So Recht konnte ich mich immer noch nicht entscheiden ob ich heute feiern, trinken und tanzen gehen wollte. Klar, endlich mal wieder raus kommen und mit den Freundinnen etwas unternehmen. Ich liebte schon immer Partys und dem Alkohol war ich auch nicht ganz abgeneigt. Wenn sich die Gelegenheit bot, trank ich schon mal ein, zwei oder auch drei Gläser. Xanna ging es langsam an, war dafür schneller betrunken und Angelina probierte alles mal, hält aber für gewöhnlich länger durch. Außerdem wollte sie - wie immer - ein paar Typen aufreißen, sie heiß machen und schließlich doch abblitzen lassen, weil sie nicht alt genug, groß genug oder einfach nur langweilig geworden sind. Xanna wirft nur scheu ihren Blick durch die pulsierende Menge und merkt dabei gar nicht die zahlreichen männlichen Blickpaare die bewundernd auf ihr liegen. Ich hingegen bin so eine Art Mischung. Ich sehe viele gutaussehende Typen die eindeutig in mein Beuteschema passen. Blond, groß und helläugig. Doch meistens hängen an mir dann nur die Deppen, die ich dann irgendwie wieder loswerden muss, was sich dann, je nach Hartnäckigkeit des Bewerbers, von einem höflichen ‚meine Freundinnen und ich müssen jetzt gehen, wir können ja mal schreiben‘ bis hin zu einem eher unfreundlichen ‚lass mich verdammt nochmal endlich in Ruhe!‘ ausdehnen konnte. Heute Abend hatte sich bisher niemand an uns ran getraut. Die Barkeeperin stellte nun schon den dritten Tequila Short vor mich hin. Die Zitrone hatte sie gleich weggelassen und das Salz brauchte ich auch nicht. Ich kippte mir das klare Getränk in den Mund, kostete kurz den Geschmack, den nur Tequila besaß, und schluckte es dann hinunter. Angel neben mir hatte ihren auch gerade weg und biss nun in die Zitronenscheibe. Ich genoss es zu sehen wie ihr Gesicht sich verzog, als auf den bitteren Alkohol die saure Zitrone folgte. Ich ließ meinen Blick durch die tanzende Menge schweifen, in der Hoffnung irgendein Spielzeug für heute Nacht zu finden. Den ich dann morgen wieder vergessen und meinem Alltag nachgehen konnte. Mit der ‚großen Liebe‘ hatte ich schon lange abgeschrieben. Es sollte wohl nicht sein. Er war ein guter Freund von mir gewesen. Vielleicht war gerade das das Problem. Ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass das mit uns niemals klappen würde, aber dafür habe ich verdammte zweieinhalb Jahre gebraucht. Ich bin echt bescheuert gewesen. Also sind Männer einfach nur noch ein wenig Spaß auf zwei Beinen. Ich will ja schließlich nicht auf alles verzichten. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf etwas was meine Aufmerksamkeit erregte. Ich schaute genauer hin. Ein Mann, eindeutig mein Beuteschema, schaute mich durch die Masse an. Er hatte lange blonde Haare und, soweit ich das erkennen konnte, helle Augen. Ich starrte zurück, ich sah es gar nicht ein als Erste wegzugucken und dadurch irgendeine Schüchternheit zu zeigen. Ich weiß nicht wie lange wir einfach so dastanden und starrten. Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. Doch dann schob sich ein tanzendes Paar in unsere Blickbahn und die aufgeladene Atmosphäre war abrupt zuende. „Ähh, Fi? Alles okay? Was ist da denn?“ fragte mich Xan und reckte sich, um in die Ecke schauen zu können, wo ich wohl eine etwas längere Zeit hingestarrt hatte. „Ich.. ähh ich dachte ich hätte jemanden gesehen den ich kenne“ erwiderte ich und richtete meinen Blick wieder auf die Menge, in der Hoffnung dieses Augenpaar wieder zu finden. Vergebens. „Jaaa.. können wir jetzt tanzen?“ Angels Blick huschte ungeduldig zur Tanzfläche und sie war schon auf dem halben Weg dorthin. Xan und ich folgten ihr und ließen und zu einer freien Stelle treiben. Als wir eine gefunden hatten, fing ich langsam an meine Hüften zu wiegen. Ich liebte tanzen. Ich fühlte mich frei und heiß. Zwei Dinge die in meiner Prioritätenliste so ziemlich ganz oben stehen. Ich ließ mich von der Musik treiben und konzentrierte mich auf nichts Anderes. Sogar den fast nicht zu vergessenden Blick konnte ich für eine Zeit lang aus meinen Gedanken verbannen. Ich sah nach ein paar Minuten wie Angel zu einer Bar gezogen wurde und sie mit einem Grinsen abzog und auch Xan huschte kurz davon, wahrscheinlich auf Klo oder frische Luft schnappen. Ich blieb wo ich war, immerhin bin ich doch keine Babysitterin von erwachsenen Frauen, oder? Wobei... bei Angel konnte man nie wissen, aber naja. Ich konzentrierte mich wieder auf das Lied und hörte auf mir Gedanken um die beiden zu machen, die mich so ziemlich am besten kannten. Und dies auch noch akzeptierten. Jackpot! Ich spürte wie Hände um meine Taille glitten und sich vor meinem Bauch verschränkten. Etwas in mir sagte mir, dass der geheimnisvolle Fremde ja noch hier irgendwo sein musste. Aber vielleicht ja nicht irgendwo, sondern genau da wo ich ihn haben wollte. Hinter mir. Ich tanzte einfach weiter und ließ meine Hände über seine gleiten. Seine hoben sich an und legten sich über meine. Weiche Haut, keine Hornhaut und kleine Wurstfinger. Nicht genau das was ich liebe, immerhin zeugte von solchen Fingern, das er nicht arbeitete und somit wahrscheinlich auch nicht weißt, wie er sie einsetzen soll, aber ich wollte mal nicht so sein. Dennoch könnte das ziemlich schade sein. Doch die Hände blieben nicht dort. Sie wollten tiefer, aber ich würde es nicht hier direkt auf der Tanzfläche treiben. Ein stilles Plätzchen - wo keine eifersüchtigen Schlampen dazwischen funken könnten - wäre doch viel besser. Also schob ich sie wieder auf meinen Bauch. Doch wieder wanderten sie weiter, höher. Nichts gegen einen heißen und sexy Kerl, aber - verdammt nochmal - nicht hier auf der Tanzfläche. Meine Hände umfassten entschlossen seine und hielten sie jetzt auf meinem Bauch. Ich merkte wie ich aus dem Takt geraten war und versuchte wieder hineinzufinden. Was gar nicht so leicht war wie sonst, da der Typ hinter mir mich wohl unbedingt begrapschen wollte. Plötzlich spürte ich wie sein Kopf sich zu meinem Ohr senkte. „Komm schon. Jemand der so tanzt, ist nur auf das Eine aus. Und ich hab heute noch nichts vor, also könnten wir uns doch jetzt einfach verziehen und ein wenig... Spaß miteinander haben.“ flüsterte er mir ins Ohr. Seine Stimme war absolut nicht die die ich erwartete hab. Irgendwie... zu hell und jungenhaft. Ich löste fast gewaltsam seine nervenden Hände von mir und drehte mich um. Ich schaute ein hoch in sein Gesicht und sah absolut nicht das was ich erwartet hatte. Kurze braune Haare und hellbraune Augen. Ich hatte eigentlich den Fremden mit dem tollen Blick erwartet, aber hier stand nur ein 17-jähriger Junge und schaute mich fordernd an. Ich zog eine Augenbraue hoch und schaute ihn an. „Entschuldige, ich glaube du hast da etwas missverstanden. Nur weil du mich grob antatschst, vögel ich nicht gleich mit dir. Außerdem bist du noch gar nicht volljährig!“ Ich war langsam vollkommen verdattert über diese Unhöflichkeit. Ich spürte wie seine Hand meinen Unterarm umschloss. Wahrscheinlich würde ich morgen blaue Flecken haben. Langsam blickte ich auf seinen Arm hinunter. Das war ja wohl unglaublich! Mein Blick glitt wieder zu ihm hoch. „Hast du einen Knall?“ fragte ich ihn langsam und mit leiser Stimme. Nun versuchte er mich mitzuziehen. Statt mitzugehen, was er anscheinend erwartet hatte, bog ich seine Finger auf und befreite meinen Arm. Abrupt drehte er sich um, doch bevor er etwas sagen konnte zischte ich „Verzieh dich oder du bekommst ein Problem.“ Sein Blick wanderte noch einmal über meinen Körper - und lag für meinen Geschmack zu lange auf meinen Brüsten - und dann zog er enttäuscht von dannen. Ich seufzte und drehte mich um, ich brauchte jetzt einen verdammten Drink. Ich schlängelte mich durch die Reihen wieder an die Theke. Als der Blick der Barkeeperin auf mich fiel, hob ich meine Hand und sie nickte. Wenig später kam sie mit einem Glas zurück und stellte es vor mich hin „N Tequila wie immer.“ Ich lächelte ihr leicht zu und gab ihr meine Karte. Ich nahm sie wieder entgegen und kippte das Glas. „Keine Zitrone?“ fragte plötzlich eine kehlige Stimme neben mir. Es war eine Stimme, die ich eindeutig dem geheimen Fremden zuordnete. Ich hob meinen Blick langsam zu dem dazugehörigen Gesicht und diesmal war er es. Ich lächelte. „Mag ich nicht. Ich finde ihn pur besser.“ Eine seiner Augenbrauen hob sich - ich liebe so etwas bei Männern, obwohl mich es auch aufregt, weil es so spöttisch aussehen konnte - und er bestellte sich auch einen. „Das trifft sich gut. Die Zitrone wird völlig überbewertet und das Salz sowieso.“ Er kippte seinen Tequila genauso runter wie ich - in einem Schluck - und verzog ebenfalls keine Miene. Das machte ihn gleich viel sympathischer. Ich drehte mich an der Bar um. Und schaute direkt in das Gesicht eines Monsters. Der Speichel tropfte ihm von den vielen Reiszähnen und Klauen hoben sich in mein Blickfeld. Klamottenfetzen hingen ihm von dem Armen und Oberkörper, wo jetzt eine Art Fell war. War ich hier im falschen Film? Träumte ich oder war ich schon betrunken? Ich hörte ein Knurren. Doch das kam nicht von dem riesigen, sabbernden Ding vor mir, sondern von dem Fremden neben mir. Mein Blick huschte zu ihm, als er mich hinter sich schob. Ich sah dem Wesen vor mir in die Augen, es waren hellbraune. Die kenne ich doch. Sie hatten eine große Ähnlichkeit mit dem aufdringlichen 17-jährigen. Das gibt es doch nicht, aber die Klamotten, oder was auch immer davon noch übrig war, wiederlegten dies. Es waren dieselben. Heilige Scheiße. Wir drei schienen stillzustehen, starrten uns einfach nur an. Und dann brach das Chaos aus. Die Nebelmaschine spuckte den chemischen Nebel direkt in unsere Richtung. Das Wesen schnappte nach dem mir immer noch unbekannten Mann vor mir, welcher ihm auf die Schnauze schlug. So schnell, das selbst ich es kaum sehen konnte, und ich stand direkt hinter denen. Das Monster schnappte wieder zu und wieder und wieder. Schlag um Schlag wurde es abgewehrt, aber ich fragte mich wie lange das noch so gehen sollte. Es verlief zwar alles fast lautlos, aber der Nebel würde nicht ewig halten. Plötzlich wurde der Typ vor mir weggerissen, das Wesen hatte wohl einen Schlag vorhergesehen. Sein Blick wanderte zu mir und ich bin verdammt stolz auf mich, dass ich nicht heulend und schreiend weggerannt war. Dann sah ich nur noch Reiszähne. Ich spürte wie sie mir die Brust aufrissen und dann wieder verschwanden. Ich sah wie der Fremde das Monster von mir wegriss und ihm dann mit einem geräuschvollen Knacken den Kopf nach hinten rum drehte. Erst jetzt spürte ich wie sich etwas warm auf meiner Brust und meinem Bauch ausbreitete. Ich sah an mir herunter. Mein gesamter Oberkörper war aufgerissen. Dann setzte der Schmerz ein. Ich keuchte und hob meinen Blick. Ich sah dem Fremden direkt ins Gesicht und lächelte im schwach zu, während er auf mich zukam und ich langsam zu Boden sank. Absurderweise war mein letzter Gedanke, dass der verdammte Scheißkerl ganze Arbeit mit meiner Brust geleistet hat, dafür dass ich ihn nicht ranlassen wollte. Ja, manchmal war ich echt verrückt.
Ich spürte wie ich langsam zu mir kam. Meine Sinne verstärkten sich allmählich wieder, jedoch blieb ich still liegen ohne die Augen zu öffnen. Ich versuchte mich zu erinnern, was gestern passiert ist. Ach ja, dieses geisteskranke Ding, was es für eine gute Idee hielt mich zu zerfetzen. Und dann war da ja auch noch dieser... Typ. Wie hieß er eigentlich? Na ja, ich glaube ich schulde ihm was. Immerhin hat er mich davor bewahrt... wovor eigentlich? War ich nicht tot? Gestorben an hohem Blutverlust? Die Wunde, die quer über meine Brust ging, war nicht gerade klein. Meine Gedanken kehrten wieder zu dem Typen zurück, der gegen dieses Wesen gekämpft hatte. Hatte er nicht auch etwas abbekommen? Am Arm? Er wurde doch weggezogen. Von dem haarigen, mit Reißzähnen besetzten Ding. Man war das verrückt. Bestimmt hab ich einfach nur ein bisschen zu tief ins Glas geguckt. Allerdings würde das dann bedeuten, dass ich in einem Bett liegen müsste. Entweder meinem, Xans oder Angels. Aber für ein Bett, war das, wo ich momentan drauf lag, ziemlich unbequem. Ich atmete tief ein - ohne Schmerz - und öffnete langsam die Augen. Ich starrte an eine Decke. Sie war bestimmt mal weiß, mittlerweile war sie grau und teilweise fast schwarz. Außerdem roch es ein wenig modrig. Wo war ich hier? Oho. Die Situation wird immer schlimmer. Jede Menge Alkohol und ein Aufwachen an einem Ort den man nicht kannte, und der so schäbig aussieht wie dieser hier, konnte einfach nichts Gutes bedeuten. Es deutete so ziemlich alles auf das hin, worauf Eltern ihre Kinder immer aufmerksam machen, bevor sie zum ersten Mal auf einer Feier oder in die Disco gehen. Passt auf euer Trinken auf. Lasst euch nicht auf Fremde ein und bleibt immer zusammen. Tja, und ich hab, bis auf die Sache mit dem Trinken, alles nicht befolgt. Ich hatte mit einem völlig Fremden getanzt - Regel Nummer 1 - und Xan und Angel sind auch weggegangen, was bedeutet, ich war alleine. Verstoß gegen Regel Nummer 3. Da kann man mal sehen, wie leichtsinnig man wird, wenn ein paar Mal alles gut läuft. Ich bewegte langsam meine Finger und Zehen. Funktionierte alles, ohne Schmerzen. Also hob ich die Arme, schwang die Beine über den Bettrand und setzte mich auf. Vielleicht war dies keine so gute Idee, denn mir wurde augenblicklich schwindlig. Ich sackte ein wenig zusammen, blieb ansonsten aber ruhig, damit die kleinen schwarzen Punkte verschwinden konnten. Ich sah mich im Zimmer um. Direkt neben mir stand ein kleines Nachtschränkchen, was eindeutig schon bessere Zeiten gesehen hatte, genauso wie der heruntergekommene Schrank. Außerdem stand mitten im Raum ein Tisch mit einem Stuhl. Marode und kurz vor dem Zusammenbrechen. Halt mal. Ich schaute genauer zum Stuhl. Denn auf ihm saß, mit verschränkten Armen und mit den Füßen auf dem Tisch, ein Typ. Der Typ. Von gestern aus der Bar. Und er schlief. Aber wenn er hier war, bei mir... war das dann alles wirklich passiert? Der aufdringliche Typ, das Monster, der heiße Fremde. Oh Götter. Erschrocken blickte ich an mir herunter. Ich hatte immer noch die blutigen Klamotten an. Aber keine Schmerzen. Gar nichts. Was doch sehr bemerkenswert ist, da ich immerhin fast zerrissen wurde. Mein Blick wanderte wieder zu dem äußerst gutaussehendem und nicht mehr schlafenden Typen. „Gut. Du bist wach.“ Er lächelte mich an und streckte sich. „Also, dann wollen wir mal.“ Er stand auf und ging zur Tür. Er geht? Aber er konnte mich doch nicht einfach hier alleine lassen! Ich hab doch überhaupt keine Ahnung wo ich bin, geschweige denn wie ich hier wieder wegkomme! Mittlerweile hatte er schon die Hand an der Klinke. Er schaute zurück zu mir, seufzte. „Worauf wartest du? Komm schon.“ Ich sollte mitkommen? Wohin denn? Würde er mich nach Hause bringen? So wie ich jetzt aussehe?! Ich blieb einfach sitzen und schaute ihn verwirrt an. „Mitkommen? Wohin?“ fragte ich und fühlte mich wie ein dummes, kleines Kind. Er verdrehte die Augen und seufzte nochmal. „Wir müssen hier weg. Hab nur für eine Nacht gebucht und außerdem müssen wir dir was Neues zum Anziehen besorgen. Und geschwächt bist du immer noch, also muss ich dir wohl noch mehr geben.“ Er lächelte mich an. Hä? Was? Ich sah wohl immer noch ziemlich verwirrt aus, denn er kam auf mich zu und reichte mir die Hand. „Komm jetzt. Ich beiße schon nicht.“ Irgendwie brachte ihn das zum Lachen und ich hatte das Gefühl irgendetwas nicht mitbekommen zu haben. Trotzdem ließ ich mich von dem Bett und durch den Raum ziehen. Das Schwindelgefühl sowie die schwarzen Punkten blieben. Ich war wohl wirklich etwas schwach, jedoch bei ziemlich guter Gesundheit, wenn man den gestrigen Abend bedachte. Also ging ich den Flur entlang, der dieselbe ungesunde graue Farbe hatte wie das Zimmer. Die Hand von ihm hielt immer noch meine und die andere lag um meiner Taille. Ich war ihm dankbar dafür, es wäre sehr peinlich mitten in dieser Bruchbude zusammenzubrechen. Stattdessen spürte ich überdeutlich wo seine Hand über meiner Hüfte lag. Sie strahlte eine Wärme aus, die überhaupt nicht unangenehmen war. Wer weiß was diese Hand noch so alles anstellen konnte..? Stopp! Stopp, stopp, stopp, nicht hier, nicht jetzt, nicht so. Wir liefen jetzt durch einen größeren Raum, auf eine Tür zu, die halb aus den Angeln hing. Er ließ meine Hand los, um sie zu öffnen, die andere blieb wo sie war. Wir traten hinaus und die kalte Novemberluft umfing mich. Da ich meine Jacke in der Garderobe der Disco abgegeben hatte, hatte ich nur das zerfetzte Top mit dem Hemd. Ich hielt sie vorne zusammen um wenigstens ein bisschen Wärme zu behalten und damit nicht die halbe Welt meine Titten begaffen konnte. Schade, ich mochte das Hemd wirklich sehr, es war mein Lieblingshemd und mit ihm hatte ich schon so manchen Typen rumgekriegt. Erst jetzt fiel mir auf, dass der Himmel über uns noch dunkel war. Es war Nacht? Entweder war ich lange bewusstlos gewesen, oder hatte nur ein kleines Nickerchen gehalten. Wir gingen quer über den Platz, auf dem sogar ein paar Autos parkten. In dieser Bude stiegen auch noch Leute ab? Schön, dass es noch Leute mit solch immensen Geschmacksverirrungen gibt, denn ansonsten wären solche Leute wie die Angestellten dieses… Hauses recht schnell arbeitslos. Ich wurde zu einem Motorrad geführt. Hmmm... vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich, seit ich 15 bin, ein Motorrad haben wollte. Ich wollte den Adrenalinkick fühlen, wenn man mit mehr als 100 über den Asphalt rauscht. Und die Maschine, die vor mir stand, war ein Traum. Ein absoluter Traum. Und genau zu diesem Traum hatte dieser Typ einen Schlüssel. War das nicht gemein? Er gab mir einen Helm und mir war schleierhaft, wo er denn jetzt hergezaubert hatte. Ich schaute auf ihn herab und dann wieder zu ihm. Ich war verwirrt. „Weißt du, das ist ein Helm. Den setzt man für gewöhnlich beim Motorrad fahren auf, um größere Kopfverletzungen zu vermeiden. Und ich habe ihn dir gegeben, damit du ihn dir jetzt aufsetzt, da ich vorhabe, dich mit Motorrad zu transportieren.“ er blickte mich an und ich konnte sehen wie er sich das Lachen verkneifen musste. Ich funkelte ihn an. „Ich weiß sehr wohl, wie man einen Helm benutzt.“ erwiderte ich „Allerdings steige ich nicht einfach zu einem mir vollkommen fremden Typen aufs Motorrad. Ich kenne dich ja gar nicht!" Nun schaute er verwirrt, das Gefühl, dass er sich das Lachen verkniff, blieb jedoch hartnäckig. „Aber wir haben soeben dich Nacht miteinander verbracht, ich glaube noch näher…“ - er senkte sein Gesicht direkt vor meins – „…können sich zwei Personen nicht kommen.“ Ich hätte schwören können, dass sein Blick - zumindest kurz - auf meinen Lippen lag, bevor er mir wieder in die Augen schaute. „Wenn wir uns so nah sind, wie du sagst, müsstest du ja eigentlich auch meinen Namen kennen, oder?“ Ich grinste ihn schelmisch an. Er kniff die Augen zusammen. „Und ich müsste deinen kennen.“ Er richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Dann lachte er. Es war unglaublich. Nie hätte ich gedacht, dass ein Lachen so umwerfend sein kann. Seine Stimmer war tief und voll. Jedoch hörte es genauso schnell wieder auf, wie es angefangen hatte. Jetzt schaute er mich wieder an. Ein paar Minuten vergingen. Vielleicht waren es auch nur Sekunden. Ich hatte mich immer gefragt wie Leute so etwas aushalten. Das würde doch langweilig werden, aber in diesem Augenblick vergaß ich die Zeit vollkommen. Irgendwann fiel mir wieder ein, worüber wir geredet hatten. „Fianna. Ich heiße Fianna.“ sagte ich und reichte ihm meine Hand. Er schaute auf meine Hand und hob dann langsam seine um sie in meine zu schieben. „Cannes.“ erwiderte er und drückte meine Hand. Anscheinend schien er zu warten, dass ich etwas sage. Ich grinste ihn an und setzte mir den Helm auf. Er zog eine Augenbraue hoch und drehte sich zu seiner Maschine um. Ich ging ein paar Schritte zurück um ihm Platz zu machen, als er das Motorrad aus der Parklücke schob. Ich sah zu, wie er aus seiner Tasche einen Schlüssel hervorzauberte und aufstieg. Ich bewunderte ihn und das Motorrad. Wirklich gemein. Er drehte seinen Kopf zu mir herum „Soll ich dich auf das Motorrad tragen?!“ Ha ha. Wie lustig. Ich ging zu ihm. „Keine Angst, das kann ich schon alleine.“ sagte ich leise und stieg hinter ihm auf die Maschine. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, die andere umfassten nach wie vor meine Oberteile. Ich hörte ihn seufzen. Was war denn jetzt schon wieder? Plötzlich griff er meine Hand, nahm sie von seiner Schulter und legte sie um seine Taille und drückte kurz, um mir zu zeigen ‚Lass sie einfach da‘. Dann griff die andere Hand nachhinten, doch die wollte ich nicht von ihrem Ort entfernen, das sie immer noch dafür sorgte, das ich nicht halbnackt war. Doch er ließ nicht locker, bis er sie schließlich auch um seine Taille gelegt hatte. „Ich hab ehrlich keine Lust dich auch noch von der Straße aufsammeln zu müssen.“ Wie nett. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich an seinen Rücken zu pressen, damit die Klamottenfetzen nicht im Fahrtwind hinter uns her wehten. Er startete mit dem Kickstarter und fuhr los. Ich lehnte meinen Kopf an seinen Rücken und genoss es so schnell durch die Dunkelheit zu rasen. Es war unbeschreiblich. Genauso wie der Typ an den ich mich gerade presste. Cannes. Ein schöner Name. Passte zu ihm. Wir bogen nun von der Schnellstraße auf die Autobahn. Da fiel mir etwas ein. Ich kannte seine Namen, ja, aber das war‘s auch schon. Und jetzt sitze ich hinter ihm auf seinem Motorrad und halb null Ahnung wo er hinfährt. Das mit dem Thema Dummheit hatten wir ja schon. Aber jetzt konnte ich nur noch dasitzen, mich an den unglaublich heißen Cannes pressen und hoffen, dass er nicht irgendein kranker Entführer ist. Ich weiß nicht wie lange wir so dahinfuhren, aber lange kam es mir nicht vor. Wir bogen schließlich an einer nichtssagenden Ausfahrt ab und kamen in ein kleines Städtchen. Wo waren wir hier? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, er hingegen schien genau zu wissen wo wir waren, denn er fuhr zielsicher durch die langsam heller werdenden Straßen. Während ich mich immer noch fragte wo zu Teufel wir waren, hielten wir an einem einsamen Bahnhof. Zu dieser Tageszeit lungerten hier nur ein paar Jugendliche herum, die ein bisschen zwielichtig aussahen. Er hielt auf dem kleinen Parkplatz vor dem Bahnhofhäuschen und schaltete den Motor ab. Ich glitt von dem Hintersitz, nachdem ich mich fast dazu zwingen musste, meine Hände von ihm zu nehmen und die eine wieder auf mein Oberteil zu legen. Mit der anderen Hand versuchte ich mir den Helm vom Kopf zu streifen, was mir natürlich nicht gelang. Das Aufsetzten war viel leichter gewesen. Cannes hatte wohl bemerkt, dass ich so meine Schwierigkeiten hatte. Denn ich spürte wie er unter den Helm griff und ihn mir vom Kopf zog. Ich blickte ihn durch meine zerzausten Haare an. Er grinste. „Gern geschehen.“ Mistkerl. Sein Blick wanderte zu meiner Hand, die krampfhaft mein Top und Hemd zusammen hielt. Ich merkte wie mir ganz warm unter seinem Blick wurde. Was war nur los mit mir? Sonst blieb ich bei Kerlen doch auch immer die Kühle und Gelassene. 2Wir sollten dir wirklich etwas Neues zum Anziehen besorgen. Wir wollen doch nicht dass du frierst.“ Er grinste wieder und drehte sich um, in Richtung der Schienen. Wollte er etwa mit dem Zug fahren? Jetzt ging er auch noch dahin. Was war mit seiner Maschine, er konnte sie doch nicht einfach hier stehenlassen! Unglaublich. Er drehte sich um, schaute zu mir zurück und wollte gerade etwas sagen - wahrscheinlich wieder irgendein blöder Spruch - doch ich unterbrach ihn, indem ich etwas sagte „Ich komm ja schon. Und nein, du musst mich nicht tragen, ich glaube das krieg ich gerade noch so hin. Allerdings wüsste ich nur zu gerne, was hier zur Hölle nochmal vorgeht.“ Ich wurde so langsam wütend und der vollkommen entspannte Ausdruck in Cannes Gesicht verschlimmerte das nur. Er hatte sich mehr rausgenommen, als je ein Mann vor ihm. Aber ehrlich gesagt habe ich ihm vielmehr durchgehen lassen, als den Männern vor ihm. Er kam ein paar Schritte zu mir zurück „Wir werden in den nächsten Zug steigen Fianna.“ Das war zwar eine Auskunft, aber keine sehr deutliche, denn wenn wir an einem Bahnhof hielten und auf die Ein- und Ausstiegsstelle der Züge zusteuerten, konnte ich mir fast denken das der Plan war auch in einen zu steigen. Na ja, sein Plan. Ich hatte langsam genug. Ich wurde belästigt und an gegrapscht, fast zerrissen, in eine schäbige Bruchbude entführt, dann mit einem - wenn auch geilem - Motorrad weiter ‚transportiert‘ und schließlich wollte er mich mit dem Zug noch weiter wegbringen. Was hatte er vor? Ich sah es gar nicht ein noch ein Schritt weiter zu machen. Mich schon wieder fügen. „Und warum steigen wir in den Zug? Weißt du, ich hab nämlich so langsam hab ich die Nase voll. Was soll der ganze Scheiß? Kannst du mich nicht einfach nach Hause bringen? Bitte?!“ Ich war plötzlich wieder erschöpft und das Schwindelgefühl nahm auch wieder zu. Ich wollte einfach nur nach Hause in mein Bett. Er kam auf mich zu. „Wir müssen fahren. Der Zug wird gleich kommen, ich werde dir mehr erzählen, wenn wir sicher darin sitzen.“ Er schaute auf mich hinunter und sein Blick war unergründlich. „Versprochen“ sagte er mit weicher Stimme, die mich leicht alles vergessen ließ. Aber nicht jetzt. Ich war genervt, todmüde und mir wurde immer schwindliger. Als Cannes sah, das keine Anstalten machte, mich zu bewegen, nahm er wieder meine Hand und seine andere legte sich wieder um meine Hüfte. Wieder war da diese störende Wärme, die sich schnell ausbreitete. Aber das interessierte mich im Moment nicht so sehr, da er mich auf den Bahnsteig zuschob. Hatte er etwas nicht verstanden? Hatte ich mich undeutlich ausgedrückt? Aber mir wurde schnell klar, dass Wiederrede nichts bringen würde. Ich konnte es ja mit List versuchen. Ich lehnte mich mehr an ihn, um ihm zu signalisieren, dass ich schwächer wurde. Er verstärkte seinen Griff um meiner Taille. Gut so, denk nur, dass ich schwach und auf dich angewiesen bin. In meinem Inneren hingegen suchte ich meine letzte Kraft zusammen. Wir mussten gar nicht lange warten, er hatte Recht gehabt. Die Lichter des Zuges kamen schnell näher, und ich hoffte, dass Cannes nicht meinen schneller werdenden Herzschlag bemerkte. Hätte mir gerade noch gefehlt, dass ich mir selber den letzten Fluchtversuch versaute. Der Zug fuhr jetzt in den Bahnhof ein und wurde langsamer, bis er schließlich stand. Cannes zog mich sanft - die eine Hand immer noch um meiner Taille, die andere an meiner - zur Tür. Der Schaffner öffnete sie und sah uns misstrauisch an. Was verständlich ist, da es immer noch ziemlich dunkel war. Wer stieg schon so früh morgens in einen Zug? Außerdem, so wie Cannes mich hielt könnte man einiges schließen. Aber sein Blick auf mein blutiges Oberteil gab den Rest. Doch bevor er auch nur etwas sagen konnte, passierte etwas. Cannes Augen… fingen an blau zu leuchten. Was ging hier vor? Der Schaffner starrte Cannes an und blieb ruhig. „Wir sind zwei nette Reisende. Du hast unsere Fahrkarten gesehen und wirst uns unsere Plätze zeigen.“ sagte Cannes mit der kehligen Stimme, die er auch gestern an der Bar gehabt hatte. Der arme Mann nickte und deutete uns, in den Zug zu steigen. Cannes ging einen Schritt und zog mich mit. Das war meine Chance, meine einzige. Ich riss mich von ihm los, drehte mich um und rannte los. Egal wohin, hauptsache von dem Irren weg der mich wer-weiß-wohin verschleppen würde. Ich hastete quer über den Bahnsteig, an dem kleinen Bahnhäuschen vorbei, zu der Straße hin. Es war immer noch zu früh, als das da irgendwelche Leute oder Autos waren. Doch bevor ich mich entscheiden konnte, in welche Richtung ich fliehen würde, spürte ich, wie sich etwas um meine Taille schlang und mich hochhob. Verdammt! Die Freiheit war so nahe. Ich wurde herumgeschleudert und zurück zum Zug getragen. Der Schaffner stand nach wie vor mit verschleiertem Blick an der Zugtür und deutete uns nach innen zu gehen. Was wir jetzt auch taten. Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße. Wir gingen in das uns gezeigte Abteil und der Schaffner schloss auf Cannes Anweisung hin die Tür. Nun waren wir wieder alleine. Er ließ mich los und ich plumpste auf den Boden. Ich stand auf, tat so als ob das nie passiert wäre, setzte mich auf einem Sitz neben dem Fenster und schaute auf die dahinfliegende Landschaft, da der Zug schon mit beängstigendem Tempo losgefahren war. Ich spürte wie Cannes sich gegenüber von mir hinsetzte, die Arme verschränkte und mich beobachtete. Ich versuchte ihn zu ignorieren, genauso wie den Schwindel, der jetzt noch stärker zurückkam, da ich meine letzten Kraftreserven verbraucht hatte. Irgendwann gab ich auf und sackte zusammen wie ein Häufchen Elend. Ich lehnte meinen Kopf an die kühle Fensterscheibe und versuchte immer noch seinem Blick zu entkommen. Vergebens. Und nach einiger Zeit gab ich auch diesen Kampf auf und schaute ihn an. „Was?“ fragte ich, leider mit schwächerer Stimme als mir lieb war. „Warum starrst du so?“ „Ich warte.“ Er wartet? Worauf? Das ich ihm vor die Füße falle und mich dafür bedankte, dass er mich irgendwohin brachte? Oder darauf, dass ich meinen nächsten Fluchtversuch startete? Oder mich sogar für den letzten entschuldigte? Egal was es war, ich würde keines davon tun. Da konnte er noch so lange warten. „Und worauf wartest du?“ Ich kämpfte gegen noch einen Schwindelanfall. Sie wurden von Mal zu Mal schlimmer. Und ich war so müde. Warum war ich so müde? Ich hatte doch erst geschlafen, auch wenn das eher eine Bewusstlosigkeit gewesen war. Die schwarzen Punkte kamen wieder und meine Sicht begann zu flimmern. Der nächste Schwindelanfall kam und sorgte dafür, dass ich schon wieder bewusstlos wurde, das spürte ich. Und während ich mit geschlossenen Augen zur Seite sackte hörte ich wie er sagte: „Darauf, meine kleine Fianna.“
