Diese Erzählung entstand, unter der Verwendung eines Gedichtes von Hans Thoma.
Bum, bum, bum. In meinem Schädel hämmerten Kopfschmerzen. Bum, bum, bum. Fast unerträglich. Gleißendes Licht weckte mich. Ich versuchte mich zu orientieren, wollte den Ursprung dieses Lichtes herausfinden, wollte ihm ausweichen, am liebsten es auslöschen oder zumindest vor ihm entfliehen.
Langsam versuchte ich die Augen zu öffnen, nur um sie im gleichen Augenblick wieder zu schließen. Die schmerzen in meinem Kopf vereinigten sich mit dem Licht. Vor mir schienen Blitze zu explodieren, bunt und grell. Das gleichmäßige Hämmern wandelte sich zu einem Stakkato aus stechenden Schmerzen und flackerndem Feuer. Das Brennen unter der Kopfhaut schien mich von innen heraus zerfleischen zu wollen.
Ich versuchte mich zur Seite zu drehen, vielleicht konnte ich diesem Inferno ja so entkommen. Erst jetzt spürte ich, dass ich auf dem Rücken lag. Es kostete mich die größten Anstrengungen, meinen Körper zu bewegen. Zentimeter um Zentimeter begann ich mich zu drehen, bis ich es endlich geschafft hatte. Ich lag auf der rechten Seite.
Meine Wange wurde feucht. Ich war mit meinem Kopf in einer Pfütze eisigen Wassers gelandet.
Für einen Moment tat mir diese plötzliche Kälte gut. Das Brennen ließ nach und auch das tanzende Licht schien sich vor der Kälte zurückzuziehen.
Ich war erschöpft. Alles in mir sehnte sich nach Schlaf. Doch die Kälte begann, an meinem Körper zu nagen. Erfasste erst meine Wange, dann den ganzen Kopf um schließlich weiter zu kriechen. Sie klammerte sich an meinem Körper fest und kroch an ihm entlang. Dort wo sie einen Augenblick innehielt, durchzuckte sie mich. Drang in mich ein. Tief unter die Haut. Drang in mein Fleisch, durchpulste meine Adern.
Ich versuchte mich dagegen zur Wehr zu setzen, doch vergebens, der eisigen Kälte hatte ich nichts entgegenzusetzen.
So öffnete ich meine Augen. Wenigstens wollte ich wissen, wo ich mich befand.
Mit dem Öffnen meiner Augen erstarb das Pulsieren in meinem Kopf, ließ ab von mir, quälte mich nicht länger. Das Flimmernde, unerträgliche Licht erlosch, hörte auf, sich wie Blitze durch meine Augen, in das Innere meines Hirns zu bohren.
Es wurde erträglicher.
Nur die Kälte blieb.
Schwankend erhob ich mich von dem kalten Boden.
Für einen kurzen Moment drohten meine Beine unter mir zu versagen. Doch ich schaffte es, das Gleichgewicht zu halten und mich vollends aufzurichten.
Um mich herum war nichts. Nein, so ganz stimmt dieses nicht. Irgendetwas war schon da. Nur gab es nichts, wohin mein Blick wandern, wo dran sich meine Augen festhalten konnten, um für eine kleine Weile ruhe zu finden.
Dämmriges Licht umgab mich. Als ich an mir herunterblickte sah ich, dass ich nackt war. Meine Füße standen auf einem, aus gleichmäßigen Quadern geformtem Boden, dessen Oberfläche feucht und kalt war.
Rings um mich, Wände aus rohen, unverputzten Ziegeln. Wasser lief in kleinen Rinnsalen an ihnen hinunter und sammelte sich in Pfützen am Boden. Die Ecken des Raumes verloren sich in der Dunkelheit, so dass ich die Größe des Gebäudes nicht einmal annähernd bestimmen konnte.
