Schreibe eine Geschichte. Nur eine einzige Geschichte aus deinem Leben, die irgendein ganz besonderes Erlebnis beschreibt, welches irgendetwas mit Tieren zu tun hat.
Nur eine Geschichte?
Wie soll ich das schaffen und wenn, welche soll ich dann erzählen?
Es ist so schwer!
Vielleicht sollte ich davon erzählen, wie meiner kleinen Schwester die Puppen langweilig wurden und sie stattdessen lebende Hühner in ihren Puppenwagen setzte und damit stolz und voller Mutterliebe durchs Dorf marschierte. Und ja, den Hühnern schien dieses nicht nur zu gefallen, nein, sie genossen es geradezu, so bemuttert und umsorgt zu werden.
Oder vielleicht erzähle ich aber von meiner Katze, die niemals einen Namen von mir bekam und die deshalb einfach nur Katze hieß und die ich, als ich noch ein ganz kleiner Junge war, halb verhungert unter der Hecke unseres Garten fand. Die ich umsorgte und pflegte, aufpäppelte und so sehr liebte, dass es mir völlig egal war, dass es wohl das hässlichste Tier der Welt war, das dort auf meinem Schoß lag. Weil nur zählte, dass das Schicksal uns zu Freunden hat werden lassen.
Aber dann muss ich auch davon berichten, wie sehr es mir das Herz gebrochen hat, als ich dazu kam, als meine Tante Agnes gerade meinen schmutzig gelbgestreiften Freund, der jämmerlich um Hilfe schrie, im Putzeimer ertränkte und ich mit meinen knapp sechs Jahren zu schwach war, um ihm helfen zu können. Damals musste ich auf brutale Weise lernen, wie grausam Menschen sein können. Und mit meiner Tante, mit ihr habe ich nie wieder ein Wort gesprochen. Nicht einmal, als ich selbst schon längst erwachsen war.
Vielleicht sollte ich aber auch davon erzählen, wie ich mich in Afrika plötzlich inmitten einer Herde Elefanten wiederfand und wie mich der Elefantenbulle, dass Leittier, ansah und ich das Gefühl hatte, er schaut mir direkt in die Seele. Noch heute frage ich mich, was er wohl dort gesehen haben mag?
Voller Demut erkannte ich, in den Augen eines Elefanten liegt das Wissen dieser Welt.
Damals hätte ich fast an einen Gott glauben können.
Aber vielleicht erzähle ich auch von der Nacht, als ich, ebenfalls in Afrika, mit einer Petroleumlampe und einem Schuh bewaffnet, hinter einer handtellergroßen Spinne herjagte, die sich erdreistet hatte, direkt neben meinem Kopf die Schlafzimmerwand emporzuklettern und die mich fast panisch aus dem Bett springen ließ, in dem ich lag.
Nach stundenlanger Hetzjagd durch das ganze Haus, hatte ich sie dann endlich erlegt, nur um am nächsten Tag feststellen zu müssen, dass dieses arme Tier völlig harmlos war.
Oder aber ich erzähle von Charly, meiner schwarz-weißen Hauskatze, die ich so sehr verwöhnt hatte, dass, wenn ich mich ihrem Willen nicht bedingungslos unterwarf, sie mir den geistigen Stinkefinger zeigte und dieses mit lautstarkem, empörtem Geschrei unterstrich.
Oder ich erzähle von Meggy, meiner mittelgroßen Promenaden Mischlings Hündin, die ihren Namen trug, weil ich die Meggy aus dem Buch "Die Dornenvögel" so sehr liebte und die immer zwischen meinen Beinen, auf dem Tank meines Motorrades saß. Die feuchte Nase in den Fahrtwind gestreckt, die Augen leicht zugekniffen, während ihre Schlappohren, wenn wir so dahin brausten, lustig im Wind hin und her schlenkerten.
Oder nein, vielleicht erzähle ich auch von all den Tieren, mit denen ich auf unserem Dorf aufgewachsen bin.
