Es war ein wunderschöner Sommertag im August, als Mitsou erwachte, weil ihr ein verirrter Sonnenstrahl keck auf der Nase herumtanzte und sie deshalb laut niesen musste. Eilig sprang das kleine Mädchen aus dem Bett und lief mit nackten Füssen durch ihr kleines Zimmer. Gestern Abend hatte sie noch gedacht, dass sie vor lauter Vorfreude nicht einschlafen würde können und dann war sie doch eingeschlafen. Erst der Sonnenstrahl, welcher sich durch die sanft im leichten Sommerwind bewegenden Gardinen in ihr Zimmer geschlichen hatte und sie zärtlich aus ihren Träumen riss, hatte sie wieder daran erinnert, dass heute ihr Geburtstag war.
Mitsou stürmte in die Küche. Dort war gerade ihre Mutter dabei, ein Reisbällchen in ihren Händen zu formen und dieses, nachdem sie damit zufrieden war, zu den anderen Bällchen auf das hölzerne Brett zu legen. Dort wartete bereits eine ganze Reihe anderer darauf, endlich in den Backofen wandern zu dürfen.
"Guten Morgen Mama!", rief Mitsou. "Guten Morgen mein Schatz", antwortete lächelnd ihre Mutter. "Du bist schon auf?", fügte sie fragend hinzu, wusste aber doch ganz genau, warum es ihre kleine Tochter nicht länger im Bett ausgehalten hatte. "Kuck mal“, meinte sie dann, "ich glaube, da hat irgendwer wohl etwas bei uns vergessen. Aber vielleicht hat er es auch überhaupt nicht vergessen, sondern mit Absicht dagelassen. Schau doch mal dort hinten auf der Kommode nach."
Sofort löste sich Mitsou von ihrer Mama und stürmte auch schon los. Ihre nackten Füßchen tapsten geschwind über den Küchenboden. Ihr Nachthemd wirbelte dabei um ihren kleinen Körper herum.
"Oh Mama!", rief sie dann voller Freude. "Eine Puppe und schau mal, wie schön sie ist!"
Mama beugte sich herunter, ließ sich dann auf ihre Knie nieder und drückte ihre kleine Tochter fest an sich. "Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag mein Schatz. Möge dein Lächeln niemals der Traurigkeit weichen und dein Glück für ewig währen", damit küsste sie Mitsou sanft auf die Stirn.
"Darf ich hinaus und meiner Puppe ihr neues Zuhause zeigen?", fragte Mitsou ungeduldig, dabei die Worte ihrer Mutter kaum wahrnehmend.
"Natürlich darfst du das, aber zieh dir vorher etwas an", antwortete Mama mit leisem Lächeln.
Wenige Minuten später stapfte Mitsou auch schon mit ihrer neuen Puppe durch den kleinen Garten. "Hier, das sind die Kräuter, die Mama für das Essen braucht und das da vorne, musst du wissen, dort an dem Baum, das ist mein Lieblingsplatz," Während sie dies ihrem Spielzeug erzählte, ließ sie sich schon an dem knorrigen Stamm nieder.
Ganz oben am Himmel konnte sie ein fernes Brummen hören, aber selbst als Mitsou ihren Kopf in den Nacken und ihre kleine Hand vor der Sonne schützend an die Stirn legte, konnte sie nicht entdecken, woher dieses Brummen wohl herkommen mochte.
Einen kurzen Moment lang erschrak sie, als sie dort, ganz oben am Himmel einen plötzlich aufflammenden Blitz sah, welcher ihr fast das Augenlicht raubte ...
Hiroshima. 6. August 1945. 8:16 Uhr
200 000 Tote ist nur eine Zahl. Ein einzelner Mensch hingegen bekommt eine Seele.
Texte: Ralf von der Brelie
Cover: Ralf von der Brelie
Lektorat: Michaela Schmiedel/ Sandy Renee
Tag der Veröffentlichung: 24.04.2021
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Gegen das Vergessen