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Gelb ist keine gute Farbe

 

 

 

 

Für Anna und den Augenblick der Illusion

 

 

 

 

 

Mich kotzte das alles an!

Keinen Bock, keine Zukunft, kein Leben!

Nichts, wofür es sich lohnte aufzustehen oder überhaupt weiterzumachen.

Trotzdem rappelte ich mich aus dem Bett hoch, griff dann nach der Schachtel Zigaretten, die auf dem Stuhl neben meinem Bett lag, und zündete mir erst einmal eine Kippe an.

Ein paar tiefe Züge später und es ging mir wieder etwas besser. Die Asche ließ ich achtlos zu Boden fallen. Es kam nicht darauf an. Die Bude war sowieso schon völlig heruntergekommen. Die ehemals weiße Raufasertapete war mit den Jahren schmutzig gelb geworden und an einigen stellen hatte sie sich sogar schon von der Wand gelöst. Die Decke war ebenso gelb wie die Wände und in den Ecken hatte sich Schimmel gebildet der feucht und dunkel seinen verkommenen Charme versprühte und sozusagen das i-Tüpfelchen auf meinem beschissenem Leben bildete.

Ich erhob mich von meinem Bett, dessen Lacken nach Schweiß und dem Geruch der Nacht stanken, reckte mich, fasste mir zwischen die Beine und kratzte mich erst einmal ausgiebig. Dann ging ich hinüber zum Fenster, am anderem ende des Raumes, zog die braune Gardine beiseite und starrte durch die schmierige Scheibe hinaus, auf das, was meine Welt war.

Regennasser grauer Beton. Plattenbausiedlung, Graffiti an jeder freien Stelle "Fuck You!", hatte da unten irgendwer mit der Spraydose in großen schwarzen Buchstaben über all das farbige Geschmiere gesprüht.

Ja "Fuck You!". Wer immer das dort hinterlassen hatte, musste einer wie ich sein. Der Gedanke war irgendwie tröstlich, fand ich.

Irgendwer hatte den Betonkübel bepflanzt, der seit Ewigkeiten dort unten vor dem Eingangsbereich stand und eigentlich immer mit Müll und Unkraut angefüllt gewesen war.

Die Blüten von irgendetwas gelbem leuchteten zu mir hoch. Wirkten fremd und nicht hier hergehörend. Der Müll und das Unkraut hatten viel besser in diese Gegend gepasst.

Sicher war es die Alte von nebenan, die sich dem Kübel angenommen hatte. Sie steckte ihre Nase sowieso immer in Dinge, die sie nichts angingen und irgendwann würde ihr mal jemand dafür ordentlich welche aufs Maul geben.

Gelb, befand ich, Gelb war keine gute Farbe.

 

Ich schlurfte ins Badezimmer. Stützte mich mit beiden Armen auf dem ehemals weißem Waschbecken ab, in dessen Sprünge und Risse sich der Schmutz unendlicher Zeit für die Ewigkeit festgefressen hatte, und schaute in den Spiegel, auf dem Fliegenscheiße gesprenkelte Muster bildete.

Keine Ahnung, wer der Typ war, der mir da aus dem Spiegel entgegenglotzte, aber er gefiel mir nicht.

Er war runtergekommen, hatte dunkle Ringe unter den Augen und Falten, die nichts mit Charakter und Reife zu tun hatten, sondern einfach nur grau und alt wirkten.

Das bist Du, versuchte ich mir glaubhaft zu versichern, schüttelte aber widerwillig den Kopf. Der da, das war nicht ich, konnte nicht ich sein. Diese verbrauchte, kaputte Visage konnte nicht zu mir gehören.

Ich das war ein anderer. Ich, das war doch ... war doch ICH!

 

Ich öffnete den Wasserhahn, ließ ihn eine weile laufen, bis ich glaubte dass das Wasser nun kalt genug sein müsse. Dann streckte ich meine Hände aus, ließ das kalte Wasser über Handrücken und Unterarme laufen. Spritze mir schließlich einen Schwall Wasser ins Gesicht. Die kühle ließ mein Gesicht Grimassen schneiden, tat aber auch irgendwie gut und so wiederholte ich dieses Spiel ein paar Mal. Dann griff ich zu dem Handtuch, das neben dem Waschbecken an einem Nagel hing, trocknete Hände und Gesicht ab und ging schließlich hinüber in die Küche.