Es war hell als ich langsam aufwachte. Diesmal wusste ich genau was passiert war und wer mich gerade wach rüttelte. „Wir müssen gleich raus. Komm schon Schlafmütze, du hast jetzt genug gepennt.“ Diese wundervolle Stimme nervte mich gerade ein bisschen. Ich wollte nicht aufwachen. Ich fühlte mich immer noch schwach. Aber er hörte nicht auf. Ich schlug mit einem Seufzen die Augen auf und starrte direkt in seine. Sein Gesicht war nur Zentimeter von meinem entfernt. Er grinste leicht. „Morgen, Dornröschen.“ Ich streckte mich über die Sitzreihe des Abteils, auf dem ich mich wohl ausgebreitet hatte. Ich spürte wie der Zug rumpelnd zum Stehen kam. Vorsichtig richtete ich mich auf. Cannes wich zurück und stand auf. Mein Blick fiel auf mein Oberteil, was ziemlich weit auseinander klaffte. Shit. Schnell raffte ich es zusammen und stand ebenfalls auf. Mir ging es zwar schon ein wenig besser, aber schwindelig war mir immer noch. Cannes zog die Tür auf und zeigte mir den Weg hinaus. Ich stieg aus dem schon leeren Zug auf den überfüllten Bahnsteig hinaus. Überall redeten Leute, rannten zu ihren Zügen oder schleppten ihr Gepäck. Das war zu viel. Ich schloss kurz die Augen und blieb stehen. Cannes Hand glitt merkwürdig vertraut wieder um meine Taille und dirigierte mich in den Bahnhof hinein. Er war riesig. Die meisten Leute achteten gar nicht auf uns oder mein Oberteil und ich konnte mich nicht entscheiden, ob das gut oder schlecht war. Gut, damit wir keine Probleme kriegten, schlecht, weil mir niemand half endlich nach Hause zu kommen. Er führte mich zu einem Souvenir-Shop. Ohne mich loszulassen, fand er das, was er suchte. Ein Shirt. Er griff sich das erstbeste und legte es auf das Pult der Kasse. Sie achtete ebenfalls gar nicht auf uns, war vollkommen vertieft in einem Gespräch mit einer Kollegin hinter einem Vorhang. Nachdem wir das Wechselgeld dann bekommen hatte, drückte er es mir in die Hand. Wir gingen wieder aus den Laden raus, auf die Toiletten zu. Als wir direkt vor der Damentoilettentür waren und ich mich fragte ob er auch noch mit reinkommen würde, blieb er stehen. „Du ziehst dich nur um. Keine weiteren Fluchtversuche, verstanden. Ich würde dich so oder so wieder einfangen.“ Ich nickte und ging durch die weiße Tür. Ich suchte mir eine der Kabinen und schloss sie ab. Langsam streifte ich mir Hemd und Top ab. Mein BH war - erstaunlicherweise - noch heile. Ich fuhr mit vorsichtigen Fingern über meine Brust. Alles normal, als ob nie etwas gewesen wäre. Ich schüttelte den Kopf und zog mir das Shirt über. Natürlich war es viel zu groß, es ging mir bis knapp über die Knie. Ich raffte das Top und Hemd zusammen und warf sie in den Mülleimer. Danach schloss ich wieder auf und ging zu dem Waschbecken um mir das Blut von den Händen zu waschen. Ich sah mich im Spiegel an. In dem kalten Neonlicht leuchteten meine Haare wie funkelnde Rubine und meine Augen wie Smaragde. Sie wirkten aufgeregt und aufmerksam, wie sie mich so aus dem Spiegel heraus musterten. Ich trocknete mir die Hände und ging zur Tür, auf deren anderen Seite mein Entführer stand. Erstaunlicherweise ging es mir schon besser als vorher. Ich drückte die Tür auf. Cannes stand an der Wand gelehnt und sein Blick huschte zu mir. Er wanderte einmal über mein Outfit, dann fing er an zu schmunzeln. Dämlicher Mistkerl. „Komm, du hast bestimmt Hunger. Wir haben noch ein wenig Zeit, bis der nächste Zug kommt.“ Nächste Zug? Wir fuhren noch weiter? Cannes ging schon wieder los, auf irgendeinen Imbiss zu. Ich jedoch blieb mit verschränkten Armen zurück. Ich hatte jetzt endgültig die Nase voll. Sollte er doch alleine gehen, oder sich jemanden anderes suchen, den er quer durch die Welt entführen kann. „Kommst du?“ fragte er und blickte zu mir zurück. „Nein.“ erwiderte ich trotzig und blieb stehen. „Ich werde nicht mit dir kommen. Du hast mich vor diesem… diesem Ding gestern Abend gerettet und dafür bin ich dir auch dankbar. Aber das ist noch lange keine Erlaubnis für dich, mich quer durch Europa zu entführen! Du hättest mich einfach nur zuhause absetzen müssen! War das zu viel für dich?“ Cannes kam ein paar Schritte zu mir zurück. „Fianna...“ fing er an, doch ich unterbrach ihn. Ich wurde seit Jahren nicht mehr so genannt. „Fi.“ sagte ich. „Also gut, Fi. Wir werden denn Zug nehmen. Mit oder ohne deine Einwilligung.“ Was glaubt er eigentlich wer er ist? „Ich hab noch nicht mal eine Ahnung wohin du mich bringen willst, geschweige denn, wieso!“ blaffte ich ihn an. „Ich werde dich zu mir bringen. Das Ding, wie du es nennst, wollte dich töten. Es war ein Werwesen. Sie jagen immer in Rudeln. Und gestern habe ich ein Mitglied dieses Rudels getötet. Du warst zwar nicht aktiv daran beteiligt, aber das wird sie nicht daran hindern dich aufzuspüren. Dich zu töten. Sie werden zwar nicht lange suchen, und schnell wieder vergessen, aber dennoch bist du hier nicht sicher. Ich will dir nur helfen, aber du machst es mir – uns – unnötig schwer.“ Oh. Okay, dass klang zwar echt krank, und ziemlich unglaublich, aber es wäre eine einigermaßen vernünftige Begründung für die ganze Sache. „Und warum hast du nicht früher etwas gesagt?“ fragte ich ihn, nun ein wenig beruhigt. „Wollte ich. Im Zug, aber du warst so verausgabt von deinem Fluchtversuch, dass du es vorzogst in Ohnmacht zu fallen, als mit mir zu reden.“ Da hatte er Recht und hatte er nicht gesagt, dass er mir im Zug mehr erzählen wollte? „Also gut.“ gab ich mich geschlagen. Er lächelte gewinnend. „Dann lass uns etwas zu essen holen. Du hast bestimmt Hunger.“ Und wie! Ich ging hinter ihm her auf die Imbissbude zu. Er bestellte eine große Pommes und eine Cola. Innerhalb von wenigen Minuten hatte ich beides verputzt und wir gingen wieder zum Bahnsteig. So ganz wohl war mir bei der Sache zwar noch nicht, aber wenn er Recht hatte, musste ich mit ihm mitgehen. Dämlicher Mistkerl. Er zog mich in einen Zug - mit derselben leuchtenden-Augen-Masche - und suchte uns ein Abteil. Diesmal waren es keine zwei Sitzreihen, sondern ein Etagenbett und ein kleines Bad. Das trifft sich gut, ich wollte unbedingt duschen, um den Rest des Blutes loszuwerden. Aber die Betten? Wie lange würden wir denn fahren? Cannes schloss hinter uns die Tür und setzte sich an einen minimalen Tisch, der eingeengt unter dem Fenster stand. Ich zog eine Augenbraue hoch „Was ist?“ fragte er. Ich deutete auf das Bett neben mir. „Ein Bett? Wie lange fahren wir denn?“ Ich erinnerte mich daran, dass er gesagt hatte, dass er mich zu sich brachte. Aber wo war das? „Etwas länger. Aber wir müssen nicht mehr umsteigen, der Zug fährt genau dorthin.“ Ja, aber wo war ‚dorthin‘? Ich ließ es auf sich beruhen, und ging in das kleine Bad, um zu gucken ob es dort Duschzeug gab. Ich hatte Glück. Ich schaute zurück ins Abteil. „Ich werde jetzt duschen gehen.“ Ich zog meinen Kopf zurück, überlegte es mir dann aber nochmal anders und schaute wieder zurück. „Du bleibst hier.“ fügte ich warnend hinzu. Dann zog ich den Kopf wieder zurück und schloss hinter mir ab. Ich streifte mir die Jeans ab und das Shirt. Dann die Unterwäsche und schließlich die Schuhe. Verdammt anstrengend, den ganzen Tag auf 9-Zentimeter-Absätzen zu laufen, denn ich hatte ja bisher nicht die Möglichkeit gehabt andere anzuziehen. Ich legte mir das Handtuch zurecht und stellte die Duschsachen in die die kleine Dusche. Ich seufzte, ich konnte mich noch nicht mal richtig umdrehen, aber besser als gar nichts. Ich stellte das Wasser an und erstaunlicherweise war es sofort warm. Ich begann mir die Haare zu waschen. Danach schrubbte ich mir das Blut von meinem Oberkörper. Es war ein gutes Gefühl es endlich dahinfließen zu sehen und nicht mehr auf der Haut zu spüren. Da ich nicht wusste, ob Cannes auch noch duschen wollte, ließ ich ihm etwas von dem Duschzeug übrig. Als ich fertig war, stellte ich das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Hastig zog ich mir die Klamotten an. Es fühlte sich wirklich gut an, wieder sauber zu sein. Vor dem kleinen beschlagenen Spiegel kämmte ich meine Haare mit den Fingern so gut durch wie es ging. Dann hängte ich das Handtuch an eine Stange, die an der Wand war und schloss die Tür wieder auf. Langsam ging ich ins Abteil. Cannes saß immer noch genau da, wo er vorher saß. Er starrte mich an. „Hast du mir was übrig gelassen?“ Ich grinste. „Jep“ und setzte mich aufs Bett. Er verschwand im Bad und ich schaute mich um. Das Zimmer war zwar extrem klein, aber dennoch passten hier ein Etagenbett und ein Tisch mit Stuhl rein. Die Vorhänge vor dem Fenster waren dunkelrot, genauso wie die Bettbezüge und der leicht abgetretene Teppich. Anscheinend hatte Cannes für uns nicht gerade die erste Klasse ausgesucht. Ich blieb einfach dort sitzen, bis Cannes aus dem Bad wiederkam. Nur mit einem Handtuch um den Hüften. Was...? Ich starrte ihn an und ließ dann meinen Blick über seinen Körper wandern. Dafür gab es echt nur ein Wort: WOW. Er war durchtrainiert, aber nicht so übertrieben. Seine Haut auf dem Bauch und der Brust wies Narben auf, wahrscheinlich von irgendwelchen Kämpfen. Mir kam der Gedanke, diesen Narben mit der Zunge zu folgen. Mir wurde ganz warm. Ich sollte das echt nicht tun. Das war doch krank. Ich blickte ihm wieder nach oben ins Gesicht. Er grinste mich wissend an. Ich dachte gar nicht daran mich zu schämen und lächelte zurück. „Ich werde mir neue Klamotten holen. Wenn du auch etwas willst, kannst du mitkommen.“ Neue Klamotten holen? Klingt gut. Das Shirt war zwar einigermaßen frisch, aber die Hose hatte ein bisschen Blut abbekommen und vielleicht fand ich auch neue Unterwäsche. Mal gucken. Ich nickte ihm zu und stand auf. Jedoch war es mir ein Rätsel, wie er in einem fahrendem Zug Klamotten für und finden wollte. Ich glaubte nämlich nicht, dass es hier eine Klamottenboutique gab, die sich für blinde, klamottenlose Passagiere ein paar Anziehsachen bereithielt. Er ging tatsächlich nur mit dem Handtuch bekleidet durch den Zug. Es wurde langsam wieder dunkel und viele Menschen kamen uns nicht entgegen. Was vielleicht auch ganz gut ist, den immerhin war er fast nackt. Wollte er mich in den Wahnsinn treiben?! Ich versuchte mich wieder auf den Weg zu konzentrieren, auf die Farben der Teppiche und Vorhänge oder auf irgendetwas außer ihm. Er schaute unauffällig in die Abteile. Schließlich blieb er stehen und klopfte an eine Tür. Sie wurde von einer jungen Frau geöffnet, die ungefähr mein Alter hatte. Sie schaute genervt. Bis sie Cannes sah. Sie setzte ihr schönstes Lächeln auf und rückte schnell ihre Haare zurecht. Ich fühlte plötzlich etwas, dass sich gar nicht gut anfühlte. Anfühlte wie… Eifersucht. Das hat mir gerade ja noch gefehlt! Ich ließ es mir jedoch nicht anmerken. Das fehlte seinem Ego gerade noch. „Ja?“ fragte die Blonde vor uns ihn zuckersüß, denn mich schien sie gar nicht zu sehen. Ich konnte richtig spüren, wie er seinen Strahle-blick einsetzte. „Wir haben nichts zum Anziehen. Würdest du uns bitte hereinlassen und uns etwas von dir und deinem Bruder zur Verfügung stellen?“ Sie nickte in Trance und ging zurück ins Zimmer. Ich war erschrocken, wie normal dieser Blick schon für mich war. Ich bin eindeutig verrückt. Und woher wusste er, dass sie einen Bruder hatte? Kannte er sie? Das unangenehme Gefühl machte sich wieder bemerkbar, aber ich verdrängte es schnell. Sie zog einen Koffer in Leopardenmuster unter dem Bett hervor und legte ihn auf das Untere. Sie zog mit einem surrenden Geräusch den Reißverschluss auf, klappte den Deckel auf und ließ eine Menge Klamotten zur Schau kommen. Danach holte sie einen zweiten Koffer hervor und verfuhr mit dem genauso wie mit dem Ersten. Dann setzte sie sich auf den Stuhl - immer noch mit glasigem Blick - und schien zu erwarten, dass wir uns bedienten. Cannes ging ohne Scham zu dem zweiten Koffer und suchte sich etwas heraus. Ich tat dann dasselbe und suchte mir etwas raus. Zwei Tops, eine Hose, eine Art Leggins, zweimal Unterwäsche und eine lange Bluse zu dem ein Gürtel gehörte. Ich fühlte mich schon leicht unwohl dabei, direkt vor ihren Augen ihren Koffer leerzuräumen, aber es ging ja nun mal nicht anders. Außerdem schaffte es mir ein gutes Gefühl ihr eines auszuwischen, nachdem sie solch eine untypische Reaktion bei mir hervorgerufen hat. Ich nahm an, dass Cannes bei sich zumindest Klamotten hat, wenn nicht, dann wenigstens ein paar Läden. Nachdem wir beide etwas hatten, bedankte Cannes sich und wir gingen zurück. Ich ging geradewegs in das Bad und zog mich um. Ich zog mir die lange braune Bluse über und darunter die schwarze Leggings. Am Ende schloss ich den losen Gürtel um meiner Taille. Das übergroße Shirt behielt ich, ich hatte keine Schlafsachen und das Shirt schien mir eigentlich ganz geeignet dafür. Bevor ich meine abgelegten Sachen zusammenraffen und aufheben konnte, ging die Tür auf. Einfach so. „Fertig?“ fragte er. Zu seinem Glück war ich wirklich schon fertig. „Ja.“ zischte ich und rauschte an ihm vorbei wieder in das kleine Abteil. Die anderen Teile legte ich zusammen auf das obere Bett. „Was ist wenn ich das obere Bett haben will?“ fragte plötzlich seine tiefe Stimme neben meinem Ohr. Dieselbe, die er an der Bar und an dem Bahnhof benutzt hatte. Ich drehte mich zu ihm um. Er war nur knappe zwei Zentimeter von mir entfernt. Mein Blick wanderte zu seinen Lippen. Sie sahen so weich aus. Ob sie sich auch so weich anfühlten? Ob ich das jetzt einfach herausfinden sollte? Nein, das war keine gute Idee. Gar nicht gut. Ich blickte wieder in seine Augen. Sie waren grau-blau. Außerdem waren sie ebenfalls auf meine Lippen gerichtet. Und wenn ich ihn jetzt einfach küsse? Nur ganz kurz? Er legt es ja förmlich darauf an. Aber diese Erniedrigung würde ich ihm nicht geben. Mich entführen zu lassen und mich dann willig an ihn ranzuschmeißen. Also versuchte ich mich wieder daran zu erinnern, was er gesagt hatte. Ach ja, das Bett. „Dann hast du Pech gehabt.“ sagte ich und lächelte ihm wissend zu. Ich wich zurück und setzte mich auf den kleinen Stuhl. „Und hattest du es nicht so eilig mit dem umziehen?“ Mit einem Grinsen deutete ich auf die immer noch offen stehende Tür des Bads. Er grinste nur zurück und verschwand. Ich sah aus dem Fenster und konnte nur die Schatten erahnen, die an dem Zug vorbeirasten. Mittlerweile war es schon wieder dunkel und ich fragte mich was ich den ganzen Tag gemacht hatte. Es kam mir so kurz vor. Aber wahrscheinlich hatte ich ihn im ersten Zug einfach verpennt. Und trotz des langen Ko-schlafs war ich schon wieder erschöpft. Ich sah an mir herunter, und bemerkte, dass sich das Umziehen gar nicht gelohnt hatte. Zum Schlafengehen nützten mir diese Sachen gar nichts. Ich spielte mit dem Gedanken, mir das übergroße Shirt zu schnappen und mich umziehen zu gehen. Allerdings hatte ich keine Schlafhose. Es konnte ein wenig unangenehm werden, hier halbnackt vor Cannes Blick herum zu spazieren. Während ich überlegte wie ich diese verzwickte Situation am besten lösen konnte wanderte mein Blick zu ihm, da er gerade aus dem Bad kam. Ich hatte gar nicht darauf geachtet, was er sich eigentlich zum Anziehen gesucht hatte. Eine verwaschene Jeans und ein schwarzes Hemd, was ihm beides unverschämt gut stand. Er hatte den obersten Knopf offen gelassen und man konnte den Ansatz seiner blassen Brust sehen. Ich musste mich zwingen, den Blick davon loszureißen und schaute ihn an, um mich zu vergewissern, dass er nichts bemerkt hatte. Zum Glück war seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet. „Ich bin mal eben weg. Könnte vielleicht ein wenig länger dauern.“ sagte er mit einem schiefen Lächeln und zog die Abteiltür auf. Wo wollte er denn jetzt noch hin? Er ließ die Tür wieder hinter sich zufallen und plötzlich war der Raum voller Stille. Die aufgeladene Atmosphäre brach abrupt ab und wurde vollkommen ruhig. Er ließ mich einfach allein? Da fiel mir wieder mein Problem ein. Ich stand schnell auf, suchte mein Shirt und schlüpfte wieder in das Bad. Ich zog mir die Bluse und die Leggings wieder aus und streifte mir das Shirt über den Kopf. Nachdem ich nochmal geguckt hatte, ob Cannes sich nicht doch wieder ins Zimmer geschlichen hat - hatte er nicht - ging ich schnell und auf Zehenspitzen zu den Betten. Die Klamotten legte ich zu den anderen an das Ende des Bettes. Dann ging ich zum Lichtschalter und machte das Licht aus. Die Vorhänge ließ ich offen. Ich krabbelte schnell die kleine Leiter hoch und schlüpfte unter die Decke. Es war zwar nicht so bequem wie Zuhause, die Matratze war meiner Meinung viel zu hart, aber ich wollte mich nicht beklagen. Es würde so oder so nichts bringen. Also drehte ich mich auf die Seite und versuchte zu schlafen. Doch obwohl ich, unerklärlicherweise, todmüde war, hielt mich die Frage wohin Cannes wohl gegangen war, wach. Vielleicht an die Bar, an der wir vorhin vorbeigekommen sind, als wir uns die Klamotten besorgt hatten. Oder... war er vielleicht zu dieser blonden Frau gegangen? Die ihn mit diesem Bitte-fick-mich-Blick angesehen hatte? War er wirklich ein Kerl von dieser Sorte? Hatte ich mich sosehr täuschen lassen? Aber halt mal, eigentlich geht es mich doch einen Dreck an, was er tut oder ist. Er hat mich gerettet, unter dem Vorwand entführt das er mich nochmal retten wollte und in ein paar Tagen, Wochen oder Monaten würde ich ihn längst vergessen haben und wieder mit meinen Freunden feiern gehen. Ein Schock durchfuhr mich. Götter, meine Freunde! Xan und Angel machen sich bestimmt schon große Sorgen! Ich fluchte und griff ihm Dunkeln zu meiner Hose, wo ich - Götter sei Dank - mein Handy gestern Abend reingesteckt hatte. Es war noch da. Ich entsperrte es und sofort sprang mir die Meldung entgegen. ‚5 Anrufe in Abwesenheit‘. Oh Mist. Drei kamen von Xan und zwei von Angel (Vielleicht sollte ich erwähnen, dass mit 19 von zuhause ausgezogen bin und meine Eltern wahrscheinlich noch gar nicht wussten, dass ich meilenweiten von meiner Wohnung entfernt war). Ich wählte Xans Nummer. Gleich nach dem ersten Klingeln hob sie ab. „Fi? Fi! Wo bist du? Du bist gestern einfach verschwunden und zuhause bist du auch nicht. Was ist passiert?“ Ich sah sie vor meinem inneren Auge, wie sie im Raum auf und ab lief, vollkommen nervös und besorgt. „Alles in Ordnung. Mir geht es gut.“ Was sollte ich ihr sagen? Ich hatte vor Cannes und den ganzen Rest ihr erst mal nicht zu sagen. Das würde vielleicht ein bisschen komisch klingen: ‚Hey, ja also ich wurde gestern von einem Werwesen fast zerrissen und dann von einem unglaublich gutaussehendem Typen quer durch Europa, Deutschland oder was weiß ich verschleppt.‘ – neee, ich glaube das klingt wirklich ein wenig komisch. „Ähm, ich hab da einen Typen kennengelernt. Wir haben die Nacht äh... zusammen verbracht und haben kurzerhand beschlossen, etwas spontan zu sein. Du kennst mich doch. Wir sind gerade auf dem Weg nach ähh... nach Italien. Wir wollten eine Weile ans Mittelmeer.“ So, jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass sie es mir auch abkaufte. „Und deine Arbeit?“ fragte sie misstrauisch. „Ich hab heute Vormittag angerufen und gesagt, dass ich mir für die nächsten 3 Wochen frei nehme. Ich hatte so oder so noch Frei-tage und Überstunden.“ Hatte ich wirklich noch, und das wusste sie. „Na gut, ich werde dir diese verrückte Geschichte mal abkaufen“ - das nannte sie verrückt?! – „Obwohl ich da ein paar Zweifel habe. Ich möchte das du dich zwischendurch mal bei uns meldest. Angel macht sich nämlich auch große Sorgen.“ Sie machte eine kurze Pause und kurz flackerte ein schlechtes Gewissen in mir auf, sie so belügen zu müssen. „Und ich kann es nicht fassen, dass du so einen verdammten Urlaub ohne uns machst! Aber zurück zu dem Typen. Was ist so toll an ihm, dass du hier alles stehen und liegen lässt? Wie sieht er aus?“ fragte Xan neugierig. Ich lugte nochmal zu dem kleinen Türspalt unter der Abteiltür, um sicherzugehen, dass niemand lauschte. „Die Einzelheiten erzähle ich dir später. Aber ich kann dir sagen, dass er einfach nur unglaublich gut aussieht. Er ist... anders als alle die ich bisher kennengelernt habe.“ Und wie. Noch keiner vor ihm hatte diesen Strahle-blick drauf oder diese Art, mich gleichzeitig zu ärgern und willig zu machen, dass ich mich an seinen Hals werfen will. „Das klingt ja schon mal ganz gut und obwohl ich die Einzelheiten kaum erwarten kann, muss ich mich wohl noch gedulden. Außerdem ist es am Telefon auch scheiße, nicht wahr? Na ja okay, ich wünsche dir viel Spaß bei deinem Urlaub und erwarte sehnsüchtig deine Rückkehr. Gute Nacht Fi.“ „Gute Nacht Xan und sag auch Angel alles Liebe von mir.“ sagte ich und legte auf. Tja, das lief doch schon mal besser als geplant. Ich schob das Handy unter mein Kissen. Wieder drehte ich mich auf die Seite. Und wieder kehrten meine Gedanken zu Cannes zurück. Das war doch nicht zu fassen! Ich kenne ihn erst seit einem Tag und schon denke ich pausenlos an ihn. Normalerweise vergesse ich die Typen relativ schnell wieder, außer sie waren außerordentlich herausragend. Positiv oder negativ war egal. Aber Cannes war bisher keines von beiden. Na gut, kein anderer hatte mich bisher vor einem bissigen Fellknäuel beschützt und mich anschließend entführt. Aber das war doch nur ein weiterer Grund dafür, dass ich Angst haben und nicht eifersüchtig sein sollte. Ich machte mir nämlich immer noch Gedanken darum, ob er zu dieser Frau gegangen ist. Dieser dämliche Mistkerl hat mich dazu gebracht eifersüchtig zu sein! Ich drehte mich auf die andere Seite, von der Tür weg, schloss die Augen und versuchte hartnäckig nicht an ihn zu denken. Mein Gedanken rasten, doch langsam begann die Müdigkeit die Oberhand zu gewinnen, ich spürte wie ich immer schläfriger wurde und es immer leichter wurde ihn aus besagten Gedanken zu verbannen. Doch kurz bevor einschlafen konnte, rauschte fast lautlos die Tür auf. Für mich jedoch war es laut, weil ich ja die ganze Zeit in dem stillen Raum lag. Zum Glück zuckte ich nicht zusammen und hörte stattdessen wie jemand, wahrscheinlich Cannes, die Tür hinter sich wieder möglichst leise schloss. „Fi?“ flüsterte er. Ich hatte die Wahl. Entweder ich antwortete ihm und ging das Risiko ein, dass er etwas bezüglich des lästigen Gefühls ‚Eifersucht‘ mitbekam oder ich blieb einfach still liegen und tat so als würde ich schlafen. Ich entschied mich kurzerhand für Möglichkeit zwei. Zum Glück lag ich mit dem Gesicht zur Wand, so konnte er es nicht sehen. Ich hörte wie er sich auf das untere Bett setzte. Geht er jetzt auch schlafen? Hätte er nicht noch ein paar Minuten warten können, bis ich wirklich geschlafen hätte? Er begann sich auf dem Bett unter mir zu bewegen. Ich hörte wie er sich das Hemd abstreifte und es dann weglegte. Die Hose ließ er wohl an und legte sich dann hin. Die Decke raschelte und dann war alles wieder still. Ich blieb jedoch vollkommen erstarrt und hellwach liegen und hörte auf die kleinsten Geräusche. Ich weiß nicht wie lange ich so dalag und seinem Atem zuhörte. Irgendwann seufzte er. „Die Matratze ist viel zu hart, findest du nicht auch?“ Wusste er dass ich auch wach war? Woher? Ich hatte doch kein Geräusch gemacht und hatte mich auch nicht bewegt. Vielleicht war ja genau das mein Fehler gewesen. „Ich weiß dass du wach bist, Fi.“ sagte er und lachte leise. Ich stöhnte und drehte mich auf den Rücken. „Ich finde sie auch zu hart.“ sagte ich. Dann war es eine Zeit lang still. Ich dachte er wäre eingeschlafen, aber da hatte ich mich wohl zu früh gefreut. „Du musst morgen deine Freunde anrufen, die machen sich bestimmt schon Sorgen.“ „Hab ich schon. Aber ich habe Xan angelogen, sie glaubt ich sei auf den Weg nach Italien um einen spontanen Urlaub dort zu verbringen.“ „Gut.“ Ich hörte wie er sich im Bett ein wenig herumdrehte. Da fiel mir etwas ein. „Wo fahren wir jetzt eigentlich hin?“ fragte ich ihn. „Wir fahren zu mir.“ Idiot, das wusste ich schon. „Ja, und wo ist das?“ antwortete ich leicht genervt. „Russland, Sibirien.“ Mir blieben die Worte ihm Hals stecken, die ich ihm sagen wollte. Sibirien? Das war am anderen Ende Russlands! Er wollte mich wohl wirklich um die halbe Welt schleppen! Geht es ihm denn überhaupt noch gut? Er konnte doch nicht einfach... Das geht doch nicht! Was dachte er sich denn dabei?! Meine Verwirrung ging in Wut über. Was erlaubte er sich eigentlich? Außerdem war es doch zu dieser Jahreszeit scheißekalt da. Wollte er, dass ich mir den Arsch abfriere?! „Fi?“ fragte er. „Du willst mich nach Sibirien mitnehmen?“ zischte ich. „Ja. Dort ist meine Haus, in dem du sicher sein wirst.“ Scheiß auf die Sicherheit! „Sibirien?!“ zischte ich erneut. „Was ist denn? Was hast du denn gegen Sibirien?“ fragte Cannes ehrlich verwirrt. „Gegen Sibirien habe ich eigentlich nichts. Nur dagegen, dass du es noch nicht mal für nötig gehalten hast, mir zu sagen, dass du mich tatsächlich quer durch die Welt entführst! Was glaubst du eigentlich wer du bist?“ schrie ich fast. Ich war verdammt nochmal ziemlich sauer. Da half auch seine ruhige, fast hypnotische Stimme nicht. Ich hörte wie Cannes sich aufsetze, die Decke zurückschlug und aufstand. Was hatte er denn jetzt schon wieder vor. Ich sah seine Silhouette, die vor dem Bett aufragte. Sie lehnte sich an den Rand des Bettes und konnte mit dem Gesicht über das lange Holzbrett, was am Bett zum Schutz angebracht war und uns trennte, mir in die Augen gucken. „Ich entführe dich nicht, und es tut mir leid, wenn du das denkst. Ich will dich nur vor einem Tod bewahren, den du eigentlich nicht verdient hast.“ Seine Stimme senkte sich. „Und was ich glaube was ich bin willst du gar nicht wissen.“ Ich starrte ihn weiter an. Warum wollte ich das nicht wissen? „Wieso bist du dir da so sicher? Du kennst mich doch gar nicht.“ fragte ich ihn, den bissigen Tonfall immer noch leicht beibehaltend. Er stieß ein kleines Lachen aus. Aber das klang nicht so schön wie die anderen, eher kalt. „Ich weiß es halt.“ Das glaubte er. Aber ich hatte den plötzlichen – und wahrscheinlich auch törichten – Drang ihm zu beweisen, dass ich gerade nicht die war, für die er mich hielt. Ich setzte mich auf. „Zeigs mir. Für was hältst du dich?“ „Du willst das ehrlich wissen?“ Ein erschrockener Ausdruck huschte über sein Gesicht. „Ja, das will ich.“ erwiderte ich und sah ihm fest in die Augen. „Dann komm mit.“ sagte er und trat zur Tür. Ich schlüpfte unter der Decke hervor und schwang meine Beine zur Leiter. Ich sprang von dem Bett und landete relativ leise auf dem Boden. Die kalte Luft traf spürbar kalt meine Beine, aber das interessierte mich jetzt nicht. Ich wollte wissen, was er mir zeigen wollte. Sein Blick wanderte über meine nackten Beine und öffnete dann die Tür. Ich folgte ihm und wir gingen wieder über den Flur. Ich unterdrückten den Wunsch zu fragen wohin er mich führt und folgte im wortlos. Mit einem mulmigen Gefühl stellte ich fest, dass wir denselben Weg nahmen wie vorhin. Würde er wieder zu ihr gehen, um mir zu zeigen wer er war? Er wollte doch nicht wirklich... Doch Cannes lief an ihrer Zimmertür vorbei. Wir kamen in einen Bereich, der abgedunkelt war, bis auf eine kleine Bar, an der noch ein paar Leute saßen. Doch Cannes ging auch daran vorbei, bis wir schließlich vor einer Tür standen. Er drückte sie auf und ich sah, dass es die Küche war. Meine Vermutung wurde durch ein leises Tellerklappern bestätigt. Es war wohl noch jemand hier. Wir gingen direkt auf dieses Geräusch zu und bald kam ein Mann im weißen Kochumhang in unser Sichtfeld. Er bemerkte uns schnell in der stillen Küche. „Was wollt ihr denn hier?“ fragte er und ließ einen Blick über uns wandern. Cannes nur mit Hose und ich nur mit Shirt. Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Kochs. „Tut mir leid, die Küche ist geschlossen.“ sagte er. Doch Cannes ging weiter auf ihn zu. Der Koch blieb stehen, doch man konnte ihm ansehen, dass er sich fragte was hier vor sich ging. Genau wie ich. Cannes schaute mich nochmal an und wandte dann seinen glühenden Blick dem Koch zu. „Erinnere dich.“ flüsterte er. „Erinnere dich an mich.“ Der Koch blinzelte mehrmals und starrte mich an. Dann glitt sein Blick langsam zu Cannes und seine Augen weiteten sich. Er flüsterte etwas und wich zurück. Immer weiter. Ich ging näher heran, bis ich ihn verstehen konnte. „Vampir.“ Immer und immer wieder flüsterte er dieses Wort und starrte Cannes an. Seine Hand hob sich zu seinem Hals und auch ich schaute dorthin. Doch dort war nichts. „Vampir.“ Gerade als der arme Koch sich umdrehen und wegrennen wollte, war Cannes plötzlich neben ihm und hielt ihn fest. „Vergiss alles wieder. Es ist nichts geschehen. Du kennst uns nicht und hast uns auch noch nie gesehen.“ Er deutete auf sich und mich. Der Koch nickte und ging wieder zu dem Waschbecken hinüber. Cannes sah mich an. Ich wusste nicht was ich denken, geschweige denn sagen sollte. Also drehte ich mich um und ging langsam aus der Küche, um zurück in unser Zimmer zu kommen. An der Bar vergaß ich im Dunkeln zu gehen, und einer der Männer die da saßen, sah mich. Ich bemerkte es erst gar nicht, schließlich war ich, verständlicherweise, mit meinen Gedanken ganz woanders. Ich ging den dunklen Flur entlang, bis ich schließlich an eine Wand gedrückt wurde. „Hallo meine Schöne. Ganz alleine?“ fragte ein Kerl, der immens nach Alkohol roch. Der hatte wohl ein wenig zu tief ins Glas geblickt. „Und außerdem fast nackt.“ flüsterte er direkt neben meinem Ohr. Panik wallte in mir auf und ich versuchte mich von ihm wegzuschieben. Was gar nicht so leicht war, denn der Typ wog bestimmt eine Tonne. Ich spürte wie eine Hand an meinem Schenkel hochwanderte und die andere über meine Hüfte strich. Verdammt, ich musste hier weg! Ich wollte seine Hand von meinem Bein zerren, doch er war stärker. Er ließ sie immer höher wandern, unter das Shirt. Die andere umfasste meine Brust und drückte sie unsanft. „So weich.“ säuselte er in mein Ohr. Ich hob in einem letzten Versuch meine Knie um es ihm in die Eier zu rammen, doch er fing es mit der Hand auf meinem Schenkel ab und drückte es wieder herunter. Das war‘s, dachte ich verzweifelt. Mehr konnte ich nicht tun. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, geschweige denn, mich wehren. Ich sah wie sein nach Alkohol stinkender Mund meinem immer näher kam und versuchte wenigstens den Kopf wegzudrehen. Schauder durchliefen mich bei dem Gedanken diesen abartigen Peversling küssen zu müssen. Mich von ihm anfassen lassen zu müssen. Ein Ruck ging durch den Körper des Mannes und plötzlich war er weg. Ich sackte nach unten auf den Boden. Ich blieb da sitzen und hoffte, dass der Typ verschwunden war. Das ihn irgendetwas verschreckt hatte und ich so schnell es ging zurück in mein Abteil kam. Ich zuckte leicht zusammen, als in unmittelbarer Nähe ein leichtes Knacken zu hören war. Ein Arm schob sich um meine Taille und unter meinen Knien hindurch und hob mich auf. Ich wollte mich wehren, hatte aber dafür keine Kraft mehr. „Schhh, alles ist gut. Ich bin‘s.“ sagte eine mir vertraute Stimme. Cannes! Ich öffnete die Augen und sah hinauf in sein Gesicht. Er lächelte mir leicht zu, doch man konnte die Sorge sehen, die in seinem Blick lag. Ich warf einen Blick hinter ihn und sah den betrunken Mann am Boden liegen. Reglos. Tot. „Du hast ihn umgebracht?“ fragte ich mit leiser Stimme. Er presste seine Lippen zusammen, antwortete aber nicht. „Du hättest ihn doch nur angucken brauchen, dann wäre er gegangen.“ Verwirrt sah ich ihn wieder an. Er nickte kurz. „Ich weiß.“ Ich ließ meinen Kopf gegen seine Brust sinken und mich von ihm wegtragen. Ich hörte wie die Tür zu unserem Abteil aufgeschoben wurde und sie, nachdem wir drinnen waren, wieder zufiel. Er setzte sich auf das Bett. Ich hielt vollkommen still, das Gesicht immer noch an seiner Brust vergraben. Ich weinte nicht. Ich würde nicht eine Träne wegen diesem Kerl verschwenden. Cannes löste den einen Arm von meinen Knien und legte ihn auch um meine Taille und drückte mich an sich. Es tat so gut. Da fiel mir wieder ein, warum wir das Zimmer überhaupt verlassen hatten. „Du bist also ein Vampir.“ stellte ich fest. Ich spürte wie er sich ein wenig anspannte. „Ja. Das bin ich.“ Sein Gesicht war nicht mehr so angespannt und das beruhigte mich beunruhigenderweise enorm. Ich kicherte leise. „Was ist daran lustig?“ fragte er überrascht. „Ich hatte mich schon gefragt, was mit dir nicht stimmt. Immerhin kenne ich niemanden der diesen Strahle-blick drauf hat.“ Ich kicherte immer noch. „Du bist übermüdet. Du solltest dich schlafen legen.“ sagte er, doch ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. Endlich. „Vielleicht sollte ich das wirklich.“ sagte ich und löste mich von ihm. „Danke wegen vorhin.“ ich lächelte ein wenig. Er nickte. Ich kletterte wieder die Leiter hinauf und legte mich in mein Bett. Ich zog die Decke über mich und drehte mich auf die Seite. „Gute Nacht Cannes.“ sagte ich leise. „Gute Nacht Fi.“ hörte ich die Antwort von unten. Ich lächelte und schaffte es endlich einzuschlafen.
