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Großstadtdschungel

„Nun, dann werde ich wohl in die Stadt fahren müssen." Sie blickte ihn erstaunt, fast ungläubig an.
„In die Stadt ?"
Nervös kneteten ihre Hände den Stoff der Kittelschürze, welche sie trug. Eine Angewohnheit, die ihn manchmal zum Wahnsinn trieb. Immer, wenn irgendetwas geschah, was sie verunsicherte, verärgerte oder sie - wie jetzt - in Erstaunen versetzte, glitten ihre Hände unweigerlich herunter und begannen die Schürze zu bearbeiten. Kneteten, zupften, zerrten an ihr herum.

Sie spürte seine missbilligenden Blicke auf sich gerichtet und ließ ab von dem Stoff. Fahrig versuchte sie, mit den Handflächen die soeben verursachten Falten glatt zu streichen. Auch das war eine Angewohnheit die er kannte und in den vielen Jahren ihrer Ehe schon so oft an ihr gesehen hatte.

„Wenn der Klempner erst in zehn Tagen Zeit hat, dann werde ich die Sache halt selbst in die Hand nehmen müssen, oder was meinst du?" Sie wusste, er würde keine Antwort von ihr erwarten. Er war ihr viel zu vertraut, so dass sie sicher war, auch wenn es sich wie eine Frage anhörte, seine Entscheidung hatte er bereits gefällt.

Ihr Blick ging Richtung Fenster. Es war erst früher Vormittag und doch war es dunkel dort draußen. Schwere Wolken lagen tief über der Landschaft und es würde bald zu regnen beginnen. Auch wenn es hier drinnen wohlig warm war und sie die Kälte nicht spüren konnte, ahnte sie doch, es würde unangenehm sein. Es war Anfang Januar, ein Januar der versprach, so verregnet zu werden, wie es auch der Dezember gewesen war.

 

„Weihnachten, der Jahreswechsel. Fast alle haben Urlaub, Sie verstehen?", hatte der Klempner, als sie mit ihm telefonierte, auf ihre Bitte hin, doch bei ihnen vorbeizukommen, geantwortet. „Frühestens in zehn Tagen, davor ist wirklich nichts zu machen", hatte er noch beteuert, bevor sie das Gespräch beendeten.

 

Der Schlauch an der Waschmaschine tropfte. Erst nur ein wenig, dann immer heftiger. Ihr Mann hatte versucht, diesem stetigen Tropfen mit Klebeband Herr zu werden. Aber vergeblich. Statt weniger tropfte es nur noch mehr. Wurde schließlich zu einem Rinnsal und es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Wasserzufuhr endgültig zu stoppen und die Maschine außer Betrieb zu setzen.

 

„So wichtig ist die Waschmaschine nun auch wieder nicht", versuchte sie ihn umzustimmen. Aber sie wusste, er hatte seine Entscheidung zu fahren schon längst gefasst. Es würde keinen Sinn machen, ihn davon abbringen zu wollen.

 

Nein, die Waschmaschine war ihm egal, ob sie nun ihren Dienst tat oder auch nicht, war nicht wichtig für ihn. Aber für sie, seine Frau, war es wichtig. Er kannte sie so gut. Es war nicht die Waschmaschine, es ging ihr darum, dass irgendetwas nicht perfekt war, etwas nicht so war, wie es sein sollte. Darum war er entschlossen selbst in die Stadt zu fahren, um dort irgendwo einen neuen Waschmaschinenschlauch zu besorgen.

 

Er würde die Landstraße benutzen müssen, was wohl so an die sechzig Kilometer Fahrt bedeutete. Wenn er sich sogleich auf den Weg machte, könnte er am Nachmittag dort ankommen und noch vor Einbruch der Nacht wieder zurückkehren.

Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, während er auf den Flur hinausgegangen war. Dorthin, wo sein schwerer, grüner Lodenmantel an der Garderobe hing.

 

Sie stand hinter ihm, als er sich seinen Mantel überzog.

Das Alter hatte ihm nicht viel anhaben können, dachte sie. Noch immer war er eine stattliche Erscheinung. Noch immer bewunderte sie seine Entschlossenheit, die er schon als junger Mann an den Tag gelegt hatte. Die sie schon als junges Mädchen so anziehend fand und sie so oft in Erstaunen versetzt hatte.

Beide waren sie schon über achtzig Jahre alt, konnten zurückblicken auf ein langes, gemeinsames Leben.

