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Heiderocker

 

 

 

 

 

Kochen und ich sind zwei Dinge, die sich niemals so richtig einig werden konnten und deshalb schon vor langer Zeit beschlossen, lieber getrennte Wege einzuschlagen.

Nun, das soll aber nicht bedeuten, dass ich überhaupt nicht kochen kann, denn meine Bratkartoffeln sind ohne Zweifel die besten der Welt!

Nein, ich übertreibe nicht. Wirklich nicht!

Wer noch niemals in seinem Leben meine Bratkartoffeln kostete, dessen Leben ist leer und sinnlos. Das schreibe ich hier und an dieser Stelle nicht einfach so dahin und schon gar nicht, um mich und meine Kunst übertrieben zu beweihräuchern, denn Bescheidenheit wäre hier nur fehl am Platz.

Nein, wirklich und wahrhaftig, jeder der noch niemals in den Genuss meiner Bratkartoffeln gelangte, dessen Leben ist es nicht wert, gelebt zu werde.

Es ist einfach nur dem Umstand zu verdanken, dass die meisten Menschen auf der Welt niemals in diesen Genuss kommen und kamen. Nur deshalb und weil die allermeisten auf unserem Planeten nicht einmal ahnen, was ihnen zu einem erfülltem Leben eigentlich fehlt, vermissen sie den Genuss meiner Bratkartoffeln auch nicht, denn was man nicht kennt, das kann man auch nicht vermissen.

Meine Bratkartoffeln schmecken einfach wie ... ja, wie beschreibt man Geschmack?

Wie der Tau an einem Sommermorgen. Wie die aufgehende Sonne über dem Meer. Wie Schmetterlinge auf blühenden Blumen. Wie die Berührung einer zärtlichen Hand, die einem Schauer über die Haut jagt, wie ... tja, wie soll ich es beschreiben, mhm, ja, meine Bratkartoffeln, also die sind einfach mmmmhhhhhmmmmmm unheimlich lecker!

 

Was aber tun, wenn man weder Kartoffeln, noch sonst irgendetwas hat?

Da ist es echt nicht so einfach, um nicht zu sagen, schlicht unmöglich, den hungrigen Magen zu füllen.

So erging es mir und meinen Freunden vor einigen, na ja, eigentlich muss ich sagen, vor vielen Jahren.

 

Schon in ein paar meiner anderen Erzählungen habe ich über die Monotonie des Dorflebens berichtet. Sofern in dieser Eintönigkeit überhaupt mal etwas Berichtenswertes vorkam - manchmal geschah das nämlich, wenn auch viel zu selten. Wenn also etwas passierte, was auch nur annähernd Erwähnenswert ist, dann waren es meistens nur kleine Dinge, die in ihrer Bedeutung so ein geringes Ausmaß hatten, dass es eigentlich schon an Papierverschwendung grenzt, diese überhaupt niederzuschreiben.

Aber das Papier liegt nun einmal vor mir und grinst mich weiß und blöde an. Was soll ich also anderes tun, als die Seiten zu füllen und wenn es auch nur ist, um den leeren weißen Blättern ihr blödes Grinsen aus zutreiben?

So erzähle ich euch jetzt also die Geschichte unseres Hungers.

Eine Geschichte in der nicht viel passiert, die eigentlich deshalb auch nicht aufgeschrieben werden müsste, nicht wirklich lesenswert ist und niemals einen Platz in den Bibliotheken der Welt finden wird und die eigentlich sowieso niemanden interessiert - Nicht einmal mich.

Und bevor du und du und du dahinten auch, nun weiter lest, so gebe ich euch gleich von vornherein den Tipp, lasst es einfach bleiben!

Nehmt diese Blätter, legt damit den Boden eures Vogelkäfigs aus, dann freut sich vielleicht wenigstens der Wellensittich. Oder faltet die Seiten ganz klein zusammen, schiebt sie dann unter den Küchen oder Wohnzimmertisch und schon wackelt dieser nicht mehr. Macht also damit, was ihr wollt, aber lest sie nicht!

 

 

Ihr seid immer noch hier?

Selbst schuld!

Hier gibts nichts zu sehen, nichts zu lesen, nichts zu ....

Aber na ja, wenn ihr schon mal da seid.

Also wie soll ich anfangen?

Der Beginn einer Geschichte ist immer das Schwerste und so fange ich am besten so an, wie viele Geschichten beginnen ...

