nicht von mir und du wirst es auch niemandem sagen, verstanden?“ Wieder nickte ich. „Gut. Vor ungefähr 157 Jahren lernte Stayr ein menschliches Mädchen kennen. Deisha. Er verliebte sich in sie und sie in ihn. Sie waren glücklich, bis ein anderer Vampir sie sah. Er liebte sich nicht, er wollte etwas anderes von ihr. Und als Stayr nicht da war, schlich er sich in das Haus der Beiden. Als Stayr wiederkam, erzählte sie nichts, verschwieg und überspielte alles. Der Vampir, der sie vergewaltigt hatte, hatte ihr gedroht. Wenn sie Stayr oder einem Anderem von ihm erzählen würde, würde er wiederkommen und sie umbringen. Als lächerlich schwacher Mensch hatte sie sich nicht getraut, es zu sagen. Doch schließlich konnte sie es nicht mehr geheim halten und Stayr war, verständlicherweise, wütend. Er wollte ihn finden und leiden lassen, für das war er Deisha angetan hatte.“ Camden sah kurz aus dem Fenster, den Blick in die Ferne gerichtet. „Zwei Jahre lang ließ er sie nie aus den Augen und suchte unablässig nach ihm. Doch dann kam ein Moment, in dem er unvorsichtig wurde. Er war auf Nahrungssuche und hatte sie höchstens nur eine halbe Stunde alleine gelassen. Er hatte mir damals davon erzählt und ich war an dem Tag in der Nähe, als ich sie schreien hörte. Sofort machte ich auf den Weg zu ihr, doch ich war zu spät. Sie lag sterbend am Boden. Ich konnte sie retten indem ich sie in einen Vampir verwandelt hätte. Aber ich wusste damals den Unterschied zwischen dem Band eines Erschaffers und Jungvampir und zwischen Gefährten nicht. Ich dachte, ich würde sie so für die Ewigkeit an mich binden und sie so Stayr für immer wegnehmen, jedoch immer vor den Augen halten. Also ließ ich sie sterben. Als er wiederkam war sie tot." Camden schaute auf seine Hände. Stayr war schon mal verliebt? Götter, Angel wäre selber beinahe zweimal oder wer weiß wie oft unten in diesem Keller gestorben. Was muss er gelitten haben! Wie oft musste er sich in der Zeit zurückversetzt gefühlt haben, zu jenem schrecklichen Tag. Aber er hatte Angel verwandelt und somit konnte er sie nicht mehr so leicht verlieren. Ich sah wieder auf Camden und bemerkte, wie er mich aufmerksam musterte. Ich dachte nach. Was sollte ich denn jetzt sagen? Ja, es war grausam. Und er hatte damals falsch gehandelt. Aber er dachte, wenn er sie verwandeln würde, wäre sie für immer an ihn gebunden und Stayr müsste nicht mit ihrem Tod leben, sondern damit, dass sein eigener Bruder sie für immer bei sich behält und er sie nie wieder lieben darf, weil sie Camden gehören würde. Ich glaube ich hätte genauso gehandelt. „Was ich getan habe, war falsch. Ich hätte sie damals retten sollen. Aber weil ich es nicht getan habe, hasst Stayr mich. Und weil er es noch nicht mal verstehen konnte, nicht akzeptieren, nur verstehen, habe ich auch ein kleines Problem mit ihm. Immer, wenn ich irgendwo, im Fernsehen, im echten Leben oder wo auch immer, eine Frau sterben sehe, muss ich an sie denken. Wie sie mich angesehen hat, als sie da auf dem Boden lag. Ich kann sie einfach nicht vergessen. Stayr versteht nicht, dass ich auch meine Probleme damit habe, dass sie gestorben ist.“ Er schüttelte den Kopf und sah wieder auf seine Hände. Ich an Stayrs Stelle wäre auch sauer gewesen. Wenn meine große Liebe vor seinen Augen gestorben wäre und er die Möglichkeit gehabt hatte, sie zu retten und er es nicht getan hätte, wäre ich verdammt nochmal ziemlich sauer auf ihn. Aber ich konnte auch verstehen, dass es für Camden auch nicht gerade leicht war, seine fast-Schwägerin sterben zu sehen und nichts tun zu können. „Sag doch was.“ Er klang fast verzweifelt. Was sollte ich denn dazu sagen? „Ich ähm…“ Hoffnungsvoll sah er auf und in mein Gesicht. „Ich kann euch beide irgendwie verstehen. Ihn, weil du sie einfach hast sterben lassen, obwohl du sie hättest retten können.“ - er wollte etwas sagen, aber ich hob einen Finger um ihm zu zeigen, dass ich noch nicht fertig war – „Allerdings kann ich dich auch verstehen. Du wusstest es nicht und dachtest, dass du sie so an dich binden würdest und sie ihm vor der Nase aber dennoch für immer außer Reichweite halten würdest. Ich hätte an deiner Stelle  genauso gehandelt.“  Er lächelte leicht. Er schien dankbar zu sein. Ich lächelte zurück. Ich überlegte fieberhaft, wie ich ihn - und mich - von dem heiklen Thema ablenken konnte. Um die miese Stimme zu vertreiben. Wenn schon draußen das Wetter mürrisch und mies war, konnten wir hier drin nicht noch mehr davon brauchen. Apropos Draußen. „Und was machen wir jetzt? Die anderen sind irgendwo und haben uns alleine gelassen.“ Er sah mich an und zuckte mit den Schultern. „Ich hab keine Ahnung. Weder was man hier machen kann, außer dumm im Zimmer rumzusitzen, noch wieso die einfach gegangen sind.“ Es war jetzt nicht so, dass wir beide nicht allein sein konnten, aber ich verstand nicht, wieso sie nicht wenigstens Stefan für uns Bescheid gesagt hatten. Ich stand auf und ging zu dem Fenster. Die Wiese lag unberührt und unschuldig weiß vor mir. Ich hatte plötzlich den Drang darüber zu laufen. Die Erste zu sein, die sie betrat und ihre Fußspuren hinterließ. Ich fing an zu grinsen, trotz der bedrückten Atmosphäre, die noch von seiner Geschichte herrührte. Irgendwie war man doch immer ein Kind. Ich drehte mich zu Camden um, der immer noch schweigsam auf meinem Bett saß. Er schaute mich leicht misstrauisch an. „Was hast du vor?“ fragte er. Ich zwinkerte ihn an. „Ich?“ fragte ich unschuldig. Er nickte und kniff die Augen zusammen. „Ich geh jetzt raus.“ Ich schnappte mir meine Jacke, sie war extra dick und ich hatte sie extra für so was gekauft, und verließ meinen Raum. Camden ließ ich einfach auf dem Bett sitzen. Ich polterte die Treppe hinunter und riss die Tür auf. Dann rannte ich die nächste Treppe hinunter und ums Haus, zur Wiese. Auf dem kleinen Weg, der um das gesamte Haus zu gehen schien, blieb ich stehen und betrachtete die weite, weiße Fläche. Sie war so schön. Und so verlockend perfekt. Dann rannte ich hinüber. Der Schnee war hoch, er reichte mir fast bis zu den Knien und er lief in meine Schuhe. Er durchnässte meine Socken und meine Hose. Aber es machte Spaß! Ich lachte und als ich stolperte und in den Schnee fiel, lachte ich noch mehr. Ich spürte die Kälte nicht und auch nicht, dass ich mittlerweile vollkommen durchnässt war. Der Schnee türmte sich einige Zentimeter neben mir auf und drohte mich zu verschlingen. Er legte sich kalt und schwer auf meine Beine und meinen Bauch. Doch was war daran so schlimm? Mir ging es gut! Mir war nicht kalt und lachen tat ich immer noch. Ich begann meine Füße zu bewegen und strampelte sie aus dem Schnee frei. Dann hob ich meine Beine. Als sie schließlich auch frei waren, setzte ich mich auf. „Bist du vollkommen verrückt?! Du holst dir noch den Tod!“ schrie jemand neben mir. Ich wurde am Arm hochgezerrt. Als ich mich umdrehte, sah ich Camden, der mich wütend und entgeistert ansah. Warum brüllte er denn jetzt hier so rum? Es machte doch Spaß! Ich löste meinen Arm aus seinem Griff und starrte ihn meinerseits auch wütend an. „Lass mich doch.“ Er schnaubte und schüttelte den Kopf. Da hatte ich eine Idee. Er verstand nicht, warum das so lustig war? Na gut, das konnte ich ihm zeigen. Jetzt musste ich nur noch hoffen, dass er ein bisschen mithalf. Oder unvorsichtig war. Ich tat resigniert und ließ die Schultern hängen. Er entspannte sich ein bisschen. Dann machte ich schnell einen Schritt vor und schubste ihn. Gleichzeitig stellte ich ein Bein hinter seines, damit er darüber stolpern würde. Und tatsächlich tat er das. Er landete in dem Schnee und starrte erschrocken zu mir hoch. Wie er so dasaß, hilflos und erschrocken wie ein kleines Kind, musste ich wieder lachen. Ein Teil von mir wunderte sich darüber dass er überhaupt hingefallen, geschweige denn noch nicht aufgestanden war. Ich krümmte mich vor Lachen. Deswegen bemerkte ich auch nicht, dass er nach meinen Beinen griff und mich auch nach vorne zog. Ich fiel und landete direkt auf ihm. Mit einem Schlag war mir das Lachen aus dem Gesicht gewischt und ich war diejenige mit dem kindlichen, überraschten und auch ein wenig beleidigten Ausdruck. Und Camden war derjenige der lachte. Ich stemmte mich gegen seine Brust, um mich von ihm zu lösen, doch er hielt mich fest. „Lass…“ - ich stemmte mich noch mal gegen seine Brust – „... mich los. Bitte.“ Er hörte zu lachen auf und sah mich an. „Nö.“ sagte er und lachte wieder. Dieser… doch ich kam nicht dazu diesen Gedanken zu Ende zu bringen, denn er drehte uns herum, sodass ich in den Schnee gedrückt wurde. Jetzt spürte ich ihn, wie er kalt und nass durch meine Sachen drang. Allerdings wurde meine andere Seite warm. Heiß, von der Berührung mit Camden. Ich sah zu ihm hinauf. Er grinste mich an, dieser Idiot. Ich drückte noch einmal gegen seine Brust, obwohl ich wusste, dass es nichts nutzte. Ich seufzte. Die Wärme, die sich in meinem Körper ausbreitete war merkwürdigerweise überhaupt nicht unangenehm. Im Gegenteil. Sie wärmte mich und trotz des Schnees wurde mir heiß. Gar nicht gut. Immerhin war die Ursache dafür ein Vampir. Ich versuchte wieder, unter ihm hervorzukommen. Ich drückte, schob und zerrte. Doch es brachte nichts, außer einem lachenden Camden, der mich nur noch fester in den Schnee drückte. „Du hast Recht, es ist lustig.“ sagte er lachend. Ich versuchte nun mich unter ihm hervorzuschieben, doch er zog mich wieder zurück, unter sich. Na ganz toll. „Was soll das? Du hast mir gezeigt, dass es nicht lustig ist, reicht das nicht?“ Das war es wirklich nicht mehr. Er hatte es mir kaputt gemacht. Aber er hielt meine Hände nicht fest - sein Fehler. Ich grinste ihn an. Dann schob ich meine Hände in den Schnee neben uns, ignorierte die schmerzende Kälte und ob ihn an. Dann drückte ich sie ihm ins Gesicht und verrieb die kalte Nässe in seinem gesamten Gesicht. Er richtete sich schnell auf und wischte sich hektisch den Schnee aus dem Gesicht. Meine Gelegenheit. Ich rutschte unter ihm hervor und rappelte mich auf. Dann rannte ich über die Wiese davon. Keine Ahnung wohin, nur weg von ihm und seiner verstörenden Körperwärme. Ich rannte, stolperte und stakste durch den hohen Schnee. Vielleicht konnte ich es schaffen, wenn ich nur… Ich hörte ihn nicht, doch plötzlich wurde ich hochgehoben. Dieser Mistkerl! Ich zappelte und strampelte und versuchte mich aus seinen Armen zu winden, aber es klappte nicht. „Hör auf rumzuhampeln. Du tust dir nur weh.“ Er drehte uns zu dem Haus und stapfte über die Wiese. Sie sah jetzt nicht mehr so schön und unberührt aus. Sie wurde von Fußabdrücken und zerdrückten Flächen von unseren Körpern verunstaltet. Der Reiz, über sie zu rennen war verflogen. Es hatte keinen Sinn mehr draußen zu sein. Mir war kalt, ich war völlig durchnässt und auch müde, von all dem Freikämpfen und Rennen. Wäre er drinnen geblieben, wäre dem nicht so. Wir hatten die halbe Wiese hinter uns gelassen und er trug mich nun auch über die andere. Er hatte mich um der Taille gegriffen und auf seine Schulter geworfen. Wie ein Sack Kartoffeln! Für was hält er mich eigentlich? Ich trommelte mit meinen Fäusten wieder auf seinen Rücken ein. Mit meinen Füßen wollte ich nicht treten, das wäre ein Tritt unter die Gürtellinie - im wahrsten Sinne des Wortes und so wütend war ich nun doch nicht. Also boxte ich ihn einfach weiter, um ihm zu zeigen, dass er mich nicht so behandeln konnte. Als wir endlich den Weg erreicht hatten, dachte ich, dass er mich wenigstens da runter lassen würde. Falsch gedacht. Dieser Idiot trug mich doch tatsächlich durch die Eingangstür, die Treppe hoch, bis in mein Zimmer. Dort ließ er mich endlich runter. Ich stellte mich vor ihn hin, verschränkte meine Arme und starrte ihn an. Mich interessierte nicht, dass mir kalt war, wie verrückt zitterte und ich einfach nur das warme Wasser der Dusche fühlen wollte, sondern nur, dass er mich wie ein hilfloses kleines Kind behandelt hat. Ich funkelte ihn an, was er offensichtlich sehr lustig fand. Er lachte leise. Entrüstet schüttelte ich den Kopf. Aber die Kälte – und das Klappern meiner aufeinanderschlagenden Zähne – nahm zu und ich wollte einfach nur duschen gehen. Ich lief zu meinen - unausgeräumten - Koffer und holte mir neue Sachen. Danach stellte ich mich wieder vor ihn. „Ich würde jetzt gerne duschen gehen. Verlässt du bitte das Zimmer!?“ „Du hörst dich leicht verärgert an.“ Er sah belustigt auf mich herab, als ich ihn zur Tür schob. „Ich weiß gar nicht wieso.“ Dann knallte ich die Tür vor seiner Nase zu. Und ich hatte gedacht, dass würde ein langweiliger Tag werden. Schnell stieg ich unter die heiße Dusche und wärmte meine Knochen und Glieder auf. Nachdem ich Finger und Zehen wieder spüren konnte, stellte ich sie aus und zog mich um. Ich kämmte mir noch meine Haare durch und ging dann in mein Zimmer zurück. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es fast sieben war. Gleich gab es Abendessen, vielleicht waren die anderen jetzt zurück. Ich machte die Tür einen Spalt auf, um zu gucken, ob Camden noch davor stand. Tat er nicht. Erleichtert schloss ich die Tür hinter mir und ging die Treppe hinunter, in den Saal und fand Fi, Cannes, Stayr und Angel vor. Sie saßen sich gegenüber und ich nahm auf der Seite von Stayr und Angel Platz. „Wo wart ihr heute?“ platzte ich heraus. Fi sah auf „Wir waren in der Stadt und hätten dir Bescheid gesagt, aber du hast noch geschlafen. Und Camden wollte nicht mit.“ Camden wollte nicht mit? Also hatte er doch gewusst, wo sie waren und er hatte es mir nicht gesagt. Er meinte sogar er wüsste es nicht. Er hatte mich angelogen! Und wenn man vom Teufel sprach: Er betrat soeben den Saal, zwinkerte mir zu und setzte sich neben Cannes. Er warf keinen einzigen Blick auf Stayr und fing sofort an zu essen, als es vor ihm abgestellt wurde. Während des Essens schwiegen alle. Jedoch entging Niemandem die Feindseligkeit zwischen den Brüdern. Fi warf ab und zu einen forschen Blick auf die beiden und auch Angel riskierte einige Blicke. Cannes wirkte ein klein wenig angespannt, als ob er das schlimmste erwartet. Stayr und Camden aßen still und kümmerten sich nicht um die anderen. Beide wollten schnellstmöglich aus dem Saal raus und weg voneinander. Stayr schlang sein Essen förmlich hinunter und als er fertig war stand er auf, wünschte den anderen und mir - bis auf Camden - eine angenehme Nachtruhe und verließ den Raum. Angel folgte ihm, nachdem sie schnell zu Ende gegessen hatte. Erst, als man oben im ersten Stock die Tür der beiden hören konnte, lockerte sich die Stimmung ein wenig. Camden entspannte sich sichtlich, genauso Cannes. Mir und Fi entging dies nicht und wir sahen uns an. Sie zuckte die Schultern und aß weiter. Ich war mittlerweile auch fertig mit Essen. Seit einigen Tagen dachte ich schon daran, wie ich es Fi sagen könnte, ohne sie enttäuschen oder gar beleidigen zu müssen. Die Sache war nämlich die - langsam war es nervig nur mit Vampiren zusammen zu wohnen. Sie hörten alles, sahen alles und sie waren immer da. Mir fehlte meine Privatsphäre. Aber wenn ich es ihr nicht sagte, würde ich noch länger ohne sie auskommen müssen und das wollte ich auch nicht. Also holte ich tief Luft und zwang mich zu reden. „Ich ähh... ich glaube ich sollte mich demnächst mal wieder auf den Weg nach Hause machen. Ich kann ich nicht ewig hierbleiben. Meine Familie wartete sicherlich auf mich und ich muss zusehen, dass ich eine neue Arbeit bekomme.“ Zu meiner Erleichterung nickte Fi verständnisvoll. „Das verstehe ich. Weißt du denn schon genau, wann du vorhast uns zu verlassen?“ Ich zuckte ein klein wenig zusammen. Das klang doch schon ein wenig enttäuscht. Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß ich nicht genau. Spätestens in einer Woche.“ Sie nickte wieder und überlegte. „Freitag fährt ein Zug nach Deutschland. Wenn du möchtest, kannst du den nehmen.“ Freitag war übermorgen. Ja, das klang doch ganz gut. Jetzt nickte ich. „Gut. Den nehme ich.“ Mein Blick fiel auf Camden, der mich verschmitzt grinsend ansah. Als ob er wüsste, dass er ebenfalls ein Grund für meine verfrühte Abreise war. Mich störte immer noch, dass er mich vorhin wie einen Sack Gemüse über seine Schulter geworfen hatte und mir meinen Spaß draußen versaut hatte. Ich funkelte ihn kurz an, dann stand ich auf. „Gute Nacht.“ sagte ich und verließ den Raum. Heute schaffte ich es tatsächlich früh ins Bett zu gehen, ohne irgendwelche Kriegsdrohungen, zankenden Geschwistern und ohne einen großen Mistkerl, der mich daran hinderte. Aber ich lag trotzdem noch eine ganze Weile wach und ließ mir die Geschehnisse des heutigen Tages durch den Kopf gehen. Erst, dass er meinen Namen vergessen hatte, die Geschichte auf der Wiese und dann der Hintergrund der beiden verfeindeten Brüder. Daran blieben meine Gedanken hängen. Sie war grausam, ja, aber war es das wert, den Rest seines Lebens seinen eigenen Bruder zu hassen? Das war eineinhalb Jahrhunderte her! Konnte man sich so lange hassen? Meine Gedanken huschten zu dem Mädchen, Deisha. Sie hatte, genau wie Angel, Stayrs Liebe. Und sie war gestorben. Angel wäre fast von dem Werwesen ermordet worden. Mehrmals. Und dann von dem Kerl, den sie vorher noch geknutscht hatte. Während Stayr dabei war. Mich wunderte, dass er Raphael nicht umgebracht hatte. Er hatte ihn einfach gehenlassen! Hatte er den Mörder von Deisha eigentlich gefunden? Konnte er sich rächen? Das Werwesen, was sie gefoltert hatte, war tot. Aber auch das hatte er nicht umbringen können, dass hatte sie selber gemacht. Wie kam er damit klar? Ich war noch lange wach und rätselte über Stayrs und Camdens Vergangenheit und Gegenwart und schlief schließlich darüber ein.

Am nächsten Tag wachte ich nicht ganz so spät auf. Die Uhr zeigte, dass er gleich halb zehn war. Mit einem Stöhnen drehte ich mich auf die Seite und versuchte wieder einzuschlafen. Das war dann doch ein wenig zu früh für mich. Doch dann wurde meine Tür aufgerissen und eine aufgeregte Fi kam herein. Ich zog mir die Decke über den Kopf. Sie war so laut! „Aufstehen! Dies ist dein letzter Tag, und den willst du doch nicht wirklich im Bett verbringen, oder? Wir gehen heute in die Stadt.“ flötete sie immer noch so götterverdammt laut. Ich hörte, wie sie auf das Bett zu ging und mir die Decke vom Kopf zerrte. „Na mach schon, du Schlafmütze.“ sagte sie direkt neben mir. Nun war ich vollends wach. Ich griff nach meinem Kissen und schleuderte es herum, in ihr Gesicht. Sie schrie leise auf und zuckte zurück. Ich kicherte und stand auf. Rache war süß. Sie hob das Kissen auf, was auf den Boden gefallen war und warf es auf mich. „Wenigstens bist du jetzt wach. Na los, dusch und mach dich fertig. Ich warte unten auf dich.“ Dann ging sie zur Tür, drehte sich aber nochmal um. „Und wage es ja nicht, dich wieder hinzulegen.“ drohte sie scherzhaft und verließ den Raum wieder. Ich seufzte, es hatte nicht den geringsten Sinn ihr zu wiedersprechen, raffte ein paar Klamotten aus meinem Koffer zusammen und ging ins Bad um mich frisch zu machen. Ich duschte, zog mich an, kämmte meine Haare und putzte mir die Zähne. Und zwar alles ganz langsam, einfach nur um Fi zu ärgern. Als ich schließlich fertig war es zehn nach elf. Einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf das Bett werfend, schnappte ich mir Jacke und Tasche und ging nach unten. Fi wartete im Saal auf mich. Tadelnd sah sie mich an. „Das ging aber schnell!“ meinte sie sarkastisch. Sie stand auf und zwinkerte mir zu. Dann verabschiedete sie sich von Cannes, zerrte Angel von Stayrs Schoß und schleifte uns nach draußen. Wir setzten uns auf den Rücksitz und Fi fuhr uns in die Stadt. Angel tickte mich an. „Hat sie dich auch aus dem Bett geschmissen?“ fragte sie flüsternd. Fi bekam natürlich alles mit und grinste. Ich schnaubte. „Jep.“ Angel schüttelte den Kopf. „Schlafen könnt ihr immer noch, wenn ihr weg seid. Der heutige Tag gehört uns.“ Irgendwie hatte sie ja Recht. Den ich wusste, wenn ich gehe, gehen Stayr und Angel auch und ziehen in sein Haus. Damit wären wir endgültig getrennt. Also war Fis aufdringliches Verhalten zu verstehen. Aber warum musste es so früh sein? Sie hätte mich doch ausschlafen lassen können und dann wären wir später in die Stadt gegangen und dann auch später wieder zurückgekommen. Aber jetzt war es so oder so zu spät, ich konnte ja im Zug schlafen. Ich sah aus dem Fenster. Der Schnee am Straßenrand war grau und matschig und überhaupt nicht so schön wie der auf der Wiese. Er türmte sich zu einem kleinen Wall auf. Doch als wir in die Stadt kamen, verwandelte sich der Schnee immer mehr in Rinnsale aus Wasser und verschwand in den Straßendeckeln, die zur Kanalisation führten. Fi drosselte das Tempo und fuhr wieder in eines dieser Parkhäuser, die alle identisch aussahen. Sie führte uns wieder in die Fußgängerzone - wenn man das hier so nennen konnte - und wir zogen durch die Läden, wie beim ersten Mal. Als wir alle ganz viele Tüten und fast alles ausgegeben hatten, setzten wir und noch in das kleine Café und tranken etwas. Ich würde die beiden ziemlich vermissen. Noch vor vier oder drei Monaten hatte ich sie nahezu jeden Tag gesehen. Wir wohnten nur höchsten eine Viertelstunde Autofahrt entfernt und konnten uns besuchen, wann wir wollten. Jetzt wohnte Fi am anderen Ende der Welt und wo Angel hinging wusste ich noch nicht einmal. Das war erst mal der letzte Tag für eine gewisse Zeit, den wir zusammen verbringen konnten. Fi hatte Recht gehabt, als sie mich aus dem Bett geschmissen hatte. Schlafen konnte ich immer noch, wenn ich weg war. Nach ungefähr einer halben Stunde verließen wir das Café und machten uns auf den Weg zu dem Auto. Es wurde schon dunkel und ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es gleich schon sechs war. Auf dem Rückweg unterhielten wir uns über alles Mögliche und vermieden das Thema Abschied. Wieder in dem Haus angekommen, gingen die beiden zu ihren Männern und ich auf mein Zimmer um meine Sachen zu verstauen. Das würde morgen lustig werden, wenn ich das alles in meinen Koffer stopfen wollte. Ich bekam ihn ja jetzt schon fast nicht zu! Dann warf ich noch einen Blick in den Spiegel und ging dann nach unten. Im Saal war niemand und ich fragte, ob Stefan mit etwas Warmes zu trinken bringen konnte, weil mir ein wenig kalt war. Er brachte mir Tee und den schlürfte ich dann, bis Camden reinkam. Er bemerkte mich erst gar nicht und war anscheinend vollkommen in Gedanken versunken. Seine Miene ernst und nachdenklich. Als er mich jedoch sah, zwang er ein Lächeln auf sein Gesicht. Es sah wirklich trügerisch echt aus. Er ließ sich gegenüber von mir nieder. „Und, wie war dein Tag?“ fragte er. „Ganz gut. Aber anstrengend. Deiner?“ „Soweit ganz gut.“ erwiderte er und warf dann einen Blick zur Tür. Stayr kam mit Angel herein und funkelte Camden sofort an. Dann warf er einen Blick auf mich. Er legte Angel einen Arm um die Taille und setzte sich so, dass er seinen Bruder im Blick hatte - wenn er ihn denn doch mal ansah - und Angel an meiner linken Seite saß. Um Stayr zu ärgern, zumindest glaubte ich das, grinste Camden mir zu. Ich schüttelte den Kopf, um ihm zu zeigen, dass ich jetzt echt keinen Bock auf einen Familienstreit hatte. Doch Stayr hatte es schon bemerkt. Er warf Camden einen noch finsteren Blick zu. „Was läuft hier?“ fragte er Camden. Man konnte die Wut aus seiner Stimme hören und in seinem Gesicht ablesen. Camden jedoch zuckte einfach nur die Schultern und zwinkerte mir zu. Das brachte seinen Bruder zur Weißglut. Er stand auf. „Lass das. Lass sie in Ruhe.“ zischte er. Angel sah zwischen den beiden hin und her und schaute mich dann fragend an. Ich konnte nur die Schultern zucken und verfolgte ebenfalls den Disput zwischen den beiden. Auch Camden stand jetzt auf, nur er lächelte immer noch. „Wieso sollte ich?“ fragte er zuckersüß. Ich redete mir ein, dass er das nur tat, um Stayr zu ärgern. Er wollte doch nicht wirklich etwas von mir... oder? Und warum zum Teufel fragte ich mich das überhaupt?! Stayr ging um den Tisch herum auf seinen Bruder zu. O-oh. Ich und Angel standen auch auf und folgten ihm auf die andere Seite des Tisches, auf der Camden stand. Angel legte Stayr eine Hand beruhigend auf seine Schulter, doch er schüttelte sie ab. Das Lächeln aus Camdens Gesicht war erloschen und auch er funkelte seinen Bruder jetzt an. Wenn wir sie jetzt nicht daran hindern, würden sich die beiden gleich prügeln. Und ich bezweifelte, dass das ein gutes Ende nehmen wird. Ich sah Angel an und sie nickte mir zu. Ich nickte zurück. Sie würde dafür sorgen, dass Stayr nichts Dummes machte und ich musste es irgendwie schaffen, Camden abzulenken. Allerdings war ich nur ein Mensch und wenn ich zwischen die beiden gerate und sie mich zu spät bemerkten, hätte ich ein kleines Problem. „Du wagst es, hierherzukommen und dich an die Freundin meiner Freundin ranzumachen?! Du mieser Dreckskerl.“ brüllte Stayr. Ich hatte ihn noch nie brüllen gehört. „Na und?! Und wenn schon, das ist meine Sache, verstanden?“ brüllte Camden zurück. Okay, wenn wir jetzt nicht was unternahmen, würden sie nicht mehr zu stoppen sein, das wusste ich. Ich sah, wie Angel Stayr die Arme um die Hüften schlang und ihn an sich drückte. Das schien ihn einen Moment abzulenken. Ich überlegte - sollte ich Camden jetzt auch einfach umarmen und ihn wegziehen? Wenn ich das überhaupt hinbekommen würde. Allerdings stritten sie doch, weil er mich in Ruhe lassen sollte. Würde das Stayr dann nicht wieder aufregen? Also griff ich nach seinem Arm und zog daran. Natürlich bewegte sich dieser kein Stück, aber es bewirkte, dass Camden nicht mehr auf Stayr achtete. Er drehte sich zu mir herum. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Angel Stayr aus dem Raum zog. Die Beiden würden wohl heute alleine essen müssen. Als die Beiden außer Sichtweite waren, ließ ich Camden los und ging ein paar Schritte zurück, um ihn wütend anzustarren. „Hast du einen Knall? Weißt du, was gerade fast passiert wäre? Ihr beide hättet euch fast umgebracht!“ fauchte ich. „Wer hat sich fast umgebracht?“ fragte plötzlich Cannes Stimme von der Tür. Ich schnaubte in Camden Richtung - dieser Idiot brachte es doch tatsächlich fertig zu grinsen! - und wandte mich dann an Cannes und Fi, die gerade hereinkamen. „Stayr und unser Held hier.“ Cannes sah Camden an und zog Fi an seiner Seite zu einem Platz gegenüber von uns. „Achso.“ Achso?! Das wars? Mehr nicht? Ich schüttelte ratlos den Kopf. Vampire. Ich wollte auf die andere Seite gehen und mich neben Fi setzen, doch bevor ich einen Schritt machen konnte, bot Camden mir einen Platz an. Ich hätte ihn stehen lassen können, aber wenn ich jetzt einfach trotzig an ihm vorbeigehen würde, würde das wahrscheinlich mehr Verdacht hegen, als wenn ich mich einfach setzte. Also tat ich das. Stefan kam mit dem Essen und wir alle aßen schweigend. Ich wollte so schnell wie möglich weg von dem großen Idioten neben mir. Ich wartete noch, bis die anderen fertig waren, dann stand ich auf. „Es war sehr lecker, ich werde die Abendessen mit euch vermissen.“ Ich vermied Camdens Blick und konzentrierte mich auf Fi und Cannes. „Wisst ihr wann genau der Zug morgen kommt?“ fragte ich die beiden. „Gegen zwei.“ antwortete Fi. Ich nickte. „Okay, danke und gute Nacht.“ Immer noch Camden ignorierend verließ ich den Raum. Erst als ich in meinem Bett lag, kam mir der Gedanke. Ich hatte mich neben ihn gesetzt, damit niemand Verdacht hegte. Aber worauf sollte keiner Verdacht hegen?

Am nächsten Morgen stand ich freiwillig früh auf und machte mich fertig. Dann machte ich mich an die kniffelige Aufgabe, meinen Koffer zu packen. Ich schaffte es, alles hineinzubekommen, aber dieser verdammte Reißverschluss wollte einfach nicht zugehen! Ich wollte gerade Fi holen gehen - sie hatte mehr Kraft, vielleicht würde sie es schaffen - als eine Stimme hinter mir ertönte. „Soll ich dir helfen?“ Ich stöhnte auf. Was wollte er denn jetzt schon wieder? „Anklopfen ist wohl zu viel verlangt.“ murmelte ich und konnte ihn hinter mir kichern hören. Dann war er neben mir und drängte mich beiseite. Er nahm den Reißverschluss und zog ihn mühelos zu. Angeber. „War doch gar nicht so schwer.“ sagte er und grinste. Mistkerl. Er warf einen Blick auf meine Haare und grinste noch breiter. „Hübsch.“ Meinte er und deutete mit einem Finger darauf. Ach ja, ich hatte vorhin nach dem duschen vergessen meine Haare zu kämmen und war dann nur schnell mit den Fingern durchgefahren, weil die Bürste schon in meinem Koffer war. Ich war stolz, dass ich nicht rot wurde und funkelte ihn an. Aber natürlich sah er perfekt aus und ich hatte nichts, was ich zu meiner Verteidigung benutzen konnte. Stattdessen schubste ich ihn, was natürlich gar nichts brachte. „Geh jetzt.“ Ich wollte mich noch von Angel und Stayr verabschieden, die nicht mit dem Auto fahren würden, sondern zu einem anderen Bahnhof laufen würden. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wo die beiden hingehen würden. Fi und Cannes würden mich höchstwahrscheinlich noch zum Bahnhof begleiten. Hoffentlich würde dieser große, dunkelhaarige Idiot nicht mitkommen. Dann würde er mich bis zum letzten Moment meines Aufenthalts hier nerven. Ich folgte ihm durch das Zimmer, aber vor der Tür blieb er wieder stehen und drehte sich zu mir herum. Was war denn jetzt schon wieder?! Er sah mir in die Augen und nahm meine Hand. Erschrocken wollte ich sie ihm entreißen, doch er hielt sie zu fest. Er neigte leicht den Kopf und brachte unsere Gesichter auf dieselbe Höhe. „Es war mit eine Freude dich kennenlernen zu dürfen, Xanna.“ sagte er leise und küsste meine Hand. Verwirrt starrte ich ihn an. Was...? Er hob den Kopf und sah mich an. Er schien auf eine Antwort zu warten und hielt meine Hand immer noch fest. „Ähh... ja. Mich auch.“ erwiderte ich ein wenig verwirrt. Er richtete sich wieder auf und lachte. Ein Schauder durchfuhr mich ärgerlicherweise. Ich huschte an ihm vorbei aus dem Raum und machte mich schnell auf den Weg zu Angels und Stayrs Zimmer. Ich verdrängte Camden aus meinen Gedanken und klopfte an der Tür. Angel öffnete sie und sah mich an. Stayr saß im Hintergrund und grinste mich an, als ob es den gestrigen Abend nie gegeben hat. Angel deutete mir hineinzukommen und schloss die Tür hinter mir. Stayr erhob sich und kam auf mich zu. „Entschuldige, dass ich gestern so aufgebracht war. Du musst verstehen... ich hasse ihn wirklich.“ Sein Lächeln verrutschte ein wenig. „Schon gut. Ist ja nichts passiert. Aber ich denke, es ist ganz gut, dass ihr wieder getrennte Wege geht. Und warum du nie etwas gesagt hast.“ Angel hinter mir schnaubte und Stayr sah sie an. Er zog eine Braue hoch und grinste. Ich sollte diesen Raum wirklich schnell verlassen. „Na ja, ich wollte mich eigentlich nur noch verabschieden. In zwei Stunden kommt mein Zug.“ Angel trat um mich herum, vor mich. Sie umarmte mich. „Sobald wir da sind, schreibe ich dir, ich habe ja deine Nummer und du dann meine. Du kannst mich jederzeit anrufen.“ sagte sie und löste sich von mir. Stayr küsste mich auf die Wange. „Ich hoffe man sieht sich bald wieder. Und lass dich nicht mit dem ein, hast du gehört?“ sagte er ernst. Ich erinnerte mich wieder an die Geschichte. Ich nickte brav und ging dann einen Schritt zurück. „Ihr müsst bestimmt noch packen. Wenn wir uns nicht mehr sehen sollten - ich hoffe ich sehe euch bald wieder.“ Ich verließ den Raum und verdrängte die Trauer über den bevorstehenden Verlust meiner Freundin. Ich ging wieder zurück in mein Zimmer, das Camden in der Zwischenzeit glücklicherweise verlassen hatte, und nahm meinen Koffer. Als ich ihn ohne fremde Hilfe nach unten gehievt hatte, worauf ich ziemlich stolz war, wollte ich noch was essen. Stefan brachte mir ein Frühstück und was zu trinken und die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, das vorerst letzte Frühstück von hier zu genießen. Als der letzte Bissen verspeist war und der letzte Schluck getrunken war seufzte ich und stand auf. Fi kam gerade die Treppe herunter und sah mich ernst an. Ich lächelte leicht. Irgendwann würden wir uns schon wiedersehen. Irgendwann. Sie schnappte sich meinen Koffer wortlos und trug ihn zum Auto. Natürlich machte sie dabei eine viel bessere Figur als ich. Cannes kam jetzt auch die Treppe herunter und nickte mir zu. Ich nickte zurück. Dann gingen wir beiden hinaus, zum Auto. Gerade, als ich die Tür öffnen wollte, spürte ich, wie ein Dritter - Camden  - die große Tür schloss. Natürlich kam er mit. Fi lächelte mir zu und setzte sich netterweise zu mir auf den Rücksitz, sodass Camden vorne sitzen musste. Ich lächelte ihr dankbar zurück und sie zwinkerte. Während der Fahrt sagte niemand etwas und ich genoss die Stille. Nach einer halben Stunde kamen wir am Bahnhof an. Leute drängten sich durch die Türen und wollten zum Bahnsteig gelangen. Wir stiegen aus und Fi hob meinen Koffer aus dem Auto. Ich zog ihn durch die Halle, auf den Zug zu. Letztes Mal waren Angel und ich zusammen gefahren, jetzt würde ich alleine fahren müssen. Als wir den Zug erreicht hatten, blieb ich stehen und drehte mich zu den anderen um. Ich umarmte Fi. „Wir werden uns schon wiedersehen.“ sagte ich. Sie nickte und drückte mich nochmal, bevor sie mich losließ. Cannes küsste mich wie Stayr auf die Wange. „Bis bald.“ sagte er und lächelte leicht. Ich nickte und wandte mich an Camden. Er neigte den Kopf leicht, gab mir aber keinen Kuss auf die Wange, wie die anderen. „Bis dann Xan.“ Würde ich ihn wiedersehen? Wahrscheinlich nicht. Er schien meine Gedanken lesen zu können, denn er zwinkerte mir zu und sagte: „Man sieht sich immer zweimal im Leben.“ Irgendwie klang es wie eine Drohung. Ich sah die anderen noch einmal an, nickte noch einmal und schnappte mir meinen Koffer, um auf den Zug zuzugehen. Wie letztes Mal brachte ich ihn in mein Abteil uns stellte mich wieder an die Fenster, um ihnen nochmal zu winken. Als Camden winkte, sah ich auf seinen Hand und erinnerte mich an das was er gesagt hatte. Es war mir eine Freude dich kennenlernen zu dürfen, Xanna. Der Schock durchfuhr mich. Woher kannte er meinen Namen? Ich hatte mich mit ‚Xan‘ vorgestellt und niemand hatte mich anders genannt. Woher wusste er es also? Ich sah ihn an und er zwinkerte mir zu. Dann setzte sich der Zug in Bewegung und die drei verschwanden.