 

Er hatte seinen Mantel übergezogen. Drehte sich nun zu ihr um. Ertappt ließ sie ihre Hände sinken, welche sich wieder in ihrer Schürze vergraben hatten. Doch als er sie ansah, war in seinen Augen keine Spur von Missbilligung zu sehen, nur ein kleines Lächeln umspielte die Fältchen seiner Augen.

Er wandte den Blick von ihr ab. Drehte sich um, dorthin, wo seine schweren Lederstiefel standen, die er ergriff, sich auf einen Stuhl niederließ und diese anzog.

Sie schaute ihm zu, wie er dort saß. Ein leises Stöhnen drang aus seinem Mund, als er sich nach einem der Stiefel bückte, weil dieser erst nicht so recht wollte.

Doch, dachte sie. Doch. So wie er dort vor mir sitzt, vornübergebeugt und versuchend, sein Stöhnen zu unterdrücken, wirkt er alt. Sie sah hinab auf ihre faltigen Hände. Alt wie ich selbst es geworden bin, denkt sie.

 

Er richtete sich auf. Stand nun vor ihr. Sie legte ihm den Wollschal um, welchen sie ihm zu Weihnachten gestrickt hatte.

Sie half ihm, als er unbeholfen versuchte, den Schal unter den Mantelkragen zu stopfen. Stellte ihm anschließend den Kragen auf und wie zufällig legte sie dann ihre Hände auf seine Brust und schaute zu ihm hoch. Lächelnd blickte er sie an, beugte sich dann herunter zu ihr und küsste sie auf die Stirn. „Bis bald", sagte er leise.
„Bis bald“, antwortete sie ihm, ebenso leise.

 

Er wandte sich ab von ihr, öffnete die Haustür und trat hinaus in die Kälte.

Entschlossen richtete er seine Schritte quer über den Hof, Richtung Scheune, wo er schwungvoll das große Tor aufstieß.

Rot glänzend, mit dem silbernen Schriftzug "Porsche" an seiner Seite, stand er dort vor ihm. Fast liebevoll strich er über die Motorhaube.

Als er ihn damals gekauft hatte, Ende der fünfziger Jahre musste es wohl gewesen sein, hatte er mit ihm Aufsehen erregt, auf ihrem kleinen Dorf. Nur selten fuhr er noch mit ihm, aber wenn, dann drehten sich auch heute die Leute nach ihnen um.

„Seltsam, wie sich die Zeiten ändern, und doch so gleich bleiben", dachte er bei sich, als er sich mit festem Tritt auf den stählernen Sitz hievte.

 

Knatternd sprang der Motor an, eine Wolke Qualm entwich dem Auspuff und stieg zur Decke empor.

Noch einmal brachte er seinen Mantel in Ordnung, legte sich den Schal fester um den Hals, richtete den Kragen seines Mantels. Dann legte er den Gang ein und mit einem Ruck begann der Traktor zu rollen. Hinaus aus der Scheune, vom Hof herunter auf die Straße, welche ihn in die Stadt bringen würde.

 

Sie war aus dem Haus getreten, hatte ihn beobachtet wie er zur Scheune ging, den Traktor startete und davonfuhr.

Sie wusste, es war nicht die kaputte Waschmaschine, weshalb er den Weg in die Stadt auf sich nahm.

Damals, als sie sich kennen und lieben gelernt hatten, da hatte sie ihn gefragt, ob er ihr versprechen würde, sie immer zu lieben.

Es hatte sie nicht gewundert, dass er zögerte, ihr eine Antwort zu geben. Er war nie besonders wortgewandt gewesen und es waren nie seine Worte, die sie so an ihm liebte. Es waren sein Selbstbewusstsein, seine stete Entschlossenheit und die Kraft, die von ihm ausgingen, die sie an ihm liebte und ihr das Gefühl gaben, an seiner Seite könnte ihr niemals etwas zustoßen.

Aber dann, als er ihr endlich Antwort gab, konnte sie es nicht glauben.
„Nein", hatte er gesagt. Ein Nein, welches ihr wie ein Messer tief ins Herz geglitten war. Eine Antwort, welche sie nicht erwartet hatte und die ihr Tränen in die Augen trieb.

Er spürte damals, dass er mit seiner Antwort begann, etwas zu verlieren, noch bevor er es besessen hatte. Verzweifelt versuchte er, ihr seine Antwort zu erklären, und weil sie die Verzweiflung in seinen Augen sehen konnte, hörte sie ihm zu, anstatt fortzulaufen und ihm für immer den Rücken zuzukehren.

