Ich habe alles richtig gemacht in meinem Leben. Ja, ich kann mir wirklich nur gratulieren!
Ich habe mir die Mühe gemacht, in dem richtigem Land und zur richtigen Zeit auf die Welt zu kommen, und damit meine Bemühungen nicht vergebens sind, habe ich ihnen noch gleich eines oben drauf gesetzt und mir das richtige Geschlecht ausgesucht.
Wenn schon denn schon!
So kann ich stolz auf mich sein, kann mir selbst wohlwollend auf die Schulter klopfen denn ich weiß, ich gehöre zu den Gewinnern!
Name: Ralf.
Geburtsort: Bundesrepublik Deutschland
Nationalität: Deutsch
Vorfahren: Namenlos viele, aber alle Deutsch
Hautfarbe: Weiß
Geschlecht: Männlich
Alter: 56
Nun ja, ein paar Dinge sollte ich vielleicht besser verschweigen. Mein Alter zum Beispiel - 56 Jahre. Damit gehöre ich schon fast zum altem Eisen. "Den Zenit hat er überschritten!" werden manche vielleicht behaupten und wahrscheinlich werden sie recht damit haben. Das ist ärgerlich und eine Entschuldigung dafür kann ich nicht vorbringen. "So ist das Leben" könnte ich erwidern. "Ach scheiße Alter, du hättest dich wirklich mehr anstrengen können!", "Du bist doch von gestern, sorry nein, von vorgestern wollte ich sagen!"
Ein Grufti, ne Mumie, oder wie auch immer das sich heute nennen mag. Ich bin da nämlich nicht mehr so ganz auf dem Laufendem über das, was gerade "in" ist. Ach ja doch, jetzt fällt es mir ein: Boomer heißt es wohl heute.
Boomer, klingt eigentlich nicht mal so schlecht. Jedenfalls nicht ganz so abwertend wie Grufti oder Mumie. Boomer - da gab es doch früher mal so eine Fernsehserie, die sich "Boomer" nannte. Über irgendeinen Hund und seine Abenteuer.
Na ja, das sollte ich wohl auch lieber verschweigen. Ich meine, dass ich diese Serie kenne, denn damit würde ich nur zugeben, das ich so alt bin wie, na ja, so alt wie ich halt bin.
Hätte ich nicht schon einen Job, ich würde keinen mehr finden. Zu alt, hieße es überall dort, wo ich die Dreistigkeit hätte, mich zu bewerben und hinter meinem Rücken würde man grinsend den Kopf über mich schütteln.
Ja, sorry, ich weiß es gibt keine Entschuldigung dafür. Trotzdem, ich entschuldige mich dafür, dass ich schon so alt bin. Klar, meine Entschuldigung ist wertlos, denn morgen werde ich noch älter sein. Aber ich entschuldige mich lieber jetzt, wo es noch Zeit ist und noch irgendwer da ist, der sich das anhören will.
Aber sonst, sonst habe ich wirklich alles richtig gemacht, das musst du doch zugeben.
Gut gut, ich habe vielleicht die falsche Frau geheiratet, eine die die falsche Farbe hat: schwarz, dunkel, People of colour. Ich weiß selbst nicht wie das, politisch korrekt, heißt. Meine Frau weiß es auch nicht und unsere, ähhm, nicht weißen Bekannten und Freunde haben auch keine Ahnung. Reine Ratlosigkeit.
Aber man will ja nichts falsch machen. Gerade jetzt, gerade in unserer Zeit will man auf keinen Fall etwas Falsches tun und auf gar keinen Fall will man etwas Falsches sagen. Ich auch nicht. Also bin ich vorsichtig und sage lieber nichts, als ausgerechnet etwas Falsches und deshalb entschuldige ich mich auch nicht dafür, das ich meine Frau geheiratet habe, und halte lieber meine Klappe. Denn sonst müsste ich erzählen, dass ich es aus Liebe tat und das wäre mir doch etwas peinlich, dich so tief in mich hineinschauen zu lassen. Außerdem müsste ich dir sagen das, als wir heirateten, nicht sie, sondern ich der Ausländer war, und dann würden wir anfangen, darüber zu diskutieren, und ich weiß jetzt schon, dass ich dabei den kürzeren ziehen werde. Schließlich, so höre ich dich argumentieren, Ausländer ist man ja nicht, weil man Ausländer ist. Ausländer ist man nur, wenn man anders als normal daherkommt. Recht hast du wohl, denn wer denkt bei Schweizern, Österreichern, Holländern, Dänen usw. schon an Ausländer. Ich habe keine Lust, mit dir darüber zu diskutieren, denn am Ende würde ich doch lieber meine Ruhe haben wollen und nachgeben. Der Klügere gibt ja bekanntlich immer nach, heißt es. Da muss etwas dran sein, denn weil die Klügeren immer nachgeben, sitzen die Dummen an der Macht. Aber das nur so ganz nebenbei. Ich jedenfalls halt lieber meine Klappe!