Von den klugen Augen der Kühe oder von der Anhänglichkeit und Sauberkeit der Schweine. Vielleicht auch von der bewundernswerten Gelassenheit der Esel oder der wilden Eleganz der Pferde, wenn diese, früh morgens auf der Weide, durch das noch feuchte Gras trabten. Und den Tag mit stolz wehender Mähne begrüßten und denen ich, trotz ihrer Schönheit, immer mit einem gewissen Argwohn begegnet bin, seitdem mich das erste Pferd auf dem ich jemals saß, von seinem Rücken warf.
Oder ich erzähle von all den Hasen, Hamstern und Meerschweinchen und von den Kanarienvögeln und Wellensittichen, die unser Haus bevölkerten.
Oder von den Hunden, die wir hatten. Manchmal waren es mehr als zehn auf einmal.
Oder vielleicht ...
Ach, es ist so schwer!
Ich liebe Tiere!
Mhm jeder, außer vielleicht Tante Agnes, liebt Tiere. Das ist nichts Besonderes. Tiere haben Charakter, halten uns die Treue, sind da, wenn wir sie brauchen. Machen es uns leicht, sie gern zu haben.
Nein, zu sagen "Ich liebe Tiere" ist nichts wirklich Besonderes. Bedarf eigentlich keiner Erwähnung.
Etwas anderes ist es, wenn man sagen darf "Dieses Tier liebt mich!", nicht weil man es gerne glauben möchte, oder weil man es sich erhofft, sondern weil man es weiß.
Darum und nur darum habe ich mich entschlossen, von diesem einen Tier zu erzählen. Meinem ersten Hund.
Ich bin auf einem kleinem Dorf aufgewachsen und damals, als ich selbst noch Kind war, gab es dort Tiere in Hülle und Fülle.
Auf den Weiden trabten Pferde, grasten Kühe und hier und da hatte sich sogar der eine oder andere Esel unter sie gemischt.
Auf den Höfen hörte man das Gackern der Hühner, das Grunzen der Schweine und von all den vielen Katzen, die es gab, rekelte sich so manche faul und desinteressiert in der Sonne.
Tja, und dann die vielen Hunde, die es gab. Alle waren groß und Furcht einflößend, denn ihre Hauptaufgabe bestand nicht etwa darin, dem Menschen ein treuer Gefährte zu sein, sondern in erster Linie den Hof zu bewachen.
Ich glaube, viele die sich in unser Dorf verirrten, hatten sicher Angst vor ihnen und hielten ihr Gekläff für aggressive Drohung und nicht für das, was es wirklich war - freundliche Begrüßung.
Ich kannte jeden Hund mit Namen, wusste um all die so unterschiedlichen Charaktere und kannte all ihre Macken. Die weniger guten ebenso, wie die von mir lieb gewonnenen.
Wir lebten damals auf einem alten Bauernhof. Meine Eltern betrieben zwar keinen landwirtschaftlichen Betrieb, aber es war wohl völlig normal und gehörte einfach dazu, trotzdem Tiere zu halten.
So hoppelten bei uns Hasen in ihren Ställen herum, scharrten Hühner in der Erde und manchmal gesellte sich sogar ein Schwein hinzu.
Und dann hatten wir Hunde. Nicht einen oder zwei, nein, manchmal mehr als zehn Stück auf einmal.
Meine Geschwister und ich liebten all diese Tiere. Wir spielten mit ihnen, jagten sie auch manchmal über den Hof und gaben jedem von ihnen einen Namen. Ohne all diese Tiere wäre meine Kindheit wohl sehr viel leerer gewesen.
Und trotzdem, mir reichten all diese Wesen, die jedem und doch niemandem so wirklich gehörten, nicht.
Ich begann, mir einen Hund zu wünschen. Einen, der nur mir gehörte. In meinen Träumen sah ich mich schon mit ihm durch die Wälder und über Wiesen streichen. Spürte seine feuchte Nase auf meinen nackten Knien und erblickte mein eigenes Spiegelbild in seinen dunklen Augen und je mehr ich an meinen noch unsichtbaren Gefährten dachte, je größer wurde die Sehnsucht nach ihm.
Ja und wirklich, eines Tages stimmten meine Eltern zu, dass ich mir von dem nächsten Wurf einen aussuchen durfte.