 

Nur kurze Zeit, dann sprudelte das Wasser im Kocher. Ich nahm den Becher von der Spüle und kramte in einer der Küchenschubladen nach einem Teelöffel. Dann holte ich das Glas billigen Pulverkaffee hervor und kippte einen Löffel des braunen Pulvers in den Becher. Zögerte einen kurzen Moment und kippte dann einen weiteren hinterher.

Das müsste ausreichen, um vollends wach zu werden.

Mit dem dampfenden Becher brauner Brühe in der Hand setzte ich mich an den Küchentisch.

"Verdammt war das heiß!", fluchte ich murmelnd, als ich versuchte den ersten Schluck herunterzuspülen.

Ich stand wieder auf, ging hinüber zum Bett, sammelte meine Klamotten ein, die ich am Abend zuvor achtlos auf den Boden fallen lassen hatte. Klemmte mich in meine alte, abgewetzte Jeans und streifte das T-Shirt über. Dann griff ich zu den Kippen, die immer noch auf dem Stuhl neben meinem Bett lagen, und ging zurück, hinüber in die Küche und setzte mich dort wieder vor meinen Becher.

Den Kopf auf den Armen abgestützt, sinnierte ich über mein Leben. Dachte nach, ohne meinen Gedanken dabei eine feste Richtung geben zu können und je mehr ich nachdachte, je grauer wurde der Nebel um mich.

Grau, so fand ich, grau war auch keine wirklich gute Farbe.

 

Ich musste raus hier, irgendwohin, wo Menschen waren.

Der Gang vor meiner Wohnungstür sollte wohl irgendwann einmal freundlich wirken, bemühte sich aber jetzt vergebens, davon etwas sehen zu lassen. Die einstmals hellblau gestrichen Wände, der Boden aus irgendwelchem genopptem Gummizeug, die Decke, mit weißen Platten bestückt. Alles wirkte schmutzig und abweisend. Die Menschen hier im Block hatten sich nicht nur in ihren Wohnungen ausgebreitet. Ihr kleines beschissenes Leben hatte auch auf den Gang abgefärbt, hatte das Mauerwerk durchdrungen, war hinaus nach draußen gelangt und hatte sich dort auch in der Umgebung breitgemacht und manchmal glaubte ich, ihr Leben hätte schon auf die ganze Stadt abgefärbt und alles dunkelgrau werden lassen.

Kein Ort, wo man sich wohlfühlte, kein Ort, wo Menschen leben sollten.

Im Fahrstuhl stank es nach Pisse. In einer der Ecken kollerte eine leere Bierflasche umher und ein eingerissener Flyer irgendeines Clubs war von irgendwem auf den Boden geworfen worden.

Auch hier, in der stinkenden Kabine war alles voller farbiger Schmierereien. "Fuck You!" hatte auch hier irgendwer quer über die Fahrstuhltastatur gesprayt. Nicht sehr einfallsreich dachte ich.

Draußen vor der Eingangstür gammelten schon wieder die türkischen Jungs herum. Ich mochte sie nicht. Sie hatten mir nie irgendetwas getan, aber ich mochte sie trotzdem nicht. Sie lärmten und führten sich immer auf, als wenn der Block ihnen gehören würde und naja, wahrscheinlich gehörte er sogar ihnen. Irgendwie.

 

Der Regen hatte aufgehört, die Sonne schien und es war warm. Weiter hinten gab es einen Kinderspielplatz, der aber schon lange von keinem Kind mehr besucht worden war. Das einzige Klettergerüst war rostig geworden. Von der Rutsche waren die Bleche hochgebogen und glänzten nun scharfkantig in der Sonne. Von der Schaukel hing der Sitz nur noch an einer Kette herunter und baumelte im leichten Wind sanft hin und her. Der Sand war voller Hundescheiße und dort, wo ausnahmsweise keine lag, lagen zerbrochene Bierflaschen und alte Spritzen, von all den Junkies, die sich nachts hier herumtrieben.

Anstatt auf dem Spielplatz tobten die Kinder nun auf dem Fußweg herum. Ein rotes Kinderfahrrad lag achtlos auf den Platten und eine Gruppe Kinder war gerade damit beschäftigt, den Gehweg mit bunter Kreide zu bemalen.