Zuhause wieder angekommen, packte ich meinen Koffer aus und aß erst Mal was. Dann bemerkte ich erst das Blinken auf dem Anrufbeantworter. Ich drückte auf ‚Play‘ und die monotone Ansagestimme ertönte. „Sie haben 3 neue Nachrichten. Nachricht 1, vorgestern, 17.38: „Xan? Wir haben solange nichts mehr von dir gehört, möchtest du nicht mal vorbeikommen? Ruf einfach an.“ Nachricht 2, gestern, 12.54: „Wo bist du? Wir haben mehrmals versucht dich zu erreichen! Melde dich bitte.“ Nachricht 3, heute, 13.49: „Wahrscheinlich ist gar nichts, aber langsam machen wir uns Sorgen! Wo steckst du? Bitte ruf sofort zurück, wenn du dies hörst“ Keine weiteren Nachrichten.“ Meine Eltern. Die hatte ich vollkommen vergessen! Ich zog mein Handy aus der Tasche, in der es die ganze Zeit gewesen war und schaltete es ein. Fünf Anrufe in Abwesenheit. Oh Mist. Ich nahm mein Telefon und wählte. Es klingelte, aber niemand ging ran. Ich versuchte nochmal. Ich zuckte mit den Schultern. Dann würde ich es halt in einer Stunde versuchen. Und wenn es dann nicht klappte, würde ich eben hinfahren. Ich ging in die Küche, in der sich die Post türmte. Das meiste Rechnungen, die noch bezahlt werden mussten. Ich zog eine Zeitung aus dem Stapel, nahm mir einen Stift und suchte die Stellenanzeigen. Irgendwie musste ich ja wieder zu Geld kommen. Ich kreiste alles ein, was von den Zeiten her stimmte, in meiner Nähe war und wo ich einigermaßen Geld verdienen würde, um über die Runden zu kommen. Ich rief sie alle an, aber bekam entweder Absagen oder mir wurde etwas gesagt wie ‚Wir melden uns wieder bei ihnen‘, doch sie fragten nicht mal nach meiner Nummer. Ich raufte mir die Haare und sah auf die Uhr. Es war fast eine Stunde vergangen, seit ich versucht hatte, meine Eltern zu erreichen. Ich wählte erneut die Nummer. Wieder ging niemand ran. Ich legte auf, schnappte mir meine Autoschlüssel und schloss meine Haustür ab. Dann setzte ich mich in mein Auto und fuhr die vertraute Strecke zu dem Haus meiner Eltern. Ich parkte an dem Straßenrand und verriegelte mein Auto. Es war dunkel, schließlich war es schon acht Uhr und wir hatten Februar. Erst da fiel mir auf, dass die Haustür offen stand. Ich sah mich um. Vielleicht war ja einer im Garten. Doch nach einem schnellen Blick, da er sehr überschaulich war, merkte ich, dass da keiner war. Mit einem mulmigen Gefühl betrat ich das Haus. „Hey! Ich bins Xan! Warum lasst ihr denn die Tür auf?“ Ich redete mir ein, dass nichts Schlimmes passiert ist. Trotz der Stille, die in dem Haus herrschte und meine Hoffnungen widerlegte. Ich ging durch die Räume. In der Küche waren die Stühle umgeschmissen und die Teller, auf denen teilweise noch Kuchen war, lagen zerstört auf dem Boden. Mein Herz klopfte schneller und ich bekam Panik, zwang mich jedoch ruhig zu bleiben. „Mum? Dad?“ schrie ich jetzt. Ich lief schnell durch die Küche, ins Wohnzimmer. Es war immer gemütlich gewesen. Eine längere Couch gegenüber von einem Fernseher und ein Schrank. Immer wenn ich hierhergekommen war, erinnerte es mich an meine Kindheit, an die gemeinsamen Abende und die vielen Weihnachtsfeste, die wir hier unter einer großen Tanne verbracht hatten. Doch jetzt wurde mir schlecht bei dem Anblick dieses vertrauten Raumes. Die Wände waren voller Blutspritzer, der Teppich war bis zu meinen Füßen vollgesogen mit Blut. Und in der Mitte des Raumes lagen sie. Meine Mutter mit aufgerissen Augen und Mund, mein Vater mit verkrampften Händen neben ihr und mein Bruder an der Tür, ebenfalls mit einem verstörtem Gesicht. Mein Gehirn setzte aus, ich dachte nichts. Meine Hand krallte sich in den Türrahmen, damit ich aufrecht stehenblieb. Mein Blick ging suchend über die toten Körper und der rationale Teil in mir versuchte herauszufinden, warum sie gestorben waren. Obwohl sie schlimme Wunden hatten, waren diese nicht tief genug, um tödlich zu sein. Sie bluteten nur den Teppich voll. Ich suchte weiter und da sah ich es. Klein, aber dennoch nicht zu übersehen. Zwei kleine, rote Punkte, an allen drei Hälsen. Ein Biss. Vampir. Ich drehte mich um und erbrach mich. Dann taumelte ich aus dem Haus. Weg vom Blut. Weg vom Tod. Weg von ihnen. Ich schaffte es noch bis zum Vorgarten, dort brach ich zusammen und weinte. Die Tränen rannen heiß und schnell über meine Wangen in das frische, kalte Gras. Ich weinte, bis es hell wurde. Ich brachte es einfach nicht über mich aufzustehen und zu gehen. Alle tot. Weg. Für immer aus meinem Leben ausradiert. Wofür? Was hatten sie ihnen getan? Irgendwann kamen keine Tränen mehr und ich rollte mich zu einer Kugel zusammen. Ich wusste, dass ihr Anblick für immer in meinem Gedächtnis eingebrannt sein würde. Erschrocken und verängstigt würden sie für immer vor meinem inneren Auge auftauchen. Mit den beiden kleinen Punkten an ihrem Hals. Ich wischte mir die letzten Tränen aus dem Gesicht und stand mühsam auf. Das würden sie bereuen. Jeder. Einzelne. Jeder Vampir, der mir über den Weg lief, würde sterben müssen. Oder ich. Keiner wird verschont werden. Ich würde meine Familie rächen und wenn es das Letzte war was ich tue. Ich sah zum verhangenen Himmel hinauf, auf dem sich langsam die Spuren der aufgehenden Sonne zeigten. Oh ja, macht euch auf was gefasst ihr hinterhältigen Monster.

Ich drehte den Dolch noch einmal herum. Der blonde Mann brach zusammen und regte sich nicht mehr. Ich lachte leise. Wieder einer mehr. Ich ging aus der Gasse, zu meinem Auto, was die ganze Zeit dort gestanden hatte. Ich hatten diesen Kerl schon den ganzen Abend und jetzt hatte ich ihn endlich erwischt. Ein Handtuch hatte ich schon auf den Rücksitz gelegt und wischte daran nun meinen Dolch ab und öffnete dann das Handschuhfach, um es zu den anderen zu werfen. Ich klappte die Klappe wieder zu und fuhr los. Ich hatte heute Morgen schon einen zur Strecke gebracht und zwei an einem Tag waren gut. Die Straßen waren dunkel, doch sie war mittlerweile zu meiner Heimat geworden. Ich schlief am Tag und jagte in der Nacht die Monster. Als ich bei meiner Wohnung war, schnappte ich mir das Handtuch und schloss mein Auto ab. Dann ging ich den alten Weg zu dem Wohnblock und erklomm das Treppenhaus. Ich hatte eine kleine Wohnung im zweiten Stock. Sie war klein, die Heizung war kaputt und warmes Wasser gab es auch nicht. Aber ich war so oder so nicht oft zuhause, ich lebte praktisch in meinem Auto und da konnte ich eine geldfressende Wohnung echt nicht gebrauchen. Allerdings musste ich ja auch mal duschen. Ich zog mir etwas aus dem kleinen Schrank und ging schnell kalt duschen, um das Blut von dem Vampir abzuwaschen. Nicht, dass ich ein Problem damit hatte, aber es wäre doch schade um das Bett. Also duschte ich schnell und zog mich um. Dann fasste ich meine Haare zu einem unordentlichen Dutt zusammen, damit sie mir nicht im Gesicht hingen und setzte mich in die Küche. Ich zog eine Schublade auf und hob den Besteckkasten an. Darunter lagen Unterlagen über einen Mann, den ich schon seit ungefähr einer Woche verfolgte. Er war ein Geschäftsmann, ein richtig hohes Tier, der letztens in die Stadt gekommen war. Als ich ihn das erste Mal gesehen hatte, wusste ich sofort, was er war. Seitdem überwachte ich praktisch jeden seiner Schritte, denn der war nicht so leicht zu bekommen wie die Anderen. Oder der von vorhin. Ich hatte zum Beispiel jede Menge Fotos, aber auf keinem Einzigen konnte ich sein Gesicht sehen. Er trug immer einen Hut oder Mantel, die sein Gesicht verbargen. Er hatte morgen ein Meeting mit dem Bürgermeister. Danach würde er wie jeden Tag in dem Restaurant um die Ecke etwas essen gehen. Pünktlich um fünf. Gegen sechs würde er - und sein Leibwächter, Bodyguard, was weiß ich - abgeholt werden und zu seiner Villa gebracht werden. Wenn er da war, war es zu spät. Also musste ich in dem kleinen Restaurant zuschlagen. Es war zwar nicht schön, aber meine einzige Chance, ihn abzufangen, wäre auf dem Klo. Und da er nicht auf das Frauenklo gehen würde, würde ich mich ungefähr eine Stunde in der Herrentoilette verstecken müssen. Ich seufzte. Na ganz toll. Aber es nützte nichts. Ich schob die Notizen, Bilder und seine Tagesabläufe zurück in die Schublade und schaltete das Licht aus. Genauso wie im Flur und im kleinen Schlafzimmer. Es war eine Ein-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung. Die Türen und der Boden knarzte und es gab so vieles zu nörgeln. Aber ich mochte sie. Der Vermieter hatte mich damals ziemlich komisch angesehen, als ich sagte ich wolle sie, aber sich nichts weiter dabei gedacht. Sein Glück. Ich legte mich in mein Bett und starrte auf das kleine Bild auf meinem Nachttisch. Ich hatte es vor zwei Jahren an mich genommen. Ein Blutfleck war auf dem hölzernen Rahmen eingetrocknet und verunstaltete es. Doch dieser Fleck und das Foto hinter der zersprungen Scheibe waren es, was mich immer wieder an meine Aufgabe erinnerte. Vampire waren Monster und mussten sterben. Das Bild zeigte meine Eltern, meinen kleinen Bruder und mich. Wir lachten und die Sonne schien uns ins Gesicht. Ich strich über das kaputte Glas. Zwei Jahre war es her. Seitdem war ich dreimal umgezogen, hatte mehrere Jobs, keine Freunde gehabt und mit niemandem gesprochen. Und über hundert Vampire getötet. Niemand, der mich kannte - und nicht tot war, dachte ich zerknirscht - wusste wo ich war und was ich machte. Seit meiner Abreise aus Sibirien hatte ich mit Angel und Fi keinen Kontakt mehr gehabt. Ich wusste, sie würden meine Wut verstehen und alles, aber sie würden versuchen mich davon abzubringen. Außerdem waren sie Vampire. Und ich habe mir an jenem schrecklichen Tag geschworen jeden Vampir, der mir über den Weg läuft, umzubringen. Und soweit wollte ich es nicht kommen lassen, sie waren meine Freunde. Zumindest waren sie das mal. Mit einem Seufzen drehte mich um und schlief sofort ein.

Am nächsten Tag frühstückte ich gemächlich und machte mich gegen zwei auf den Weg zum Rathaus, an dem er um drei erwartet wurde. Ich parkte so, dass man mein Auto nicht sehen konnte, ich allerdings den Eingang und die Zufahrt des Rathauses gut im Blick hatte. Und den Notausgang. Ich vertrieb mir die Zeit, in dem ich die Leute beobachtete, die durch die Straßen liefen. Eine Frau, die ihr Kind an der Hand über den Zebrastreifen zerrte. Ein Mann in Anzug und mit einer Aktentasche lief hastig über den Bürgersteig und rannte fast eine ältere Dame um. Ohne sich zu entschuldigen, lief er schnell weiter. Arschloch. Nach ungefähr einer halben Stunde geschah etwas beim Rathaus. Eine schwarze Limousine hielt vor dem Eingang und eine hochgewachsene Gestalt stieg aus. Ich duckte mich, denn sie drehte sich und schaute sich um. Na, etwas zu verbergen?, dachte ich. Natürlich trug er wieder einen Mantel, dessen Kragen im hoch im Gesicht stand. Er ging die Treppe zum wartenden Bürgermeister hoch, schüttelte kurz seine Hand und sagte ein paar Worte. Dann gingen die beiden hinein. Die Limousine fuhr wieder weg. Okay, ich wusste, dass er darin mindestens eineinhalb Stunden brauchen würde. Aber ich bekam langsam Hunger, da ich aber nachher in dem kleinen Restaurant nur etwas bestellen würde und dann auf die Toilette verschwinden würde, beschloss ich die freie Zeit zu nutzen und mir etwas zu Essen zu holen. An der Ecke, war ein Pommes Stand und ich holte mir eine große mit Ketchup. Genüsslich aß ich sie und lehnte dabei an einer Straßenlaterne. Die Leute die vorbeikamen beäugten mich und einige Frauen zogen ihre Männer ärgerlich blickend an mir vorbei. Ich grinste und warf die leere Pappschachtel in den Müll. Dann ging ich wieder zu meinem Auto und sah auf die Uhr. Halb vier. Ich startete den Motor und fuhr zu dem Restaurant. Ich würde gegen viertel vor fünf hineingehen, um mir einen unauffälligen Platz zu suchen, er sollte mich nicht sehen. Es sollte ja eine Überraschung sein. Ich lächelte. Ich parkte mein Auto drei Straßen entfernt, damit er es nicht zufällig sehen würde, wenn er es vorhin gesehen haben sollte. Ich öffnete das Handschuhfach. Ein Messer schob ich mir in den Stiefel, eine kleines, schob ich mir zwischen die Brüste und eines steckte ich mir in die Haare, welche ich mir hochgebunden hatte, sodass man es nicht sehen konnte. Mit einem guten Gefühl schlenderte ich durch die Straßen und schaute mir die Umgebung an. Auch, ob es ein Fenster auf den Herrentoiletten gab, aus dem ich notfalls flüchten konnte und wo es hinführen würde. Glücklicherweise gab es eines und es führte auf einen kleinen Hinterhof hinaus, von dem ich schnell wieder bei meinem Auto wäre. Als ob das Schicksal wollte, dass ich ihn traf und umbrachte, dachte ich vergnügt. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es zwanzig vor war. Ich drosselte meinen Gang, sodass es so aussah, dass ich mir die Schaufenster ansah. In Wahrheit jedoch war ich auf alles gefasst. Das kleinste Geräusch ließ mich aufhorchen und die leiseste Bewegung mich aufmerksam werden. Ich kam jedoch ohne Zwischenfälle in dem Restaurant an und nahm in einer Ecke Platz, die von den anderen Gästen verdeckt wurde. Es war zehn vor. Vielleicht hatte ich noch die Chance ein bisschen was zu essen. Man wusste ja nie wann es das nächste Mal was gab, richtig? Ich bestellte mir einen Rotwein und Pasta. Gerade, als es vor mir abgestellte wurde, betrat der Vampir den Raum. Einige Frauen drehten sich zu ihm um und bewunderten ihn. Was ich verstehen konnte. Wenn ich ihn mit einem Blick ansah, den nur noch ein ganz kleiner Teil von mir hatte, war er wirklich gutaussehend. Groß und gut gebaut, das Hemd und die Hose betonten seine Muskeln vorteilhaft. Er ließ sich den Mantel abnehmen und drehte mir den Rücken zu. Natürlich. Aber egal, viel mehr als sein Gesicht interessierte es mich, dass ein Messer in seiner Brust herumgedreht wurde. Danach konnte ich mir immer noch sein Gesicht angucken. Meine Spaghetti kamen und der Mann setzte sich. Ich nahm nur ein paar Bissen, nahm einen großzügigen Schluck von dem Wein - er war vorzüglich -, dann stand ich auf und ging zur Toilette. Er sah glücklicherweise gar nicht in meine Richtung. Vor den Türen sah ich mich noch mal um und ging dann geradewegs durch die rechte Tür, mit dem Symbol für Männer. Ich schloss mich in einer Kabine ein, setzte mich auf die Kloschüssel und wartete. Es war nicht sicher, ob er überhaupt aufs stille Örtchen ging, aber das Risiko musste ich halt eingehen. Und wenn ich ab jetzt jeden Tag mich hier mindestens eine Stunde auf den Klos versteckte. Er war es wert. Seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte, rätselte ich darüber nach, wie er an sein Geld gekommen ist. Denn er hatte anscheinend ziemlich viel davon, denn irgendein Geschäftsmann trifft sich nicht mit dem Bürgermeister. Ich vertrieb mir die Zeit damit, mir die schlimmsten Szenarien auszumalen, einfach so aus Spaß. Mehrmals ging die Tür auf, doch es war jedes Mal ein anderer, wie ich durch das Schlüsselloch feststellte. Langsam wurde mir langweilig. Meine Uhr zeigte fünf vor sechs an. Es hatte doch keinen Sinn mehr hier rumzusitzen. Aufstehen und gehen tat ich aber nicht. Den Fehler ungeduldig zu sein, habe ich schon einmal schmerzhaft bereuen müssen. Eine lange und tiefe Narbe an meinem Oberschenkel zeugte davon. Ich hatte damals in einer dunklen Gasse auf jemanden gewartet und dachte er würde nicht mehr kommen. Aber das tat er, sah mich und riss mir mit einer herumliegenden Glasscherbe das Bein auf. Ich hatte ihn trotzdem erledigt, aber dennoch hatte ich daraus gelernt. Also blieb ich sitzen, was auch gut war, denn als die Tür das nächste Mal aufging, war er es. Innerlich klopfte ich mir auf Schulter, weil ich nicht aufgestanden war. Er nahm die Kabine neben mir und schloss ab. Ich öffnete meine und ging zu den Wachbecken, um meine Hände zu waschen. Auf der anderen Seite der Tür war es still und ich trocknete mir äußerst sorgfältig die Hände ab. Wie lange braucht der den? Schließlich drehte sich das Schloss und die Klinke wurde runtergedrückt. Ich verbot meinem Herz, schneller zu schlagen oder gar zu rasen, das hätte mich nur verraten. Ich zog mein Messer aus dem Stiefel und drehte mich herum, mit einem Lächeln im Gesicht. Die Tür ging auf und der Mann kam heraus. Ich durfte nicht lange zögern - ich sprang praktisch auf ihn, das Messer hocherhoben. Gleichzeitig zog ich das Messer aus meinen Haaren, denn dieses war meine eigentliche Waffe. Die andere war nur Ablenkung. Wie erwartet griff er danach und hielt meinen Arm fest. Meine Gelegenheit. Ich schwang den anderen Arm, brachte es vor seine Brust. Doch bevor ich zustoßen konnte, schnappte er sich auch diesen Arm. Scheiße! Das war so nicht geplant gewesen. Er hielt jetzt meine beiden Arme fest und sein Gesicht mit den Reißzähnen war mir viel zu nah. Das konnte jetzt ganz schnell ganz böse enden. Ich ließ die beiden Messer fallen und hob meine Handflächen. Ich ergab mich. Zumindest sollte er das denken. Ich hatte ja noch ein Messer. Er stieß mich von sich und ich prallte unsanft gegen das Waschbecken. Schnell sah ich auf, doch sein Gesicht hielt er gesenkt, sodass ich nichts durch seine dunklen Haare erkennen konnte. Ich kannte diese Haare. Woher kannte ich sie? Gehörten sie einem Vampir der unter meiner Klinge sein Ende gefunden hatte oder... Stopp. Ich hatte jetzt keine Zeit um daran zu denken, außer ich wollte sterben. Was definitiv nicht der Fall war. Er kam auf mich zu. Senkte sein Gesicht an meinen Hals. Ich ließ endlich zu, dass mein Herz raste. Meine Hand glitt zu der Stelle, über meine linke Brust und tat so, als ich ob ich vor Angst erstarrt war. „Na na, du hast doch nicht wirklich versucht, mich…“ - sein warmer Atem traf auf meine weiche Haut unter meinem Ohr und ich musste unwillkürlich schaudern – „...umzubringen?!“ flüsterte er. Ich hielt meinem Mund, aber ja, das war genau das was ich versucht hab. Meine Hand wanderte langsam zu meinem T-Shirt-ausschnitt. Ich griff hinein und zückte das kleine Messer. Ich erzitterte vor Freude. Die letzte Woche würde sich gleich ausgezahlt haben. Ich musste nur... Ich zog es vollends zwischen meinen Brüsten hervor. Damit hatte er nicht gerechnet. Ich nahm es in einen festen Griff und rammte es ihm in die Brust. Aber er drehte sich ein winziges bisschen und es traf nicht sein Herz. Es versank viel zu hoch! Das würde ihn nicht umbringen. Nur wütend machen. Er wich zurück und riss seinen Kopf hoch. „Au! Verdammt, das tut weh!“ Er nahm meine Hand, riss das kleine Messer heraus und warf es auf den Boden. Ich wehrte mich nicht, war viel zu abgelenkt. Ich konnte sein Gesicht endlich sehen und erstarrte. Ich kannte seine Haare. Natürlich. Ich hatte seit damals öfter an sie und den dazugehörigen Mann gedacht, als ich zugeben wollte. Camden. Hölle nochmal, was machte er hier?! Ich tat, als ob ich zusammenbrechen würde - er sollte mich nicht erkennen und außerdem brachte mich das in die Nähe der Messer. Ich schnappte mir eines. Die Vergangenheit war vorbei. Vampire waren keine Freunde, sie waren Feinde. Blutsaugende, mordende Feinde. Und er war auch einer. Und ich würde mit ihm genauso umgehen wie mit all den anderen in den zwei Jahren. Ich würde ihn leider umbringen müssen. Ich war die letzten Jahre ohne ihn zurechtgekommen und würde dies auch noch die weiteren tun. Er zerrte mich wieder auf meine Füße und schlug mir das Messer aus der Hand. Verdammt! Er legte mir einen Finger unter das Kinn und hob es an, damit er mir ins Gesicht gucken konnte. Ich sah an ihm vorbei, traute mich nicht, ihm in die Augen zu gucken. „Du?!“ Er war erschrocken. Ich blieb stumm und schaute immer noch an ihm vorbei. „Sieh mich an!“ sagte er laut. Ich vermied seinen Blick. Er nahm mein Gesicht fester in die Hand und senkte sein Gesicht vor meines, sodass ich ihm in die Augen sehen musste. Verdammter Mistkerl. „Du spionierst mir seit einer Woche hinterher?! Du hast versucht mich umzubringen?! Was zur Hölle geht hier vor?“ Meine Hand zog an seiner, doch er ließ mich nicht los. Stattdessen schüttelte er mich. „Antworte mir!“ Na gut. Wenn er wollte. „Ja. Ich war das. Ich wollte dich umbringen… ich will dich umbringen.“ fauchte ich. Er neigte den Kopf, zog die Brauen zusammen und... lächelte. Als ob die Situation zum Lächeln gewesen wäre! Ich zerrte an seiner Hand und schaffte es tatsächlich sie kurzzeitig zu lösen. Schnell wich ich zum Waschbecken zurück. Ich musste ihn irgendwie ablenken damit ich ihm endlich das verdammte Messer in die Brust rammen konnte. Doch bevor ich überhaupt einen Gedanken zu Ende fassen konnte, griff er sich meine Hand. „Lass mich los.“ zischte ich giftig. Bei jedem anderem Vampir, der mich berührt hatte als ich ihn abgemurkst hatte, war ich zusammen gezuckt und wurde schlagartig in das Haus meiner Eltern versetzt. Wie sie tot und mit starrenden, anklagenden Augen mich ansahen, als ob sie mir Vorwürfe machten, dass ich nicht früher gekommen war. Das war der Moment, in dem mich die Wut übermannt und einen toten Vampir hinterlassen hatte. Doch bei Camden, der mich mit störend festem Griff hielt, dachte ich an nichts davon. Meine Gedanken kehrten zu jenem Tag im Schnee zurück. Wie ich glücklich über die weiße, weiche Wiese gelaufen war. Wie er mich in den Schnee gedrückt hatte und mich schließlich reingebracht hatte. Das und der Tag danach, waren die letzten gewesen, an denen ich glücklich gewesen war. Also warum zum Teufel dachte ich jetzt daran?! Ich stand hier mit einem - immer noch lächelndem - Vampir in einem Männerklo, hatte meine Messer nicht in meiner Hand und war absolut nicht glücklich. Er beugte sich zu mir und kam meinem Hals wieder gefährlich nahe. Komischerweise hatte ich aber keine Angst mehr. Was ziemlich dumm war, seine Spezies saugte meine aus. Und er könnte dies jederzeit mit mir tun, da er mich festhielt und mindestens zehnmal so stark war wie ich. „Du wirst jetzt mitkommen. Und du wirst brav sein und keine Aufmerksamkeit erregen, verstanden?“ Mit ihm mitkommen?! Da konnte ich mir doch gleich selber ein Messer in die Brust rammen. Ich war doch nicht lebensmüde. Ein bitteres Auflachen entfuhr mir. „Niemals.“ flüsterte ich in sein Ohr, was vor meinem Mund schwebte und begann wieder mich freizukämpfen. Er ließ es wunderlicher Weise geschehen. Ich hechtete zur Tür. Sobald ich aus der Toilette raus war, würde es einfacher für mich sein, ihm zu entgehen. Jedoch schaffte ich es nur bis zur Klinke, ich hatte meine Hand schon darauf und da wurde ich zurück- und gegen eine Wand geschleudert. Die Luft wich bei dem Aufprall aus meiner Lunge. Camden stand plötzlich vor mir und hielt mich mit seinem Körper an der Wand fest. Ich stemmte meine Hände gegen seine Brust, aber es brachte nichts. Er schnappte sie sich mit einer von seinen und hielt sie fest. Mit der anderen sorgte er wieder dafür, dass ich ihn ansehen musste. Seine Augen leuchteten blau. Scheiße! „Ich wiederhole mich ungern. Du wirst jetzt brav mit mir das Restaurant verlassen. Und ohne zu schreien, um dich zu schlagen oder sonst wie Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Okay?!“ Ich nickte widerwillig. Mein Verstand fühlte sich umnebelt an und nur seine Worte waren da. Er ging einen Schritt zurück, legte sich meinen Arm über seinen und wir verließen gemeinsam die Toilette. Niemand achtete auf uns. Innerlich versuchte ich mich von dem lähmenden Nebel zu befreien, aber es klappte nicht. Mein Körper reagierte nur auf seinen Befehl! Wir gingen direkt durch den Raum, durch die Tür. Wie von mir erwartet, stand da die schwarze Limousine. Ein letztes Mal versuchte ich, den Nebel zu durchbrechen - ich musste es ja nur bis zu meinem Auto schaffen! -, aber es klappte nicht. Ohne eine Miene zu verziehen, im Innern jedoch schreiend, stieg ich vor Camden in das Auto und er schloss hinter uns die Tür. Ich saß still und reglos da. Erst, als wir geschätzte fünfzehn Minuten orientierungslos durch die Dunkelheit gefahren waren, zog er mich zu sich und sah mich wieder mit diesen verdammten Leuchtaugen an. „Ich erlöse dich von meinem Befehl.“ sagte er. Im selben Moment klarte mein Verstand auf, der Nebel verzog sich und mein Körper gehörte wieder nur mir. Das erste was ich tat, war ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Na ja, zumindest versuchte ich es, aber er fing meine Hand schon wieder ab. Er lachte leise und drückte einen Kuss auf die Handfläche, bevor er sie sinken ließ. Ich entriss sie ihm schnell und wischte sie mir an der Hose ab. Dreckiger Vampir. „Was um alles in der Welt sollte das?“ fragte ich drohend. Er zog die Brauen hoch. „Ich habe dich gerettet.“ sagte er so selbstverständlich, als ob das völlig klar war. Er hatte mich gerettet? Ich wurde von einem Blutsauger entführt, der wann er wollte die Kontrolle über mich hatte. Tolle Rettung vor was auch immer. „Du bist ein blutsaugendes Monster, das mich manipuliert und entführt hat. Was soll daran eine Rettung sein?!“ schrie ich. „Immer locker bleiben. Das werde ich dir später erklären. Wenn wir da sind.“ „Wenn wir da sind? Ich verlange, dass du mich jetzt sofort rauslässt! Ich will zu meinem Auto und nach Hause, hast du verstanden?!“ Er lachte wieder leise. Seine fröhliche Stimmung regte mich noch mehr auf. „Dein Auto mit den ganzen Messern im Handschuhfach? Damit du noch mehr Möglichkeiten hast, mich umzubringen?“ Er lachte wieder. Ja, um ehrlich zu sein, hatte ich genau das vorgehabt. Er beugte sich wieder so nah zu mir, was meine Angst um die Unversehrtheit meines Halses wieder verstärkte. „So blöd bin ich doch auch wieder nicht, Xan.“ Er schaute mich noch einmal in die Augen und gerade als es unangenehm wurde und ich den Blick abwenden wollte, lehnte er sich in seinen Sitz zurück. „Aber wo bleiben meine Manieren? Wie geht es dir so? Wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen. Übrigens machen Fi, Angel und die anderen sich große Sorgen um dich. Du hast dich zwei Jahre nicht gemeldet, was ist passiert?“ War er etwa neugierig? Ihn interessierte doch nicht wirklich, was ich die letzten Jahre getrieben hatte, oder? Und wie um alles in der Welt kam er auf die Idee, mich gerettet zu haben?! Ich wollte ihn umbringen! Man müsste mich höchstens vor ihm retten. Er sah mich fragend an. „Mir geht es soweit ganz gut.“ Brachte ich zähneknirschend hervor. Er brauchte nichts von meinen nächtlichen und tödlichen Aktivitäten zu wissen. Warum ich so geworden war und mich nicht bei meinem Freunden meldete. Doch er sah mich immer noch fragend an. „Und weiter? Was ist damals passiert, dass du umgezogen bist und nie wieder etwas von dir hast hören lassen?“ Er wusste, dass ich umgezogen war? „Das geht dich gar nichts an.“ fauchte ich schnell. Es war ja auch so. Wir hatten uns einmal vor Jahren zwei Tage gesehen. Mehr nicht! Warum also sollte ich ihm den Sinn meines jetzigen Lebens unterbreiten?! „Mag sein. Aber dennoch möchte ich es wissen. Dann werde ich dir auch sagen, warum ich dich gerettet habe.“ Ich starrte aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft. Ich hatte mit niemandem über jene Nacht erzählt. Die Polizei hatte mich schließlich im Garten gefunden, zusammengekauert an einen Baum. Ich wurde damals befragt und als unschuldig befunden, weil ich meine Zugfahrt aus Sibirien nachweisen konnte, denn zur selben Zeit hatte der Mord stattgefunden. Nach drei Monaten wurde die Suche nach dem Mörder eingestellt und die Akte versauerte in irgendeinem Archiv. Kein Wunder, dass er nichts davon wusste oder die anderen. Die Unfähigkeit der Polizisten, den Mörder zu finden, wurde schnell unter den Tisch gekehrt und nie wieder hinterfragt. Ich sah ihn wieder an. Er hatte mich die ganze Zeit mit seinen Blicken verfolgt und versucht meine Miene zu deuten. Seinem ratlosen Gesicht zufolge hatte das nicht geklappt. Was wäre, wenn ich es ihm erzählte? Was würde er tun? Was würde er denken? Konnte ich ihm vertrauen? Aber was hatte ich denn schon zu verlieren?, funkte ein kleiner Teil von mir dazwischen. Es gab nichts in meinem Leben, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnte. Es war nur noch von der Aufgabe bestimmt, so vielen Vampiren wie möglich ein Ende zu bereiten. Und selbst wenn ich jetzt draufgehen würde, habe ich doch schon eine zufriedenstellende Anzahl von ihnen um die Ecke gebracht. Also, warum nicht? Ich holte tief Luft, sah ihn jedoch nicht an. „Als ich vor ungefähr zwei Jahren aus Sibirien wiederkam, hatten meine Eltern mir dreimal auf den AB gesprochen. Sie wollten wissen, wo ich gesteckt und warum ich mich nicht gemeldet hatte. Ich konnte sie nicht erreichen und beschloss, zu ihnen zu fahren. Als ich vor ihrem Haus ankam, stand die Tür offen. Ich ging durch das Erdgeschoss und fand die Küche unordentlich vor. Selbst da redete ich mir noch ein, dass alles in Ordnung sei.“ Ich lachte kalt auf. Eine verirrte Träne rann mir über die Wange und ich war erschrocken. Ich hatte seitdem Zusammenbruch im Garten nicht mehr geweint. Ich krallte meine Finger in den Gurt vor meiner Brust. Ich spürte, wie Camdens Finger sich darauflegten, sie sanft lösten und auf den Sitz zwischen uns legten. Zitternd holte ich Luft und fuhr dann fort. „Ich trat in das angrenzende Wohnzimmer und hatte sie sofort gesehen. Sie lagen mit aufgerissenen Augen und Mündern da. Das Blut floss an ihnen hinab in den Teppich und der Fleck wurde immer größer. Die Wände waren über und über mit ihrem Blut bespritzt. Ich hatte mich sofort wieder umgedreht und war hinaus in den Vorgarten gegangen, wo ich dann zusammengebrochen bin. Aber bevor ich den Raum verließ, fiel mein Blick auf ihre Hälse. Jeder hatte sie. Zwei kleine Einstiche.“ Schließlich sah Camden doch an. „Ein Vampirbiss. Als ich mich im Morgengrauen einigermaßen beruhigt hatte, schwor ich mir, dass ich jeden Vampir der mir über den Weg laufen würde, umbringen würde. Egal, ob es mein Leben fordert oder nicht.“ Ich sah wieder von ihm weg. „Und seither bin ich auf der Jagd nach Monstern wie dir. Ich habe dich seit einer Woche verfolgt und wusste genau, was du heute tun würdest. Also habe ich mich auf dem Klo versteckt und auf dich gewartet. Ich hätte dich kaltblütig umgebracht, dich liegengelassen und mich aus dem Staub gemacht. Selbst, als ich wusste wer du warst, hatte ich es vor.“ Den letzten Satz flüsterte ich. Ich traute mich nicht, ihm ins Gesicht zu blicken, immerhin hatte ich ihm gerade gesagt, dass ich ihn umbringen wollte. Kaltherzig. So was konnte selbst die dickste Freundschaft zerbrechen und so viel hatten wir ja noch nicht einmal. „Xan, sieh mich an.“ sagte er sanft. Was kam jetzt? Mitleid? War er sauer? Ich hätte es ihm nicht erzählen sollen. Das war falsch. „Xanna.“ Seine leise Stimme hatte einen fordernden Unterton. Ich schnaubte und drehte mich zu ihm um. „Ich habe dir nie meinen Namen gesagt. Nur Xan.“ stellte ich fest. Er grinste. „Ich weiß.“ sagte er. Dann wurde sein Gesicht wieder ernst. „Es tut mir leid, was damals passiert ist. Wirklich. Sowohl das mit deiner Familie, als auch, dass du dich zu dieser Entscheidung gezwungen hast. Seit zwei Jahren jagst du Vampire. Riskierst dein Leben, für Menschen, die dir zwar viel bedeutet haben, aber die längst tot sind, Xan! Was bringt es ihnen, wenn du neben ihnen liegst? Meinst du nicht, dass sie gewollt hätten, dass du ein glückliches Leben führst?! Eines, in der du in einer vernünftigen Wohnung wohnst und nicht im Auto. Eines, in der du nicht jede Nacht in irgendwelche Clubs gehst und dich Gefahren aussetzt, die gefährlicher sind, als sie selbst ahnen würden? Eines, indem du nicht alleine bist und Freunde hast?! Glaubst du wirklich, dass das das Leben ist was sie nicht eher für dich wollten?“ Jetzt flossen meine Tränen schneller. Er hatte mir kein Mitleid gegeben, er war auch nicht sauer. Nein, er hat etwas viel Schlimmeres gemacht. Er hat die Wahrheit gesagt. Er hatte Recht. Ich hatte mich selber oft genug gefragt, was sie dazu sagen würden, wenn sie noch leben würden. Was sie von mir denken würden. Seit ihrem Tod hatte ich mich in eine mordende Furie verwandelt, die keinen an sich heranlässt und vollkommen alleine war. Aber woher wusste er, dass meine Wohnung eine Bruchbude war und ich praktisch in meinem Auto lebte? Woher wusste er, dass ich nachts in Clubs ging? Oder woher wusste er, dass ich gar keine Freunde hatte? Ich hatte ihm das alles nicht erzählt. „Woher weißt du das alles?“ fragte ich leise und mit gebrochener Stimme. „Ich erzähle dir gerade, dass du dein Leben mal überdenken solltest und du fragst dich, woher ich weiß, dass du in Clubs gehst und wie du wohnst? Ehrlich?!“ Ich nickte. Er schüttelte den Kopf. „Ich bin dir schon seit einiger Zeit auf den Fersen. Oder glaubst du ich hätte mir rein zufällig diese Stadt ausgesucht? Ich wusste nicht wer du warst, sondern hatte nur von einer kaltblütigen Mörderin gehört, die hier ihr Unwesen treibt. Besonders bei Vampiren. Womit wir auch beim Thema wären. Du musstest da raus. Und du wirst erst mal für eine Weile untertauchen müssen.“ Ich schaute ihn verständnislos an. Verschwinden? Untertauchen? Warum? Wovor? „Du bist unter den Vampiren sehr bekannt. Die meisten fürchten dich, doch Furcht schürt Hass. Sie haben sich zusammengeschlossen und den Entschluss gefasst, dich umzubringen. Si, doch einige h e haben dich vor ungefähr einem Monat in der Stadt aufgespürt und planten den Überfall. Den Mann, den du gestern Nacht zur Strecke gebracht hast, war einer von ihnen, weshalb sie ihren Termin noch einmal verschieben mussten. Ich hatte ebenfalls von einer rachsüchtigen Vampirkillerin gehört und waren neugierig. Als ich hörte, du – oder vielmehr die Mörderin - solltest umgebracht werden, wollte ich schneller sein und wissen wer du bist, dass du es schaffst so vielen Vampiren Angst zu machen. Du warst doch nur ein Mensch.“ Er kicherte leise und ich sah ihn böse an. „Ich wusste, dass du mich verfolgst und hatte alles eingefädelt, sodass du mich auf dem Klo überfallen musstest, weil du keine andere Gelegenheit gehabt hättest. Tja, aber du hast mir trotzdem einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich hatte vor, dich ein wenig auszuhorchen, dich dann zu hypnotisieren und dich dann den anderen zu überlassen. Aber es musstest ja ausgerechnet du sein. Also entschloss ich kurzerhand, dich mitzunehmen.“ schloss er. Ja, das sagte er schon. Aber wohin? „Und wohin nimmst du mich mit?“ fragte ich ihn niedergeschlagen. Es hatte so oder so keinen Sinn mehr zu fliehen. Dämlicher Mistkerl. Ein unheilvolles Grinsen breitete sich auf seinem umwerfenden Gesicht aus. Oh Mist. Das war gar nicht gut. „Zu mir.“ Ich stöhnte auf. Genauer ging‘s nicht, oder was?! „Und wo ist das?“ Sein Grinsen wurde unmöglicher Weise noch breiter. „Wehe du schlägst mich.“ warnte er mich. Ich hob meine Hände nach oben, den Handflächen nach außen, in einer ergebenden Geste. „Werd ich schon nicht.“ Beruhigte ich ihn ironischerweise. Ich könnte ihm gegen seinen Willen niemals etwas antun. „Na gut. Also mein Haus steht in…“ er zögerte immer noch und ich stöhnte wieder. War es echt so schwer?! „... Island.“ beendete er schließlich vorsichtig den Satz. „Geht do…“ ich verstummte. Island. Das Island was über England, Schottland und Irland im Norden lag? Die kleine Insel? Island?! „Du fasst das besser auf, als ich dachte.“ sagte er, doch ich hörte ihn gar nicht richtig. Ich wusste jetzt, wie Fi sich gefühlt haben musste, als Cannes ihr sagte, dass sie nach Sibirien gehen würden. Aber Island?! Das war ja noch weiter weg, noch abgelegener! Ich warf einen Blick zu der Autotür. Vielleicht sollte ich einfach rausspringen. Weg von ihm und seinem Haus in Island. Meine Hand glitt zu dem Haken, der sie öffnen würde und legte sich darauf. Doch leider hatte ich Camden vergessen. Er zog meine Hand wieder weg und hielt sie fest. „Oder doch nicht.“ wiederlegte er seine vorherige Aussage. Dann endlich drehte ich mich zu ihm um und starrte ihn an. „Island?!“ brüllte ich. Was dachte sich dieser dunkelhaarige Idiot dabei mich einfach so mitzunehmen? War er vollkommen bescheuert?! „Geht es dir nicht gut?“ schrie ich. Er nahm sich auch noch meine zweite Hand, die sich auch auf den Weg zum Türgriff gemacht hatte und hielt sie beide zwischen uns fest. Er drehte sich zu mir und starrte ihn an, als ob er geisteskrank wäre. „Island...“ murmelte ich eher zu mir selbst. Er hatte tatsächlich vor mich auf eine kleine Insel zu verschleppen. „Beruhige dich, Xan. Alles ist gut.“ Ich schnaubte höhnisch. „Nichts ist gut! Du holst mich einfach so aus meinem Leben und verschleppst mich auf eine Insel die tausende von Kilometer von hier entfernt ist!“ Beruhigen. Ich schnaubte erneut. Als ob ich mich beruhigen könnte. „Dort wirst du sicher sein. Und es ist ja nicht für immer. Versprochen.“ „Dein blödes ‚Versprochen‘ kannst du dir sonst wohin stecken. Ich werde nicht mit dir nach Island gehen. Punkt. Ich habe die letzten zwei Jahre ohne fremde Hilfe überlebt und werde dies auch die weiteren Jahre tun. Also, tu mir jetzt den Gefallen und bring mich zurück zu meinem Auto. Oder lass mich einfach hier raus.“ Ich sank müde in den Sitz zurück. Ich würde nicht mit ihm nach Island gehen. Als ich ihn wieder ansah, musterte er mich aufmerksam. Na ja, zumindest nicht freiwillig. „Xan, es ist doch nur zu deiner Sicherheit. Ich…“ Ich ließ ihn gar nicht ausreden. „Dich braucht meine Sicherheit gar nicht zu kümmern. Wir sind keine Partner, keine Familie und keine Freunde. Ich wüsste also nicht, was dich mein Wohlbefinden angeht.“ fuhr ich ihn an. Seine Miene verhärtete sich und seine Lippen bildeten einen schmalen Strich. „Du wirst mitkommen, ob du willst oder nicht.“ entgegnete er, lehnte sich auch zurück und schwieg. Ich sagte auch nichts und schwieg ebenfalls. Was denkt er eigentlich was er war? Er konnte mich doch nicht einfach so verschleppen. Er konnte, flüsterte mir eine kleine Stimme in meinen Gedanken zu. Wer würde mich denn schon vermissen, bis auf die Vampire, die mich tot sehen wollten?! Niemand. Niemand würde wissen wo ich bin. Das wusste ja jetzt auch keiner. Ich seufzte. Na klasse. Dämlicher Vampir. Ich wusste nicht, wie lange wir mit dem Auto durch die Dunkelheit fuhren, aber irgendwann hielten wir an. Neugierig schaute ich aus dem Fenster, konnte wegen der Dunkelheit aber nichts erkennen. Als ich mich zu Camden umdrehte, erstarrte ich. Er war weg! Doch bevor ich panisch werden konnte - ich war hier ganz alleine irgendwo im nirgendwo und kannte niemandem außer ihn -, wurde meine Tür geöffnet und Camden deutete mir auszusteigen. Ich ließ mir nichts anmerken und stieg so würdevoll wie es ging aus. Er grinste mir dennoch zu. Dämlicher Vampir. Ich stellte mich neben ihn und er schloss immer noch grinsend die Tür hinter mir. Dann nahm er wieder meinen Arm wie im Restaurant, legte ihn über seinen und führte mich über einen kleinen Platz. Ich entzog ihm ihn allerdings sofort wieder. Ich hatte keineswegs die Absicht noch weiter mit ihm zu reisen. Ich musste ihn nur irgendwie loswerden. Möglichst unauffällig sah ich mich um. Der Platz war weit und aus Beton. Jedoch waren dahinter Bäume und Büsche. Vielleicht hatte ich eine Chance, wenn ich mich in ihnen versteckte. Dann musste ich nur noch Camden loswerden. Ich lief neben ihm her und überlegte mir einen Fluchtversuch. Was machten wir eigentlich hier? Es war alles dunkel und erkennen konnte ich rein gar nichts. „Was machen wir hier?“ fragte ich ihn ungeduldig. Ich wollte einfach nur noch weg von ihm. Je eher desto besser. Ich konnte es nicht gebrauchen, mitten in der Nacht mit ihm durch eine verlassene Landschaft zu laufen. Vor allem, weil er ein Vampir war. Nach weiteren stillen Minuten, er hatte mir nicht geantwortet, kam schließlich etwas in Sicht. Erst konnte ich nur grobe Umrisse sehen, erkannte dann aber ein Flugzeug. Er meinte das tatsächlich ernst mit Island. Aber soweit würde ich es nicht kommen lassen, nicht ohne es zumindest versucht zu haben. Neben dem Flugzeug stand ein Mann, wahrscheinlich der Pilot. Camden steuerte direkt auf ihn zu und unterhielt sich kurz mit ihm. Anscheinend war er eingeweiht, den er wurde weder mit diesem nervigen Leuchtblick angeguckt, noch sichtbar gezwungen. Dadurch ließ er mich allerdings alleine. Ich sah mich noch einmal um, im Osten ging gerade die Sonne langsam auf, daran würde ich mich orientieren, und rannte dann los. Einfach nur von dem Platz runter, in das Dickicht und dann immer weiter, bis zur nächsten Stadt. Ich musste es einfach schaffen. Doch bevor ich auch nur einen der Sträucher wirklich erahnen konnte, spürte ich schon einen starken Arm an meiner Taille, der mich hochhob und herumschleuderte. Camden ging gemächlich zurück zum Flugzeug, nickte dem Pilot nochmal zu und stieg dann, mich vor sich haltend, ein. Mistkerl. Er stieg die kleine Treppe hinauf und ich konnte einen Blick auf das Innenleben des Flugzeugs werfen. Missmutig musste ich zugeben, dass es wirklich gut war. Dort standen bequem aussehende Sessel, ein kleiner Kühlschrank und weiter hinten ließen sich Schlafkammern erahnen. Ich strampelte und wollte mich los machen – er hatte ja jetzt was er wollte. Ich würde mitkommen. Er ließ mich nicht los, sondern setzte sich mit mir in einen der Sessel. Er rückte mich auf seinem Schoß ein wenig zurecht, lockerte meinen Griff um der Taille jedoch keineswegs. Was sollte das denn jetzt schon wieder? Ich war doch in dem Flugzeug und dem Ruckeln nach, fuhr es gerade los und schnitt mir jede Fluchtmöglichkeit ab. Außer ich wollte aus einem fliegendem Flugzeug springen, wenn ich jemals die Tür aufkriegen sollte. Und ich musste erst mal dahin kommen, was praktisch unmöglich war. „Was sollte das denn gerade?“ fragte er. Ich konnte aus seiner Stimme nicht erschließen ob er sauer war oder einfach nur belustigt. „Ich weiß nicht ob es dir entgangen ist, aber ich will nicht mit dir nach Island. Ich will nur nach Hause.“ Sagte ich müde. Ich spürte leicht, wie er nickte. „Das verstehe ich. Ich verstehe, dass du nicht von zu Hause weggehen willst, vor allen Dingen nicht mit einem Monster wie mir.“ Er hörte sich leicht zerknirscht an. „Und wenn dieser Vampir dir nicht in geringster Weise nahe steht, ich meine, wir sind keine Freunde, dann ist es noch verständlicher.“ Sein Ton war nicht so fröhlich wie er es sonst die ganze Zeit gewirkt hatte. Ihm hatte es doch nicht wirklich etwas ausgemacht, was ich vorhin gesagt hatte. Ich drehte mich zu ihm herum, sodass ich ihm ins Gesicht sehen konnte – durchaus bewusst, dass ich noch auf seinem Schoß saß. „Ja, es sind nicht gerade die besten Umstände.“ Erwiderte ich nur. Er verzog die Lippen zu einer schmalen Linie und er schob mich von sich. Merkwürdiger Weise war ich leicht enttäuscht. Ich stand auf, um nicht auf den Boden zu fallen und setzte mich in einen anderen Sessel. Camden stand auf und ging zu dem kleinen Kühlschrank hinüber, neben dem ein Regal mit gläsernen Flaschen war, die verdächtig nach Alkohol aussahen. Er nahm dich ein Glas und wählte eine braune Flüssigkeit. Whiskey. Er schenkte sich das halbe Glas voll und trank es mit zwei Schlucken aus. Dann sah mich an. „Ich habe keine Lust den gesamten Flug mit dir zu streiten. Wir werden mindestens 6 Stunden fliegen und das würde dann ein sehr langer Flug werden. Also entweder entscheidest du dich dafür, dich in eines der Betten zu legen und die Zeit über zu schlafen oder du lässt mich in Ruhe, okay?!“ Oh oh. Der Vampir war beleidigt. Aber das gab ihm noch lange nicht das Recht über mich zu bestimmen. Und glaubte er etwa, ich machte das hier nur zu meinem Vergnügen? „Du hast mir gar nichts zu sagen. Ich kann gut für mich selbst entscheiden.“ „Guck, genau das meine ich.“ Er kam auf mich zu. Als seine Beine gegen meine stießen und er direkt vor mir stand, beugte er sein Gesicht vor meines. „Was wird das?“ Ich versuchte tapfer zu klingen, in Wahrheit wurde mir aber doch ein wenig mulmig. Seine Augen fingen an zu leuchten, doch es war zu spät um wegzugucken. Wie gebannt starrte ich sie an. „Du wirst jetzt schlafen, Xan. Bis ich dich aufwecke, wirst du tief und fest schlafen.“ Murmelte er und ich wurde schlagartig müde. Mir fielen die Augen zu und ich sackte in mich zusammen. Starke Arme schoben sich unter mich und hoben mich hoch. Camden. Ich spürte, wie er mich durch den schmalen Flugzeuggang trug und zu den Betten brachte. Mein Kopf sackte gegen seine Schulter und ich war schon halb weg, da legte er mich auf einem Bett ab. Wage nahm ich wahr, wie er eine Decke über mir ausbreitete und meinen Kopf bequem auf dem Kissen ablegte. Und dann war ich plötzlich, trotz des blöden Vampirbefehls, hellwach. Ich spürte warme, weiche Lippen auf meiner Stirn. „Warum musst du nur so viel reden, meine kleine Xan. Schlaf gut.“ Murmelte er und dann war ich doch weg.