Ich war unbeschreiblich glücklich und weiß nicht wie es mir gelang die Zeit, bis es soweit war, herum zu bekommen.
Doch irgendwann war der Tag gekommen und acht kleine Schäferhundwelpen stolperten tapsig um ihre Mutter herum.
Ich war so aufgeregt, und als mir mein Vater endlich erlaubte, sie auch anzufassen, zu streicheln und auf den Arm zu nehmen und mir schließlich einen von ihnen auszusuchen, war das der bis dahin glücklichste Tag meines etwa zehnjährigen Lebens.
Aber es war so schwer. Jeder einzelne war so drollig, hatte so wunderschönes seidiges Fell, so niedliche kleine Knopfaugen, die mich alle anzuschauen schienen und sagten „Nimm mich, bitte, bitte nimm mich!“
Ich hockte unter den wachsamen Augen ihrer Mutter auf den Knien. Schaute, streichelte und hörte mein vor Aufregung pochendes Herz wummern, bis ich plötzlich erschrocken auffuhr, weil mich etwas in meinen großen Zeh gezwickt hatte.
Einer der Welpen hatte meine nackten Füße, die in Sandalen steckten, entdeckt und fand es wohl überaus interessant, einmal nachzuschauen, was das denn für seltsame Dinger sind, die dort vorne so lustig aus den Sandalen herausschauen und dachte sich wohl, ob man sich damit nicht ein wenig die Zeit vertreiben könne.
Ich nahm den Welpen hoch, hielt ihn zwischen meinen beiden Händen und wollte gerade so tun, als wäre ich wirklich schrecklich ärgerlich darüber, dass er mich so gezwickt hatte, als das kleine Wesen mich mit unschuldigen, ganz dunklen Augen anschaute, den Kopf schief legte und mir mit seiner kleinen, rosigen Zunge über die Finger leckte.
Um mich war es geschehen und ich wusste in diesem Moment, wir gehören zusammen!
Mein Vater klärte mich darüber auf, dass es sich bei diesem Welpen um ein Weibchen handelt, und versuchte mich davon zu überzeugen, doch lieber einen Rüden zu nehmen.
Aber versprochen war versprochen und meine Entscheidung stand fest.
Ein Name war auch schnell gefunden, denn es gab eigentlich nur einen einzigen Namen, der in Frage kam: „Lassie“, denn ich glaube, ein wenig trug wohl die gleichnamige Fernsehserie mit daran schuld, dass meine Sehnsucht nach einem eigenem Gefährten so unbeschreiblich groß wurde.
Ja, es war genauso, wie ich es mir in meinen schönsten Träumen ausgemalt hatte. Lassie und ich streiften durch Wälder und über Wiesen, und wenn wir uns irgendwo ins hohe Gras setzten, legte sie ihren kleinen Kopf auf meinen Schoß und ich konnte ihre feuchte Nase spüren und fast hören, wie ihr kleines Herz pochte.
Morgens begleitete sie mich zur Schule, trabte dann alleine nach Hause ,um mich mittags wieder abzuholen.
Wenn Mutter mich zum Einkaufen schickte, saß sie vor der Ladentür und wartete mit Ungeduld, bis ich wieder herauskam. Begrüßte mich dann mit wild wedelndem Schwanz, so als hätten wir uns schon seit vielen Jahren aus den Augen verloren und war besonders stolz, wenn ich ihr irgend etwas von meinen Einkäufen gab, dass sie zwischen ihren Zähnen, mit hoch erhobenem Haupt nach Hause tragen durfte.
Im Winter zog sie meinen leeren Schlitten den Abhang hinauf, der uns Kindern als Rodelbahn diente, und raste hinter diesem her, wenn ich lachend und vor Freude jauchzend den kleinen Hügel hinunter jagte. Nur um sogleich wieder die dicke Kordel vom Schlitten zwischen ihre Zähne zu nehmen und das Spiel von vorne beginnen zu lassen. So lange, bis wir beide müde, aber glücklich, am Abend wieder heimkehrten.