Ich habe eine Frau dritter Wahl geheiratet. Mhm, ich nehme meine Hand zur Hilfe, zähle an den Fingern ab - erste Wahl, zweite Wahl, dritte Wahl. Ich komme durcheinander, weil ich selbst nicht so genau weiß, wo ich mit dem Zählen ansetzen soll. Es scheint einfach. Eine deutsche, weiße Frau geheiratet zu haben wäre die erste Wahl gewesen. Bin aber wieder etwas ratlos und das schon zum zweiten Mal in diesem erst so kurzem Text. Eine deutsche weiße Frau wäre die erste Wahl für mich gewesen. Wenn man die Frau als Frau unter all den anderen Frauen dieser Welt betrachtet, mag das wohl richtig sein. Wenn man sie aber als Teil der Menschheit sieht, ist auch sie nur zweite Wahl. Die erste Wahl für mich wäre ein anderer Mann gewesen. Dann aber müsste ich schwul sein und das wiederum würde mich wohl selbst in einen Rang zurückwerfen, für den auch meine Finger nicht ausreichen, um ihn abzuzählen. Nicht einmal dann, wenn ich alle zehn zur Hilfe nähme.
Dabei bin ich als Mann doch so wertvoll, woran du erkennen kannst, zumindest da habe ich alles richtig gemacht.
Klar, auch ich bin für Gleichberechtigung. Ich habe sogar ein paar Texte verfasst, in denen ich meine Einstellung dazu niederschrieb. Gut das ich das getan habe, so kann ich jederzeit darauf hinweisen und mit gutem Gewissen verkünden, dass ich ein Alibi habe. Auch die meisten anderen Männer, die ich so kenne sind für die Gleichstellung der Frau. Zumindest für die Frauen, die wohlgeformte Brüste, hübsche Beine und einen strammen Hintern haben. Ist ja zumindest schon mal ein Anfang, finden zumindest sie, die Männer.
„Feminismus existiert nur, um hässliche Frauen in die Gesellschaft zu integrieren“ meinte Charles Bukowski. Nein, meinte er nicht, denn dieses Zitat stammt nicht von ihm, sondern von Radio Eins Berlin, die es dann Charles Bukowski angedichtet haben. Zwar nicht aus reinem Selbstzweck, sondern um damit zu provozieren und bei ihren Zuhörern und Zuhörerinnen eine Reaktion heraufzubeschwören (was im übrigen gut geklappt hat). Aber der arme Charles muss es nun ausbaden und das noch über seinen tot hinaus.
Jedenfalls, ich bin da ganz anders. Ich nehme Frauen nicht nur als Sex Objekt wahr. Das sage ich jetzt mal so. Muss man(n) ja sagen, dass gehört sich einfach. Ich habe sogar die Petition unterschrieben, als es darum ging die Mehrwertsteuer für weibliche Hygieneprodukte zu senken, die bis dahin mit 19 % besteuert wurden, also so wie Luxusgüter. Gut, Kaviar und Trüffel wurde schon immer nur mit 7% besteuert, was sicher daran liegt, dass Männer nun einmal mehr Kaviar und Trüffel, als Tampons kaufen. Aber auch das nur so am Rande.
Jetzt gerade wird wieder mobil gemacht. Dafür das Hygieneprodukte für Frauen grundsätzlich, aber zumindest in öffentlichen Einrichtungen, frei erhältlich sind. Ich bin dafür. Schließlich erwarte ich auch auf jeder öffentlichen Toilette und auf den Klos meines Arbeitgebers immer ausreichend Hygieneprodukte, sprich Toilettenpapier und Handtücher. Ja, ich bin dafür und lese die Kommentare vieler meiner Geschlechtsgenossen unter dieser Forderung und bekomme das Kotzen!
