Erst konnte ich stundenlang nicht einschlafen und dann wirbelte folgende Horrorvision durch meinen Kopf, ein Albtraum der Extraklasse.
Meine Schwiegermutter verstarb unerwartet in der Nacht, ausgerechnet auch noch in unserer Wohnung. Arg betrübt bin ich deshalb nicht. In der Familie hatte sie den Spitznamen „La Diva“ und dementsprechend führte sie sich auf. Wenn sich nicht alles um sie drehte, dann gab es Theater. Mein Mann war ihr absolutes Lieblingskind, weil er sich immer um sie sorgte. Aber auch ich bemühte mich redlich. Jeden Abend kochte ich ihr einen Schlaftrunk. Das ist ein Gemisch aus Schokolade, Sahne und einem Schuß Armagnac. Auch gestern schlürfte sie noch mit großem Genuss das Kakaogetränk.
Die alte Schachtel hatte einen großen Wunsch. Sie wolltel nur auf dem Cemetiére Pére Lachaise in Paris beigesetzt werden. Dieser Friedhof oder "Cité des morts“ ("Stadt der Toten"), wie die Franzosen ihn nennen, ist weltberühmt. Dort sind die Ruhestätten vieler bekannter Musiker und Schriftsteller. Zur Grabstätte von Jim Morrison pilgern jährlich tausende Fans mit Joints und Bierdosen bewaffnet. Im Columbarium ist eine Etagere nur fuer die Urnen der ehemaligen Liebhaber von Edith Piaf reserviert.
Und ausgerechnet dort muss die letzte Ruhestätte von Schwiegermutter sein.
Nun gibt es kleines Problem. Nur, wer in Paris geboren oder gestorben ist, darf hier ein lauschiges Plätzchen belegen. Wir wohnen aber in der Nachbarstadt, zirka 10 Minuten entfernt.
Was tun? Wie bekommen wir die Leiche von Schwiegermama unauffällig nach Paris?
Sicherlich eine Stunde, vielleicht auch zwei, überlegten mein Mann und ich bei einem Glas Rotwein hin und her. Schon benebelt vom Bordeaux blickte ich auf unseren Perserteppich. Voila! Ein Gedanke, eine Tat! Wir wickelten die Gute in den Teppich. Mit Paketband wurde die Rolle sorgfältig verschlossen. Zu zweit schleppten wir ächzend die schwere Fracht durch die Nacht. Niemand begegnete uns, welch ein Glück. Am Ende der Kräfte erreichten wir den kleinen Blumenpark von Paris. Dort warfen wir uns total erschöpft auf eine Bank und den Teppich auf den Boden. Im gleichen Moment kam ein Auto der Müllabfuhr angefahren, zwei Männer schnappten sich den Perser und knallten ihn auf den Sammelmüll des Wagens und brausten davon. Entsetzt sahen wir dem Treiben zu, unfähig zu reagieren.
Total schockiert wanderten wir nach Hause. Dort schlüpfte ich sofort unter die warme Bettdecke und schlief ein.
Am Morgen trottele ich total verschlafen durch die Wohnung. Verwundert starre ich in den Salon. Aber da ist nur noch das blanke Parkett.
Nanu, wo ist denn der Teppich?
Verkatert tapse ich in die Küche. Dort ist alles unverändert. Auf dem Ofen steht der Topf mit den Schokoladenresten, die Buddel Armagnac und auch das kleine Fläschchen mit dem Totenkopf ist noch da.
Das verstehe ich nicht. Ich werde doch nicht? Ich doch nicht. Oder vielleicht doch?
Bis zum nächsten Albtraum! Oder bis zur nächsten Schwiegermutter!
Texte: Robustus
Tag der Veröffentlichung: 09.04.2011
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