Blumen, kleine Häuschen mit roten Dächern, Zäune vor den Vorgärten und ein paar Tiere, die ich bei näherem hinsehen als Pferde identifizieren konnte, hatten sie schon mit ihrer Kreide auf dem Weg verewigt. Ein kleines Mädchen war dabei besonders emsig. Es störte sie wohl nicht, dass ihr der Rotz aus der Nase lief, den sie hin und wieder versuchte mit ihrer Zunge aufzufangen und wegzuwischen. Irgendwann, so dachte ich, würden die Kinder ihre Kreide wegwerfen und gegen Spraydosen eintauschen und dann würde wieder überall "Fuck You!" stehen. Lange würde es nicht mehr dauern. Ein paar Jahre vielleicht.

Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, ob ich Kinder mochte. Aber wahrscheinlich mochte ich sie nicht. Sie erinnerten mich zu sehr daran, dass ich selbst einmal eines war und daran, abhängig und unselbstständig zu sein. Besonders aber erinnerten sie mich an meinen Alten, der solange auf mir herumgeprügelt hatte bis ich stark genug war zurückzuschlagen. Danach hat er mich nie wieder angefasst, aber Mutter hat er trotzdem nicht in ruhe gelassen. Sie bekam jetzt doppelt dresche von ihm und nahm ihn dafür auch noch in Schutz."Er hat’s nicht leicht und war ja nicht immer so, wir hatten auch gute Zeiten und früher, ja früher, da war er richtig nett", hörte ich sie sagen. Sie kotzten mich an, alle beide!

 

Ich wusste nicht so richtig, wohin und so schlenderte ich ziellos durch die Stadt. Irgendwann fand ich mich im Stadtpark wieder. Der Kies knirschte unter meinen Füßen und ich dachte, es wäre jetzt gut ein Ziel zu haben. Irgendwohin zu gehen, wo man mich erwartete. Aber Freunde hatte ich nicht. Jedenfalls keine echten, auf die man sich verlassen konnte. Eher waren es Saufkumpane und das einzige, was uns zusammenhielt, war billiges Bier und das knallen von Kronkorken.

Dort hinten, auf eine der umherstehenden Bänke saß irgendeine Alte, neben sich einen Einkaufs-Trolli und war damit beschäftigt die Tauben zu füttern, die in großer Zahl auf dem Weg zu ihren Füßen herumgurten. Die Alte war viel zu warm angezogen für diese Jahreszeit und ich wettete, dass auch sie keine Freunde hatte. Außer vielleicht diese Tauben. Aber denen war sie wahrscheinlich auch schnuppe und ihr Herz hing eher an dem Brot, welches die Alte in kleinen Stücken zwischen sie warf.

Ein Typ war dabei die Papierkörbe nach Pfandflaschen zu durchsuchen und ein Pärchen lag knutschend auf einer der Liegewiesen.

Ich schlenderte weiter, verließ den Park und fand mich in einer der Einkaufsstraßen wieder.

Unbekannte Gesichter, von denen es jeder eilig zu haben schien. Außer die Punks, die es sich am Stadtbrunnen gemütlich gemacht hatten und die mit ihren leuchtend bunten Frisuren fast wie exotische Vögel wirkten. Sie hatten es nicht eilig, ihnen gehörte der Tag.

Ein paar Musiker klimperten auf Gitarren herum oder bliesen in irgendwelche Musikinstrumente und versuchten sich gegenseitig die Kundschaft streitig zu machen. Die Straßenkaffees waren voll. Manchen Menschen schien es wohl doch gut zu gehen in dieser Stadt, dachte ich.

Ich lief umher, bog mal links, mal rechts ab, ohne das ich lange darüber nachdachte. Dann fand ich mich plötzlich vor meiner Stammkneipe wieder. Ich wusste nicht, wie ich hier hergekommen war, aber vielleicht war der Laden ja auch von Anfang an mein Ziel gewesen. Wer konnte das wissen?

Der Schuppen war noch nicht gut besucht. Erst heute Abend würde es voll werden. Trotzdem öffnete ich die Tür und ging hinein. Wohin hätte ich auch sonst gehen sollen?