Ich wollte noch nicht aufwachen, aber die Sonne schien mir direkt ins Gesicht. Ich drehte mich um und musste erneut feststellen, dass ich nicht zuhause war. Mein Bett war größer. Und um einiges bequemer. Ich seufzte und setzte mich auf. Wir fuhren immer noch. Ich kletterte von dem Bett und huschte in das kleine Bad. Ich musste dringend mal. Danach wusch ich mir noch mein Gesicht. Unter dem Waschbecken war ein kleiner Schrank. Als ich ihn öffnete, fand ich genau das was ich suchte: eine Zahnbürste. Schnell putze ich mir die Zähne. Danach schaute mich im Spiegel an. Ich sah genauso aus wie immer, aber dennoch hatte mich sehr verändert. Ich schloss wieder auf und ging zurück in das kleine lichtdurchflutete Zimmer. Mein Blick fiel auf einen schlafenden Cannes, der ausgetreckt auf dem unterem Bett lag. Ich erinnerte mich an gestern Abend. Erst die Frage, wo er war. Ob er sich mit dieser Frau 'beschäftigt' hatte. Dann die Enthüllung, dass er mich nach Sibirien schleifen würde. Das war ziemlich weit weg von Zuhause. Die Aktion in der Küche, der Koch der panisch 'Vampir! Vampir!' geschrien hatte. Und schlussendlich der betrunkene Perverse, vor dem mich Cannes gerettet hatte. Indem er ihn – unnötigerweise – umgebracht hatte. Er hätte ihn nur angucken brauchen, dann hätte der alles getan was Cannes verlangt hätte. Erstaunlicherweise hatte ich kein Problem damit, was er war. Aber ich hatte ja schon gesagt, dass ich manchmal verrückt und dumm bin. Lebensmüde könnte man dann vielleicht auch noch hinzufügen. Aber warum sollte er mir jetzt etwas tun? Er hätte mir doch schon längst etwas angetan wenn er wollte. In dem schäbigen Ding wo er mich zuerst hingebracht hatte, auf dem dunklen Bahnhof, auf der ersten Zugfahrt und gestern auch noch. Aber er hatte nichts dergleichen auch nur angedeutet. Also hebe ich mir die Angst für den Moment auf, wenn ich sie brauche. Auf Zehenspitzen, um ihn nicht zu wecken, ging ich zu dem Ende der Betten und wühlte in dem kleinen Wäschehaufen, bis ich die Bluse und die Leggings hatte. Ich schlüpfte wieder in das Bad und zog mich rasch um. Während ich mich umzog bemerkte ich, dass ich Hunger hatte. Irgendwo in diesem Zug musste man doch etwas zum Frühstücken herbekommen, oder? Essen Vampire eigentlich etwas? Oder ernähren sie sich nur von Blut? Ich raffte meine Klamotten zusammen und ging wieder in das Zimmer hinüber. Nachdem ich meine Sachen zu den anderen gelegt hatte, beschloss ich etwas zu essen suchen zu gehen. Mit einem letzten Blick auf den schlafenden Mann, verließ ich unser Zimmer. Ich nahm an, dass man tagsüber in der Nähe der Bar etwas essen konnte, also ging ich dort auch wieder hin. Ich fragte mich, ob man den Mann gefunden hatte und wie man darauf reagieren würde. Immerhin war ja ein Mörder im Zug! Aber als ich so durch den Gang lief, spürte ich keine Aufregung oder Angst, sah keine panischen Leute oder Angestellten. Wusste niemand davon? Je weiter ich ging, desto mehr roch es nach gebratenem Speck und Rührei. Mein Magen zog sich in freudiger Erwartung zusammen. Als ich in den größeren Raum kam, fiel mein Blick als erstes auf das riesige Büffet. Ich war im Himmel. Ich nahm mir einen Teller und häufte mir von jedem etwas auf. Mein Blick glitt suchend durch den Raum, bis ich einen freien Tisch fand. Ich schlängelte mich durch die Reihen und setzte mich auf einen der Stühle. Sofort fiel ich über mein Essen her und verschlang es. Zum Glück schaute niemand in meine Richtung. Nachdem ich fertig war, und auch vollkommen satt, stellte ich den Teller auf einen Wagen und ging zurück zu unserem Zimmer. Auf dem Weg dorthin begegnete mir die blonde Frau. Ich lächelte in mich hinein, und war glücklich darüber, dass Cannes gestern zu dem Koch gegangen war und nicht zu der Frau. Jep, verrückt. Ich zog leise die Abteiltür auf und schloss sie genauso leise wieder hinter mir, ich wollte Cannes nicht aufwecken, wenn er noch schlief. Vorsichtig drehte ich mich um und erschrak fürchterlich. Cannes lag nicht wie erwartet auf dem Bett oder saß auf dem Stuhl, nein, er stand direkt hinter mir. Ich zuckte zusammen und stieß gegen die Tür. „Au, scheiße. Verdammt!“ fluchte ich. „Wo warst du?“ fragte Cannes. Mein Götter, war er jetzt schon mein Bodyguard? „Ich war nur etwas essen. Alles in Ordnung.“ sagte ich und lächelte ihn an. Ich hatte jetzt keinen Bock auf Streit. Nicht wenn es mir einigermaßen gut ging. Erschöpft war ich allerdings immer noch und ich ging davon aus, dass das auch erst mal so bleiben wird. Das erinnerte mich an etwas. Wenn wir schon bei ‚Ich-erzähl-dir-was-ich-wirklich-bin-und-mit-dir-vorhabe‘ kann ich ihn ja gleich auch etwas fragen. „Wieso habe ich eigentlich keine Wunde? Warum sieht meine Brust so aus, als wäre nie etwas passiert?“ Ich sah, wie Cannes die Augen zusammenkniff. „Keine Angst. Ich wette ich kann mit dem umgehen, was du mir sagst.“ Jetzt zog er eine Augenbraue hoch. „Also gut. Vampirblut hat heilende Fähigkeiten. Nachdem ich dich aus dem Club getragen habe und uns erst mal die vorläufige Bleibe verschafft hatte, habe ich dir etwas von meinem Blut gegeben.“ Ich erinnerte mich, als er sagte, dass wir gehen müssten, dass er mir noch mehr geben müsste, weil ich noch geschwächt war. Das hatte er also gemeint. „Eigentlich solltest du noch mehr bekommen, aber das machen wir erst wenn wir bei mir sind, weil mir das hier zu unsicher ist. Jederzeit könnte jemand hereinplatzen. Und ich hab keine Lust auf kreischende Zeugen.“ Na gut. Das war verständlich. Ich ging an ihm vorbei und öffnete das Fenster. Die kalte Luft strömte ins Abteil. Mir fiel der gestrige Abend wieder ein und die Leiche, die eigentlich dafür sorgen sollte, dass alle Passagiere sich gegenseitig misstrauisch anschauten, da sie bei jedem den Mörder erwarteten. „Warum hast den Mann gestern umgebracht? Und warum scheint niemand etwas davon zu wissen?“ Cannes sah zu Boden und wich meinem Blick aus. „Ich hab ihn gestern, bevor jemand ihn finden konnte, weggeschafft.“ Ich nickte. Verständlich. Das verhinderte schon mal nervige Fragen und hysterische Vermutungen. Aber warum das Ganze überhaupt? Klar, ich war ihm dankbar, dass er mir geholfen hatte, aber er hätte alles problemlos anders lösen können. Als er keine Anstalten machte, mir zu antworten, versuchte ich ihn dazu zu animieren endlich zu reden. „Warum hast du ihn getötet?“ fragte ich sanft. Er sah auf, hatte die Lippen wie gestern störrisch zusammen gepresst und sah mich durchdringend an. Jedoch sagte er nichts. „Cannes.“ Er verengte seine Augen. Dann stieß er die Luft aus. „Ich war sauer, okay? Ich habe überreagiert.“ Überreagiert? Er war doch sonst immer so ruhig. Gelassen. Weshalb… Ich sah ihn fragend an. „Überreagiert?“ „Ja, überreagiert.“ Er stockte kurz. „Ich war sauer, dass dieser Mistkerl es wagte, sich an einer wehrlosen Frau zu vergreifen. Es wagte, sich an dir zu vergreifen.“ Gab er schließlich zu. Darauf wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Er hatte wegen mir jetzt schon zwei… Lebewesen umgebracht – denn das eine war ganz sicher kein Mensch gewesen. Ich saß eine ganze Weile still da, bis mein Blick auf die schneebedeckten Bäume vor dem Fenster fiel. „Sind wir eigentlich schon in Russland?“ Er lachte endlich, vertrieb damit die bedrückte Stimmung und mir wurde warm. Ich musste mir echt abgewöhnen so auf ein Lachen zu reagieren, das war doch nicht normal. „Natürlich. Wir werden heute Abend ankommen.“ Heute Abend klang gut. Mehr hätte ich auch nicht ausgehalten auf diesem kleinen Raum mit ihm, seinem Lachen und dieser tiefen Stimme, die er manchmal hatte. „Ich geh duschen.“ Diesmal verzichtete ich auf das ‚Du bleibst hier‘. Ich schloss hinter mir ab und schaute nach, ob noch Duschzeug da war. Alle. Also schloss ich wieder auf. Irgendwo hier im Zug musste es doch noch Duschzeug geben. „Das Shampoo und Duschgel sind alle. Ich geh mal gucken, ob ich was Neues auftreiben kann.“ Ich sah ihn schmunzeln und machte mich auf die Suche nach einer Rezeption oder so etwas in der Art. Irgendwann fand ich den Ort, wo die Handtücher waren und fragte dort nach. Ich bekam das was ich suchte, die Frau lächelte mir wissend zu, es vergaßen wohl öfters Leute ihre Duschsachen, und machte mich auf den Rückweg. Cannes saß immer noch da wo er vorher gesessen hatte. „Na, hast du was gefunden?“ Ich hob die Sachen hoch „Jep.“ Dann ging ich endlich duschen. Nach ungefähr zehn Minuten war ich auch damit fertig und das Anziehen dauerte auch nicht so lange wie ich gehofft hatte. Was sollte ich denn jetzt noch den ganzen Tag machen? Ich ging zurück in das kleine Zimmer, während ich mir mit den Finger durch die Haare fuhr. „Wie spät haben wir es eigentlich?“ „Halb vier.“ Halb vier?! So spät schon? Wie lange hatten wir denn geschlafen? Aber dafür mussten wir nicht mehr so lange warten, bis ich endlich die Chance auf eine Minute Freiheit hatte. Nicht, dass ich Cannes Anwesenheit nicht zu schätzen weiß. Im Gegenteil, irgendwie… mochte ich ihn. Was sich ziemlich krank anhörte, wenn man bedachte was er war und was er getan hatte. Ich war auch ein wenig aufgeregt, wie sein Zuhause wohl sein würde. Groß, prunkvoll und mit all möglichen Schick-Schnack oder eher klein und gemütlich? Wohnt er dort alleine? Ob er überhaupt Freunde und Familie hatte? Er hatte die ganze Zeit nie etwas Persönliches von sich preisgegeben. Was erwartete mich dort? Ich schüttelte den Kopf. Ich machte mir einfach zu viele Gedanken. Das wird schon alles. Ich setzte mich auf das untere Bett und starrte nach draußen. Hier in Russland schienen die Tage zu dieser Tageszeit kurz zu sein, denn die Sonne begann langsam wieder zu sinken. Wie schnell dieser Tag vergangen war! Ich überlegte wie man die restliche Zeit noch todschlagen konnte, abgesehen von dem Schweigen, was die Atmosphäre beherrschte. Ich wollte mehr über ihn wissen, beschloss ich schließlich. Vielleicht war das ein gutes Thema. „Bevor wir uns hier die ganze Zeit anschweigen, kann ich dich was fragen?“ Ich schaute ihn an. „Klar.“ er lächelte leicht. „Okay. Hmm... fangen wir mit etwas Einfachen an. Wie alt bist du?“ „Ich bin 1482 geboren worden. Und mit 25 Jahren verwandelt worden.“ 1482?! „Das ist aber eine lange Zeit.“ sprach ich aus, was ich dachte. „Ja. Aber wenn man schon so lange lebt wie ich, kommt es einem gar nicht mehr so lang vor. Jeder Tag, jede Woche schwindet unmerklich schnell dahin. Aber manchmal kann das unsterbliche Leben auch extrem langweilig sein. Ich habe vieles erlebt, vieles gesehen. Es gibt wenig, was mich noch überraschen oder in Staunen versetzen kann. Allerdings kann es dir in einer anderen Situation wiederum den Arsch retten.“ Ich überlegte ob er wohl alleine war. Ob er Freunde hatte, die genauso waren wie er. „Hast du Freunde?“ ein Lächeln „Ja, ich habe einen guten Freund. Wir kennen und schon seit ein oder zwei Jahrhunderten. Er heißt Stayr.“ Irgendwie fand ich es gut, dass er einen Freund hatte. Das zeugte zumindest davon, dass er wenigstens ein kleines gesellschaftliches Leben hatte. „Du wirst ihn kennenlernen. Er ist höchstwahrscheinlich in meinem Haus geblieben, nachdem ich gegangen bin.“ Gegangen? Wieso war er eigentlich in Deutschland, wenn er in Russland wohnt? „Warum warst du ihn Deutschland?“ „Ich langweilte mich in Sibirien. Ich beschloss ein wenig zu reisen. Das war vor zwei Jahren. Ich zog durch Italien, Spanien und Frankreich, und kam dann schließlich nach Deutschland. Ich wollte nicht mehr lange wegbleiben und wieder nach Hause, immerhin war der arme Stayr ja ganz alleine in meinem Haus und wer weiß was der da angestellt hat. Aber dann sah ich an jenem Abend das Werwesen.“ „Dein Freund bleibt zwei Jahre einfach in deinem Haus?“ Ich war überrascht. „Für einen Unsterblichen sind zwei Jahre gar nichts.“ erinnerte er mich. „Achso.“ Ich lächelte ihn an und legte mich dann quer auf das Bett. Warum war ich nur so verdammt müde?! Das war doch unnormal! „Darf ich dich jetzt was fragen?“ Ich blieb liegen und drehte den Kopf, um ihn ansehen zu können. „Klar.“ wiederholte ich seine Antwort von vorhin. „Was denkst du wirklich bezüglich der Vampirsache?“ Wusste er das nicht? „Wie meinst du das genau?“ „Hast du gar keine Angst vor mir? Warum bleibst du trotzdem noch bei mir, obwohl ich ein bluttrinkendes Monster bin? Nicht das du eine große Wahl hättest“ fügte er schmunzelnd hinzu. Aber er hatte Recht. Für eine andere Entscheidung war es zu spät. Die einzige Möglichkeit wäre aus dem fahrenden Zug zu springen und das war, nun ja, nicht sehr ansprechend. Dann lieber ein gutaussehender, zwielichtiger und mysteriöser Vampir. Und er trinkt zwar Blut, aber er war kein Monster. Ein Monster hätte mich nicht so behandelt wie er es getan hatte. „Nein ich habe keine Angst vor dir. Wieso sollte ich? Du hättest mir sooft etwas tun können und du hast es nicht getan. Also gehe ich davon aus das du das erst mal auch nicht vorhast. Und warum ich mit dir mitgehe ist auch ganz einfach. Du hattest bisher immer Recht wenn du etwas gesagt hast, warum also auch nicht mit der Sache, dass ich in Gefahr bin? Das ein rachsüchtiges Rudel hinter mir her war um mich zu töten? Und ich glaube du bist so ziemlich der einzige, den ich kenne der sich mit den Dingern auskennt und bei dem ich am sichersten bin. Außerdem verspüre ich zurzeit nicht den Drang mich umzubringen indem ich aus dem Zug springe.“ Ich grinste ihn an. Er lachte und ich glaube er war erleichtert. Wir redeten noch weiter, bis wir merkten, dass der Zug langsamer wurde. Wir waren da. Ich entschied mich dazu, nur meine Hose, Schuhe und das Shirt mitzunehmen, die anderen Sachen ließ ich da. Ich brauchte sie nicht mehr. Und wenn Cannes keine Klamotten hatte, musste ich sowieso neue kaufen. Cannes, der die ganze Zeit über auf dem Stuhl gesessen hat, stand jetzt auf. „Wir sind da.“ sagte er überflüssigerweise. Ich nahm meine Klamotten und verließ hinter ihm das Abteil. Wir gingen zusammen mit den wenigen anderen Reisenden durch den Flur und verließen mit ihnen gemeinsam den Zug. Ich fragte mich wie wir hier wegkamen. Aber das war jetzt erst mal meine kleinere Sorge, denn der Bahnhof war so überfüllt, dass ich Cannes fast aus den Augen verloren hatte, als wir den Bahnsteig betraten. Ich fand ihn zum Glück schnell wieder und versuchte mich nah bei ihm zu halten, doch die Menschen drängten und schubsten und machten mir das nicht ganz so leicht. Der Bahnhof war zwar nicht ganz so groß wie der vorherige, dafür aber… ich weiß nicht, anders. Alle Schriften waren auf Russisch, war ja klar. Die Menschen redeten ebenfalls größtenteils Russisch. Ich fühlte mich plötzlich einsam. Ich kannte hier niemanden außer Cannes. Apropos, Cannes, wo war er? Oh Scheiße! Ich hatte ihn verloren. Verdammt! So was passiert ja auch nur mir. Ich werde ihn nie wiederfinden, denn dafür waren hier viel zu viele Menschen. Ich war verloren. Was soll ich denn jetzt machen? Ich blieb stehen und schaute mich um. Ich konnte ihn nirgendwo sehen. Ich blieb stehen und sah mich hektisch um. Nirgends. Die anderen Passanten rempelten mich unsanft an und pöbelten mich auf der fremden Sprache an. Ich verzweifelte. Aber bevor ich wirklich einen hysterischen Anfall bekommen konnte, umschloss eine Hand meine und zog mich durch zwei Menschen durch. Ich wurde zu einem Mann gezogen. Als ich hochsah war ich erleichtert. Es war Cannes. Ich lächelte ihm erleichtert zu und stieß den Atem aus, den ich die Zeit über unbewusst angehalten hatte. „Wolltest du schon wieder davonlaufen?“ fragte er ebenfalls lächelnd. Ich schüttelte leicht den Kopf. Er beugte sich dichter an mein Ohr, ich nahm an, um sich über den Lärm verständlich zu machen. „Dann ist ja gut.“ Er führte mich durch den Bahnhof und auf der anderen Seite wieder hinaus. Als wir durch die Tür traten, schlug mir eisige, aber wirklich richtig eisige, Luft entgegen. Ich versuchte nicht mit den Zähnen zu klappern oder zu zittern. Hier, vor den Türen des Bahnhofs, waren zwar weniger Menschen, aber Cannes ließ meine Hand immer noch nicht los. Irgendwie war ich dankbar dafür, er gab mir den Halt, den ich in dieser fremden Welt brauchte. Ich schloss meine Hand fest um seinen Griff, während er mich auf ein schwarzes Auto zuzog. Als wir bei dem Auto waren - und ich einfach nur noch darein wollte, überall war es wärmer als hier draußen - stieg ein Typ aus. Er hatte genau wie Cannes nur ein Hemd und eine Hose an und es schien ihn kein Stück zu stören. Keine Jacke, keine Mütze, Schal, Handschuhe oder irgendwas von den Dingen die ich mir sehnsüchtig herbeiwünschte. Frieren diese Kerle nicht? Ich warf einen kurzen, abschätzenden Blick auf ihn. Er sah vollkommen anders aus als Cannes. Seine Haare waren dunkel und kurz. Und seine Augen waren eisblau. Er sah absolut umwerfend aus. Sein Blick glitt von mir zu Cannes, und auf sein Gesicht huschte ein Lächeln. „Cannes!“ Er ging auf Cannes zu und umarmte ihn kurz freundschaftlich. „Stayr! Lange nicht gesehen.“ Also das war Stayr. Natürlich, hätte ich auch selber draufkommen können. Stayr ging einen Schritt zurück und musterte mich. „Und du bist…?“ fragte er mich. „Fianna. Du kannst mich Fi nennen.“ stellte ich mich ihm vor. Er stellte sich vor mich und hob meine Hand an seine Lippen. „Schön dich kennenzulernen, Fi“ Er küsste meine Knöchel. „Ja, okay. Wo wir das geklärt haben, können wir jetzt endlich nachhause fahren?“ fragte Cannes ungeduldig und ging auf das Auto zu. Stayr grinste mich noch mal an und ich grinste zurück. Cannes machte die Tür auf und bedeutete mir in das Auto zu steigen. Er starrte Stayr an und dann mich. War das etwa Eifersucht? Ich lächelte ihn an und schlüpfte in das Auto. Cannes stieg hinter mir ein. Stayr guckte mich nochmal über die Schulter an, dann startete er den Motor und fuhr los. „Also Kumpel, wo hast du deine kleine Freundin kennengelernt?“ fragte er vom Fahrersitz aus. Cannes kniff kurz die Augen zusammen, antwortete dann aber doch „Ich war in Deutschland, als ich sie in einem Club traf. Sie wurde von einem Werwesen angefallen.“ Ein leichtes Lächeln, was eher kalt und spöttisch aussah, zierte seine Mundwinkel. „Tja, und wie du die kennst, werden sie jetzt erst mal auf Rache aus sein. Und da hielt ich es für eine gute Idee, sie erst mal mit nach hier zu nehmen, wo sie in Sicherheit sein wird.“ Stayr schaute in den Rückspiegel. „Werwesen. Du legst ja richtig los, was?!“ Ich grinste ihn an und schaute dann wieder raus. Den Rest der Fahrt schwiegen wir. War vielleicht auch besser so. Ich wusste nicht wie weit Stayr Cannes provozieren würde. Ich lächelte in mich hinein. Männer... Nach zirka einer halben Stunde Fahrt kamen wir schließlich an einem großen Herrenhaus an. So viel zu dem Thema Groß und Prunkvoll oder Klein und Gemütlich. Wohl eher das Erste. Wir fuhren die Auffahrt hinauf und hielten vor der großen Tür. Das Haus war echt riesig. Ich drehte mich zu Cannes um und sah, dass er mich anstarrte. Ich zog eine Augenbraue hoch und deutete mit einem Daumen auf das Haus. „Deins?“ Er lächelte kurz und nickte. Ich grinste ihn an und öffnete die Autotür. Die kalte Luft Sibiriens drang in das Auto während ich ausstieg. Ich schlug die Tür zu und ging die Stufen hinauf. Dort blieb ich stehen und wartete. Die sollten ihren verdammten Vampirarsch die Stufen hinaufschwingen und die Tür aufmachen, wenn sie wollten, dass ich meine Zehen behalten kann. Stayr tauchte neben mir auf und legte mir einen Arm um die Schultern. „Kalt, was?“ Ich nickte leicht und sah Cannes, der sich an uns vorbeischob und die Tür aufmachte. Wir gingen in eine Art kleine Halle, von der eine Treppe abging und in einem eleganten Schwung nach oben führte. Sofort wurde es wärmer. Auf der anderen Seite war noch eine Tür. Diese stand offen und zeigte einen Raum mit einem langen Tisch und mehreren Stühlen. Alles war in einfachen Farben gehalten. „Ich zeig dir ein Zimmer, in dem du schlafen kannst.“ sagte Cannes, löste unsanft Stayrs Arm von meiner Schulter und zog mich zur Treppe. Wir gingen sie hoch und kamen in den ersten Stock. Es war ein Flur, von dem mehrere Zimmer abgingen. „In dem ersten Zimmer hier solltest du alles finden, was du brauchst.“ sagte er, als wir das Zimmer betreten hatten und deutete mit einer ausladenden Geste auf die Einrichtung und eine Tür, die wahrscheinlich zu einem Bad führte. Ich schaute mich kurz um, dann drehte ich mich zu Cannes um. Wir standen eine Weile so da, bis er sich aufrichtete „Ich werde dir Bescheid geben, wenn es Essen gibt.“ Und schon war er weg. Man könnte fast meinen er war beleidigt. Als er die Tür hinter sich schloss, ging ich als Erstes zum Bett, wo ich meine Klamotten hinlegte. Danach zum Schrank. Als ich die Tür öffnete, sah ich mehr Klamotten, als ich in meinem gesamten Leben je gesehen hatte. Da ich vorhatte, vor dem Essen noch schnell zu duschen, in einer vernünftigen Dusche, suchte ich mir etwas Frisches zum Anziehen heraus. Was gar nicht so leicht war. Es waren so verdammt viele! Ich suchte mir ein schwarzes Hemd und eine blaue Jeans raus. Ich ging in das Bad und schaute mich um. Hier sah alles normal aus. Nicht so prunkvoll. Ich fand es wunderschön. Ich legte die Klamotten auf die Toilette, die neben der Dusche war und hängte das Handtuch außen an die Duschwand. Meine Klamotten zog ich aus, legte sie auf den Boden, stieg in die Dusche und stellte vorsichtig das Wasser an. Ich stellte das Wasser wärmer als sonst, um die Kälte aus meinen Knochen zu vertreiben, die sich seit dem Ausstieg aus dem Zug hartnäckig festgesetzt hatte. Auf einer kleinen Glasborte neben mir standen mehrere Fläschchen. Ich nahm eines und roch daran. Nach kurzen Schnuppern beschloss ich, dass es Shampoo war und schäumte mir damit die Haare ein. Danach nahm ich ein anderes Fläschchen, ich nahm an es war Duschgel, und seifte meinen Körper ein. Ich blieb noch ein wenig länger unter der Dusche, doch schließlich stellte ich das Wasser wieder ab und stieg aus der Dusche. Schnell zog ich mich um und packte meine anderen Sachen in einen kleinen Korb neben der Tür. Ich fand in dem Bad sogar eine Bürste und konnte endlich meine Haare wieder kämmen. Nachdem sie mir glatt auf den Rücken fielen, ging ich zurück in das andere Zimmer. Als Erstes ging ich zum Fenster und schaute raus. Man konnte von hier über eine riesige schneebedeckte Wiese sehen, die von Bäumen gesäumt war. Sie standen in einer Art riesigem Halbkreis und reckten ihre kahlen Zweige in den dunklen Himmel. Wunderschön. Ich ging langsam ein paar Schritte rückwärts, weil ich den Blick nicht von der überwältigenden Aussicht losreißen konnte. Plötzlich prallte ich gegen etwas. Sofort zuckte ich zusammen. Ich drehte mich um und sah Cannes Brust. Natürlich. Er hatte mich erschreckt! Ich schaute hoch in sein Gesicht und sah ein Schmunzeln. Ich boxte ihn gegen die Brust „Du hast mich…“ - box – „…erschreckt!“ sagte ich. Er lachte leise und hielt meine Hände fest. Ich bemühte mich um einen wütenden Blick, was mir bei seinem Lachen aber nicht ganz so gut gelang wie ich vorhatte. „Essen.“ sagte er und ließ vorsichtig meine Hände los. Als ob ich ihm jemals wehtun könnte. Er war ein Vampir! „Gut.“ Ich ging an ihm vorbei und durch die Tür. Die Treppe hinab und in den großen Saal, mir natürlich bewusst, dass Cannes mir direkt auf den Fersen war. Sobald ich den Raum betrat, wallte sich mir ein äußerst lecker riechender Geruch entgegen. Ich spürte wie ich schon wieder Hunger bekam. Ich blickte durch den Raum und sah Stayr der schon am Tisch saß und einladend auf den Platz neben sich klopfte. Cannes ging an mir vorbei auf die andere Seite des Tisches und nahm Platz. Er klopfte zwar nicht auf den Platz neben sich, aber er sah mich einladend an. Die Entscheidung fiel mir nicht sonderlich schwer. Ich grinste Stayr zu. Und während er Cannes ein gewinnendes Lächeln zuwarf, ging ich zu Cannes und setzte mich neben ihn. Stayr sah mich gekränkt an. „Jetzt hast du mich aber schwer getroffen, Fi.“ sagte er und drückte sich die Hand auf das Herz. Ich spürte, dass es nur gespielt war und zwinkerte ihm zu. Ich drehte mich zu Cannes um, um ihn zu fragen, wann das Essen denn kommen würde, und sah, wie er mich anstarrte. Ich zog eine Augenbraue hoch. Ein Lächeln zog seine Mundwinkel hoch und das Essen war mir plötzlich egal. Doch genau da ging eine kleine Tür auf und ein Mann mit drei silbernen Teller auf den Armen am herein. Er stellte sie vor uns ab und ging wieder. Vor mir stand jetzt ein Stück Fleisch mit ein wenig Gemüse und einem Stück Brot. Ich war überrascht die beiden essen zu sehen, aber sie schienen kein Problem damit zu haben. Während des Essens spürte ich, wie ich immer müder wurde und ich in Gedanken mich schon in das riesige, gemütlich aussehende Bett kuschelte, was oben auf mich wartete. Ich schaffte ich es, alles aufzuessen, ohne das mir die Augen zufielen und blickte die beiden schließlich an. „Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich jetzt gerne wieder nach oben gehen.“ Stayr fing an zu lachen. „Du brauchst uns nicht zu bitten wenn du wieder nach oben gehen willst, oder um Erlaubnis fragen.“ brachte er zwischen zwei Lachanfällen hervor. Ich schüttelte den Kopf und machte mich wieder auf den Weg zurück. An der Tür drehte ich mich nochmal zu den Beiden um. „Das Essen war sehr lecker.“ sagte ich und verließ den Saal. Geradewegs ging ich in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich zog ein Top aus dem Schrank und zog mich bis auf die Unterwäsche aus, um das Top überzustreifen. Ich schaltete das Licht aus und ging zu dem riesigen Bett hinüber. Erschöpft schlüpfte ich unter die schwere Decke und drehte mich auf die Seite, um aus dem Fenster sehen zu können. Aus dieser Position konnte man den Himmel sehen, der von den vielen Sternen übersät wurden. Sie funkelten und glitzerten und boten einen herrlichen Anblick. Plötzlich hörte ich, wie die Tür aufging und wieder geschlossen wurde. Was war denn jetzt schon wieder? Ich drehte mich um und sah wie ein – sein – Schatten auf mich zukam. Ich seufzte. Konnte man nicht einfach mal in Ruhe schlafen, ohne irgendwelchen schrecklichen Enthüllungen oder Geschehnisse? War das echt zu viel verlangt? Ich muss mir echt ein Schloss besorgen, das ich an jede Tür hängen konnte, wenn ich mal ein paar Minuten für mich haben wollte. Ich sah wie der Schatten, der verdächtig nach Cannes aussah, sich auf mein Bett setzte. Ich setzte mich auf und starrte ihn an, was sich ein wenig komisch anfühlte, da ich fast nichts sehen konnte. „Was ist, Cannes?“ fragte ich müde. Sollte er doch merken, dass er unerwünscht war. „Kein Wunder, dass du so müde bist. Ich hatte doch gesagt, dass du noch mehr brauchst. Und da ich keinen geeigneteren Zeitpunkt als jetzt weiß, sollten wir es endlich hinter uns bringen, damit es dir wieder besser geht.“ Ich schaute auf meine unversehrte Brust hinunter. Er hatte Recht, ich war erschöpft, obwohl ich heute doch ziemlich lange geschlafen hatte. Und einen besseren Zeitpunkt gab es vielleicht auch nicht. Also wieso das Unvermeidliche noch aufschieben? Ich schaute wieder dahin, wo ich sein Gesicht vermutete und nickte vorsichtig. „Dir ist klar, was das bedeutet, oder?“ fragte Cannes nochmal vorsichtig. Ich lächelte ihn an „Natürlich.“ Ich merkte, wie er auf dem Bett höher rutschte, bis er direkt neben mir saß. Wie vor zwei Tagen am Bahnhof versuchte ich meinen schnellen Herzschlag zu beruhigen. „Und was ist mit Stayr? Was ist wenn er plötzlich hereinplatzt?“ fragte ich. Ich hörte ein Schnauben. „Das würde ich ihm nicht geraten haben.“ drohte Cannes. Definitiv eifersüchtig. Irgendwie stimmte mich das ein klein wenig fröhlich. Es war schön zu wissen, dass nicht nur ich dieses lästige Gefühl besaß. Ich lächelte und blickte ihm in sein Gesicht, was ich jetzt ein bisschen besser sehen konnte. Sein Arm hob sich vor seinen Mund und ich sah, wie zwei weiße Fangzähne aus seinem Oberkiefer schossen. Er sah mich die ganze Zeit an, während er sie in seinem Handgelenk versenkte. Ich wusste nicht genau wo ich hinschauen sollte. Auf seinen Arm oder in seine Augen. Beides zog meine Aufmerksamkeit an. Seine Augen waren starr auf mich gerichtet, aber sein Arm, in den sich die Fangzähne senkten war ebenfalls ein merkwürdiger Anblick. Schließlich lösten sich die Zähne aus seinem Arm. Er drehte ihn leicht und hob ihn mir vor den Mund. Ich holte tief Luft. Jetzt oder nie. Ich griff mit einer Hand um seinen Arm, mit der anderen umfasste ich seine und schob mir den Arm weiter an den Mund. Ich blickte ihm in die Augen und legte meinen Mund auf die blutende Wunde. Mit der Zunge fuhr ich einmal über die beiden Einstiche. Es schmeckte… anders. Zumindest anders als ich dachte. Es schmeckte nicht metallisch. Es schmeckte… gut. Ich fuhr noch mal mit der Zunge über seinen Arm. Doch danach wollte ich mehr. Ich hielt seinen Arm fester und begann an der Wunde zu saugen. Sein Blut schoss mir in den Mund. Ich spürte wie mir warm wurde, als ob es in jede einzelne Zelle gelangen würde und sie aufheizte. Es war unbeschreiblich. Ich sah zu Cannes, der seine Augen geschlossen hatte und den Mund zu einem schmalen Strich gepresst hatte. Tat ich ihm weh? Götter, dass wollte ich nicht. Sofort riss ich mich von seinem Arm los und schob ihn von meinem Mund. Ich fuhr mir mit der Zunge nochmal über die Lippen, um auch noch die letzten Spuren wegzuwischen. Er machte die Augen auf und starrte mich an. „Was ist los? Warum hast du aufgehört?“ fragte er, ehrlich verwirrt, aber mit heiserer Stimme. „Ich dachte ich hätte dir wehgetan.“ sagte ich leise. Ein Lächeln. „Wehgetan?“ fragte er und schaute mich ungläubig an. Ich senkte meinen Blick auf das Bett. „Ja.“ Er lachte. Fand er das etwa witzig? Immerhin hatte ich ihm doch gerade das Blut aus dem Körper gesaugt und das war doch bestimmt zumindest ein bisschen mit Schmerz verbunden. Stand er auf Schmerzen? Ich hob meinen Blick wieder und sah ihn erschrocken an. Das brachte ihn nur noch mehr zum Lachen. Dieser Kerl war einfach unglaublich! Saß hier, während ich mir Sorgen machte ihm wehgetan zu haben, und lachte mich aus! Ich schnaubte und sah ihn leicht angesäuert an. „Du hast mir nicht wehgetan, Fi.“ sagte er nachdem er sich halbwegs beruhigt hatte. „Und warum hattest du denn sonst deine Augen zugekniffen, wo du doch bei dem Biss nicht mal mit der Wimper gezuckt hast?“ Er hörte vollends zu lachen auf und starrte mich an. „Du willst wissen warum ich die Augen zu gemacht habe?“ fragte er mit leiser Stimme. „Ja.“ antwortete ich fest entschlossen. Er lächelte kurz, dann sah er mir in die Augen. Würde er es mir jetzt sagen oder nicht? Ich hatte keine Lust auf irgendwelche Spielchen. Er kam mitten in der Nacht in mein Zimmer, nachdem ich kurz davor gewesen war, wieder in einen komaähnlichen Schlaf zu versinken. Er hatte mir sein Blut zu trinken gegeben und hatte jetzt die Stirn mich auszulachen und in Rätsel zu sprechen. Ich spürte wie sich plötzlich eine Hand in mein Haar hob und mich im Nacken umklammerte. Was sollte das? Ich wollte gerade etwas sagen, wie zum Beispiel, dass es nicht sehr beruhigend war, die Hand im Nacken zu haben mit der er schon mindestens zweimal ein Genick gebrochen hatte, bekam dazu aber nicht mehr die Möglichkeit. Er schnellte nach vorn und legte seinen Mund auf meinen. Die Worte, die ich an den Kopf knallen wollte, blieben mir im Hals stecken. Seine andere Hand legte sich um meine Taille und zog mich an ihn. Sein Mund fing an, sich auf meinem zu bewegen. Seine Zunge umspielte meinen Mundwinkel. So etwas hatte ich noch nie gefühlt. Das hier war nicht mein erster Kuss und doch fühlte es sich so an. Noch nie hatte sich ein Kuss so... richtig angefühlt. Ich spürte wie mich eine Welle der Lust traf. Doch genau in diesem Moment, in diesem götterverdammten Moment, zog er sich zurück. Was?! Warum gerade jetzt wo es spannend wurde? Er lehnte sich zurück und löste seine Hände von mir. Sofort spürte ich die fehlende Wärme, wo sie vorher noch gelegen hatten. Ich wollte jetzt nicht aufhören. Ich sah ihn an. Was denkt er sich denn dabei, mich erst zu küssen und dann einfach so wieder aufzuhören? Ich legte den Kopf schief „Das hättest du nicht tun sollen, weißt du…“ flüsterte ich fast. Seine Augen wanderten schlagartig von meinen Lippen zu meinen Augen und in seinen stand ein fragender Ausdruck. Doch ich gab ihm gar keine Zeit um über das nachzudenken, was ich gesagt hatte oder für eine Frage. Innerhalb einer Sekunde beugte ich mich vor, schlang ihm meine Arme um den Hals und drückte meinen Mund auf seinen. Mein kleiner Überfall traf ihn so unvorbereitet, dass er nach hinten auf das Bett fiel. Ich lachte an seinem Mund und zeichnete mit meiner Zunge seinen Mund nach. Cannes, der sich von meinem Angriff wieder erholt hatte, schlang die Arme um meine Taille und öffnete seinen Mund. Seine Zunge glitt suchend in meinen Mund und fand meine sofort. Ich küsste ihn leidenschaftlich zurück. Das war es, auf das ich gewartet hatte. Ich weiß nicht wie lange wir uns auf dem Bett küssten und um nichts in der Welt würde ich das hier unterbrechen. Doch plötzlich schreckte Cannes auf. Er löste seinen Mund von meinem und setzte sich auf, wobei er mich mit ihm zog. Was war denn los? Ich wollte noch nicht aufhören! Da hörte ich es auch. Jemand kam die Stufen hoch und Cannes Gesichtsausdruck wusste ich auch, wer es war. Cannes drückte mich schnell wieder in mein Kissen und hob mir die Decke über den Körper. Leise ging er zur Tür. Kurz bevor er sie öffnen konnte, machte Stayr sie schon auf. Was dachte er sich eigentlich dabei, einfach so in mein Zimmer zu platzen? Was wäre, wenn ich mich gerade umgezogen hätte oder in irgendeiner anderen peinlichen Lage – wie einer in der ich Cannes küsste – gewesen wäre?! Der Eindringling grinste Cannes wissend an und lugte danach über seine Schulter zu mir. Er wollte gerade etwas sagen, doch Cannes kam ihm zuvor. „Komm.“ sagte er barsch und ging raus. Ohne sich noch mal umzudrehen schloss er die Tür und ich konnte hören, wie die beiden die Treppe wieder hinunter gingen. Was war denn jetzt los? Und warum, zum Teufel nochmal, kam Stayr ausgerechnet jetzt hierein? Ich hätte immer noch mit Cannes verschlungen auf dem Bett liegen können! Ich würde ihm morgen gehörig die Meinung sagen zum Thema Privatsphäre. Morgen. Morgen würde ich Cannes wiedersehen. Er war gerade bestimmt nur so missmutig gelaunt gewesen wegen Stayr, was ich voll und ganz verstehen konnte. Ich hätte ihm in dem Moment auch gerne den Hals umgedreht. Aber na ja, morgen sieht die Welt bestimmt ganz anders aus.
