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Ich, ein Illuminat (02/2009)

Mit dem Thema Illuminaten konnte ich bislang wenig anfangen. Der historisch verbürgte Illuminatenorden, der 1778 gegründet worden war und als Ziel die Verbesserung und Vervollkommnung der Welt im Sinne von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hatte, war ein illustrer Kreis mit bekannten Mitgliedern wie Goethe und Johann Gottfried Herder. 1785 wurde der Orden in Bayern verboten und stellte bald darauf seine Aktivitäten ein. Das klingt nur mäßig interessant. Später kam die Vorstellung auf, der Orden existiere weiterhin, habe sich bis in die höchsten Kreise der Macht und darüber hinaus ausgedehnt und kontrolliere in Wirklichkeit die Geschicke dieser Welt.
Die Vorstellung, Angela Merkel hätte in Deutschland eigentlich nicht das Sagen und Barack Obama im Weißen Haus nicht die Hosen an, ist doch kaum vorstellbar.

Das an der Sache mit den Illuminaten doch was dran war, davon erfuhr ich bei einem meiner Besuche beim Jobcenter Mitte. Frau Sonnenschein hatte mich eingeladen, um mit mir über meine berufliche Zukunft zu sprechen.
„Nun, Herr Rescue, ich will ehrlich zu ihnen sein: ihre letzte Qualifizierung als IT-Fachkraft liegt sechs Jahre zurück. Sie haben seitdem keinen Weg in den ersten Arbeitsmarkt gefunden und die Jahre mit ABM und anderen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verbracht. Jetzt sind wir mitten in der Wirtschaftskrise, so das ihnen klar sein dürfte, dass ihre Chancen schlechter sind als zuvor.“
„Ihre Vorgängerin, Frau Himbeere meinte immer, ich sei hochqualifiziert und das sei das Problem.“
„Das war 2008 so, aber jetzt haben wir 2009. Außerdem war das der Standardspruch von der Kollegin.“
„Und jetzt?“ Meine Frage war ein Ausdruck meiner Mitwirkungspflicht gegenüber dem Jobcenter. Die Frage sollte eine Perspektive aufzeigen, wie es nun mit mir weiterging.
Frau Sonnenschein nahm ein Papier in die Hand und las es sich kurz durch. „Glauben sie an die Illuminaten, Herr Rescue?“, fragte sie dann. Ich überlegte, was ich antworten sollte. Ich war an diesem Vormittag auf alles vorbereitet gewesen. Eine Umschulung, ein Jobangebot, sogar auf eine willkürliche Kürzung meiner HARTZ IV-Bezüge. Aber darauf nicht. Ich erinnerte mich an meine Mitwirkungspflicht und antwortete: „Ja.“ Schaden konnte es ja nicht.
„WIR haben uns unserer gesellschaftlichen Pflicht erinnert“, erklärte Frau Sonnenschein. „und uns entschlossen, einen kleinen Teil der Arbeitslosen mit Arbeit und Unterhalt zu versorgen, zumindest für einen befristeten Zeitraum von 12 Monaten. Sie wären ein möglicher Kandidat. Das wäre etwas, was WIR ihnen anbieten können.“
„Wer? Die Bundesagentur für Arbeit?“, fragte ich.
„Nein, WIR“, entgegnete Frau Sonnenschein.
„Das Jobcenter Mitte?“
„Nein, WIR.“
Ich verzichtete, weiter zu fragen, wer mir was anbieten wollte. „Ja, gut“, sagte ich nun, um einen Schritt voranzukommen.
Frau Sonnenschein nickte. „Somit werden sie in den nächsten 12 Monaten zu den Illuminaten gehören und fallen aus der Arbeitslosenstatistik heraus. Gehen sie nach Hause. Dort werden sie in Kürze eine Email erhalten, die sie über ihre Arbeitsschwerpunkte unterrichtet. Denken sie daran, das sie gegenüber jedweder Person über das zu schweigen haben, was sie in den nächsten 12 Monaten tun werden.“
Ich deutete mit dem Kopf zum Monitor. „Und was wird da dann drinstehen?“
„Das sie an einer Fortbildung teilgenommen haben“, sagte Frau Sonnenschein und bedeutete mir dann, zu gehen. Auf dem Weg nach draußen glaubte ich an einen Traum. Das war gut möglich, denn ein Besuch beim Jobcenter um 10 Uhr morgens war eigentlich überhaupt nicht mein Ding.

Hallo Robert,
hier schreibt dir Magnus, Illuminatus regens, also ein regierender Erleuchteter, falls du des Lateinischen nicht mächtig bist. Ich bin der für Berlin-Brandenburg zuständige Illuminat und koordiniere alle unsere „Einflußnahmen“ (so nennen wir unsere Arbeit). Wir freuen uns, das du für ein Jahr bei uns mitmachst. Ich dachte mir, dass du für ein paar regionale Angelegenheiten Verantwortung tragen solltest. Zum einen wirst du der Ansprechpartner für Angela Merkel, was alle Aspekte ihrer innen- und außenpolitischen Arbeit anbetrifft. Zudem kümmerst du dich darum, dass der Umzug der Lidl-Filiale von der unteren Müllerstraße zur oberen reibungslos zu Anfang Mai abgeschlossen wird und die bisherigen Räume von einem neuen Discounter übernommen werden. Zuletzt kannst du deine Ideen in die Frühjahrs- und Herbstmodekollektion des C&A in der Müllerstraße einbringen. Über deine Arbeit unterrichte ich mich durch die Presse.
Gutes Gelingen!
Magnus