 

... Es war einmal vor vielen Jahren, in einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide, da lebten ein Haufen Jugendlicher und wussten nichts mit sich anzufangen, was nicht der Ausnahme, sondern der Regel entsprach.

Doch zu ihrem Unglück, ein langweiliges Leben führen zu müssen, gesellte sich ein Quäntchen Glück, denn wie es der Jahreszeit gerade so gefiel, war es Sommer. Genauer gesagt, Juli oder August und, das könnt ihr glauben, es war ein verdammt heißer Sommer. Schon am frühen Morgen war die Luft schwül und drückend und fühlte sich an, als würde man unter einer schweren Wolldecke leben (diesen Vergleich mit der Wolldecke habe ich schon in einer anderen Erzählung verwendet, aber vermutlich war es derselbe Sommer, ergo auch dieselbe Wolldecke).

Die anderen Menschen im Dorf hatten sich, sofern sie konnten, in ihre Häuser verzogen und hofften auf den Abend, der vielleicht ein wenig Abkühlung bringen würde.

Selbst die Tiere auf den Wiesen und Feldern drückten sich unter den wenigen herumstehenden Bäumen im Schatten herum, oder lagen einfach so da und dösten.

Die Einzigen, denen diese Hitze nichts auszumachen schien, waren diese Jugendlichen. Denn anstatt es allen anderen gleichzutun, zogen sie, wenn auch immer noch gelangweilt, durch die Straßen, krakeelten ein wenig herum, wenn auch nicht ganz so laut wie an etwas kühleren Tagen und taten so, als würde ihnen das Dorf ganz alleine gehören.

Schließlich aber trafen sie sich dort, wo sie sich immer trafen, also gleich hinter dem Allerdamm. Legten sich ins schon leicht vertrocknete Gras und sinnierten über die Möglichkeiten, die ihnen das Leben zu bieten hatte. Sie redeten also über Mädchen, Autos, Musik, Fußball und Alkohol. Dinge also, die durchaus dazu in der Lage waren, dass Leben gleich viel weniger langweilig erscheinen zu lassen. Doch das, was sie da so von sich gaben, war leider rein hypothetischer Natur, denn Mädchen gesellten sich nur selten zu ihnen, Autos gleich gar keine, für Fußball war es zu heiß und für Musik fehlte der Kassettenrekorder. Ein wenig konnten sie sich allerdings trösten, denn zumindest hatten sie ein paar Flaschen Bier ergattert, wenn ich auch nicht weiß, woher, obwohl ich es eigentlich wissen müsste, denn ich war dabei.

So lagen also diese Jugendlichen im dürren Gras, kauten an Grashalmen, nuckelten an Bierflaschen und gaben weise Worte von sich, oder das, was sie dafür hielten.

Ich kann mich nicht mehr ganz genau erinnern, wer alles da im Gras lag, aber auf jeden Fall war Locke dabei, denn dieser wird in meiner kleinen Geschichte noch mehrmals auftauchen. Dann kann ich mich auch noch an Falte und Stürmer erinnern und natürlich war auch ich, der Lange, anwesend. Sonst könnte ich das Erlebte ja jetzt auch nicht aufschreiben. Ein paar andere müssen auch noch da im Gras herum gelegen haben, denn wir waren zu sechst. Zumindest das weiß ich noch mit Sicherheit.

Wir gammelten also, wie so oft, hinter dem Allerdamm herum und wussten nicht viel mit uns anzufangen. Die wirklich bedeutenden Themen, also Mädchen, Autos, Fußball, Alkohol und Musik, gaben bald schon nichts mehr her und so kehrte ungewöhnliche Stille ein. Nur das Zirpen der Grillen war noch zu hören und ich stocherte mit einem Stück Holz im Gras herum und ärgerte ein paar Ameisen, die sich sicher verlaufen hatten.

Wer dann auf die Idee kam, kann ich nicht mehr sagen, nur das ich es nicht war, weiß ich gewiss. Jedenfalls hieß es irgendwann "Lasst uns doch am Wochenende alle zum Zelten fahren!"

Ich war dagegen, denn ich hasste Zelten. Meine Widerworte interessierten aber niemanden und so wurde ich ziemlich schnell überstimmt und die Sache war abgemacht.

Tja, und da das Wochenende sowieso unmittelbar bevorstand, wurde umgehend mit der Planung unseres Ausflugs begonnen.