Der Wirt nickte mir kurz zu und ich nickte zurück. Hinten in der Ecke saß ein schlaksiger Typ auf einem Barhocker vor dem Spielautomaten. Das Gedudel von dem Kasten ging mir jetzt schon auf den Nerv und am liebsten hätte ich den Apparat von der Wand gerissen. Musik plärrte von irgendwoher. Es war immer dieselbe. Tag für Tag. "Griechischer Wein", "Die kleine Kneipe in unserer Straße" und anderes Schlagergedudel. Ich hasste es!

Ich setzte mich an den Tresen und ohne eine Frage zu stellen oder meine Aufforderung abzuwarten, schob der Wirt mir eine geöffnete Flasche Bier zu. Er kannte mich schon viel zu gut und viel zu lange.

Als sich hinter mir die Eingangstür leise quietschend öffnete, drehte ich mich nicht um. Stattdessen meinte ich zum Wirt, der gerade dabei war die Resopalplatte des Tresens mit einem schmierigen Lappen abzuwischen "Die musste mal ölen!", "Ich weiß", antwortete er schulterzuckend.

Es war fast wie ein Spiel, nein, ein Ritual zwischen uns. Jedes Mal wenn sich die Tür quietschend öffnete, bekam er dasselbe von mir zu hören und im gegenzug erhielt ich die gleiche Antwort. Immer wieder. Eine Beschwörung, damit das Leben sich nicht änderte, oder zumindest nicht verschlechterte und ich wusste, er würde die Tür niemals ölen.

Eine Frau undefinierbaren Alters setzte sich mir schräg gegenüber an den Tresen. Ich wusste warum ich mich nicht nach der sich öffnenden Tür umgeschaut hatte. Ich hatte wohl geahnt, dass es sich nicht lohnen würde.

Sie bestellte einen Kaffee, schaute erst zu mir, dann zu der Flasche, die immer noch vor mir stand. Grinste ein wenig und änderte ihre Bestellung. Statt Kaffee wollte sie nun auch Bier.

Als das bestellte vor ihr stand prostete sie mir lächelnd zu. Ich schaute weg, weil ich nicht wusste, was ich davon, von ihr, zu halten hatte.

Nach einer weile erhob sie sich von ihrem Barhocker, kam auf mich zu, ging dann aber an mir vorbei, Richtung Toiletten. Sie streifte mich mit ihrer Schulter und ich wusste, dass das Absicht war. Ein Schwall Parfüm schwappte zu mir herüber, als ich ihr hinterherschaute. Meine Augen tasteten ihren Körper ab. Schwarz schien wohl ihre Lieblingsfarbe zu sein. Schwarze, lange Haare, die mir gefielen. Eine Schwarze Weste über einer weißen Bluse und viel zu enge, schwarze Hosen. Naja, dachte ich, einen hübschen Hintern hat sie jedenfalls.

Als sie zurückkam, blieb sie neben mir stehen "Darf ich mich zu dir setzten?", fragte sie und ohne meine Antwort abzuwarten, zog sie auch schon den neben mir stehenden Hocker zu sich heran und pflanzte sich darauf. Der Wirt schob ihr ihre Flasche Bier zu, die immer noch uns schräg gegenüber auf dem Tresen gestanden hatte.

"Darf ich eine?", fragte sie und deutete dabei auf die Zigaretten, die vor mir lagen. Ich nickte nur und sie griff zu und fummelte eine der Kippen aus der Schachtel. Dann griff sie zu meinem Feuerzeug, welches auch auf dem Tresen gelegen hatte, und zündete die Fluppe an. Ich konnte hören, wie sie den Qualm tief in sich einsog und ihn mir dann entgegenblies.

Ich mochte, dass sie rauchte, denn ich hasste es wenn Frauen mir Vorträge über das Rauchen machten und darüber wie schädlich dieses war. Das Leben machte einen schon Krank genug, wozu dann aufhören mit Rauchen und außerdem, wer Gesund lebte, der starb nur langsamer.

"Besonders gesprächig bist du ja nicht", meinte sie. Ich zuckte mit der Schulter. "Ich heiße übrigens Anna", redete sie weiter. "Mhm", meinte ich nur "Und du, hast du vielleicht auch einen Namen?", drängelte sie.