Ich saß am Rechner, las die Mail mehrmals und mir wurde bewusst, dass der Termin mit Frau Sonnenschein kein Traum gewesen war. Ich war jetzt ein Illuminat, wenn auch nur für 12 Monate. Ich spürte regelrecht die Würde meines Amtes auf meinen Schultern. Gut, das mit der Merkel war nicht so mein Ding, aber der LIDL-Umzug war mir eine Herzensangelegenheit. Vielleicht konnte ich bei Magnus erwirken, das der Umzug der Postfiliale von der oberen Müllerstraße hin zum Leopoldplatz rückgängig gemacht wurde?
Viele Leute im Kiez, einschließlich mir, störten sich daran, mit einem Mal einen langen Weg zurücklegen zu müssen, um Briefmarken zu kaufen. Ich war jetzt Feuer und Flamme für meinen neuen Job und beschloss, augenblicklich meinen neuen Aufgaben nachzugehen. Ich verließ das Haus und ging zu der Baustelle, wo die neue LIDL-Filiale entstehen sollte. Dort sprach ich einen der Arbeiter an.
„Wird der Neubau der Filiale fristgerecht zum 09. Mai fertiggestellt?“, fragte ich in überheblichem Tonfall. „Och, nicht schon wieder“, antwortete der Bauarbeiter. „Die ganze Zeit stehen hier die Leute rum und gaffen. Ihr könnt es wohl nicht abwarten, das dieser missliebige Konzern, der seine Mitarbeiter ausspäht und schlecht bezahlt, hier einen neuen Sklavenmarkt eröffnet, oder wie?“
„Ich bin ein Illuminat und verlange eine Antwort“, fuhr ich den Bauarbeiter an. Würde er sich über meine Aussage lustig machen, so würde ich Magnus eine Mail schicken und dafür sorgen, dass dieser Mann seine Arbeit, seine Wohnung oder Haus, seine Frau und Kinder und sein Leben verlor.
„Ach, von der Bauleitung sind sie!“, antwortete der Arbeiter und änderte sogleich seine Haltung. „Ja, wir liegen voll im Zeitplan. Die ehrenwerte Filiale wird zum Stichtag fertig und glänzend.“
Ich nickte zufrieden und wollte wieder den Nachhauseweg antreten, als ich auf das Schild aufmerksam wurde, das an Baustellen auf diese aufmerksam machte und mitteilte, wie der Architekt hieß und wer für die Bauausführung zuständig war. Dort las ich, dass der Eigentümer die Firma Illuminat GmbH aus Charlottenburg war. Mir wurde alles klar. So offen traten WIR nur auf solchen Bauschildern auf, denn die las niemand.

Zuhause angekommen klingelte das Telefon.
„Ja, hallo, hier ist die Angela Merkel aus Mitte.“
„Süd-Wedding müsste es wohl doch heißen, nicht wahr?“
„Ja, richtig, Entschuldigung.“
In diesem Moment wurde ich mir erst bewusst, welche Macht ich mit einem Mal besaß. Die Kanzlerin rief mich an, um von mir zu erfahren, wie sie die Politik gestalten sollte. Ich wusste mit einem Mal, dass Barack Obama seit seinem Amtsantritt keine Hose angehabt hatte.
„Ich wollte fragen, wie wir das jetzt mit der Abwrackprämie halten sollen. Magnus meinte, er sei mit der Entwicklung nicht zufrieden und fordert eine Korrektur des Programms. Darf ich fragen, wie die aussehen soll?“
„Auch die Verschrottung von alten Fahrrädern soll möglich sein“, antwortete ich spontan. „Ohnehin müssten alle Bürger von dieser Prämie profitieren, gleich ob sie ein Auto besitzen oder nicht.“
„Gut, ich verstehe. Ich werde mich darum kümmern.“
„Ach, noch was, Angela. Wo wir gerade über „Süd-Wedding“ sprachen bzw. uns einig waren, das Mitte so genannt werden sollte – es wäre schön, wenn du mit den maßgeblichen Berliner Politikern sprechen könntest, damit diese Bezeichnung allgemeingültigen Charakter bekommt.“
„Ja, da kümmere ich mich drum. Kein Problem.“

Ich legte den Hörer auf, lehnte mich im Sessel zurück und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Für ein Jahr hatte ich nun Arbeit, eine besondere Arbeit, der ich mit außerordentlichem Engagement nachzugehen gedachte. Was aber würde danach passieren? Dann würde ich wieder der sein, der ich noch vor zwei Stunden gewesen war. Bestimmt würden die Illuminaten dafür sorgen, dass ich meinen Arbeitsvertrag nicht einseitig verlängerte. Würden sie meine Erinnerung löschen? Wie viele Menschen dort draußen hatten womöglich eine Zeitlang eine Funktion ausgeübt, an die sie sich nun nicht mehr erinnern konnten? Was aber geschah, wenn ich mich anstrengte, wenn ich die vorgegebenen Ziele mehr als gewissenhaft erfüllte? Bekam ich dann eine unbefristete Stelle?
In mir erwachte der Eifer. Ich nahm einen Notizzettel und begann meine ersten Konzepte für die nächste Modekollektion von C&A zu entwerfen.
Eines war mir dabei klar -was ich anrichtete, würde der Chefdesigner wieder richten müssen.

Nachtrag: Ich werde diesen Text sicherlich bei mehreren Gelegenheiten vorlesen. Sollte es sich ergeben, das ich bald darauf spurlos verschwinde oder in der Spree treibend aufgefunden werde, dann hat irgendwem der Text nicht gefallen bzw. ist nicht einverstanden gewesen, dass ich ihn überhaupt verfasst habe.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.03.2009

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