„Ich kann dir nicht versprechen, dich immer für immer zu lieben", sagte er. „Ich weiß nicht, was Morgen oder Übermorgen ist. Ich weiß nur, dass ich dich jetzt liebe, jetzt in diesem Moment. Liebe ist immer nur das Jetzt, immer nur der Augenblick. Ich kann dir keine Liebe für die Ewigkeit versprechen. Versprechen kann ich dir nur, alles dafür zu tun, dass, wenn wir beide einmal alt und grau geworden sind, du mich immer noch lächelnd anschauen und sagen kannst: ´Du warst der beste Freund in meinem Leben.´"

Damals wusste sie, er war der Mann mit dem sie ihr Leben teilen wollte.

 

In all den Jahren hatte er sein Versprechen niemals gebrochen und als sie ihm nachschaute, wie er dort vom Hof und dann die Straße entlangfuhr, wusste sie: Es war nicht die kaputte Waschmaschine, weshalb er dort vornübergebeugt auf dem Traktor saß und der Stadt entgegen rollte. Es war sein Versprechen, das er auch dieses Mal einzulösen gedachte.

 

Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt, kaum dass er den Hof hinter sich gelassen hatte. Er schaute sich nicht um. Er wusste, sie würde dort hinten stehen und ihm nachblicken, ihre Hände in der Schürze vergraben.

 

Die Landstraße war fast leer, nur wenige Menschen waren unterwegs. Rechts und links von ihm Felder. Kahl und trostlos lagen sie da.

Unter der Motorhaube tuckerten gerade einmal vierzehn PS und so kam er nur langsam voran.

Die Stunden vergingen und während vor ihm das lange, graue und feuchte Band der Straße langsam, aber stetig unter der Motorhaube verschwand, hing er seinen Gedanken nach. Dachte daran, dass er alt wurde. Dachte an seine Frau und die vielen Jahre, die sie miteinander verbracht hatten. Er wusste, sie würde sich Sorgen machen und nicht eher zur Ruhe kommen, bevor er nicht sicher wieder zu Hause angelangt wäre. Er hoffte, sie hatte nicht allzu lange dort draußen gestanden, im Regen, um ihm nachzublicken. Er sah sie dort stehen. Ihr graues Haar, welches vom Regen immer feuchter wurde. Er sah sie, ihre Hände tief in der Schürze vergraben und diese malträtierend. Er musste an sie denken und ein Lächeln umspielte seinen Mund.

 

Ärgerliches Hupen sagte ihm, dass er die Stadt erreicht hatte.

Niemand hier schien Zeit zu haben, jeder hatte es eilig dorthin zu kommen, wo auch immer er hin wollte.

Das Hupen hinter ihm schwoll an. Irgendjemand zeigte ihm einen Vogel, als er wütend an ihm und seinem Traktor vorbeischoss.

Er wusste nicht, wohin genau er fahren sollte und so fuhr er einfach geradeaus weiter. Immer der mehrspurigen Straße folgend, auf der er sich befand.

Lange war er nicht mehr in der Stadt gewesen und noch niemals mit dem Traktor, vieles hatte sich hier verändert. Er kannte sich nicht aus, versuchte die vielen Schilder zu deuten, welche nicht nur rechts und links die Straße säumten, sondern auch noch oberhalb derselben angebracht waren.

Spritzwasser von vorbei sausenden Fahrzeugen besprühte sein Gesicht. Auf den Fußwegen hasteten die Menschen entlang, Stur geradeaus, auf das kleine Stück Weg vor ihren Augen starrend. Nur ein paar Kinder blieben stehen und winkten ihm zu.

Die Schaufenster waren voll mit Waren und überall blitzten Schilder und Tafeln auf, die versprachen: „Nur hier gibt es das beste Angebot!“.

Buntes Licht an jedem Gebäude, blitzend und flackernd forderte es auf: „Kauf mich, kauf mich!“.

An einer Kreuzung musste er stehen bleiben. Eine rot leuchtende Ampel verbot ihm die Weiterfahrt. Ein paar Fußgänger, die vor ihm die Straße passierten, blickten kurz auf, betrachteten ihn und sein komisches Gefährt.

Die Ampel sprang um auf Grün. Ruckelnd setzte er seinen Weg fort.