„Wach auf. Wir sind da.“ Hörte ich eine Stimme in meiner Nähe. Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Ich starrte eine schöne mit Holzlatten überzogene Decke an. Was...? Ich richtete mich auf und lehnte mich gegen das Kissen. Ich saß in einem wundervollen Bett das mit dunkelroten Vorhängen umsäumt war. Ich konnte einen Kamin knistern hören und als ich mich vorbeugte sah ich ihn in der Wand vor sich hin flimmern und eine angenehme Wärme ausstrahlen. Ich sah mich weiter in dem riesigen Zimmer um. Ein Stück rechts von mir war eine gemütliche Sofa Landschaft. Links von mir war ein riesiges Fenster, das auf grüne, weite Wiesen hinausging. Die Wiesen Islands, dachte ich zerknirscht. Ich warf dem Vampir, der auf meinem Bett am Fußende saß einen bösen Blick zu. „Du hast mich also zu dir gebracht.“ Stellte ich fest. Er grinste – er konnte ja ganz beruhigt sein, er hatte ja was er wollte. „Ja, das habe ich. Trotz deiner Proteste.“ Er stand auf und schritt zu dem Fenster. „Ich hab Hunger.“ Nörgelte ich. Allerdings hatte ich wirklich Hunger und gestern in dem Restaurant hatte ich das letzte Mal etwas gegessen und selbst das nur einen Bissen. „Dann komm mit.“ Ohne sich noch mal umzudrehen ging er zur Tür. Ich stand schnell auf und folgte ihm. Kurzzeitig tanzten mir schwarze Punkte vor meinen Augen, mein Kreislauf musste wohl erst in Gang kommen. Ich stützte mich an einem der Bettpfeiler ab, um den kleinen Schwindelanfall zu vertreiben. „Alles okay?“ Camden stand neben mir und sah mich an. Machte er sich etwa Sorgen um mich? Ich richtete mich auf und ignorierte die letzten kleinen schwarzen Punkte und ging trotzig durch den Raum. „Ja klar.“ Sagte ich gleichgültig. Camden lief mit großen Schritten an mir vorbei durch die Tür. Ich sah gerade noch wie er den Kopf schüttelte und dann nach links abbog. Wir liefen stumm durch dieses riesen Haus – hatten Vampire immer solche großen und protzigen Häuser? – und kamen schließlich in der Eingangshalle an, was ich wegen der Eingangstür annahm. Wir gingen durch eine weitere Tür und kamen in einen Saal, der ungefähr dem in Cannes und Fis Haus ähnelte. Doch Camden setzte sich nicht hin und ging durch eine Tür rechts von uns. Als wir uns umschauten erkannte ich eine Küche. Sie war genauso nervend wunderschön eingerichtet wie das Zimmer. „Setz dich da hin.“ Sagte er und deutete auf einen Stuhl, der an einem etwas kleineren Tisch stand. Endlich mal etwas nicht so protziges. Es war ein ganz normaler Esstisch, mit jeweils zwei Plätzen an den Längsseiten und jeweils einem am Kopfende. Ich wählte einen an der Längsseite und beobachtete Camden, wie er zu einem Kühlschrank ging und etwas herausholte. Das stellte er dann in eine Mikrowelle, was ihn irgendwie noch sympathischer machte. Es zeigte mir, dass er auch mal ganz normal sein konnte. Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als er mir das dampfende Essen vor mir abstellte, doch ich verbannte es schnell. Vampire waren Monster, nicht vergessen. „Du hast das Essen leider verpasst, also gibt es nur die aufgewärmte Version.“ Trotzdem roch es fantastisch. „Danke.“ Ich nahm Gabel und Messer entgegen und machte mir daran, das Fleisch mit der leckeren Soße zu zerschneiden und auf die Gabel zu piksen. Es schmeckte lecker. Camden ging um den Tisch herum und setzte sich neben mich. Manchmal wurde ich einfach nicht schlau aus ihm. Im einen Moment sagt er mir was ich tun soll und im nächsten küsste er mich auf die Stirn, sagte ‚meine kleine‘ und machte mir Essen warm. Was dachte er sich eigentlich dabei?! Wie würde das jetzt werden? Würde ich mir die nächsten Tage, Wochen oder weiß der Teufel wie lange ich hier bleiben würde, diese wechselhaften Launen aushalten müssen? „Schmeckt es?“ Ich schluckte den Bissen hinunter und starrte ihn an. Jetzt war er wohl wieder der nette Camden. „Sehr sogar. Ich danke dir.“ Ich grinste ihn widerwillig an und er grinste zurück. Dieser Camden war mir eindeutig lieber. Ich verschlang auch den Rest. „Wo soll ich das hinstellen?“ fragte ich und stand auf. Er nahm es mir aus der Hand und stellte es in eine Art Spüle. Dann gesellte er sich wieder zu mir. „Komm, ich zeige dir das Haus.“ Er zog mich am Arm sanft aus der Küche. Die nächste Stunde verbrachten wir damit, durch dieses riesige Anwesen zu streifen und er zeigte mir jeden einzelnen Raum. Es gab wirklich alles. Eine Bibliothek, einen Fitnessraum, sogar einen riesigen Pool im Keller! Ich war immer noch nicht begeistert über meinen Aufenthalt hier, aber der Pool besserte ihn erheblich auf. Wie lange war ich schon nicht mehr schwimmen gewesen! Er zeigte mir auch wohin die Türen von meinem Schlafzimmer abgingen. Ein Badezimmer, was zwar nicht riesig, aber wunderschön eingerichtet war und einen begehbaren Kleiderschrank, der voll mit Klamotten stand. Vor genau diesen stand ich jetzt und starrte sie fassungslos an. „Das ist alles für mich?“ hauchte ich. Er lachte leise. „Ja. Weißt du, ich trage nicht so oft Frauenklamotten. Steht mir nicht.“ Ich war zu fasziniert um zu lachen. Das waren so viele! Dann kniff ich die Augen zusammen und drehte mich zu ihm um. „Warum machst du das alles?“ fragte ich misstrauisch. Seine Miene versteinerte plötzlich wie im Flugzeug. „Keine Angst, du wirst schon irgendwann wieder nach Hause kommen.“ Er neigte sich zu mir. „Du wirst mich schon wieder los.“ Dann ging er aus dem Raum und schloss die Tür hinter sich. Was sollte das denn jetzt schon wieder? Ich ging aus dem kleinen Wandschrank, schloss die Tür hinter mir und legte mich quer auf das Bett. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm. In einem Moment war er ein unglaublicher Gentleman, führte mich durch sein riesiges Haus, dann war er wieder mies gelaunt und fuhr mich an. Nach ein paar Minuten klopfte es an der Tür und ich richtete mich schnell auf. „Herein.“ Rief ich. Eine nett aussehende, alte Dame betrat den Raum und lächelte mich freundlich an. „Ich wollte nur eben seine Kissen aufschütteln und die Handtücher wechseln.“ Ich nickte ihr zu und setzte mich auf einen der Stühle. Erst da wurde mir bewusst was sie da gerade gesagt hat. Seine Kissen? Ich ging in das Bad, wo sie gerade war. „Ähh, entschuldigen sie. Sie meinten ‚seine‘ Kissen. Wieso?“ Sie sah mich an. „Das ist doch das Zimmer des Herrn des Hauses. Wussten sie das nicht?“ Ich schüttelte den Kopf und ließ sie ihre Arbeit weitermachen. Sein Zimmer?! Er hatte mir sein Zimmer gegeben? Seinen Wandschrank voll mit Klamotten für mich gemacht? Warum? Mittlerweile hatte ich echt das Gefühl, es mit einem schizophrenen zu tun zu haben. Kranker Kerl. Ich beschloss ihn zur Rede zu stellen. Ich bedankte mich bei der Dame und verließ dann das Zimmer, um mich auf die Suche nach ihm zu machen. Dann ging ich den Gang hinunter, bei dem ich meinte, es sei derselbe wie vorhin. Mehrere Türen zogen an mir vorbei, doch es kam keine Treppe in Sicht. Unbeirrt lief ich weiter, doch nach einer Viertelstunde hatte ich das Gefühl im Kreis zu laufen. Ich hatte mich verirrt! Als ich endlich an eine Treppe kam, die nicht dieselbe von vorhin war, ging ich sie hinunter und kam in einen größeren Raum. Verdammt, wo war ich jetzt schon wieder gelandet?! Rechts und links von mir gingen wieder Flure ab, mit vielen Türen. Vor mir jedoch war eine Tür, die nach draußen führte, was ich durch die Fenster sehen konnte. Kurzerhand entschloss ich mich dazu, einen Blick auf die Landschaft zu werfen. In dem Labyrinth aus Fluren, Türen und Treppen würde ich so oder so nicht mehr ohne Hilfe zurückfinden. Die Luft, die mir schon beim ersten Schritt draußen um die Nase wehte, war zwar nicht so kalt wie in Sibirien, aber ich hatte keine Jacke dabei und fror ein bisschen. Doch rein wollte ich nicht wieder, wenn ich jetzt schon mal einen Ausgang gefunden hatte. Direkt vor mir lag ein kleiner Hof. Ein kleines Stückchen rechts von mir konnte ich einen alten Brunnen sehen, doch ansonsten war er leer. Neugierig ging ich weiter, die Kälte hartnäckig ignorierend. Ich entdeckte einen kleinen Pfad, der durch eine hügelige, grüne Wiese führte und wählte ihn. Als ich aus dem Schutz des Hauses herauskam, wehte der Wind noch heftiger und ich konnte ein Zittern nicht unterdrücken. Aber ich hatte die letzten Jahre nicht überstanden, weil ich zimperlich gewesen war. Also unterdrückte ich es und lief weiter. Es war ein ganz normaler Sandweg, doch die Landschaft war überwältigend. In den Wiesen mischten sich verschiedene Grün- und sogar Gelbtöne und manchmal konnte man eine Blume oder einen kleinen Strauch sehen, der emsig dem Wind trotzte. Mehrmals musste ich mir meine Haare aus dem Gesicht streifen, weil ich sonst nichts mehr gesehen hätte. Zum Glück gab es keine Abbiegungen, denn sonst hätte ich mich schon wieder verirrt. Also ging ich den Weg immer weiter entlang und mir wurde tatsächlich ein wenig warm. Seit gestern Abend hatte ich mich bedrängt und beobachtet gefühlt, doch jetzt war ich frei. Ich sah zu, wie der Himmel immer dunkler wurde und der Wind legte sich auch ein wenig. Wie lange hatte ich den geschlafen, dass es schon wieder dunkel wurde? Und wieso war er so plötzlich beleidigt gewesen, dass er mit einer erneuten Gehirnwäsche gedroht hatte? Ich dachte an den Moment im Flugzeug zurück. Er hatte mich ja geschnappt und dann hinein geschleppt. Aber da schien er mir noch nicht sauer zu sein. Genauso wie im Auto. Er hatte die ganze Zeit gute Laune gehabt, bis ich gesagt hatte, dass wir keine Freunde waren. Und im Wandschrank war er auch erst mies gelaunt gewesen, als er meinte, dass ich ihn schon wieder loswerden würde. Hatte es ihn echt so aufgeregt, dass ich ihn nicht für einen Freund hielt und nicht bei ihm sein wollte? Aber warum? Wollte er, dass wir Freunde waren und dass ich nicht von ihm wegwollte? Aber wir kannten uns doch rein theoretisch erst drei Tage, von denen ich einen in der Stadt mit Fi und Angel gewesen war, und einen praktisch verschlafen hatte. Außerdem lagen dazwischen zwei Jahre. Es war ein Wunder, dass er mich überhaupt wiedererkannt hatte. Geschweige denn vor irgendwelchen Vampiren beschützen will. Ich warf einen Blick in den Himmel hinauf. Man konnte schon ein paar Sterne sehen und ich sollte langsam zurückgehen. Aber ich wollte noch nicht. Es war so schön ruhig hier. Der Wind war nicht mehr ganz so schlimm und vom Laufen war mir angenehm warm geworden. Vielleicht könnte ich mich auf das Gras legen und einfach nur liegenbleiben. Den letzten Tag Revue passieren lassen. Die gesamte letzte Woche überdenken, in der er mich überwacht hatte, während ich ihm nachspioniert hatte. Ich legte mich in das frisch duftende Gras. Ich war doch tatsächlich die ganze Zeit verfolgt worden, ohne es zu merken. Er hatte mich nie aus dem Blick gelassen, immer auf mich geachtet. Was hatte er sich dabei gedacht? Selbst wenn ich eine fremde Vampirkillerin gewesen wäre, er hatte sich eine Woche an mich gehängt. Er hätte mich schon längst umbringen können. Aber er hatte mich mit zu sich genommen, mich in seinem Haus herumgeführt, mir sein Zimmer und unglaublich viele Klamotten zur Verfügung gestellt. Und er hatte mir Essen warm gemacht, was ich auch leicht hätte selber machen können. Ich verstand ihn einfach nicht. Er hätte mich doch auch zu Fi und Cannes bringen können, wenn er wollte dass ich in Sicherheit war. Er hätte mich nicht bis ganz hierher schleifen müssen. Er hätte all das gar nicht tun müssen. Also wieso hatte er es getan? Ich starrte nach oben in den Himmel, der über und über mit Sternen übersät war. So viele Sterne hatte ich noch nie gesehen. Die Mondsichel leuchtete hell zwischen ihnen und tauchte alles in ein silbriges Licht. Ich hatte mich die letzten zwei Jahre immer einsam gefühlt. Doch jetzt, völlig alleine, fühlte ich mich nicht mehr einsam. Ich fühlte mich unter dem riesigen, funkelndem Himmelszelt klein und als Teil eines viel Größerem. Es war ein unglaubliches Gefühl. Plötzlich erschien mir der bevorstehende Aufenthalt auf diesem Anwesen nicht mehr ganz so schrecklich. Wenn ich dadurch dieses unermessliche Gefühl der Freiheit haben könnte, würde ich sogar länger hierbleiben. Ich beobachtete die glitzernden Sterne. Sie waren überall, als ob ich unter einer riesigen Kuppel war, die mit dunkelblauem Samt überzogen und glitzernden Punkten bestickt worden war. „Wunderschön, nicht wahr?“ fragte eine dunkle Stimme neben mir. Eine hohe, schwarze Gestalt verwehrte mir den Blick auf einen kleinen Teil des Himmels. Camden. Natürlich hatte er mich gefunden. Aber wie war seine Laune im Moment? Wenn er wieder schlechte Laune hatte, konnte er gleich wieder gehen, darauf hatte ich gerade echt keine Lust. Ich bemerkte, dass ich ihn immer noch anstarrte. Verlegen richtete ich ihn wieder auf den Himmel. „Ja.“ Sagte ich nur. „Darf ich?“ fragte er und ich sah, wie seine Hand auf eine freie Stelle neben mir deutete. Sollte ich nicken, auf die Gefahr hin dass er meine gute Laune verdarb? Ich nickte. Er ließ sich neben mir nieder, legte sich hin und starrte auch in den Himmel. „Das ist einer der Gründe, warum mein Haus hier in Island ist. Man kann fast jede Nacht die Sterne sehen.“ Flüsterte er. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte und blieb still. Eine ganze Weile blieben wir so liegen und ich rang mit mir, ob ich ihn jetzt auf das Zimmer, den Schrank und alles andere ansprechen sollte. Schließlich gewann meine Neugier. „Camden?“ fing ich an. „Hmm?“ Ich holte tief Luft. Warum forderte eine einzelne Frage so viel Mut? „Warum hast du mich ganz hierher gebracht?“ – er wollte mich unterbrechen – „Warte. Ich bin noch nicht fertig. Warum hast du mir dein Zimmer gegeben und warum hast du mir einen ganzen Kleiderschrank mit Klamotten gefüllt, wenn ich doch so oder so nicht lange bleibe? Warum hast du mir das Essen warm gemacht, wenn ich oder dein Personal das auch hätten tun können? Warum hast du immer solche verdammten Stimmungsschwankungen, sodass ich fast denke, du seist schizophren? Was ist los mit dir? Wir kennen und erst drei Tage – zwei in Sibirien und den einen hier -, von denen ich einen mit meinen Freunden in der Stadt war und einen verschlafen habe. Außerdem liegen auch noch zwei Jahre dazwischen. Wir kennen uns doch gar nicht.“ Ich holte kurz Luft. „Und ich wollte dich keineswegs beleidigen, als ich sagte wir sind keine Freunde. Ich habe lediglich Tatsachen festgestellt. Du hättest mich nach Sibirien zu Fi schicken können, da wäre ich genauso sicher gewesen wie hier. Also warum das alles? Wir sind praktisch Fremde.“ Ich hatte die ganze Zeit in den Himmel geschaut, doch beim letzten Satz drehte ich meinen Kopf zu ihm. Er stand jetzt nicht mehr vor dem Mond und ich konnte sein Gesicht erkennen. Er sah nach wie vor in den Himmel und sein Gesicht war regungslos. Was dachte er jetzt? Dann drehte er denn Kopf zu mir. „Du hast Recht. Mit fast allem. Du bist in meinem Zimmer, ich habe den Schrank mit Klamotten vollgestopft, mit dem Wissen, dass du nicht lange hierbleiben wirst. Wir kennen uns erst drei Tage und bei Fi wärest du genauso sicher gewesen. Ich habe dir dein Essen warm gemacht, obwohl das Personal es wahrscheinlich noch besser hinbekommen hätte. Und Freunde sind wir auch nicht wirklich. Die einfachere Lösung wäre es gewesen, dich in einen Zug nach Sibirien zu setzen. Aber das wollte ich nicht. Seit ich von dir – der Vampirkillerin – erfahren habe, wollte ich wissen, wer du bist. Du hast allen Angst eingejagt, aber du warst doch nur ein Mensch! Wie klug, listig, gerissen, mutig und vor allem lebensmüde musstest du sein, um so viele umbringen zu können! Ich war neugierig. Und ich wollte dich nicht tot auffinden. Aber das hatten wir ja alles schon. Aber als ich sah, wer du warst, konnte ich dich nicht einfach deinem Schicksal überlassen und zusehen wie du von einem Pulk Vampire ermordet wirst. Es war eine Kurzschlussreaktion, zu entscheiden, dass wir nach Island gehen. Ich wollte dir klarmachen, dass ich dich gerettet hatte, doch du knallst mir einfach an den Kopf, dass du mich immer noch umbringen wolltest. Wir waren vielleicht nie Freunde, aber ich habe dir nie einen Anlass gegeben, meinem Ableben herbeiführen zu wollen. Ich weiß, es ist grausam, was dir wiederfahren ist, aber es war schockierend für mich, dich so auf dem Klo zu sehen. Abgekämpft, müde, besiegt und trotzdem noch ein ‚Ich will dich umbringen‘ fauchend. Du hättest dein Leben gegeben, wenn du mir meines dafür hättest nehmen können.“ Er hatte nicht ganz Unrecht. Obwohl ich mir jetzt zu dem Punkt nicht mehr so sicher war, das musste ich mir eingestehen, wollte ich ihn auf dem Klo noch umbringen. Selbst als ich wusste, wer er war. Wenn ich die Chance gehabt hätte, hätte ich ihm mein Messer in die Brust gerammt, es herumgedreht und durch das Fenster in die Nacht verschwunden. „Ich weiß, es war nicht immer richtig, was ich die letzten Jahre getan habe. Vielleicht waren es nicht alle reißzähnige Mörder, aber immer wenn ich einem begegnete, dachte ich an meine Familie, wie sie kalt und tot auf dem Boden lagen. Dann ging alles ganz schnell und sie lagen genauso auf dem Boden. Sie haben mich alle irgendwie berührt. Mich gewürgt, an den Armen festgehalten oder verletzt. Immer wieder wurde ich in der Zeit zurückversetzt. Und immer wieder stand ich in dem Wohnzimmer, ihre anklagenden Augen auf mich gerichtet. Wäre ich doch nur früher dagewesen. Hätte ich doch nur einen Zug früher genommen oder wäre gleich zu ihnen gefahren. Vielleicht hätte ich es verhindern können. Sie hätten nicht sterben müssen. Sie würden leben und bei mir sein. Sie hätten mich nicht alleine gelassen.“ Flüsterte ich und sah ihn an. „In zwei Jahren habe ich viele Leute getötet, doch meine Familie sind die einzigen, für die ich mich schuldig fühle. Seit Jahren quält mich der Gedanke, dass ich es war, der es hätte verhindern können. Ich bin Schuld an ihrem Tod. Egal wie viele Vampire ich noch töte, es werden nie genug sein.“ Ich sah wieder in den Himmel und schon wieder rann eine Träne über meine Wange. Ich hatte in den letzten Jahren keine einzige Träne vergossen und kaum treffe ich ihn wieder, weine ich zweimal in zwei Tagen. Da stimmt doch etwas nicht mit mir. Camden stützte sich auf seine Hand und richtete sich auf. Schließlich sah er auf mich hinunter und ich wischte mir verstohlen die verräterische Träne aus dem Gesicht. Als ich sicher war, dass keine weiteren folgten, sah ich ihn endlich an. Er hatte still gewartet und mich die ganze Zeit angeschaut. „Du glaubst es ist deine Schuld?“ Seine Stimme schwankte zwischen Unglauben und Wut. Ich wusste nicht, ob ich, wenn ich rede, wieder weinen müsste, also nickte ich einfach nur. Er kniete sich hin und rüttelte mich an den Schultern. „Das kann doch nicht dein Ernst sein! Dich trifft keine Schuld. Nicht die geringste. Du warst nicht da, als es passierte, ja. Und das ist auch gut so! Du wärst auch mit draufgegangen oder glaubst du sie hätten bei dir eine Ausnahme gemacht?! Du hättest neben ihn gelegen, tot, kalt und ausgeblutet. Willst du das? Du hast damals nichts falsch gemacht. Und rede dir so etwas nie wieder ein!“ Er klang fast panisch. Er konnte doch nicht wissen, dass ich die letzten Jahre immer mit dem Hintergedanken gelebt hatte, am nächsten Tag sterben zu müssen. Es hätte jeder Tag sein können. Doch ich bin immer wieder losgezogen und habe den Tod gesucht. Es war mir egal gewesen. Er machte sich Sorgen um mich?! Ich schnaubte und wollte aufstehen. Ich konnte jetzt niemandem brauchen, der mir sagte, dass ich keine Schuld hatte und all diesen emotionalen Quatsch. Am Ende würde ich doch nur wieder heulen. Doch er hielt mich fest und sorgte dafür, dass ich sitzen bleiben musste. Ich warf einen langsamen Blick auf seine Hand, die auf meiner Schulter lag. Dann sah ich ihm wieder in die Augen und er nahm sie schnell wieder weg. „Tschuldigung.“ Ihm musste wohl wieder eingefallen sein, was ich Berührungen von Vampiren bezüglich gesagt hatte. „Weißt du, jedes Mal wenn ein Vampir mich berührte wurde ich so wütend über die Ungerechtigkeit der Morde an meiner Familie, die er dann auch zu spüren bekam. Als du mich jedoch gestern Abend in dem Bad festgehalten hast... “ er unterbrach mich. „Es tut mir leid. Hätte ich gewusst, was ich dir damit angetan habe, hätte ich das nie gemacht.“ Ich lächelte leicht. „Du hast mich schon wieder nicht ausreden lassen. Als du mich festgehalten hattest, habe ich auf die Bilder, die Wut gewartet. Aber sie kamen nicht. Stattdessen musste ich an jenen Tag im Schnee denken. Wie ich in dem Schnee lag und die weiße, schwere Decke sich über mir geschlossen hatte. Als ich über sie gerannt bin, die Erste, die ihre Fußspuren in sie gebohrt hatte. Als ich so glücklich war. Es war das letzte Mal, dass ich glücklich und zufrieden gewesen war. Warum also habe ich daran gedacht? Das ergibt keinen Sinn.“ Nachdenklich starrte ich an den Horizont, wo die dunkle Wiese kaum merklich in den Himmel überging. Er sagte nichts und ich sah ihn an. Er lächelte. „Vielleicht ja schon.“ Murmelte er. Dann beugte er sich vor und brachte seine Lippen auf meine. Was...? Ich stieß ihn von mir weg und stand schnell auf. Nach einem kurzen Blick auf ihn rannte ich den Weg entlang. Hoffentlich die richtige Richtung zurück zum Haus. Ich musste von ihm weg. Warum hatte er mich geküsst? Was hatte er sich dabei gedacht? Verzweifelt stolperte ich über einen Stein, fing mich jedoch wieder und rannte weiter. Hauptsache, ich war gleich endlich wieder da und konnte mich irgendwo einschließen und darüber nachdenken, warum zur Hölle ich mich umdrehen wollte, zu ihm gehen wollte und ihn zurück küssen wollte. Warum ich ihn umarmen wollte und mich Trost suchend an ihn drängen wollte. Warum ich ihm alles erzählt hatte, was ich selbst mir nie richtig eingestanden hatte. Oder nicht eingestehen wollte und verdrängt hatte. Es waren doch nur diese verdammten drei Tage gewesen! Ich rannte gegen etwas und taumelte zurück. Ein Baum? Doch ein Baum konnte meine Arme nicht festhalten und dafür sorgen, dass ich nicht weiter weglaufen konnte. Wie ich es die letzten zwei Jahre getan hatte. Ich traute mich nicht, ihm ins Gesicht zu gucken. „Lass mich los.“ Sagte ich. Er ließ mich nicht los, aber sein Griff lockerte sich ein bisschen. „Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht... überfallen, geradeben. Und du rennst in die falsche Richtung.“ Er ließ mich mit einer Hand los und deutete hinter mich. „Da geht es lang. Komm.“ Sagte er und ging an mir vorbei. Ich folgte ihm den Weg entlang und fühlte mich ein wenig befangen. Wir gingen den Weg schweigsam und still zurück in Richtung Haus. Ohne ihn wäre ich stundenlang durch die Dunkelheit geirrt, bis ich gemerkt hätte, dass es die falsche Richtung war. Warum war er jetzt so nett zu mir? Das konnte er nicht machen! Erst ruinierte er mein Bild über Vampire und dann auch noch mein Bild, was ich von ihm hatte. Das war nicht fair. Ich blieb stehen. Er ging noch ein paar Schritte weiter, bis er merkte, dass ich zurückgeblieben war. Er blieb auch stehen und drehte sich zu mir herum. Ich sah ihn an und mir wurde etwas klar. Er war anders als die anderen Vampire. Er war mein Freund. Er sah mich unschlüssig an, dann verzog sich sein Mund wieder zu einem schmalen Strich, dem es dieses Mal jedoch an Bitterkeit fehlte. Er drehte sich vollends zu mir um und kam auf mich zu. Mit drei langen Schritten war er bei mir, legte mir eine Hand in den Nacken, hielt meinen Kopf fest und drückte mir seine Lippen wieder auf meine. Diesmal wich ich nicht zurück, sondern schlang ihm meine Arme um den Hals. Ich küsste ihn zurück und drängte mich an ihn. Die Hand in meinem Nacken glitt in meine Haare und die andere legte sich warm auf meine Hüfte und zog mich enger an ihn. Gedanken wie: ‚Was mache ich hier nur?‘ und ‚Bin ich verrückt?!‘ schob ich beiseite. Es interessierte mich nicht, was ich später denken würde. Das einzige was mich jetzt interessierte, war sein Mund und seine Hände auf mir und wie gut sie sich anfühlten. Ich vergaß die tollen Sterne, die kalte Nachtluft, die wunderbare Landschaft und dachte an rein gar nichts mehr. Ich ließ mich mit dem tollen Gefühl davontreiben das der Kuss verursachte. Ich würde gerne sagen, dass ich so etwas lange nicht mehr gefühlt hatte, aber in Wahrheit hatte ich so was noch nie gefühlt. Natürlich hatte ich schon andere geküsst, aber dieses Feuerwerk der Gefühle, was ich jetzt verspürte, warf mich fast um. Er löste sich langsam von mir, aber seine Hände blieben wo sie waren. Er sah auf mich hinunter und lächelte leicht. Als er seinen Mund von meinem genommen hatte, starrte ich ihn an. Mein Verstand war wieder da und glasklar. Ich hatte einen Vampir geküsst. Einen Mörder. Einer von denen, die meine Eltern und meinen Bruder umgebracht hatten. Ich berührte mit meinen Fingern meine Lippen. Götter. Ich habe wirklich einen Vampir geküsst! Mit demselben Mund hatte er schon Leute ausgesaugt und umgebracht. Ich keuchte. Nein. Nein! Ich konnte hinter ihm die Lichter des Hauses sehen. Ohne ein weiteres Wort lief ich an ihm vorbei und rannte auf das Haus zu, als wäre der Leibhaftige hinter mir her. Im Haus angekommen sah ich die zwei Treppen, die absolut identisch aussahen. Die alte Frau von vorhin kam aus einer Tür. Erleichtert ging ich auf sie zu. „Können sie mir sagen, wie ich zu meinem Zimmer komme?“ fragte ich sie gehetzt, doch sie sah mich nur verständnislos an. Ach ja. „Können sie mir sagen, wo sein Zimmer ist?“ versuchte ich es nochmal. Sie nickte freundlich. „Die Treppe hoch, dritte Tür rechts.“ Sagte sie. Ich nickte ihr dankend zu und lief schnell die gezeigte Treppe rauf und in das dritte Zimmer rechts. Sie hatte Recht und hastig warf ich die Tür hinter mir zu. Nervös sah ich zum Schlüsselloch. In Sibirien gab es keine Schlüssel, aber hier steckte einer in der Tür. Ich drehte ihn herum, prüfte, ob wirklich verschlossen war und stopfte ihn unter das Kissen. Dort würde er hoffentlich sicher sein. Hoffentlich würde ich hier sicher sein. Der Kamin war aus und ich machte ihn auch nicht an. Von dem schnellen Lauf war mir warm. Der Raum war dunkel und wurde nur von dem bisschen Mondlicht erhellt. Ich ging geradewegs zu dem Kleiderschrank und zog etwas heraus, was wie ein Top und eine kurze Hose aussah. Mir fiel auf, dass ich seit zwei Tagen nicht mehr geduscht hatte und das die Verlockung nach dieser großen Dusche im Bad ziemlich groß war. Ich legte die Sachen ins Bad auf eine Ablage und ging dann zurück in den Hauptraum. Um sicherzugehen, dass Camden nicht durch die verschlossene Tür kommen konnte, schob ich noch einen Stuhl unter die Klinke und schaffte es nach einiger Zeit, den schlichten Sofatisch, der trügerisch schwer war, vor die Tür zu schieben. Wenn er wirklich herein wollte, würde ihn das nicht abhalten, aber ich würde es hören. Zumindest das. Im Bad schloss ich auch nochmal ab und schob einen Hocker vor die Tür. Manche würden mich für paranoid halten, aber das war mir egal. Die warme Dusche lenkte mich kurz ab und ich kostete jeden Moment davon aus. Doch auch diese schöne Zeit muss vergehen und ich zog mich schnell um. Bevor ich die Tür öffnete, machte ich mich auf alles gefasst. Camden, wie er mich wegschickt. Camden mit gebleckten Zähnen und sich auf mich zu stürzend. Oder noch schlimmer: Camden, der mich festhielt und mich wieder so küsste. Ich beruhigte meinen Herzschlag, schob den Hocker zurück an seinen Platz und schloss auf. Dann öffnete ich die Tür und schaute mich in dem Zimmer um. Trotz der Dunkelheit und der vielen Schatten wusste ich, dass ich alleine war. Erleichtert aufatmend schaltete ich das Licht im Bad aus und huschte zu dem riesigen Bett. Ich schlüpfte unter sie Decke und kuschelte mich in die Kissen. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Ich starrte nach draußen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht ihm alles zu erzählen? Ihm meine geheimsten Gedanken und Gefühle mitzuteilen? Es war klar, dass er dachte ich sei eine arme, schwache Frau. Götter, was hatte ich nur getan? Zwei Jahre. Zwei lange Jahre habe ich mich versteckt und niemals jemanden näher an mich heranzulassen als die Vampire, die teilweise an mich gelehnt zusammengesunken waren. Ich fuhr zusammen, als leise an die Tür geklopft wurde. Ich zog die Decke enger um mich und drehte mich der Gefahr entgegen. Es würde mir nichts bringen ihr den Rücken zu kehren. Sie würde mich so oder so einholen. Ansonsten blieb ich still. Er sollte denken, dass ich schlafe. Seine Stimme ertönte leise von der Tür. „Xan? Xan, antworte mir.“ Ich zwang mich ruhig zu bleiben. „Bitte.“ Klang er etwa verzweifelt? „Xan, bitte. Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen. Bitte, mach die Tür auf. Ich werde dich auch nicht wieder anfassen. Versprochen.“ Wie Sirenengesang drang seine wundervolle Stimme durch die Tür. Ich wollte aufstehen, die Tür aufmachen, mich in seine Arme werfen und weinen. Aber das durfte ich nicht. Ich hatte schon genug zu bereuen. Ich hörte ihn leise mit jemandem sprechen, dann war seine Stimme wieder ganz nah. „Bitte, Xan. Mach die Tür auf. Oder rede einfach mit mir. Sag irgendwas.“ Ich holte tief Luft und musste mich immer noch dazu zwingen, ihm nicht zu antworten. „Xanna...“ murmelte er. Er seufzte. Doch ich blieb stark und sagte nichts. Nach ein paar weiteren Minuten ertönten leise Geräusche und dann war es wieder still. Er war gegangen. Natürlich. Wenn ich nicht antwortete oder auf ihn eingehe, wurde ich uninteressant. Und abgeschoben. Ich drehte mich auf die Seite, drückte mein Gesicht in das Kissen und weinte stumm hinein. Aus Frust und aus Wut, weil ich weinte. Ich weinte wegen einem Vampir! Das war doch nicht zu fassen! Frustriert schloss ich die Augen und zwang mich zu schlafen.

