Ich drückte auf die Hupe, als ich vor dem grünen Stahltor des Gästehauses in Ouagadougou stand und sofort öffnete sich dieses.
Nur noch wenige Meter, die ich auf den dahinterliegenden Hof rollen musste. Dann endlich konnte ich den Schlüssel im Zündschloss umdrehen und aus dem Auto steigen. Ich hatte es wirklich geschafft!
Ich zog mich aus dem Wagen, hielt mich dabei krampfhaft an der Autotür fest und stützte mich schließlich schwer auf das Dach des Autos. Sofort eilte Francois herbei. "Bist Du krank, Patron?" fragte er.
Wie sehr hasste ich dieses Wort Patron, dass nach Unterwürfigkeit und Ergebenheit klang und wie oft hatte ich Francois schon gesagt, dass er mich einfach Ralf nennen sollte.
Doch ich wollte mich in meinem Zustand nicht auf eine Diskussion mit ihm einlassen und so nickte ich nur und antwortete "Palu" - Malaria.
Francois, ein etwa sechzigjähriger Afrikaner, der hier im Gästehaus des Entwicklungsdienstes so eine Art Hausmeister und Mädchen für alles abgab und den ich sehr mochte, nahm mein Gepäck von der Pritsche und ging mir voraus über die Veranda in das Innere des Hauses, wo er zielstrebig eines der Zimmer ansteuerte.
"Ist noch jemand hier?" fragte ich ihn. "Nur noch Madame Stefanie, aber sie will heute wieder abreisen" antwortete Francois.
Ich war froh, das Gästehaus für mich alleine zu haben, denn das versprach Ruhe und Erholung.
Nachdem Francois mich alleine gelassen hatte, streifte ich meine schweiß durchtränkte Kleidung ab und stieg unter die Dusche, wo bald darauf das widerlich nach Chlor riechende, aber wohltuende Wasser auf mich niederprasselte.
Nachdem vor einer Weile Burkina Faso von einer Cholera Epidemie überrollt worden war, hatte man begonnen, das Trinkwasser mit Unmengen Chlor zu versetzen. Das Wasser war dadurch ungenießbar geworden, aber es hatte geholfen, die Cholera zu besiegen.
Ich nahm zwei Tabletten Lariam, legte mich dann ins Bett und durfte endlich meine Augen schließen.
Eine Weile hatte ich wohl vor mich hingedämmert, als mich ein Klopfen an der Tür aufschreckte. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, wurde diese auch schon geöffnet und Stefanie steckte ihren Kopf ins Zimmer "Ich habe gehört, es geht dir nicht gut?"
"Malaria" antwortete ich und hoffte, nun wieder meine Ruhe zurückzuerhalten. Aber anstatt einfach wieder den Raum zu verlassen, stand Steffi einen Moment unschlüssig vor meinem Bett und schaute auf mich herab. Dann meinte sie so, dass Widerspruch zwecklos war "Steh mal eben auf, dein Bettzeug ist ja völlig durchgeschwitzt, ich werde es dir mal schnell wechseln."
Ich kletterte also aus meinem Bett, schlich zu dem einzigen Stuhl im Zimmer, setzte mich und beobachtete, wie Steffi schnell und geschickt das Bettzeug abzog und gleich darauf neu bezog.
"So!" rief sie aus. Sichtlich mit ihrem Werk zufrieden, deutete sie dann auf das frisch bezogene Bett und meinte "Jetzt kannst du dich wieder hinlegen.“ Gleich darauf fragte sie mich "Hast du schon irgendetwas eingenommen, ich meine gegen die Malaria?", "Lariam" antwortete ich. "Lariam?!" rief sie bestürzt, "Wieso ausgerechnet Lariam, bist du verrückt, weißt du nicht, was die für Nebenwirkungen haben? Warte, ich bring dir gleich was anderes!" und damit verschwand sie auch schon aus meinem Zimmer, nur um schon einen Moment später wieder aufzutauchen und mir eine Packung Resochin in die Hand zu drücken "Probiers mit denen, die sind zwar auch nicht wirklich harmlos, aber immerhin besser als Lariam. Wenn sie nicht wirken, kannst du immer noch Lariam nehmen". Dann wandte sie sich wieder der Tür zu, drehte sich noch einmal zu mir um und meinte "Am besten nimmst du gleich zwei davon. Ich bring dir gleich was zum runterspülen."
