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Mit dem Kopf in den Wolken

 

 

 

Ich habe einen Traum …

 

 

Nicht den Weltfrieden, nicht die Ausrottung von Hunger und Krankheit erträume ich mir.

Nicht, dass wir alle uns die Hand reichen und zu Schwestern und Brüdern werden.

Einigkeit und Recht und Freiheit.

Für mich, für uns alle.

Nein, nicht das wünsche, erträume ich mir.

Lang schon habe ich gelernt, wenn Träume auch grenzenlos sind, ihr zerbersten an der

Unvollkommenheit des Menschen gebärt Trauer, Schmerz, Enttäuschung.

Ich bin jung genug für Wünsche, Träume und Illusionen, doch zu alt für Utopien.

 

Ein halbes Jahrhundert habe ich hinter mir, den wohl größten Teil meines Lebens gelebt.

Ich habe begriffen, der Rest meines Lebens beginnt jetzt, in diesem Moment und jeder gelebte

Augenblick ist unwiederbringlich verloren.

Wozu ein langes Leben, welches ohne Träume, in der Wertlosigkeit verkommt?

Wozu Gesundheit, ohne die treibende Kraft der Sehnsucht?

 

Träume. Sie sind, was uns erst zum Menschen werden lässt.

Sehnsüchte, die uns antreiben, um aus einem Leben das eine, besondere Leben zu machen. Unser Leben.

Dein Leben.

Wünsche und Illusionen. Unerreichbar fern und doch so greifbar nah, wenn wir es nur zulassen zu gestatten, dass sie erst den Umweg über unser Herz nehmen, bevor sie in unserem Kopf zu bunten, lebendigen Farben werden.

 

 

*****

 

 

Ich schließe die Augen und sehe es vor mir. Sehe mich selbst, wie ich dahinrase. Den Wind in den Haaren, Sonnenstrahlen auf meiner, vom Wetter gegerbten Haut.

Wie ich dahin brause, in meinem feuerroten Ford Mustang, Cabriolet, Baujahr 1968.

Ich fühle, wie die Unebenheiten des Asphalts unter mir zitternd durch meinen Körper gleitet.

Spüre den druck, wenn ich hastig die Kurven der Serpentinen durcheile. Höre das gleichmäßige wummern des Motors.

Ich sehe das grün am Straßenrand, wie es, im Augenblick verschwimmend, an mir vorbeihastet.

Und dort unten, am Rande der Klippen, erblicke ich das Meer, dessen tosende Wellen dem Ufer

entgegeneilen. Sich ihm mit wütender Macht entgegenstemmen und dann doch, Gischt speiend, an ihm zerbrechen, nur um es trotzig, gleich noch einmal zu versuchen.

Ja, fast ist es mir, als würde ich den Duft in der mich umgebenden Luft einatmen können. Würde das Salz des Meeres, die Würze der Landschaft auf meiner Zunge schmecken, die knisternde Hitze des Tages auf meiner Haut spüren.

Fast ist es mir, als würde ich sie in meinen Träumen erkennen. Als wäre sie schon von Anbeginn der Zeit, ein Teil meiner selbst. Als wären wir schon lange eins. Diese Landschaft, an einem Ort, der mir doch unbekannt ist.

 

Ich lasse die Augen geschlossen, zu schön sind die Bilder, welche sich vor mir Auftürmen und

welche das Leben im Diesseits so kalt erscheinen lassen.

Und dort, in der Ferne, sehe ich dich. Du tauchst auf, aus dem Nebel der Sehnsucht.

Ich kenne dich nicht und doch erkenne ich dich.

Ich erblicke dein Lächeln und weiß, es gilt alleine mir.

In deinem Blick liegt all die Wärme, welches das Eis auf meiner Seele zum Schmelzen bring.

Zaghaft, und doch wie selbstverständlich, nehme ich dich bei der Hand, streichel über deine zarten Finger, spüre deine Nähe und die Intensität des Lebens, die von dir ausgeht.

Vorsichtig, als könnte ich dich zerbrechen, als würde ich sonst meinen eigenen Traum

unwiederbringlich zerstören, lege ich meine Arme um dich.

Sanft ziehe ich dich an mich, lege meinen Kopf auf deine Schulter, spüre das Klopfen deines

Herzens, höre das betäubende rauschen des Blutes, welches durch deine Adern fließt.