                Am nächsten Morgen war es hell und die Sonne war gerade aufgegangen. Nebenschwaden lagen dicht und weiß auf den Wiesen. Mühsam rappelte ich mich auf und trollte mich ins Bad zum Zähne putzen. Wäre es nach mir gegangen, wäre ich nie wieder aufgestanden und hätte mir die Decke über den Kopf gezogen. Aber ich konnte jetzt keine Schwäche zeigen. Nicht vor ihm. Ich zog mir etwas aus dem Schrank, was hoffentlich zusammenpasste und zog es an. Ich machte grob das Bett und öffnete ein Fenster, um die frische Morgenluft hereinzulassen und räumte den Tisch und den Sessel zurück an ihren Platz. Vor der Tür holte ich tief Luft, sammelte all meine verblieben Kräfte und Selbstachtung und bereitete mich auf eine kniffelige Konfrontation mit Camden vor. Ich würde vor ihm keine Schwäche zeigen. Ich würde es irgendwie schaffen, den unausweichlichen Aufenthalt hier auszuhalten, ohne mich von ihm psychisch fertig machen zu lassen. Ich drückte die Klinke herunter und schritt auf den Flur. Dann schloss ich sie hinter mir und wollte mich auf den Weg zur Küche machen. Den Weg kannte ich zum Glück gerade noch. Beinahe wäre ich über ein Paar Beine gestolpert, die weit in den Flur reinragten. Was zur Hölle…? Ich warf einen Blick auf die dazugehörige Person. Natürlich war er es. Mit vor der Brust verschränkten Armen saß er schlafend auf einem unbequem aussehenden Stuhl und streckte seine Beine bis in die Mitte des Flurs. Er hatte wirklich lange Beine. Ich kniff die Augen zusammen. Hatte er etwa hier im Flur übernachtet? Wegen mir? Er hatte auf diesem unbequemen Holzstuhl die Nacht verbracht, in der Hoffnung, dass ich herauskommen oder ihm antworten würde? Oder weil er sichergehen wollte, dass ich nicht abhaute? Aber trotzdem hatte er wegen mir auf sein Bett verzichtet – in dem ich geschlafen hatte – und mitten im Flur übernachtet. Vor Rührung schnürte es mir die Kehle zu. Er war doch wirklich unglaublich! Wie sollte ich denn jetzt reagieren? Wieso löste er immer wieder solch ein Gefühlschaos mit seinen verfluchten Stimmungsschwankungen aus? Allerdings konnte er nicht einfach hier im Flur liegen bleiben und ich wollte es ihm heimzahlen, dass er mir nicht mehr aus den Gedanken ging. In den letzten zwei Jahren hatte ich kein einziges Mal so viele Gedanken an eine lebende Person verschwendet, wie für ihn. Ich trat neben den Stuhl, auf dem er immer noch friedlich schlummernd saß. Eine Weile sah ich ihn an und betrachtete ihn. Sein Kopf war nach vorne gesunken, ruhte mit dem Kinn auf seiner Brust und seine Arme hatte er vor ihr verschränkt. Seine Beine hatte er achtlos mitten in den Weg gelegt. Sein feines Gesicht war ruhig, nur die Augen zuckten leicht. Mein Blick fiel auf die Lippen, die ich gestern geküsst hatte. Um ehrlich zu sein, war es nicht schlecht gewesen. Überhaupt nicht. Aber er war ein Vampir und die waren doch alle gleich. Oder? Camden hatte bisher nicht den leisesten Versuch gemacht, mir mit seinen Reißzähnen zu Leibe rücken zu wollen. Er hatte mich hypnotisiert und entführt, aber er hatte mir nie etwas angetan. Und als ich nach dem ersten Kuss abgehauen bin hatte er sich entschuldigt. Und nach dem zweiten – an dem ich nicht ganz unschuldig war – auch. Er hatte sogar gesagt, dass er mich nie wieder anfassen würde. Ein kleiner Stich durchfuhr mich und ich ärgerte mich sofort darüber. Ich wollte ihn nicht küssen wollen. Ich würde bald zurück nach Hause gehen und mein Leben weiterführen. Ich würde ihn nie mehr wiedersehen und er würde sein Leben leben. Ohne mich. Um mich von diesen verräterischen Gedanken abzulenken – und den unguten Gefühlen, die sie in mir weckten –, tat ich das weshalb ich eigentlich neben ihn getreten war, bevor er mich mit seinem Aussehen abgelenkt hatte. Ich holte aus und trat mit einem Fuß gegen das Stuhlbein. Ich sah nicht viel, nur, dass er aufsprang, mich gegen die Wand drückte und dort mit einer Hand um meiner Kehle festhielt. Die andere hielt meine fest, sodass ich mich nicht wehren konnte. Vielleicht war es ein wenig leichtsinnig gewesen ein schlafendes Raubtier derart unsanft und überraschend zu wecken. Ich sah, wie sein Blick aufklarte und er mich verwirrt ansah. Dann nahm er schnell seine Hände von mir und trat einige Schritte zurück. „Entschuldige. Du hast mich erschreckt.“ Sagte er. Ich nickte, immerhin hatte ich ihn ja nicht gerade liebevoll geweckt. Ich deutete auf den Stuhl, der umgefallen war, als er aufgesprungen war. „Du hast hier geschlafen.“ Ich fragte nicht, ich stellte fest. Er nickte leicht. „Ich wollte sichergehen das es dir gut geht, nachdem du gestern nichts mehr gesagt hattest.“ Also war er besorgt um mich gewesen? Warum, verdammt?! Ich warf noch einen Blick auf den Stuhl, dann drehte ich mich um und machte mich auf den Weg zur Küche. Das war der einzige, den ich mir gemerkt hatte oder vielmehr merken konnte. Ich ging die die Treppe hinunter, durch den Saal in die Küche. Dort traf ich eine Frau, die mich mürrisch ansah. „Sie würde gerne frühstücken.“ Hörte ich eine Stimme hinter mir. Die Frau nickte und begann herumzuwirbeln. Ich setzte mich mit einem Seufzen an den Tisch. „Ich kann schon alleine reden.“ Sagte ich zu ihm, als er sich neben mich setzte. Ein paar Minuten später wurde ein lecker riechendes Frühstück vor mir hingestellt und die Frau verließ die Küche. Ich machte mich daran, alles zu verdrücken und ignorierte den Vampir, der mich beobachtete. Dann streckte er sich und ein leises  Knacken ertönte. Ich musste schmunzeln. „Das hat man davon, wenn man auf einem unbequemen Stuhl die Nacht verbringt.“ Rutschte es mir heraus. Er schnaubte, gab jedoch keine Antwort. Ich aß schnell weiter und versuchte wieder, den großen verwirrenden Mann neben mir zu verdrängen. Ich hatte gerade in die dritte Brötchenhälfte gebissen, als ein aufgeregter Mann in die Küche platzte. „Herr...“ fing er an, doch Camden war schon aufgesprungen. Er nickte schnell dem Mann zu und dieser huschte wieder davon. Dann drehte er sich mit einem ernsten Gesicht zu mir herum. „Xan, bleib hier sitzen. Ich meine es ernst, tu nur dieses eine Mal was ich dir sage.“ Dann verließ er die Küche. Was war denn jetzt los? Was war passiert? Und er glaubte doch nicht ehrlich, dass ich brav hier sitzen bleiben würde. So beschränkt war doch noch nicht mal er. Ich wischte mir eventuelle Krümel von Mund und Kinn und stand auf. Vorsichtig und leise ging ich durch die Küche, den Saal und blieb hinter der Tür stehen, um mich erst mal umzusehen und mir ein Bild von der Situation zu machen. Die Halle war jedoch leer und vollkommen still. Zu still. Ich ging zurück in die Küche und suchte die Schubladen nach dem ab, was ich brauchte. In einer riesigen Besteckschublade fand ich endlich, was ich suchte. Ich wählte ein ungefähr zwanzig Zentimeter langes Messer aus Silber und mit einer glatten, scharfen Schneide. Ich steckte es mir in den Stiefel, die ich heute Morgen nach dem Aufstehen übergestreift hatte. War eine gute Idee gewesen, dachte ich munter, aufgeregt auf das, was gleich passieren würde. Dann wählte ich noch ein kleines Gemüsemesser, was klein, spitz – ebenfalls aus Silber – und tückisch war und steckte es mir zwischen die Brüste wie letztes Mal. Es war einer meiner Lieblingsplätze für meine Waffen. Fast niemand ahnte, dass sich da etwas versteckte und wenn man sich erschrocken ans Herz fasste, konnte man es ganz leicht herausziehen und dem Vampir ins Herz rammen. Als drittes wählte ich ein Messer, was eine gezackte Schneide hatte und zu einer gefährlichen Spitze zusammenlief. Dieses behielt ich in der Hand. Mit einem sicheren Gefühl lief ich in die Halle und schaute mich um. Wo war er wohl hingegangen? Da sah ich draußen einen Schatten. Schnell lief ich zur Tür, öffnete sie leise und schlüpfte durch den minimalen Spalt ins Freie. Mehrere Vampire standen auf der Auffahrt und Camden ihnen gegenüber, mit dem Rücken zu mir. Er hatte doch nicht vor sich ihnen allein zu stellen. Es hatte doch keinen Sinn, sich als Helden aufzuspielen, wenn man dabei draufgeht. Immerhin waren es – ich zählte nach – ganze sechs feindliche Vampire, was ich an der angriffslustigen und provokanten Haltung erkannte. „… oder verschwindet.“ Hörte ich Camden gerade noch sagen. Die Vampire hatten mich noch nicht bemerkt und einer von ihnen lachte. „Wir werden erst verschwinden, wenn wir erledigt haben, weswegen wir gekommen sind. Und du kannst uns aus dem Weg gehen oder sterben. Wir werden keine Rücksicht nehmen.“ Ich stellte mich neben Camden und lächelte die sechs an. „Gut. Das werden wir nämlich auch nicht.“ Sagte ich zuckersüß. Camden knurrte unüberhörbar. „Ich hab gesagt du sollst drinnen bleiben. Hast mich nicht verstanden? Verschwinde!“ fauchte er. Beinahe hätte ich getan, was er gesagt hat, bei seinem feindseligen Ton. Aber ich hatte die letzten Jahre nicht überlebt, weil ich mich versteckt hatte. Ich hatte mich der Gefahr gestellt und sie überwunden. Wieder und wieder. „Oh… wieso sollte sie denn gehen? Sie ist es doch, die wir wollen. Weshalb wir hier sind. Wir wollen sie… tot.“ Fauchte einer der Vampire. Camden brachte sich mit einem Schritt zwischen uns. Doch sie wollten mich, nicht ihn. Also würden sie mich auch bekommen. Ohne auf den zähnefletschenden, furchteinflößenden Camden zu achten, schritt ich an ihm vorbei, duckte mich und grinste die sechs an. „Ihr wollt mich? Dann kommt mich holen...“ Murmelte ich. Die Hand mit dem Messer hatte ich die ganze Zeit hinter meinem Rücken versteckt. Ich zückte es und grinste noch breiter. „Na los, lasst uns spielen.“ Flüsterte ich. Zwei der Vampire rannten auf mich zu, doch ich zückte schnell meine Messer und bevor sie oder Camden irgendetwas tun konnten, hatte ich meine Arme ausgestreckt und sie mit dem Herz voran aufgespießt. Mit einem Ruck zog ich ihnen die Messer aus dem Leib und sie fielen zu Boden, wie ein Sack voll Mehl. Dann lächelte ich die anderen an. „Ach komm schon, ihr habt doch mehr drauf.“ Wenn das alles war, würde das hier langweilig werden. Einer der Vampire kam langsam auf mich zu. Zwei andere schlichen sich nun von der Seite auf mich zu und der Letzte blieb stehen. Vielleicht würde es ja jetzt ein wenig spannender werden. Der Vampir vor mir schoss los und die beiden anderen stürzten sich von links und rechts her auf mich. Ich machte einen Ausfall schritt nach rechts und durchstach ihm die Brust. Dann duckte ich mich und rollte weiter nach rechts. Dem Vampir, der von vorne kam, zerschnitt ich die Achillesferse und dem linken stach ich in die Waden. Beide keuchten, doch ich hatte leider keine Zeit, mich auf dem kleinen Triumph auszuruhen. Dafür heilten ihr Wunden zu schnell. Die Achillesfersen würden länger brauchen, also kümmerte ich mich zuerst um den von links. Er humpelte tapfer auf mich zu, als ich aufstand. Es war gar nicht so schwer. Er kam auf mich zu, doch machte nicht den Fehler, mich wieder frontal anzugreifen. Stattdessen versuchte er, mich zu täuschen und von der Seite anzugreifen. Also täuschte ich auch an und rammte ihm mit links das Messer in die Brust. Tja, Vollidiot. Aber das war wirklich verdächtig einfach. Der mit den fast verheilten Achillesfersen, starrte fassungslos auf sich und seine vier Kumpel. Sein Fehler. Ich stieß ihm das Messer durch das Herz, drehte es herum und ließ ihn fallen. Mit einem Kick brachte ich ihn aus meiner Reichweite, damit er mir meine heißgeliebte Stiefel nicht versaute. Aber wo war denn der Sechste? Er stand nicht mehr da, wo er vorher gestanden hatte, nämlich vor mir und gut sichtbar. Ich drehte mich herum und sah gerade noch, wie Reißzähne, schnell und gefährlich, sich auf mich senkten. Ich hatte keine Zeit mehr, ein Messer hochzureißen, es würde mir nichts bringen, außer dass er noch wütender wäre. Verdammte Scheiße! Doch da wurde sein Blick ausdruckslos und er sackte zusammen. Camden erschien hinter ihm, mit einem blutigen Messer in der Hand. Und einem äußerst wütendem Gesicht. Das sah gar nicht gut für mich aus und um ehrlich zu sein, machte mir dieser Gesichtsausdruck mehr Angst als es die sechs Vampire gemacht hatten, die jetzt zu meinen Füßen lagen. Doch ich ließ mir nichts anmerken und ging zurück ins Haus, um die blutigen Messer und Klamotten loszuwerden. Ich schaffte es, ohne das er mich aufhielt, in die Küche wegen der Messer und in mein Zimmer wegen der Klamotten. Vorsichtshalber schloss ich beide Türen ab – Flur- und Badtür – und duschte schnell. Dann nahm ich mir frische Sachen aus dem Schrank. Gerade, als ich mich umgezogen hatte klopfte es an der Tür. Natürlich. „Xan, öffne die Tür. Oder ich breche sie auf.“ Ich hatte keine Wahl, ich würde mich ihm so oder so stellen müssen. Seufzend ging ich zur Tür und schloss auf. Dann ging ich zu dem Bett und setzte mich darauf. Camden stand direkt vor mir und ich musste mich ein wenig zurückneigen, damit ich ihn ansehen konnte. Doch er legte mir seine Hände an die Schultern, zog mich hoch und drückte mich unsanft gegen einen der Bettpfosten. „Hast du denn Verstand verloren?“ brüllte er. „Ich habe gesagt, du bleibst im Haus! Verdammt nochmal, du hättest draufgehen können!“ Ich kniff die Augen zusammen und bemühte mich, mir meinen Schrecken, den ich bei seinem Wutanfall bekam, zu verstecken. „Glaubst ehrlich, dass ich tue was du sagst? Außerdem wollten sie zu mir. Und ich wäre mit ihnen fertig geworden.“ Erwiderte ich trotzig. Er schnaubte. „Hab ich gesehen. Wäre ich nicht gewesen, würdest du jetzt blutleer und blass im Innenhof liegen!“ Er schüttelte mich. „Das waren sechs Vampire!“ „Ne, echt?! Ich hatte gedacht es war nur einer. Idiot.“ murmelte ich sarkastisch und versuchte mich von ihm zu lösen. „Warum kannst du nicht einmal tun, was ich dir sage?! Es ist mein Haus, ich treffe die Entscheidungen. Und du hast dich gefälligst daran zu halten!“ Ich stieß ihm mit meinen Fäusten gegen die Brust. „Den Teufel werde ich. Und falls du es vergessen hast – ich bin nicht freiwillig hier und wenn du damit ein Problem hast, kann ich ja gehen. Du hast kein Recht dazu mich derart herumzukommandieren.“ Fauchte ich, duckte mich unter seinem ausgestreckten Arm hindurch und ging ein paar Schritte in den Raum hinein. „Ich habe zurzeit die Verantwortung über dich, also hast du an meine Anweisungen zu halten!“ Ich lachte kalt auf. „Weißt du was, du hast Recht.“ Ich ging ins Bad und holte meine dort abgestellten Stiefel. Dann kehrte ich in den Raum zurück. Ich hatte nichts anderes bei meiner Ankunft hier dabei gehabt. Danach stellte ich mich an die Tür – eine Hand an der Klinke. Er stand nach wie vor am Bett.  „Du hast wirklich Recht. Wenn ich hier bin, hast du mir tatsächlich etwas zu sagen. Es ist immerhin dein Haus. Und deshalb...“ ich drückte die Klinke hinunter und öffnete die Tür „…werde ich jetzt gehen. Ich habe keine Lust mehr den ganzen Scheiß.“ Und damit lief ich auf den Flur und auf die Treppe zu. Im Gehen streifte ich mir die Stiefel über. Was glaubte dieser aufgeblasene Macho eigentlich, wer er war? Niemand hatte das Recht mich herumzuscheuchen wie ein Huhn und schon gar nicht ein Vampir wie er! Jetzt musste ich nur noch wissen, wie ich von dieser beschissenen Insel runterkomme. Und den richtigen Ausgang finde. Das Haus war echt zu groß für mich. Ich seufzte erleichtert, als eine Treppe in Sicht kam. Ich wollte gerade die erste Stufe hinunter hasten, allerdings konnte ich noch nicht mal meinen Fuß auf die Stufe setzen, denn natürlich wurde ich zurückgezogen, hochgehoben und zurück in das Zimmer gezerrt. Wie damals im Schnee brachte mir mein Treten, Schlagen und Zappeln rein gar nichts. Im Raum wieder angekommen, stieß er mich von sich, sodass ich stolperte und fast fiel. „Du wirst nirgendwo hingehen.“ Er stellte sich drohend vor mich. Langsam hatte ich echt die Schnauze voll. „Welchen Teil von ‚Du hast mir gar nichts zu sagen‘ hast du nicht verstanden? Ich werde mir nichts von dir sagen lassen, geschweige denn mich gegen meinen Willen hier festhalten lassen.“ Er kam auf mich zu und ich wich widerwillig zurück, bis ich gegen die Wand stieß. Er griff meine Arme und drückte mich gegen die Wand. „Ich will dich nicht herumkommandieren. Ich will, dass es dir gut geht. Verstehst du das denn nicht? Du wärst da draußen fast umgebracht worden. Wie hätte ich das Fi oder Angel erklären sollen?“ Hey, das war mies. Ein Schlag unter die Gürtellinie und das wusste er auch. Jedoch, selbst wenn ich gestorben wäre, was wäre daran so schlimm? Die beiden sind die letzten Jahre auch ohne mich ausgekommen und niemand hat mich vermisst. Ich hatte keine Freunde, Familie oder sonst irgendwelche Leute, die mir so nahe standen, dass sie etwas bemerkt hätten, wenn ich nicht mehr da wäre. Es war immer besser so gewesen und klar, ich habe manchmal etwas vermisst, aber schlussendlich wusste ich selber, dass ich Leuten die mir standen, nur verletzt hätte. Ich hatte niemanden in den letzten zwei Jahren außer mich selbst und würde in den nächsten Jahren ebenfalls niemanden haben. Nur mich „Ich habe nichts zu verlieren.“ Murmelte ich eher zu mir, als das ich mir bewusst war, dass er zuhörte. Er beugte sich zu mir herunter und sah mir in die Augen. „Sag so etwas nie wieder.“ Ich schnaubte und drehte den Kopf in Richtung Fenster um ihn nicht ansehen zu müssen. „Es ist aber die Wahrheit.“ Ich konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie Camden die Augen zusammenkniff. „Ach ja, wirklich?! Fi und Angel versuchen seit geschlagenen zwei Jahren, seit deiner Abreise aus Sibirien, dich zu erreichen. Selbst Cannes und mein dämlicher Bruder machen sich Sorgen um dich. Und du hast mir immerhin so viel bedeutet, dass ich dich vor sechs Vampiren gerettet habe, dich in mein Haus gebracht habe und dir mein Zimmer überlassen habe.“ Seine Stimme senkte sich und er redete unmöglicher Weise noch eindringlicher auf mich ein. „Und außerdem habe ich die letzte Nacht auf einem äußert unbequemen Stuhl vor deiner Tür verbracht, nur um sicherzugehen, dass es dir gut geht. Du hast viele Freunde, die sich um dich sorgen. Warum siehst du das nicht ein?“ murmelte er. Ich wollte ihm so gerne glauben. Aber was war, wenn ich wieder zu Hause war? Alleine? Dann war da kein Camden mehr, der mir sagte, dass alles gut war und der auf mich aufpassen würde. Nein, ich würde wieder auf mich gestellt sein. Ich löste mich von seinem Griff, der sanfter geworden war und ging ein paar Schritte von ihm weg. „Weil es nichts bringt.“ Ich atmete tief ein und sah in sein verwirrtes Gesicht. „Wenn ich wieder zu Hause bin, bin ich wieder die Alte. Ich werde wieder auf Vampirjagd gehen und genauso alleine sein wie vorher. Du wirst nicht da sein, um mir zu sagen, dass alles gut wird und Fi und Angel will ich auch nicht bei mir haben, denn ich habe mir geschworen, jeden Vampir umzubringen, bei dem ich die Möglichkeit habe. Und sie waren meine Freunde. Meine besten Freunde, und ich könnte nicht damit leben, dass ich nicht nur meine Familie, sondern auch meine Freunde umgebracht habe.“ Er war schneller bei mir, als ich gucken konnte und schüttelte mich. „Du hast deine Familie nicht umgebracht. Und außerdem hast du nicht jeden Vampir umgebracht… ich finde ich sehe noch ziemlich lebendig aus – zumindest für einen Vampir. Kannst du da denn nicht bei ihnen auch eine Ausnahme machen? Und für das Problem mit der Einsamkeit, wenn du wieder zurückkehrst, kenne ich auch eine Lösung. Bleib hier!“ Er grinste. Unwillkürlich musste ich auch lächeln. Es war nur ein kleines und verschwand schnell wieder. Verstand er denn nicht, dass ich Vampir nicht zum Spaß jagte, sondern um Wiedergutmachung zu leisten? Er konnte mir noch so oft einreden, dass ich nicht schuld bin. Eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf würde mir immer sagen, dass ich es war, die sie auf dem Gewissen hatte. Wie gerne würde ich glauben können, dass ich es nicht war. Dass ich nicht mehr jede Nacht rausgehen muss, um zu dem Monster zu gehen, vor dem sich alle anderen versteckten. Aber das war alles nicht so einfach. Ich lachte kurz auf. Nichts war einfach. „Und?“ fragte Camden. Ich zwang mir wieder ein Lächeln auf das Gesicht und hob meinen Blick auf ihn. „Camden, ich respektiere deinen unerschütterlichen Optimismus, aber das ist alles nicht so einfach.“ „Dann erkläre es mir!“ forderte er. Ich seufzte. Na gut. „Falls du es schon wieder vergessen haben solltest, ich wollte dich umbringen, auch nachdem ich wusste, dass du es bist. Ich kann dich zwar beruhigen, dass ich diesen Drang nicht mehr verspüre, aber nicht versprechen, dass er nicht zurückkommt. Zwei Jahre lang habe ich Jagd auf euch gemacht. Jeden kaltgemacht, der mir über den Weg lief. Ohne die geringste Ausnahme oder Gnade. Ob derjenige vielleicht ein ganz lieber und gutmütiger Vampir war, interessierte mich nicht. Ich wusste, wenn ich Fi oder Angel über den Weg laufen würde, wären sie oder ich unter meinem Messer gelandet. Ich habe mich von der Wut leiten lassen und diese kannte keine Freunde. Und solange noch irgendeiner draußen frei herumläuft, würde ich mich nicht einsam fühlen.“ Meine Stimme senkte sich. „Doch hier, wo ich keinen Vampir umbringen kann, bis auf die Idioten von vorhin, beginne ich zu bemerken, wie einsam ich mich eigentlich fühle. Und ich habe Angst davor. Deswegen kann ich nicht hierbleiben. Ich muss zurück in mein altes Leben.“ Selbst ich konnte das Flehen aus meiner Stimme hören. „Aber wenn du nicht mehr wütend bist, musst du nicht mehr töten. Wenn du nicht mehr töten musst, verspürst du nicht mehr einen allzu großen Hass auf Vampire. Und wenn du den nicht mehr verspürst, fühlst du dich nicht mehr einsam und kannst tun und lassen, was du willst.“ Schon wieder dieser unglaubliche Optimismus. „Da hast du Recht. Aber dafür muss ich aufhören wütend zu sein. Und das kann ich nicht. Ich bin nicht mehr wütend auf euch Vampire, sondern nur auf mich, weil ich es bin, die damals etwas hätte ändern können.“ Er wollte etwas sagen, doch ich unterbrach ihn. „Da werden auch noch so viele gute Worte nichts bringen, Camden. Seit damals ist meine Wut glücklicher Weise geschrumpft. Nur die Zeit scheint mir zu helfen und davon brauche ich verdammt viel. Wenn ich Fi und Angel jedoch auch noch auf dem Gewissen habe, würde wieder alles in sich zusammenstürzen und ich weiß nicht, ob ich es ein zweites Mal daraus schaffen würde.“ Er griff meine Hände und hielt sie fest. Ich versuchte sie ihm zu entziehen, weil es mir doch ein wenig unangenehm war. „Zeit kannst du haben. So viel du willst. Solange du hierbleibst.“ Sagte er fröhlich. Dann beugte er sich vor und küsste mich auf die Wange. Dann ließ er mich schnell los und verschwand durch die Tür, welche ich fassungslos anstarrte. Was sollte das denn schon wieder? Hatte er mir nicht zugehört? Ich wollte wieder zurück! Oder vielmehr weg von hier! Ich wollte ihn nicht immer in meiner Nähe wissen und das meine Gedanken ständig um ihn kreisten. Irgendwie musste ich doch von hier wegkommen. Zuhause würde er mich sofort wieder einfangen und hierherschleppen. Aber es gab ja noch einen anderen sicheren Ort. Ich würde nur über meinen Schatten springen und mein gesamtes Weltbild der letzten zwei Jahre über den Haufen werfen müssen. Ich müsste Fi anrufen und fragen, ob ich für eine Weile untertauchen könnte. Bei ihr. Auch wenn es gegen meinen streng eingehaltenen Vorsatz stand, aber ich musste eine Entscheidung treffen. Fi oder Camden. Sie würde wütend auf mich sein und ich war ja noch nicht mal sicher, ob sie überhaupt noch etwas von mir wissen wollte. Andererseits ging mir Camden immer mehr auf die Nerven. In den seltenen Minuten, die er mir nicht im Kopf umherkreiste, war er anwesend und brachte mich vollkommen durcheinander. Und eigentlich stand meine Entscheidung ja schon fest. Fi kannte ich länger und ich würde mich halt zusammenreißen müssen, damit ich ihr nicht mein Messer in die Brust rammte. Aber Camden durfte davon nichts mitbekommen, denn dann wäre ja alles umsonst gewesen und ich würde immer noch hier festsitzen. Vielleicht nachts, wenn er schlief. Aber wie sollte ich mir dessen sicher sein? Ich konnte ja nicht davon ausgehen, dass er ab sofort jede Nacht vor meiner Zimmertür kampierte. Und wenn Fi nicht mehr dieselbe Nummer wie damals hatte, hätte ich noch ein Problem. Aber erst Mal ein Problem nach den anderen. Ich musste wissen, wo sein Zimmer ist. Aber wie stellte ich das an, ohne dass er Verdacht schöpfte? Ich würde mir halt bis dahin irgendeine Frage einfallen lassen. Hauptsache ich würde nachher den Weg wiederfinden, damit ich sichergehen konnte, dass er schläft. Wenn ich etwas machte, dann richtig und nicht ohne mich nach allen Seiten hin abzusichern. Es musste ja nur ein kleines Detail schieflaufen und schon wäre der ganze Fluchtplan hinfällig. Ich ging nach unten, in der Hoffnung einen der Angestellten zu finden, anstatt hoffnungslos durch die Gänge zu irren. Und tatsächlich wurde ich in der Küche fündig. Ein paar von ihnen saßen an dem Tisch, unter ihnen auch die freundliche, ältere Dame. Sie wollten gerade alle aufspringen und durch die Küche eilen. „Bleibt doch bitte sitzen. Ich wollte nur wissen, in welchem Zimmer der Herr...“ ich verkniff mir ein Lachen, Camden würde nie mein Herr sein. „...des Hauses schläft.“ Sie lächelten mich an und ließen sich wieder auf die Stühle zurück sinken. Die nette Dame antwortete mir. „Wenn du die Treppe wiederhochgehst, den gesamten Flur entlang. Dann biegst du nach rechts ab und dann die vierte Tür.“ Ich bedankte mich höflich und verließ die Küche wieder. Ich musste doch jetzt rein theoretisch nicht bis ganz zu seinem Zimmer laufen, oder? Das würde ich erst heute Abend machen. Dann würde es auch nicht so auffällig sein. Denn wenn ich zweimal vor seiner Tür auftauchte, würde das bestimmt ganz falsch rüberkommen und das konnte selbst ich nicht abstreiten. Also ging ich wieder zurück in mein Zimmer und setzte mich auf die Bettkante. Ein Blick auf die teuer aussehende Uhr, die über der Tür hing, zeigte mir, dass es mittlerweile fünf Uhr abends war. Vielleicht konnte ich, wenn ich mich jetzt hinlegte, noch ein bisschen Schlaf bekommen. Ich zog mir schnell die Schlafsachen an und kuschelte mich in das Bett. Nach ungefähr einer halben Stunde herumwälzen, wurde mir klar, dass ich viel zu aufgeregt war, um einzuschlafen. Die Sonne war schon längst untergegangen und die Sterne waren wieder funkelnd am Himmel. Ich erinnerte mich an letzte Nacht. Er hatte mich geküsst. Ich hatte ihn geküsst. Und gefallen hatte es mir auch noch. Und trotzdem wollte ich mich jetzt wegschleichen. Er hatte mir alles gegeben, wovon ich in den letzten Jahren noch nicht mal zu träumen gewagt hatte. Verständnis, Geduld und Freundschaft. Alles Dinge, die ich nie wieder von einem Menschen erwartet hatte. Und doch ging ich fort. Geht es mir hier denn nicht wirklich gut? Ich hatte ein unglaubliches Zimmer, mehr Klamotten als ich je tragen könnte und er war – bis auf ein paar Momente – immer schrecklich nett zu mir. Er passte auf mich auf. Er machte sich Sorgen um mich. Dennoch wollte ich nichts mehr, als mich in ein Flugzeug nach Hause oder zu Fi setzen. Weg von hier. Weg von ihm. Ich drehte mich auf die Seite und verlangsamte meine Atmung. Ich ließ meinen ganzen Körper zu Ruhe kommen, damit ich schlafen konnte. Ich hatte es fast geschafft, war schon in dem Zustand kurz vor dem Einschlafen, als mit einem leisen Klopfen die Tür geöffnet wurde. Ich tat nichts, sondern blieb einfach still liegen und zwang mein Herz und meinen Atem beständig und ruhig zu bleiben. Ich hörte, wie er leise durch den Raum auf mich zu kam und das mit dem ‚beständig und ruhig‘ wurde immer schwerer. Die Matratze senkte sich, als er sich neben mich setzte. Ich lag glücklicherweise mit dem Rücken zu ihm, sodass er nicht sehen konnte, wie meine Augen hellwach hinter den Lidern hin und her zuckten. Was machte er hier? Er saß eine Weile still da und schien mich zu beobachten. Lange würde ich meine Fassade nicht mehr ausrecht erhalten können. „Ach Xan...“ murmelte er und strich mir mit seiner Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Was machst du bloß? Wo ist die lebenslustige, fröhliche und verrückte Xan hin? Die sich damals im Schnee den Tod geholt hätte, nur weil sie so einen Spaß daran hatte?“ Er seufzte und nahm seine Hand von meinem Gesicht. Lange würde ich das echt nicht mehr aushalten und mich verraten. Ich spürte, wie er sich bewegte und dann seine Lippen, die sich gegen meine Schläfe drückten. Sie verweilten dort einen kleinen Moment. „Schlaf gut.“ Flüsterte er und seine Lippen strichen beim Sprechen über meine Haut. Ich unterdrückte mühsam ein Schaudern. Dann wich er zurück, zog die Decke hoch, die auf meine Taille gerutscht war und stand auf. Dann ging er leise durch den Raum. Ich danke dir für alles, dachte ich, als er die Tür schloss. Wer weiß wann ich ihn wiedersehen würde. Ich würde tausende von Kilometern von hier entfernt sein und ich hatte ihm deutlich gesagt, dass ich nicht zu Fi wollte. Hoffentlich würde er damit rechnen. Nach diesem aufwühlenden Besuch schaffte ich es natürlich nicht mehr einzuschlafen und lag wach, bis ich auf der großen Uhr entziffern konnte, dass es mittlerweile halb zwei war. Während ich wach lag, hatte ich in meinem Gedächtnis nach der Handynummer von Fi gekramt und sie tatsächlich zusammenbekommen. Leise schlüpfte ich aus dem Bett und ging zu dem Schrank hinüber. Ich suchte mir etwas unauffälliges, ein Top und eine schwarze Hose. Im Zimmer streifte ich mir meine Jacke und Stiefel über und schloss dann hinter mir die Tür. Ich ging nach rechts, zu seinem Zimmer. Vor seiner Tür blieb ich stehen und lauschte. Alles war still und unter seiner Tür drang auch kein Licht hervor. Ich holte tief Luft und öffnete die Tür ganz langsam und leise. Das Zimmer war wie erwartet dunkel. Mitten im Raum stand ein Bett, zwar nicht ganz so groß wie meines, aber doch schon ziemlich ansehnlich. Und auf diesem Bett lag unter einer dünnen Decke, Camden. Friedlich schlafend lag er auf dem Rücken, was eine bequemere Position zu sein schien, als auf einem Holzstuhl. Ich konnte nicht wiederstehen und ging wie er quer durch den Raum auf sein Bett zu. Ich blieb daneben stehen und sah auf ihn hinunter. Ich würde ihn wahrscheinlich vermissen. Verdammter Idiot. Ich strich ihm über die Wange und bewunderte seine schönen Wangenknochen. Mein Blick fiel auf seine leicht geöffneten Lippen, aus denen er leise, stetig und ruhig atmete. Beinahe hatte ich das verhindert. Ich hätte ihn beinahe umgebracht. Ich musste lächeln, als ich an jene Minuten in dem Herrenklo zurückdachte und konnte mich nicht daran hindern mich zu ihm herunterzubeugen, zu diesen wunderbar weichen Lippen, um sich sanft zu küssen. Dann richtete ich mich wieder auf und verließ den Raum genauso schnell wie ich ihn betreten hatte. Vor der Tür blieb ich wieder stehen und atmete die unbewusst angehaltene Luft aus. Ich schloss alle Emotionen weg, jetzt war kühler Verstand gefragt. Ich musste von dieser Insel runter, ohne dass der Vampir im Raum hinter mir es bemerkte. Ich musste irgendwie ein Flugzeug auftreiben und mich Fi stellen. Nachdem ich mir sicher war, dass ich von jeglichen Gedanken an Camden abgelenkt war, ging ich durch den langen Flur nach unten. Ich hatte in einem kleinen Raum neben der Küche ein Telefon entdeckt. Dort angekommen, schloss ich die Tür hinter mir und setzte mich auf einen der Stühle. Bedächtig wählte ich Fis Nummer und bevor ich mich um entscheiden konnte, drückte ich auf den grünen Hörer. Es klingelte ein paar Mal, doch schließlich ging sie ran. „Wer sind sie und woher haben sie diese Nummer.“ Ertönte ihre missmutige Stimme. Ich holte tief Luft. Jetzt oder nie. „Fi? Ich bin es Xan. Hör zu, ich weiß ich hab dazu kein Recht, aber ich muss die um etwas Dringendes bitten…“