Schon war sie auch wieder verschwunden und tauchte gleich darauf wieder auf, reichte mir ein Glas mit Wasser und beobachtete, wie ich artig die Tabletten hinunter spülte.
"Hast du eigentlich schon was gegessen?" fragte sie dann. "Nein", antwortete ich ihr und setzte hinzu "Ich bekomme nichts runter."
"Aber du musst doch was essen, schon alleine wegen der Tabletten!" Stirnrunzelnd betrachtete sie mich "Also, was möchtest du am liebsten essen?"
"Am liebsten möchte ich nichts essen, habe ich dir doch schon gesagt" und dann setzte ich hoffnungsvoll hinzu "Wolltest du heute nicht eigentlich wieder abreisen, Francois sagte so was?",
„Ja, wollte ich, aber als ich hörte, dass du krank bist, habe ich meine Abreise erst mal verschoben. Zumindest solange, bis es dir wieder besser geht, und jetzt hole ich dir mal was zu essen."
Und schon war Steffi wieder verschwunden. Gleich darauf hörte ich sie in der Gemeinschaftsküche hantieren und bei dem Gedanken, dass sie bald wieder mit etwas Essbarem auftauchen würde, wurde mir sogleich speiübel.
Steffi und ich hatten nie viel miteinander zu tun gehabt, weder privat noch beruflich. Sie war Krankenschwester, ich Landschaftsgärtner und beide arbeiteten wir mehrere hundert Kilometer voneinander entfernt, sodass wir uns nur sehr selten über den Weg gelaufen waren und wenn, dann hatten wir nur wenige Worte miteinander gewechselt.
Wir waren ungefähr in dem gleichen Alter, also etwas über 30 Jahre alt und ich wusste, dass Steffi verheiratet war. Ihr Mann sich aber einen Sport davon machte, jeder Frau hinterherzulaufen, und mit jeder neuen Eroberung angab, wie ein Großwildjäger nach einer erfolgreichen Elefantenjagd.
Ich wusste, dass Steffi darunter litt. Oder nein, eigentlich wusste ich es nicht, sondern ahnte es nur. Aber wie sollte sie nicht unter dem Verrat ihres Mannes leiden?
Ich hatte gehört, dass sie das Land schon mehrmals wieder verlassen hatte. Sie war dann, unter dem Vorwand einer undefinierbaren Krankheit, zurück nach Deutschland geflogen, war aber immer nach nur wenigen Wochen wieder zurückgekehrt.
Jeder war sich sicher, dass ihre Krankheit psychosomatischer Natur war und keiner wusste wohl so recht, wie man mit ihr umgehen sollte.
Ich selbst hatte mir über Steffi bisher keinerlei Gedanken gemacht, denn, wie schon erwähnt, es gab keinerlei Berührungspunkte zwischen uns.
Es dauerte nicht lange und Steffi riss wieder die Tür zu meinem Zimmer auf. In ihrer Hand trug sie einen Teller mit einem Stück labbrigen Baguette, ein paar Scheiben Käse und ein paar Tomatenscheiben. Dass das Baggett labbrig war, wusste ich aus Erfahrung, denn anderes gab es in diesem Land nicht zu kaufen.
Steffi trat an mein Bett, reichte mir den Teller und beobachtete mich dabei, wie ich versuchte, eine der Tomatenscheiben herunter zu würgen. Dann meinte sie "Ich komm bald wieder und hol den Teller ab. Alles aufessen, verstanden?" Ich nickte ergeben, denn gegen ihre resolute Art kam ich sowieso nicht an.
Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, stopfte ich mir die restlichen Tomatenstücke in den Mund, würgte diese hinunter, nahm dann Baguette und Käse, schaute mich im spärlich möblierten Raum um und fand endlich ein Versteck für das mir Ekel verursachende Essen. Schnell stopfte ich Käse und Baguette einfach unter das kleine Schränkchen, welches direkt neben meinem Bett stand und weil ich gerade dabei war, schob ich auch gleich noch die Packung Resochin hinterher.