Die Zärtlichkeit des Augenblickes raubt mir die Sinne.

Sanft küsse ich dich auf den Nacken, streichele über deine nackte, warme, weiche Haut.

Fühle deine Hände, die tastend über meinen Körper wandern.

Glück, wärme und Liebe.

Sehnsucht ist unheilbar!

 

Ich getraue mich nicht, meine Augen zu öffnen. Spüre ich doch noch immer deine Hand in der

meinen. Gemeinsam wandern wir durch die Welt. Erblicken das Grün in den Tälern, erklimmen die höchsten Gipfel. Tauchen hinab in die unendliche Weite des Meeres. Ziehen durch Wüsten, klopfen uns den Staub von den Kleidern und tauchen unsere Füße in klares, kühles Quellwasser.

Liebe für einen Augenblick.

Der Augenblick verschmilzt mit der Unendlichkeit.

 

 

Weiter wandere ich, blicke dir noch einmal hinterher, wie du mir den Rücken zuwendest, ohne dich noch einmal umzudrehen.

Fremde, mir unbekannte Länder tauchen vor mir auf.

Flirrende Hitze lässt den Horizont verschwimmen, lässt ihn eins werden mit der endlosen Weite des Himmels.

Ich sehe in das Antlitz fremder Menschen. Höre ihr Lachen, höre ihre Stimmen, ohne die Worte zu verstehen.

Dunkel, und wie aus lederner Haut ihre Gesichter, blicken sie mir entgegen. Ich weiß, auch wenn die Bedeutung ihrer Worte mir unbekannt bleibt, ihr offener Blick, die Wärme in ihren Augen,

verrät ihr Wohlwollen mir gegenüber.

Ich spüre, hier, so fremd ich auch bin. So unbekannt die Menschen und das Land, in dem sie leben, mir auch erscheinen mag, so groß ist doch die Gewissheit - hier bin ich daheim.

Schwarz oder weiß, alt oder jung. Weiblich oder männlich. Mein Sehen ersetzt das Verstehen der Worte. Mein Fühlen ersetzt den mangel an Wissen.

 

Ich träume und in meinen Träumen überwinde ich Grenzen. In meinen Träumen wird meine

schwäche zu unbändiger Stärke. In meinen Träumen kämpfe ich gegen Windmühlen, denn ich weiß, nur ich kann sie besiegen. Schwimme gegen den Strom und lasse mich doch mit diesem

treiben.

In meinen Träumen gibt es Verlierer, die niemals meinen Namen tragen.

In meinen Träumen ist Verlangen voller Zärtlichkeit, ist Liebe frei von Zwang.

In meinen Träumen wird der Augenblick zur Ewigkeit.

 

Ich öffne meine Augen. Noch klingen sie nach, die Bilder und das, was ich fühlte, während ich träumte. Noch ist mein Kopf Gefangener der Wolken, welche mich mit sich rissen. Mich schweben ließen, über all dem, was mein Leben im Jetzt ausmacht.

Noch spüre ich die Sonne auf meiner Haut, die wärme deiner Liebe. Spüre die bohrende,

schmerzhafte Sehnsucht.

 

Ich blicke hinunter. Schaue auf die Tasten meines Notebooks und weiß in diesem Augenblick, welch größten Traum ich habe.

Wie einfach er doch zu erfüllen wäre und wie unmöglich doch das erreichen scheint.

Nur die richtigen Buchstaben müsste ich finden, die richtigen Worte an die richtigen Stellen setzten.

Nur einmal, einmal in meinem Leben etwas schreiben, was für immer Bedeutung hat.

Nur einmal etwas zu Papier bringen, was wie ein Stich in deiner Seele, den Schleier der Tränen über deine Augen legt. Nur einmal etwas schreiben, was dich sehen und niemals mehr vergessen lässt.

Nur einmal dir die Erkenntnis bringen, ich bin du und du bist ich.

Nur einmal, ein einziges Mal, möchte ich mit meinen Worten ein teil deines Selbst werden.

Nur ein einziges Mal mit dir verschmelzen.

 

Es scheint so einfach und doch so unmöglich.

Nur die richtigen Worte müsste ich finden.

Jetzt!

 

Impressum

Texte: Ralf von der Brelie
Bildmaterialien: Ralf von der Brelie
Lektorat: Brigitte Rübsaat
Tag der Veröffentlichung: 01.11.2014

Alle Rechte vorbehalten

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