Ich habe mich auch gefreut, als sich in Argentinien Frauen weinend in die Arme fielen, weil sie das recht auf Abtreibung erstritten hatten.
Ja, ich habe mich wirklich gefreut. Schließlich, ich bin ein wohlwollender, moderner Mann. Es fällt mir leicht, mich zu freuen oder irgendeine Petition zu unterschreiben. Auch irgendeinen Text zu verfassen, in der ich meine Ansichten zur Gleichstellung zwischen Frau und Mann kundtue, fällt mir leicht. Es fällt mir leicht, weil ich ein Mann bin und um nichts kämpfen muss.
Ich nahm es auch hin, wenn ich mich früher um irgendeine Arbeitsstelle bewarb und nicht genommen wurde, denn ich wusste, dass mein Geschlecht nicht schuld an dieser Ablehnung war. Ich nehme es auch hin, dass ich als Mann, alleine in die nächste Kneipe gehen kann, mir ordentlich die Kante geben und anschließend noch damit angeben könnte. Ich nehme es auch hin, dass ich jede x beliebige Frau anbaggern kann, ohne das mein Ruf darunter leiden würde. Auch das ich, als Mann, besser Autofahren kann, nehme ich hin. Auch wenn die Unfallstatistiken und sämtliche Verkehrswissenschaften etwas anderes sagen. Aber, wie uns die Querdenker in den letzten Monaten ja beizubringen versuchten - Wissenschaft ist nur Ignoranz vor der Realität.
Es ist auch selbstverständlich für mich, dass mir niemals irgendwer vorwerfen wird, ich wäre zickig oder schlecht gelaunt, weil ich wohl gerade "meine Tage" hätte.
Ich nehme es einfach so hin, dass ich als Mann mehr Rechte als Frauen habe und wenn ich darauf von irgendeiner Frau angesprochen werde, kann ich immer noch behaupten, ich selbst bin ja ganz anders und das unsere Gesellschaft nur Schuld daran trägt. Na ja, und wenn sie dann erwidern wird, dass ich schließlich ein Teil unserer Gesellschaft bin und damit auch ein Teil des Problems, kann ich immer noch damit kontern "Ach, du bist echt zickig, hast wohl gerade deine Tage was?"
Ja, ich habe alles richtig gemacht und bin als Mann auf die Welt gekommen und nicht nur einfach als Mann, nein, als weißer, deutscher Mann.
Weiß ist sowieso eine gute Farbe. Weiß ist die Farbe der Vorherrschaft. Weiß ist zivilisiert und klug. Als Weißer wird man ernst genommen, als weißer Mann sowieso.
Weiß ist die Farbe der Freiheit. Aber Freiheit natürlich nur für uns selbst, die wir weiß sind. Denn Weiß ist auch die Farbe der Kolonialherrschaft und der Unterdrückung.
Als Weißer muss man nicht aus einem brennendem KZ, äh, Entschuldigung, ich meinte natürlich Auffanglager, flüchten. Man muss sich auch keine Sorgen darüber machen, das die eigenen Kinder mit Tränengas und Wasserwerfern beschossen werden und nicht zuletzt ersäuft man auch nicht so schnell im Mittelmeer.
Ja doch, weiß ist eine richtig gute Farbe, das musst du doch zugeben.
Weiß ist auch eine sehr christliche Farbe, denn wir alle sind ja irgendwie Christen und leben in einem christlichem Land. Wir haben sogar ein paar Parteien, die das Christ sein in ihrem Namen führen.
Ich finde es gut das sie das machen, denn sonst würde man ja gar nicht merken, dass sie christliche Parteien sind.
Ach ja, wo wir gerade über das Christ sein quasseln, Weiß ist auch die Farbe der Covid19 Impfung. Wir, also alle vorwiegend weißen Industrie Nationen, haben uns schon einmal 85% aller Impfdosen gesichert. Gut, wir machen nur etwa 10% der Weltbevölkerung aus, aber Gerechtigkeit ist eine Zier, doch länger leben tuts sich ohne ihr.