Aufatmend streckte ich mich aus und schloss wieder meine Augen, hinter deren Lider bunte Lichter aufblitzten. Ich wäre gerne einfach eingeschlafen, doch das Pulsieren in meinem Kopf, der Schweiß, welcher mir unentwegt aus allen Poren drang, die fiebernden verworrenen Gedanken, die ich nicht zur Ruhe bringen konnte und mein Körper, der stoßweise von Muskelschmerzen durchgerüttelt wurde, ließen Schlaf nicht zu.
Ich weiß nicht, wie lange ich so dalag, aber irgendwann klopfte es wieder an meine Tür, die auch sogleich von Steffi geöffnet wurde. Ein Blick auf den leeren Teller und ein zufriedenes Lächeln von ihr sagte mir, dass es wohl ganz richtig von mir gewesen war, Baguette und Käse einfach verschwinden zu lassen.
Steffi, in der einen Hand noch den Teller haltend, legte mir ihre andere Hand auf die Stirn "Mann, du glühst ja!" rief sie aus "Wir müssen unbedingt Fieber messen" und schon war sie wieder verschwunden, nur um gleich darauf wieder in mein Zimmer zu stürmen und mir ein Fieberthermometer zwischen die Zähne zu klemmen und nebenbei meinen Puls zu fühlen. Besorgt schaute sie mich an, zog mir dann nach wenigen Minuten das Thermometer wieder aus dem Mund und blickte stirnrunzelnd darauf "Fast 40° Fieber" meinte sie dann "Aber das kriegen wir schon hin, sterben wirst du jedenfalls nicht. Am besten ruhst du dich einfach aus und morgen siehts dann schon viel besser aus." Ich hätte ihr gerne gesagt, dass ich das mit dem ausruhen schon seit Stunden vorhatte, dass sie mich aber davon abhielt. Stattdessen nickte ich nur mit dem Kopf, schloss wieder meine Augen und ließ mich zurück in die Kissen sinken. Leise verließ sie das Zimmer und ich hörte sie noch sagen "Du musst viel trinken, ich bring Dir gleich was." Für mich klang das fast wie eine Drohung und obwohl ich ihr ja irgendwie hätte dankbar sein müssen über all die Bemühungen um mich, hätte ich sie am liebsten erwürgt.
Es dauerte auch nicht lange, als sie schon wieder in den Raum trat. In ihrer Hand eine Flasche Mineralwasser und ein Glas. Beides stellte sie neben mich auf den kleinen Nachtschrank. Dann strich sie mir durch die Haare, die schweißnass an meinem Kopf klebten "Wir müssen dein Bettzeug wechseln, es ist ja schon wieder völlig durchgeschwitzt." Mit diesen Worten scheuchte sie mich aus dem Bett und während ich wieder wie ein angeschossenes Tier auf dem Stuhl saß, wechselte sie so geschickt wie zuvor, in Windeseile das Bettzeug.
Nun endlich hätte sie vielleicht Ruhe geben können. Aber nein, den ganzen Nachmittag kam Steffi ständig wieder in mein Zimmer gestürzt. Entweder, um zu schauen, ob ich noch genug zu trinken hätte, oder mich zu ermahnen, weil ich, ihrer Meinung nach, nicht genug getrunken hatte. Manchmal kam sie auch einfach, um mir den Schweiß von der Stirn zu wischen, meine Temperatur zu überprüfen, den Puls zu fühlen oder wieder einmal mein Bettzeug zu wechseln.
So wurde es Abend und wieder stand Steffi mit einem Teller voller Essen an meinem Bett, dessen Anblick mir sogleich Übelkeit bereitete. "Schau mal, das habe ich extra für dich gemacht!" Ich versuchte tatsächlich, etwas davon hinunter zu würgen, nur um ihr einen Gefallen zu tun, aber nachdem sie mich eine Weile dabei beobachtet hatte, musste sie wohl selbst einsehen, dass ich einfach nichts runter bekam.
"Ich komme dann nachher noch mal wieder, um dein Bett für die Nacht zu richten" meinte Steffi, bevor sie mein Zimmer verließ.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging. Ich lag da mit geschlossenen Augen, denn obwohl es draußen schon begann, dunkel zu werden, tat mir das wenige Licht, welches durch das einzige Fenster zu mir hereindrang, immer noch weh. Ich glaube, jeder hat schon einmal heftiges Fieber gehabt und kann sich daran erinnern, welch seltsame Bilder einem dann durch den Kopf gehen. Fragmente nur, die, wie ein wahllos zusammengewürfelter Haufen Fotografien durch die Gedanken rauschen und denen man nicht habhaft werden konnte. Bilder, die nichts mit einem selbst zu tun hatten, obwohl man genau wusste, dass sie im eigenen Kopf entstanden waren.