Übrigens, dass das Wochenende unmittelbar bevorstand, lässt keine Rückschlüsse darauf zu, an welchem Tag wir da alle so gelangweilt im Gras lagen, denn bei uns stand das Wochenende immer und grundsätzlich unmittelbar bevor, denn die Wochenenden waren die einzigen Tage, die für uns wirklich zählten.

Es war also abgemacht - wir würden am Samstag Zelten fahren.

Endlich hatten wir wieder Gesprächsstoff, denn sobald unser Wochenendprogramm stand, begannen wir auch schon mit der verbalen Vorbereitung.

Zelte hatten wir genug. Der Punkt konnte also schon einmal abgehakt werden. Unsere Mofas müssten wir noch tanken und wir mussten Geld besorgen.

Geld war immer ein Problem in unserer Clique, denn wir hatten nie welches.

So kramte dann jeder in seinen Hosentaschen herum und alle erwarteten hoffnungsvoll das Ergebnis dieser Expedition.

Was folgte, war einhellige Ernüchterung, denn all zu viel bekamen wir nicht zusammen - ein bisschen Indianergeld, wie wir damals das klimpernde Kleingeld nannten und zwei kleinere Scheine. Das war alles.

Na ja, irgendwie würde es schon reichen, denn schließlich, irgendwie hatte es immer gereicht.

 

Am darauffolgendem Samstagvormittag trafen wir uns also bei mir, direkt vor der Haustür.

Die Mofas waren getankt, Zelte und Klamotten auf den Gepäckträgern gestapelt und es hatte auch niemand vergessen, vor unserer Fahrt noch einen ordentlichen Schuss Rizinusöl in den Tank zu kippen.

Rizinusöl?

Ich weiß nicht, wer zuerst auf diese, so im Nachhinein eigentlich ziemlich bekloppte Idee gekommen war. Aber seit geraumer Zeit mussten unsere Mofas unbedingt auch mit Rizinusöl betankt werden. Wir fanden das cool, denn die Karren qualmen und stinken dadurch, als würden sie direkt aus dem Höllenfeuer kommen.

Für die Motoren war das vielleicht nicht so toll, was aber sowieso keine Rolle spielte, denn diese waren bis zum geht nicht mehr hoch frisiert und liefen deshalb sowieso schon an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit.

Wir standen also alle mit unseren Mofas vor meiner heimatlichen Tür herum, kramen noch einmal unser Geld hervor, nur um enttäuscht feststellen zu müssen, mehr war es nicht geworden.

Es galt also genauestens zu überlegen, was wir mit dem wenigen Barvermögen anstellen, um über das Wochenende zu kommen.

Wir brauchten was zu essen und auf jeden Fall benötigten wir dringend jede Menge Bier.

Die Diskussion verlief kurz, aber erfolgreich, denn schnell waren wir uns einig darüber, dass man das Wenige, was man aß, auch trinken könnte und es doch viel besser war, unser zusammen gekratztes Vermögen lieber in flüssige Nahrung umzusetzen.

Wir steuerten also den nächsten Supermarkt an, versorgten uns mit dem Nötigen und unsere Reise konnte beginnen.

Knatternd und qualmend ließen wir schon bald unser Dorf hinter uns. Unsere Maschinen schluckten ohne Murren den Asphalt unter uns und so, nach vier oder fünf Kilometern, hatten wir unser Ziel, eine kleine Lichtung, umgeben von dichtem Kiefernwald auch schon erreicht.

Unsere Reise war kurz, zugegeben, aber unsere Tanks und das nicht vorhandene Bargeld, gaben halt nicht mehr her und schließlich, es konnte doch egal sein, ob man nun vier oder vierhundert Kilometer fuhr, wenn man sowieso nur auf der Suche nach einem stillen und ungestörten Plätzchen war. Und diesen hier, unweit unseres Dorfes, hatten wir in der Vergangenheit schon des öfteren mit unserer Anwesenheit beehrt.

 

Schnell waren die Zelte aufgebaut und ebenso schnell das Lagerfeuer vorbereitet, dessen Flammen bald so hoch schlugen, dass sie fast die Wipfel der Bäume berührten.

Ein wenig Sorgen machten wir uns ja zu Beginn noch, dass unser Feuer vielleicht einen Waldbrand auslösen könnte. Aber sobald die ersten Kronkorken knallten, wurden mit den ersten Schlucken auch diese Befürchtungen heruntergespült.