Ich hob den Kopf, denn bis jetzt hatte ich nur unverwandt auf die Platte vor mir gestarrt, weil ich nicht so recht wusste, ob mir ihre nähe und ihre offensichtliche anbaggerrei wirklich gefiel. Ich schaute sie an, betrachtete ihren rot geschminkten Mund, der schon die ersten runzeln zeigte. Sie war älter als ich. Wahrscheinlich einige Jahre älter, aber sie hatte schöne Haare und einen schönen Hintern, dachte ich. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie grüne Augen hatte und auch das gefiel mir.

Sie reichte mir ihre Hand, schlanke Finger mit rot lackierten Nägeln "Ich heiße Anna", wiederholte sie. Ich nahm ihre Hand in die meine und wunderte mich ein wenig über ihren festen Druck, den ich nicht erwartet hatte.

Ich nannte ihr meinen Namen und sie lächelte mich an.

Wir tranken und sie redete. Erzählte irgend etwas von einer Tochter, von einem Enkel, von ihrem Ex-Mann und lauter anderes belangloses Zeug, welches mich nicht interessierte und das ich schon im selben Moment vergas, in dem ihre Worte an meine Ohren drangen.

Ich bestellte die nächste Runde, dann die übernächste.

Je mehr wir tranken, je lauter wurde sie und mehr als nur einmal erzählte sie mir, dass sie Anna hieß. Manchmal lachte sie über einen ihrer eigenen Witze, die ich nicht komisch fand. Nur ihr schrilles Lachen tat mir in den Ohren weh.

Der Alkohol hatte sein möglichstes getan. Falls sie überhaupt jemals irgendwelche Hemmungen gekannt hatte, verlor sie diese vollends. Sie versuchte mich zu küssen, solange bis ich schließlich nachgab und meine Lippen auf ihren runzeligen Mund presste. Ihre langen Finger strichen auf meinen Schenkeln entlang und ich spürte das kratzten ihrer rot lackierten Nägel durch den Stoff meiner Jeans.

Ich mochte sie nicht. Oder mochte ich sie doch und wollte mir das selbst nur nicht eingestehen?

Ich wusste es nicht, spürte nur ihre Hände auf meinen Schenkeln umherwandern, schmeckte ihre feuchten Küsse und musste immerzu an ihren Hintern denken, den ich gerne einmal angefasst hätte.

 

Der Laden wurde langsam voll. Irgendwer hieb mir kräftig auf die Schulter. Irgendein Typ, den ich kannte, oder vielleicht auch nicht. Es war egal, spielte keine Rolle.

Es wurde lauter, und als der Pegel schließlich eine Lautstärke erreicht hatte, so das wir unsere eigenen Worte kaum noch selbst verstehen konnten, oder besser, als Anna sich selbst nicht mehr reden hören konnte, meinte sie zu mir "Lass uns gehen!", "Wohin?", fragte ich. "Na, zu dir!". "OK.", nickte ich.

Ich musste ihr beim aufstehen helfen, sonst wäre sie wohl gleich hier in der Kneipe noch umgefallen. "Ich bin nicht betrunken, glaub ja nicht das ich betrunken wäre!", meinte sie.

Ich faste sie unter den Arm und zog sie hinter mir her, quer durch die Kneipe, hinaus auf die Straße.

Es war schon früher Abend aber immer noch warm. Anna nahm meine Hand und so gingen wir gemeinsam die Straße entlang. Eigentlich, dachte ich, eigentlich war es ganz schön so, besser als alleine zu gehen und irgendwie wirkte alles viel freundlicher, wenn man nicht ganz alleine war.

"Ich hab Hunger!", meinte Anna unvermittelt.

Wir steuerten einen Pizzaladen mit Straßenverkauf an, besorgten uns etwas zu essen und setzten uns auf die nächstgelegene Bank.

Sie schien wirklich hunger zu haben. Mit großen bissen verschlang sie ihre Pizza, wobei der Käse lange Fäden zog und an ihrem Kinn hängen blieb. Ich musste Lachen "Ey!", lachte auch Anna "Du kannst ja Lachen!"

 

Als wir in die nähe meiner Wohnung kamen, kramte ich meinen Hausschlüssel hervor.