Irgendwann jedenfalls stand Steffi wieder an meinem Bett und forderte mich auf, aufzustehen, damit sie die Laken wechseln könnte. Ich tat wie mir geheißen, schon alleine, weil mir gar nichts anderes übrig blieb. Flink wie immer und mit geübten Händen zog Steffi das Bettzeug ab und nur wenige Augenblicke später konnte ich mich wieder hinlegen.
Ich hoffte, nun für die Nacht Ruhe vor ihr zu haben, denn schließlich, irgendwann musste ja auch sie einmal müde werden.
Steffi wandte sich auch schon der Tür zu. Zögerte dann einen Augenblick und drehte sich schließlich wieder mir zu. Einen Moment hatte ich das Gefühl, dass sie mir irgendetwas sagen wollte, doch stattdessen ging sie an das Fußende meines Bettes und schüttelte sich dort mit einer schnellen Bewegung ihre Sandalen von den nackten Füßen. Fast im gleichen Augenblick griff sie an den Bund ihres T-Shirts und streifte sich diese über den Kopf. Nur wenige Momente später ließ sie auch ihre Hose fallen und zum Schluss auch ihren Slip.
So stand sie dann völlig nackt vor mir. Ich glaubte, sie erwartete nun, dass ich irgendetwas zu ihr sagen würde. Aber ich betrachtete nur ihren nackten Körper. Diese Situation war so absurd, dass ich dachte, sie könnte nur einem meiner Fieberträume entsprungen sein, obwohl ich genau wusste, dass Steffi wirklich und wahrhaftig nackt vor mir stand.
Mir kamen komische Gedanken in den Sinn, so komisch und ja, unwirklich, wie dieser Moment es war. Steffi war keine wirklich schöne Frau. Ihr Gesicht zeigte eine Spur Härte, die sicher nicht schon immer da gewesen war. Ihre kurz geschnittenen, fast schwarzen Haare hatten etwas jungenhaftes an sich und ihr ganzer Körper wirkte eckig und viel zu dünn auf mich, obwohl mir ihre Brüste gefielen. Auch die Art, wie sie da so vor mir stand, wirkte nicht besonders verführerisch. Mit in den Hüften gestemmten Armen schaute sie mich mit einem Blick an, der etwas von Verlegenheit und trotziger Aufforderung hatte. So als würde sie sagen wollen "Nun mach mal!"
Sie und ihr nackter Körper passten einfach nicht hierher. Er passte nicht zu meinem Fieber, meinen Schmerzen, meiner Sehnsucht, endlich Ruhe zu bekommen. Diese Situation hätte nicht einmal zu mir gepasst, wenn ich gesund gewesen wäre, denn ich wusste, ich war kein Mann, für den Frauen bereitwillig einfach ihre Kleidung von sich warfen, weil sie bei meinem Anblick Begierde überkommt.
Aber diese Situation passte auch nicht zu Steffi. Auch wenn ich sie nicht besonders gut kannte, fühlte ich, dass auch sie wusste, dass das nicht zu ihr passte.
Ich tastete mit meinen Augen ihren Körper ab. Betrachtete die wirklich schönen Rundungen ihrer Brüste, erkannte, dass ihre Rippen durch ihre Haut schienen und dass ihre Hüften schmal und irgendwie kantig wirkten, was ihr die Weiblichkeit nahm. Ich blickte auf ihren Schoß, wo zarter Flaum wuchs, der viel heller war, als ihre Kopfhaare und ich ertappte mich bei dem unsinnigen Gedanken, ob sie wohl ihre Haare färbte, was, sollte es so sein, mir als ebenso absurd erschien, wie diese ganze Situation. Wir arbeiteten beide in einem der ärmsten Ländern der Welt. Hier gab es Hunger, Hitze und Staub, welcher sich unablässig wie eine Decke um den eigenen Körper legte. Die Menschen starben an Krankheiten, die in Europa als Lappalien galten, und ich selbst fühlte mich gerade irgendwo verharrend zwischen Leben und Tod. Dass bei all dem, irgendwem einfallen könnte, sich die Haare zu färben, kam mir so grotesk vor, dass ich bei diesem Gedanken fast in Lachen ausgebrochen wäre.