Über mir eine Dunkelgraue Decke, an der sich Eiskristalle gebildet hatten. Ihr Anblick ließ mich erschauern.
Es gab keine Fenster, selbst eine Tür konnte ich nicht erkennen und ich wäre doch so gerne aus diesem Raum entflohen.
Wie war ich hier hergekommen?
Was war mit mir geschehen?
Ich versuchte mich zu erinnern. Die Schmerzen in meinem Kopf, als ich Erwachte, von einem Schlaf dessen Dauer ich nicht kannte. Das Licht, von dem ich den Ursprung nicht wusste und welches so unvermittelt erloschen war. An all das konnte ich mich erinnern. Nur das, was davor war, lag im Dunkel, im Nichts.
Ein Geräusch ließ mich herumfahren. Der kratzende Klang, wenn Metall auf Stein trifft.
Eine Tür, deren existent ich davor nicht bemerkt hatte, war geöffnet worden. Graues Licht drang in den Raum, Licht, dessen schwache Intensität es nicht einmal bis dorthin schaffte, wo ich stand.
Plötzlich trat eine Gestalt in den Türrahmen. Dunkel, mit umrissen die nicht erkennen ließen, ob Frau oder Mann.
Ohne auf eine Aufforderung zu warten, schritt ich auf sie zu.
Nein, auch als ich direkt vor ihr stand, hätte ich nicht sagen können, ob das dort vor mir Frau oder Mann, Jung oder alt war. Die Gestalt hatte sich in einen schwarzen Umhang gehüllt, deren Kapuze dessen Gesicht nicht zu erkennen gab.
Das Wesen hob die Arme und hielt mir etwas entgegen. Ich erkannte, es war ein Kleidungsstück. Ein ebensolcher Umhang, wie es selbst einen trug.
Wortlos nahm ich das mir da gereichte und schlüpfte schnell hinein. Nun endlich wurde die Kälte erträglicher.
Ich spürte wie wieder wärme durch meine Adern floss.
Schon wollte ich zu sprechen ansetzen. Ich hatte so viele Fragen. Wo bin ich? Wo kam ich her? Warum bin ich hier?
Doch die Gestalt vor mir, erhob seine Hände, bedeutete mir zu schweigen. In meinem Kopf, in meinen Gedanken formten sich Wörter "Schweig! Du wirst die Antwort auf Deine Fragen selbst herausfinden".
Welchen Ursprungs waren diese Wörter? Waren es die meinen, oder gehörtem sie diesem Wesen?
Eine Handbewegung bedeutete mir, ihm zu folgen.
Begreifend, dass all meine Fragen abprallen würden, kam ich dieser wortlosen Geste nach.
Nur wenig heller, als im Inneren des Gebäudes, war es draußen.
Diesig, durchsetzt mit Nebelschwaden wabberte die Luft um uns herum. Fröstelnd umschloss ich mit meinen Armen den weiten Umhang, welchen ich nun trug.
Das Wesen Schritt voran, wenige Meter hinter ihm setzte ich meine Schritte vorsichtig über den zerklüfteten Boden.
Kies wechselte sich mit Sand ab. Dazwischen immer wieder scharfkantige Gesteinsbrocken. Ich versuchte diesen auszuweichen, doch trat ich mit meinen nackten Füßen immer wieder auf einen dieser Steine, deren Kanten sich tief in meine Fußsohlen bohrten. Bald schon spürte ich warmes Blut aus den Wunden treten. Doch schmerzten diese Verletzungen nicht.
Die Welt um uns war still und Grau. Ein Weg war nicht zu erkennen.
Immer wieder kamen wir an Ruinen vorbei. Aus einer solchen musste wohl auch ich in diese Welt gekommen sein. Bauten aus groben, roten Backsteinziegeln, ohne Fenster. Vor einigen konnte ich Menschen sehen, alte, junge, Männer und Frauen, selbst Kinder. Sie alle waren nackt. So wie ich selbst es gewesen war.