Ich wachte mit einem guten Gefühl auf. Ich erinnerte mich an letzte Nacht und grinste während ich mir etwas zum Anziehen raussuchte. Danach ging ich nach unten um zu gucken ob ich etwas zum Frühstück finden würde. Auf dem Weg nach unten versuchte ich, mir das dämliche Grinsen zu verkneifen, und tatsächlich gelang es mir. Ich ging durch die kleine Halle auf den Saal zu. Dort blickte ich mich um. Stayr saß auf einem Stuhl und hatte ein Buch in der Hand. „Morgen.“ sagte ich mit einem barschen Ton und ging zu ihm. „Gibt es hier irgendwo etwas zu frühstücken?“ fragte ich ihn. Er schaute von seinem Buch hoch. „Klar.“ Meinen Ton ignorierend und unverschämt fröhlich legte er sein Buch weg und verschwand kurz hinter der Tür, wo gestern der Mann mit den silbernen Teller rausgekommen ist. Wahrscheinlich die Küche. Als er wieder raus kam meinte er, dass es in ein paar Minuten kommen würde uns setzte sich wieder auf seinen Platz und las weiter. Ich setzte mich in seiner Nähe, jedoch nicht neben ihn. Nach ein paar Minuten kam wirklich mein Frühstück und ich fiel hungrig darüber her. Es schmeckte köstlich. Das sagte ich auch dem Mann, als er meinen Teller wieder wegräumte. Er bedankte sich höflich und verschwand wieder hinter der Tür. Ich blieb noch geduldig ein wenig sitzen, mit der Hoffnung, dass Cannes gleich durch die Tür kommen würde. „Er ist weg.“ sagte Stayr schließlich. Ich drehte mich zu ihm um. „Heute Morgen abgereist. Er meinte, er hätte etwas zu erledigen.“ Ich schaute ihn an. Log er? Oder verarschte mich nur? Cannes konnte doch nicht einfach verschwinden! Das durfte er doch nicht. Er war der einzige, dem ich hier in diesem kalten Land vertraute. Ich war die letzten zweieinhalb Tage mit ihm zusammen gewesen, da konnte er doch nicht einfach abhauen. Wieso? War es wegen letzter Nacht? Wegen dem was letzte Nacht zwischen uns passiert war? „Er meinte aber auch, dass es diesmal nicht so lange dauern würde.“ Ich zwang mich, Stayr anzulächeln. Ich war doch nicht auf Cannes angewiesen! Wenn er feige davonrannte und mich hier alleine ließ, würde ich garantiert nicht ebenfalls so feige reagieren und mich oben weinend im Zimmer verkriechen. Ich war eine erwachsene Frau, die auf eigenen Beinen stehen konnte. Dazu brauchte ich keinen Vampir-babysitter. Ich bedankte mich bei Stayr und ging nach oben in mein Zimmer. Ich schloss die Tür hinter mir und setzte mich auf das Bett. Also gut. Irgendwie würde ich auch das hier meistern. Zusammen mit einem fast Fremden in einem fremdem Haus in einem fremdem Land. Das konnte lustig werden, dachte ich bitter und mit zusammengebissenen Zähnen.
Die nächsten Tage waren absolut nicht lustig. Eher langweilig, frustrierend. Stayr versuchte zwar immer wieder mich aufzumuntern oder dazu zu animieren, etwas zu tun, aber er konnte sich selbst nichts vormachen. Wir waren im Grunde zwei Fremde, die in einem Haus wohnten. Ich blieb meistens in meinem Zimmer und starrte auf die Wiese hinaus. Sie faszinierte mich immer noch genau wie am Anfang. Ich versuchte nicht allzu oft an ihn zu denken, ihn nicht so oft in meine Gedanken zu lassen. Aber irgendwie schmuggelte er sich immer hinein. Er hatte Stayr nicht gesagt, was er noch zu erledigen hatte, geschweige denn wo er hingegangen war. Er hatte sich einfach ein Auto geschnappt und war davon gefahren. Mittlerweile gab ich mir selbst die Schuld. Er hatte doch aufgehört mich zu küssen, oder? Und ich hatte mich wie eine notgeile Schlampe an seinen Hals geschmissen. War er vor mir geflüchtet? Würde er überhaupt noch zurückkommen, oder würde irgendwann die Nachricht kommen, dass die Gefahr vorüber war und Stayr mich nachhause bringen konnte? Der Gedanke, mit Stayr und nicht mit Cannes in dem kleinen Abteil eingepfercht zu sein, machte mich traurig. Krank, oder? Ich hatte mir doch geschworen nie, nie wieder etwas für einen Mann zu empfinden das über Lust hinausgeht. Es war damals schiefgelaufen und es war jetzt wieder schiefgelaufen. Nur, dass es diesmal keine ein wenig länger gebraucht hatte. Immerhin hatte ich es auf fast drei Tage reduziert. Yeiii, neuer Rekord. Ich starrte zur die Tür, wie ich es so oft in den letzten Tagen gemacht hatte. Dort hatte ich ihn zuletzt gesehen. Nein, halt. Ich wollte nicht wieder in diese Masche zurück fallen. Dass ich immer und überall hoffte, ihn zu sehen. Nein, das würde mir nicht noch einmal passieren. Langsam stand ich auf und zog mir eine dicke Jacke aus dem Schrank. Ich würde ein wenig rausgehen, um hier endlich mal rauszukommen. Ablenkung, egal welcher Art, konnte ich jetzt wirklich gebrauchen. Ich fand Stayr in dem Saal, wie die letzten Tage mit einem Buch. Der Kerl war interessant. „Ich will kurz raus. Ein bisschen spazieren gehen.“ Stayr blickte von seinem Buch auf und musterte mich. Ich hatte ihm schon vergeben, dass er mich und Cannes unterbrochen hatte. Vielleicht war es auch ganz gut gewesen. Nach einem Kuss war er ‚nur‘ verschwunden. Was wäre wenn wir noch weiter gegangen wären? Was htte er dann gemacht? Mich woanders hingebracht? Mir die Erinnerungen genommen und ihn, alles, vergessen lassen? „Okay, aber bleib nicht zu lange weg.“ sagte er und schenkte mir ein Lächeln. In den letzten Tagen hatte er immer ein Auge auf mich gehabt, was mich ein wenig beruhigte. Er war wie eine Art Freund für mich geworden. Ich nickte ihm zu. „Bis dann. Viel Spaß beim Lesen.“ Er streckte mir die Zunge raus und widmete sich wieder seinem Buch. Ich schüttelte den Kopf. Ich schloss die große Eingangstür hinter mir, die schwerer aussah als sie war, und genoss die eiskalte Luft, die mir um die Nase wehte. Ich grub mein Gesicht in den Kragen der Jacke und schob die Hände in die Taschen. Rechts von mir war der Wald und ich beschloss dorthin zu gehen. Ich konnte jetzt die angenehme Stille der Bäume und Landschaften gut gebrauchen. Ein Weg, der durch die Bäume von dem langsam rieselnden Schnee geschützt war, schlängelte sich durch den gesamten Wald. Es war schön. Ich schritt den langen Pfad entlang. Jeder Schritt befreite mich ein wenig mehr und brachte mich ein Stück von dem riesigen Haus weg. Weg von Cannes. Weg von all den merkwürdigen Gedanken der letzten Tage. Das was ich gerade am meisten brauchte. Ich dachte an meine Familie, die nichtsahnend in Deutschland saß. An Xan und Angel, die dachten ich würde mit einem Kerl in Italien am Meer Urlaub machen. So viel Mist war in den letzten Tagen passiert. Und obwohl es mein Leben ist, fühlte es sich an, als würde ich einfach nur daneben stehen und nur zusehen können wie alles völlig schieflief. Ich schaute zurück zu dem Haus. Anscheinend hatte ich ein ganz schön schnelles Tempo draufgehabt, denn es verschwand fast zwischen den Bäumen. Vielleicht sollte ich zurückgehen. Es gab bestimmt gleich Essen, was so ziemlich das Beste in diesem Haus war. Der kleine Spaziergang hatte mir gefallen, vielleicht machte ich das jetzt öfters. Hatte ja sonst nichts zu tun. Ich sah mich nochmal kurz um, ließ den Blick über die hohen, mächtigen Bäume schweifen und drehte mich dann herum. Ich beschleunigte meine Schritte nicht, jedoch kam das Haus schnell wieder in Sicht. Doch plötzlich spürte ich wie etwas hinter mir stand. Wahrscheinlich nur Stayr, der mir sagen wollte, dass das Essen fertig ist. Diese verdammten Vampire waren so verdammt schnell. Ich drehte mich um und es war überhaupt nicht das was ich erwartet hatte. Langsam wich ich zurück. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Wie...? „Hallo meine Kleine. Ich hab nach dir gesucht.“ sagte er und ließ seine Reißzähne aufblitzen. Ich wich weiter zurück. „Na na, wir wollen doch keinen Ärger. Du bleibst schön hier.“ Er kam nun bedrohlich auf mich zu. Kurz bevor ich mich umdrehen konnte, um zum Haus zu rennen, stürzte er sich auf mich. Ich schrie auf, wollte Stayr rufen, ihm zeigen, dass ich hier in großer Gefahr war, aber bevor ich auch nur den kleinsten Laut von mir geben konnte, hatte sich schon eine große, äußerst ekelige pelzige Klaue auf meinen Mund gelegt. Also wirklich, das war doch echt nicht schön. Ich hörte auf zu schreien und er zog mir die Klaue vom Mund. Er wich einen kleinen Schritt zurück. Was würde er jetzt tun? Mich sofort umbringen? Mich entführen? Und wenn ja, wie? Dann holte er aus und schlug mir ins Gesicht. Ich hab langsam echt genug von dieser Ohnmacht!
Die letzten Male, als ich aufgewacht war, hatte ich es viel bequemer, selbst die Sitze im Zug waren besser gewesen. Aber gefesselt auf einem Stuhl zu erwachen gehörte nicht gerade zu den bequemen Dingen meines Lebens. Ich lauschte, ob ich jemanden in der Nähe hörte. Nichts. Alles war beunruhigend ruhig. Vorsichtig öffnete ich meine Augen einen Spalt und schaute mich um. Erschrocken riss ich sie ganz auf. Der Raum wurde von Neonlichtern erhellt, sie tauchten die Halle in kaltes Licht. Überall standen große Metallbehälter und über mir war eine Metallagida quer durch den Raum gespannt. Es war ein Ort, an dem man sofort einen Horrorfilm hätte drehen können. Ich warf mich um, versuchte mir alles einzuprägen, damit ich – falls ich hier jemals rauskommen sollte – einen Fluchtweg planen konnte. Mein Blick wanderte zu dem Metallsteg unter der Decke. Und genau von dort sprang jetzt das Monster, was mich im Wald überfallen hatte. Es schlich auf mich zu, wie eine Raubkatze auf seine Beute. Und genau das war ich wahrscheinlich auch. „Oh, du bist endlich aufgewacht. Dann können wir ja anfangen zu spielen!“ sagte er. Spielen?! Na toll, man konnte zu den schiefgelaufenen Dingen meines Lebens jetzt auch noch ein spielsüchtiges Fellknäuel hinzuzählen. Ganz super, die Liste wurde immer länger. Aber was verstand dieses Ding unter ‚spielen‘? Als ich ihm in die Augen sah, wusste ich was er meinte. Ein Schauer überkam mich. Er spielte mit mir. Und bestimmt kein Mensch-ärgere-dich-nicht. Eher etwas was mit Blut und Schmerzen zu tun hatte. Das wird ja immer besser! Er kam wieder auf mich zu. Erst als er direkt vor mir stand, blieb er endlich stehen. „So, hör jetzt gut zu, denn ich erzähle es nur einmal. Ich bin auf der Suche nach dem blonden Mann, der mit dir gereist ist. Hast du ihn gesehen?“ Seine Klaue fuhr über meinen Oberschenkel. Ich schluckte. Er suchte Cannes? Mein Verstand sträubte sich gegen den Gedanken ihm auch nur das kleinste Etwas über Cannes zu sagen. Aber wenn ich ihm jetzt ein ‚Fick dich!‘ entgegenschreien würde, würde das weder mir noch Cannes helfen. „Nein. Er ist verschwunden, er hat gesagt er müsse etwas erledigen. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.“ Das konnte ich ihm verraten. Mehr wusste ich ja auch wirklich nicht. Was sich auch als ganz gut herausstellte. Für einen kurzen Moment war ich froh, dass Cannes von einem Tag auf den anderen abgehauen war, ohne etwas zu sagen. Dadurch musste ich das Werwesen vor mir nicht anlügen und konnte ihm nicht verraten, was Cannes schaden könnte. Aber im nächsten Moment war ich schon wieder sauer auf ihn. Zu mehr hatte ich jedoch gar keine Zeit, denn eine Klaue, die sich in meinen Oberschenkel bohrte, lenkte mich vollkommen ab. Ich kniff die Lippen zusammen, um nicht loszuschreien. „Gut. Weißt du denn wo er ist?“ Ich schüttelte den Kopf, denn wenn ich denn Mund geöffnet hätte, hätte ich geschrien und diese Genugtuung wollte ich ihm nicht geben. „Ganz sicher? Weißt du, ich kann ewig so weitermachen…“ Ich nickte. Er funkelte mich aus seinen Augen an und kurz war es still, bis auf mein schmerzerfülltes Keuchen. „Okay.“ Mit einem schmerzhaften Ruck zog er seine Klaue aus meinem Schenkel und ging rückwärts. Ich schaute auf den größer werdenden Blutfleck hinunter. „Keine Angst. Daran wirst du schon nicht sterben. Du hast noch sein Blut in dir, es wird helfen.“ Er kicherte und verschwand. Ich hasste es. Auch wenn es nur ein Monster war, wurde ich in letzter Zeit so oft alleine gelassen. Cannes war gegangen, Stayr hatte ich die letzten Tage nicht gesehen außer beim Essen und in seltenen Zeiten dazwischen und selbst ein verabscheuungswürdiges Monster ließ mich alleine. Ich sackte in mich zusammen und versuchte den Schmerz zu unterdrücken. Schreien und zappeln bringt mir auch nichts. Stattdessen rieb ich meine Hände aneinander. Es waren Kabelbinder. Die würden eher meine Handgelenke zerschneiden, als das sie sie freigeben würden. Meine Füße waren ebenfalls mit diesen Teufelsdingern gefesselt. Es gab kein Entrinnen. Keine Hoffnung für mich. Und ich bezweifle, dass Stayr oder Cannes - wenn überhaupt - schnell genug hierherkommen würden. Das war doch echt zum Heulen. Warum war Cannes nicht einfach bei mir geblieben? Wenn ihm der Kuss so unangenehm war, warum hat er dann nicht einfach mit mir gesprochen? Warum war er abgehauen? Ich war niedergeschlagen und deprimiert. Ich wollte nicht mehr hin und her geschubst werden. Ich rüttelte verzweifelt an den Fesseln. Eine dunkle Stimme ließ mich zusammenzucken und die Hände stillhalten. „Wäre ja langweilig gewesen, hättest du es nicht zumindest versucht.“ Er rüttelte an dem Stuhl, was dafür sorgte, dass mein Bein schmerzhaft über den Stuhl rieb. Ich keuchte auf. Dieses Arschloch! „Ich hoffe, dass dein Freund sehr bald hier eintrifft. Er trägt Schuld an dem Tod meines Bruders. Bevor du stirbst, wird er sterben. Und du…“ er stellte sich vor mich und senkte sein Gesicht direkt vor meins, seine Schnauze berührte mich fast „wirst dabei zusehen.“ Er kicherte - wenn man das so nennen konnte - und drehte sich um. „Ich komm dann in ein paar Stunden nochmal.“ sagte er und kicherte immer noch. Er wollte, dass Cannes hierherkommt? Und ihn dann umbringen? Während ich dabei zusehe? Idiot. Erstens: Cannes würde den Weg hierher gar nicht finden, er wusste wahrscheinlich noch nicht mal, dass ich nicht mehr in seinem Haus war. Zweitens: Man konnte keinen umbringen, der nicht auftaucht und drittens: Ich würde mich lieber selber umbringen als Cannes beim Sterben zuzusehen. Ich würde sowieso in diesem Rattenloch hier elendig verrecken. Während der nächsten Stunden saß ich reglos auf dem Stuhl, penibel darauf bedacht, mein Bein bloß nicht zu bewegen. Es hatte zwar aufgehört zu bluten, aber das hieß nicht, dass es nicht mehr wehtat. Ich achtete auf die kleinsten Geräusche, die eine Wiederkehr des Werwesens angekündigt hätten. Nichts. Meine Muskeln hatten sich verkrampft, weil ich seit langer Zeit in ein und derselben Position verharrte und es nicht wagte mich zu bewegen. Irgendwann ging das Licht aus. Jetzt sah die Lagerhalle richtig aus wie der Ort eines Horrorfilms. Lange Schatten zogen sich über den Boden und man hörte ein leises Quietschen. Als ob ich noch nicht genug Horror hatte. Und genau diesen Moment suchte sich dieses Ding aus, um direkt vor mir zu landen. Ich zuckte zusammen und fluchte gleich hinterher, denn ich hatte mein Bein bewegt und angespannt. Scheiße! „Gruselig, nicht?“ fragte das Monster. Ich blieb still. Es ging um mich herum und fuhr mit der Klaue über meine eine Schulter, über meinen Nacken zur anderen. „Was meinst du, wie lange braucht dein Freund um hier aufzutauchen? Haben wir genug Zeit für noch ein Spiel?“ Er stand wieder vor mir und ließ seine Klaue über meinen Hals wandern. Das Ding war doch krank, oder? Die Klaue fuhr jetzt tiefer, über meine Brust, meinen Bauch, über meine Hüfte und auf meinen unverletzten Schenkel. Sie wanderten rauf und runter. Ich blickte an ihm vorbei an die Wand hinter ihm. Ich wollte das nicht sehen, sonst würde ich noch schreien. Wie auf der anderen Seite bohrte er sie in den Schenkel. Langsamer, schmerzhafter. „Wo ist er?“ zischte er. „Ich weiß es nicht.“ brachte ich ebenfalls zischend hervor. Selbst wenn ich etwas wüsste, würde ich es ihm nicht sagen. Niemals. Er drehte seine Klaue und konnte einen ungewollten Schrei nicht zurückhalten. Abrupt zog er sie wieder raus, nur um sie gleich darunter wieder in mein Bein zu bohren. „Ich mag dieses Spiel. Du auch?“ Die Zeit, wo ich alleine rumsaß hatte mir eindeutig besser gefallen. Ich starrte immer noch stumm die Wand an, mied seinen Blick und keuchte in unregelmäßigen Abständen. „Na gut. Ich lass dich wieder alleine. Wir sehen uns.“ Er sprang auf die Agida und verschwand wieder. Mein ganzer Körper sackte vor Erschöpfung zusammen und ich wimmerte vor Schmerz. Das tat höllisch weh. Ich atmete keuchend und versuchte den Schmerz zu verdrängen. Was gar nicht so einfach war, wenn das warme Blut aus der Wunde quoll und langsam auf den Stuhl und von dort auf den Boden troff. Ich presste die Lippen zusammen und hoffte, dass kein Laut über sie wich. So leicht würde ich nicht aufgeben. Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch. Allerdings nicht so ein plumpes und schweres, wie das von meinem Entführer. Wer war denn das schon wieder? Ich hörte, wie diese Schritte langsam auf mich zukamen. Cannes hatte gesagt, dass es immer Rudel waren. Und bisher hatte ich erst zwei gesehen. Wie viele würden noch kommen, um mit mir zu spielen? Ich kniff die Augen zusammen, machte mich auf einen weiteren Angriff gefasst und wappnete mich innerlich gegen die Schmerzen. Mit schnellen Schritten ging es an mir vorbei. Da das Licht noch aus war konnte ich nicht genau erkenne, wer es war. Oder was es war. Ich betete, dass es irgendjemand, völlig egal wer, war, der mich rettete. Aber solange es sich nicht direkt vor mich stellte, konnte ich nichts erkennen. Ich erschreckte mich fast, als dieser Jemand einen derben Fluch ausstieß und schnell um mich herumging um mir die Fesseln zu lösen. Meine Rettung? Unglaublicher Weise wurden die Fesseln an meiner Hand gelöst und der Fremde ging dazu über meine Füße zu befreien. Als er auch das geschafft hatte, richtete es sich auf. Wer war das? Es legte mir eine Hand über den Mund und legte sich einen Finger über seinen, um mir zu bedeuten, ich solle still sein. Dann beugte er sich zu meinem Ohr vor und murmelte „Komm. Ich bringe dich hier raus.“ Ein freudiges und hoffnungsvolles Kribbeln durchlief mich. Es reichte mir die Hand. Doch anstatt sie zu ergreifen und mich fortbringen zu lassen, starrte ich sie nur an. Ich kannte diese Stimme nur zu gut. Mein Blick wanderte hoch zu seinem Gesicht. Er war es! Er hatte mich tatsächlich gefunden! Ich lächelte müde. Er war hier um mich zu retten. Aber ich trotzdem noch sauer auf ihn. Er war einfach gegangen. Ohne auch nur das kleinste Wörtchen zu mir zu sagen. Dennoch griff ich entschlossen seine Hand. Jetzt war nicht die Zeit für kindische Zickereien, diese würde noch kommen. Er nickte mit einem leichten Lächeln, als ob er meine Gedanken verstanden hätte und mir für das Vertrauen danken wollte. Ich stand vorsichtig auf, unterdrückte einen Schmerzensschrei und sackte sofort wieder zusammen. Meine Beine waren zu schwach, als das sie mich hätten tragen können. Cannes drehte sich um und fasste mich unter den Knien und hinter meinem Rücken, so wie im Zug. Er lief schnell durch die stille Halle. Seine Schritte waren das einzige Geräusch und es durchschnitt die Stille. Gleich hatten wir es geschafft, gleich waren wir durch die Tür. Da krachte etwas Schweres gegen Cannes Seite und er stolperte und fiel. Ich wurde aus seinem Armen katapultiert und landete ebenfalls unsanft auf dem Boden. Diesmal konnte ich den Schrei nicht unterdrücken. Ich wälzte mich hin und her, versuchte den Schmerz zu vertreiben, aber ich merkte, dass das nichts brachte. Also blieb ich still liegen und keuchte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Cannes wieder aufstand und sich nach der Gefahr umsah. „Ist er also doch gekommen.“ kicherte das Monster über uns. Er war auf der Agida! Dann sprang er und landete ein paar Schritte vor uns. Er schaute mich an. „Jetzt beginnt das Spiel richtig, Süße. Pass gut auf.“ Ich war zu keiner Reaktion fähig, erstarrt bei dieser Drohung. Cannes war jetzt hier und das Monster hatte keine Hehl aus seinen Absichten gemacht. Ich wollte schreien, ihn treten, schlagen oder sonst wie seine Aufmerksamkeit vollkommen auf mich lenken. Denn die Wahrheit war: Ich hatte riesige Angst um Cannes. Das Monster hatte so groß damit geprahlt, ihn zu ermorden, während ich dabei zusah. Die beiden blieben stehen und bewegten sich nicht. Jeder wartete, dass der andere einen Fehler machte. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis das Monster angriff. Es war so von Rache besessen, dass es unvorsichtig wurde, wie mir jetzt auffiel. Es rannte mit einem wütenden Brüllen auf Cannes zu und schnappte nach ihm. Dieser schlug ihm, wie auch schon seinem Bruder, auf die Schnauze. Doch dieses Wesen war gerissener und versuchte, ihn in die Seite zu schnappen, während er gleichzeitig mit den Klauen nach der anderen hieb. Cannes stieß die Schnauze mit dem Ellbogen weg und umfasste mit beiden Händen den Unterarm des Werwesens. Er drehte sich wie bei einem abstraktem Tanzschritt und hatte so den Arm auf den Rücken des Wesens gedreht. Es heulte und versuchte sich zu wehren, was es eigentlich nur noch schlimmer machte. Cannes legte dem Ding einen Arm um den Hals, und bevor es sich irgendwie bewegen konnte, riss Cannes ihm den Kopf vom Hals. Dieser purzelte in die Dunkelheit der Lagerhalle davon. Ich atmete erleichtert auf, weniger um mich als um Cannes besorgt. Dieses Ding konnte ihn schon mal nicht mehr umbringen. Er drehte sich um und kam auf mich zu. Ich lag immer noch bewegungsunfähig auf dem Boden und sah zu ihm auf. Sein Blick war zwar auf mich gerichtet, aber trotzdem schien er nicht hie zu sein. Er hob mich auf seine Arme und schließlich schafften wir es aus der Tür. Er trug mich in die Freiheit. Die kalte Luft stach mir auf der Haut während er mich zu dem schwarzen Auto mit dem Stayr uns vom Bahnhof abgeholt hatte trug. Das Auto, mit dem er angehauen war. Er öffnete mit einer Hand die Beifahrertür und setzte mich vorsichtig ab. Danach schloss er die Tür, ging um das Auto zurück und setzte sich auf den Fahrersitz. Ich kämpfte mit dem Gurt, damit ich mich anschnallen konnte, ohne das er meine Beine streifte. Als ich es schließlich geschafft hatte, mir der Schweiß ausgebrochen war, weil ich wieder gegen eine Schmerzwelle kämpfen musste, ließ Cannes den Motor an. Er gab Gas und ich keuchte, weil ich in den Sitz gedrückt wurde. „Entschuldigung.“ sagte Cannes und schaute mich von der Seite her an. Ich nickte kurz. Der Schmerz war grauenvoll. Ich schloss die Augen und bewegte mich nicht. „Hey, du musst bei mir bleiben.“ sagte er und legte seine Hand auf meinen Arm. Ich nickte wieder leicht. Ich spürte, dass er das Tempo nicht drosselte, mit unveränderter Geschwindigkeit dahinraste. „Mach die Augen auf. Dann wird es einfacher sein, glaub mir.“ sagte er leise. Also öffnete ich die Augen. Das Adrenalin war verflogen und ich war verdammt erschöpft, nicht nur von den neuen, sondern auch noch von der anderen Verletzung. Diese Werwesen gehen mir so langsam richtig auf die Nerven. Ich spürte seine Hand immer noch auf meinem Arm. Unbehaglich schob ich sie weg. Das letzte Mal als wir uns näher gekommen sind, ist er für eine Woche verschwunden. Das wollte ich nicht nochmal. Er zog langsam seine Hand zurück und legte sie wieder ans Steuer. Ich versuchte nicht an den Verlust der Wärme zudenken, sondern konzentrierte mich auf den Verlauf der Straße. Meine Augen fielen immer wieder zu. Ich wollte doch nur schlafen. Ich war doch ständig bewusstlos, konnte ich da nicht auch mal vernünftig schlafen? „Augen auf lassen.“ Beharrte Cannes. Ich blickte träge zu ihm hinüber und blinzelte mehrmals, um meine Sicht scharf zu stellen. Er grinste mich an, bemüht einen heiteren Ausdruck für mich zu machen, das konnte ich ihm ansehen. Ich blickte wieder auf die Straße und sah endlich wie das Haus am Horizont auftauchte. Endlich. Das bedeutete, dass ich bald schlafen konnte. Wir fuhren die Auffahrt hinauf und hielten vor der Eingangstür. Cannes schaltete den Motor ab und stieg aus. Wie vorhin nahm er mich wieder auf die Arme und trug mich sanft durch die Tür. Er stieg die Treppe nach oben zu meinem Zimmer. Dort legte Cannes mich auf meinem Bett ab. Es war so weich. Ich wollte mich zusammenrollen und einfach nur die nächsten Tage durchschlafen. Ich drehte meinen Oberkörper soweit, dass der Schmerz erträglich war und versuchte die Beine langsam nachzuziehen. Seeehr langsam. „Nicht, du tust dir nur weh. Lass das.“ sagte Cannes und legte eine Hand auf meine obere Hüfte um mich wieder in die Waagerechte zu legen. Verstand er denn nicht, dass ich nur schlafen wollte?! Wie erschöpft ich war?! Wir konnten doch morgen reden und streiten. Ich ließ mich wieder flach auf das Bett drücken. Es tat tatsächlich weniger weh, musste ich widerstrebend denken. Die Augen hielt ich dennoch geschlossen. Ich hörte ihn, wie er sich bewegte und dann spürte ich etwas Warmes, Flüssiges an meinem Mund. „Trink das, Fi. Es wird dir danach besser gehen. Vertrau mir.“ flüsterte er. Vertrauen? Ich öffnete den Mund und schluckte. Als ich die mühsam die Augen öffnete, sah ich, dass er mir seinen Arm an den Mund gedrückt hatte. Seinen Arm, an dem sein Blut herablief, weil er sich eine Wunde hineingebissen hatte. Ich versuchte den Kopf wegzudrehen, man bedenke, wo wir das letzte Mal durch so eine Aktion hin geraten sind, aber er legte seine Hand um meinen Hinterkopf und hielt ihn still. Mir blieb gar keine andere Wahl. Und wenn ich schon dazu gezwungen wurde, konnte ich es doch wenigstens genießen oder nicht?! Ich umfasste seinen Arm und drückte ihn gegen meinen Mund. Es schmeckte wirklich nicht schlecht. Ich schaute hoch in sein Gesicht und sah, dass er diesmal seine Augen nicht geschlossen hatte, sie waren starr auf mich gerichtet. Unter seinem Blick mich leicht unwohl fühlend, drehte ich den Kopf weg. Mein Blick fiel auf meine Beine. Die Hose war nach wie vor zerfetzt und voller Blut, doch die Schmerzen waren weg und unter der kaputten Hose konnte man heile Haut erkennen. Dieses Zeug war ein Wundermittel! Man sollte es in Flaschen abfüllen. Meine Lippen verzogen sich an seinem Arm zu einem Lächeln. Ich spürte wie die Benommenheit durch den Blutverlust nachließ. Jedoch war da immer noch die normale Müdigkeit. Wie lange war ich eigentlich in diesem Loch gewesen? Stunden? Tage? Ich wusste es nicht. Ich ließ seinen Arm los und versuchte wieder meinen Kopf wegzudrehen und diesmal ließ er es zu. „Besser?“ fragte er. Ich nickte „Danke.“ sagte ich leise und ließ mich auf das Bett fallen. Jetzt konnte ich die Beine anziehen und die Arme drum schlingen. Cannes zog vorsichtig die Decke unter mir hervor und deckte mich damit zu. „Gute Nacht, meine kleine Fi.“ sagte er leise. Ich wollte etwas erwidern - ich war nicht seine ‚Kleine‘ - doch ich war zu schläfrig. Und bevor ich hörte, dass er die Tür schloss, schlief ich schon.