Steffi stand eine Weile einfach so vor meinem Bett und ich spürte, dass sie begann, unsicher zu werden. Vielleicht, wenn ich gesund gewesen wäre, hätte mich ihr Anblick erregt, aber so empfand ich nur Unbehagen, unter das sich eine Spur Mitleid mischte.
Ich sah, dass es hinter ihrer Stirn arbeitete. Dann hatte Steffi einen Entschluss gefasst, kam auf mich zu, schlug die Decke zurück und krabbelte schließlich zu mir ins Bett, wo sie sich eng an mich schmiegte und begann mir die Brust zu streicheln.
Ihre Finger auf meiner Haut brannten. Dieses Gefühl war nicht angenehm, sondern verursachte mir fast schon Schmerzen. So, als würde jemand mit brennenden Streichhölzern über meine Haut fahren. Trotzdem ließ ich es eine Weile einfach geschehen. Ich fühlte mich hilflos und überfordert und wollte nichts weiter, als Steffi einfach wieder loswerden. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, die sich in meinem Kopf hinter irgendwelchen nicht dahin gehörenden Bildern verschanzten.
Irgendwann beugte ich mich dann über Steffi und küsste sie, so sanft, wie es mir möglich war, auf die Stirn, strich ihr mit einer Hand ein wenig unbeholfen über die Wange und sagte "Steffi es geht nicht. Ich bin krank, habe hohes Fieber und fühle mich einfach dreckig. Ich kann nicht mit dir schlafen, das klappt schon alleine technisch nicht."
Ich weiß nicht, ob Steffi enttäuscht oder vielleicht sogar froh war. Wortlos stand sie wieder auf, verließ mein Bett, zog sich ihren Slip an und streifte schließlich auch ihr Shirt wieder über. Dann klaubte sie Hose und Sandalen vom Boden auf und verließ wortlos den Raum. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie die Tür wieder öffnete, die sie soeben erst geschlossen hatte und mir lächelnd eine gute Nacht wünschte.
Ich fühlte Erleichterung, denn ihr Lächeln schien echt und nicht nur aufgesetzt und ich hoffte, nun endlich Ruhe zu haben.
Ich lag da und lauschte in das fast leere Haus. Hörte dann irgendwann das Wasser der Dusche rauschen und schließlich Steffi, wie sie auf nackten Füßen Richtung Küche tapste und dort mit irgendwelchen Dingen herum hantierte. Dann wurde es still.
Eine Weile lag ich einfach so da und obwohl ich es gerne getan hätte, konnte ich meine Augen nicht schließen. Es war fast so, als würde ich auf etwas warten.
Tatsächlich dauerte es auch nicht lange und ganz gegen ihre Gewohnheit öffnete Steffi zaghaft meine Zimmertür und steckte fast schüchtern ihren Kopf herein.
Ich betrachtete sie und am liebsten hätte ich sie einfach davongejagt. Steffi ging auf mein Bett zu, streifte sich wieder das Shirt ab und krabbelte erneut zu mir ins Bett. Doch dieses Mal versuchte sie nicht, mich zu streicheln. Stattdessen legte sie ihren Kopf auf meine Brust, umschlang mich mit ihren Armen, krallte sich an mir fest und begann zu weinen.
Ich fühlte mich noch hilfloser als zuvor und strich ihr unbeholfen durch ihr noch immer feuchtes Haar "Was hast du?" fragte ich sie und leicht zitternd schrie sie fast heraus "Ich hasse dieses Land, ich hasse diese Menschen hier und all diesen Dreck. Ich hasse meinen Mann und am meisten hasse ich mich selbst!"
Ich weiß nicht mehr, was ich genau darauf antwortete, denn all ihre Gefühle konnte ich nicht nachvollziehen. Dieses Land, seine Menschen, meine Arbeit, all das liebte ich. Nur den Hass, den sie für ihren Mann empfand, den konnte ich wirklich verstehen. Auch wenn ich ihn noch viel weniger kannte, als ich es bei Steffi tat, so konnte ich ihre Demütigung nachempfinden, wenn er wieder einmal mit einer seiner Eroberungen angab. Ich ahnte, dass dahinter sehr viel mehr steckte, als die Jagd nach ständig wechselnden Frauen, sondern dass er Steffi damit verletzen wollte, was ihm sehr gut gelang.