Tja, über diesen Tag und die darauffolgende Nacht ist nicht mehr zu berichten. Dem Inhalt der Bierflaschen wurde gemeinschaftlich zu Leibe gerückt und seiner Bestimmung zugeführt und als dann irgendwann die Nacht hereinbrach, dauerte es nicht lange und aus der Lichtung drang lautes Schnarchen, welches dazu geeignet war, jedes umherstreifende Wildschwein in die Flucht zu schlagen.

 

Der Morgen danach war, mhm, wie soll ich es beschreiben - so als würde ich aus einem kalten, undurchdringlichen Nebel auftauchen.

Kalt war es wirklich und der Nebel entsprang wohl eher meinem Geist, der noch nicht bereit war Teilnehmer dieser Welt zu sein und sich mit heftigen Kopfschmerzen dagegen zur Wehr setzte.

Meinen Freunden ging es nicht anders. Wir alle rappeln uns nur mühsam auf, hatten durch die Bank einen furchtbaren Kater, waren uns aber einig darin, gestern eine gute Party hingelegt zu haben.

Eher träge und herzzerreißend gähnend entzündete einer von uns das verloschene Lagerfeuer. Doch anders als noch am vergangenen Abend, konnte dieses unsere Stimmung auch nicht wirklich aufheitern und so saßen wir, jeder mit seinen ganz eigenen Kopfschmerzen beschäftigt, ziemlich wortkarg eine Weile um dieses herum.

Schließlich brachte es einer von uns endlich fertig, seinen Mund aufzumachen und es damit auch gleich auf den Punkt zu bringen, in dem er klagend verlauten ließ "Ich habe Hunger!"

Wir auch!

Früher Sonntagmorgen, arschkalt, unsere Mägen knurrten und keiner hatte Geld.

Es war wohl doch nicht so eine gute Idee von uns gewesen, unser nicht vorhandenes Essen gegen Bier zu tauschen, denn der Gedanke sich jetzt, mit heftigem Kater, eine Flasche davon aufzureißen, verursachte bei allen nur Übelkeit.

Aber schließlich befanden wir uns mitten im Wald. Da müsste also doch was zu machen sein!

Vielleicht könnten wir ja irgendein Tier jagen und über unserem Lagerfeuer grillen. Vielleicht einen Hasen, der dann, gut ausgenommen, schon bald herrlich duftend, am Spieß seine Runden drehen würde. Knusprig braun von außen, zartes weißes Fleisch von innen. Fleisch, so wohlschmeckend, das der Gaumen während des Essens Frühlingslieder zu trällern beginnen würde.

Ich holte schon einmal einen der herumliegenden dickeren Äste und begann mit meinem Taschenmesser einen Spieß zu schnitzen. Allerdings ahnend, dass sich darauf niemals ein Haase einfinden würde, geschweige denn irgendein anderes Tier.

Aber man könnte ja mal schauen, was der Wald sonst noch so hergab.

Wenig euphorisch brachen wir in verschiedene Richtungen auf und schon bald konnte man einen Haufen Jugendliche durch den Wald brechen hören.

Unsere Ausbeute hingegen war eher kümmerlich: Ein paar halb vertrocknete Pilze und eine Handvoll Blaubeeren, die es irgendwie geschafft hatten, in der Hitze der vergangenen Wochen ihr Aroma zu bewahren.

Da die Pilze, die, zum Teil sowieso schon wurmstichig, uns die Frage danach, ob sie überhaupt essbar waren, partout nicht beantworten wollten, landeten sie im Lagerfeuer. Die Blaubeeren hingegen wurden gerecht aufgeteilt, was aber unseren Hunger nicht wirklich vertreiben konnte.

Wieder saßen wir demotiviert um unser Lagerfeuer herum und verfluchten die Welt, die so schlecht zu uns war.

Dann kam Locke, meinem bis heute besterm Freund, ein Gedanke.

Schnell wühlte er seine Brieftasche hervor, in der sich, wie wir alle wussten, auch kein Geld mehr befand. Einen Augenblick kramte er in dieser herum, bis er einen kleinen Zettel triumphierend über seinem Kopf hin und her schwenkte. Diesen faltete er dann vorsichtig auseinander, betrachtete ihn einen Moment und meinte dann breit grinsend "Ein Barscheck!"