                Einen halben Tag später saß ich wieder in einem Privatflugzeug, direkt auf den Weg nach Sibirien. Ich fragte mich, wo Fi und Cannes es so schnell hatten auftreiben können. Fi hatte nach dem Anruf ein Flugzeug gebucht und es zu einem kleinen Platz in der Nähe von Camdens Haus bestellt. Ich hatte mich sofort zu Fuß auf den Weg gemacht und den Treffpunkt schnell gefunden. Ich war zwei Stunden gelaufen und würde ungefähr vierzehn Stunden im Flugzeug sein. Auf dem Weg zu dem Platz verbot ich mir jeden Gedanken an Camden und seine Reaktion auf meine Flucht. Es war ohnehin schon schwer genug in der Dunkelheit den Weg zu finden. In der Flugmaschine jedoch hatte ich nichts zu tun. Meine Gedanken waren immer häufiger bei ihm und es wurde immer schwerer sie zu verdrängen. Ich erinnerte mich an den letzten Flug und daran, dass Camden einen Drink getrunken hatte. Ich fragte einen der Piloten und die zeigten mir eine kleine Bar. Ich wählte eine Flüssigkeit, die so aussah wie seine – Whiskey – und schenkte mir großzügig ein. Vielleicht würde mir das helfen. Ich kippte es mit drei großen Schlucken runter und schenkte noch zweimal nach. Ich spürte, wie mir langsam warm wurde. Das war doch alles lustig! Ich wollte nicht weg von zuhause, wollte nicht meinen Freunden begegnen und war nun dabei, geradewegs an meinem Zuhause vorbeizufliegen und zu meiner Freundin zu reisen. Außerdem konnte ich den einen Vampir, den ich nicht umbringen konnte, nicht vergessen. Ich kicherte und hickste. Das war doch alles so komisch. Ich erhob mich aus dem Sessel und stolperte zu einer Sitzbank. Wieso in einem Bett schlafen, wenn sie genauso gut war? Ich ließ mich schwer darauf fallen und fing wieder an zu kichern, weil sich alles drehte. Morgen würde ich bestimmt Kopfschmerzen haben, aber das war es mir wert. Ich wusste nicht mehr, warum ich so missmutig und verzweifelt gewesen war. Es war doch alles gut! Camden hatte mir klar gemacht, dass ich nicht Schuld bin. Ich würde meine Freunde wiedersehen und endlich nicht mehr alleine sein. Wie lange habe ich darauf gehofft und wie lange davon geträumt? Viel zu viel Zeit war vergangen. Ich schloss die Augen und freute mich auf Sibirien. Doch kurz bevor ich einschlief waren meine Gedanken wieder bei Camden. Bei dem Kuss. Bei meinem Besuch in seinem Zimmer. Mittlerweile wusste er wahrscheinlich, dass ich nicht mehr da war. Ich schnaubte, natürlich wusste er das. Er ließ mich doch nicht eine Minute alleine. Zum Glück hatte ich nicht gezögert, als sich mir eine Gelegenheit bot und sie ergriffen. Wer weiß, wie lange ich da nicht gewesen wäre. Ich merkte, dass ich nicht mehr hickste und auch die Heiterkeit war verflogen. Ich setzte mich wieder hin und nahm mein Glas und die Flasche. Ich schenkte das Glas wieder voll und kippte es wieder. Und dieses Mal dachte ich nicht so viel, um traumlos einschlafen zu können. Trotzdem schlich sich Camdens Gesicht in meinen Kopf, wie er lächelte und mir etwas zuflüsterte. Zeit kannst du haben. So viel du willst. Solange du hierbleibst... Ich war nicht dageblieben. Würde keine Zeit haben.

                Am nächsten Morgen wachte ich mit merkwürdig leichten Kopfschmerzen auf. Für die Menge die ich in mich hineingekippt hatte, war das doch bemerkenswert wenig. Ich stand auf und wartete, dass das Übelkeitsgefühl abebbte. Als ich die Augen das nächste Mal öffnete, sah ich einen der beiden Piloten, die vor einer offenen Tür standen. Er zeigte mir mit einem Lächeln, dass ich aussteigen konnte. Ich nickte ihm leicht zu und stolperte aus dem Flugzeug. Unten wäre ich fast hingefallen, doch anstatt das ich auf den harten Baton klatschte, wurde ich von starken Armen aufgefangen. Starken, blassen Armen. „Na, wo wollen wir denn so schnell hin?“ fragte mich eine kühle Stimme. Ich sah auf und sah ein Gesicht, das sich nicht so recht zwischen Freude und Wut entscheiden konnte. Ich stellte mich aufrecht hin. Dann warf ich einen Blick in das zweite Gesicht, was hinter dem ersten schwebte. Es sah mich leicht belustigt und mitfühlend an. Konnte ich gut verstehen, Fi sah mittlerweile echt sauer aus. „Ähh... hi.“ Murmelte ich. „Lange nicht gesehen.“ Ich schaute Fi unschlüssig an. „Ja.“ Sagte sie kurz angebunden, drehte sich um und lief davon. Ich folgte ihr und Cannes lief neben mir. „Da kannst du dich auf einiges gefasst machen. Fi redet seit deinem Anruf davon, wie sie dir am besten die Hölle heißmachen kann. Viel Glück. Und schön dich wieder unter den Lebenden zu wissen.“ Flüsterte er mit einem Schmunzeln, zwinkerte mir zu und holte zu Fi auf. Ich hatte es nicht anders erwartet, geschweige denn verdient. Wir gingen still zu dem vertrauten schwarzen Auto und stiegen ein. Ich saß alleine auf der Rückbank und auch auf der Fahrt war es unangenehm still. Die Fahrt dauerte nicht so lang, wie die zum Bahnhof und nach ungefähr zwanzig Minuten waren wir bei dem Haus. Wie letztes Mal lag Schnee, aber ich hatte nicht das leiseste Bedürfnis darüber zu laufen. Viel eher wollte ich mich unter einer weichen, warmen Decke verkriechen und schlafen. Doch ich glaube, dass Fi mir diesen Luxus nicht gönnen würde. Als das Auto stand, stieg ich aus und wartete auf Fi und Cannes. Fi ging ohne ein Wort an mir vorbei und ins Haus. Cannes wackelte vielsagend mit den Augenbrauen und ich folgte ihr hinein. Wärme umfing mich und ich ließ mich dankbar davon einhüllen. Fi stolzierte in den Saal und Cannes ging die Treppe hoch. Ich trat in den Saal und sah Fi auf der einen Seite auf und ab gehen. Ich machte einige Schritte auf sie zu. „Ich glaube...“ fing ich an holte tief Luft und versuchte es nochmal. „Wir sollten reden.“ Fi blieb stehen und starrte mich finster an. „Ach ja, findest du?!“ Ihre Stimme stieg um eine Oktave. „Du bist seit zwei Jahren verschollen. Es kam weder ein Anruf oder ein Lebenszeichen von dir. Ich konnte deine Familie nicht erreichen…“  Bei diesen paar Wörtern zuckte ich zusammen „... , ich musste hören dass du umgezogen bist und auf deinem Handy warst du auch nicht zu erreichen. Ich habe gedacht du seist tot! Verdammt noch mal, was hast du dir dabei gedacht? Was habe ich getan, dass du mich so bestrafst? Ich bin zwei Jahre wie verrückt durch dieses Haus getigert und bin jeder noch so kleinen Spur hinterhergerannt. Wieso zur Hölle habe ich das getan? Sag‘s mir.“ Ich seufzte. Erst Camden, jetzt Fi. Vielleicht sollte ich die letzten zwei Jahre in einem Buch zusammenfassen, damit ich sie nicht immer wieder würde erzählen müssen. „Als ich aus Sibirien zurückkam und meine Eltern nicht erreichen konnte, nachdem sie mehrere Male auf meinen AB gesprochen hatten, bin ich zu ihnen gefahren. Dort angekommen...“ ich erzählte alles, erklärte auch, warum ich nichts von mir hab hören lassen und mich vollkommen zurückgezogen hatte. Ich erzählte ihr auch alles von Camden und den letzten Tagen. Am Schluss angekommen war sie genauso still wie Camden und sah mich an. Schließlich sagte sie als Erste etwas. „Es tut mir leid. Es ist grausam, was dir wiederfahren ist. Aber das ist noch lange kein Grund, mich und Angel so im Unklaren zu lassen. Wir haben uns die schlimmsten Gedanken gemacht. Wir haben Glück gehabt, dass Camden dich vor ihnen gefunden hat. Du hast vielleicht fünf umbringen können, aber der letzte hätte dir so einfach das Licht ausgeschaltet, wäre Camden nicht gewesen. Aber gut, dass du mich kontaktiert hast.“ Endlich hellte sich ihre Miene auf. Sie kam auf mich zu und schloss mich in ihre Arme. Ich umarmte sie zurück, erleichtert, dass sie mir zu verzeihen schien. Dann löste sie sich und sah mich mit falscher Bosheit im Blick an. „Wenn du so etwas noch einmal tust, reiße ich dir den Kopf ab.“ Sagte sie fröhlich und verließ den Raum. Ich schüttelte den Kopf. Dann kam Stefan und brachte mir etwas zu essen und die Kopfschmerzen legten sich ein wenig. Als ich alles aufgegessen hatte, stand ich auf und wollte nach oben in mein altes Zimmer gehen, doch in der Eingangshalle ertönte ein Klingeln. Neugierig guckte ich hinter eine kleine Tür, hinter der ein Raum war. Das Klingeln kam von einem Telefon. „Gehst du ran?“ hörte ich Fi von oben brüllen und ein leises amüsiertes Lachen von Cannes. Ich grinste leicht und ging zum Telefon. In Gedanken war ich schon oben in dem weichen Bett. „Ja, wer da?“ fragte ich. An der anderen Seite war es still. Hä? „Hallo?“ fragte ich noch mal. War das jetzt nur so ein beschissener Telefonstreich? „Wenn sie jetzt nicht antworten, muss ich leider auflegen.“ Sagte ich fröhlich, Fi war nicht mehr so sauer auf mich, ich würde Angel bald wiedersehen und ich hatte fast die ganze Zeit nicht an Camden denken müssen. Ich tippte mit dem Fuß den Klang des Sekundenzeigers nach, der von einer Uhr in der Ecke des Raumes kam. „Entschuldigung.“ Ertönte eine mir sehr vertraute Stimme und ein Schauer durchlief mich. „Ich war nur etwas verwirrt, die Stimme durch ein Telefon über tausende von Kilometern zu hören, die doch eigentlich hier direkt bei mir in meinem Zimmer sein sollte.“ Tja, dass war’s dann wohl mit ‚nicht an Camden denken‘. Ich versteifte mich. Oh Scheiße! Camden! Ein Stich durchfuhr mich. Er hatte Recht, ich sollte jetzt eigentlich neben ihm sitzen. Aber ich war freiwillig gegangen und würde meine Entscheidung jetzt nicht bereuen. Das hatte keinen Sinn. „Ich habe dir gesagt, dass ich gehen werde.“ Murmelte ich. Am anderen Ende ertönte ein kaltes Lachen. „Ja das hast du. Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass du feige mitten in der Nacht abhauen würdest.“ Feige? Ich schnaubte. „Wenn du jetzt nichts mehr zu sagen hast, lege ich auf. Ich bin müde.“ „Warte. Ich wollte eigentlich Cannes sprechen. Ist er abkömmlich?“ Ich dachte an das Lachen, was vorhin ertönt war, als Fi sagte sie könne nicht ans Telefon gehen. „Tut mir leid. Du musst wohl mit mir Vorlieb nehmen. Ich werde es ihm ausrichten.“ „Okay. Ich habe gehört, dass die Werwesen einen Angriff geplant haben. Keinen Frontalangriff, sondern eher in eurer Nähe um euch Angst zu machen. Ich hatte vor zu euch zu reisen und Stayr habe ich auch schon Bescheid gesagt. Sieht so aus, als würden wir uns morgen wiedersehen. Ich freue mich schon...“ sagte er, es klang fast wie eine Drohung und legte auf. Scheiße! Verdammter Mist! Laut fluchend legte ich den Hörer zurück und ging nach oben in mein Zimmer. Ich ließ mich auf das Bett fallen. Ich war abgehauen, um von ihm wegzukommen, aber jetzt reiste er mir hinterher und ich konnte ihm noch nicht mal richtig die Schuld daran geben. Wenn die Werwesen wirklich zuschlagen wollten, konnten wir jede Hilfe gebrauchen. Sie hatten zwei Jahre gehabt, um sich zu rüsten und zu planen. Ich hingegen hatte nicht einen Gedanken an sie verschwendet. Hatte nur an mich gedacht. Wie egoistisch! Aber warum jetzt? Hätte das nicht in ein paar Monaten sein können oder nie?! Ich rappelte mich auf und ging ins Bad. Ich duschte und zog die Sachen bis auf die Hose wieder an und legte mich dann ins Bett. Der Schlaf kam schnell und ich überließ mich ihm nur zu gerne. Morgen würde ein langer und harter Tag werden, soviel stand fest.