Wir lagen eine Weile einfach so da und ich redete auf Steffi ein, während ich immer wieder durch ihr Haar strich. Irgendwann hatte sie sich beruhigt und erzählte mir, dass sie nun endgültig dieses Land verlassen würde und niemals wieder zurückkehren wird. Ich wusste, das hatte sie schon oft gesagt. War nach Deutschland zurückgekehrt und hatte es dort dann doch nicht ausgehalten. Ich ahnte, dass sie Burkina Faso in Wahrheit so sehr liebte, wie ich es selbst tat und dass es nur ihre Ohnmacht und ihr Schmerz war, den sie irgendwo abladen musste und der sie glauben ließ, all das, was uns umgab, hassen zu müssen.
Nachdem Steffi sich wieder beruhigt hatte, lagen wir still nebeneinander und schließlich versuchte sie, mich zu küssen. "Bitte Steffi, ich kann und ich will das nicht" versuchte ich sie davon abzubringen. Auch wenn ich meine Worte fast nur geflüstert hatte, wirkten sie selbst in meinen Ohren brutal und abweisend. Steffi tat mir so unendlich leid und ich hätte gerne etwas für sie getan, egal was auch immer es gewesen wäre. Ja, selbst mit ihr geschlafen. Aber ich war in meinem Zustand viel zu egoistisch und fühlte nur meine eigenen Schmerzen und wie mir das Fieber den Kopf vernebelte.
Ich war froh, dass Steffi wieder nicht ärgerlich wirkte. Vielleicht ein wenig enttäuscht, aber nicht böse, denn sie küsste mich noch einmal auf die Wange, flüsterte mir ein "Entschuldigung" ins Ohr, kletterte wieder aus meinem Bett, griff nach ihrem T-Shirt und ging.
Es waren aber wohl weniger als dreißig Minuten vergangen, als sie schon wieder in meinem Zimmer stand. Ihr Shirt hatte sie entweder gar nicht erst wieder angezogen, oder es schon zuvor abgestreift. Fast nackt stand sie an meinem Bett, sah mich an und fragte "Darf ich mich nicht doch zu dir legen. Wir müssen ja nichts miteinander machen, aber ich kann nicht alleine sein." Sie wartete meine Antwort erst gar nicht ab, sondern schlug auch schon meine Bettdecke zurück und ehe ich es verhindern konnte, lag sie auch schon wieder neben mir.
"Steffi, bitte, bitte geh" flüsterte ich. "Ich möchte alleine sein. Ich bin nicht nur krank, ich schwitze wie ein Tier und ich fühle mich einfach schmutzig. Ich ekele mich vor mir selbst und kann es nicht ertragen, wenn du neben mir in meinem Schweiß liegst" versuchte ich ihr klar zu machen. Doch diesmal ließ sie sich nicht so einfach abschütteln. Sie beteuerte mir, dass ihr das nichts ausmachen würde, dass sie ja wieder die Bettwäsche wechseln könnte. Dass sie ja Krankenschwester sei und es ihr deshalb egal sei, neben einem Kranken zu liegen und dass ich mich auch nicht schämen müsste, nur weil ich schwitzen würde. Mit solchen und ähnlichen Einwänden, versuchte sie mich davon zu überzeugen, sie bei mir zu behalten.
Aber ich ertrug ihre Nähe wirklich nicht. Das hatte nichts mit ihr zu tun, denn ich ekelte mich vor mir selbst und glaubte durch all den Schweiß wie ein Iltis stinken zu müssen.
So stand ich auf und ließ Steffi einfach liegen. Schnell verließ ich den Raum, zog die Tür hinter mir zu und steuerte das nächstbeste andere Zimmer an. Ich hatte Glück, denn ich hatte eines der wenigen Zimmer erwischt, in dem noch ein Schlüssel im Türschloss steckte, den ich sogleich hinter mir umdrehte. Dann legte ich mich auf das unbezogene Bett und spürte endlich so etwas wie Erleichterung.
