Handwerk und Technik (01/2003) (03/2005) (09/2006) (02/2009)
Nina habe ich kennengelernt, als ich versuchte, am Mauerwerk des Alten Schlachthofes an der Storkower Straße einen Nagel »einzuschlagen«, »einzuklopfen«, »einzubringen«, oder wie auch immer man das nennt. An dieser ungeschickten Formulierung wird deutlich, dass ich handwerklich nicht zu den Fähigsten gehöre. Kurz gesagt, ich wollte den Nagel in die Wand bringen und daran ein Transparent hängen, um auf diese Weise zu demonstrieren. Dagegen, das auf dem ehemaligen Schlachthofgelände inzwischen ein Wohnsilo entstanden war, dass den Namen »Neues Leben im Hausburgkiez« trug, was in mir, als Bewohner einer Altbauwohnung gegenüber, den Eindruck erweckte, ich gehöre zum »Alten Leben«, dass sich gefälligst zum Teufel scheren soll, spätestens dann, wenn die Wohnung saniert und der Unterhalt für mich unerschwinglich würde.
Ich war also gerade am Nagel irgendwas, als Nina vorbeikam. »Was machsten da?«, fragte sie. Ich schaute genervt zu ihr, denn ihre Frage entlarvte meine zum Scheitern verurteilte Absicht. »Ich haue einen Nagel in die Wand, um zu demonstrieren«, antwortete ich.
Ärger stieg in mir hoch, denn ihre Anwesenheit brachte mich derart durcheinander, dass ich nicht einmal den Satz logisch zu Ende bringen konnte. Sie sah sich mein hoffnungsloses Treiben noch eine Weile an und meinte dann: »Ne Demonstration mag das ja sein, aber einen Nagel kriegste so nich in die Wand. Lass mich ma ran.«
Nina. Da stand sie, die Hände in den Taschen, sichtlich belustigt von meinem Treiben, das zu keinem Ziel führte. Ich seufzte und drückte ihr das Werkzeug in die Hand.
Sie hämmerte den Nagel in die Wand, wie ich es zuvor nicht gesehen hatte und anschließend gingen wir einen Kaffee trinken, was unter Umständen die Einleitung einer Beziehung darstellt. In diesem Fall nicht unter Umständen, sondern tatsächlich und wir zogen auch gleich zusammen. Sie renovierte erstmal die Wohnung und ich schaute mir mal ihren Computer an. »Wenn ich CAD-Anwendungen starte«, beschwerte sich Nina. », dann läuft die verdammte Gurke scheiße langsam. Ich bin total genervt davon. Was bin ich froh, so einen erfahrenen Systemadministrator wie dich zu haben.«
»Und ich bin froh, eine zu lieben, die einen Lichtschalter im Flur anbringen kann«, flüsterte ich zärtlich. Wir küssten uns leidenschaftlich.
Die Wohnung richteten wir unseren Interessen entsprechend ein. Das Wohnzimmer bestand auf der linken Seite nur aus einer Werkbank, auf der Nina ihr Arsenal an Werkzeugen lagerte. Die rechte Seite nahm ein großer Schreibtisch mit mehreren Monitoren und Computern ein, wo ich mein Netzwerk aufgebaut hatte und die Zeit damit verbrachte, mich in Banken einzuhacken und Geldströme unerkannt auf mein Konto fließen zu lassen. An der Wand hing eine Anleitung zum Nägel einklopfen oder einbringen, die ich bald nach dem Einzug von Nina heruntergeladen hatte. Trotz meiner Liebe zu ihr wollte ich mir niemals wieder, zumindest was Nägel anging, das Heft beziehungsweise den Nagel aus der Hand nehmen lassen. Manchmal drehte ich mich im Drehstuhl zu ihr herum und sah ihr zu, wie sie Zeitzünder und Rohrbomben bastelte. Das war nur ihr Hobby, sie verband damit keine politische Absicht. Manchmal gingen wir nachts zu einer unbeleuchteten Stelle auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofes und zündeten eins, zwei Sprengkörper. Danach gingen wir wieder nach Hause und liebten uns.
Im weiteren Verlauf unserer Beziehung kam es natürlich auch zu Streitereien. Manchmal fing es damit an, dass eine der Glühbirnen kaputt ging, was Nina stets mit einem »Na, dann gehe ich mal an die Decke« kommentierte. Bisweilen meinte sie das entspannt witzig, zu anderen Gelegenheiten aber war diese Aussage der Höhepunkt eines stundenlangen sich Ärgerns über mich und wenn sie dann die Glühbirne gewechselt hatte, fing der eher harmlose Teil unserer Konfrontation an.
Sich mit Worten zu bewerfen, war schmerzhaft für die Nerven, weshalb wir uns meist schnell wieder vertrugen. Manches Mal aber eskalierte unser Streit bis zu dem Punkt, wo wir anfingen, uns mit typischen Gerätschaften unserer jeweiligen Berufsfelder zu attackieren.
Grundsätzlich legte ich mir zu Beginn drei Dinge zurecht - ein schweres, altes Parallel-Druckerkabel, ein Diskettenlaufwerk sowie eine Spindel Rohlinge.
Ninas Arsenal an Wurfgeschoßen war auch nicht von schlechten Eltern – Meißel, Schraubendreher und wenn sie es versöhnlich zärtlich meinte, dann den Zollstock.
Wenn es ganz schlimm zwischen uns lief, dann benutzte sie die Bohrmaschine UND den Tapeziertisch, während ich NUR mit einer Festplatte konterte.
Dann aber hatten wir unser letztes Pulver verschossen und vertrugen uns wieder.
»Du, Robert, ich glaube, ich muss dir mal beibringen, wie man eine Glühbirne wechselt. Das bringt ja alles nix. Die Bohrmaschine ist schon wieder im Arsch.«
»Und ich, meine Süße, optimiere mal wieder dein Betriebssystem, damit du dich künftig nicht mehr darüber ärgern musst, dass der Rechner so lange hochfährt und du den Frust darüber dann an mir auslässt. Ich schätze, die Platte kann ich vergessen.«
Abends im Bett las ich dann ein Buch über das TCP/IP Protokoll oder die neuesten Tuning-Tips, während sich Nina milde von einem Gaslicht-Roman ängstigen ließ oder den Eiffelturm nachschnitzte. Ich hatte es mir inzwischen abgewöhnt, sie in diesem Fall auf die Späne aufmerksam zu machen, die sie stets im Bett beließ und die mir später beim Sex in den Rücken pieksten. Nina wurde dann nämlich immer zickig, hielt mir das Schnitzmesser an die Kehle und fragte, ob ich damit ein Problem habe. Selbstverständlich verneinte ich dies immer und ärgerte mich, dass die Festplatte nie griffbereit neben dem Bett lag, um ihr die nötigenfalls über den Schädel zu ziehen. Aber, um ehrlich zu sein, eigentlich waren diese Späne doch unwichtig.
Ach, ich liebe Nina.
Tag der Veröffentlichung: 03.03.2009
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