Wenn wir an ihnen vorüberschritten, trafen uns ihre fragenden Blicke. Doch niemand sprach ein Wort.
Einige von ihnen kauerten auf der Erde. Andere standen alleine, hatten sich abgesondert. Hier und da hatten sich kleinere Gruppen gebildet, die eng beieinanderstanden. Auch sie schwiegen.
Ich spürte ihre Blicke, wenn wir an ihnen vorübergingen. Spürte das Unwohlsein in meinem Rücken, wenn wir sie hinter uns ließen, und wusste, dass sie uns nachschauten.
Das Wesen schritt weiter vor mir her. Nicht einmal drehte es sich zu mir herum, um sicherzustellen, dass ich ihm immer noch folgte.
Bald ließen wir die Gebäude hinter uns.
Eine Ebene breitete sich vor uns aus. Nur hier und da durch kleine Bodenwellen unterbrochen.
Selten nur sah ich Bäume. Dunkel streckten sie ihre kahlen Äste in den diesigen Himmel. Verkümmert und Schwarz bröckelte ihre Borke von ihnen ab und blieb zu ihren Füßen liegen.
Auch hier wirkte alles um uns herum unwirklich. Graues Geröll wechselte sich ab mit ebenso grauem Kies.
Hier und da war der Boden unter uns aufgerissen. Spalten hatten sich gebildet, aus denen Dampf aufstieg, der sich schnell in der Luft verlor. Dieses war der Ursprung des Nebel.
Die Zeit schien still zu stehen. Wir gingen weiter, immer weiter, ohne dass ich zu sagen mochte, wie lange wir unterwegs waren und welche Entfernung wir dabei zurückgelegt hatten.
Irgendwann sahen wir andere Gestalten, gekleidet wie wir selbst. Immer mehr wurden es. Aus jeder erdenklichen Richtung kamen sie.
Die meisten so wie ich, trabten alleine hinter einem dieser Wesen her. Aber einige erschienen auch in kleineren und größeren Gruppen. Niemand sprach ein Wort. Niemand schaute auf. Auch ich blickte nur auf das Geröll zu meinen Füßen.
Es musste ein gemeinsames Ziel geben. Denn ohne ein Wort, ohne jedes Zeichen der Verständigung, gingen wir alle in dieselbe Richtung.
Immer mehr trafen auf uns, um sich anzuschließen. Wir wurden viele, doch noch immer reihten sich Menschen mit ihren Führern in diesen Marsch der Verlorenen ein.
Eine schweigende Masse, Dunkel gekleideter Individuen. Hunderte mussten wir sein.
Irgendwann konnte ich es sehen, dass Ziel welchem wir alle entgegen strebten.
Vor uns breitete sich ein großer Platz aus, gepflastert aus grauen Steinen. Wir alle sammelten uns auf diesem Platz, bis auch der Letzte ihn betreten hatte.
Es tat gut, endlich wieder auf ebener, glatter Fläche zu stehen. Noch immer schmerzlos quoll das Blut aus meinen zerschundenen Füßen, sammelte sich unter meinem schwarzem Umhang zu einer kleinen Lache, breitete sich aus um sich schließlich mit dem Blut all der anderen zu vereinigen. Hier auf diesem Platz wurden wir eins.
Wieder ein Zeichen des Wesens, welches auch jetzt nicht von meiner Seite gewichen war. Ich sollte ihm weiter folgen.
Wie ein einziges Lebewesen, setzte sich die Masse der Menschen gleichzeitig in Bewegung.
Wir verließen den Platz, um auf einem schmalen Weg weiter zu gehen. Doch dieses mal dauerte unsere Wanderung nicht sehr lange. Eine Treppe mussten wir noch erklimmen, dann standen wir auf einem Bahnsteig.
Endlich traute ich mich, meinen Kopf zu erheben, um mich umzuschauen.