Na ja und zu guter Letzt, ich bin Deutscher. Deutsch zu sein war schon immer gut. Deutsch das heißt Reichtum, Bildung, Fleiß, Disziplin, Pünktlichkeit und ein bisschen Blitzkrieg. Gut, für manche werden wir wohl für immer der ewige Nazi bleiben, aber das macht ja nichts, denn wer uns nicht mag, der soll wenigstens Angst vor uns haben und außerdem, ein wenig stolz sind wir ja darauf. Auf den Blitzkrieg meine ich natürlich, nicht auf all das andere, welches mit ihm einherging und sowieso, auf was sollen wir denn sonst stolz sein? Bildung, Pünktlichkeit, Fleiß und Disziplin? Da haben uns andere schon lange überholt. So richtig zählt das zwar nicht, denn die, die anderen, sind ja Ausländer, aber trotzdem, es ärgert uns und so wollen wir wenigstens unseren Blitzkrieg behalten.
Manchmal lassen wir es uns deshalb anmerken, damit niemand vergisst, worauf wir so stolz sind. Deshalb sind wir so froh, dass es den Fußball gibt "Die Deutschen spielen nicht, um zu gewinnen, sie spielen, um zu besiegen!" Das stammt nicht von mir, sondern von Serdar Somuncu. Serdar Somuncu wird übrigens Serda Somunschu ausgesprochen. Das solltest du dir merken, damit er sich demnächst nicht wieder darüber aufregt, dass die Deutschen zu dumm sind, seinen Namen richtig auszusprechen, was auch ein Zeichen von mangelnder Bemühung um Integration sei - sich nicht einmal die Mühe zu machen, den Namen seines Mitbürgers richtig aussprechen zu können.
Ist auch nicht so wichtig. Wichtig ist nur, dass wir wieder alle gemeinsam brüllen können "Wir sind wieder wer!"
Komisch, wenn wir wieder wer sind, wer waren wir dann zuvor?
"Die Welt zu Gast bei Freunden" und von überall kramt man schwarz-rot goldene Fahnen hervor und schmückt damit selbst noch das Hinterhausklo. Dabei, als guter Gastgeber hisst man immer die Fahne des Gastes, niemals aber die eigene. Na ja, haben wir wohl vergessen.
Aber sonst, es ist schon cool, Deutscher zu sein, denn wir haben immer recht, einfach so, weil wir alles besser wissen. Griechenland, Spanien, Italien und Frankreich werden es sicher bezeugen.
Na ja und wenn uns die anderen schon unsere Bildung, Disziplin und unseren Fleiß streitig machen (habe ich eigentlich den Blitzkrieg schon erwähnt?), so sind wir ja immer noch das Volk der Dichter und Denker. Das wird bleiben, da macht uns keiner was vor!
Noch in hundert Jahren wird man vor ihren großen Namen den Hut ziehen: Goethe, Schiller, Kant, Sarrazin und Boris Becker.
Du siehst, alles in allem habe ich alles richtig gemacht:
Männlich, Deutsch, Weiß. Haltbarkeitsdatum zwar schon überschritten, aber Verfallsdatum noch nicht erreicht. Ein paar Macken im Lebenslauf, dafür aber keine Leichen im Keller.
Noch einmal klopfe ich mir selbst wohlwollend auf die Schulter, in dem Wissen, Eigenlob ist der erste Schritt zur Selbsterkenntnis.
Du weißt nun nicht, ob du diesen Text wirklich ernst nehmen sollst?
Kratzt dich ratlos am Kopf und, obwohl Satire, bleibt dir das Lachen im Hals stecken?
Da kann ich dir auch nicht weiterhelfen.
Es juckte mich halt in den Fingern und sprudelte nur so aus mir heraus und weil es nun einmal so war, beende ich diesen Text mit einem Zitat einer der größten Männer unseres Landes, kurz einen, auf den wir auch nach 500 Jahren noch stolz sind: " Hier stehe ich, ich kann nicht anders!"
Ach ja, das Zitat stammt von Martin Luther, Frauenfeindlicher Antisemit und Hobby Reformator. Aber auch das nur so ganz nebenbei.
Ich weiß ich bin ein Träumer, naiv und unbelehrbar.
Ich glaube ohne wissen, bin Weltenfremd und manche sagen, zu schwach für diese Welt.
In meinen Augen liegt nicht Weisheit, sondern kindliches Gemüt.
Ich habe viel gesehen, Du sagst ich sollt es deshalb besser wissen.
Du meinst, niemals wird sich ändern, was immer schon so war.
Texte: Ralf von der Brelie
Cover: Ralf von der Brelie
Lektorat: Michaela Schmiedel
Tag der Veröffentlichung: 06.01.2021
Alle Rechte vorbehalten