Ich wachte spät auf. Ich hatte das Gefühl beobachtet zu werden und blieb ruhig liegen. Rechts von mir stand jemand. Und dieser Jemand war ein Vampir. Langsam öffnete ich die Augen und sah eine Angel mit verschränkten Armen, die böse auf mich herabsah. „Oh, Dornröschen erwacht.“ Fauchte sie. Na toll. Fi würde im Gegensatz zu Angel der reinste Engel sein. Ich setzte mich auf und machte mich schon mal gefasst. Angel ging kurz auf und ab und blieb dann vor dem Bett stehen. „Du...“ sie deutete mit einem Finger auf mich „... hast ein Problem. Ein großes. Und zwar mich. Fi ließ dich vielleicht mit einer Entschuldigung davon kommen, aber ich werde mich nicht so leicht zufriedengeben. Ich dachte du wärst tot! Du hieltst es nicht mal für nötig dich bei uns zu melden! Hast du eigentlich eine Ahnung, was für Gedanken wir uns gemacht haben? Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht, verdammt noch mal?! Bist du krank?“ fauchte sie. Ich stand auf. Das war nicht gerade die schönste Art geweckt zu werden und außerdem war ich noch müde. Ich verschränkte meine Arme auch vor der Brust. „Hör zu, ich weiß ich habe nicht richtig gehandelt, aber ich habe nicht die beste Zeit hinter mir. Während du mit deinem Lover irgendwo rumgeturtelt hast, bin ich fast durch die Hölle gegangen. Meine gesamte Familie ist tot. Ich habe sie gefunden. In ihrem Haus, jeder mit einem Biss. Ich habe mir geschworen jeden, absolut jeden, Vampir umzubringen. Wäre ich zurückgekommen, hätte ich euch umgebracht. Willst du das? Ich wollte es jedenfalls nicht. Ich bin umgezogen, habe meine Nummer gewechselt und bin untergetaucht. Ich habe eine ganz schöne Scheiße erlebt und du hast mir nicht zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Himmel, warum sagt ihr mir das alle immer? Ich bin alt genug, reif genug und klug genug, um für mich selber zu entscheiden. Seit einer ganzen Weile schon.“ Fauchte ich zurück. Sie starrte mich an, als wäre ich eine Fremde. In gewisser Weise war ich das ja auch, immerhin hatten die letzten Jahre mich doch verändert. Vorher wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, Angel anzuschreien. Sie nickte leicht und kam auf mich zu. „Du hast Recht. Du hast dich verändert und du bist reifer geworden. Die kleine Xan ist erwachsen geworden.“ Murmelte sie, lächelte leicht und verließ dann den Raum. Verziehen hatte sie mir wahrscheinlich noch lange nicht, aber anscheinend schien sie nicht mehr ganz so sauer zu sein. Ehrlich gesagt hatte ich gerade auch echt keine Lust darauf, mich mit ihr zu streiten. Ich wollte duschen und dann etwas frühstücken, als ich mir der gegenwärtigen Situation klar wurde. Zum einen hatte ich keine Klamotten, andererseits konnte ich jetzt auch nicht halbnackt über den Flur zu Fi rennen. Selbst wenn sie alleine war, es bestand die Gefahr das... nun ja... Camden mich sah. Ich setzte mich auf das Bett. Camden. Er war bestimmt schon hier und wollte mir die Hölle heißmachen. Als ich aufgewacht war, hatte ich erst gedacht, dass er es wäre, der erbost auf mein Erwachen gewartet hatte. Ich wollte ihn nicht wiedersehen. Aber ich musste mich anziehen und mich ihm stellen. Ich konnte mich nicht ewig vor ihm verstecken. Also ging ich zur Tür, machte sie einen minimalen Spalt auf. „Fi?“ rief ich. Sie lugte aus ihrem und Cannes Zimmer. „Hmmm?“ fragte sie verschlafen. Ich grinste. „Hast du vielleicht ein paar Klamotten für mich?“ Sie nickte, ging von der Tür weg und tauchte nach ein paar Minuten wieder auf. Sie drückte mir eine Hose, Top mit Hemd und Unterwäsche in die Hand. „Hab ich erst gekauft. Müsste dir eigentlich passen.“ „Danke.“ Sagte ich und wir verschwanden wieder in unsere Zimmer. Ich duschte schnell und machte mich fertig. Dann ging ich nach unten und achtete auf jedes Geräusch, was einen sauren Camden angekündigt hätte. Aber da war nichts. Absurd erleichtert kam ich in den Saal und sagte Stefan, dass ich gerne ein Frühstück hätte. Er brachte mir eines und ich aß schnell. Man musste das Schicksal ja nicht herausfordern und wenn es vorhatte mich für den Moment zu verschonen, war ich damit nur einverstanden. Aber natürlich klappte das nicht. Der dunkelhaarige und große Vampir betrat verschlafen den Raum. Mein Herz machte einen Satz und mein Blick wanderte unwillkürlich zu ihm. Er hatte ein graues Shirt und eine schwarze Jogginghose an. Widerwillig musste ich mir eingestehen, dass er darin ziemlich gut aussah. Doch dann versteifte er sich und sah zu mir. Aber genauso schnell wie er hingesehen hatte, blickte er auch wieder weg und hätte ich geblinzelt hätte ich seinen Blick gar nicht gesehen. Es war eine gefährliche Mischung aus Freude, Wut und Trauer. Er setzte sich gegenüber von mir und bestellte sich auch ein Frühstück. Ich aß stumm weiter und mied ihn mit meinem Blick. Trotzdem konnte ich mir einen oder zwei nicht verkneifen, doch er sah mich nicht einmal an. Ich sollte glücklich sein, aber irgendwie war ich traurig und auch ein wenig enttäuscht. Ich hatte darauf gewartet, mit ihm zu sprechen, aber er ignorierte mich vollkommen. Als ich mein Frühstück nicht mehr in die Länge ziehen konnte, ohne das es auffällig geworden wäre, stand ich auf und verließ den Raum. Ich musste hier raus. Ich ging nach oben, holte meine Jacke und verließ dann fluchtartig das Haus. Warum regte ich mich so darüber auf, dass er mich so ignorierte? War es nicht das, was ich von Anfang an von ihm gewollt hatte? Warum also wollte ich jetzt, dass er sich wieder mit mir stritt, oder mich zumindest wahrnahm? Das war doch nicht normal. Ich hatte ja schon fast solche schlimmen Stimmungsschwankungen wie er. Ich stapfte durch den Schnee, auf die Wiese zu. Der Schnee lag wie letztes Mal unberührt und weich vor mir. Ich suchte mir eine Stelle und ging dann langsam über die Wiese, auf die Baumreihe zu, die sie eingrenzte. Die Wurzeln waren frei von dem weichen Puder und ich setzte mich auf eine hervorstehende und starrte auf das entfernte Haus. Dort drin waren Fi und Cannes – glücklich, zufrieden. Angel und Stayr, ebenfalls glücklich und hatten alles was sie wollten. Camden, der ein riesiges Haus in Island hatte und ebenfalls sich alles holen und leisten konnte, was er wollte. Und ich, diejenige ohne Geld, ohne Familie, ohne Glück. Ich passte da nicht rein. Sie waren alle anders und besser. Ich war anders als sie und gehörte nicht zu ihnen. Das tat ich mal, aber das war schon lange her. Theoretisch hatte ich mir damals einen Gefallen getan, als ich untergetaucht war. Unbewusst hatte ich eine Grenze gezogen, die eigentlich schon existiert hatte. Sie waren allesamt Vampire und ich war eine Vampirkillerin. Wären sie nicht meine Freunde, wäre ich ihnen und sie mir an die Gurgel gegangen. Irgendwo hinter mir knackte ein Zweig. Wahrscheinlich nur ein Fuchs oder so und niedergeschlagen wie ich war, drehte ich mich nicht um. Ich vertiefte mich wieder in Gedanken, bis ein Schatten vor mir auf den Schnee fiel. Ein großer Schatten. Ich wollte mich gerade aus Reflex auf den Boden fallen lassen und wegrollen, als ich ein „Fang!“ hörte und stattdessen aufsah. Ein silbern-schimmernder Dolch flog durch die Luft und gekonnt fing ich ihn auf, drehte mich und rammte sie der Gestalt hinter mir in die Brust. Mit einem Ruck meiner- und einem Röcheln seinerseits sackte er zusammen und blieb ruhig liegen. Ein Werwesen! Es war so weit, sie griffen an. Camden hatte ja gesagt, dass ihr erster Angriff nicht frontal, sondern heimlich, still und leise sein würde. Er hatte Recht gehabt. Ich drehte mich wieder um und konnte gerade noch Camden sehen, wie er gegen mich stieß und mich so zu Fall brachte. Er hingegen blieb stehen und rammte sein Messer dem nächsten angreifenden Wesen in die Brust. Plötzlich standen Cannes und Stayr an seiner Seite, ebenfalls bewaffnet. Er dauerte nicht lange und ungefähr ein Dutzend toter Fellknäuel lag zu meinen Füßen. Ich rappelte mich langsam auf – ich war mit dem Kopf gegen einen Baum geknallt – und schaute zu den keuchenden Vampiren. „Eins zu null für uns.“ sagte Stayr, wischte seine Klinge an dem Fell dem ihm zu Füßen liegenden Monsters ab und verschwand wieder. Auch Cannes warf einen angewiderten, aber auch leicht amüsierten Blick auf das Gemetzel und verschwand ebenfalls. Camden jedoch blieb stehen und auch ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte. Ich stand mit dem Rücken zu ihm und wir schwiegen uns an. Als ich es nicht mehr aushielt, was so ungefähr nach fünf Minuten der Fall war, drehte ich mich zu ihm herum. Er hatte sich auf die herausragende Wurzel gesetzt, auf der ich auch vorhin gesessen hatte und starrte mich an. Mir fiel auf, dass ich den Silberdolch noch in der Hand hatte. Also ging ich auf ihn zu und stellte mich vor ihn. Dann streckte ich meine Hand aus. „Hier.“ Sagte ich und ließ ihm die Waffe vor die Füße fallen, da er keine Anstalten machte sich zu bewegen. Mit einer hochgezogenen Augenbraue verließ ich ihn und wollte mich auf den Weg zurückmachen, der doch ziemlich weit war. Das brachte mich zum Stutzen. „Ich frage mich, woher ihr wusstet, wo ich war. Ich war viel zu weit entfernt vom Haus, als das ihr mich hören könntet.“ Sagte ich laut und blieb stehen. Ich drehte mich nicht zu ihm herum, wartete nur auf eine Antwort. Wenn ich denn eine bekommen sollte. Denn er hatte immer noch nichts, außer einem ‚Fang‘, zu mir gesagt, seit dem Telefonat. Schließlich beschloss ich, dass es keinen Sinn hatte zu warten, er ignorierte mich so oder so. Eigentlich sollte ich darüber erfreut sein, doch es erfüllte mich irgendwie mit Wehmut und auch ein wenig mit Trauer. Wir waren in Island doch so etwas wie Freunde gewesen, oder? Tja, und genau wegen so was wollte ich in den letzten Jahren keine Freunde haben. Sie riefen zu den unpassendsten Momenten Gefühle und Gedanken hervor, die mich ablenkten. Wenn ich gerade einen Vampir durch eine dunkle Gasse verfolgte, konnte ich meine lebenswichtige Aufmerksamkeit und Konzentration nicht auf irgendwelche Kinkerlitzchen verschwenden. Deshalb merkte ich jetzt zum Beispiel auch nicht, das Camden nicht mehr hinter mir saß, sondern sich vor mir aufbaute und mir den Weg zurück zum Haus versperrte. Ich seufzte und wollte an ihm vorbeigehen, doch er streckte den Arm aus und weil ich ihm nicht zu nahe kommen wollte, musste ich stehen bleiben. Entnervt sah ich an ihm hoch, in sein Gesicht. Nachdenklich sah er hinter mir in den Wald. „Was willst du? Mir wird nämlich langsam echt kalt, weißt du.“ Mir war ehrlich gesagt gar nicht kalt. Im Gegenteil, mir wurde sogar richtig warm. Weiß der Teufel wieso. Ich überwand mich und griff mit einer Hand nach dem immer noch ausgetrecktem Arm, um in beiseite zu nehmen, aber da hätte ich auch gleich versuchen können, einen Berg zu verschieben. Unmöglich. Ich gab mein Vorhaben auf und starrte ihn wieder genervt an. „Also?“ fragte ich. Sein Blick wanderte langsam zu mir und bohrte sich in meinen. Eine Weile sahen wir uns an, keiner von uns beiden wollte als Erster wegsehen. „Wir haben dich gesehen, wie du rausgegangen bist. Und wir wussten, dass die Werwesen bald angreifen würden, also war es theoretisch nur eine Vermutung.“ Murmelte er. „Aja.“ Entgegnete ich kurz. Er hatte seinen Arm während unseres Blickes und dem Gespräch sinken lassen und ich schritt an ihm vorbei. Aber anstatt den Arm vor mir wieder auftauchen zu sehen, fühlte ich ihn, wie er sich fest um meinen Arm schloss. „Warte.“ Ich seufzte, doch es hörte sich nicht mehr ganz so genervt an, eher ängstlich. Wegen dem was er noch sagen oder tun wollte, was sein Tonfall eindeutig versprach. Dennoch drehte ich mich um und sah ihn an. „Was denn?“ brachte ich hervor. Er ließ mich los und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Er tat es vielleicht unwissend, aber in mir weckte es nur das Bedürfnis, der Hand zu folgen und auch durch sein weiches Haar zu streichen, wie vor drei Tagen. „Ich will es wissen – und zwar den wirklichen Grund, nicht den das du dich einsam fühlst, in einem Haus voller Leute. Weshalb bist du gegangen? Weshalb bist du hinter meinem Rücken abgehauen? Weshalb rufe ich meinen Freund in Russland an und habe dich am Apparat?!“ fragte er. Das war es, wieso er nicht mit mir gesprochen hatte? Weil er beleidigt war, dass ich ihn verlassen hatte? Aber ich hatte ihm doch die Wahrheit gesagt, dass ich erst bei ihm merkte, wie einsam ich war. Das ich nicht mit diesem Leben zurechtkam, weil ich das konstante Gefühl hatte, meine Familie rächen zu müssen. Zumindest war das ein Teil der Wahrheit. Ich konnte ihm unmöglich sagen dass ich auch gegangen war, weil mich die Gefühle, die er in mir hervorruft, völlig überrumpelt hatten. Das taten sie ja immer noch! Er sorgte in jeder wachen Minute dafür, dass mein Kopf nicht so schön leer und klar war, wie in den vergangenen zwei Jahren. Nein, das konnte ich ihm nicht sagen. Aber irgendetwas musste ich ihm sagen. Also musste ich mir wohl oder übel eine Lüge ausdenken. Mir fiel sein Haus wieder ein, groß, teuer und protzig. Und im Vergleich meine alte Wohnung. Daraus ließ sich etwas machen. „Wie du ja weißt, habe ich zwei Jahre lang in einer Wohnung gewohnt, die keine Heizung, warmes Wasser oder einen Ofen und nur einen kleinen Kühlschrank hatte. Der Strom funktionierte auch nicht immer. Ich habe sie praktisch in meinem Auto verbracht. Und dann wurde ich von jetzt auf gleich in eine monströs große Villa entführt, in der ich mich auch prompt verirrt hatte. Klar, die Umgebung ist schön, aber das Haus ist mir zu groß, zu viel. Und wenn ich das jeden Tag auf Dauer haben müsste, wäre ich völlig durchgedreht. Ich habe mich einfach nicht wohlgefühlt.“ Murmelte ich, drehte mich um und lief schnell über den Schnee davon. Ich konnte jetzt nur noch hoffen, dass er meine kleine Flunkerei schluckte und mich in Ruhe ließ. Aber wie um mich zu verhöhnen, schloss sich seine Hand wieder um meinen Arm. Mit einem frustrierten Aufschrei fuhr ich herum und wollte ihn anschreien. Was dachte er sich eigentlich dabei? Erst nett, dann mies, dann ignorierend, dann nervend aufdringlich. Hatte er psychische Probleme? Er sollte sich darüber mal ernsthafte Gedanken machen, das war doch nicht normal. Doch ich bekam nicht die Gelegenheit, ihm auch nur eines der Dinge an den Kopf zu knallen, da er mich mal wieder vollkommen überraschte. Er küsste mich! Er hielt meine Arme fest, und sein Mund lag auf meinem. Drängend, aber doch sanft. Was sollte das? Sein Mund begann sich zu bewegen und ich wusste plötzlich nicht mehr, woran ich gerade gedacht hatte. Alles war ausgelöscht und ich spürte und dachte nichts mehr, außer dem Kuss und wie gut seine Lippen sich auf meinen anfühlten. Seine Hände entließen mich aus seinem Griff. Sie legten sich locker um meine Taille und ich hätte jederzeit abhauen können. Doch ich wusste nicht wieso ich das tun sollte! Hier war ich richtig, in seinen Armen, mit seinem Mund auf meinem. Nirgends anders wollte ich sein, nie wieder. Deswegen schlang ich ihm meine Arme um den Hals und küsste ihn zurück. Ich spürte seine Überraschung, doch er fing sich schnell wieder und drückte mich impulsiv an sich. Beim letzten Mal hatte er sich gelöst, doch diesen Fehler schien er dieses Mal nicht begehen zu wollen, weshalb wir eine ganze Weile so umschlungen da standen. Als ich jedoch keine Luft mehr bekam, musste ich mich doch von ihm lösen. Natürlich waren mit einem Schlag alle meine Gedanken wieder da und die negativen übernahmen wie beim letzten Mal meinen Verstand. Verdammt, genau das wollte ich doch nicht tun, oder? Ich hatte ihn nicht küssen wollen. Meine Arme lagen noch um seinen Hals, die Hände in dem weichen Haar vergraben und seine lagen warm und besitzergreifend um meiner Hüfte. Ich löste mich leicht. Er griff mir unter das Kinn und sah mir in die Augen. „Du hast dich also nicht wohlgefühlt…?!“ sagte er und zog ungläubig eine Braue hoch. Ich drehte mich um und ging zurück zum Haus. Ich rannte sogar fast. Ich eilte den Weg entlang, die Treppe hinauf und in die kleine Halle. Erleichtert, dass er nicht direkt hinter mir war, schloss ich die Tür und stieß die Luft aus, die ich unbewusst angehalten hatte. Stayr stand mit verschränkten Armen und misstrauischem Blick an der Treppe. Oh, verdammt. Bitte, bitte, lass ihn nicht wieder mit dieser ‚Lass die Finger von der Freundin meiner Freundin‘- Masche anfangen. Die Tür hinter mir glitt auf und Camden kam rein. Oh oh. Stayrs Blick wurde schlagartig wütend. Mist. Er kam auf uns zu und ich wich einen Schritt in Richtung Saal zurück. „Na, hast du dich gut amüsiert?“ fragte Stayr seinen Bruder sarkastisch. Dieser grinste ihn an. „Ja, eigentlich schon.“ Erwiderte er dreist und brachte es sogar fertig, mich anzugrinsen. War er lebensmüde? Ich stieß mit dem Rücken gegen die Saaltür und lehnte mich gegen sie. Das würde kein gutes Ende nehmen, bestimmt nicht. „Na, das freut mich. Denn es wird das letzte Mal sein. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du sie in Ruhe lassen solltest.“ Fauchte Stayr. „Du hast nicht das geringste Recht, mir vorzuschreiben, was ich zu tun und lassen habe.“ Entgegnete Camden gelassen, doch man konnte erkennen, dass auch er wütend wurde. „Doch, wenn es um sie geht. Lass sie in Ruhe und verschwinde wieder. Du warst schon viel zu lange hier.“ Sagte Stayr mit unterdrückter Wut. Ein winziger Hoffnungsschimmer ereilte mich, dass sie so auseinandergehen würden. Doch wie um ihn zu provozieren, kam Camden zu mir und legte mir einen Arm um die Taille, beugte sich zu mir herunter und drückte mir einen Kuss auf die Haare. Dieser verdammte Idiot! Bevor ich reagieren konnte, war Stayr bei uns und zog mich von ihm weg. Das machte mich ein wenig sauer. War es nicht meine Entscheidung, wer mich anfasste und wer nicht? Stayr hatte mir nichts zu sagen, auch wenn er Camden für den schlimmsten und miesesten Kerl der Welt hält. Camden dachte gar nicht daran, mich loszulassen und zog mich wieder zu sich, machte einen Schritt nach vorne und brachte sich so zwischen mich und Stayr. „Fass sie noch einmal an und du hast ein Problem.“ drohte er. Hallo? Wurde ich gar nicht gefragt, was ich von der ganzen Sache hielt? Stayr knurrte und kam drohend auf Camden zu. „Du mieses Arschloch. Verzieh dich.“ Na, das war aber unhöflich von Stayr gewesen. Camden funkelte ihn wütend an und ich wusste einfach, dass sie aufeinander losgehen würden. Doch plötzlich waren Cannes, Fi und Angel da, die die beiden Streithähne auseinander hielten. Den Göttern sei Dank. Angel und Fi kümmerten sich um Stayr und Cannes redete auf Camden ein, der mich immer noch hinter sich gedrückt hielt. Ich ergriff seine Hand, drückte sie kurz und ließ sie dann los. Mit anderen Worten ‚Lass es einfach‘. Ich vergewisserte mich noch einmal, ob die Situation wirklich unter Kontrolle war und ging dann in den Saal. Kurze Zeit später kamen auch Cannes und Fi herein. Sie setzten sich wie immer gegenüber von mir und wir aßen schweigsam unser Abendbrot. Keiner von uns schien etwas sagen zu wollen, aber es war klar, dass sie sich fragten was zwischen mir und Camden vorgefallen war, dass er sich deswegen extra mit seinem Bruder so stritt, wo sie sich doch sonst immer aus dem Weg gegangen waren. Fi warf mir immer einschätzende Blicke zu und langsam fühlte ich mich beobachtet. „Wenn ihr erlaubt, gehe ich jetzt nach oben. Ich bin müde und sollte vielleicht ein bisschen schlafen.“ Sagte ich leise. Fi nickte bedächtig und auch Cannes schien, soweit ich das erkennen konnte, nichts dagegen zu haben. Ich nickte auch und verschwand dann durch die Tür, die Treppe hinauf nach oben. Im Zimmer angekommen, schloss ich als erstes die Tür hinter mir und musste mal wieder feststellen, dass man sie nicht abschließen konnte wie in Island. Ich ging zu meinem Bett und ließ mich schwer darauf sinken. War Camden so blöd? Warum setzte er denn letzten Rest Geduld von seinem Bruder aufs Spiel? Er hatte doch gewusst, dass ihn das aufregen würde. Und draußen, was sollte das? Warum hatte er mich geküsst? Um sich selber etwas zu beweisen oder mir, dass ich mich bei ihm doch wohlgefühlt hatte. Was ich wirklich getan hatte. Nicht einmal hatte ich meine Wohnung mit all den Fehlern vermisst. Ich liebte das riesige Bett, das Essen, das Bad, den Wandschrank. Um ehrlich zu sein war alles sogar sehr gut gewesen. Ich würde es vermissen, wenn ich wieder in diese Bruchbude zurückgehen würde. Und das hatte ich vor. Ich hatte niemals gesagt, dass ich mein altes Leben aufgeben werde, nur, warum ich was bisher getan hatte. Ich musste mir nur noch überlegen, wie ich mit Fi und Angel umgehen werde. Ich wollte nicht, dass sie wieder so sauer wurden und sich Sorgen machten. Aber wenn ich ihnen sagte, dass ich wieder jagen gehen werde, werden sie das tun oder mich gleich hier behalten. Vielleicht konnte ich sie ja mal anrufen, aber mehr auch nicht. Ich wollte mein altes Leben wieder. Keine Freunde, keine Probleme, außer dem, wie ich an den nächsten Vampir komme. Rückwärts ließ ich mich auf die Decke fallen. Camden hatte an jenem Abend mein gesamtes Leben durcheinander gebracht. Hätte er nicht einfach verschwinden können? Was hat er nur getan? Mühsam stand ich wieder auf und ging ins Bad um zu duschen. Mein Arm hatte Blut abbekommen, als ich das Werwesen erstochen hatte und es war schon angetrocknet. Unter der Dusche schrubbte ich mich sorgfältig und lange ab. Ich zog mir ein Top und eine Jogginghose an und machte mich bettfertig. Ich war zwar müde genug, um schlafen zu können, aber ich wusste, dass meine alles andere als müden Gedanken mich kein Auge zumachen lassen würden. Ich machte das Licht im Bad aus und tappte im Dunkeln zu dem Fenster. Die Wiese lag leuchtend vor mir und wurde nur von den Fußschritten gestört. Sie führten alle direkt über sie hinüber, zu dem Ort, wo ich gesessen hatte. Ich setzte mich auf die Fensterbank und lehnte meine Stirn an die kühle Scheibe. Es ging gerade alles drunter und drüber. Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt noch machen sollte und das deprimierte mich. Ich hatte das immer gewusst, immer einen Plan für den nächsten Tag oder die nächste Woche gehabt. Aber jetzt war ich vollkommen unkoordiniert und fast schon hilflos. Weiße kleine Punkte fielen zu Boden, wild umhergetrieben von dem eisigen Wind Sibiriens. Der Schnee hier war allgegenwärtig und immer da. Es war immer kalt und weiß. Die anderen waren Vampire, aber ich als Mensch fror draußen schnell. Oder hier an der Fensterbank, weil die Scheibe wirklich eisig war. Eiskristalle zogen sich an der einen Seite entlang und auf der anderen beschlug sie langsam, weil mein warmer Atem dagegen traf. Ich zog die Knie an und stützte mein Kinn darauf. Ich wollte hier nicht weg. Ich wollte meine Freunde nicht wieder verlassen. Aber ich hatte keine andere Wahl, denn auf der anderen Seite hatte ich den starken Willen, allen Vampiren den Gar aus zu machen. Wie sollte ich mich nur entscheiden? Ich schloss die Augen und lauschte dem Rauschen des Schnees. Es war beruhigend und vertrieb auf Dauer all die düsteren Gedanken.

                Am nächsten Morgen schien mir die Sonne direkt ins Gesicht und ich drehte mich um, um den gleißend hellen Strahlen zu entgehen. Ich drückte mein Gesicht in das weiche Kissen und zog mir die Decke bis unters Kinn. Es war so gemütlich warm und bequem. Aber Moment mal! Ich saß doch eigentlich noch am Fenster, das Gesicht auf den Knien! Zumindest konnte ich mich daran erinnern nicht in mein Bett gegangen zu sein. Hastig fuhr ich auf und saß senkrecht im Bett. Was...? Ich warf einen hektischen Blick durch den Raum und erleichtert stellte ich fest, dass es mein Zimmer war. Ein wenig beruhigt sackte ich ein zusammen. Wahrscheinlich war ich im Halbschlaf ins Bett getorkelt. Deswegen hatte ich auch noch das Top und die Jogginghose an. Gerade als ich mich hinlegen und weiterschlafen wollte, fiel mein Blick flüchtig auf den Sessel. Dieser sollte eigentlich leer und verlassen in der Ecke neben dem Fenster stehen. Aber stattdessen lag ein großer, dunkelhaariger Vampir darauf, die Beine über die Armlehne geschmissen und gegen die andere lehnend, die Arme auf der Brust verschränkt. Wieder fuhr ich erschrocken auf. Was hatte er hier zu suchen? Legte er es extra auf noch einen Streit mit Stayr an? Ein wenig genervt stand ich auf und ging zu ihm hinüber. Ich zog an seinen Armen, schubste ihn ein wenig und versuchte ihn aufzuwecken. Vergebens. Er murmelte nur etwas Unverständliches, kuschelte sich noch tiefer in den Sessel und legte den Kopf an die Kopflehne. Ich rüttelte an seinen Armen und Beinen. Doch es brachte rein gar nichts. Man, der hatte einen tiefen Schlaf! Und ich hatte kein Stuhlbein, gegen das ich hätte treten können, wie beim letzten Mal. Ich brachte meinen Mund direkt neben sein Ohr. „Aufstehen!“ sagte ich laut. Er lag unbewegt auf dem Sessel und gerade als ich ihn wieder anschreien wollte, grinste er. „Du musst mich doch nicht gleich anbrüllen.“ Erwiderte er ruhig. Dann schlug er die Augen auf und sah mich an. Ich schnaubte. „Was hast du hier zu suchen? Wir wissen beide, dass dies nicht dein Zimmer ist. Und was passiert, wenn Stayr herausfindet wo du bist.“ Fuhr ich ihn an. Sein Grinsen verblasste. „Er hat mir gar nichts zu sagen. Er kann noch so viel streiten, schreien und drohen, ich werde mir nicht von ihm vorwerfen lassen, was ich tun soll. Damit kann ich ja auch mal anfangen, oder? Jedes Mal, wenn er Angel alleine lässt ihn an damals erinnern. Ihn mit jeder ihrer Nah Tod Erfahrungen aufziehen.“ Sagte er trotzig. „Das ist nicht fair. Du kannst ihn nicht für Raphael oder die Werwesen verantwortlich machen. Und er kann nicht immer bei ihr sein. Sie würden sich gegenseitig den Kopf abreißen. Außerdem ist es unter der Gürtellinie, Angel mit Deisha zu vergleichen und das weißt du auch.“ Ich ging von ihm weg, zum Bett und setzte mich darauf. Er stand auf und folgte mir. „Ach nein?! Und er? Er reibt mir jedes Mal unter die Nase, dass ich mich nie wieder einer Frau nähern soll, weil sie doch nur vor meinen Augen verreckt und ich nichts tun werde. Das ist nicht unfair?“ Er stemmte sich hoch, in eine sitzende Position und funkelte mich wütend an. „Habe ich dir jemals einen Anlass dazu gegeben, mich zu hassen? Habe ich dir jemals etwas angetan, was ihn oder dich zu diesem Schluss bringen könnte?“ fragte er wütend und verzweifelt. „Nein. Hast du nicht.“ Ich hatte ihm Unrecht getan, ich hätte ihn nicht so angreifen sollen. „Und du hast Recht. Er hat sich auch nicht fair verhalten. Es wäre womöglich besser, wenn du wieder zu dir nach Island gehst.“ Als ein Lächeln sich auf seinem Gesicht ausbreitete fügte ich noch etwas hinzu. „Um weiteren Konflikten mit deinem Bruder zu entgehen, die nicht immer so glimpflich wie gestern Abend ausgehen werden.“ Er grinste immer noch. „Ich werde gehen. Unter einer Bedingung.“ Ich zog eine Braue hoch. Ich wusste was er meinte, aber ich versuchte es tapfer zu verdrängen und mir einzureden, dass es das nicht wäre. Töricht. „Du kommst wieder mit.“ Natürlich. Was sollte ich denn jetzt machen? Ich wollte nicht, zumindest nicht direkt, mit ihm zurück, aber ich wollte auch nicht, dass er und Stayr sich ständig streiten. „Wir müssen hier erst Mal einen Krieg hinter uns bringen. Danach kannst du mich nochmal fragen, obwohl meine Antwort jetzt schon feststeht. Ich werde nach all dem Mist hier wieder zurückgehen und mein altes Leben aufnehmen. Und da kannst auch du nichts dran ändern.“ Entgegnete ich und machte mich schnell auf den Weg zur Tür. Ich wollte gerne etwas frühstücken, und wenn ich so von ihm wegkam, umso besser. Als ich an der Tür war, hörte ich noch mal seine Stimme. „Du kannst nicht ewig davonrennen, Xanna.“ Ich schmiss die Tür hinter mir zu und rannte fast nach unten. Dort wäre ich fast mit Stayr zusammengestoßen. Er sah mich überrascht an. „Alles in Ordnung?“ fragte er. Ich nickte und ging an ihm vorbei in den Saal. Fehlte mir gerade noch, dass er wusste, dass Camden in meinem Zimmer übernachtet hatte. Ich stopfte mein Essen in mich rein und verbrachte den Tag damit, Camden aus dem Weg zu gehen und tatsächlich sah ich ihn den ganzen Tag über nicht mehr, genauso wenig wie Stayr. Fi, Cannes und Angel sah ich erst beim Abendessen und die Stimmung war bedrückt. Ich wusste nicht, ob es wegen dem bevorstehendem Krieg war oder wegen den Geschwistern. Ehrlich gesagt war mir es auch egal, solange ich einfach nur bald wieder nach Hause konnte. Nach dem Essen wünschte ich allen eine gute Nacht und ging hinauf in mein Zimmer. Hier gab es echt nichts, was man machen konnte, außer schlafen, essen oder nach draußen gehen. Ich entschloss mich für das Erstere und machte mich bettfertig. Ich hatte keine Ahnung, wie lange das noch so sein würde. Wie lange ich noch hier bleiben würde. Ich wollte Fi und Angel zwar nicht im Stich lassen, aber ich hatte immer mehr Heimweh, wenn man es denn so bezeichnen konnte. Ich legte mich ins Bett, aber erst nachdem ich mich vergewisserte hatte, dass Camden nicht in meinem Zimmer war.

                Ich stand vor einem großen, schönen Haus, das von einem gepflegten Vorgarten umsäumt war. Es war alles merkwürdig vertraut und ich schritt den gepflasterten Weg entlang zur Haustür. Diese stand offen, doch ich dachte mir nichts dabei und ging hinein. Es war alles so, wie es sein sollte, ordentlich und aufgeräumt. Aus der Küche roch es nach frischem Kuchen. Ich folgte diesem Geruch und fand die Küche zerstört und chaotisch vor. Der Kuchen lag zerkrümelt und in vielen einzelnen Teilen auf dem Boden und die Kaffeetassen waren auf dem Boden zerbrochen und die vielen Scherben lagen verteilt überall. Nein. Ich hatte Angst davor, einen Blick in den Raum neben der Küche zu werfen. Ich wusste einfach was mich dort erwarten würde. Bedächtig und mit zitternden Gliedern lief ich durch die Küche und als ich den Türrahmen zum Wohnzimmer erreicht hatte, schloss ich die Augen. Ich holte tief Luft, um meinen Mut zu sammeln, damit ich sie öffnen konnte, aber mir drang ein ekeliger Blutgeschmack in den Mund. Angewidert und erschrocken riss ich die Augen auf und sah sie sofort. Meine Eltern und mein Bruder lagen tot und mit aufgerissenen Augen auf dem Boden. Wie damals sog sich der helle Teppich mit dem Blut voll und färbte sich immer dunkler. Nein! Mein Blick glitt zu etwas anderem, was neben meiner Familie lag. Es waren fünf andere Personen. „Nein!“ schrie ich, dieses Mal laut. Dort lagen neben meiner Mutter, meinem Vater und meinem Bruder, Fi, Cannes, Angel, Stayr und Camden. „Nein.“ Murmelte ich und sank auf die Knie. Die Leere, die mich beim ersten Mal erfüllt hatte, trat auch jetzt wieder ein und übernahm meinen Körper und Verstand. Sie alle hatten denselben Blick wie die anderen, aber sie hatten keine Bissspuren am Hals. Sie hatten einen Einstich, direkt über ihrem Herz. Sie waren erstochen worden. Götter. Ich vergrub mein Gesicht schluchzend in meinen Händen. Etwas Kaltes und Metallenes drängte sich an meine Wange und ich öffnete die Augen. In meiner Hand war ein langes Silbermesser, verschmiert von Blut. Ich schmiss es weg. Meine Hände und Arme, sowie meine Klamotten waren voller Blut. Ich sah ungläubig an mir herunter. Eine Bewegung rechts von mir ließ mich zusammenzucken und herumfahren. Da war ich! Ein Spiegel zeigte mich, mein Gesicht war voller Blut. Ein Lächeln breitete sich auf ihm aus und erschrocken sah ich zu, wie es mein Gesicht übernahm. Ich schlug auf den Spiegel ein, doch er zerbrach nicht.

                Ich saß aufrecht im Bett und keuchte. Nur ein Traum. Es war nur ein Traum. Ganz ruhig. Es dauerte lange, bis mein Atem sich einigermaßen beruhigt hatte. Ich musste hier raus. Ich zog mir schnell die Jogginghose von gestern über und schnappte mir meine Jacke. Dann rannte ich die Treppe hinunter, durch die Halle und in den Wald. Ich rannte den Pfad entlang immer und immer weiter. Ich musste hier weg. Als ich das Haus hinter mir nicht mehr sehen konnte, hielt ich an und brach an einem Baum zusammen. Tränen rannen mir heiß über die Wangen und fielen in den Schnee. Alle tot. Sie alle lagen in dem blutigen Wohnzimmer. Ich konnte immer noch ihre Gesichter mit demselben anklagenden Blick vor mir sehen. Ich war ein Monster. Ich lehnte mich an den Stamm, zog meine Beine ganz dicht an meinen Körper und schlang meine Arme darum. Dann vergrub ich mein Gesicht an meinen Knien und ließ meine Haare wie ein Vorhang darum fallen. Ich konnte einfach nicht aufhören zu weinen. Die Tränen flossen unaufhörlich. Allerdings versuchte ich auch nicht wirklich aufzuhören. Mir war es egal, ob ich weinte, schluchzte und zitterte. Ich war hier alleine und musste mich nicht als die starke Xan geben, die ich die letzten zwei Jahre lang durchgängig gespielt hatte. Ich musste mich jetzt nicht verstecken. Nach ungefähr einer halben Stunde wurde es allmählich weniger und ich hatte das Gefühl an dem Baum festgefroren zu sein. Mir war eiskalt und ich zog die Jacke enger um mich, die ich in der Hast gar nicht geschlossen hatte. Ich wischte mir mit dem Ärmel die Tränenspuren von den Wangen. Als ich dachte ich könnte wieder aufstehen, streckte ich meine Beine und zog mich an dem Baum hoch. Doch als ich stand, zitterten meine Beine viel zu sehr, sodass ich noch nicht mal alleine stehen konnte. Ich ließ mich wieder nach unten sacken und lehnte mich erschöpft an den Stamm. Die Bäume über mir verdeckten den Himmel, doch zwischen ein paar Zweigen konnte ich die Sterne funkeln sehen. Sie waren nicht so zahlreich wie in Island, aber trotzdem erfühlte mich ihr Anblick mit Ruhe. Ich fühlte mich ein weniger wie das Monster aus meinem Traum. Dieser Gedanke machte mir sofort ein schlechtes Gewissen. Ich war ein Monster. Beschämt senkte ich den Blick und fing wieder an zu weinen. Doch ein Geräusch ließ mich aufhorchen und die Tränen ignorieren. Es hörte sich fast so an, als ob mich jemand rufen würde. Aber es hatte doch niemand bemerkt, dass ich nicht mehr im Haus war, oder? Ich hörte, wie die Rufe näher kamen. Camden! „Xan! Verdammt noch mal, antworte!“ brüllte er durch die Dunkelheit. Ich blieb still sitzen, da ich nicht wollte, dass er mich in diesem Zustand sah. Ich versuchte mich noch kleiner zu machen und noch mehr mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Vielleicht würde er mich nicht sehen. „Xan!“ Er kam immer näher. Ich hielt die Luft an und beruhigte mein schnell schlagendes Herz. Eine Weile war es ruhig und ich stieß die angehaltene Luft aus. Er war an mir vorbeigelaufen. Ich löste die Anspannung in meinem Körper ein wenig und sackte wieder gegen den kalten Stamm. Ich spürte, wie meine Hose sich mit dem Schnee vollsog und erzitterte. Ich musste irgendwie wieder ins Haus, damit ich nicht erfror, was bei den gegenwärtigen Temperaturen sehr wahrscheinlich bald sein würde. Ich stemmte meine Hände in den Schnee, ignorierte die schmerzhaft beißende Kälte und versuchte mich hochzustemmen. Nichts. Ich sackte wieder zusammen und keuchte. Aber ich würde nicht aufgeben. Ich versuchte es wieder und wieder, doch meine Finger rutschten vom Stamm, als ich mich hochziehen wollte. Meine Beine gaben unter meinem Gewicht nach, obwohl ich noch nicht mal richtig stand. Gerade als ich entmutigt zusammen sank, Füße und Finger nicht mehr spüren konnte, hörte ich ein leises Knacken, als ob jemand auf einen Ast tritt. Dann ertönte ein Fluch und Schritte kamen näher. Scheiße! „Xan.“ Sagte er und ich hörte den Schnee unter seinen Füßen, als er auf mich zukam. Als er neben mir stand und auf mich hinuntersah, starrte ich auf den Boden zu meinen Füßen. Er sollte nicht sehen, wie aufgelöst und verzweifelt ich war. Warum auch musste er unbedingt nach mir suchen? „Was machst du denn hier?“ fragte er sanft. Ich reagierte nicht. Er sollte wieder verschwinden! „Komm, ich bringe dich rein.“ Versuchte er es erneut. Ich spürte, wie er sich zu mir herunterbeugte und seine Arme um meinen Körper schob. Er hob mich sacht an und nahm mich auf seine Arme. Halt! Ich wollte das nicht. Ich wollte an dem Baum gelehnt weinen, bis ich nicht mehr weinen konnte. Ich wollte den Sternen zusehen, wenn sie über den Himmel wanderten, ich würde erfrieren, aber ich hatte mich damit abgefunden. Mein Leben war kaputt, ich war kaputt und es hatte alles keinen Sinn mehr. Und bevor mein Traum sich bewahrheitet, würde ich lieber hier am Baum festfrieren, mit dem Blick in den Himmel. „Lass...“ meine Stimme klang kratzig und ich unterbrach mich. Mein Gesicht hatte ich immer noch abgewandt. Trotzdem versuchte ich es nochmal. „Lass... mich runter.“ Sagte ich leise und ich hoffte, dass er es verstanden hatte. Er schien sie zu verstehen und befolgte sie merkwürdiger Weise zum ersten Mal. Er ließ mich an einen anderen Baum langsam hinunter, sodass ich mich dagegen lehnen konnte. Meine Beine waren zwar nicht mehr ganz so schwach wie vorher, aber sie würden mich nicht lange tragen können. Vom Laufen ganz zu schweigen. Konnte er mich nicht einfach in meinem Elend alleine lassen? Meine Beine zitterten und ich wankte, obwohl ich mich an dem Baum festkrallte. Camden entging das nicht. Er legte mir einen Arm um die Taille und hielt mich mehr, als ich es tat. „Wir müssen rein, Xan. Komm schon.“ Murmelte er verschwörerisch und zog vorsichtig an mir. Mit dem Gedanken, dass er mich drinnen hoffentlich alleine lassen würde, damit ich mich unter die warme Decke verkriechen konnte, ließ ich den Baum los und versuchte zu laufen. Ich schaffte drei, vielleicht vier Schritte, dann sackte ich zu Boden. Bevor meine Knie den Boden berühren konnten, hatte Camden mich schon aufgefangen und an sich gezogen. Mein Kopf fiel müde gegen seine Brust und ich schloss die Augen. Ich hatte keine Lust mehr. Camden stieß noch einen Fluch aus. „Was ist los? Was ist passiert, dass es dich so aus der Fassung bringt und mitten aus der Nacht aus dem Haus treibt?“ fragte er und ich hörte leicht Verzweiflung in seinem Ton mitschwingen. Er hob mich wieder hoch und ich merkte, wie er lief. „Alptraum.“ Murmelte ich. „Alptraum?“ Bilder von toten Menschen und Vampiren, meinen blutigen Händen und das Lächeln auf meinem Spiegelbild drängten sich in meine Gedanken. Ich keuchte und drückte mein Gesicht enger an seine Brust. „Tot... ihr wart alle tot... ich...“ stotterte ich und brach ab. Camden drückte mich an sich und lief schneller. „Schhh. Es ist vorbei. Alles ist gut.“ Sagte er leise. Er hatte Recht – es war wirklich alles vorbei, wenn ich nicht so schnell es geht zurück nach Deutschland komme. Warum verstand das denn keiner? Ich musste hier weg. Ich löste mich von ihm und versuchte mich loszumachen. Er stellte mich vorsichtig wieder hin, behielt seine Hand aber noch auf meinem Rücken, um einen eventuellen Sturz zu vermeiden, wofür ich ihm insgeheim dankbar war. „Nein. Es ist nicht alles gut. Versteht ihr das denn nicht? Egal wie lange ich hier oder in Island sein werde, es wird niemals alles gut sein.“ Ich zitterte, mir war so kalt wie noch nie in meinem Leben und ich wollte nichts mehr, als sterben oder schlafen. Zum Glück war meine Stimme wieder einigermaßen normal, sodass ich mich zwar mühsam, aber verständlich ausdrücken konnte, sodass dieser nervig optimistische Idiot endlich mal verstand, wie es mir ging. „Du hast gesagt, dass du immer wieder Deishas Gesicht siehst. Mir geht es genauso. Immer und immer wieder sehe ich ihre Gesichter, das Blut, die Bisse. Immer wieder fühle ich denselben Schmerz von damals. Immer wieder möchte ich mich in eine Ecke verkriechen und heulen wie ein kleines Kind. Aber das habe ich nie getan. Ich habe mich immer zusammengerissen. Aber ich hatte zumindest etwas an dem ich festhalten konnte. Meiner Wut auf euch. Auf alle Vampire. Doch dann kommst du daher und stellst mein gesamtes Leben auf den Kopf! Du hast mein Bild über euch Vampire kurz und kleingeschlagen und völlig anders wieder zusammengesetzt. Nur das Problem ist, ein Teil sträubt sich dagegen. Der Teil, der Spaß daran hatte, alles zu töten, was zwei Fangzähne besaß und es tat um wenigstens etwas wieder gutzumachen. Denn egal wie oft du mir erzählst, dass ich nicht Schuld bin, ich werde immer wissen, dass ich mindestens eine Mitschuld hatte, Camden.“ Er sah mich nachdenklich an und ich stützte mich schwer auf seinen Arm, denn meine Kräfte schienen mich wieder zu verlassen. Ich wich seinem Blick aus und versuchte trotz meiner Unsicherheit, zum Haus zu gehen, was mittlerweile schon in Sicht war. „Warte. Vielleicht hast du Recht. Ich habe all das getan, was du gesagt und mir vorgeworfen hast. Aber hast du schon mal darüber nachgedacht, dass das was du tust nicht das Richtige ist? Für dich und für andere? Was wäre wenn du mit deiner Vergangenheit klarkommen würdest, glücklich wärst und so leben könntest wie du es willst?“ Ich schnaubte, ein kratziges Geräusch, was mir schmerzhaft ihm Hals rieb. „Meinst du ich bin da nicht schon von alleine draufgekommen? Meinst du nicht, dass ich weiß, dass das was ich tue alles falsch ist?“ sagte ich frustriert. Ich spürte, wie die Müdigkeit mich übermannte und meine Beine wieder schwächer wurden. Aber ich wollte nicht wieder gegen ihn sinken, nachdem er so über mich dachte und mir solche Wörter an den Kopf geknallt hatte. Und weil er Recht hatte. Ich musste es nur bis zum nächsten Baum schaffen, dann immer so weiter und schließlich ins Haus, in mein Zimmer, in mein Bett. Doch wie sollte ich dahin kommen? Ich war viel schwächer, als ich dachte. Aber wieso? Das kann doch nicht nur von dem Heulen und der Kälte kommen. Dennoch fühlte mich schwach wie ein kleines Kind. Camden hielt mich auf und schlang mir einen Arm um die Taille. „Hey. Ganz ruhig. Das wird schon, du musst es nur versuchen.“ Flüsterte er mir ins Ohr. Ich lehnte mich an ihn und hoffte, dass er mich einfach nur schnell nach oben brachte. Ich hatte jetzt keine Lust auf irgendwelche tiefsinnigen Gespräche mit ihm. „Und ich werde dir dabei helfen. Schließlich sind Freunde dafür da.“ Ja, für so was sind Freunde da, aber wir waren keine Freunde. Keine Ahnung was wir waren, aber keine Freunde. Freunde küssten sich nicht. Freunde benahmen sich nicht so, wie wir uns benahmen. Aber trotzdem war ich neugierig, wie er mir helfen wollte. Ich zog eine Braue hoch und starrte ihn müde und fragend an. „Du wirst mit mir kommen. Die Werwesen werden sich von ihrem Angriff erholen und neu formatieren, was eine Weile dauern wird. Deshalb werde ich morgen nach Island zurückkehren. Und du wirst mitkommen.“ Wow, wie vollkommen sicher er sich war! Aber er konnte doch nicht wirklich glauben, dass ich mit ihm ging. Ich war doch vor ihm davongelaufen! Wieso sollte ich das dann tun?! Ich wollte nicht mit ihm gehen. Ich wollte einfach zurück nach Hause. Weg von all den Vampiren, die ich nicht umbringen konnte. „Was hältst du davon?“ fragte Camden mich und drehte mich so, dass ich ihn ansehen konnte. „Du glaubst wahrscheinlich auch noch an den Weihnachtsmann, oder?“ fauchte ich leicht und drehte mein Gesicht weg von ihm. Ich konnte ja nicht weglaufen. Kriechen vielleicht, aber das wäre zu erniedrigend. Also hatte ich nur die Möglichkeit, still an ihn gelehnt stehen zu bleiben. „Wieso bist du jetzt wieder so gemein. Ich will dir doch nur helfen. Ich hätte auch sagen können...“ seine Stimme wurde dunkler „... dass du mitkommen wirst, egal was du sagst. Ich habe nicht vor dich hierzulassen. Also entweder entscheidest du dich freiwillig dafür oder ich werde dich in das Flugzeug schleifen.“ Das hat er aber sehr nett gesagt. „Du hast doch zu Stayr gesagt, dass du es nicht magst und zulässt, dass er dir sagt was du zu tun hast. Tja, genauso geht es mir gerade. Eigentlich schon seitdem du mich aus dem Restaurant mitgenommen hast.“ Er sah schmunzelnd auf mich herunter. „Ich mag es wirklich nicht, dass er mich ständig zurechtweist, wenn es um dich geht. Aber im Gegensatz zu ihm habe ich einen richtigen Grund für meine Anweisungen. Er hat nicht zu befürchten, dass du eines Tages tot auf dem Boden liegst. Jedoch will ich dir jetzt helfen. Und wenn ich dich zu deinem Glück zwingen muss.“ Ich boxte ihm schwach mit meiner Faust gegen die Brust. „Und was wenn ich nicht will?! Wenn ich richtig bockig werde und mich zum Beispiel ans Bett kette, damit du mich nicht mitnehmen kannst?“ Er lachte. „Mir würde da schon so einiges einfallen, was ich machen könnte, wenn du am Bett festgekettet bist. Aber das ist nicht relevant. Mir ist egal, ob du mitwillst oder nicht. Du wirst mitkommen.“ Er lief wieder los und zog mich mit. Na ja, er trug mich fast. Wir kamen nach einiger Zeit endlich im Haus an und er trug mich die beiden Treppen hoch. Er schleppte mich in mein Bett und legte mich unter die Decke. Sofort umfing mich Wärme, die langsam aber sich die Kälte vertreiben würde. Dann grinste er mich an. „Wir sehen uns dann in ungefähr fünf Stunden. Schlaf gut.“ Er drehte sich um, lachte und ging zur Tür. „Und das mit den Ketten am Bett würde ich mir noch mal überlegen.“ Murmelte er und verließ mein Zimmer. Mistkerl. Ich drehte mich auf die Seite und schlief sofort ein.