Auch hier herrschte gleichförmiges, eintöniges Grau. Noch immer war die Luft diesig. Die Ausmaße des Bahnsteiges konnte ich nicht ausmachen. Irgendwo, weit vorne, verlor er sich im Nebel.
Hinter uns ein riesiges Gebäude, auch dieses nur aus roten, unverputzten Backsteinen errichtet. Nur hatte dieses Fenster. Groß und ausladend waren diese, schienen mit ihrem, fast schwarzem Glas, in dem sich kaum ein Lichtstrahl brach, auf uns herunter zu schauen.
Eine große, runde Uhr prangte an seiner Fassade. Doch die Zeit ließ sich an ihr nicht bestimmen. Es gab keine Zeiger, welche über die Zahlen des Ziffernblattes strichen.
Unter der Uhr war das Bahnhofsschild angebracht. Metallen, groß und Weiß lackiert, zeigte es in schwarzen Lettern das Wort „Ich“.
Ein leises Vibrieren unter meinen Füßen, welches sich langsam in meinem Körper fortsetzte, sagte mir, ein Zug würde jeden Moment einfahren. Schon konnte ich in der ferne die Rauchschwaden erkennen, bald auch das stampfende Geräusch der Lock hören.
Nur kurze Zeit später rollte die Lokomotive in den Bahnhof ein. Fauchend verlangsamte sie die Fahrt, mit einem Zischen kam sie endlich zum stehen. Waggon an Waggon reihte sich nun hintereinander.
Ich ahnte, für diese Reise würde ich keine Fahrkarte benötigen.
Mein hier sein, war Berechtigung genug.
Das Wesen bedeutete mir, einzusteigen.
Fast wie von selbst trat ich auf die erste Stufe der kurzen, stählernen Treppe, die in den Waggon, welcher direkt vor uns zum stehen gekommen war, führte.
Ich blickte mich nicht um, als ich auch die letzten Stufen hinter mich brachte.
Der Zug füllte sich schnell mit all den anderen, die mit mir auf dem Bahnsteig gewartet hatten. Doch es gab kein Gedränge, kein Schubsen, kein Murren. Still und instinktiv lenkte jeder seine Schritte, zu dem ihm angestammten Platz. Niemand hatte Gepäck, welches erst verstaut werden hätte müssen.
Auch ich war bald an meinen Platz gelangt. Setzte mich und blickte durchs Fenster hinaus.
Noch immer stand das Wesen, welches mich hier hergeleitet hatte, dort.
Mein Blick ruhte unverwandt auf ihm. Endlich hob es seine Arme, faste mit den Händen die Kapuze und streifte diese ab. So, als hätte ich es von Anbeginn gewusst, wunderte ich mich nicht, als ich in mein eigenes Gesicht, in meine eigenen Augen schaute.
Ja, all meine Fragen waren von selbst beantwortet worden.
Mein Leben war erloschen, die Erinnerungen daran bedeutungslos geworden.
Ich hatte mich eingereiht, in den Marsch der Toten.
Ich wendete meinen Blick ab. Wollte meinem Selbst nicht länger ins Gesicht schauen.
Ein Ruck ging durch den Zug, als dieser sich langsam in Bewegung setzte.
Eine Reise begann, dessen Ziel, deren Dauer, mir unbekannt war.
Im Bewusstsein, nur das hier und jetzt hatte noch einen wert, lehnte ich mich in meinem Sitz zurück.
Ich bin und weiß nicht wer. Ich komm' und weiß nicht woher.
Ich geh', ich weiß nicht wohin. Mich wundert, dass ich so fröhlich bin!
Wenn ich wüsste, wer ich bin. Wenn ich ging und wüsste wohin.
Wenn ich käm und wüsste woher. Ob ich dann wohl traurig wär?
Texte: Ralf von der Brelie
Tag der Veröffentlichung: 18.05.2014
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