Wenn sie der Meinung war, dass ich an den Wochenenden oder in den Ferien zu lange schlief, schlich sie sich ins Haus, sprang auf die Klinke meiner Zimmertür und stürmte in mein Zimmer und sprang auf mein Bett. Zog mir die Decke fort und leckte mir wild und ungestüm so lange durchs Gesicht, bis ich mich endlich bequemte, ihrer wortlosen aber dennoch unnachgiebigen Aufforderung, endlich aufzustehen, Folge leistete.
Wenn ich krank war, lag sie still und kummervoll vor meiner Zimmertür. Ihren Kopf auf ihre ausgestreckten Beine gelegt und ließ nur hin und wieder ein fast unhörbares Winseln verlauten, welches mir wohl sagen sollte „ich bin da und passe auf Dich auf“
Ja, ich hätte wirklich glücklich sein können, wenn es da auf unserem Dorf nicht diesen einen Jungen gegeben hätte, der viel älter war als ich und der aus mir unerfindlichen Gründen, mich zu seinem Feind auserkoren hatte.
Eine Rolle, die ich nicht mochte, nicht wollte und die mir Angst machte.
Wann immer ich diesen Jungen auf seinem Rennrad sah, versuchte ich ihm auszuweichen. Benutzte andere Wege oder bog schnell um irgendeine Hausecke, in der Hoffnung, er hätte mich noch nicht entdeckt.
Nur an diesem einen Nachmittag schaffte ich es nicht und lief ihm direkt in die Arme.
Lassie und ich waren wieder einmal unterwegs und so wie ich es immer tat, wenn ich mich mit ihr alleine wähnte, erzählte ich ihr all das, was mich den Tag über beschäftigt hatte. Redete über die Schule, über meine Hausaufgaben, die ich hasste, weil sie mir die Nachmittage verdarben, oder berichtete von der letzten Mathe Arbeit, die ich mit Sicherheit wieder verhauen hatte.
Manchmal erzählte ich ihr aber auch einfach nur Geschichten, die ich mir in dem Moment ausdachte, in dem sie aus meinem Mund heraussprudelten und in denen immer ein kleiner Junge und seine treue Gefährtin Lassie die Hauptrollen spielten.
Dann stand er plötzlich vor mir. Saß lässig auf seinem Fahrrad, die Ellbogen auf den Lenker gestützt und grinste mich blöd und gefährlich an.
„Wer ist denn so dämlich und quatsch mit nem Köter?“, wollte er wissen.
Ich antwortete nichts. Spürte nur, wie mir die Knie weich wurden, mein Herz anfing, laut und dröhnend gegen meinen Brustkorb zu schlagen und Angst mir die Kehle zuschnürte.
Wie gelähmt blieb ich vor ihm stehen, während Lassie sich dicht an meine Beine drückte.
Der Junge, dessen Namen ich nie erfahren habe, schwang sich auf sein Rennrad, umkreiste uns stetig und spie die wildesten Verwünschungen und Drohungen aus.
Ich stand wortlos da, traute mich nicht, etwas zu sagen oder mich auch nur zu bewegen.
Schließlich stieg er von seinem Rad ab, legte dieses achtlos ins Gras am Rande des Weges und kam drohend, mit grinsendem Gesicht auf mich zu.
Ich wünschte mir ein Wunder herbei. Hoffte, dass sich unter uns die Erde auftat und ihn oder mich verschlucken würde. Alles wünschte ich mir, wenn ich nur nicht hier sein müsste.
Lassie hatte meine Furcht und die Bedrohung, die von diesem Jungen ausging, wohl gespürt und drängte sich nun knurrend zwischen mich und den fremden Jungen.
Doch jeder im Dorf kannte uns und jeder wusste, vor Lassie brauchte niemand Angst zu haben. Lieb und gutmütig wie sie war, hätte sie sich lieber selbst ein Bein abgebissen, als irgendeinem Menschen Leid anzutun.
Auch der Junge wusste das und so zögerte er nur kurz, bevor er den nächsten Schritt auf mich zukam.
Doch nun passierte etwas, dass ich nie für möglich gehalten hätte. Lassie sträubte ihre Nackenhaare, gefährlich klingendes Knurren erklang aus ihrer Kehle, und als der Junge den nächsten Schritt tat, stürzte sie sich auf ihn, biss in seinen Hosenaufschlag und versuchte ihn von mir wegzuziehen.