Es dauerte nicht lange und ich sah, wie von außen die Türklinke runtergedrückt wurde. Dann klopfte es zaghaft und ich hörte, wie Steffi meinen Namen flüsterte. Doch ich antwortete nicht und nach einigen Minuten blieb es still.
Ich musste wohl doch eingeschlafen sein, denn ich erwachte dadurch, dass mir das Sonnenlicht, welches durch das Fenster drang, schmerzhafte Blitze hinter meinen Augäpfeln verursachte.
Ich stand auf, drehte den Schlüssel im Schloss herum und trabte Richtung Dusche, wo ich mir von dem herabprasselndem Wasser die Nacht herunterspülen ließ.
Dann ging ich hinüber in mein Zimmer. Steffi hatte das Bett wieder ordentlich bezogen. Selbst meine Kleidung hatte sie akkurat auf dem Bett zurechtgelegt. Bei diesem Anblick empfand ich plötzlich so etwas wie überwältigende Zärtlichkeit für sie und ich fragte mich, ob ich wohl am vergangenen Abend sehr gemein zu ihr war.
Schnell streifte ich mir die Kleidung über und verließ das Zimmer.
Steffi saß auf der Terrasse. Neben ihr auf dem kleinen hölzernen Tisch lag ein aufgeschlagenes Buch und gleich daneben stand eine dampfende Tasse Kaffee.
Sie schaute auf "Hallo, geht es dir ein wenig besser?", "Ein wenig," log ich und setzte mich ihr gegenüber.
"Siehst du, die Resochin haben dir doch geholfen, hab ich doch gleich gesagt."
Ich schwieg und nickte nur bestätigend. Dass ich ihre Tabletten genauso entsorgt hatte, wie das Baguette und den Käse und bei meinem Lariam geblieben war, verschwieg ich lieber. Resochin hatte ich zuvor schon als Prophylaxe eingenommen und wie man sah, es hatte nichts genutzt. Aber ich wollte Steffi nicht schon wieder enttäuschen und ließ sie in dem Glauben, dass mir ihre Tabletten geholfen hatten.
Steffi sprang auf, holte mir eine Tasse Kaffee, die ich dankbar entgegennahm, dann setzte sie sich wieder mir gegenüber und wir redeten.
Über was wir sprachen, daran kann ich mich nicht erinnern. Nur über die vergangene Nacht sprachen wir nicht. Nicht weil uns das peinlich war, sondern weil es nichts darüber zu sagen gab und wir beide wohl nicht so dumm waren, dieses nicht auch zu erkennen.
Ich bin kein Psychologe, aber ich habe viel erlebt in meinem Leben und ich weiß, wenn ein Mensch sich in einer extrem emotionalen Situation befindet, sehnt er sich oft nach körperlicher Nähe. Nach Zärtlichkeit, der Illusion von Liebe, nach Berührungen und Sex.
Ich hatte das schon öfter erlebt und wusste, auch wenn ich es nicht erklären konnte, so war es normal. Wir Menschen, egal ob Mann oder Frau, sind viel zu emotionale Wesen, als das wir uns dagegen zur Wehr setzen könnten und ich glaube, wir sollten es auch nicht.
Etwa sechs Monate später verließ Steffi wirklich für immer das Land.
Auch wenn wir uns nie oft über den Weg liefen, verband uns eine ungewöhnliche Freundschaft.
Als wir uns das letzte Mal sahen, erzählte sie mir, dass sie sich auf einem Frachtschiff eine Kabine gemietet hatte. Von Lomé in Togo würde die Fahrt nach Deutschland über einige andere Länder führen und insgesamt drei Monate dauern.
Sie würde diese Zeit brauchen, um endgültig Abschied zu nehmen und um in ihr neues Leben in Deutschland behutsam hineingleiten zu können.
Ich gebe zu, ich beneidete und bewunderte sie für ihren Entschluss auf diesem Frachter anzuheuern.
Ich fragte sie nach ihrem Mann und sie erzählte, er würde nachkommen und in Deutschland, da würde bestimmt alles anders und besser werden.
Ich glaubte nicht daran. Trotzdem nickte ich.
Texte: Ralf von der Brelie
Cover: Ralf von der Brelie
Tag der Veröffentlichung: 11.04.2022
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