Die nächsten Tage waren komisch. Cannes war wieder da, und er blieb auch, aber trotzdem hatte sich irgendetwas verändert. Er hatte sich verändert. Er schien auf Abstand zu gehen und bis auf einige zufällige Treffen auf dem Gang oder beim Essen bekam ich ihn nie zu Gesicht. Stayr hingegen sah ich häufiger und mittlerweile war er ein guter Freund von mir geworden. Die anfänglichen Flirtversuche reduzierten sich - merkwürdigerweise - auf die wenigen Momente wenn Cannes es mitbekam. Dieser drehte sich dann meist schnell um und ging davon oder, wie zum Beispiel beim Essen, konzentrierte sich ausschließlich auf sein Essen und blickte kein einziges Mal mehr hoch. Stayr schien das zu amüsieren. Und nachdem Cannes uns einfach sitzengelassen hatte, ohne eine Begründung zu erwähnen, wollte ich es ihm schon irgendwie wieder heimzahlen. Nach einem dieser Essen, Cannes hatte so schnell es ging den Essenssaal verlassen und dabei fast seinen Stuhl umgeworfen, fragte ich Stayr endlich. „Warum hat er sich so verändert? Was ist denn passiert?“ Stayr blickte von seinem Essen auf. „Du bist passiert.“ sagte er. Ich starrte ihn verwirrt an. Ich? „Noch nie hat er sich so aufgeregt, wenn ich einem Mädchen in seiner Gegenwart hübsche Augen mache. Er hatte höchstens den Kopf geschüttelt, wenn es zu peinlich wurde.“ Er grinste, als erinnerte sich an etwas. Aber es war nur kurz da, dann verschwand es wieder und er sah mich ernst an. „Aber das er so... griesgrämig wird und sich nur noch verkriecht macht zwar mein Spiel lustiger, aber scheint dennoch an dir zu liegen.“ An mir? Wieso das denn? „Wieso das?“ Stayr lachte. „Das weißt du nicht? Überleg mal. Zum Beispiel in der Bar. Hatte er dich schon vorher angesprochen, oder erst nachdem das Werwesen dich angegriffen hatte? Hatte er dich einfach in Apartment in Deutschland gebracht, wo du ebenfalls in Sicherheit gewesen wärest, wärest du nicht rausgegangen oder etwas dergleichen? Nein, er hat dich quer durch die Welt in sein Haus gebracht. Um dich bei sich zu haben.“ Da hatte Stayr Recht. Cannes hatte mich vor dem Angriff angesprochen. Ich erinnerte mich daran, dass er seinen Tequila ebenfalls ohne Zitrone und Salz getrunken hatte. „Er mag dich. Sehr.“ sagte Stayr ernst. „Nur will er sich das nicht eingestehen. Der Kuss neulich, war ehrlich nicht zu übersehen, hatte ihn ein wenig verschreckt. Er ist so etwas nicht gewohnt. Also hat er die Flucht ergriffen. Nicht meine bevorzugte Variante, aber rückgängig kann man es jetzt auch nicht mehr machen. Und dann, als ich dich zum Essen reinholen wollte, stand er vor der Tür und wollte gerade reinkommen, als er ohne ein Wort zu sagen sich erst in Richtung Wald wandte und dann wie verrückt in das Auto sprang und davonfuhr.“ Ich überdachte die ganze Situation. Stayrs Darstellung der Geschehnisse klang plausibel. Immerhin hat Cannes mich nach hier verschafft, nicht nach Deutschland, was viel einfacher gewesen wäre. Er hatte mir alles zu Verfügung gestellt, mir nie gedroht und mir sogar sein Geheimnis anvertraut und hinterher nichts mit dem Strahle-blick gelöscht. Und er war gleich nach dem Kuss abgehauen. Er hatte sich ja noch nicht mal an jenem Abend an der Tür umgedreht! Hatte Stayr Recht? Mochte er mich wirklich so? Und wenn ja, was dann? Fühlte ich dasselbe, nach allem was vor Cannes passiert war? Was mit ihm passiert war? Ich dachte über die Zeit nach, in der Cannes nicht da gewesen war. Ich hatte ihn vermisst, sehr sogar. Was wird, wenn ich wieder zuhause bin und er hier in Sibirien? Würde ich ihn einfach vergessen können und weitermachen wie bisher? „Ähh, Fi? Alles in Ordnung?“ Ich blinzelte ein paar Mal. Ich war mit den Gedanken ganz woanders gewesen und hatte Stayr vollkommen vergessen. „Ähh, ja klar. Wieso?“ „Nun ja, du starrst seit gut fünf Minuten die Wand an.“ sagte er und kicherte. Ich grinste, er hatte Recht, ich hatte sie wirklich die ganze Zeit lang unbewusst angestarrt. Ich streckte ihm die Zunge raus und stand auf. „Ich geh auf mein Zimmer. Gute Nacht Stayr. Und danke.“ Ich gab ihm einen leichten Kuss auf die Wange und ging an dem langen Tisch entlang zu Tür. Auf dem Weg zu meinem Zimmer dachte ich immer noch an das was Stayr über Cannes gesagt hatte. Dass der Kuss ihn verschreckt hätte. Ich erinnerte mich an den Abend. Er hatte mich zuerst geküsst, aber dann hat er sich zurückgezogen. Wenn wir nur bis da gegangen wären, wäre er dann geblieben? Ich konnte zwar nicht mehr rückgängig machen, was ich getan hatte - und bereuen tat ich es erst recht nicht -, aber trotzdem stellte sich mir die Frage, was passiert wäre, wenn ich ihn danach nicht geküsst hätte. Wenn ich es bei dem einem Kuss belassen hätte. Ich war vor meinem Zimmer angekommen. Ich drückte eine Hand gegen das Holz der Tür und drückte sie auf. Als ich durch sie hindurch ging, fragte ich mich, ob die anderen Zimmer genauso aussahen, wie dieses hier. Aber das ließ sich doch herausfinden! Außerdem würde mich das von Cannes ablenken. Hoffte ich. Ich ging zu der zweiten Tür und prüfte die Klinke. Unverschlossen. Ich machte die Tür auf und fand ein weiteres Schlafzimmer vor. Genau dasselbe, nur spiegelverkehrt. Ich ging zu dem Schrank. Mich würde interessieren, ob dieser auch voller Klamotten war, oder ob Cannes nur einen mit Kleidungsstücken ausgestattet hatte. Der Schrank war leer. Genauso wie die Schubladen und selbst die Glasborte ihm Bad waren leer. Ich ging aus dem Zimmer raus in das Dritte. Dies war auch ein Schlafzimmer, zwar etwas anders, aber auch hier war alles leer und unberührt. Das vierte, und letzte Zimmer auf dieser Seite, war verschlossen. Wahrscheinlich gehörte dieses Cannes oder Stayr. Das gegenüberliegende Zimmer verbarg eine morsch aussehende Treppe, die nach oben führte. Ein Dachboden! Vorsichtig stieg ich die alten und knarzenden Holzstufen hoch. Als ich oben war traute ich meinen Augen nicht. Er war riesig! Der Boden erstreckte sich über das gesamte Haus und war fast leer. Nur vereinzelt standen ein paar Kisten herum. Ich wollte wieder rückwärts die Treppe herunter und hielt mich dabei an den Treppenstufen fest, da es kein Geländer ab, an dem ich mich schützend festhalten konnte. Doch plötzlich machte ich einen Fehltritt oder stolperte, ich weiß es nicht, und fiel nach hinten. Scheiße! Ich erwartete mit dem Rücken schmerzhaft auf den Stufen oder auf dem Boden aufzutreffen. Aber statt des harten Holzes der Treppe oder des Bodens spürte ich starke Arme die mich auffingen. Natürlich. Als gebe es je einen Moment in diesem Haus, in dem ich nicht beobachtet werde. Wobei ich mich noch nicht so recht entscheiden konnte, ob dies mir so missfiel, wenn es sich bei diesem Jemand um ihn handelte. Denn das wiederum würde ja bedeuten, dass ich ihm doch nicht so egal war, wie er mir die letzten Tage mit seiner Abwesenheit so überaus klarmachte. Ich schaute nach oben und sah in Cannes helle, umwerfende Augen. Er blickte auf mich hinab. Ich dachte daran, was Stayr gesagt hatte. Wenn jetzt wieder etwas passieren würde, was dem vor seiner überstürzten Flucht ähnelt, würde er es dann wahrscheinlich wieder bereuen. Und lieber hab ich einen miesgelaunten Cannes immer in meiner Nähe, als einen bereuenden irgendwo in irgendeinem Winkel der Welt. Selbst in den wenigen Momenten, die ich ihn zu Gesicht bekam, freute ich mich. Jedes Mal aufs Neue hielt ich den Atem an und wartete darauf, dass er mich ansprach. Oder mich nur ansah. Aber das tat er selten. Und wenn, dann nur, um mir einen merkwürdigen Blick zuzuwerfen, weil ich auf eine von Stayrs Anspielungen eingegangen war. Stayr. Er hatte gesagt, dass Cannes nur so wegen mir war. Weil er… weil er was empfand? Hass? Frust? Konnte ich alles verstehen. Von jetzt auf gleich hatte er mich beschützen müssen, war ein Gentleman gewesen und hatte mich seitdem an den Hacken kleben. Nervte ich ihn? Aber das würde nicht seine seltenen Blicke erklären. Was wenn Stayr recht hatte? Damit, dass Cannes abgehauen war, weil er Angst vor den Empfindungen hatte, die er für mich hatte? Aber was genau waren das für Empfindungen? „Woran denkst du?“ fragte Cannes. „Stayr…“ fing ich langsam an, doch er unterbrach mich. „Klar.“ sagte er zerknirscht. Was war denn...? Achso. Ich verkniff mir ein kleines Grinsen. Er war eifersüchtig! Cannes stellte mich auf meine eigenen Füße und wollte gerade beleidigt durch die Tür gehen, doch ich hielt ihn am Arm zurück. „Hey.“ Ich brachte ihn zum Stehen, aber er drehte sich trotzdem nicht zu mir herum. „Du hast mich nicht ausreden lassen. Ich habe an Stayr gedacht, ja, aber an das was er gesagt hat. Und um genau zu sein, haben wir über dich geredet.“ Er blickte zu mir zurück, in seinen Augen ein Funkeln. „Ihr redet über mich?“ Er zog die Brauen zusammen und schnaubte ungläubig. „Und warum solltest du das tun? Immer wenn ich dich sehe hängst du an Stayr oder er an dir. Da bin ich doch überflüssig.“ sagte er und wollte wieder gehen. Bevor ich es verhindern konnte, huschte das Grinsen, was ich vorher noch verkniffen hatte über mein Gesicht. Definitiv eifersüchtig. „Du glaubst, ich würde ehrlich etwas von Stayr wollen?“ Wenn er doch viel besser war. Ich würde niemals mehr für Stayr empfinden als Freundschaft. Was man von Cannes nicht gerade sagen konnte. Was auch immer es war, Freundschaft war es definitiv nicht. Er schaute mir in die Augen „Ich ziehe nur meine Schlüsse aus dem was ich sehe.“ „Tust du das? Anscheinend nicht sehr gut. Sieh genauer hin.“ Er schaute mich verwirrt an. „Glaubst du wirklich, ich würde mit einem Typen um die halbe Welt reisen, den ich nicht mal mag? Der ein Vampir ist und der es über die Hälfte der Zeit nicht für nötig hielt, mir zu sagen wo wir überhaupt hinfahren?! Oder am ersten Abend, Stayr war mir schon fast näher gekommen als du und trotz seiner offenkundlichen Aufforderung habe ich mich zu dir gesetzt. Ich sehe in Stayr nur einen Freund. Mehr nicht. Okay?“ Ich schenkte ihm ein Lächeln. Er drehte sich nun vollends wieder zu mir um und sah mich misstrauisch an. „Und warum gehst du dann auf seine Flirtereien ein?“ fragte er. Ich lachte leise. Es hatte also geklappt. „Weil es ihm Spaß macht und außerdem bist du einfach abgehauen, ohne auch nur irgendwas zu sagen. Weißt du wie ich mich gefühlt habe? Ich habe mir die Schuld an deinem Verschwinden gegeben. Mich wie eine notgeile Schlampe gefühlt, die sich an deinen Hals geschmissen hat. Und dabei hatte ich mir doch geschworen, mir nie wieder so viel Gedanken über einen Typen zu machen. Aber du hast es geschafft. Herzlichen Glückwunsch.“ Er wollte etwas sagen, bestimmt, dass das keine Antwort auf seine Frage war, aber ich ließ ihm keine Chance etwas zu sagen. „Lass mich ausreden. Ich weiß, dass ich vom Thema abgekommen bin, aber das ist mir scheißegal. Weißt du, in den letzten paar Tagen ist so viel Mist passiert. Klar, ich wurde zweimal von einem kranken Ding mit Reißzähnen gerettet, aber das alleine ist doch schon krank! Mit der Vampirsache und der langen, mysteriösen Reise wird es zu einem psychotischen Erlebnis. Ich weiß nicht wie viele spätestens bei der Vampirsache aufgegeben hätten und zusammengebrochen wären, oder schlimmeres getan hätten. Aber zurück zum Thema, irgendwie wollte ich es dir heimzahlen. Und das scheint mir ganz gut gelungen zu sein.“ Cannes starrte mich an. „Du bist ja ganz schön wütend.“ Sagte er ruhig. Ich schnaubte. Selbstverständlich war ich ein klein wenig wütend. „Das tut mir leid. Das wollte ich nicht. Wirklich. Aber ich...“ er stockte befangen. „Ich weiß nicht genau, ich konnte das nicht. Verstehst du?“ „Nein, ich verstehe es nicht." sagte ich leise und ließ ihn los. Ich tat es ehrlich nicht. Was war denn so schwer daran, es mir zu sagen? Es einfach nur auszusprechen, anstatt für eine Woche zu verschwinden und dann nach seinem Auftauchen mich zu ignorieren?! Nein, ich verstand es definitiv nicht. Ich wollte an ihm vorbei in mein Zimmer gehen, doch er trat mir in den Weg. „Du verstehst nicht. Als du von mir getrunken hast, wollte ich dich. Sehr. Als ich dich küsste, warst du so zurückhaltend und ich hatte das Gefühl, etwas missverstanden zu haben. Deine Aussage bekräftigte das nur, deswegen war ich auch so überrascht, als du mich dann geküsst hast. Aber nicht abgeneigt.“ Seine Stimme war ruhig und er klang leicht entschuldigend. „Als Stayr dann hochkam, bin ich mir erst so richtig der Situation bewusst geworden. Was ich da eigentlich getan habe. Genau wie du wollte ich nie etwas Festes und den ganzen Quatsch, der damit zukam. Aber du…" er legte einen Finger unter mein Kinn und hob es an, sodass ich ihm in die Augen sehen musste "…du bist etwas Besonderes. Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich empfinde mehr für dich, als ich sollte. Als uns guttun würde. Bei all dem Mist hier." Er machte eine Geste, die die Umstände und die schwierige Vergangenheit einfasste, dann senkte er den Blick und die Hand ebenfalls. Er empfindet mehr für mich? Was sollte ich denn dazu jetzt sagen, wenn ich doch genauso empfand? Jedoch dachte ich auch dasselbe. Das konnte nicht gut enden. Ich musste irgendwann zurück und was war dann? Ich sah zu Cannes. Nein, das hat nicht gut angefangen und würde auch nicht gut enden. Ich lächelte ihm zu. „Du hast Recht. Es würde uns nicht guttun.“ Ich holte Luft und sah schüchtern zu ihm auf. „Gute Nacht Cannes.“ Ich schluckte meine Gefühle für ihn hinunter und gab ihm - nur - einen Kuss auf die Wange. Dann wich ich wieder zurück und ging an ihm vorbei durch die Tür. Ich musste meine Gedanken ordnen und das konnte ich nicht, wenn Cannes so nah war. Ich flüchtete über den Flur. Ich ging an der vierten Tür vorbei. An der dritten. Die Zweite. Ich hatte es gleich geschafft. Gleich konnte ich mich in das Bett igeln und in Ruhe nachdenken. Mich selbst beschimpfen, dass ich ihn einfach stehen gelassen hatte. Aber es war doch besser so, oder? Oder?! Doch genau da spürte ich, wie sich eine Hand um meinen Arm schloss. Oh Mist. Hoffentlich wollte er mir nur gute Nacht sagen, denn ich wusste nicht, wie viel ich noch von meiner Selbstbeherrschung hatte. Ich wollte mich nicht umdrehen, doch er drehte mich zu sich herum. Nun stand ich direkt vor ihm. Ich starrte nach links, auf den Boden, nur um ihn nicht ansehen zu müssen. Ich spürte wieder, wie er mir seine Hand unter das Kinn legte. Jetzt musste ich ihm in die Augen sehen, denn er ließ mir keine andere Wahl. Ich versuchte meine Miene zu kontrollieren. Die Gefühle, Verwirrung und all das ihn nicht merken zu lassen. Er starrte mich an und ich starrte zurück. Dass ich in mein Zimmer zurück wollte, vergaß ich langsam. Was würde jetzt passieren? Würde er mich nur auf die Wange küssen und dann wieder gehen? Ich blickte in seine hellen Augen. Sie waren unglaublich. Abgelenkt durch ihren Anblick, hatte ich nicht gemerkt, dass sein Blick zu meinem Mund gewandert war. Aber dann lag sein Mund auf meinem und seine Augen waren mir egal. Kurz ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass dies Folgen haben wird, schlimme Folgen. Aber was war das noch? Ich hatte es vergessen. Aber das war mir im Moment vollkommen gleichgültig, da ich Cannes jetzt zurückküsste. Ich umspielte seine Zunge mit meiner. Schlang ihm die Arme um den Hals und er schlang mir seine um die Taille. Er drängte mich gegen die Wand und ich zog ihn mit. Wir küssten uns, bis ich die Zeit vergessen hatte. Wir konnten nur hoffen, dass Stayr nicht wieder dazwischenfunkte. Diesmal würde ich ihm garantiert den Hals umdrehen. Cannes zog mich weiter nach rechts. Ich hörte wie er eine Tür aufstieß und mich hineinschob, unsere Lippen immer noch verbunden. Er ließ von mir ab und ging ein paar Schritte zurück. Während er langsam zur Tür zurückwich, die noch immer offen stand, schaute er mich an. Wie eine Raubkatze ihre Beute. Ich sollte Angst haben, denn wenn er es wollte konnte ich seine Beute sein, aber Angst war etwas was ich im Moment überhaupt nicht fühlte. Er schloss die Tür und dann wanderten seine Finger zu dem Schlüssel, der im Schloss steckte und drehte ihn herum. Er hatte uns eingesperrt. Mein Blick folgte ihm, als er den Schlüssel, auf die Kommode neben der Tür warf und dann auf mich zukam. Das hier würde Folgen haben, garantiert. Erschreckender Weise stellte ich fest, dass es mir egal war, nur der Moment zählte. Das ‚Morgen‘ und die Zukunft, und vielleicht auch die Realität, hatte er soeben ausgesperrt. Ich hoffte, dass auch Cannes das so sah. Er stand jetzt wieder vor mir und starrte auf mich herab. Zuerst nur in meine Augen, dann auf meine Wangen und dann auf meine Lippen. Ich sah das als Einladung ihn ebenfalls so unhöflich offen anzustarren, wie ich es mir die letzten Tage und eigentlich schon seit ich ihn das erste Mal gesehen hatte, mir verboten hatte. Seine hohen Wangenknochen, die vollen Lippen. Die geschwungene Nase und seine hellen, durchdringenden Augen. Er war perfekt. Fast zu perfekt; zu unwirklich. Er ging jetzt weiter nach vorne und drängte mich somit nach hinten. Plötzlich stieß etwas gegen meine Beine. Ich ließ meine Hände darüber wandern und stellte fest, dass es eine Decke war, die auf dem Bett lag. Kurz schaute ich mich in dem Zimmer um. Es war anscheinend sein Zimmer. Neben dem Fenster stand ein Regal voll mit Büchern. Las er auch so gerne wie Stayr? Auf einem Schränkchen, neben der Tür die zum Badezimmer führte, standen viele kleine Dinge. Vielleicht Mitbringsel, Erinnerungsstücke. Immerhin war der Typ 512 Jahre alt. Er hatte einen genauso großen Schrank wie ich und ein kleines Nachtschränkchen neben dem Bett. Mein Blick fand wieder Cannes. Ich lächelte. Er auch, dann kam sein Mund meinem wieder näher und legte sich auf meinen. Er beugte seinen Oberkörper unaufhörlich weiter nach vorne, sodass ich auf das Bett zurückwich. Er stützte sich mit beiden Händen ab und küsste mich. Dann wanderte seine Hand unter meinen Rücken und hob mich hoch, damit ich an ihn gepresst war. Er schob mich höher auf das Bett, damit wir richtig darauf liegen konnten. Sein Mund wanderte von meinen zu meinem Hals. Ich liebte es, wenn man meinen Hals küsste, doch Cannes schaffte es, es noch besser als je irgendjemand zuvor zu machen. Was ein Wunder. Er knabberte an der Haut und schickte damit etwas, was sich wie kleine Stromstöße anfühlte, durch meinen Körper. Er wollte wieder höherkommen, aber ich drückte seinen Kopf weiterhin auf meinen Hals. Ich wollte es. Ich wollte es wissen und spüren, wenn er mich biss. „Nicht.“ sagte er gedämpft. „Tu es. Bitte. Ich habe keine Angst.“ sagte ich leise. Er hob den Kopf und sah mir in die Augen. Ich nickte ihn an. Er küsste mich und ließ dann seinen Mund wieder auf meinen Hals nieder. Nun zupfte er nicht mehr ganz so sanft an der Haut, doch mir war es egal. Er schien noch ein wenig zu warten, wissen zu wollen ob ich mir ganz sicher bin. Ich war es. Ich spürte, wie seine Zähne sich an meine Haut drückten. „Wirklich?“ fragte er nochmal. Ich war nicht mehr fähig zu sprechen vor Aufregung und nickte. Im ersten Moment tat es weh. Eine Art weißglühender Schmerz durchfuhr mich. Aber so schnell er begonnen hatte, hörte er auch wieder auf. Und anstatt des Schmerzes durchfuhr mich eine Wärme. Sie fühlte sich fast wie die an, wenn ich von ihm trinke, doch dieses Mal war es intensiver. Ich schloss die Augen und neigte meinen Kopf noch ein wenig mehr, um ihm einen besseren Zugang zu gewähren. Er begann zu saugen und die kleinen Stromstöße von vorhin kamen verstärkt wieder. Jetzt wusste ich, warum er die Augen zugekniffen hatte. Mit jedem seiner Schlucke stieg meine Lust. Ich bewegte mich unruhig unter ihm. Lange halte ich das nicht mehr aus. Es war zwar unglaublich, aber es schmeckte nach mehr. Ich spürte, wie er aufhörte zu saugen und seine Zähne aus meinem Hals zurückzog. Er leckte noch einmal über die Wunde um die letzten Tropfen auch noch zu kosten, dann hob er sich den Daumen an die Zähne, ritzte ihn sich auf und bevor ich erschrocken reagieren konnte, legte er ihn auf die Bisswunde. Ich spürte ein Kribbeln. Die heilende Fähigkeit von Vampirblut. Er hob den Kopf und schaute mir in die Augen. Ich sah gerade noch die letzten leuchtenden Funken des hellen Blaus dieses unglaublichen Blicks, den ich schon länger nicht mehr gesehen hatte. Mein Blick wanderte zu seinem Mund. Er war dunkelrot von meinem Blut. Ich legte ihm eine Hand in den Nacken und zog ihn zu mir herunter. Ich leckte über seinen Mund um das Blut zu schmecken. Es schmeckte nicht nach ihm, aber das stachelte mich an. Er keuchte und ich küsste ihn wieder. Mir schmeckte das Blut auch in seinem Mund und es war berauschend. Lange würde ich das nicht mehr aushalten. Ich rieb mich an ihm um ihm zu zeigen, dass ich mehr wollte. Jetzt. Plötzlich spürte ich eine Hand an meiner Hüfte, die sie still hielt. Ich dachte mir erst nichts dabei, aber schließlich hielt er mich so fest, dass ich mich gar nicht mehr bewegen konnte. Frust und Verzweiflung machten sich in mir breit. Nein. Bitte nicht. Nicht jetzt. Nicht schon wieder. Kein Bereuen, bitte. Um meine schlimmsten Befürchtungen nur noch zu bestätigen, hörte er auch noch auf mich zu küssen. Also doch. Aber das wollte ich jetzt nicht. Er hob leicht den Kopf und schaute auf mich hinab. Letztes Mal hat es zwar alles nur verschlimmert, aber ich wusste doch, dass er es auch wollte. Und wenn ich ihn zu seinem Glück zwingen musste. Also umschlang ich seinen Hals und zog ihn mit aller Kraft wieder zu mir hinunter. Gleichzeitig verschränkte ich meine Beine unter seinem Hintern. Ich werde ihn jetzt nicht gehen lassen. Ich werde ihn niemals gehen lassen. Ich küsste ihn auf die Wange. „Ich werde es nicht zulassen, dass du jetzt wieder verschwindest.“ flüsterte ich an seinem Ohr. Danach knabberte ich an seinem Ohrläppchen. Ich sog es in meinem Mund. „Fi ich... Götter, hör bitte kurz auf.“ stöhnte er und schob mich ein Stück von sich weg. „Was?“ fragte ich ungeduldig. Ich wollte jetzt nicht reden. „Bist du dir… sicher? Ich meine wirklich?“ Ich lachte. „Natürlich bin ich das. Wie könnte ich das nicht?!“ sagte ich leise und strich ihm durch das Haar. „Nein das meine ich nicht. Ob du dir sicher bist, da ich mich nicht zurückhalten kann, wenn ich dein Blut trinken will.“ Ich sah verständnisvoll und mit weichem Blick zu ihm hinauf. „Das ist doch nicht das Problem. Ich werde dir garantiert nicht sagen, dass du aufhören sollst.“ Ich grinste leicht. „Eher das Gegenteil wird der Fall sein.“ sagte ich ruhig. Allerdings war ich alles andere als ruhig. Ich dachte wieder an die Lust, die es mir bereitet hatte, als er von mir getrunken hat. „Vielleicht. Aber wenn du so weitermachst, wie bisher, wird es nicht bei den wenigen Schlucken bleiben. Ich würde mich nicht mehr kontrollieren können. Was ist, wenn ich zu viel nehme? Das lässt sich nicht mehr ändern, wenn es einmal passiert ist!“ Seine Stimme wurde immer leiser. „Werde ich dadurch sterben?“ fragte ich ihn. „Also...“ fing er an doch ich unterbrach ihn „Werde ich dadurch sterben?“ fragte ich ihn nochmal. Er seufzte. „Nein.“ „Also, dann verstehe ich nicht wo das Problem liegt.“ Er sah auf mich hinunter. „Du stirbst nicht direkt, aber wenn ich dir zu viel nehme, müsste ich dir wieder etwas zurückgeben. Hast du aber nur noch sehr wenig eigenes Blut in deinem Körper und mehr von meinem, würde es dich verändern.“ Mich verändern? „Inwiefern?“ fragte ich ihn. „Du würdest dich... „ er stockte „…nun ja, in einen Vampir verwandeln.“ Ich würde mich verwandeln? „Also, wenn du zu viel nimmst und es dann durch deines ersetzt, werde ich so wie du?“ Mein Ton war leicht und nachfragend. Er kniff leicht die Augen zusammen, als wollte er verstehen, worauf ich hinauswollte. „Ja. Das wärest du.“ Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. „Gut, dann hätten wir das ja gelöst. Würdest du...?“ Ich ließ die Frage offen und bot ihm meinen Hals dar. „Was machst du da?“ Er keuchte erschrocken und drehte mein Gesicht wieder zu seinem hin. Erschrocken und auch ein wenig erbost sah er mich an. „Ich biete die meinen Hals an. Wenn du mich jetzt verwandelst, wirst du später nicht in Versuchung kommen und vielleicht noch Schlimmeres tun.“ Er schaute fast schon entsetzt. „Du meinst damit, dass ich dir dein menschliches Leben nehme, dich in ein bluttrinkenes Monster verwandle, nur damit ich hinterher nichts Schlimmes tun kann?! Bist du verrückt?“ Als er sah, dass mich sein Gerede nicht sonderlich beeindruckte und ich ihn nach wie vor abwartend ansah, zog er die Brauen wütend zusammen. „Nein. Das werde ich dir nicht antun. Ich werde dir weder dein menschliches Leben nehmen, noch werde ich das Risiko eingehen, dir etwas anzutun.“ sagte er aufgebracht. Er wollte ‚das Risiko nicht eingehen‘? Hatte ich das richtig verstanden? Verstand er mich denn nicht? Es ging mir nicht darum, verwandelt zu werden in was auch immer. Es ging mir darum, so zu sein wie er, stellte ich mit einem Schrecken fest. Egal was es war, ich wollte so sein wie er. Denn etwas was so wie Cannes war, konnte kein Monster sein. Während ich noch mit meiner gerade gefunden Tatsache haderte, dass ich mein – menschliches – Leben für ihn geben wollte, zog er sich zurück. Ich musste etwas tun. Ich würde nicht schon wieder zulassen, dass er abhaute. Als er sich aus meiner Umklammerung löste, kam mir eine Idee. Ich öffnete sie und gab mich geschlagen. Dachte er. Er richtete sich auf und setzte sich auf die Bettkante. Es gab mir einen Stich, doch ich hatte ja was vor, sonst hätte ich ihn nie so einfach gehen lassen. Das konnte ich immer noch. Also rutschte ich vom Bett und ging durch den Raum. Auf die Kommode zu, wo der Schlüssel noch lag. Ich nahm ihn und überlegte. Wo wäre er vor Cannes sicher? Mein Blick schweifte durch den Raum. Das Bad! Ich huschte durch die Tür und öffnete das Klo. „Was tust du?“ fragte er plötzlich hinter mir. Ich hatte nicht bemerkt, dass er mir gefolgt war, aber ich lächelte. Dann ließ ich den Schlüssel in das Klo fallen und spülte. Ich verfolgte ihn mit meinem Blick, bis er weg war, fortgesogen von den Strudeln des wirbelnden Wassers. Dann klappte ich denn Deckel wieder runter und drehte mich immer noch lächelnd zu Cannes um. „So, jetzt haben wir genügend Zeit unser Problem zu besprechen.“ Er konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Ich meine, wie oft sieht man den schon eine vollkommen Verrückte, die sich mit einem Vampir in einem Raum einsperren ließ und dann den Schlüssel unwiederbringlich verschwinden ließ?! Aber es verschwand schnell. „Du willst ernsthaft über deine Verwandlung reden? Über dein Ableben?“ Er schnaubte. „Das ist doch krank.“ sagte er und drehte sich um. Er wollte nicht reden? Gut. Ich auch nicht. „Dann machen wir es halt anders.“ Sagte ich leise, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Er guckte mich über die Schulter an und ich ging auf ihn zu. Packte seine Arme, riss ihn zu mir herum und zog ihn zu mir herunter, um ihn zu küssen. Ich bewegte meinen Mund auf seinen und als er einen kleinen, unsicheren Versuch machte, den Kuss zu erwidern, drängte ich meine Zunge zu seiner. Meine Hände fuhren über seinen Körper, ertasteten ihn. Ich musste mich konzentrieren, immerhin gehörte es zu meinem Plan. Aber die Versuchung war schon groß. Meine Finger fühlten die Muskeln auf seinem Rücken und seinem Bauch. Auch die kleinen Erhöhungen und Furchen von dem Narben. Ich ließ sie noch tiefer wandern. Ich spürte, wie Cannes sich anspannte und seine Hände ergriffen meine, um sie daran zu hindern mit dem fortzufahren, was sie gerade taten. Aber ich dachte gar nicht dran. Ich schüttelte sie ab und ließ sie noch tiefer gleiten. Um seine Hüfte auf seinen Hintern. Ich drückte kurz, um sie dann wieder nach vorne wandern zu lassen. Ich hörte wie Cannes keuchte. Mein einer Arm legte sich um seinen Nacken, die andere strich über die größer werdende Erhöhung unter seiner Hose. Ich löste meinen Mund von seinem und drückte seinen an meinen Hals. „Das ist... nicht fair.“ keuchte Cannes. Ich lachte leise. „Ich weiß.“ flüsterte ich ihm ins Ohr. „Warum quälst du mich so?“ fragte er. „Warum willst du ein Vampir werden?“ Ich löste mich ein kleines bisschen, gerade genug, um ihm in die Augen zu sehen. „Weil du einer bist.“ flüsterte ich. „Du willst nur deshalb ein Vampir werden, weil ich einer bin?“ Er sah mich erstaunt an und schüttelte den Kopf. „Siehst du, genau das meinte ich, als ich sagte ich wollte nichts Festes.