Ein Motor heulte auf und vor ihm scherte ein Wagen ein. Der Fahrer wollte unbedingt noch schnell an seinem Traktor vorbeiziehen und hätte dabei fast ein ihm entgegenkommendes Fahrzeug gerammt. Wieder erklang aufgeregtes, ärgerliches Hupen.

Er war verwirrt, versuchte sich auf die Straße zu konzentrieren und gleichzeitig die Schilder rechts, links und oberhalb von sich zu lesen. Hoffend, von ihnen irgendeinen Hinweis zu bekommen, welche der vielen möglichen Richtungen die richtige wäre.

 

Wieder scherte ein Fahrzeug vor ihm ein. Doch dieses Mal war es nicht ein ärgerlicher Autofahrer. Die Hand mit der Kelle, welche aus dem Beifahrerfenster gehalten wurde und ihn aufforderte anzuhalten, zeigte ihm, dieses war die Polizei.

Er verlangsamte seine Fahrt, hielt schließlich an.

Einer der Polizisten stieg aus dem Wagen, kam langsam auf ihn zu, dabei fast ungläubig seinen Traktor bestaunend. „Sie können doch hier nicht den gesamten Verkehr lahm legen“, sagte der Beamte, als er neben dem Traktor angelangt war. „Nun geben Sie mir erst einmal ihre Papiere“, forderte er ihn dann auf.

Er wühlte forschend in der Innenseite seines Lodenmantels herum, schließlich kam das große Lederetui zum Vorschein. Wortlos reichte er dem Beamten die geforderten Dokumente, welche dieser genauestens studierte und dabei langsam um den Traktor herum ging.

„Wo wollen sie eigentlich hin, mit diesem Gefährt?“, fragte ihn dann der Polizist und reichte ihm seine Papiere auf seinen Traktor empor.

Er erklärte ihm das Problem mit der Waschmaschine, berichtete von dem kaputten Schlauch und dass der Klempner nicht kommen konnte und er nun auf der Suche nach einem Baumarkt wäre.

„Tja, aber hier die Hauptstraße entlang schleichen und dabei den ganzen Verkehr aufhalten, das geht nun wirklich nicht“, meinte der Beamte „Am besten fahren Sie ...“ So begann der Polizist ihm eine detaillierte und wortreiche Wegbeschreibung zu geben, welche ihn, auf Nebenstraßen, bis zum nächsten Baumarkt führen sollte.

Er war durcheinander, nickte aber nur bestätigend, alles verstanden zu haben.

 

Er tuckerte weiter. So, wie es ihm der Polizist gesagt hatte, bog er in der nächsten Straße rechts ein. Aber schon an der nächsten Kreuzung wusste er nicht weiter. Geradeaus, links oder rechts ?

Er entschied sich dafür, weiter geradeaus zu fahren.

So gelangte er in einen Stadtteil, der seine besten Jahre schon lange hinter sich gelassen hatte. Mehrstöckige Gebäude säumten die Straße. Rote Backsteinziegel, Graffiti an den Hausmauern, Fassaden, aus denen der Putz bröckelte. Nur wenig einladend wirkte das alles auf ihn.

Er hatte sich verfahren, soviel wurde ihm klar.

Suchend blickte er um sich.

Dort hinten standen einige Frauen auf dem Bürgersteig, die könnte er nach dem Weg fragen.

Ein weiterer Blick sagte ihm, dass es sich bei diesen Damen nicht wirklich um Damen handelte. Aber das war unwichtig, es hatte wieder angefangen zu regnen und er wollte nicht länger durch die Stadt irren, sehnte sich nach Daheim und der warmen Wohnstube.

 

Kaum hatte er seinen Traktor neben den „Damen“ zum Stehen gebracht, als auch schon eine auf ihn zu geschlendert kam.

Schlank, jung, blond und Kaugummi kauend kam sie ihm entgegen, dabei aufreizend mit den Hüften wackelnd.

Irgendwer sollte ihr sagen, wie lächerlich das aussah, dachte er bei sich, als sie ihn auch schon ansprach. „Na, Opi, wo haben sie dich denn raus gelassen, biste aus dem Altersheim getürmt?“, sagte sie und schaute ihn dabei herausfordernd an.

Das „Opi“ überhörte er geflissentlich.

Er schaute sie von seinem Traktor herab an und erklärte er, dass er nichts weiter wollte, als den nächsten Baumarkt zu finden. Er bat sie, ihm den Weg dorthin zu erklären.