Flugs wurde Locke von uns allen umkreist und jeder starrte auf diesen kleinen Zettel. Tatsächlich, ein Barscheck über 500 DM!

Einen Moment lang brachte dieser Anblick unsere Stimmung wieder auf Hochtouren. Bis irgendeiner meinte "Heute ist Sonntag, den kannste nirgends eintauschen!"

Und als wenn dieses noch nicht ausreichte, um uns wieder runterzuziehen, meinte ein anderer "Außerdem, der ist schon vor fast zwei Wochen ausgestellt worden, da kriegste nichts mehr für."

 

Jetzt muss man wissen, Locke war der Einzige von uns, der schon voll im Berufsleben stand. Er arbeite bei uns im Dorf in einem Straßenbaubetrieb, welcher eigentlich schon seit längerer Zeit vor der Pleite stand und seinen endgültigen Untergang nur dadurch zu verhindern wusste, in dem er, schon seit geraumer Zeit, nur noch sporadisch Löhne zahlte.

Die Arbeiter wurden eins ums andere Mal vertröstet und kam es dann doch einmal zum Aufstand und einer damit verbundenen Arbeitsniederlegung, tauchte irgendjemand aus der Buchhaltung auf, zahlte jedem ein paar hundert DM aus, oder drückte einem jeden der murrenden Arbeiter einen Scheck in die Hand.

Dieses geschah bevorzugt Freitag Nachmittag, so das keiner der Beschäftigten vor dem Wochenende noch zur Bank konnte, um enttäuscht festzustellen, dass diese Schecks in schöner Regelmäßigkeit platzen.

So hatte Locke dann zwar diesen Scheck vor ein paar Wochen eingesteckt, ahnte aber, dass er dafür kein Geld bekommen würde, und hatte deshalb auch gar nicht erst versucht, dieses zu erhalten. Deshalb steckte dieser Scheck nun immer noch in seiner Brieftasche.

Nun, Locke ließ sich durch die aufmüpfigen Kommentare seiner Freunde nicht beirren und meinte Siegesgewiss "Willi hat auf, Willi hat immer auf und der wird mir schon Kohle dafür geben."

Willi war der Besitzer unserer Stammkneipe und mit einem hatte Locke recht, diese hatte immer auf.

Was aber nichts daran änderte, dass der Scheck schon ein paar Wochen alt war und, da waren wir uns einig, auch Willi für diesen keine Kohle rausrücken würde.

"Den Wisch kannste wegschmeißen, glaub mir!" meinte einer von uns.

"Ach Quatsch!" antwortet Locke "Wir müssen nur das Datum ein bisschen ändern. Guckt mal, der Monat stimmt doch, nur den Tag müssen wir frisieren. Das kann doch nicht so schwer sein", damit schaute er in die Runde und fragte schließlich "Hat einer von euch einen Kugelschreiber dabei?"

Dieser war schnell gefunden und so setzte sich Locke vor uns in den Schneidersitz und begann auf dem Scheck herum zu malen. Einen Augenblick später wedelte er wieder mit diesem in seinen Händen herum, reichte mir ihn dann rüber und meinte "Schau mal, sieht doch fast gut aus."

Ein kurzer Blick von mir und ich antwortete mit einem "Aber nur fast."

"Lass mal sehen", rief Falte und riss mir den Scheck aus der Hand. "Ne, das fällt doch auf, gib mal den Stift rüber!" forderte er Locke auf, der ihm diesen dann auch sofort zuwarf.

Nun machte Falte sich mit zwischen den Zähnen hervor gepresster Zunge daran, dem Scheck, beziehungsweise den Zahlen darauf, ein glaubhaftes Erscheinungsbild zu verpassen. Einen Moment betrachtete er sein Kunstwerk und gab dieses dann an den Nächsten weiter: "Siehste, das ist jetzt echt besser!"

Doch der Nächste, wer auch immer das war, war nicht so wirklich überzeugt und meinte nur "Gib mir mal den Kuli!"

So ging der Scheck von einer Hand zur nächsten und mit diesem auch der Kugelschreiber. Bis ich ihn selbst wieder in die Hand bekam. Auf dem Scheck prangte nun, neben all den anderen Zahlen und Buchstaben, eine fette Elf, und, wie man unschwer erkennen konnte, war auch versucht worden, diese Elf durch andere Zahlen zu ersetzen. Wortlos reichte ich den Wisch an Locke zurück und meinte, wir sollten es vielleicht doch lieber mit der Hasenjagd versuchen.