“ Was? ‚Nichts Festes‘?! Ich verstand jetzt. Man war ich blöd gewesen. Er wollte mich nicht verwandeln, weil ich so für immer an ihn gebunden sein würde. Er wäre dann ja mein Erschaffer, was bedeuten würde, dass wir immer irgendeine Verbindung zueinander hätten. Und das wäre ja fatal. „Klar.“ sagte ich leise, löste mich von ihm und ging ein paar Schritte von ihm weg. Ich hatte doch Recht gehabt damit, mich nie wieder an einen Kerl emotional zu binden. Es brachte nur... „Was ist? Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Cannes machte Anstalten mir zu folgen. „Nichts. Schon gut. Wirklich.“ Ich drehte mich zur Tür um. Es musste ja so kommen. Hatte er vorher etwa auch alles gelogen? Das würde immerhin mit seiner Flucht zusammenpassen. Er empfand in Wirklichkeit gar nichts für mich. Er wollte nur seinen Spaß. Das sollte mir die Flucht klarmachen. Ich fragte mich wie oft er diese ‚Ich-empfinde-etwas-für-dich-weiß-aber-es-ist-nicht-gut-Masche‘ schon abgezogen hatte. Plötzlich fühlte ich mich unglaublich benutzt. Ich spürte, wie er hinter mich trat und meinen Arm ergriff, um mich zu sich herum zudrehen. Ich war ganz schön stolz auf mich, dass ich die lächerlichen Tränen zurückhalten konnte. Verdammter Vampir „Lass mich bitte los.“ sagte ich leise und war noch stolzer auf mich, als meine Stimme nicht brach. Cannes hob mein Gesicht, damit ich ihn ansehen konnte. Das Gefühl seiner Finger auf meiner Haut brannte sich spürbar ein. „Was habe ich falsch gemacht? Und komm mir nicht mit ‚Nichts‘. Das stimmt nämlich nicht.“ Er schaute mir in die Augen, als wollte er mich hypnotisieren. Er wollte wissen was er falsch gemacht hat? Gut, das war kein Problem, davon gab es vieles, wenn ich nicht gerade die rosa-rote Brille aushatte. Ich holte tief Luft und fing dann an zu reden, ließ ein weiteres Mal alles raus, was mir in den letzten Tagen durch den Kopf ging. „Was los ist? Ich wiederhole es gerne nochmal: Ich bin in einem fremden Land, in einem fremden Haus, mit fremden Bewohnern und einem Typen, den ich erst seit 2 Wochen kenne, der mich allerdings schon durch die ganze Welt geschleppt hat. Ich wurde von zwei reißzähnigen Monstern angegriffen und bin schwer verletzt worden. Und dann, als ich glaubte mal wieder ein bisschen Glück zu haben und mich zumindest einen kurzen Moment gut fühlte, verschwandst du. Du, der einzige, den ich hier kannte und vertraute. Dann tauchst du wieder auf und hast die Stirn eifersüchtig auf jemanden zu sein, der mir schon mehr ein Freund ist, als du. Noch dazu bist du mir nur aus dem Weg gegangen, hast mich noch nicht mal angesehen. Als wäre ich es nicht wert auch nur angesehen zu werden, nachdem du mich davor aber noch aus den Fängen eines irren Werwesens gerettet hast. Und dann, wo gerade alles - den Umständen entsprechend - wieder halbwegs in Ordnung war, beschließt du, es wieder zu versauen, indem du meine gesamte Gefühlswelt mit deinem ‚Du bist etwas Besonderes‘ und ‚Ich empfinde mehr für dich als ich sollte‘ auf den Kopf stellst. Weißt du, ich hab ehrlich geglaubt du sagst mir die Wahrheit. Du meintest das ernst, als du uns hier eingeschlossen hast. Aber dann hatte der große Cannes wieder beschlossen, dass es wohl nicht gut sei, oder was weiß ich. Klar, die Tatsache in ein blutsaugendes Monster verwandelt zu werden, mag nicht sehr angenehm klingen, aber ich war bereit das Risiko einzugehen, weil ich der Meinung war, du seist es wert.“ Ich lachte kalt auf und warf ihm einen höhnischen Blick zu. „Dann muss ich erfahren, dass du das alles gar nicht ernst meintest. Du wolltest nichts Festes. Verständlich. Bis ich dich getroffen habe, war das auch ein ganz großer Vorsatz von mir gewesen. Aber dann hättest du dir die ganze rührselige Geschichte auf dem Dachboden sparen können. Weißt du, wenn du wirklich nur etwas für einen Fick wolltest, dann hättest du es nur sagen müssen. Dann würde ich dir jetzt auch nicht so einen Szene machen, sondern vielleicht schon auf dem Weg nachhause sein.“ Mein Lachen war verstummt und ich sah ihm nur noch kalt und mit bitterem Ausdruck an. „Also, tu‘ uns beiden einen Gefallen und mach die Tür auf. Ich weiß das du es kannst.“ Ich drehte mich wieder zur Tür um. Ich musste erst mal zu Luft kommen, nachdem ich ihm schon wieder meine Gefühls- und Gedankenwelt offengelegt hatte. Verdammt nochmal, ich sollte das echt lassen. Und ich hatte keine Lust mehr. Aufs Reden, auf Sibirien, auf Cannes. Das Bett schien mir das Verlockendste im Moment zu sein. Aber genau das lag noch hinter einer verschlossenen Tür, von der der Schlüssel eine Reise durch die Kanalisation Russlands unternahm. Na toll. Vielleicht hätte ich das ganze vorher überdenken sollen, bevor ich einfach gehandelt hatte. Vielleicht sollte ich das allgemein mal tun. „Fi.“ sagte Cannes leise. Ich ging noch einen Schritt Richtung Tür, um ihm zu signalisieren, dass er jetzt verdammt nochmal die Tür aufzumachen hat. „Fi, dreh dich bitte um.“ Cannes Stimme wurde ein wenig lauter. Ha, als ob ich mich jetzt, in diesem Zustand, zu ihm umdrehen würde. Ich blieb still stehen. Konnte er nicht einfach nur die Tür aufmachen? Und mich in Ruhe lassen? Dann konnte ich schnellstmöglich versuchen nach Hause zu gelangen und ihn nie, nie wiedersehen. Konnte weg von all den beunruhigenden Gedanken kommen. Aber natürlich war mir das nicht gegönnt. Wieso denn auch?! „Dreh dich um, Fianna.“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein.“ erwiderte ich. „Verdammt nochmal, du drehst dich jetzt zu mir.“ sagte er energisch, griff wieder meinen Arm und drehte mich dann doch zu sich herum. Ich wollte seinen Arm abschütteln, aber er ließ nicht locker. „Lass mich los, Cannes. Ich hab da jetzt echt keinen Nerv für. Mach einfach nur die Tür auf.“ sagte ich erschöpft, aber sein Griff blieb wo er war und wurde auch nicht lockerer. „Nein, ich lasse dich jetzt nicht los. Ich habe dir zugehört, und du wirst mir jetzt zuhören. Ob es dir gefällt oder nicht.“ Der Griff lockerte sich ein bisschen, als ich keine Anstalten machte mich zu bewegen, aber er ließ mich nicht los. „Weißt du, an jenem Abend in der Bar, als ich dich durch die Menge gesehen hatte, dachte ich mir nichts dabei. Höchstens, dass wir die Nacht zusammen verbringen würden. Aber dann kam dieses Werwesen und ich hatte die Wahl, entweder ich überlasse dich deinem Schicksal oder ich helfe dir. Ich habe dir geholfen. Und mich gleichzeitig dazu entschieden, dich auch vor dem restlichen Rudel zu beschützen. Ich wollte dir auf der ersten Zugfahrt alles erklären, aber du hattest ja die glorreiche Idee der Flucht. Ich konnte doch nichts dafür, dass du dich damit so verausgabst und dann lieber in Ohnmacht kippst.“ Ein leichtest Schmunzeln huschte über sein Gesicht, was meine Stimmung allerdings kein bisschen hob. „Am Bahnhof war mir das Risiko zu hoch, dass uns jemand zuhört, aber du hast darauf bestanden. Ich habe dich zu dem sichersten Ort gebracht den ich kenne. Nach hier. In mein Haus. In das ich noch nie eine Frau mitgenommen habe, du bist die Erste. Und klar bin ich eifersüchtig auf Stayr.“ Sein Tonfall wurde lauter und ich konnte ein wenig Wut in seinen Augen auf funkeln sehen. „Ihr kanntet euch erst eine halbe Stunde und trotzdem hatte er schon seinen Arm um dich gelegt und du nahmst ihn noch nicht mal weg. Was sollte ich denn da fühlen? Und dann, der Abend vor meiner überstürzten Flucht, was mir übrigens immer noch sehr Leid tut…“ Er sah mir kurz entschuldigend in die Augen „…war überraschend. Aber nicht schlecht. Ich war mir noch nicht meinen Gefühlen bewusst, aber ich wusste dass ich dich wollte. Verdammt nochmal, ich habe so etwas noch nie gefühlt und 512 Jahre sind ziemlich lang. Nachdem Stayr uns so rüde unterbrochen hatte, kam ich wieder einigermaßen zu mir und wollte ich mir meiner Gefühlen klarwerden. Was ich überhaupt für dich empfand und was nicht. Das war besser für dich und für mich, bevor ich dir falsche Hoffnungen gemacht hätte, die ich dann doch nicht einhalten könnte. Ich weiß, es war nicht die beste Entscheidung, aber es war eine Kurzschlussreaktion. Ich war schon auf dem Rückweg, als ich im Wald den Geruch eines Werwesens wahrnahm. Sofort wusste ich, dass es dich hatte.“ Sein Gesicht verzog sich gequält und auch erinnerte mich an den grausigen Vorfall. „Die Tage danach, wo ich dich wirklich nicht richtig angeguckt habe, zumindest nicht wenn du es sahst, waren grauenhaft. Du hast es mir wirklich irgendwie heimgezahlt, denn die ganze Zeit machte ich mir Gedanken, was in meiner Abwesenheit zwischen dir und Stayr gelaufen ist. Verdammt nochmal, ich hatte dich gerettet, du bist mit mir hierhergereist und bist in meinem Haus. Ich will dich, er will dich nur weil du eine Frau bist und er mich damit ärgern konnte. Und ich will dich nicht verwandeln, weil ich die Vorstellung, dich bei mir zu haben, nicht mag, sondern weil ich will, dass du dein Leben leben kannst. Als Mensch. Und nicht - wie du schon so schön sagtest - als blutsaugendes Monster. Götter, du hast mich vollkommen falsch verstanden, Fi. Glaub mir.“ Ich starrte ihn an. Ich wusste nicht mehr was ich glauben sollte und was nicht. Ihm und meinem Instinkt oder den offensichtlichen Dingen und Geschehnissen. Ich konnte nicht mehr. Während des Gesprächs hatte er den Arm sinken lassen und mich wieder freigelassen. Ich verspürte den Drang mich hinzusetzten, ließ mich rückwärts gegen die Tür sinken und dann nach unten gleiten, bis ich auf dem Boden saß. Ich stellte die Knie auf, stützte meine Ellbogen darauf und ließ mein Gesicht in die Handflächen sinken. Ich konnte nicht mehr. Irgendwann wurde selbst mir es zu viel. Cannes kam zu mir hinüber. „Darf ich?“ fragte er leise und sanft. Wahrscheinlich wollte er wissen, ob er sich neben mich setzten konnte, aber ich antwortete ihm nicht. Also setzte er sich neben mich und legte zaghaft seinen Arm um mich. Ich war einerseits zu erschöpft von all dem Hin und Her, um seinen Arm wegzuschieben und von ihm abzurücken und andererseits wollte ich es gar nicht. Aus unerfindlichen Gründen. Eine Weile blieb er so sitzen. Dann zog er mich an sich, legte denn anderen Arm auch um mich und vergrub sein Gesicht in meinem Haar. Warum war jetzt er wieder so nett zu mir? War er das zu jeder, die er nachts in einer Bar kennengelernte? Ich war kurz davor ihn von mir wegzuschieben, als ich an etwas denken musste, was er gesagt hatte. Mein Haus... In das ich noch nie eine Frau mitgenommen habe… Er hatte gesagt ich sei die Erste, die einzige, die er hierhergebracht hat. Das vertrieb langsam die Zweifel, half ihm unbewusst, dass ich mehr glaubte und vertraute. Ich ihn ließ mein Gesicht gegen seine Brust drücken und weinte. Meine Tränen flossen über meine Wangen, hinab in sein Shirt. Immer wenn ich sie wieder bemerkte, wischte ich sie mir befangen weg, bestürzt über meinen heftigen Gefühlsausbruch. Lange Zeit saßen wir einfach nur so da. Ich wollte nichts sagen und auch er schwieg, seine Arme jedoch fest um mich geschlungen und auf stille Weise tröstend. Irgendwann hatte ich mich beruhigt und mir wurde bewusst, dass ich wirklich fast sein gesamtes Shirt voll geheult hatte. Scheiße. Ich lehnte mich von ihm weg und wischte mir hektisch die letzten Tränenspuren von den Wangen. „Ist nicht schlimm.“ sagte er leise und ließ mich immer noch nicht los. Ich war ihm dankbar dafür, dass er mir nach dem ganzen Scheiß Halt gab, obwohl ich ihn doch genauso angeschrien hatte. Das surreale der Situation hebte mich Stimmung leicht. Ich kicherte. Dann lachte ich. Die ganze Situation war doch vollkommen verrückt. Erst stritten wir auf dem Dachboden, dann waren wir bei Gefühlsgeständnissen und wie unmöglich sie waren. Dann wälzten wir uns auf seinem Bett, stritten uns wieder und schließlich waren wir wieder bei Geständnissen. Ich löste mich von ihm und hielt mir den Bauch. Ich lachte so sehr, dass ich Bauchschmerzen bekam. Ich war echt krank. Cannes schaute mich völlig entgeistert an. Das brachte mich nur noch mehr zum Lachen. Ich ließ mich auf den Boden fallen und krümmte mich vor Lachen. Worüber speziell lachte ich jetzt eigentlich? Eigentlich war gar nichts witziges an der Situation. Im Gegenteil, es war doch ziemlich ernst. Aber trotzdem konnte ich nicht aufhören. Ich wusste es einfach nicht. Cannes schob seine Arme unter meinen vor Lachen zitternden Rücken und unter meine Knie. Er hob mich hoch und ging einen Schritt von der Tür weg. Dann trat er sie einfach auf, es war so, als ob er es nur so nebenbei tat, als ob es ihn nicht die leiseste Anstrengung kostete, und trug mich über den Flur. Ich lachte immer noch und mein Kopf lag auf Cannes Arm. Deswegen konnte ich auch sehen, dass Stayr plötzlich auf der Treppe stand. „Will ich wissen was los ist?“ fragte er. Ich drehte meinen Kopf zu Cannes und sah gerade noch, wie er seinen schüttelte. Stayr zuckte mit den Schultern und ging wieder nach unten. „Ich werde euch nicht nochmal stören. Beim letzten Mal hätte sie mich die nächsten Tage mit ihren Blicken fast umgebracht." rief er, als er nach unten ging. Ich war nicht wütend, nein, in meinem jetzigen Zustand brachte es mich nur wieder zum Lachen. Das hörte einfach nicht auf! Aber es tat gut. Fast noch mehr als das Weinen. Cannes stieß meine Tür auf und als wir im Zimmer waren schloss er sie hinter uns wieder. Er legte mich vorsichtig auf mein Bett, setzte sich neben mich und schien zu warten, dass ich mich wieder beruhigte. Langsam tat ich das auch. Nach ungefähr zehn Minuten blieb nur noch ein nerviger Schluckauf. Klasse. Ich schloss die Augen und hielt die Luft an, um dem Schluckauf entgegen zu wirken. Nach einiger Zeit klappte das und ich öffnete die Augen. Ich sah Cannes an und sah, dass er schmunzelte. „Du bist verrückt.“ murmelte er mit einem Kopfschütteln. Ahhh, er hatte es langsam auch herausgefunden. „Endlich hast du es auch kapiert.“ antwortete ich und stemmte mich hoch. Ich war so müde. Sie übermannte mich und ich lächelte ihn an. „Ich bin müde und will jetzt schlafen.“ sagte ich leise und legte mich wieder auf den Rücken. „Okay. Schlaf gut meine kleine Fi.“ Er küsste mich auf die Stirn und stand auf. Ohne irgendwelche Geräusche zu machen ging er elegant durch das Zimmer und verließ es. Ich seufzte und stand auf, um mir etwas zum Schlafen rauszusuchen. Ich zog mich schnell um und schlüpfte unter die Decke. Erstaunlicherweise war mein Verstand völlig leergefegt. Und trotz meiner Müdigkeit schaffte ich es nicht, einzuschlafen und lag längere Zeit wach. Deswegen hörte ich auch, wie die Tür wieder auf- und zuging. Ich lächelte. Wäre ja auch ein Wunder, wenn ich mal alleine sein konnte. Ich drehte mich auf den Rücken. „Ich kann nicht schlafen.“ flüsterte er. Klar. Er kam im Dunkeln auf mich zu und setzte sich wieder auf den Platz neben mir, den er vorhin verlassen hatte. Ich schaute sein Gesicht an, was von dem Schein des Mondes, welcher in dieser Nacht mal zu sehen war, erleuchtet wurde. Das karge Licht machte sein Gesicht noch kantiger, hübscher. Er hob eine Hand und legte sie auf meinen Arm. Langsam und vorsichtig, um mich nicht zu drängen, nach allem was zwischen uns passiert war. Ich wusste es zu schätzen, hatte aber keine Lust auf weitere lange Reden und hitzige Gespräche. Davon hatte ich nun wirklich genug. Ich senkte meinen Blick und starrte die Hand an. Es war trotz der Sanftheit dennoch eine offensichtliche Einladung. Ich lächelte leicht, ergriff sie und drehte mich wieder auf die Seite, von ihm weg, und zog die Hand mit. Cannes musste sich wohl oder übel mitbewegen und legte sich hinter mich. Er schlang seinen Arm um meine Taille, zog mich an sich und drückte sein Gesicht in meinen Nacken. Ich legte meinen Arm über seinen und schloss die Augen. Jetzt, da ich seine beruhigende Wärme endlich an mir spüren konnte, konnte ich schlafen.
Als ich aufwachte war es noch dunkel, der Mond war über den Himmel gewandert und warf sein Licht nicht mehr ins Zimmer, aber die Sterne standen nach wie vor hoch am Himmel. Cannes Arm war immer noch um mich geschlungen, sein Gesicht lag noch immer in meinem Nacken und er schnarchte ein wenig. Süß und auch erfreulich. In der ganzen Zeit bisher hatte ich nie auch nur einen einzige Makel an ihm gefunden. Er war absolut perfekt. Da war es doch nur fair, dass seine Makellosigkeit durch ein leichtes Schnarchen gestört wurde, oder? Mit einem Lächeln drehte ich mich auf den Rücken und schaute ihn an. Er hatte ein schwarzes Shirt an, was seine langen, blonden Haare hervorhob, die ihm wirr über den Schultern lagen oder ausgebreitet auf dem Kissen. Meinem Kissen. Er lag in meinem Bett. Es erfühlte mich mit einer Art Stolz, diesen perfekten Mann in meinem Bett zu haben. Ich hob mein Hand unter Decke hervor und strich ihm über das blasse Gesicht. Er hatte lange schwarze Wimpern, die seine sich im Traum leicht bewegenden Augen verbargen. Seine ein wenig gekrümmte Nase schien schon einmal gebrochen gewesen zu sein, was dennoch natürlich auch gut aussah. Er hatte hohe Wangenknochen und die schönsten Lippen, die ich je gesehen hatte. Und die hatte ich vorhin geküsst. Ich wollte sie wieder küssen. Ich lächelte und drehte mich auf die Seite, schlang ihm die Arme um den Bauch und drückte mein Gesicht gegen seine Brust. Dann schloss ich wieder die Augen und versuchte weiterzuschlafen. Schöner konnte das Leben doch nicht sein, oder? Nie wieder würde ich es anders wollen, stellte ich fest. Auch jetzt, nach all den Komplikationen und Missverständnissen, die es eigentlich hätte verschlimmern müssen, wollte ich es nicht. Noch nie hatte ich mich so geborgen gefühlt wie jetzt, wenn seine starken Arme fest um mich geschlungen waren. Das würde ich um nichts in der Welt wieder hergeben. Immer noch lächelnd kuschelte ich mich noch enger an ihn. Er drückte mich enger an sich und schob sein Gesicht in mein Haar. „Kannst du nicht schlafen?“ fragte er flüsternd. „Ich bin gerade erst aufgewacht.“ flüsterte ich zurück. Ich rückte, unmöglicher Weise, noch näher an ihn. Er war so warm für einen Vampir. Er lachte leise. „Was ist?“ wollte ich wissen. „Ich frage mich warum du nicht das kleinste bisschen Angst hast.“ Er warf einen amüsierten Blick auf mich hinunter. „Ich bin ein Vampir. Ein Monster der Nacht. Ich habe viele Menschen auf dem Gewissen, drei in deinem Beisein, wenn du die Werwesen mitzählst. Und trotzdem, du hast nie Angst gezeigt. Selbst ganz am Anfang nicht, in der Zugküche. Du bist zwar gegangen, aber du hattest keine Angst.“ Ich sah lächelnd zu ihm hinauf. „Sicher?“ Er nickte. „Wenn du wirklich Angst vor mir gehabt hättest, wärst du schreiend weggerannt oder vor Angst erstarrt. Du hast dich allerdings umgedreht, mit dem Rücken zu mir und bist seelenruhig aus der Küche gegangen.“ Da hatte er Recht. Wenn ich Angst vor dem Monster gehabt hätte, hätte ich ihm niemals den Rücken zugedreht und es damit aus den Augen gelassen. Ich grinste ihn an und er merkte, dass er mich durchschaut hatte und grinste ebenfalls. „Sag ich doch.“ Sein Grinsen verschwand jedoch, als er weitersprach. „Und als ich dem widerlichen Kerl den Hals umgedreht habe, hast du dich mit denselben Händen anfassen und davontragen lassen. Und dann hast du gelacht. Einfach gelacht und gemeint, dass es eine Erklärung für meinen Blick wäre.“ Er hatte schon wieder Recht. Ich hatte nie Angst vor ihm gehabt. Kein einziges Mal. Ich habe ihn kurzzeitig gehasst, um ihn getrauert, mir Sorgen gemacht und mich gefreut. Und ihn geliebt. Ich liebe ihn immer noch. Ein warmes Gefühl durchlief mich. Ja, ich liebte ihn. Ich löste mich leicht von ihm und schaute ihm in die Augen. Er sah sanft auf mich hinunter und blickte zurück. Es erinnerte an unseren ersten Blick. In der Bar, wo ich mich noch gefragt hatte, wer er war und ob er eine Nacht wert war. Jetzt wusste ich, dass er viel mehr wert war. Definitiv. Ich lächelte ihn träge an. Eine Weile sahen wir uns an und ich bemerkte, dass sich die Müdigkeit wieder einstellte. Seine Arme hatten mich immer noch fest umschlungen, wie vor all den Tagen im Zug. Er hätte den Mann einfach so hypnotisieren können. Hatte er aber nicht, weil er überreagiert hatte. War er damals vielleicht auch einfach nur eifersüchtig gewesen? Eifersüchtig und sauer, dass dieser schmierige Kerl es gewagt hatte mich anzufassen? Mit einem kleinen Lächeln fragte ich mich, was passiert wäre, wenn Stayr kein Vampir wäre. Wahrscheinlich wäre er noch am ersten Tag denselben Weg in den Tod gegangen wie der Mann im Zug. Meine Gedanken gingen wanderten wieder zu dem Blick, er interessierte mich. Ob er bei mir wohl auch klappte? Und wie es sich wohl anfühlt? Unsicher sah ich zu ihm hoch, die Müdigkeit für den Moment vergessen. Er sah zu mir hinab und hob fragend ein Braue. Ich war kurz am überlegen, ob ich es ihn wirklich fragen sollte, aber schließlich siegte die Neugier. „Versuch mal diesen Hypnoseblick bei mir.“ sagte ich. Er schaute verwirrt. „Du willst dass ich dir deine Erinnerung nehme?“ fragte er ungläubig. „Nein. Oder ja.“ Seine Brauen zogen sich zusammen. „Ich möchte nur gerne wissen, ob dieser Blick auch bei mir funktioniert.“ beschwichtigte ich ihn. „Du vertraust mir so sehr, dass du mir deine Gedanken anvertraust? Das einzige, was wirklich dir gehört?“ Er sah mich immer noch ungläubig an. Ich nickte ihm ernst und entschlossen zu. Ja, ich vertraute ihm. Ich glaubte sogar, mehr als mir. „Du bist immer wieder für eine Überraschung gut.“ murmelte er und drückte mir einen Kuss auf die Stirn, er schien zu überlegen. „Na gut.“ sagte er schließlich. Er sah mir fest in die Augen und sein Blick brannte sich in meinen. Dann begannen sie blau zu leuchten, wie sie es am ersten Bahnhof getan hatten. Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich stellte fest, dass ich doch ein wenig nervös war. „Schau mir in die Augen, Fi.“ flüsterte er und ich merkte, dass ich unbewusst meinen Blick abgewandt hatte. Ich richtete ihn wieder auf seine glühenden Augen. „Vertrau mir.“ Ich nickte ihm zu. „Okay. Du wirst jetzt vergessen, dass du heute gefallen bist. Vom Dachboden. Und was darauf war.“ sagte er leise. Ich spürte einen leichten Druck in meinem Kopf. Meine Gedanken kehrten zu dem Anblick des Dachbodens. Die wenigen Kisten die da waren und diese immense Größe. Plötzlich schien eine Art Nebel sich zu bilden, meinen Kopf auszufüllen und das Bild des Dachbodens zu verdrängen. Ich konzentrierte mich auf den Anblick, dachte an die Holzbalken unter der Decke, die Treppe die zu ihm hochführte und die lange Holzlatten, schon ziemlich alt und morsch aussahen. Der Nebel verzog sich ein wenig, blieb aber am Rand meines Bewusstseins, als ob er damit drohen wollte, dass er jeden Moment zurückkommen und meinen Verstand übernehmen könnte. Mein Blick klarte wieder ein wenig auf und ich sah, dass Cannes mich immer noch anstarrte. Das Leuchten seiner Augen ließ nach und er blinzelte ein paar Mal. Genau wie ich, dann grinste er. „Und was hast du heute so gemacht?“ fragte er. Doofe Frage, stellte ich zu meiner Zufriedenheit fest. Ich konnte ich an alles erinnern. „Ich habe mit Stayr über dich geredet.“ Ich grinste, als er kurz das Gesicht verzog. „Dann habe ich die Zimmer erkundet und bin schließlich…“ Ich verstummte kurz und konnte in seinen Augen sehen, dass er neugierig darauf war, ob es geklappt hatte. „…auf dem Dachboden gewesen. Ich bin rückwärts die Stufen hinunter gefallen und du hast mich aufgefangen.“ sagte ich und grinste immer noch, nur diesmal stolz. Sein Strahle-blick hatte nichts bewirkt! Das könnte sehr hilfreich anderen Vampiren gegenüber sein. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ich muss sagen, damit habe ich nicht gerechnet, aber es freut mich.“ Er drückte mir seine Lippen an die Stirn und ich schloss kurz die Augen um den Moment zu genießen. Nachdem er sie wieder gelöst hatte, kuschelte ich mich wieder an seine Brust. „Du hast Recht, es ist gut.“ nuschelte ich in sein Shirt. Sein Lachen vibrierte warm an meiner Brust. Ich gähnte, mittlerweile war ich doch wieder müde. „Eines interessiert mich aber doch noch.“ Ich hob den Kopf wieder und sah müde zu ihm hoch. „Und was wäre das?“ fragte ich. Mit zusammengekniffenen Brauen und einem fragenden Blick sah er auf mich hinunter. „Warum genau willst du ein Vampir werden? Ehrlich – und abgesehen davon, dass ich einer bin?“ Das Thema schon wieder. Dennoch überlegte kurz, um ihm eine Antwort zu geben. Gar nicht so leicht. „Ich will es weil... das bedeutet, dass ich anders bin, oder es sein würde. Es würde ein Neuanfang für mich sein, den ich unbedingt will. Und dass du einer bist, macht das alles noch viel… begehrenswerter." Ich schmunzelte ihn an. „Interessant. Aber würdest du dafür dein menschliches Leben aufgeben?“ hakte er nach und hob mein Gesicht zu sich nach oben. „Ja. Das würde ich.“ Und ich war mir sicher. Dafür würde ich mein menschliches Leben aufgeben und es nicht vermissen. Er rieb sein Gesicht an meinem Hals. „Bist du dir wirklich ganz sicher?“ flüsterte er. „Ja.“ wisperte ich. Nichts gab mir eine Vorwarnung auf das was nun folgte und ich konnte nicht verhindern, dass ich kurz erstarrte. Jedoch entspannte ich mich sofort wieder. Es war genau dasselbe wie vorhin bei ihm im Zimmer. Dieselbe Wärme durchfloss mich und ich drückte ihn enger an mich, soweit es ging. Er hielt mit der einen Hand meinen Kopf und mit der anderen umfasste er meine Taille. Ich schlang ihm meine Arme um den Bauch, als er anfing mein Blut zu saugen und ich erzitterte. Es war unglaublich und dauerte länger als letztes Mal, aber ich hatte damit kein Problem. Eher das Gegenteil war der Fall, denn ich genoss es in vollen Zügen. Meine Hände wanderten zu seinen Haaren und wühlten darin herum. Ich liebte seine blonden Haare. Aber wie ich mich so an ihn klammerte, spürte ich, dass sich die Müdigkeit nun verstärkte. Zu meinem Bedauern. Das warme, wunderschöne Gefühl blieb, aber ich nahm immer weniger davon wahr. Mir fielen die Augen zu und mein Körper erschlaffte immer mehr. Das musste der immense Blutverlust sein. Ich legte ihm meine Arme um den Hals und bewegte mich nicht mehr. Ich war zu müde, zu erschöpft. Kurz bevor ich in die warme Dunkelheit des Schlafes sank, spürte ich, wie sein Mund sich von meinem Hals entfernte. Das angenehme Gefühl verschwand und wenn ich nicht so weggetreten gewesen wäre, hätte ich lautstark protestiert. Was sollte das? Er wich in meinen Armen zurück. Ich konnte fast fühlen, wie er mich anschaute, doch war zu träge um die Augen zu öffnen. Ein wenig später merkte ich, wie mir etwas Warmes, Flüssiges gegen den Mund gedrückt wurde. Sein Blut. Er hatte tatsächlich vor, mich zu verwandeln. Vorfreudig leckte ich über seinen Arm, nahm das Blut in meinen Mund auf. Dann senkte ich ihn über die beiden kleinen Einstiche und saugte es in meinen Mund. Es schmeckte himmlisch. Ich saugte gierig die Flüssigkeit, die mich und mein Leben für immer und unwiderruflich verändern wird. Es begann schon, denn ich merkte, wie ich wieder stärker wurde, wacher. Ich konnte schließlich wieder die Augen öffnen und ließ meinen Blick hoch in Cannes Gesicht wandern. Er sah zurück. Ich wollte ihn angrinsen, aber da ich den Arm immer noch fest an meinen Mund presste, klappte das nicht. Ich fühlte mich schon viel stärker als noch vor ein paar Minuten, meine Energie schien fast vollkommen wiederhergestellt. Cannes bewegte sachte seinen Arm, um mir zu zeigen, dass es genug war. Ich wollte nicht aufhören, leckte aber nur noch einmal bedauernd über die offene Wunde und gab ihn dann frei. Als er die Wunde wieder verschlossen hatte und den Arm unter die Decke um meine Taille geschlungen hatte, schaute ich ihn fragend an. „Und jetzt?“ War‘s das? Ich war neugierig und auch ein wenig verängstigt, was nun passieren würde. Bisher war ja noch nichts, außer den lähmenden Müdigkeit geschehen. „Hab ein wenig Geduld.“ sagte er neckend. „Du musst nur warten.“ ich immer müder und fragte mich, woher ich diese Situation kannte, denn sie kam mir wage bekannt vor. Und worauf wartest du? Die Wörter kamen mir in den Sinn und plötzlich wusste ich wieder, woher ich die Situation kannte. Auf der ersten Zugfahrt, als ich kurz vor der Ohnmacht gewesen war, hatte er sie gesagt. Und wie damals wurde ich müde und meine Augen fielen mir zu. In Gedanken daran fragte ich: „Und worauf wartest du?“ Ich hörte ein leises Lachen und es wärmte mich wie eine Decke. Mein Bewusstsein hatte sich jetzt fast ganz verabschiedet, aber dennoch konnte ich noch hören, wie er etwas erwiderte. „Darauf, meine kleine Fi." flüsterte er und küsste mich auf die Stirn.