„Ein Rohr kannste auch bei mir verlegen, da brauchste nicht extra für zum Baumarkt“, grinste sie.

Seine Augen schauten direkt in die ihren. Sie senkte den Blick, fast war ihm, als wenn sie sich ein wenig schämte für das, was sie da gerade von sich gegeben hatte.

Sie drehte ihren Kopf, schaute über ihre Schulter hinter sich. Dann wanderte ihr Blick nach oben, in den grauen Himmel, aus dem noch immer dicke Regentropfen fielen.

„Also Opi“, wandte sie sich wieder ihm zu. „Wenn auf deinem Bock da Platz für zwei ist und du versprichst, mich anschließend wieder hier abzusetzen, komme ich mit und zeig dir den Weg.“ Wieder blickte sie hinter sich und setzte hinzu: „Heute ist sowie nix mehr los, das Wetter verdirbt das Geschäft.“

Seine prüfenden Blicke glitten an ihr hinunter. Schwarze Hotpants, aus denen ihre mit Netzstrümpfen bekleideten Beine hervorschauten. Hochhackige, rosa Schuhe an den Füßen.

„Aber erst musst du dir was Anziehen“, sagte er, sie immer noch mit prüfendem Blick betrachtend. „Du erkältest dich ja sonst.“
„Ob ich mich nun hier erkälte oder oben auf deinem Bock ist doch schnuppe“, sagte sie. Eine Logik, welcher er nichts entgegenzusetzen hatte. So stieg er schwerfällig von seinem Traktor hinab und half ihr anschließend, darauf Platz zu nehmen. Wobei das mit dem Helfen für ihn nicht ganz so einfach war, denn er wusste nicht recht, wo er bei ihrer freizügigen Bekleidung eigentlich genau anfassen sollte, ohne das es anzüglich wirkte.

Als beide dann endlich oben saßen, sie neben ihm auf dem Radkasten, konnte es weiter gehen. Mit einem Ruck, auf den sie nicht gefasst war und der sie fast wieder herunter katapultiert hätte, wenn er nicht beherzt zugefasst hätte, setzte sich sein Traktor in Bewegung.

Der Weg war gar nicht so kompliziert, wenn man ihn denn wusste, so dass sie schon nach kurzer Zeit auf dem großen Parkplatz des Baumarktes zum Stehen kamen.

Sie half ihm sogar, im Markt das passende Schlauchstück zu finden, welches er für die Waschmaschine benötigte.

Ein seltsames Paar, dachten wohl viele, als sie da gemeinsam durch den Baumarkt trabten. Auch, als sie anschließend in dem Stehkaffee im Eingangsbereich des Marktes gemeinsam einen Kaffee tranken, wurden sie unverhohlen angestarrt.

Die braune Flüssigkeit, welche hier Kaffee genannt wurde, mit kleinen Schlucken zu sich nehmend, begannen sie zu plaudern. Er erzählte von daheim, seiner Frau, mit der er nun schon über sechzig Jahre verheiratet war und die auf ihn wartete, ihre Hände sicher wie gewohnt, nervös und ungeduldig in der Schürze vergrabend. Sie berichtete ihm von ihrem Leben auf der Straße, von lustigen und manchmal auch nicht ganz so lustigen Erlebnissen mit all den Männern, welche sie zwangsläufig kennenlernte. Beiden war egal, dass die vorbeigehenden Passanten sie anstarrten. Beide hatten sie schon genug erlebt, als das dies noch Bedeutung für sie hatte.

 

Wie versprochen, setzte er sie wieder dort ab, wo er sie aufgelesen hatte.

„Bist doch ein Netter!“, rief sie ihm nach, als sie ihm den Weg hinaus aus der Stadt erklärt hatte und sie sich verabschiedeten.

 

Es war schon dunkel, als er endlich zu Hause eintraf. Wie vermutet stand seine Frau hinter dem Fenster im Wohnzimmer, seiner Wiederkehr harrend.

Als sie dann beide etwas später im Wohnzimmer saßen, das Stück Schlauch auf dem Tisch platziert und sich ansahen, waren keine Worte nötig. Sie saßen sich gegenüber, lehnten sich zurück. Blickten sich in die Augen und lächelten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Ralf von der Brelie
Bildmaterialien: Ralf von der Brelie
Lektorat: Ursula Kollasch
Tag der Veröffentlichung: 05.01.2014

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