Nein, niemals würde sie wirklich zubeißen, aber mit aller Kraft zerrte und zog sie und brachte den fremden Jungen damit fast zu Fall.
Dieser versuchte sie vergebens abzuschütteln, schimpfte und fluchte und schließlich holte er mit dem anderen Bein aus und trat ihr kräftig in die Seite.
Laut aufjaulend ließ sie ab von ihm und ich, ich dachte nichts, fühlte nur den Schmerz, den er meiner Freundin angetan hatte und irgendwo, ganz tief drinnen, wurde ein Schalter umgelegt.
Mit tief gebeugtem Kopf rannte ich auf den Jungen zu, rammte ihm meinen Kopf in den Bauch und wir beide fielen hintenüber und landeten auf der Erde. Schnell setzte ich mich auf seine Brust und schlug ihm ins Gesicht. Wieder und immer wieder.
Völlig überrascht über meinen unerwarteten Angriff, blieb ihm nichts anderes, als zu versuchen sich mit den Händen wenigstens ein wenig zu schützen. Strampelnd und sich windend schaffte er es schließlich, sich von mir frei zu machen. Stieß mich von sich fort, sprang auf die Beine, zerrte sein Rad aus dem Gras, sprang schwankend hinauf und radelte eilig davon. Nicht ohne sich noch mehrmals nach uns umzusehen.
Danach hatten wir Ruhe vor ihm, denn wann immer er Lassie und mich erblickte, änderte nun er seinen Weg oder bog schnell um irgendeine Hausecke.
Nein, ich habe mich damals nicht wie ein Sieger gefühlt. Erschrocken über meinen eigenen Ausbruch und das, was ich getan hatte, fiel ich auf die Knie, umschlang Lassies Hals und weinte in ihr Fell, während sie ruhig dastand, mich hin und wieder leise winselnd in die Seite stupste und geduldig abwartete, bis ich mich wieder beruhigt hatte.
Ab da konnten wir wieder gemeinsam durch unser Dorf ziehen. Ich musste keine Angst mehr haben und konnte Lassie weiter meine kleinen, abenteuerlichen Geschichten erzählen, ohne das sich irgendwer darüber lustig machte.
Wie zuvor durchstreiften wir Wiesen und Wälder. Legten uns nebeneinander ins Gras und ich genoss es, ihr Wärme zu spüren und ihren Atem auf meiner Haut zu fühlen.
Fast alles taten wir gemeinsam und nur die Schule und Wasser konnte uns trennen.
Gegen die Schule konnte ich nichts ausrichten, aber Lassies Angst vor Wasser, so dachte ich mir, da müsste doch was zu machen sein.
Ich liebte es zu schwimmen und konnte schon schwimmen, lange bevor ich das Laufen erlernt hatte.
Am liebsten schwamm ich in der Aller, dem Fluss, der unser Dorf in zwei Teile teilte.
Eigentlich war es uns Dorfkindern von unseren Eltern streng verboten worden, dort zu baden denn, so hieß es, die Strömung wäre viel zu stark und Jahr um Jahr würde die Aller ihre Opfer fordern. Die meinen hatten sogar einen Swimmingpool in unserem Garten aufstellen lassen, um mich und meine Geschwister vom Fluss fernzuhalten.
Doch das Baden im Fluss war viel verlockender, als in sauberem, aber langweiligen Wasser herum zu plätschern.
Sich mit der Strömung treiben zu lassen, versuchen gegen sie anzuschwimmen oder sich von den Bäumen an seinen Ufern in die Fluten zu stürzen und sich dann müde, zufrieden und glücklich im hohen Gras auszustrecken. Sich gemütlich die Sonne auf den Pelz brennen zu lassen, war etwas ganz anderes, als in einem langweiligem Pool herumzupaddeln.
Ja, so zog es mich im Sommer immer wieder, trotz aller Verbote, hinunter zum Fluss, von dem ich jeden Stein, jeden Grashalm, jeden noch so gut versteckten Platz zu kennen glaubte.