Es stank noch immer nach Urin im Fahrstuhl und auch die Bierflasche lag noch an ihrem Platz und schaukelte langsam hin und her. Nur der Flyer war verschwunden. Irgendwer war wohl neugierig geworden und hatte ihn eingesteckt.

Als ich das Licht im Flur anknipste, sah Anna sich um. Sie schien sich nicht darüber zu wundern, dass ich so hauste, wie ich halt hauste und ich dachte, dass das nur daher käme, weil sie wohl selbst in keiner besseren Bude lebte. Wahrscheinlich war ihr ganzes Leben nicht viel besser als meines.

Sie wandte sich zu mir, kam näher und schlang ihre Arme um mich. Wir küssten uns, ihre Lippen schmeckten nach Pizza und Bier. "Ich Liebe Dich", sagte sie und ich antwortete "Du kennst mich nicht". "Ich liebe dich trotzdem", meinte sie hartnäckig. Ich schwieg und küsste sie, was mir mit einem mal nicht mehr ganz so unangenehm war, sondern gut und richtig.

Wir zogen uns gegenseitig aus. Ihre Brüste waren schlaff und die Haut an ihrem Bauch weich und schwabbelig. Nur ihr Hintern war auch ohne Hose schön und machte mich heiß, als ich mit meinen Fingern darüber glitt. Ich durchwühlte mit meiner Hand ihre Haare, die wohl das schönste an ihr waren, schaute in ihre grünen Augen und fühlte mich leicht.

Es störte Anna nicht, dass mein Bett immer noch nach mir roch. Vielleicht gefiel es ihr ja sogar.

Ich war noch nie ein besonders guter Liebhaber gewesen, aber Anna schien es zu genügen. Leise stöhnend flüsterte sie mir zärtliche Worte ins Ohr. Worte, die ich nicht hören wollte und die ich nur mit grunzenden lauten beantwortete.

Danach lagen wir noch lange wach und redeten über Belanglosigkeiten. Irgendwann schliefen wir ein und es musste mitten in der Nacht sein, als ich wieder erwachte.

Es war dunkel. Ich tastete nach meinen Zigaretten und pulte schließlich die letzte Kippe aus der Schachtel und ließ anschließend mein Feuerzeug aufflammen. Im schwachen Schein der Flamme konnte ich Annas Gesicht erkennen. Sie lag zur mir gewandt da und schlief. Eine Haarsträhne verdeckte einen großteil ihres Gesichts und ein dünner Speichelfaden hatte sich in ihrem Mundwinkel gebildet, war ihr Kinn entlanggelaufen und im Kopfkissen versickert. Ihr Parfüm war verflogen und zurückgeblieben war der Geruch nach abgestandenem Bier. Die schwache Flamme meines Feuerzeugs warf Schatten über ihre Haut und ließ die Falten in ihrem Gesicht härter wirken, als sie eigentlich waren. Sie wirkte älter als noch vor ein paar Stunden. Ich betrachtete sie und es war gut das sie da war. Irgendetwas empfand ich für sie, brauchte aber einen Moment, bis ich traurig feststellte, dass es nur Mitleid war.

Ich stand auf und machte mir nicht die mühe mir irgendetwas überzuziehen. Nackt ging ich ans Fenster, legte die Stirn an die kühle Scheibe und blickte hinaus. Hin und wieder nahm ich einen tiefen Zug aus der Zigarette, und jedes Mal wenn ich das tat, spiegelte sich die Glut im Glas wieder und ließ ein unwirkliches Leuchten um mich entstehen.

Liebe, so dachte ich, Liebe ist nur eine Illusion. Man glaubte eine weile lang zusammenzugehören und war doch nur gemeinsam alleine.

Ich schaute hinaus, streifte die dunklen Fenster in der Fassade der gegenüberliegenden Gebäude, sah die Wolken am schwarzen Nachthimmel und blickte schließlich hinunter, dort wo das schwache Licht des Einganges den Betonkübel streifte. Irgendwer hatte die gelben Blüten abgerissen, die nun verstreut auf dem Pflaster lagen. Gelb dachte ich, Gelb war halt doch keine gute Farbe.

 

 

 

 

Impressum

Texte: Ralf von der Brelie
Bildmaterialien: Ralf von der Brelie
Cover: Ralf von der Brelie
Lektorat: Michaela Schmiedel
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2018

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