Gerade hatte ich noch tief und friedlich vor mich hin geschlummert und im nächsten Moment war ich schon hochgeschreckt und sah mich hektisch um. Diese lauten Geräusche! Sie waren überall! Ein gleichmäßiges Rauschen, ein Klappern von Tellern und ein tiefes Atmen, direkt neben mir. Erschrocken sah ich mich im Zimmer um. Schnell fiel mein Blick neben mich. Denn neben mir, von der Seite, von der auch das tiefe Atmen kam, lag ein friedlich schlafender Cannes. Ich musste grinsen. Er sah wirklich süß aus, wenn er schlief. Ich legte mich wieder zurück neben ihn und kuschelte mich in seine starken Arme. Das Klappern von Tellern ordnete ich automatisch der Küche zu, die eine Etage unter uns lag. Erst als ich einen weiteren Gedanken daran verschwendete, zuckte ich leicht zusammen. Ich konnte die Teller unten tatsächlich hören! Es hatte doch nicht wirklich geklappt? Das war unglaublich. Ich war ein Vampir! Cannes hatte es wirklich getan. Er hatte mich verwandelt! Ich konnte es kaum fassen, aber es war wahr. Das Rauschen war, wie ich jetzt feststellte, das Wasser in der Heizung! Oh Götter! Ich konnte das Wasser rauschen hören. Ein Blick auf den Wecker, der jetzt gut zu sehen war, da der Tag schon weit voran geschritten ist, sagte mir, dass es schon 14.38 war. Doch etwas später. Ich schaute zu dem Stuhl, der in der Ecke stand und als Klamottenhalter herhalten musste, da ich sonst einfach nicht wusste, wo ich sie in diesem modern eingerichteten Zimmer ablegen sollte. Ich schlüpfte aus dem Bett, huschte zu dem Stuhl und schnappte mir meine Sachen. Ich zog mir die Hose über und suchte mir neue Sachen raus und verschwand dann im Bad. Die Gerüche hier waren überwältigend. Ich konnte die Duschsachen riechen, die Seife, die Handtücher. Ich beeilte mich mit dem Duschen, Umziehen und Haare kämmen und brauchte wirklich nicht so viel Zeit. Mein ganzer Körper schien viel gelenkiger zu sein, als er sonst nach dem Aufstehen war. Mit den Gedanken am Rätseln, was sich wohl sonst noch alles verändert hatte, hing ich das Handtuch wieder auf und ging zurück ins Zimmer. Cannes saß im Bett uns starrte mich an. Ich grinste ihn an, worauf er eine Augenbraue hochzog. Übermütig und voll guter Laune lief ich quer durch den Raum und sprang auf das Bett, direkt vor ihn. Er lachte überrascht auf. „Du hast es wirklich getan. Ich fasse es nicht.“ Ich umarmte ihn stürmisch. Er lachte immer noch und umarmte mich zurück. „Ieeh. Halt mal, deine Haare sind ganz nass.“ stieß er aus und pustete sie sich aus dem Gesicht. Viel zu aufgeregt um still bei ihm zu bleiben, rutschte ich vom Bett. Ich fühlte mich voller Energie und Tatendrang. Mein Blick wanderte durch das Zimmer, um etwas zu finden was ich machen könnte. Schließlich blieb er am Fenster hängen. Ich ging darauf zu und sah hinunter, mit den Zähnen an der Unterlippe knabbernd. Das Zimmer war im ersten Stock und es war schon hoch. Mit einem breiten Lächeln riss ich das Fenster auf und atmete die frisch riechende, kalte Luft ein. Ich drehte mich zu Cannes um, der immer noch auf dem Bett saß und mich ansah, und grinste ihn an. Dann stieg ich auf das Fensterbrett und sprang hinaus. Obwohl Cannes fast zeitglich aufgesprungen war und versuchte mich abzufangen, schaffte er es nicht rechtzeitig und ich hörte ihn einen derben Fluch ausstoßen. Ich lachte und drehte mich im freien Fall. Es war unglaublich. Leider landete ich viel zu schnell auf dem Boden und stand auf der großen Wiese, die direkt an das hintere Teil des Hauses angrenzte. Als ich nach oben zu dem Fenster schaute, sah ich wie Cannes mich böse anstarrte. Ich streckte ihm die Zunge heraus. Daraufhin zog er erneut eine Augenbraue hoch und stellte sich ebenfalls auf die Fensterbank und machte sich bereit zu springen, doch ich hatte mich schon umgedreht und rannte los, die Bäume am Rand des Wiese anvisierend. Ich hörte, wie er mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auftraf und sich aufrichtete. Ein Blick über die Schulter zeigte, dass er mir nun hinterher rannte, seine Miene wies sowohl Verärgerung, als auch ein belustigtest Lächeln auf. Ich quietschte vor Freude und Adrenalin und huschte zu den Baumreihen um mich durch sie hin durchzuschlängeln. Es war ein wundervolles Gefühl, durch die großen, schneebedeckten Bäume zu rauschen. Links von mir, die riesige Wiese, voll mit unberührtem, unschuldigem Weiß und rechts von mir erstreckte sich der dunkle Wald. Herrlich. Ich hörte ein Knurren und bemerkte, dass Cannes aufgeholt hatte. Warum war er nur so verdammt schnell? Viel schneller als ich, obwohl ich doch jetzt auch ein Vampir war? Ich versuchte noch schneller zu laufen, meine Beine noch schneller zu bewegen, aber Cannes holte nur noch mehr auf. Hilfesuchend schaute ich mich um. Überall nur Bäume und Schnee. Mein Blick wanderte suchend über die dicken, dunklen Stämme und die dichten Baumkronen, die den Himmel verdeckten. Da kam mir eine Idee. Schnell fand ich eine Stelle, an der die Bäume enger standen und verschwand hinter ihnen. Dann kletterte ich einen der riesigen Bäume hinauf und setzte mich auf einen der höchsten Äste, die mein Gewicht noch tragen konnten. Cannes kam schnell näher und anscheinend hatte er schon bemerkt, dass er mich aus den Augen verloren hatte, denn er wurde langsamer und sah sich um. Eine leichte Brise hob mir die Haare aus dem Gesicht und wehte weiter Richtung Norden. Ich sah, wie Cannes der unsichtbaren Briese mit meinem Geruch mit den Augen folgte und sich in Richtung Norden wandte. Ich erhaschte einen Blick auf sein Gesicht, auf dem sich jetzt ein gewinnendes Lächeln ausbreitete. Lauf nur, dachte ich und verkniff mir ein Kichern. Ich wartete bis ich ihn nicht mehr sehen und hören konnte, erst dann kletterte ich lautlos vom dem Baum wieder herunter und rannte zurück zum Haus. Als ich in dem Eingangsaal stand, kicherte ich kurz vor mich hin. Hatte ich ihn doch tatsächlich reingelegt. Ich schlenderte gut gelaunt zu dem großen Saal hinüber und fand Stayr, der gerade etwas aß. Er hob den Kopf und sah mich an. Ich nickte ihm zu, setzte mich auf einen Stuhl und beäugte sein Essen. Mich würde interessieren, ob ich das als Vampir wohl auch mag, es waren Spaghetti mit roter, gut riechender Tomatensoße. Also, wenn mir das nicht mehr schmeckt, würde das Leben als Vampir nur noch halb so gut sein. Ich bat den Mann, der immer in der Küche verschwand, auch um einen Teller mit Nudeln und wartete dann. Als ich meinen Blick kurz auf Stayr richtete, bemerkte ich wie er mich anstarrte. „Was?“ fragte ich ihn. Er blinzelte. „Du bist...“ Er ließ seine Nudeln, denen er gerade noch seine gesamte Aufmerksamkeit geschenkt hatte, außer Acht und sah mich an. „Bist du ehrlich ein Vampir?“ Ich kicherte. „Jep. Sieht ganz so aus, findest du nicht?!“ sagte ich und bedankte mich bei dem Man, der den Teller mit den Spaghetti vor mich hinstellte. Gerade als ich die Gabel in die Nudeln stechen wollte, ertönte Stayrs Lachen. Ich blickte zu ihm auf. „Du bist gut.“ Er lachte noch lauter. „Du wirst ihn fertig machen.“ Er lachte sich immer noch halb tot und stütze sich mit der Hand den Kopf. Ich hingegen zog die Brauen zusammen. „Ihn fertig machen?!“ hakte ich nach. Er nickte. „Wenn du ihn als Mensch schon so verwirrt hast und ihm so viel ‚Ärger‘ gemacht hast, wirst du ihm jetzt als Unsterbliche, als jemand, der jetzt von den Fähigkeiten her auf einer Stufe mit ihm steht, noch mehr in Rage versetzen.“ Er kicherte wieder und ich schüttelte mit einem Lächeln den Kopf und drehte meine Spaghetti auf die Gabel. „Weißt du was, ich glaube wir werden gute Freunde.“ sagte er noch, dann verließ er den Raum. Ich lächelte immer noch, dann schaute ich misstrauisch auf die langen, dünnen Nudeln hinunter. Also schön, wollen wir doch mal sehen. Ich schob mir die Gabel in den Mund und kaute bedächtig. Langsam entfaltete sich der angenehme Geschmack der Tomatensoße, mit dem Oregano. Der Nudeln, die genau die richtige Menge an Salz hatten. Juhu! Ich war ein Vampir und musste nicht auf Spaghetti verzichten! Was gibt es Schöneres? Ich kicherte leise und aß schnell meinen alles genießend auf. Danach war ich absolut satt und machte mich auf dem Weg in mein Zimmer. Als ich einen Blick auf die Tür warf, machte ich mir doch leichte Sorgen. Draußen wurde es allmählich dunkel und Cannes war noch nicht wieder da. Wo blieb er denn so lange? Als nach einer weiteren halben Stunde immer noch keine Anzeichen seiner Rückkehr zu sehen waren, beschloss ich, ihn suchen zu gehen. Ich hörte Stayr in einem der Zimmer und rief kurz über den Flur. „Ich bin eben was suchen, bis gleich“ sagte ich kichernd, Stayr wusste ganz genau was ich suchte, beziehungsweise wen. Ich rannte die Treppe hinunter, durch die dunkle Eingangshalle und nach draußen. Dort wandte ich mich zu dem Wald rechts von mir. Vielleicht war er ja da drin. Ich nahm nicht den geraden Weg, sondern lief einfach quer-feld-ein, da ich mich ja jetzt nicht mehr an ihm orientieren musste, um zurück zu finden. Ich schnupperte in die Briese, nahm allerdings nicht den leisesten Hauch von Cannes wahr. Wo war der nur? Ich rannte quer durch den Wald, bis ich das Gefühl hatte, ihm Kreis zu laufen. Ich wusste zwar noch wo das Haus war, aber trotzdem sahen die Bäume irgendwie alle gleich aus. Sie standen trotz der Dunkelheit gut sichtbar und dicht bei mir und sorgte dafür, dass ich nicht weiter als ein paar Meter sehen konnte. Aber für dieses Problem hatte ich ja jetzt meinen guten Geruchssinn. Aber selbst der brachte mir jetzt gar nichts. Vielleicht war er ja schon zurück? Langsam ging ich durch die Bäume auf das große Haus zu. Der hat das wahrscheinlich extra gemacht. Gewartet, bis ich das Haus wieder verlasse und war dann hineingegangen und hat mich ausgelacht. So wie ich ihn, dachte ich und konnte ihm nicht wirklich böse sein. Auf dem Weg zurück spürte ich den kalten Wind, wie er mir durch die Kleider auf die Haut drang, doch mir war nicht kalt. Eher war mir ziemlich warm, obwohl ich nur das Top und die Jeans anhatte. Noch ein Vorteil. Man fror nicht. Das Haus kam langsam in Sicht und ich sah mich nochmal um. Er musste doch hier irgendwo sein! Vollkommen konzentriert, merkte ich nicht, dass wohl irgendetwas in meinem Weg lag, sodass ich plötzlich stolperte. Nein, ich wurde geschubst! Fast wäre ich an den Baum vor mir geprallt, aber ich konnte mich gerade noch abfangen. Ich drehte mich zu der vermeintlichen Gefahr um und sah... nichts! Verwirrt schaute ich mich um. Nichts. Ich lugte um den Baum herum, an dem ich lehnte. Auch dort war nichts. Hä? Wurde ich jetzt vollkommen bescheuert? Ich sah nochmal hinter mich auf den Pfad, den ich beim Laufen hinterlassen hatte und hinter den Baum. Ich war wirklich alleine. Dachte ich zumindest. Denn gerade als ich wieder loslaufen wollte ertönte eine klare Stimme direkt über mir. „Gute Idee, auf einen Baum zu klettern.“ Cannes landete vor mir und brachte sein Gesicht damit genau vor meines. Ich zuckte erschrocken zurück, nur um die harten, unnachgiebige Rinde des Baumes in meinem Rücken zu spüren. „Findest du nicht?“ sagte er und grinste. Ich hatte mich von meinem Schock erholt und grinste zurück. „Du hast Recht. Man kann andere so leicht damit in die Irre führen.“ flüsterte ich und kicherte. Sein Lächeln verrutschte ein wenig, doch das amüsierte Funkeln in seinen Augen blieb. Er griff nach meinen Armen, um sie festzuhalten, doch ich war schneller, hatte seinen Angriff vorausgesehen. Ich drehte mich und sprang, um hinter dem Baum wieder aufzukommen und um in Richtung des Hauses zu laufen. Aber dieses Mal hatte ich nicht ganz so viel Vorsprung und Cannes hatte mich schnell eingeholt. Schnell spürte ich, wie er mir seine Arme um die Taille schlang und mich hochhob. Ich strampelte mit den Beinen. „Lass mich runter!“ schrie ich lachend und zappelte. Er trug mich die Treppe hoch, mich immer noch fest im Griff und stieß die Tür auf. Auf der Treppe kam uns Stayr entgegen, doch anstatt uns wieder zu stören, wie beim ersten Mal, zog er nur lachend an uns vorbei und man konnte kurz darauf die Tür ins Schloss fallen hören. „Was hast du vor?“ fragte ich ihn und zappelte immer noch in seinen Armen. Dieser Mistkerl hatte wirklich einen festen Griff, der trotz meiner neu dazugewonnen Kräfte zu stark war. Verdammt. Er lachte mit der dunklen, rauen Stimme. Er stemmte meine Tür mit dem Fuß auf und kickte sie wieder zu. Mit langen Schritten ging er durch den Raum und warf mich aus Bett. Ich rappelte mich sofort wieder hoch und versuchte wegzukrabbeln. Das Fenster stand noch offen – es würde meine Rettung sein, wenn ich nur schnell genug war. Ich schaffte es tatsächlich mich vom Bett zu stürzen, das kurze Stück zum Fenster zu hasten und ein kleines Hochgefühl bildete sich schon. Bis Cannes auch diesen Fluchtversuch vereitelte, das Gefühl verschwand nahezu sofort. Mist. Er umfasste meine Arme und drehte mich zu sich herum. Seine Augen funkelten belustigt und sahen auf mich hinab. Ich sah zurück und versuchte aus seinem Gesichtsausdruck schlauzuwerden. Vergeblich. Er starrte einfach nur. „Was?“ fragte ich ihn. „Nichts.“ flüsterte er und kam näher. Ich ließ mich gegen die Wand neben dem Fenster drängen und ihn somit näher kommen. Bei seiner Berührung musste ich mich unwillkürlich fragen, ob er dieses Mal auch wieder vorhatte mittendrin einen Rückzieher zu machen. Was würde ich dann tun? Ich wusste nicht, ob ich es ein weiteres Mal aushalten könnte, wie ich reagieren würde. Aber wir wollen den Teufel ja noch nicht an die Wand malen, jedoch war es doch nur fair, wenn ich mich klein wenig revangiere, nicht?! Ich grinste kurz und flüchtig grimmig, dann machte ich ein ernstes Gesicht und sah mit großen Augen zu ihm auf. „Cannes, ich kann nicht…“ fing ich an und löste mich von ihm. Er schaute mich erschrocken und auch ein wenig ungläubig an. Ich drehte mich um, lächelte und schloss das Fenster. Er stand immer noch vollkommen verwirrt und anscheinend auch ein wenig verletzt vor dem Bett. Jetzt ließ ich das gemeine Lächeln aufblitzen und es ihn sehen. „Fühlt sich nicht gut an, hmm?“ sagte ich leise. „Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich dich nach dem was du letztes und das Mal davor abgezogen hast, nicht wegschicke und dich nie wiedersehen will.“ Ich sah kurz zu ihm auf und sah Schuldbewusstsein in seinen Augen aufblitzen. Er machte gerade den Mund auf, wahrscheinlich um ein Entschuldigung zu stammeln, doch ich unterbrach ihn schnell und deutete auf das nun geschlossene Fenster. „Aber ich meinte das Fenster - es könnte kalt werden.“ Ich grinste. Dann, ohne ihm eine Chance auf irgendetwas zu lassen, stürzte ich mich auf ihn. Wir fielen auf das Bett und Cannes keuchte. „Du bist gemein und hinterhältig.“ flüsterte er an meinem Ohr. Ich kicherte leise. „Schmeicheln hilft dir jetzt auch nicht weiter.“ flüsterte ich zurück. Er lachte leise. Ich hob den Kopf und sah ihn an. Er war atemberaubend. Schon immer gewesen, wie ich ein zugeben musste. Ich drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Doch anstatt ihn zu vertiefen zog ich mich wieder zurück. Beim ersten und zweiten Mal bin ich auf ihn zugegangen und war die Doofe gewesen, jetzt war er mal dran. Er starrte mich an. Ich war völlig versunken in seinem Blick, ich wurde es einfach nicht müde in ihm zu versinken, weshalb ich mich auch erschreckte, als er uns plötzlich herumdrehte. Doch bevor ich mich wehren konnte hatte er meine Hände schon gegriffen und drückte sie auf das Bett. Ich versuchte mich zu lösen oder zu befreien, aber das klappte trotz meiner neuen Super-Vampir-Kräfte nicht. Und ehrlich gesagt wollte ich das auch gar nicht mehr. Immer hin hatte er jetzt die Initiative ergriffen und nicht ich war diejenige, die sich hinterher - wenn es diesmal auch wieder schieflaufen würde - als die Dumme, die die Zeichen nicht verstanden hatte, fühlen würde. Aber da ich wie immer nicht vorhatte es schieflaufen zu lassen, das war immer eher sein Ding gewesen, konnte ich doch ohne irgendwelche Bedenken weitermachen, oder?! Ich lächelte ihn an und zog seinen Kopf zu mir heran. Ich presste meinen Mund auf seinen und küsste ihn. Er küsste mich zurück und ich konnte endlich meine Arme von seinem Griff losreißen, um ihn zu umschlingen. Als ich meine Arme in seinem Nacken verschränkt hatte, hob ich auch meine Beine und schloss sie um seiner Taille. Er lachte leise an meinem Mund. Ich grinste und zog ihn dann wieder zu mir hinunter. Ich wollte nicht mehr warten. Und wenn er sich jetzt zurückziehen würde, würde ich ihn gehen lassen. Und es nie wieder versuchen. Nie wieder. Ich wollte dieses ganze Ping-Pong Verhalten nicht mehr. Ich küsste ihn stürmisch zurück und ließ meine Hände über seinen Rücken streichen. Er drehte uns wieder herum und ich kniete über ihm. Er kroch langsam rückwärts auf das Bett und ich krabbelte mit. Bedächtig lächelte ich ihn von oben herab an und ließ mich wieder auf ihm nieder, nachdem er wieder ruhig lag. Wir küssten uns wieder und er legte seine Hände auf meinen Rücken. Ich ließ meine an seiner Brust hinunter wandern, über seinen Bauch, zu dem Saum seines Shirts. Ich blickte ihm ihn die Augen, als ich es hochzog. Nach ein paar Minuten hatte ich es über seinen Kopf gezogen und es weggeworfen. Jetzt konnte ich seinen Oberkörper richtig betrachten, nicht kurz und flüchtig, wie im Zug. Seine Brust und sein Bauch waren muskulös und mit blasser Haut überzogen. Ein paar Narben zierten sie. Eine große zog sich fast über seinen gesamten Bauch, sie begann unterhalb seiner rechten Brust und zog sich bis kurz über seinen Bauchnabel. Eine etwas kleinere war über seiner rechten Brust und eine mitten auf seinem Bauch. Sie war klein und sah so aus, als würde sie von einer Einstichwunde stammen. Vielleicht ein Messer. Ich fuhr langsam mit dem Finger darüber. Das erinnerte mich an meinen Gedanken im Zug, ihnen mit der Zunge zu folgen. Ich rutschte etwas tiefer und leckte über die Kleine an seiner Brust. Die Haut war weich und fühlte sich eigentlich nicht anders an, als seine unverletzte Haut. Als nächstes erkundete ich die andere Kleine. „Nicht.“ sagte er und schob mich zurück. Da bemerkte ich auch, dass er versuchte von mir wegzurutschen. „Was ist?“ fragte ich. Hatte ich was falsch gemacht? Oder war es jetzt schon Zeit für seine Phase? Er sah leicht gequält auf mich hinab. „Du musst nicht...“ flüsterte er und zog meinen Kopf wieder hoch. Ich schaute ihn verwirrt an. „Was muss ich nicht?“ Er schaute mich an, immer noch unsicher, als fühlte er sich unwohl. Ha! Bei so einem Körper undenkbar. „Sie sind grausam. Ich will nicht, dass du sie berührst.“ Meinte er die Narben? Aber die sind doch nicht grausam. Ich fand sie eher interessant. Woher hatte er sie? Wie alt waren sie? Welche Geschichten verband er mit ihnen? Sie zeichneten aus, dass er ein Mann war, der eine Auseinandersetzung nicht scheute. Was was daran so schlimm? Warum fand er sie ‚grausam‘, wenn sie doch praktisch kleine Erinnerungen an Zeiten sind, die er überwunden hat? Ich schaute ihn immer noch verwirrt an und sagte ihm das was mir gerade durch den Kopf gegangen war. „Erinnerungen? Sie verunstalten meinen Körper! Das sind keine bunten kleinen Dinge, die man auf den Schrank stellen und wenn man gerade Lust dazu hat, sie bewundern kann. Nein, das sind Narben, die mich bis zum Ende meines Lebens zeichnen werden. Und das soll interessant sein?“ sagte er verzweifelt. Ich legte meinen Zeigefinger auf die längste der drei Narben und fuhr sie nach. „Also ich…“ flüsterte ich und blickte ihm wieder in das Gesicht „…habe kein Problem mit ihnen. Im Gegenteil. Ich mag sie.“ Verunsichert sah er mich an. Dann runzelte er die Stirn. „Du… magst sie? Aber es sind scheußliche Verletzungen. Mitten auf meinem Oberkörper.“ „Mhhh-mhh, ich weiß.“ sagte ich und grinste ihn an. Langsam und vorsichtig breitete sich auf seinem Gesicht auch endlich ein Lächeln aus. Ich drückte ihm einen Kuss auf den Mund. „Alles wieder gut?“ Er nickte und ich war erleichtert. „Woher hast du die Narben eigentlich?“ wagte ich e zu fragen. Er zog die Brauen leicht zusammen, als ob er entscheiden müsste, ob er mir das wirklich sagen wollte. Schließlich flammte in seinem Blick Entschlossenheit auf. „Diese hier…“ - er legte einen Finger auf die kleinere über seiner rechten Brust – „…habe ich von einem kleinen... Streit, könnte man sagen. Er war der Meinung, mein Eigentum gehöre ihm. Die kleine Narbe istnichts im Vergleich zu seinen davongetragenen Verletzungen. Er ist tot.“ Ich musste grinsen, weil er es mit solch einem normalen Ton sagte. „Allerdings hatte er glühendes Silber. Nichts anderes als das und die Verletzung durch ein Werwesen kann bei einem Vampir bleibende Schäden hinterlassen. Schien er gewusst zu haben. Dafür er weilt seit gut 200 Jahren nicht mehr unter uns." Er schmunzelte "Die andere Kleine stammt von einem Messer. Als ich noch ein Mensch war, habe ich mit den Nachbarsjungen oft anderen einen Streich gespielt. Eines Tages sind wir an den Falschen geraten. Tja, die Zeiten waren damals ganz anders als heute. Er war ein wandernder Kaufmann und verstand gar keinen Spaß. Erst recht nicht, als er bemerkte, dass er von zwei Lausbuben übers Ohr gehauen wurde.“ er lachte leise. „Die Wunde war damals nicht tief und heilte schnell. Natürlich hat uns das nicht davon abgehalten wieder unser Unwesen zu treiben.“ Unwillkürlich musste ich grinsen, als ich versuchte mir Cannes als kleinen Jungen vorzustellen, der mit seinem Freund die Leute um sich herum provozierte. So richtig gelang es mir allerdings nicht. „Und die hier? Wo hast du die her?“ Ich fuhr sachte mit dem Fingernagel über die Längste der Drei. Er seufzte und schien kurz zu überlegen, ob er mir es wirklich sagen wollte und ich ließ ihm die Zeit. Schließlich fing er an. „Mein Erschaffer hat zwei Menschen nahezu gleichzeitig erschaffen. Erst ich, und gleich danach den Anderen. Wir lernten zusammen, was es hieß ein Vampir zu sein und waren fast wie Brüder. Unser Erschaffer war damals sehr stolz auf uns. Doch es kam wie es kommen musste.“ Cannes Stimme nahm einen raueren, bedauernden Ton an. „Eines Tages war ich auf der Suche nach meiner Nahrung, als ein Werwesen hinter einem Baum hervorsprang. Ich hatte noch nie eines gesehen, wusste aber, dass Vampire und Werwesen sich tödlich gegenüber standen. Mein Erschaffer hatte uns für solch eine Situation trainiert und uns eingeschärft, dass man sie mit List und Geschick besiegen konnte. Ich machte mich bereit für einen Kampf, ich fühlte mich gut und konnte es besiegen. Doch es griff nicht an. Nein, es schaute mir in die Augen und blieb still stehen, als wollte es mir Irgendetwas sagen. " Seine Stimme wurde immer leiser und trauriger und ich konnte mir denken, was damals passiert war „ Und dann, ganz plötzlich, verschwand es. Mir kam diese Begegnung komisch vor, aber mehr auch nicht. Ich machte mir keine großen Gedanken. Was mir allerdings nicht aus dem Kopf ging, war sein Blick gewesen. Ich kannte ihn, wusste aber da noch nicht woher. Oder wollte es zumindest nicht wahrhaben. Als ich wieder Zuhause war, und mein Erschaffer fragte, warum ich denn so spät erst wieder komme und noch nichts gegessen hatte, verschwieg ich ihm den Vorfall. Wie sich später herausstellte, war das mein Fehler gewesen.“ Ich drückte ihn ein wenig enger an mich, er war nicht mehr der junge Vampir und was passiert war, konnte er nicht mehr ändern. Aber ich konnte ihn wenigstens ein bisschen trösten oder es versuchen. „Ich versuchte den Blick zu vergessen. Was mir sogar ziemlich leicht fiel, denn mein Bruder war die ganze Nacht lang weg, und den Tag danach. Ich machte mir Sorgen um ihn, immerhin lief einer unserer ärgsten Feinde da draußen herum. Doch an dem Abend, an dem ich kurz davor war aufzubrechen und ihn zu suchen, kam er zurück. Seine Klamotten hangen zerfetzt an ihm herunter und er schien sonderbar verändert. Damals habe ich mir nichts dabei gedacht, mich sogar selbst geschalt, weil ich ihm gegenüber misstrauisch war, obwohl er die ganze Zeit wer-weiß-wo gesteckt hatte. Ich hätte es damals schon sehen müssen, aber ich habe nichts bemerkt und den Rest habe ich meiner überreagierenden Fantasie zugeschrieben und verdrängt. In den Tagen danach war alles ganz normal, sodass ich das Werwesen tatsächlich fast vergessen hatte. Eines Abends, ich war noch im Saal gewesen - wir lebten gemeinsam bei unserem Erschaffer - setzte er sich zu mir. Er redete auf mich ein, dass man doch mehr aus seinem Leben machen könnte, mehr über den ‚Tellerrand‘ hinausschauen müsste. Ich verstand nicht. Mehr als ein Vampir? Er erklärte mir, dass es da draußen noch andere Wesen gebe, die Kräfte vereinen könnte. Er war völlig euphorisch, während ich mir nichts dabei dachte. Nur ein kleiner Höhenflug, der morgen wieder vorbei sein würde. Doch dann sah ich ihm in die Augen. Sein Blick brannte sich in meinem und war derselbe wie der des Monsters. Wie der meines Feindes. Da wusste ich es. Mein bester Freund hatte sich für das Schlimmste entschieden, für das er sich entscheiden konnte. Er war zu einem Werwesen geworden. Es war doch nicht nur ein jungenhafter Scherz gewesen. Er hat alles so gemeint, wie er es gesagt hatte.“ Cannes Stimme war immer noch leise und stockte kurz „Ich hatte ihn angestarrt und wusste nicht was ich sagen sollte. Dadurch schien er bemerkt zu haben, dass ich es wusste. Er fing an zu lächeln und reichte mir die Hand. Ich hätte einschlagen können. Bei meinem besten Freund bleiben und mehr Macht haben können. Zu dem werden können, was er war. Aber ich bin aufgestanden und habe ihm gesagt, dass er ein abscheuliches Monster geworden ist. Dass er nicht mehr länger mein Bruder sei. Ich hatte ihm den Rücken zugewendet und wollte hinausgehen, als ich ein Knurren hörte. Als ich mich umdrehte, stand dasselbe pelzige Ding mir gegenüber, wie im Wald, nur dieses Mal kam es auf mich zu. Doch bevor einer von uns beiden irgendwie reagieren konnte, wurde ich beiseite geschubst und mein – sowie sein - Erschaffer schob sich zwischen uns. Ich solle verschwinden, er würde mich schon wieder finden. Aber ich konnte nicht gehen. Wie gelähmt sah ich zu, wie die einzige Person, der ich jetzt noch vertraute, von meinem Bruder angegriffen wurde. Es war ein schneller Kampf. Mein Erschaffer war alt und kämpfte gegen ein Wesen, das die Kraft von zwei mächtigen Wesen hatte. Mein Bruder riss ihn in Stücke, während ich immer noch wie erstarrt dastand.“ Cannes zuckte zusammen und ich strich ihm wieder über die Narbe. Er hatte die Hölle durchleben müssen. „Erst, als er auf mich zukam und versuchte, auch mich zu töten, wachte ich aus meiner Starre auf. Ich vergaß den Tod von meinem Erschaffer, dass Blut das an mir klebte, was bei dem Massaker herumgespritzt ist und konzentrierte mich ausschließlich auf das Monster vor mir.“ Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und ließ ihn von dem Kampf erzählen, hin und her gerissen von dem Verlangen mehr zu erfahren und dem, ihm das nicht noch einmal antun zu müssen, indem er mir davon erzählte. Kein Wunder, dass er nicht lange gezögert hatte, als das Werwesen mich in der Bar angegriffen hatte. „Es war eigentlich relativ schnell vorbei. Und erst, als ich in meiner rasenden Wut auf alles und jeden schließlich seinen Kopf in meiner Hand hielt, merkte ich, dass ich fast genauso umgekommen wäre wie mein Erschaffer. Mein Bruder, das abartige Monster, was er war, hatte mich fast zerrissen.“ Er fuhr sich über die Narbe. „Es blutete extrem und ich spürte, wie mich meine Kräfte schnell verließen. Ich schleppte mich aus dem Haus und suchte Nahrung. Ein paar Tage später, nachdem es mir wieder besser ging, traute ich mich wieder in das Haus. Das Werwesen hatte sich bei seinem Tod zurückverwandelt und der menschliche, vertraute Körper lag kopflos mitten im Raum. Ich räumte dürftig auf und bin seitdem nie wieder dort gewesen.“ Ich war überwältigt von der Geschichte. Stumm lagen wir da und ich wusste nicht was ich sagen sollte, aber er schien auch nichts zu erwarten. Irgendwann richtete ich mich auf um ihm in die Augen zu schauen. Der gequälte Ausdruck war immer noch da. Ich strich ihm mit dem Daumen über die Wange. „Dich trifft keine Schuld, auch wenn du das vielleicht denken magst.“ sagte ich leise. Er wollte etwas erwidern, doch ich legte ihm meine Hand auf den Mund um ihn daran zu hindern. Egal was er sagte, es würde meine Meinung nicht ändern. Es war die Schuld von seinem Bruder gewesen. Cannes konnte doch nichts dafür, dass er einer nahestehenden Person vertraut hat, dieses Risiko geht doch jeder mal ein. Ich blickte zu dem Fenster. Mittlerweile war es dunkel geworden und man konnte Sterne sehen, die hoch oben am Himmel leuchteten. Wunderschön. Mit einem leichten Lächeln drehte ich mich wieder zu Cannes herum und sah auf ihn hinab. Ich küsste Cannes auf die Stirn und setzte mich an Kopfende meines Bettes. Dann hob ich die Decke leicht an und vergrub meine nackten Füße darunter. Er sah mich fragend an, doch ich sah ihn nur kurz an und zwinkerte ihm zu. Die Decke legte sich schwer auf meine Beine und ich spürte, wie sie sich schon erwärmte. Ich rutschte weiter nach unten, um mich hinlegen zu können. Die Verwandlung zollte ihren Tribut und ich wurde langsam müde. Meine Aufregung war verflogen und zurück blieb nur die Freude, dass Cannes immer noch auf meinem Bett saß. Und bleierne Müdigkeit. Er starrte mich an. Einladend hob ich die Decke. Erkennen trat in sein Gesicht und er lächelte, stand auf um das Bett herumzugehen und legte sich neben mich unter die Decke. Den von mir vorhergesehen Lauf hatte den Abend nicht genommen, aber er hatte mich auch nicht zurückgewiesen. Er hat mir so ziemlich das Finsterste aus seiner Vergangenheit erzählt, mir so sehr vertraut, nachdem seines doch so unsanft missbraucht wurde. Ich glaube, damit konnte ich leben. Außerdem war ich doch unsterblich und hatte so viel Zeit wie ich will. Bei dem Gedanken lächelte ich und kuschelte mich an Cannes, der jetzt neben mir lag. Er zog die Decke ein Stück höher und schlang dann die Arme um mich. Meine Wange lag an seiner Brust und konnte seine Wärme fühlen. Ich schlang ebenfalls meine Arme um ihn und reckte mich hoch zu seinem Gesicht, um ihn zu küssen. Von seinen Küssen würde ich wohl nie zu viel haben. Doch Cannes löste sich, bevor es mehr werden konnte. „Ich dachte du bist müde?!“ fragte er und lachte. Ich grinste ihn an und er gab mir noch einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht, Fi.“ flüsterte er. „Gute Nacht, Cannes.“ sagte ich, doch etwas schläfrig. Und kurz bevor der Schlaf mich übermannte, fiel mir absurderweise auf, dass ich gar keine Schlafsachen anhatte.