Immer begleitete mich Lassie, doch niemals traute sie sich, dem Wasser zu nahe zu kommen. Die Strömung, das leise Plätschern, wenn die seichten Wellen das Ufer berührten, die undurchdringlich grünliche Färbung des Wasser flößten ihr Furcht ein und wann immer ich begann, mich meiner Kleidung zu entledigen um in den Fluss zu hüpfen, wurde sie unruhig.
Während ich dann im Wasser schwamm, lief sie aufgeregt am Ufer auf und ab und versuchte mich mit ihrem Bellen wieder an Land zu locken.
Nein, so machte das Baden mir keinen Spaß und ich überlegte, wie ich es wohl hinbekommen könne, ihr zu zeigen wie ungefährlich und schön das herum plantschen war.
Ich brachte es nicht übers Herz, sie einfach zu nehmen und ins Wasser zu stoßen, aber ich dachte, vielleicht könnte ich sie ja überlisten.
So paddelte ich wieder einmal herum, ließ mich von der Strömung mittreiben und hätte mich eigentlich so richtig wohlfühlen können, wenn mein Blick nicht immer wieder Richtung Ufer gewandert wäre, an dem Lassie hin und her rannte und ihr ängstliches Bellen mir jeden Spaß vergällte.
Nun ja, es musste doch zu schaffen sein, sie ins Wasser zu bekommen, dachte ich mir.
Ich ließ mich treiben, bis ich in etwa die Mitte des Flusses erreicht hatte. Dann hob ich die Arme über den Kopf und begann laut um Hilfe zu schreien.
Lassie stoppte in ihrem beständigen Lauf, schaute zu mir herüber, stellte ihre Ohren auf und als ich das nächste Mal schrie, zögerte sie nur ganz kurz, sprang dann in die Fluten und kam zu mir herübergeschwommen.
Ja, ich hatte sie reingelegt, aber ich glaube, sie hat es mir verziehen, denn ab da badeten wir immer gemeinsam. Angst vor Wasser, die kannte sie nicht mehr.
Es muss sie Überwindung gekostet haben, damals, als sie einfach so ins Wasser sprang, nur um mir zu helfen. Aber so wenig, wie ich bei dem fremden Jungen nachgedacht hatte, so wenig hatte auch sie gezögert, als es darum ging, ihrem Freund zu helfen. Selbst wenn es vielleicht das eigenen Leben kosten würde.
Lassie wurde nicht sehr alt. Als sie starb, war sie gerade einmal acht Jahre alt geworden. Es tat weh, Abschied von ihr nehmen zu müssen.
Nach Lassie folgten noch viele andere Tiere, die mich ein Stück meines Lebensweges begleiteten.
Hunde, Katzen, Vögel und einmal sogar eine junge Antilope, die sich das Bein gebrochen hatte und die mir von Kindern in Afrika in die Arme gelegt wurde. Die aber ihre Scheu vor mir niemals ganz überwinden konnte und wohl froh war, als sie wieder gesund davon springen durfte.
Niemals waren es Tiere, die ich mir selbst ausgesucht hatte. Immer waren es welche, die kein anderer haben wollte, weil sie zu alt, zu hässlich oder zu krank waren oder aber, weil man sie für lästig und überflüssig hielt.
Es waren Tiere unterschiedlicher Arten und Rassen. Manchmal mit zwei, manchmal mit vier Beinen. Tiere in unterschiedlichen Ländern und auf verschiedenen Kontinenten und doch waren sie alle ein wenig gleich, denn in jedem von ihnen erkannte ich ein ganz klein wenig von Lassie. Sah sie in ihrer Anhänglichkeit, in ihrer Treue, in ihrer Art, Zuneigung zu zeigen und erblickte sie in ihren Augen.
Es ist leicht zu sagen „ich liebe Tiere“, weil es so einfach ist, sie gern zu haben. Aber es ist ein Wunder, wenn man sagen darf „dieses Tier liebt mich“. Lassie war solch ein Wunder.
Texte: Ralf von der Brelie
Bildmaterialien: Ralf von der Brelie
Cover: Ralf von der Brelie
Lektorat: Michaela Schmiedel
Tag der Veröffentlichung: 05.03.2017
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