                Am nächsten Tag wachte ich alleine in meinem Zimmer auf. Keine wütende Angel, kein Camden, der meinen Sessel als Bett missbraucht. Jedoch würde dieser gleich kommen um mich wieder einmal zu entführen und da wollte ich wenigstens geduscht und nicht in Schlafklamotten sein. Ich kramte die letzten Sachen hervor, duschte mich schnell und kämmte meine Haare. Als ich es nicht mehr weiter aufschieben konnte, ging ich in durch mein Zimmer. An der Tür blieb ich noch mal stehen und drehte mich um. Wer weiß, wann ich all das hier wiedersehen würde. Es war zwar bald der Krieg, aber ob ich in dem mitspielen würde, war ungewiss. Ich schloss die Tür hinter mir und ging nach unten in den Saal. Stefan brachte mir ein leckeres Frühstück, welches ich mit Sehnsucht verschlang. Ich blieb sitzen, bis Fi hereinkam. Sie setzte sich neben mich und sah mich an. Dann grinste sie. „Wir sollten Stayr erst Mal nicht sagen, dass ihr wieder zusammen verschwindet.“ Sagte sie. Ich nickte. „Aber das werden wir so oder so nicht lange vor ihm geheim halten können. Deswegen musst du dich bald entscheiden. Entweder für Stayr und gegen Camden, oder für Camden und gehst damit das Risiko ein, dass du Stayrs Wut auf dich ziehst.“ Sie küsste mich auf die Wange und verließ den Raum wieder. Ich stand auch auf und verließ den Raum nach ihr. Angel war an der Tür und sah mich nicht an. Sie war wohl immer noch sauer. „Ich ähh... wollte Tschüss sagen.“ Sagte ich und ging einen Schritt weiter auf sie zu. „Ja.“ Sie drehte sich herum und starrte mich an. „Ich hoffe, dass wir uns wieder sehen. Für dich hoffe ich das.“ Dann kam sie auf mich zu, umarmte mich kurz und ging dann auch davon. Nicht so gefühlvoll!, dachte ich. Ich trat an die Tür. Dämlicher Idiot. Wie kann er es wagen mich einfach so mitzunehmen? Was wäre, wenn ich hierbleiben würde? Wenn ich mich weigerte? Ich hatte vier Vampire hinter mir, die mich beschützen würden. Sie würden mich hierbehalten wollen und Camden könnte nichts gegen sie ausrichten. Warum also ging ich zur Tür und wartete auf ihn? Wieso lief ich nicht weg? „Oh, du bist ja schon da. Na gut. Komm.“ Er ergriff mich am Arm und führte mich nach draußen. Dort stand ein kleiner Wagen, ein Combi. Ich hatte ihn hier noch nie gesehen, wahrscheinlich würden wir damit hinfahren und ihn dann da stehen lassen. Im Vergleich zu den anderen Autos, Häusern und deren Innenausstattung, war es gar nichts. Er setzte sich ans Steuer und wartete auf mich. Ohne ein Wort setzte ich mich neben ihn und er startete den Motor.

Camden überließ mir wieder dasselbe Zimmer und er nahm das, was er gehabt hatte. Ich ließ mich nach der langen Reise, auf der ich kein Auge zugemacht hatte, auf das Bett fallen. Ich war hundemüde und brauchte jeden Schlaf, den ich bekommen konnte. Also rollte ich mich zusammen, kuschelte mich unter die Decke und schloss erschöpft die Augen. Der Flug war lang gewesen und ich hatte mich geweigert mit Camden zu sprechen. Ich war immer noch sauer auf ihn, weil er mich einfach mitgenommen hatte und mir noch nicht einmal sie Wahl gelassen hatte. Ich wollte doch nur zurück nach Hause. Zu meinem Auto, meinem Bett und meiner Wohnung. Er hatte nicht das Recht, mir das vorzuenthalten. Ich legte mich auf den Rücken und zog mir mit einem Seufzen die Decke über den Kopf. Es war alles so nervend! „So schlimm?“ fragte eine Stimme. Erschrocken zog ich die Decke wieder nach unten und starrte in die Dunkelheit. Die Nacht war bewölkt, sodass keine Sterne und kein Mond da waren, die mir Licht geben könnten. Deshalb sah ich Camden erst als er direkt neben dem Bett stand. Ich setzte mich auf. „Was willst du hier? Ich bin müde und will schlafen.“ Sagte ich. Doch anstatt wieder rauszugehen, setzte er sich auf mein Bett und sah mich an. „Du weißt, wieso du hier bist, oder? Ich will dich nicht damit ärgern, wirklich nicht. Aber wenn du zurück zu deiner Wohnung, deinem alten Leben, gehen würdest, würdest du wieder so weitermachen wie bisher und das will ich nicht. Irgendwann würde der Vampir kommen, der sich nicht so leicht umbringen lässt wie seine Vorgänger. Dann würdest du tot auf dem Boden liegen – nicht sie.“ Ich zuckte mit den Schultern. Mit dieser Option hatte ich die ganze Zeit gelebt und es war mir egal gewesen. „Das kann nicht dein Ernst sein. Du willst dich umbringen, nur weil deine Familie tot ist?“ Er schüttelte den Kopf. „Du bist verrückt. Jetzt weißt du, wieso ich dich hierbehalte. Ich habe nämlich keine Lust, eines Tages neben deinem Grab stehen zu müssen und zusehen zu müssen, wie deine kalte Leiche hineingelegt wird. Wenn es nötig ist, werde ich dich für den Rest deines Lebens hierbehalten. Du wirst mir nicht so leichtsinnig dein Leben aufs Spiel setzen!“ Ich lächelte leicht. Ich hatte ihm alles verraten, mehr noch als meinen Freunden und meine schlimmsten Geheimnisse. Und trotzdem versuchte er noch mich da raus zu holen. Er war zu gut für mich. Aber ich musste trotzdem zurück. Ich kann hier nicht für immer untätig rumsitzen. Ich beugte mich vor und küsste ihn auf die Wange. „Du bist so nett zu mir. Aber trotzdem werde ich gehen, Camden.“ Sagte ich leise. Er zog die Augenbrauen zusammen. Dann beugte er sich zu mir und brachte sein Gesicht vor meines. „Ich habe nicht gesagt, dass du nicht wieder gehen darfst. Wenn ich mir sicher sein kann, dass du ein normales Leben führen wirst und mit deiner Vergangenheit abgeschlossen hast, dann steht es dir frei zu gehen wohin du willst.“ Er sah mir in die Augen und ich starrte zurück. Vergangenheit abschließen, ha! Was dachte er denn, hatte ich die letzten Jahre gemacht? Mich neben ihr Grab gestellt und Freudentänze veranstaltet? Mich in meinem Bad eingeschlossen und geheult? Nein. „Ich habe damit schon längst abgeschlossen, oder siehst du mich ständig wegen ihnen heulen? Ich lebe soweit ich weiß wie ein ganz normaler Mensch, sogar ohne Depressionen.“ Er lachte leise. „Wie ein normaler Mensch? Also ich kenne keinen Menschen, der Vampire jagt. Und mit abschließen meine ich nicht verdrängen. Ich meinte damit, dass du dich von allen Schuldgefühlen befreist und dein Leben ohne selbstauferlegte Wiedergutmachungen leben kannst. Verstehst du? Du sollst für dich leben, nicht für deine Familie.“ Ich ließ mich müde in die Kissen sinken. Er hatte Recht und das musste ich mir leider eingestehen. Aber was sollte ich denn jetzt dagegen tun? Ich schloss die Augen. Wenn er all das sagte, klang es so einfach. Einfach abschließen, mein Leben leben und das tun, was ich wollte. Ich spürte seine Hand an meinem Gesicht, wie sie mir eine Haarsträhne zurückstrich. Ich öffnete meine Augen wieder. „Ich hab keine Ahnung, wie ich das anfangen soll. Ich hab gar keine Ahnung. Von allem.“ Camden ließ seine Hand zu meiner Wange gleiten und ließ sie dort. „Das wird schon. Du musst nur Geduld haben, glaub mir.“ Flüsterte er und lächelte mir aufmunternd zu. Ich atmete ein, setzte mich gerade hin und nickte. Keine Ahnung wie, aber ich würde das schon schaffen, wie ich alles immer geschafft hatte. „Lass das. Sag die Wahrheit und versuch nicht immer nur stark zu sein.“ Ernüchtert sackte ich wieder zusammen. Er hatte schon wieder Recht. Ich war mir gar nicht sicher, ob ich das schaffen würde. Ich nickte ihm wieder zu. Jetzt grinste er. „Geht doch. Und jetzt, küss mich.“ Ich riss meine Augen auf und starrte ihn erschrocken an. „Was?“ fragte ich ungläubig. Das hatte ich doch gerade geträumt, oder? Er hatte mir nicht wirklich gesagt, dass ich ihn küssen sollte. „Küss mich.“ Wiederholte er. Keinen Zweifel, er hatte es wirklich gesagt. Für wen hielt er sich eigentlich? Ich boxte ihn gegen den Arm, was ihn jedoch nur zum Lachen brachte. Dann beugte er sich vor. Küsste mich. Ich sollte ihn wegstoßen und rausschmeißen. Ich hätte ihn wenigstens zurückdrücken sollen, aber ich tat gar nichts dergleichen. Er griff meine Arme und zog mich an sich. Ich hätte wirklich etwas tun sollen. Aber ich schlang im die Arme um den Hals und küsste ihn zurück. Er lachte leise und drückte mich an das Kopfende. Sein Mund wanderte zu meinem Hals und mein Herz schlug höher. Sein Mund war eindeutig zu nah an meiner Halsschlagader, seine Reißzähne viel zu nah. Ich wartete auf das Angstgefühl, doch es blieb aus. Stattdessen spürte ich nur seinen Mund überdeutlich an meiner Haut. Ich bog mich ihm entgegen. Er lachte leise und küsste mich wieder auf den Mund. Ich ließ meine Hände in seine Haare wandern. Sie waren so weich! Schließlich löste er sich von mir. Meine Arme lagen immer noch im seinen Hals und seine lagen noch auf meiner Hüfte. Er grinste mich an. „Das ist doch schon mal ein guter Anfang.“ Murmelte er. Dann küsste er mich noch mal, zog sich jedoch schnell wieder zurück und stand auf. Er ging zur Tür und öffnete sie. „Gute Nacht Xan.“ Sagte er leise und verließ dann den Raum. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen und sank zurück unter die Decke. Das Lächeln immer noch im Gesicht, schlief ich endlich müde ein.

„He, aufstehen. Wir haben heute noch was vor und außerdem hast du jetzt lange genug geschlafen, es ist schon fast zwölf Uhr!“ Ich zuckte zusammen, machte meine Augen einen Spalt auf und sah Camden direkt vor mir aufragen. „Was zur Hölle...“ murmelte ich verschlafen und setzte mich auf. Er lächelte. „Gut, du bist endlich wach. Los mach schon, wir wollen los.“ Sagte er aufgeregt. Ich zog die Brauen zusammen und blinzelte ihn an, weil es so verdammt hell war. „‚Wir wollen los‘?“ wiederholte ich seine Worte fragend. Er nickte und zog mir die Decke weg. Konnte er es nicht etwas ruhiger angehen lassen? Ich war doch so müde! „Na los, geh duschen, zieh dich um und beeile dich. Ich warte unten.“ Er verließ schnell den Raum, damit ich mich fertig machen konnte. Mit einem Seufzen stand ich auf, kramte in dem riesigen Schrank nach Klamotten und ging mich duschen, umziehen und Zähne putzen. Nach ungefähr einer halben Stunde – und ich hatte mich beeilt – kam ich endlich unten in die Küche, wo ich ihn vermutet hatte. Er saß auf einem Stuhl und unterhielt sich mit der netten, alten Dame. Sie lächelte mir freundlich zu, nickte Camden und verließ dann den Raum. Ich setzte mich an den Tisch und fragte mich, wo ich einen Kaffee herbekommen würde. Doch außer uns war niemand hier und die Küche war so groß und mit so vielen Sachen zugestopft, dass ich keine Kaffeemaschine ausmachen konnte. „Krieg ich einen Kaffee?“ fragte ich Camden. Er schaute mich an. „Ich wünsche dir auch einen guten Morgen. Und Kaffee brauchst du jetzt nicht. Komm mit.“ Er stand auf und zog mich am Arm mit. Mit einem sehnsüchtigen Blick auf die Küche ließ ich mich mitziehen, mittlerweile wusste ich, dass Wiederworte bei ihm nicht viel brachten. Er zog mich raus, zu seinem Auto. Er öffnete mir die Beifahrertür und nachdem er die hinter mir geschlossen hatte, setzte er sich neben mich hinters Steuer. Er parkte rückwärts aus, fuhr durch das kleine Tor und durch die hügelige Landschaft. Ich konnte meinen Blick nicht davon losreißen, sie war einfach wunderschön. Dieses Grün, was es in allen möglichen Schattierungen gab, war überall und wurde nur ab und zu unterbrochen. Genau wie letztes Mal. Ich hatte gar nicht auf die Zeit geachtet, doch als ich einen Blick auf das Armaturenbrett warf, sah ich dass es schon kurz vor zwei war. Die Zeit war aber ziemlich schnell vergangen! Ich sah Camden an, der die Fahrt auch zu genießen schien. Er achtete zwar auf die Straße, doch ich sah, dass er merkte, dass ich ihn ansah. „Wo fahren wir hin?“ fragte ich und sah auf die Landschaft. Sie war zwar wunderschön, aber doch immer dieselbe. Und das hatten wir ja auch bei ihm zu Hause. „Wirst du gleich sehen.“ Sagte er und fuhr langsamer. Rechts war eine kleine Ausfahrt, die von der Hauptstraße auf einen Feldweg führte. Auf dem fuhren wir auch eine Weile, bis ein kleiner Platz zu sehen war, gerade groß genug war für sein Auto. Er sah mich an. „Mach die Augen zu. Und nicht schummeln!“ Ich schloss die Augen und blieb sitzen. Er öffnete mir die Tür und führte mich vorsichtig hinaus auf den kleinen Platz. Ich spürte den kühlen Wind in meinen Haaren und konnte das Gras riechen. Ich spürte seinen festen, aber nicht schmerzhaften Griff an meinem Arm und zog mich sanft an seiner Seite zu seinem Ziel. „Schummelst du? Nicht schummeln!“ sagte er und ich konnte sehen, wie er mit seiner Hand vor meinem Gesicht herumwedelte. „Keine Angst, tue ich schon nicht.“ Erwiderte ich und ich merkte, dass es bergab ging. So langsam wurde ich neugierig. „Wo gehen wir denn hin?“ fragte ich. „Siehst du gleich.“ Er hörte sich genauso ungeduldig an wie ich mich fühlte. Wir liefen noch gefühlte Stunden diesen Berg hinunter, bis wir wieder waagerecht liefen. Als wir endlich stehenblieben, hörte ich leise Wellen rauschen. Wo waren wir hier? Er legte mir die Hände auf die Augen und drehte mich etwas. „Kann ich es jetzt sehen?“ Ich quengelte schon fast wie ein kleines Kind. Er lachte leise. „Ja, du kannst die Augen aufmachen.“ Sagte er. Ich öffnete die Augen und schaute kurzzeitig auf seine Handflächen, dann nahm er sie weg. Mir stockte der Atem. Ich sah auf ein Tal, was von kleinen, grünen Hügeln umsäumt wurde. Und mitten drin lag ein See. Das Wasser war, durch die Spiegelung des Himmels, wunderbar blau und klar. Wir standen an seinem Rand, auf einem kleinen Sandstrand. Ich drehte mich zu Camden um und starrte ihn an. Er schaute mich abwartend an. „Das ist... das ist unglaublich!“ brachte ich hervor. Er fing an zu grinsen. „Das war der Sinn der Sache.“ Arroganter Vampir. Doch es war wirklich schön! Er hatte mal etwas richtig gemacht. Ich ließ mich auf den Sand sinken. „Es ist wirklich schön.“ Wiederholte ich. Er setzte sich neben mich und da sah ich erst, dass er etwas in der Hand hatte. Ich lugte um ihn herum und sah einen großen Korb. Ein Picknick! Ich war am Verhungern und meinen Kaffee hatte ich auch noch nicht. Aber jetzt bestand wieder Hoffnung. Er sah, dass ich den Korb entdeckt hatte und grinste. „Ja, du bekommst jetzt endlich deinen Kaffee.“ Er kramte eine Weile herum und holte zwei Tassen und eine Kanne heraus. Er schenkte uns beiden ein und gab mir Zucker und Milch. Ich lachte. Es war schon komisch, wie banal die Tassen und die Kanne im Gegensatz zu dem See und den Hügeln waren. Er gab mir meinen Kaffee und ich tat Milch und Zucker hinein. Dann nahm ich einen großen Schluck und versuchte einen Blick in den Korb zu werfen. Was hatte er denn noch darin? „Das ist eine Überraschung!“ sagte er schnell und zog den Korb aus meinem Blickfeld. Ich sah ihn bittend an. „Hey! Ich hab Hunger!“ Ich boxte ihn leicht auf die Schulter und tat so, als ob ich vorneherum nach dem Korb greifen wollte, griff in Wahrheit aber hintenherum. Doch er schob ihn weiter nach hinten, außer meiner Reichweite. Verdammt! Als ich meine Arme zurückziehen wollte, legte er mir seine Arme um die Hüften und zog mich an sich. Ich versuchte weiterhin an den Korb ranzukommen, doch er war einfach zu weit weg! Er lachte. Ich setzte mich wieder hin und sah ihn an. „Kann ich bitte etwas zu essen haben? Bevor ich verhungere?“ fragte ich ihn. „Hmmm... Okay.“ Sagte er zögernd und zog den Korb wieder näher. „Geht doch.“ Murmelte ich. Er drückte mir überraschender Weise einen Kuss auf den Mund, bevor ich jedoch irgendwie reagieren konnte, hatte er sich schon wieder zurückgezogen und hob den Korb an. Ich konnte zwar einen kurzen Blick hineinwerfen, aber ich sah trotzdem nichts. Ich machte einen Schmollmund, wich leicht zurück und streckte die Beine aus. „Ach komm schon. Ich will endlich was essen!“ Er lachte wieder und hob eine abgedeckte Schüssel aus dem Korb. Neugierig beugte ich mich vor und wartete sehnsüchtig darauf, dass er sie endlich aufmachte. Als er es dann schließlich tat, konnte ich Brötchen sehen und griff gierig danach. Er sah mich amüsiert an und ich kniff kurz die Augen zusammen, bevor ich in das Brötchen biss. Es schmeckte himmlisch, was vielleicht an meinem Hunger lag. Er deckte eine zweite Schüssel ab, welche Käsewürfel enthüllte. Ich ließ das Brötchen sinken, kniff die Augen zusammen und starrte ihn misstrauisch an. „Wieso machst du das?“ fragte ich ihn. Er sah auf den See und schien nachzudenken. „Ich habe dir gesagt, dass du lernen musst, glücklich zu leben. Und als ich deine Augen gesehen habe, als du in das Brötchen gebissen hast, wusste ich dass du dich gut fühlst. Endlich mal.“ „Ich hatte Hunger!“ erwiderte ich zu meiner Verteidigung. Er lachte wieder. „Ja, das stimmt. Aber du kannst nicht sagen, dass du auch nur einmal an deine selbstauferlegte Aufgabe oder deine Familie gedacht hast, oder? Und genau das war es, was ich erreichen wollte.“ Er hatte Recht, wie immer. Ich hatte kein einziges Mal daran gedacht. „Mhhh...“ murmelte ich und biss wieder in mein Brötchen und griff gleichzeitig nach dem Käse, den er mir gnädiger Weise reichte. Der Tag verging schneller als ich dachte und viel zu schnell verschwand die Sonne hinter den grasigen Hügeln. Es wurde kälter und windiger. Ich hatte keine Jacke dabeigehabt, denn bisher war es ja nur ein wenig kühl gewesen, aber jetzt fehlte sie mir. Ich rieb mir die Arme und fröstelte leicht. „Wollen wir zurückgehen?“ fragte Camden und zwinkerte mir zu. Ihm war nicht kalt, er war ja ein Vampir. Dankbar nickte ich ihm zu und stand auf. Ich half ihm den Korb wieder einzuräumen und wir gingen einen kleinen unscheinbaren Pfad entlang. Als wir wieder oben waren, warf ich einen sehnsüchtigen Blick zurück. „Wir können irgendwann wiederkommen. Es ist sehr schön hier, finde ich.“ Sagte Camden zu meiner Erleichterung und dann stieg ich ins Auto. Er packte den Korb auf den Rücksitz und setzte sich auf den Platz neben mir. Wir fuhren eine Weile schweigsam, doch irgendwie war die Stille anders als die auf der Hinfahrt. Es war nicht dieses ungetrübte Gefühl, sondern fühlte sich fast schon unangenehm an. „Ich danke dir. Es war ein schöner Tag.“ Ich sah sein Profil an, was von der untergehenden Sonne orange angestrahlt wurde. Er sah wunderschön aus. Er schaute zu mir rüber und ich grinste ihn an. Er grinste zurück. „War mir ein Vergnügen.“ Er zwinkerte mir zu und blickte wieder auf die Straße. Ich schaute auf die vorbeiziehende Landschaft und konzentrierte mich nicht weiter auf die fast peinlich stille Atmosphäre. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und die Sterne kamen in dieser Nacht wieder heraus. Ich sah einen Blick auf die Uhr und sah, dass es schon ziemlich spät war. Am Horizont erschienen Lichter und ich hoffte, dass es endlich sein Haus war. Er hielt direkt darauf zu und nach einer halben Stunde erkannte ich das große Haus. Endlich. Als er vor die große Tür fuhr, blieb ich sitzen und kostete die Wärme noch aus. Ich verlor Camden aus den Augen, bis er meine Tür öffnete und sie mir offen hielt. Schnell stieg ich aus und ging zum Eingang. Dann zog ich die Tür auf und hielt sie ihm auf. Er neigte leicht seinen Kopf und schmunzelte „Danke.“ Sagte er und ging in die Küche, um den Korb loszuwerden. Ich ging nach oben in mein Zimmer und lief sofort auf den Schrank zu, um mir einen warmen Pullover rauszusuchen. Ich fand einen großen, grauen Sweater und zog ihn schnell über. Er war von einem weicheren Stoff und ich kuschelte mich hinein. Ich ließ mich rückwärts auf das Bett fallen und schloss erschöpft die Augen. Es war ein schöner Tag gewesen, der mich ziemlich geschafft hat. Jetzt wollte ich nur noch schlafen. Doch ich würde damit wetten, dass Camden noch mindestens einmal reinkommt, wegen irgendwas. Also blieb ich einfach liegen und döste vor mich hin, bis ich tatsächlich die Tür leise aufgehen hörte und dann Schritte, die auf mich zukamen. „Bist du wach?“ fragte er. Ich seufzte und setzte mich auf. „Jep, das bin ich.“ „Ich möchte gerne mit dir reden.“ Er zeigte mit seiner Hand auf das Bett und ich nickte. Er setzte sich neben mich. Dann blieb er eine Weile ruhig. „Was ist denn?“ Ich sah ihn an. Endlich sah er mir ins Gesicht und sein Lächeln war ein wenig gequält, aber auch ein wenig glücklich. Hä? "Ich hatte da eine Idee...“ fing er an, doch unterbrach sich selbst. Ich lächelte ihn leicht an, versuchte ihn aufzumuntern weiter zu reden. „Na los, das ist doch nicht so schwer. Außerdem wissen wir beide, dass ich dir den Kopf nicht abreißen kann.“ Ich grinste ihn an und ein Grinsen huschte auch kurz über sein Gesicht. Na endlich, dachte ich und fragte mich im selben Moment, warum ich wollte dass er glücklich war. Er drehte sich jetzt mit seinem Oberkörper zu mir herum und sah mir fest in die Augen. Oh oh. „Ich hätte eine Idee, wie du vielleicht mit deiner Vergangenheit fertig werden könntest. Zumindest mit der Vampirsache.“ Sagte er. Ich zog die Brauen zusammen und wurde sofort misstrauisch. Aber seine letzte Idee war doch auch gut gewesen! Wieso also sollte diese nicht genauso gut sein? „Und die wäre?“ Ich sah ihn ungeduldig an. Er zögerte ein wenig und druckste herum. „Komm schon, Camden.“ Drängte ich ihn. „Na gut. Ich dachte mir, du würdest das mit der Vampirsache besser auf die Reihe bekommen, wenn du... naja, selber einer wärst. Wenn ich dich in einen verwandeln würde.“ Mein Lächeln gefror mir auf meinem Gesicht und ich erstarrte. Was? Ich sollte ein Vampir werden? Und das sollte mir helfen?! Was für ein kranker Scherz soll das denn sein?! Eine Träne lief mir über die Wange. Ich wusste nicht, ob es Wut oder das Gefühl verraten worden zu sein war. Bei der Verwandlung würde er mein Blut trinken müssen. Er hatte mich nur hierher gebracht, diesen schönen Tag mit mir verbracht, um an mein Blut heranzukommen?! Sonst würde er mir das doch nicht ernsthaft vorschlagen, oder? Ich hatte ihm doch alles gesagt, also wie kam er dann auf so eine dämliche Idee? Er hatte von Anfang an vorgehabt die Vampirkillerin umzubringen. Wie krank konnte ein Vampir sein und wie viel tat er für das Blut eines Menschen?! Das war doch unglaublich! Doch als er bemerkt hatte, dass ich es war, musste er seinen Plan leider umwerfen. Er mochte mich nicht. Camden hatte mich nie gemocht, er wollte nur mein Blut. Camden hob die Hand und wollte mir die Träne aus dem Gesicht streichen, aber ich schlug sie weg. Er konnte mich mal! Ich sprang auf und sorgte dafür, dass ich ihn immer im Blick hatte. Er stand ebenfalls auf und folgte mir einen Schritt. „Ich weiß, dass es für dich überraschend ist, aber du musst doch nicht weinen.“ Sagte er und klang fast ein wenig verzweifelt. Er hatte die ganze Zeit wirklich gut gespielt. Wie konnte er nur? Ich wischte mir mit einer Hand die Träne unsanft aus dem Gesicht und starrte ihn wütend an. Alles, seine Küsse, seine Berührungen  - alles - war nur gespielt gewesen. Und ich bin voll drauf reingefallen. Wahrscheinlich lachte er mich heimlich aus und zählte schon die Tage bis zu meinem Ableben. Ich erinnerte mich daran, als ich vor ihm geflüchtet war. Eine gute Idee. Doch zu dem Zeitpunkt empfand ich schon zu viel von ihm. Ich war in sein Zimmer geschlichen, hatte ihn bewundert und geküsst. Ich dummes, dummes Ding. Wie oft mussten sie mir noch wehtun, bis ich endlich kapierte, dass Vampire durch und durch böse waren?! Die Tränen drohten schon wieder überzulaufen, doch ich drängte sie zurück. Ich hatte schon viel zu viele Tränen für ihn vergossen. Bald würde ich wieder zuhause sein, Vampire jagen und mit meinem Leben spielen. Wie immer, für immer. „Xan, hey! Was ist los? Hörst du mir zu?“ Er kam auf mich zu und wollte mich an den Armen packen, doch ich wich ihm aus und fauchte. „Fass mich nicht an.“ Zischte ich. Er machte große Augen und blieb stehen. Ich zog den Pullover aus und warf ihn aufs Bett. „Ich werde jetzt gehen und du wirst mich nicht aufhalten. Und die anderen Klamotten werde ich dir schicken, wenn du sie unbedingt wiederhaben willst.“ Ich funkelte ihn noch mal an und drehte mich an herum, auf die Tür zu. Jedoch konnte ich sie nicht einmal erreichen, da wurde ich schon gegen die Wand geschubst. „Ich weiß nicht, was du jetzt schon wieder hast, aber deine Stimmungsschwankungen gehen mir echt auf die Nerven! Du bleibst hier, bei mir und wirst nirgends hingehen. Und ich habe keine Lust mehr dir das immer und immer wieder sagen zu müssen. Also, wo ist dein götterverdammtes Problem?“ brüllte er. Ich sah ihn erschrocken an, er hatte mich noch nie so angeschrien. „Mein Problem? Du bist mein Problem. Du hast ständig diese Stimmungsschwankungen. Verdammt nochmal, Camden. War das alles nur ein kleines, lustiges Spiel für dich? Ich fands nämlich gar nicht lustig. Weißt du, du hättest von Anfang an reinen Tisch machen sollen, dann hätten wir dieses Problem jetzt nicht. Ich wäre nicht hier und müsste mich nicht mit einem Vampir rumschlagen.“ Er sah mich an. „Was für ein Spiel? Ich habe nie mit dir gespielt, Xan. Alles was ich gesagt habe, getan habe, habe ich ernst gemeint und für dich getan. Was denkst du denn? Und ja, am Anfang hatte ich vielleicht ein paar Stimmungsschwankungen, was aber an dir liegt. Ich habe dich gerettet, dir mein Zimmer gegeben mit allem Drum und Dran und dann sagst du ‚Ich mach dich kalt‘ und ‚Wir sind keine Freunde‘. Das ist schon ein wenig deprimierend. Verdammt, und als ich gesehen hatte, dass du weg warst, habe ich mir ziemliche Sorgen gemacht. Du kennst dich hier doch gar nicht aus und bist obendrein noch ein Mensch! Dir hätte sonst was passieren können! Und ich will dich hierbehalten, weil ich möchte dass es dir gut geht. Und wenn du dafür über deinen Schatten springen musst und ein Vampir werden musst oder ich dich zwingen muss, ich will dass du hier bleibst. Bei mir.“ Ich sah ihn an. Was sollte ich denn jetzt glauben? Mein Verstand und die Erinnerung an die letzten Jahre und der in ihnen passierten Geschehnisse sagten mir ich sollte ihm eine knallen und dann um mein Leben rennen. Mein Herz, mein weiblicher Instinkt und alles andere hingegen schrien mir zu, dass ich ihm glauben sollte. Dass ich hier bleiben sollte. Und ein winziger Teil flüsterte leise, dass er Recht haben könnte. Wenn ich auch ein Vampir wäre, könnte ich ihn und alle anderen verstehen. Sehen, was dieser kleine Teil die letzten Jahre über gedacht hatte. Das nicht alle böse waren. Dass es auch welche gibt, die nicht besinnungslose Mörder sind. Was sollte ich denn jetzt tun? Ich schaute aus dem Fenster. Die Sterne funkelten hell und der Mond leuchtete in das Zimmer. Die Entscheidung fiel mir letzten Endes eigentlich ganz leicht, was mich ein wenig beunruhigte. Ich sah ihn mit festem Blick an. „Nimm deine Finger von mir.“ Sagte ich ruhig. „Xan, ich...“ „Nimm deine Finger von mir.“ Wiederholte ich mich. Langsam ließ er seine Hände sinken und sah mich an. Ich schob ihn ein Stück von mir weg und ging durch den Raum zum Fenster, um eine bessere Sicht zu haben. Die Sterne waren genauso hell und schön wie an meinem ersten Abend hier. Der Mond hingegen war zu einem Vollmond gewachsen und beherrschte den Himmel. Ich holte tief Luft und drehte mich zu Camden um. Er stand immer noch vor der Wand, seine Arme hingen locker an seiner Seite und er sah mich mit einem undefinierbaren Blick an. Ich stieß die Luft aus und lächelte in leicht an. Dann streckte ich die Arme nach ihm aus. „Komm her.“ Sagte ich. Er legte den Kopf schief und schien herausfinden zu wollen, was ich jetzt wollte. Doch schließlich entschied er sich dafür, auf mich zuzukommen und als er vor mir stand legte ich meine Hände auf seine Arme und zog ihn näher. Jetzt oder nie. „Was machst du?“ fragte er unsicher. Ich lächelte immer noch. „Ich habe mich entschieden. Und du hast Recht. Wenn ich selber einer wäre, kann ich wirklich herausfinden, ob ihr alle so schlimm seid. Und wenn ich doch Recht hatte, bin ich dann viel stärker und schneller und kann dann viel leichter und mit einem geringerem Risiko meiner Tätigkeit wieder nachgehen. Und da ich im Moment keinen geeigneteren Vampir als dich weiß, bist du der Glückliche der mich umbringen darf.“ Als ich ihm gesagt hatte, wie ich mich entschieden hatte, hatte er auch gelächelt, doch bei meinem letzten Satz verzog er sein Gesicht ein bisschen. „Dich umbringen? Das klingt so mies. Ich werde dir dein Leben aussaugen und dich in ein Monster verwandeln.“ Sagte er und kicherte. Haha sehr witzig. Er hob mich hoch und drehte uns herum. „Es freut mich, dass du dich dafür entschieden hast. Ich verspreche dir, dass du es nicht bereuen wirst.“ Er küsste mich kurz. Dann stellte er mich wieder ab und schob mich zu dem Bett. Wie würde er es machen? Fi und Angel hatten nicht viel über ihre Verwandlung gesprochen, würde es wehtun? Wie würde es sein zu wissen, dass man stirbt, oder zumindest nie wieder menschlich sein wird? Ich machte mir die schlimmsten Gedanken und war mir plötzlich gar nicht mehr so sicher. Ich wollte ihn von mir schieben, wir saßen mittlerweile auf der Bettkante, doch da bemerkte ich, wie sein Mund sich auf meinen Hals senkte. Ich hatte zugestimmt, also musste ich jetzt auch zu meiner Entscheidung stehen und durfte keinen Rückzieher machen. Ich machte mich auf schlimmen Scherz gefasst, einen glühenden, versengenden Schmerz, wenn eine Fangzähne sich in meinen Hals graben würden. Ich holte zittrig Luft und meine Hände krallten sich in meine Beine, um mich von einem eventuellen Schrei abzuhalten. „Schhh...“ murmelte Camden an meinem Hals und legte seine Hände auf meine, um sie sanft zu lockern. Als sie lose waren und nicht mehr so verkrampft waren, schlang er seine Arme um mich und zog mich an sich. Im selben Moment durchstießen seine Zähne meine Haut und ich hatte gar keine Zeit zu schreien. Aber es tat nicht weh. Im Gegenteil, ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus und durchströmte mich. Es war ganz anders als erwartet. Ich lehnte mich an ihn und versank in diesem wunderbaren Gefühl. Ich wollte ihm so nah wie möglich sein und drückte meinen Hals näher an seinen Mund und schlang meine Arme um ihn. Eigentlich hätte ich entweder vor Angst vollkommen starr oder aufspringen und wegrennen müssen, doch mir erschienen diese beiden Optionen absurd. Etwas, was sich so gut und richtig anfühlt, konnte doch nicht falsch sein, oder? Ich merkte, wie ich langsam müde wurde und mir die Augen zu fielen. Ich wollte noch nicht schlafen, ich wollte weiter dieses tolle Gefühl haben und es nicht durch den Schlaf verdrängen lassen. Doch es wurde immer schwerer und ich driftete immer mehr ab. Ich sackte vollends gegen seine Brust und meine Arme hingen schlaff herab. Ich war schon fast weg, als ich merkte, wie er seinen Mund von meinem Hals löste und sich leicht zurückzog. Er nahm einen Arm von meiner Hüfte. Was? Ich wollte das nicht, sie fühlte sich dort so gut an. Kurze Zeit später spürte ich, dass ich etwas zurückgezogen wurde und mit letzter Kraft versuchte ich mich an ihm festzukrallen, ich wollte ihn nicht loslassen. Aus weiter Ferne hörte ich ihn leise etwas Beruhigendes murmeln, während er mich weiter wegzog. Dann wurde mir etwas Weiches auf den Mund gedrückt, an dem etwas Warmes hinablief. Blut. „Du musst es trinken...“ flüsterte er mir ein und ich zwang mich mit letzter Kraft, es zu schlucken. Wie mit dem Biss, war es anders, als ich gedacht hatte. Es schmeckte nicht kupfrig und nach Salz, sondern eher voll. Ich schluckte viele, große Schlucke und genoss diesen Geschmack. Es musste irgendeine besondere Wirkung haben, denn ich wurde wieder ein wenig wacher. Anstatt meine Hände wieder um ihn zu schlingen, griff ich damit nach dem Arm. Ich saugte gierig nach jedem kleinen Schluck, bis er ihn langsam von meinem Mund wegzog. Sanft löste er meinen Mund und die Trägheit kehrte verstärkt zurück. Ich wollte jetzt einfach nur noch schlafen. Meine Arme lagen auf dem Bett und ich kippte wieder nach vorne, gegen ihn. Er legte seine Arme um mich und hob mich hoch. Was hatte er denn jetzt schon wieder vor? Doch kurze Zeit später wurde ich hingelegt und mein Kopf auf das weiche Kissen gelegt. Er hatte seine Arme noch um meiner Taille und wollten sich lösen, doch ich ließ meinen Arm darauf fallen. Ich hoffte, er würde wissen, was ich wollte, nämlich das seine Arme da blieben, wo sie sind. Ich hatte zu mehr einfach nicht mehr die Kraft, dafür war ich schon viel zu weit weg. Aber zu meiner großen Erleichterung ließ er seine Arme wo sie waren und legte stattdessen die Decke über mich. Ich spürte seine Arme überdeutlich, mehr als die Decke. Stark und unausweichlich lagen sie um meinen Körper. Dann legte er sich neben mich, mit unter die Decke und kuschelte sich an meine Seite. Ich hätte nach all den Jahren der Einsamkeit panisch oder verängstigt sein müssen, zumal er auch ein Vampir war. Aber ich wollte, dass er genau da blieb, wo er war. Hier neben mir. Es war schön zu wissen, dass ich jemandem so wichtig war, dass er neben mir schlief. Ich wollte mich bewegen, mich näher zu ihm legen, ihm zeigen wie viel mir seine Anwesenheit bedeutete, aber ich war viel zu müde. Also lag ich wie eine deprimierte Tote da. Trotzdem spürte ich noch, wie er kurz bevor ich einschlief, seinen Kopf auf meine Schulter legte und sein Gesicht in meine Haare schob, die offen auf dem Kissen lagen.