Doch schon wieder wurde ich überstimmt und so sattelten wir gleich darauf unsere Gefährte und knatterten Richtung Dorf.

 

Gut, dass unser Ausflug uns nicht allzu weit gebracht hatte. So parkten wir unsere Karren schon bald darauf vor dem Heidegrill. Ein Etablissement, das schon ein wenig heruntergekommen war und dessen neuer Anstrich auch nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass es seine Zeit schon vor Jahren überschritten hatte. In dem man aber überraschend gut essen konnte, denn Willi war ein ausgezeichneter Koch.

Das Scheppern einer Glocke kündigte unser Eintreten an, als wir die Tür der Kneipe auf stießen. Irgendwo, aus einem der hinteren Räume, kam Willi freudestrahlend hervor geschossen. Seine Miene, aufgesetzt, weil er zahlende Kundschaft erwartet hatte, verfinsterte sich ein wenig, als er sah, dass nur wir es waren. Leute also, die so gut wie nie Geld in die Kasse brachten.

Sein Laden war jetzt, am Morgen, noch leer und so ließ sich Willi dazu herab, uns trotzdem freundlich zu begrüßen "Na Jungs, so früh schon auf den Beinen?"

Willi war ein kleiner untersetzter Typ, dessen Gesicht immer rot glänzte und Zeuge davon war, dass er sich selbst ganz gerne mal einen hinter die Binde goss. Das einzige Imposante an ihm, war sein mächtiger Schmerbauch, den er wie eine Kugel vor sich hertrug und auf den er sich gerne und oft mit der flachen Hand schlug und dabei mit dröhnendem Lachen die Weisheit von sich gab: "Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel!" Ein Spruch, so alt und vermodert, dass nur er selbst diesen noch witzig und originell fand.

Bis vor ein paar Monaten hatte Willi sogar eine Freundin gehabt, die, ausnehmend hübsch, das Geschäft ordentlich angekurbelt hatte und ihn seinem Traum, einmal eine ganze Imbisskette zu besitzen, ein Stückchen weiter brachte. Die dann aber irgendwann ihre Koffer packte und von jetzt auf sofort und ohne Ankündigung verschwand und mit ihr verschwand auch Willis Erspartes.

Ich war mit Willi nie richtig warm geworden, wusste aber, Locke konnte ziemlich gut mit Willi. Die beiden waren schon fast sowas wie Kumpel und so ließ ich Locke gerne den Vortritt.

Dieser zögerte auch nicht lange, stützte sich mit einem Arm auf die Theke und erzählte so, dass es möglichst beiläufig klang "Also Willi, äh, ich hab da ein kleines Problem. Ich bin nämlich nicht zur Bank gekommen, hab da aber einen Scheck und wollte mal fragen, ob du mir den nicht einlösen kannst?"

Willi kniff erst mal ein wenig die Augen zusammen und schien zu überlegen, ob er nun auf irgendeine Art reingelegt werden sollte, antwortet dann aber auffordernd mit "Zeig mal her!"

Locke kramte seine Brieftasche wieder hervor und schob Willi schließlich den Scheck über den Tresen.

Willi betrachtete diesen einen Moment lang, drehte ihn dann ein paarmal zwischen den Fingern, kniff wieder seine Augen zusammen und schob schließlich den Scheck mit einem Grinsen wieder in Richtung Locke "Nee" meinte er dann nur und setzte dann noch ein "Den kannste wegschmeißen!" hinterher.

"Scheiße!" sagte nun Locke "Wir haben nämlich echt Kohldampf, musste wissen."

Willi schaute ein Weilchen in die Runde, kratzte sich dann am Kinn und fragte dann "Was wollt ihr denn haben?" und fast, als hätte er es im selben Augenblick auch schon wieder bereut: "Aber nur ausnahmsweise und nur weil ihr es seit!"

Willi war halt doch ein Prachtkerl! Auch wenn ich ihn eigentlich nicht mochte.

Bald schon saßen wir draußen unter der Sonne an kleinen, wackligen Tischen, schaufelten Pommes in uns hinein und mampften Hamburger und ich schwöre, es waren die besten Hamburger, die ich je in meinem Leben gegessen habe.

Impressum

Texte: Ralf von der Brelie
Cover: Ralf von der Brelie
Tag der Veröffentlichung: 13.01.2022

Alle Rechte vorbehalten

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