Es war noch dunkel, als ich aufwachte. Das Erste, was ich merkte, waren Cannes Arme, die nach wie vor fest um mich geschlungen waren. Der Himmel war dunkel, doch ein paar Lichtscheine am Horizont zeugte von dem nahenden Aufgang der Sonne. Warum um alles in der Welt konnte ich nicht mal durchschlafen? Ich seufzte leise und kuschelte mich an Cannes. Kaum zu fassen, dass ich solch ein Glück hatte, ihn kennenzulernen. Und das er mich auch noch mochte, war praktisch unglaublich. Ich lächelte. Wie viel Tage waren eigentlich schon vergangen, seit der Nacht im Club? Es fühlte sich so an, als würde ich ihn schon eine Ewigkeit kennen. Aber mehr als ein Monat konnte es nicht sein. Ich dachte an jenem Abend zurück, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Durch die vielen Menschen hindurch. Ich dachte mir, dass er gutes Potenzial für eine Nacht wäre. Niemals wäre mir eingefallen, dass er ein Vampir war, der mich in sein Haus in Sibirien bringt, um mich vor rachsüchtigen, haarigen Monstern zu beschützen. Oder, dass ich selbst ein Vampir werde und sauer auf ihn werde, weil ich denken würde, dass er mich nur für eine Nacht haben will. Mein ganzes Leben hat sich geändert. Würde ich überhaupt in meinem ‚normalen‘ Leben wieder klarkommen, nachdem ich Cannes und seine Welt kennengelernt hatte? Was wird jetzt aus uns? Er wird mich doch nicht einfach nach Hause schicken mit einem Lächeln und einem ‚Alles wieder in Ordnung‘?! Was würde ich dann machen? Einfach gehen, alles vergessen und dankbar sein, für das was er mir gegeben hat? Sicherheit, ein Leben als Vampir. Ich hob meinen Kopf und schaute ihn an. Nein. Er würde mich nicht gehenlassen. Er hat mir so sehr vertraut, dass er mir seine grausige Geschichte erzählt hat. Er hat mich verwandelt, das bindet uns für immer aneinander. Und selbst wenn er mich gehen lässt, würde ich nicht gehen. Ich würde bleiben, bis ich ganz sicher sein würde, dass das wirklich das war was er wollte. Ich konnte ihn zu nichts zwingen. Doch das Bild, wie er mich wegschickt blieb hartnäckig in meinem Kopf. Ich schloss die Augen um es zu verbannen. Als ich sie wieder öffnete, sah ich direkt in Cannes Augen. Er war wach? „An was denkst du?“ fragte er leise, mit vom Schlaf angenehm rauer Stimme. Ich wollte es ihm nicht sagen. Ich zuckte leicht mit den Schultern, doch als ich antworten wollte, unterbrach er mich. „Sag bitte nicht ‚nichts‘, das hatten wir doch schon. Außerdem habe ich dir eines meiner schlimmsten Geheimnisse, wenn nicht sogar das Schlimmste, verraten, und jetzt willst du mir noch nicht mal sagen, woran du denkst?“ sagte er und lächelte mich an. Er hatte Recht. Mal wieder. Mist. Ich brauchte etwas Überwindung, entschloss mich dann aber doch es ihm zu sagen. „Was ist, wenn dass alles vorbei ist?“ Schüchtern sah ich zu ihm hoch, sah fragend in seine hellen Augen. „Wenn keine Gefahr mehr von den Werwesen droht, wenn ich kein Jungvampir mehr bin, nichts mehr lernen muss und frei bin?“ fragte ich und sogar ich konnte die Verzweiflung in meiner Stimme hören. Er legte mir zwei Finger unter das Kinn und hob mein Gesicht zu sich. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich wieder weggesehen hatte. Zu meiner Erleichterung – und auch ein wenig zu meiner Beunruhigung – lächelte er. „Erstens: Gefahr von Seiten der Werwesen droht immer. Sie werden immer existieren und irgendwo wird immer einer planen unsere Rasse zu bekämpfen, genauso umgekehrt. Und zweitens: Du wirst nicht ewig ein Jungvampir sein, richtig, aber es gibt immer wieder etwas Neues zu lernen und über die Sache mit der Freiheit lässt sich reden. Einerseits bin ich für immer als dein Erschaffer an dich gebunden, andererseits hält dich nichts hier. Du könntest so gehen, denn es gibt einen feinen, jedoch nicht zu übersehenden, Unterschied zwischen einem Bund zwischen Erschaffer und Erschaffenen und einem Bund zwischen Gefährten. Zwar werden beide gleich ausgeführt - man trinkt das Blut des jeweils anderen - aber der Erste ist weniger bindend, als der Zweite. Wenn man jemanden erschafft, nimmt man sehr viel mehr Blut. Für eine Blutsverbindung der zweiten Art braucht man weniger Blut, damit es sich im eigenen Körper mit dem eigenen Blut verbinden kann.“ Cannes sah mich an. Mir kam der Gedanke, dass ich ja schon vorher von ihm getrunken hatte, und er von mir. „Aber bei meinen Verletzungen habe ich von dir getrunken und bei dir im Zimmer, gestern, hast du von mir getrunken. Und das war nicht so viel wie bei meiner Verwandlung.“ sagte ich. Waren wir schon aneinander gebunden, ohne dass ich es wusste? „Keine Angst. Dazwischen liegt viel zu viel Zeit. Das Blut muss sich mit dem Eigenen verbinden. Und das geht nicht, wenn im anderen Blutkreislauf nicht auch ein wenig Blut von dem Eigenen ist. Verstehst du?“ Ich verstand. Also hätte er von mir bei meiner Heilung auch getrunken, oder gestern bei ihm im Zimmer ich von ihm, wären wir schon aneinander gebunden. Ohne das ich es gemerkt hätte. „Also bin ich, bis auf die ganze Erschaffer Sache, noch vollkommen frei? Ich könnte jetzt einfach aufstehen und gehen?“ fragte ich Cannes, mit einem neckenden Unterton. Er verzog das Gesicht. „Theoretisch könntest du das. Nichts Anderes bindet dich an mich. Und wenn ich nichts verpasst hab, auch an sonst nichts.“ sagte er. Ich grinste. Ich wusste sofort, auf was – oder eher wen – er anspielte. Er machte es mir aber auch zu leicht. „Alsooo.. ähhm.. als du weg warst.. nun ja. Stayr..“ fing ich amüsiert an und überließ ihm den Rest. Es machte einfach zu viel Spaß. Cannes starrte mich zornig an. Dann machte er Anstalten aufzuspringen. Ich hielt ihn fest und lachte. Er schaute erschrocken zu mir hinunter. „Wie kannst du da lachen?“ fragte er ungläubig, mit kaum zurückgehaltener Wut. „Das war doch nur ein Scherz. Du machst es mir aber auch wirklich zu einfach. Ich habe dir doch gesagt dass zwischen mir und Stayr nie etwas laufen würde.“ Ich krümmte mich immer noch vor Lachen auf dem Bett. Ich weiß, es war mies, wirklich mies, aber ich konnte einfach nicht anders. Vielleicht hätte ich inmitten all meiner fiesen Belustigung einen Blick auf Cannes werfen sollen, aber ich war viel zu abgelenkt. Als ich mich wieder beruhigt hatte, sah ich endlich auf. Er war weg. Einfach weg! Wo war er hin? Er war doch nicht ernsthaft beleidigt, oder? Verstand er denn keinen Spaß?! Ich seufzte und rappelte mich auf. Wo könnte er hin sein? Hoffentlich nicht zu Stayr. Wobei ich fast glaube, dass er genauso reagieren würde wie ich, sich lachend den Bauch haltend, oder ganz ernst sagend ‚Aber ja doch. Natürlich Cannes. Genau das haben wir gemacht.‘ Ich lächelte. Ich musste ihn verdammt schnell finden, zum gesundheitlichen Wohl aller. Ich riss die Tür auf und ging in das Zimmer was verschlossen war und wo ich vermutet hatte, es gehöre Stayr. Es war nach wie vor verschlossen und still hinter der Tür. Danach ging ich nach unten in den Saal, wo Stayr sich in Cannes Abwesenheit am Meisten aufgehalten hat. Auch nicht. Ich ging wieder nach oben. Er war auch nicht in den anderen Zimmern oder auf dem Dachboden. Vielleicht war er noch gar nicht zurück? Aber das heißt ja, dass Cannes hier irgendwo noch sein musste. Das letzte Zimmer war seines. Ich öffnete leise die Tür. Ein Blick quer durch den Raum und in das Bad verriet mir, dass Cannes sich auch hier nicht versteckte. Wo zur Hölle war der? Langsam ging ich wieder auf die Tür zu, als mir etwas auf seiner Kommode ins Auge fiel, was gestern noch nicht da gewesen war. Es war ein kleiner Zettel. Eine kleine Notiz auf der Rückseite - welche oben lag. ‚Blonde aus dem Zug‘ stand in feiner, schräger Handschrift da. Wahrscheinlich hatte er das hingeschrieben, um zu wissen von welcher genau dieser Zettel kommt. Aber war das die Blonde? Ich drehte den Zettel um. Dort stand eine Nummer und auf Englisch, dass er sich doch bitte wieder melden möge, wenn er nochmal solchen Spaß haben will. Der Zettel rutschte mir aus der Hand. Er hatte doch nicht... während ich in unserem Abteil auf ihn wartete…? Nein, nein, nein. Ich ging ein paar Schritte zurück. Also doch! Er hatte wohl mit dieser blonden Schlampe gevögelt! Ich drehte mich auf dem Absatz um und rannte voll in etwas. Ein kurzer Blick zeigte, dass es nicht etwas, sondern er war. Natürlich. Ich starrte wütend in sein Gesicht. Er hatte mich belogen! Die ganze Zeit. Jetzt konnte ich nicht mehr verstehen, warum er so sauer gewesen war. Er hatte doch genau dasselbe gemacht! Nur das ich da nie ein Geheimnis draus gemacht hatte. Er schaute auf mich herunter. Dann lachte er! Ich hatte eine Art Déjà-vu, als er sich so den Bauch hielt und lachte. Ich wollte sauer aus dem Raum stürmen, doch er hielt mich fest. Also blieb ich stehen, streckte meinen Rücken und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. Eigentlich hatte ich gar keinen Grund so richtig sauer zu sein. Immerhin hatte ich ihn gerade aufs Übelste verarscht. „Das war doch nur ein Scherz. Du machst es mir aber auch wirklich zu einfach.“ wiederholte er meine Worte. Ein Scherz? „Zwischen mir und dieser blonden Frau ist nie etwas gelaufen.“ wiederholte er erneut meine Worte, nur mit der Blonden Tussi statt Stayr. „So wie die dich angesehen hat, stand von ihrer Seite aus nichts im Wege.“ knurrte ich missmutig. Aber ich konnte ihm ja nicht mal richtig böse sein, ich hatte es doch verdient! „Bist du etwa eifersüchtig? Auf sie? Das hast du doch gar nicht nötig, aber jetzt weißt du wenigstens, wie ich mich fühle, wenn du Stayr zu nahe kommst oder ihn in einem falschen Zusammenhang erwähnst.“ Er beugte sich näher zu mir. „Er hat ganz schön Glück, dass er gerade nicht da ist. Die Situation hätte schiefgehen können.“ sagte er leicht drohend. Vielleicht sollte ich diese Scherze wirklich sein lassen. „Du weißt doch, dass dir von Stayr keine Gefahr droht. Er ist zwar lustig, gutaussehend…“ „Verkürzt du bitte diese Liste.“ warf Cannes ungeduldig ein. „Oh, Tschuldigung. Ich wollte damit sagen, dass er zwar gut, aber kein Vergleich zu dir ist. Er ist ein Freund mehr nicht.“ sagte ich und zwinkerte ihm zu. „Und dir droht vonseiten solcher... Frauen keine Gefahr.“ Vonseiten solcher Frauen? Und von anderen? Es muss ja keine ‚Schlampe‘ sein. Was wenn es ein ganz normales Mädchen ist? Das geht doch nicht. Ich hasste diese wankenden Aussagen und Gesten. Aber vielleicht interpretiere ich auch zu viel darein. Ich darf das nicht immer alles so ernst nehmen. Ich schaute Cannes wieder an und zwang mich zu einem Lächeln. In seinen Augen stand ein verwirrter Ausdruck. Natürlich, die Person, die mich und meine verrückten Gedanken versteht, muss erst noch erschaffen werde. Das schaffte ja selbst ich manchmal noch nicht einmal. Ich schritt an ihm vorbei, durch den Flur in mein Zimmer. Dort angekommen, spürte ich, wie sich seine Hand auf meine Schulter legte. Ich drehte mich zu ihm um. Er lächelte leicht. „Ehrlich gesagt…“ er senkte sein Gesicht direkt vor meins „…droht dir von gar keiner Seite Gefahr.“ flüsterte er. Ich starrte ihm in die Augen. Seine umwerfenden grau-blauen Augen. Von keiner Seite? Nur ich? Das Lächeln, was jetzt auf meinem Gesicht lag, war nicht gezwungen. Dann beugte ich mich vor und küsste ihn. Er schien darauf gewartet zu haben und schlang mir die Arme um die Taille. Ich schlang ihm meine um den Hals und hob meine Beine, um sie um seine Hüften zu schlingen. Ich lachte kurz an seinem Mund und er trug mich zu meinem Bett, legte mich darauf nieder. Seit gestern hatte er sich kein Shirt mehr angezogen und sein Oberkörper war immer noch nackt. Gut für mich. Ich fuhr ihm wieder über die Narben. Dieses Mal sorgte ich dafür, dass es ihm gar nicht erst unangenehm werden konnte. Von dort ließ ich meine Hände auf seinen Rücken wandern. Seine fuhren mir über die Taille zu dem Rand meines Oberteils und hoben es leicht an. Schließlich zog er es mir über den Kopf und warf es beiseite. Irgendwo hier musste auch noch seines liegen, von gestern. Ich hoffte, dass es diesmal nicht wieder wegen irgendetwas unterbrochen wurde, das wäre verdammt nochmal deprimierend. Er fuhr mit seinen Fingern sanft über meine Seite und legte sie dann seitlich an mein Gesicht. Kurz sah er mir in die Augen, dann küsste er mich wieder. Ich rieb mich an ihm und ließ meine Hände zu seiner Hose wandern. Dass würde eine interessante Nacht werden.
Diesmal war es hell, als ich aufwachte. Aber die starken Arme, die um mich geschlungen waren wie beim letzten Mal, waren dieselben. Ich grinste und küsste die Brust, gegen die ich mein Gesicht gekuschelt hatte. „Auch endlich wach?“ fragte er mit dieser dunklen Stimme. Klugscheißer. „Ich hatte keine 512 Jahre um auszuschlafen. Alter Kerl.“ neckte ich ihn. „Ich bin nur 22 Jahre.“ fügte ich hinzu. Der Altersunterschied war unglaublich. Aber mich störte es wenig. Zumindest sahen wir nicht so aus als würden uns 490 Jahre trennen. Aber es trennten uns ja nicht nur 490 Jahre, das Vampir-ding hatten wir zwar durch meine Verwandlung gelöst, aber da wäre noch die Tatsache, dass ich hier in einem fremden Land bin und mein anderes, menschliches, Leben in Deutschland wartete. Mit meiner Arbeit, meiner Familie und meinen Freunden. Aber konnte ich das nicht ändern? Ich bin kein Mensch mehr, also muss ich doch auch nicht mehr so leben, oder? Ein Job war schnell gekündigt, aber was mache ich mit meiner Familie oder mit Xan und Angel? Ich kann ihnen doch nicht mal eben so sagen, dass ich einfach so beschlossen habe, nach Sibirien zu ziehen. Wo ich doch eigentlich gerade aus einem spontanen Urlaub aus Italien zurückkam. Apropos Urlaub, ich muss unbedingt Xan und Angel wieder anrufen. Und meine Familie. Die machen sich bestimmt alle schon große Sorgen um mich. Ein Monat war dann doch schon ziemlich auffällig. Aber mein Handy, was wahrscheinlich noch in der Hose lag, war alle. So lange hält ein Akku nun auch wieder nicht. Shit. Aber vielleicht hat Cannes ja ein Telefon. Hoffte ich, denn ich habe bisher keines gesehen. „Woran denkst du gerade?“ fragte Cannes. Seine Stimme war gedämpft, weil er sein Gesicht in meinem Haar gedrückt hatte. „Ich muss mir überlegen, was ich meiner Familie und meinen Freunden erzähle. Meine Familie hat nicht den blassesten Schimmer. Aber Xan und Angel glauben, dass ich in der Nacht im Club einen Typen kennengelernt habe, mit dem ich dann spontan nach Italien gereist bin.“ Ich sah ihn schmunzelnd an. „Tatsächlich hat niemand eine Ahnung das ich hier mit einem großen, bösen Vampir bin.“ sagte ich und funkelte ihn amüsiert an. „Ich bin also groß und böse...?“ sagte er. Ich lachte auf. „Nein, aber ernsthaft. Was soll ich ihnen sagen? Ich kann ihnen doch nicht am Telefon sagen, dass ein großer, gutaussehender Vampir mich nach Sibirien geschleppt hat, um mich vor einem Werwesen zu beschützen und um mich dann auch in einen Vampir zu verwandeln.“ Ich löste mich ein wenig von ihm, um ihm in die Augen zu schauen. „Dann mach es halt nicht am Telefon.“ sagte er und küsste mich. Nicht am Telefon? Wie denn sonst? Sollte ich etwa nach Deutschland reisen? Als Vampir? Würde er mitkommen und mich unterstützen? Würde ich danach wieder mit ihm hierherkommen? „Götter, man kann deine Gedanken fast hören. Wenn du ihnen wirklich vertraust, dann können sie doch herkommen. Ich meine, das Haus ist doch groß genug, dass wir hier ein paar Leute für eine kurze Zeit unterbringen können, oder? Und dann könntest du es ihnen auch persönlich sagen. Solange es jetzt nicht an die zwanzig Leute sind, ist das doch in Ordnung.“ Er sah zu mir herunter. „Und wenn ein paar Mädchen dabei sind, wird Stayr sich auch freuen. Und dich hoffentlich endlich in Ruhe lassen.“ Ich lächelte ihm leicht zu und küsste ihn. Es würde wohl noch ein wenig brauchen, ihn davon zu überzeugen, dass Stayr wirklich nur ein Kumpel war, ich war ja selber schuld. Aber ich konnte Angel und Xan wirklich hierherbringen? Ihnen die Wahrheit über mich und Cannes erzählen? Vertraute er mir wirklich so viel? „Das würdest du wirklich tun?“ fragte ich gerührt, als ich mich für einen kurzen Moment von ihm losreißen konnte. Er nickte. Da fiel mir etwas ein. Wenn er mir so sehr vertraute, konnte ich das doch auch. „Du sagtest doch, dass sich die Bande unterscheiden. Das ich noch frei bin.“ Er kniff die Augen zusammen und betrachtete mich skeptisch „Ja. Theoretisch bist du das.“ „Gut.“ Ich sah ernst zu ihn hinauf. „Ändern wir das. Dafür musst du mich beißen und ich dich, richtig?“ Er schaute mich verwirrt an. Aber ich konnte sehen, wie er sich freute, dass ich bereit war, diesen Schritt zu gehen. Ich grinste ihn an. „Ja, das ist richtig. Aber bist du dir sicher? Ist es einmal geschehen, kann man es nicht mehr ändern. Es ist unwiderruflich.“ flüsterte er eindringlich, doch eigentlich überflüssig, da wir uns beide schon entschieden hatten. „Ich bin sicher, Cannes. Glaub mir.“ flüsterte ich und neigte meinen Hals ein wenig, um ihn besser erreichbar für ihn zu machen. Ich spürte, wie sich seine Lippen vorfreudig auf meinen Hals senkten und seine Zunge sachte über meine Haut dort strich. Ich zog ihn enger an mich und das erinnerte mich daran, dass wir ja immer noch nackt waren. Ich wand mich und wollte endlich seine Zähne spüren, die sich in meinen Hals gruben. Ich drückte ihn enger an mich, ich konnte es nicht mehr erwarten. Und dann spürte ich wieder seine Zähne, die sich tief in meiner Haut vergruben und anfingen zu saugen. Das unbeschreiblich gute Gefühl breitete sich wieder aus und ich schloss die Augen und entspannte mich. Doch so lange wie bei meiner Verwandlung dauerte es nicht und er löste sich schnell wieder von mir. „Jetzt bist du dran.“ flüsterte er mir ins Ohr und neigte nun seinen Kopf ein wenig zurück. Nun war er es, der mich an sich drückte und darauf wartete, dass die scharfen, langen Zähne sich in ihn bohrten. Ich leckte über seinen Hals und bemerkte, wie er erschauerte. Es war leichter, als ich dachte. Ich biss ihn und sein Blut floss mir in den Mund. Es schmeckte sogar noch besser, als es als Mensch geschmeckt hatte, voller, würziger, mächtiger. Doch ich ermahnte mich nicht zu viel zu nehmen, und hörte daher rasch wieder auf. Nach ein paar Schlucken ließ ich von ihm ab und sah zu, wie die Wunde sich von alleine schloss. Dann sah ich ihm in die Augen. Und plötzlich wurde mir ganz warm ums Herz. Es wanderte von dort durch meinen ganzen Körper bis es schließlich wieder am Anfang war. Es war unglaublich. Trotz meiner normalen Gefühle für Cannes waren da noch andere, die sich genauso stark anfühlten wie meine. Sie legten sich über mich und fühlten sich an wie eine wärmende Decke, eine schützende Hand, die von nun an immer bei mir bleiben würde. Ich sah zu Cannes hoch. Waren das seine Gefühle, dich ich jetzt spüren konnte? Man verbindet sich ja durch das Blut. Konnte da wirklich sein? Dass ich ab jetzt immer wusste wie es ihm geht? Ich beugte mich vor und küsste ihn. Auch er schien freudig überrascht zu sein, denn er küsste mich genauso stürmisch zurück. Eigentlich wollte ich gar nicht aufhören, aber der Gedanken an meine Freunde sorgte dafür, dass ich mich von ihm löste. „Du meinst wirklich, dass ich meine Freunde anrufen kann? Und sie hierher beten kann?“ fragte ich ihn. „Klar. Wieso nicht? Und wenn sie wirklich Probleme machen sollten, haben wir ja immer noch diesen ‚Strahle-blick‘, wie du ihn nennst.“ erwiderte er und grinste mich schief an. Ich drückte ihm noch einen Kuss auf den Mund und stand dann auf. Im Schrank fand ich das übergroße Shirt von der Zugfahrt und warf es mir über und ging zur Tür. Gerade als ich rausgehen wollte fiel mir etwas ein. Ich drehte mich wieder um und sah ihn an. Stolz erfüllte mich, als ich ihn so, wie er so dalag. In meinem Bett. Die Arme lässig hinter dem Kopf verschränkt und mich belustigt ansehend. „Gibt es hier ein Telefon?“ Er lachte leise, stand auf und zog sich seine Hose über. Dann deutete er mir, dass ich hinausgehen und ihm folgen soll. Das letzte Mal, als wir beide so wenig anhatten, war im Zug hierher gewesen, dachte ich amüsiert und erinnerte mich daran, wie wir uns die neuen Klamotten beschafft hatten. Wie viel sich seit dem verändert hatte! Wir gingen die Treppe hinunter, zum Glück war immer noch nichts von Stayr zusehen, und blieben dann vor einer kleinen, unscheinbaren Tür stehen. Sie waren direkt neben der Treppe. Der dahinter verborgene Raum war ebenfalls klein. Doch es hatte ein Telefon. Ich grinste ihn an, bedankte mich, küsste ihn und setzte mich auf den Stuhl neben dem Tischchen mit dem Telefon. Zuerst versuchte ich es wieder bei Xan, kam jedoch nicht durch. Sie war anscheinend nicht da. Dann kramte ich in meinem Gedächtnis nach Angels Nummer und hoffte, dass sie ranging. Und tatsächlich, nach ungefähr einer Minute hatte ich eine lachende Angel am Apparat. „Hallo? Wer ist da?“ fragte sie. „Hey Angel, ich bins.“ „Fi?“ fragte sie ungläubig. „Höchst persönlich.“ erwiderte ich kichernd. Dann hörte ich wie Angel etwas murmelte und dann war ein leises klappern zu hören. „Ich muss mit dir und Xan kurz reden. Es ist wichtig.“ „Warte kurz ich mach dich auf Lautsprecher, Xan ist auch gerade hier.“ Ich hörte ein leises Piepen und konnte nun auch Xan hören. „Fi! Schön dass du dich auch mal wieder meldest! Dachten schon du wärst ertrunken oder so was.“ Sie kicherte leise. „Nein Spaß, aber warum meldest du dich jetzt erst?“ Auf der anderen Seite der Leitung wurde es still. Ich seufzte. Jetzt oder nie. „Wir haben viel zu besprechen. In ein paar Tagen werdet ihr Zugkarten bekommen. Wenn ihr wissen wollt, was passiert ist müsst ihr leider zu mir kommen. Dann werde ich euch alles erklären. Sagt jedoch niemandem, wo ihr hingeht! Ihr müsst euch irgendwelche Ausreden einfallen lassen, für eure Arbeit und Familien. Ich weiß, es ist sehr viel auf einmal und es tut mir auch leid, aber ich möchte gerne, dass ihr alles erfahrt.“ Ich machte eine Pause, um die Wirkung meiner Worte zu vertiefen. „Wenn ihr euch dazu entscheidet, ruft mich im Zug noch mal auf dieser Nummer an, dann werde ich am Bahnhof auf euch warten.“ Ich wusste nicht wie sie sich entscheiden werden. Ob sie mir genug trauen und hierherkommen oder ob sie so enttäuscht von mir sind, dass sie es nicht für nötig halten. Ein Mensch hätte nur Getuschel verstanden, aber als Vampir konnte ich jedes einzelne Wort verstehen. Xan wäre am liebsten jetzt schon auf dem Weg hierher, sie wollte unbedingt wissen, was hier vor sich ging. Aber Angel war ein wenig misstrauischer, was ich vollkommen verstehen konnte. Ich war jetzt knapp einen Monat weg und rufe dann an und frage, ob sie mir nicht hinterherreisen wollen, um mit mir zu reden. Doch schließlich gab auch Angel nach, sie war neugierig. „Klar werden wir kommen. Und mit der Arbeit fällt uns schon was ein. Wir freuen uns dich wiederzusehen.“ sagte sie. Ich lächelte erleichtert. „Ich will euch auch endlich wiedersehen und hoffe, dass alles gut wird. Ihr könnt mich auf dieser Nummer erreichen, wenn es dringend ist oder ihr im Zug sitzt.“ „Okay. Bis bald Fi. Pass auf dich auf.“ sagte Angel. Auf mich aufpassen? Das habe ich bisher ja gut hinbekommen, oder nicht? „Klar. Bis dann ihr beiden.“ verabschiedete ich mich und legte auf. Bald würden sie hier sein und alles erfahren. Von mir, von Cannes, von dem anderen Leben. Ich würde mir noch überlegen müssen, was ich ihnen sagen will, ohne dass sie mir völlig durchdrehen. Als ich mich umdrehte, sah ich Cannes lächeln. Ich ging auf ihn zu und küsste ihn. Die Überlegungen konnten auch noch warten, jetzt hatte ich Besseres zu tun.
The End
Tag der Veröffentlichung: 18.04.2014
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