Es war noch dunkel, als ich aufwachte, dennoch konnte ich die Uhr überdeutlich erkennen. Es war halb vier. Ich fühlte mich hellwach und voller Energie, konnte nicht mehr liegenbleiben. Da erst merkte ich, dass etwas Schweres auf meine Hüfte lag und erschrocken warf ich einen Blick unter die Decke. Ach ja. Ich grinste. Camden hatte sich die ganze Nacht fast nicht bewegt, seine Arme lagen auf meiner Hüfte und sein Kopf ruhte ruhig schlafend auf meiner Schulter. Sein warmer Atem traf auf meinen Hals und ich schauderte. Ein plötzlicher Schmerz zuckte durch meine Lippe. Ich fuhr mit der Zunge darüber und erstarrte. Statt meiner normalen, geraden oberen Zahnreihe fühlte ich zwei spitze, herausragende Fangzähne dort hervorkommen, wo normaler Weise meine Schneidezähne waren. Oh, verdammt. Ich war wirklich ein Vampir geworden. Trotz dieser doch etwas erschreckenden Erkenntnis hatte ich keine Angst, Furcht oder Panik. Ich fühlte nur Neugier und Entschlossenheit, herauszufinden, was diese kleinen Teufelsdinger so drauf hatten. Ich streckte mich, um meine Muskeln zu dehnen. Die Nacht war noch nicht vorüber, doch der Mond war weitergezogen. Ich lächelte. Langsam stieg ich aus dem Bett, zog meine Stiefel über und schlich aus dem Raum. Ich lief schnell durch die Flure und fand schnell den Hinterausgang, den ich beim ersten Mal nur gefunden hatte, weil ich mich verirrt hatte. Ich sah mich noch einmal um und als ich keinen sah, lächelte ich und schloss die Tür leise hinter mir. Die Nacht war angenehm warm und ein sachter Wind fuhr durch meine Haare. Es war himmlisch. Meine Beine fingen an zu kribbeln und dann rannte ich. Ich rannte durch die Hügel, die in der Nacht einen satten dunkelgrünen Farbton hatten. Ich nahm nicht den Weg, sondern rannte gleich quer Feld ein. Ich lief die kleinen Berge hoch und runter und zwischen ihnen hindurch. Das Gras wiegte sich leicht im Wind und rauschte, als ich hindurch rauschte. Die Sterne begleiteten mich die ganze Zeit und der Mond schien immer noch voll und hell auf mich herab. Ich spürte den Wind auf meiner Haut und hörte ihn in dem Gras rauschen. Ich hörte all die kleinen nachtaktiven Tiere, die sich vor mir schnell versteckten. Ich lachte wild und frei und rannte langsamer, bis ich schließlich stand. Es war atemberaubend. Ich hatte das Haus meilenweit hinter mir gelassen und konnte seine Silhouette nicht mehr ausmachen. Alles sah gleich aus. Wiese, Himmel, Sterne. Das Gefühl unendlicher Freiheit umfing mich, lockend und verheißungsvoll. Etwas, was ich als Mensch nie gefühlt hatte. Doch dann spürte ich, wie etwas dieses Gefühl bedrängte. Dass sich etwas näherte. Schnell. Ich grinste. Er war also aufgewacht. Er kam aus derselben Richtung wie ich und ich rannte wieder los. Er war schnell, aber ich wollte mal sehen wie schnell er war. Tatsächlich kam er immer näher und holte schnell auf. Mittlerweile waren es keine hundert Meter mehr zwischen uns, sondern es handelte sich nur noch um wenige Meter. Und weitere fünf Minuten später schlangen sich seine Arme um mich und hinderten mich am Laufen. Ich lachte und drehte mich herum. Er sah mich herausfordernd an. Ich drückte ihm schnell einen Kuss auf den Mund. „Es ist wundervoll.“ Flüsterte ich. Jetzt grinste er auch. „Das freut mich.“ Er küsste mich noch mal, doch ich wollte wieder rein. Das Bett war doch viel bequemer, oder? Und außerdem wollte ich ihn jetzt mal ärgern. Ich legte meine Arme um ihn und küsste ihn zurück. Er zog mich enger an sich, legte mir seine Arme um den Hals. Das erschwerte meine Sache zwar, aber ich war jetzt ein Vampir und viel stärker als vorher. Ich ließ meine Hände nach vorne zu seiner Brust wandern. Dann schubste ich ihn so stark, dass er ein kleines Stück wegflog, stolperte und fiel. Ich hatte leider keine Zeit zu lachen oder ihm auch nur bei seinem sehr uneleganten Sturz zuzusehen, denn ich hatte so oder so nicht viel Vorsprung. Ich drehte mich um und rannte zurück zum Haus. Es kam schnell in Sicht, doch Camden hinter mir auch. Ich raste auf die Tür zu, als er mich fast erreicht hatte und knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Ich hastete die Treppe hoch, doch dann verließ mich das Glück. Ich wurde gegen eine Wand gedrängt und seine blau leuchtenden Augen sahen in meine. „Du bist hinterhältig.“ Murmelte er. Ich lächelte. „Ich weiß.“ Sagte ich und kicherte. Dann schlang ich ihm wieder die Arme um den Kopf und zog ihn für einen Kuss zu mir hinab. Camden schnaubte und zog mich an sich. Er drängte mich in das nächste Zimmer, was zum Glück unseres war und ich zog mir die Stiefel aus. Er hatte ein schwarzes Hemd an, was vorne zugeknöpft war. Es landete neben meinen Schuhen, zusammen mit meinem Oberteil. Er drängte mich rückwärts zum Bett und lachte leise. Ich fuhr ihm mit den Fingern über den Rücken und ließ mich mit ihm auf das Bett sinken.

Ich wachte am selben Tag kurz nach Mittag auf, es war halb zwei. Ich streckte mich und kuschelte mich unter die warme Decke. Wie beim letzten Mal waren zwei Arme um mich geschlungen und hielten mich fest. Ich lächelte. Ich hatte meine Arme auch um ihn geschlungen und war an seine Brust gekuschelt. Ich sah zu ihm hinauf. Die Decke reichte ihm bis zu den Oberarmen. Sein Gesicht war ruhig, seine Augen geschlossen und sein Mund leicht geöffnet. Das erinnerte mich an den Moment, an dem ich nachts in sein Zimmer geschlichen war, um mich zu vergewissern, dass er schlief. Als ich mich verabschieden wollte. Meine Gründe von damals erschienen mir heute sinnlos und unnötig. Ich hob meine Hand und fuhr über seine Wange, seine gerade Nase und seine weichen Lippen. Er zog mich enger an sich und seine Augen öffneten sich. Schnell wandte ich den Blick ab, zog die Hände zurück und legte meine Wange wieder an seine Brust. „Alles in Ordnung?“ fragte er leise und mit heiserer Stimme vom Schlaf. „Wieso?“ Warum sollte nicht alles gut sein? Denn das war es. Um ehrlich zu sein war es alles viel zu gut um wahr zu sein. „Naja, letzte Nacht habe ich dich in einen Vampir verwandelt, ein Wesen, was du seit zwei Jahren nur tötest und abgrundtief hasst. Und wir haben die Nacht zusammen verbracht. Ich kenne geringere Gründe für Probleme. Also, geht es dir gut?“ fragte er noch mal. Ich lächelte. Er machte sich immer noch Sorgen um mich. Das hatte lange keiner mehr getan und ich genoss es jedes Mal wieder. Ich sah wieder zu ihm hoch. „Ja. Alles ist gut.“ Ich grinste und küsste ihn auf den Mund. Es sollte nur ein kurzer Kuss werden, aber er hielt mich im Nacken fest und ließ mich nicht los. Als sein Mund zu meinem Hals wanderte, konnte ich einen Moment wieder klardenken und versuchte mich zu lösen. „Camden ich wollte eigentlich duschen und was essen gehen.“ Stieß ich aus, doch er hörte nicht auf. Sein Mund strich wieder nach oben und schwebte über meinem. Essen und Duschen wurde überbewertet, entschloss ich kurzerhand und reckte mich ihm entgegen, um seine Lippen wieder auf den meinen zu spüren. Er grinste jedoch nur und zog sich zurück. Dann verschränkte er die Arme hinter seinem Kopf und sah mich belustigt an. „Na gut. Aber beeile dich mit duschen, ich will dir heute mein Lieblingsrestaurant zeigen.“ Sagte er und machte eine scheuchende Bewegung. Ich funkelte ihn an, schüttelte dann den Kopf und verschwand schnell im Bad um mich fertig zu machen. Der Rest des Tages war wundervoll. Das Restaurant war sehr gut und das Essen himmlisch... Wir waren erst spät wieder zu Hause, es war schon längst dunkel und meine heiß geliebten Sterne zeigten sich wieder. Wir redeten und lachten viel, viel mehr als ich es in den letzten Jahren getan hatte, wenn überhaupt. Camden war mittlerweile ein guter Freund von mir geworden. Sogar noch mehr. Aber um ehrlich zu sein hatte ich fast Angst mir selber die Frage zu stellen, was ich genau für ihn fühlte. Mehr als Freundschaft, soviel stand fest. Als wir wieder bei dem Haus waren, war ich ziemlich müde und wir verschwanden beide auf unsere – eigenen – Zimmer. Ich ließ das Licht aus und stellte mich an das Fenster. Was empfand ich für ihn? Was würde jetzt passieren, nach dem ich wieder glücklich war – soweit ich glücklich sein konnte? Ich legte meine Hände gegen die kalte Scheibe und dann meine Stirn. Ich dachte einfach zu viel. Ich holte tief Luft und lächelte. Wollen wir mal sehen... Ich lief über den Flur, zu seinem Zimmer in dem ich seit meiner fluchtartigen Abreise nicht mehr gewesen war. Ich öffnete die Tür langsam und leise, sein Licht war aus und er lag schlafend auf dem Bett. Genauso lautlos schloss ich die Tür auch wieder und ging hinüber zu seinem Bett. Ich setzte mich auf die Bettkante und sah hinab in sein friedliches Gesicht. Er war so schön. Seine Haare lagen leicht ausgebreitet auf dem hellen Kissen und hebten sich davon ab. Ich strich darüber und merkte, dass sie so weich waren wie immer. Wie Seide. Er hatte ein graues Shirt und eine Jogginghose an. Ich fragte mich gerade, was ich wohl machen würde, wenn er aufwachte und bemerken würde, wie ich ihn anstarrte, als er tatsächlich seine verdammten Augen aufmachte. Ich zuckte zurück und mein Lächeln erlosch. Scheiße. Ich stand schnell auf, drehte mich um und verließ, die Tür hektisch hinter mir zuschlagend, den Raum. Oh verdammt! Er hatte mich dabei erwischt, wie ich mich mitten in der Nacht zu ihm geschlichen und ihn bewundert hatte, wie eine verrückte Irre. Ich rannte ziellos durch die Flure, doch als ich seine Schritte näherkommen hörte, entschied ich mich schnell für eine Tür. Vor mir erschien eine Treppe, die auf eine Art Dachterrasse hinausging. Hoffentlich würde er mich hier nicht finden. Ich stellte mich an den Rand, verharrte und lauschte. Ein paar Sekunden später ging die Tür wider aller Hoffnung auf und Camden betrat das Dach. Er schaute sich kurz um, entdeckte mich und kam energisch auf mich zu. Mist! Er sah alles andere als belustigt aus, sondern eher wütend. Ich wollte gerade etwas sagen, um mich zu verteidigen, doch er unterbrach mich. „Was wird das denn, wenn du fertig bist?“ Er war wütend und ich war ein wenig sprachlos, unfähig irgendetwas herauszubringen. „Dieses Mal hatte ich nicht damit gerechnet, dass du wieder versuchst abzuhauen. Warum sagst du mir nicht einfach, dass etwas nicht in Ordnung ist? Warum lügst du mich an und machst einfach so weiter? Du musst doch nur mit mir reden. Du sollst reden, damit du endlich mit deiner Vergangenheit abschließen und nicht nur neue Sachen dazu sperren. Wohin wolltest du jetzt wieder? Verstehst du nicht, dass du hier bleibst, bis ich mir sicher sein kann, dass es dir wieder gut geht?! Und heute hatte ich das Gefühl, aber das hast du glorreich zunichte gemacht...“ Camden redete noch weiter, doch ich hörte nicht mehr zu. Seine Stimme wurde nicht einmal lauter, er versuchte nur schlau aus meinem vermeintlichen Fluchtversuch zu werden. Wenn er wüsste. Ich sah über die Hügel. Als ich wieder zu ihm zurücksah, sah er mich eindringlich an und da wurde mir eines klar. „... verdammt noch mal was los ist!“ Er war wieder nicht laut geworden, dafür wirkte er aber noch wütender. Ich lächelte leicht und ging auf ihn zu. Als ich vor ihm stand, lächelte ich ihn immer noch an und er wartete. „Also?“ fragte er ungeduldig. Ich merkte wie sicher ich mir war. Es stimmte. Ich sah ihm tief in seine hellen Augen. „Ich liebe dich.“ Sagte ich leise. Sein Gesicht verlor jeden wütenden Zug, nahm einen erschrocken Ausdruck an und seine Brauen zogen sich zusammen. Ich liebte ihn wirklich. Nach all der Zeit, allem was er für mich getan hatte, war ich mir sicher wie noch nie. Er sah mich jetzt misstrauisch an und ich hielt seinem Blick stand. Dann erstarrte seine Miene zu einer ungläubigen Maske, die mich unverwandt ansah. Vielleicht sollte ich ihm eine Gelegenheit geben, darüber nachzudenken. Ich hatte ihn ja doch ziemlich überrumpelt. Ich war ja selber überrascht von meinen Gefühlen. Ich hatte noch nie wirklich jemanden geliebt und dieses Gefühl war vollkommen neu für mich. Ich nickte ihm leicht zu, ging einen Schritt zurück und an ihn vorbei. Ich drehte mich langsam um und steuerte auf die Tür zu. Zumindest hatte ich das vor, denn er hielt mich am Arm fest und drehte mich zu sich. Ich ließ ihn mich zu sich ziehen und er sah mich immer noch ein wenig verwirrt an. „Was sagst du da?“ fragte er leise. Ich schnaubte leise und lächelte ihn wieder an. „Ich liebe dich.“ Ich lachte leise. „Irgendwie.“ Sagte ich noch, als er anfing zu grinsen. Ein umwerfendes Grinsen, bei dem ich wusste, dass ich es immer und immer wieder sehen wollte. „Du bist unglaublich, weißt du das?! Ich werde einfach nicht aus dir schlau.“ Er beugte zu mir hinunter und küsste mich. Ich legte ihm meine Hände in den Nacken, strich ihm über seine Haare. Er legte sie um meine Taille und zog mich an sich. Ich ließ eine Hand über seinen Rücken wandern und zog ihn auch näher. „Entschuldigen sie Herr, es ist wichtig.“ Hörte ich eine männliche, störende Stimme vom Flur her. Camden löste sich von mir und sah über meine Schulter zu dem Mann. „Das hoffe ich für dich.“ Sagte Camden genervt. Ihm wurde ein Telefon gereicht und er machte ein ernstes Gesicht. „Hallo, wer ist da... Cannes, hallo…“ Er hörte eine Weile lang zu und nickte manchmal und sah auf seine Uhr „...okay, hab verstanden. Wir werden so schnell es geht da sein.” Sagte er ernst und legte auf. „Was ist los? Wo werden wir sein?“ fragte ich neugierig und machte mich schon auf den Weg zum Flur, Camden folgte mir und sprach leise, in Gedanken wahrscheinlich ganz woanders. „Es geht los. Angel hat zufällig mitbekommen, wie die Werwesen in der Nähe von ihnen einen Angriff planen. Morgen schon. Wir müssen so schnell es geht los.“ Er telefonierte schon wieder und wir liefen schnell die Flure entlang nach draußen. Dort hatte er alle Anrufe getätigt und ich wollte gerade los laufen, doch seine Hand hielt mich zurück. Er drehte mich schwungvoll zu sich. „Trotz der Umstände, die ja irgendwann eintreten mussten, habe und werde ich nicht vergessen, was du oben auf dem Dach zu mir gesagt hast.“ Er lächelte mich an und küsste mich kurz. „Und...“ flüsterte er leise und küsste mich sachte auf die Wange „… ich liebe dich.“ Er wich leicht zurück. Ich sah ihn an und musste das erst Mal verarbeiten. Er liebte mich! Ich fiel ihm um den Hals und küsste ihn impulsiv. Dann ging ich wieder einen Schritt zurück und sah ihn aufmerksam an. „Okay. Wo wartet das Flugzeug?“ fragte ich ihn. Er schmunzelte mich an. „Immer bei der Sache, wie? Das Flugzeug ist nur ein paar Meilen von hier auf dem großen Platz.“ Ich nickte ihn an und machte mich auf den Weg. Wir liefen nebeneinander, bis die Flugmaschine in Sicht kam. Wir stiegen schnell ein und flogen sofort los. Camden ließ sich in einen der Sessel sinken. Ich ging an ihm vorbei. Nach der Nacht mit der Verwandlung, mit ihm und dem Tag mit dem Restaurant, der Sache in seinem Zimmer und mein und sein Geständnis war ich doch ein wenig konfus. Ich ging zu dem kleinen Regal mit den Glasflaschen, von denen er auch schon eine angetrunken hatte, und zog mir die Whiskeyflasche heraus. Dann kippte ich ein halbes Glas voll, stellte die Flasche wieder weg und trank die Flüssigkeit mit mehreren Schlucken. Ich merkte den Alkohol schnell, doch betrunken war ich nicht. Ich stellte das Glas wieder ab und wollte mich neben Camden in einen der Sessel setzen, um ein wenig zu schlafen. Ich hatte nichts gegen die Betten, doch die Sessel waren näher und sahen genauso bequem aus. Aber ich konnte mich gar nicht in den Sessel setzen, den Camden schlang vorher seine Arme um meine Taille und zog mich zu sich. Ich ließ mich auf seinen Schoß sinken und sah ihn an. Ich küsste ihn leicht auf die Wange, schlang ihm meine Arme um die Hüfte und legte dann meinen Kopf auf seine Schulter. Ich schloss die Augen und schlief schnell ein.

Wir flogen ungefähr vierzehn Stunden und ich verschlief fast alles. Ich saß die ganze Zeit auf Camdens Schoß und war an ihn gekuschelt. Selbst vor den zwei Jahren hätte ich so etwas nie erwartet. Niemals hätte ich gedacht, dass ich so etwas fühlen würde. Und dann noch für einen Vampir. Aber in dieser Sache war ich mir absolut sicher. Ich liebte ihn. Und er liebte mich. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchfuhr mich. „Na, bist du wach?“ fragte er leise. Ich machte die Augen auf und hob den Kopf, um ihn anzusehen. „Ja.“ „Ein Wunder das du überhaupt schlafen kannst. Vor so einem großen Kampf wäre ich als Jungvampir nervös und panisch. Aber du hast seelenruhig geschlafen.“ Ich nickte leicht. „Weißt du, die letzten zwei Jahre waren für mich fast ein einziger Kampf. Und trotzdem musste ich schlafen.“ Er zog mich an sich und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Wir sind da.“ Murmelte er und ich merkte, dass das Flugzeug tatsächlich nicht mehr flog. Ich stand langsam auf und ging ein wenig wackelig auf den Beinen, durch den langen Schlaf, durch den kleinen Raum auf die Flugzeugtür zu, die von einem der Piloten geöffnet wurde. Ich sah mich nach Camden um und zwinkerte ihm zu. Dann schritt ich mit hoch gehaltenem Kopf die schmale Treppe hinunter, auf Fi, Angel, Cannes und Stayr zu. Sie alle sahen mich verwirrt, überrascht und auch erschrocken an. Unten angekommen blieb ich stehen und wartete auf Camden, der sich jetzt neben mich stellte, mir einen Arm um die Taille legte und mir einen Kuss auf die Schläfe drückte. Dann grinste ich die vier an. „Jetzt geht endlich die Party los, nicht?“ fragte ich und umarmte Fi und Angel. Cannes küsste mich auf die Wange und schüttelte Camden die Hand. Stayr hingegen sah zwischen mir und Camden hin und her. „Was...?“ fing er an, doch Camden unterbrach ihn. „Bevor du mir jetzt wieder Vorwürfe machst und mich zu Recht weist, möchte ich dir sagen, dass du schon viel zu spät bist.“ Sagte Camden vollkommen ohne Emotionen wie Wut, Überheblichkeit oder andere, die Stayr noch mehr provozieren würden. Ich nickte ihm leicht zu und Cannes hob interessiert eine Augenbraue und Fi und Angel nickten mir leicht mit einem Grinsen im Gesicht zu. Nur Stayr sah missmutig drein. „Du weißt hoffentlich, auf was du dich da einlässt.“ Ich machte mich von Camden los und ging auf Stayr zu. Ich gab ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange und sah ihn dann an. „Ich habe mich entschieden. Ich liebe ihn, doch ich würde es nicht gut finden, wenn unsere Freundschaft daran zerbrechen würde.“ Ich sah ihm solange in die Augen, bis er sich unwohl zu fühlen schien, doch schließlich nickte er. „Ich muss ihn ja nicht mögen, um dich zu mögen.“ Sagte er und endlich huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Ich grinste zurück, trat wieder ein paar Schritte zurück und stellte mich wieder neben Camden. Cannes sah uns der Reihe nach an. „Also schön, dann wollen wir mal.“

Wir alle standen ruhig auf der Wiese, alle in verschiedene Richtungen gewandt, um alles erblicken zu können. Kein Wind regte sich und alles war unheimlich still. Wir warteten nun schon seit drei Stunden. Angel hatte nichts Genaues gehört, nur das es heute früh sein sollte, wenn die Sonne aufging. Wahrscheinlich dachte sie, dass sie dadurch einen Vorteil hätten, was sie aber glücklicher Weise nicht hatten. Zu meiner Rechten stand Cannes und zu meiner Linken Angel. Auch sie waren angespannt und warteten, dass es endlich losging. Das Warten vorher war immer das Schlimmste. Nach weiteren fünf Minuten hörte man leise Geräusche aus dem Wald vor uns. Es war so weit. Adrenalin schoss in meine Adern und ich grinste. Warum Vampir töten, wenn eine Horde von Werwesen sich auf mich stürzte? Das war doch viel lustiger. Die Wesen kamen immer näher und brachen schließlich aus dem Wald auf die Wiese. Ich zählte ungefähr sieben Stück. Das waren weniger, als ich gedacht hatte. Ein so kleines Rudel würde niemals einen Krieg anzetteln. Das bedeutete... Wie erwartet kamen die restlichen Werwesen um das Haus herum, von hinten auf uns zugestürzt. Ich sah mich noch einmal um, warf Fi und Angel einen kleinen Blick zu und Camden ein Lächeln. Dann drehte ich mich zu den Monstern, zog mein Messer aus meinem Stiefel und lachte laut. Jetzt geht der Spaß erst richtig los und ich hoffte die hatten mehr drauf, als die Vampire die mich hatten tot sehen wollten. Ich rannte los und als ich bei dem ersten Werwesen war, täuschte ich an und stach ihm in die Brust. Er brüllte, ich zog das Messer heraus und rammte es ihm in den Hals, riss ihm die Kehle auf und sein Kopf rollte davon. Ich trat einen Schritt zurück, wenn schon mein Shirt versaut war, mussten meine Schuhe nicht auch noch mit dem Blut befleckt werden. Ich lief weiter und spürte einen Luftzug an meinen Haaren. Ich duckte mich, drehte mich um und holte mit dem Messer aus. Beine, die nicht von einem Werwesen stammten, sprangen schnell hoch und entkamen meinem Messer. Ich richtete mich auf und sah in Camdens Gesicht. „Sorry.“ Sagte ich grinsend und warf einen Blick auf das tote Monster das mit offener Brust am Boden lag. „Geht schon.“ Sagte er, zog mich an sich und küsste mich kurz. „Solange du am Leben bleibst.“ Dann verschwand er in der Menge und stürzte sich auf ein angreifendes Wesen. Ich schüttelte den Kopf und sah gerade rechtzeitig wieder auf, um zu sehen wie sich eines der Werwesen auf mich zu schlich. Ich legte den Kopf schief und musterte ihn. Er humpelte schon leicht und Blut rann durch sein Fell. Er war am Arm getroffen worden. Punkt für mich. Ich tat so, als ob ich zurückwich und stolperte. Ich fiel ihn und hielt mein Messer so, dass er es nicht sehen konnte. Dann ließ er sich auf mich fallen, den Mund mit den scharfen Zähnen auf mein Gesicht und meinen Hals gerichtet. Ich riss das Messer hoch und rammte es ihm in die Brust, drehte es, zog es heraus und wiederholte die Prozedur. Während ich das tat, rollte ich mich unter ihm weg, sodass es mich nicht mit seinen wild um sich schlagenden Pranken erreichen konnte. Ich warf einen kurzen Blick über die Wiese. Mittlerweile war sie rot vom Blut und überall lagen Werwesen. Ich zählte ganze elf Stück, über die Hälfte hatten wir schon, dass ging viel schneller als gedacht. Dann sah ich mich nach den anderen um, sie kämpften hartnäckig gegen die unseren. Ich zählte nach und konnte sechs Stück zählen. Gut, sie lebten noch alle. Mit neuer Kraft drehte ich mich herum, gerade rechtzeitig, denn ein weiteres Monster schlich sich an mich heran. Es schien nicht ganz so leichtsinnig wie seine Kumpane zu sein, denn er blieb stehen und sah mich aufmerksam an. Auch ich blieb stehen und wartete auf eine Reaktion von ihm, die ich mir zu Nutze machen konnte. Aber er blieb still. Dann verzog sich sein Maul zu einer Art abstraktem Lächeln, was mir Angst eingejagt hätte, wenn ich nicht sechs Freunde hinter mir hätte, keine Vampirin wäre, kein Messer in der Hand hätte oder wir nicht nur zu zweit wären. Also grinste ich ihn auch an. Doch als ich einen Blick hinter ihn warf, erstarrte ich. Ein weiteres Wesen kam auf mich zu und stellte sich neben das Erste. Ganz ruhig bleiben, Xan. Das schaffst du schon, redete ich mir ein und versuchte einen Riss in ihrer Deckung zu finden. Nichts. Die deckten sich gegenseitig viel zu gut. Das zweite Werwesen kam jetzt schnell auf mich zu, den Mund mit den Reißzähnen weit geöffnet. Gleichzeitig kam auch das andere auf mich zu, ebenfalls mit furchteinflößenden Zähnen. Zurückweichen würde nichts bringen, als blieb ich stehen. Aber ich hatte ja auch noch ein Ass im Ärmel. Oder im Dekolleté. Ich zog ein kleines Messer zwischen meinen Brüsten hervor und fühlte mich mit einer Waffe in jeder Hand sofort besser. Sollten sie nur kommen. Ich duckte mich leicht und brachte mich in Angriffsstellung. Das Erste sprang mich jetzt an und ich machte einen Satz zurück und jagte ihm gleichzeitig das Messer ins Gesicht, weil es mir am nächsten war. Er jaulte und zuckte zurück, als Blut über seine aufgeschlitzte Wange lief. Ich hatte sein eines Auge außer Gefecht gesetzt. Das andere Monster sprang mich jetzt auch an und ich hatte nur noch Zeit aus dem Weg zu springen, doch es erwischte mich trotzdem am Arm und riss ihn mir auf. Ich ignorierte den Schmerz und rammte ihm das Messer in die kurz ungeschützte Brust. Es brüllte genau wie das andere und wich zurück. Ich folgte ihm und rammte es ihm noch mal in den Oberkörper und noch mal und noch mal, bis er endlich zusammensank. Währenddessen hatte sich das andere wieder eingekriegt und kam nun von mir unbemerkt auf mich zu. Es war schon fast bei mir – es fehlte nur noch Millimeter, dann hätten sein Zähne meinen Hals umschlossen -, als er weggeschubst wurde. Er wollte an sich umsehen, was schuld an der Verzögerung war, doch dafür war sein Kopf zu schnell weg und rollte auf dem roten Schnee davon. Ich stieß Luft aus, die ich unbewusst angehalten hatte und sah meinen Retter an. „Ich sagte doch, dass du am Leben bleiben sollst.“ Sagte er und schaute mich gespielt böse an. „Ich werd‘s mir merken.“ Erwiderte ich zwinkernd. Er schüttelte den Kopf mit einem Lächeln, nahm meine Hand und führte mich zu den anderen. Die Angreifer lagen tot, verstümmelt, zerrissen und enthauptet auf dem Boden. Die anderen standen alle in Kreis, um etwas Undefinierbarem, was am Boden lag und ich konnte nur fünf stehende Personen zählen. Ich stockte. „Wer…?“ fragte ich und ließ Camden los, um zu den anderen zu rennen. Beim Näherkommen, erkannte ich einen nach dem anderen. Fi, mit zerzausten Haaren, Angel, ebenfalls ziemlich mitgenommen, Cannes, mit zerrissenem Shirt und Stayr mit blutdurchtränkten Sachen. Dann war das am Boden wohl... Meine Gedanken wurden unterbrochen, als Stayr sich abwandte und Fi sich zu dem Verletzten kniete. Dieser lag ruhig am Boden und bewegte sich nicht. Er war über und über mit Blut besudelt. Als ich neben Angel stand, fragte ich sie leise, was passiert ist. „Eines der Werwesen hat ihn übel erwischt. Sieht nicht gut für ihn aus.“ Sagte sie und ging zu Stayr, der keine Anteilnahme für Raphael übrig hatte. Verständlich, zumindest im Ansatz. Ich kniete mich neben Raphael und sah mir seine Wunde an. Seine Brust war aufgerissen und man bekam einen tiefen Einblick. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich sah ihm ins Gesicht. Seine Augen waren merkwürdig verrenkt. „Hey...“ sagte ich leise. Seine Lider flatterten. „Schmerzen...“ krächzte er. Ich nickte und legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. „Das wird schon.“ Flüsterte ich. Seine Mundwinkel zuckten. „Nein... wird... nicht.“ „Was redest du da? Natürlich, dir wird es bald wieder gut gehen.“ Versuchte ich ihm einzureden, mir einzureden, doch eigentlich wusste ich es schon. Das würde hier nicht gut für ihn enden. Er bewegte sich nicht mehr und auch sein Gesicht blieb ruhig. Ich erhob mich wieder und sah auf ihn hinunter. Er war in der Vergangenheit nicht immer der Netteste gewesen, wollte Stayr umbringen und hatte Angel fast umgebracht. Aber er hatte versucht sie zu retten, hatte sein Leben für ihres riskiert. Deshalb hatten wir ihn gebeten, heute dazu zu kommen. Er hatte überraschender Weise erfreut angenommen, mit den rachsüchtigen Worten: ‚Wir werden sie alle niedermetzeln, für das was sie getan haben.‘ Und jetzt starb er auf dem blutigen Schlachtfeld, neben toten und verstümmelten Monstern. Er keuchte noch mal und dann konnte ich seinen Herzschlag nicht mehr hören. Er war tot. Ich drehte mich um und ging zu Camden, der inzwischen schon näher gekommen war. Er legte mir einen Arm um die Taille und ich sah zu den anderen. Angel war noch immer abgewandt und Stayr hatte ebenfalls einen Arm um sie gelegt. Fi ging zu Cannes und drehte sich damit auch von dem Toten ab. Das hatte er nicht verdient, aber zu ändern war es jetzt auch nicht mehr. Camden zog mich weg von dem Geschehen, auf das Haus zu. Ich sah nicht mehr zurück und ließ mich die Treppe hinauf führen, in das Haus, in mein Zimmer. Ich hatte mir heute Morgen ein Top und eine Hose angezogen, damit ich mich gut bewegen konnte, während des Kampfes. Ich wollte duschen, wollte mir das Blut der Wesen vom Körper waschen. „Ich gehe noch mal runter, bei den Aufräumarbeiten mithelfen. Du kannst duschen gehen, ich werde später zurückkommen.“ Sagte er leise und küsste mich auf die Wange. Dann verließ er das Zimmer geräuschlos und ich ging hinüber ins Bad. Ich duschte lange und ausgiebig, putze mir die Zähne, kämmte mir die Haare und zog mir Schlafsachen an, obwohl es mitten am Tag war. Danach legte ich mich müde und erschöpft in das weiche Bett, zog mir die Decke bis unter das Kinn und sah aus dem Fenster hinaus. Ich lag lange wach, lauschte den umherlaufenden Vampiren, die die Monster wegschafften. Schließlich sank die Sonne und die Sterne erschienen langsam am Himmelszelt. Er war fast schwarz, nicht so blau wie in Island und die Sterne waren auch nicht so zahlreich, aber ich liebte dennoch den Blick auf den Himmel. Es war so schön dunkel und der Mond blitze manchmal hinter den Wolken hervor. Nach einer Weile schloss ich die Augen und versuchte zu schlafen. Nach ein paar Minuten ging die Tür wieder auf und eine große Gestalt kam leise herein. Camden. Er ging in das Bad und kurz darauf ertönte das Wasserrauschen der Dusche. Er brauchte nicht ganz so lange wie ich und kam etwas später wieder heraus. Ich sah ihn an, wie er von der Tür her auf das Bett zukam. Er legte sich neben mich und schlang mir einen Arm um die Taille. Ich kuschelte mich an ihn. „Wir haben eigentlich Glück gehabt, dass nicht einer von uns gestorben ist. Es ist zwar schlimm, aber besser als Cannes oder einer der anderen.“ Flüsterte er nach einer Weile in mein Haar. „Ja. Wir sind ganz gut weggekommen. Aber waren das jetzt alle? Oder kommen noch mehr von ihnen?“ fragte ich. Ich spürte wie er den Kopf schüttelte. „Es war nur ein kleines Rudel und ich habe mich gewundert, dass sie uns überhaupt angegriffen haben. Es werden keine mehr folgen. Es ist vorbei.“ Ich seufzte erleichtert auf und sah zu ihm auf. Er sah müde auf mein Gesicht hinunter und lächelte. Ich küsste ihn, legte ihm meine Hände höher auf seinen Rücken und drückte mein Gesicht wieder an seine Brust. Wir würden morgen wieder zurück nach Island fliegen. Zu den vielen, funkelnden Sternen, der wundervollen Landschaft, dem riesigen Haus und Camden, der nur für mich alleine da war. Ich lächelte. „Na endlich.“

The End

 

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Tag der Veröffentlichung: 08.07.2014

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