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Ich, ein Preisträger (01/2009)

Ich habe schon lange keinen Preis mehr erhalten. Der letzte war der 2. Preis beim 4. Berliner Jugendliteraturwettbewerb 1995. Damals erhielt ich einen Sachpreis, einen Artikel mit Bild im „Nordkurier“ sowie die Bekanntschaft mit dem späteren Vorlesebühnenaktivist Thilo Bock.

Normalerweise bekommt man einen Preis, wenn man prominent ist, Leben gerettet hat oder bei Gewinnspielen mitmacht. Das erstere bin ich nicht, in der Situation für das zweite war ich noch nie und das dritte mache ich selten. Dass ich so spärlich mit Preisen bedacht werde, mag daran liegen, dass ich an die Glücksgöttin Lieselotte glaube und in manchen Momenten ahne ich, dass mein Pech damit zusammenhängt, dass Lieselotte überhaupt nicht existiert. Neulich aber habe ich mal wieder an einem Gewinnspiel teilgenommen und inzwischen denke ich, das es Lieselotte doch gibt, sie mir aber meistens die kalte Schulter zeigt. Das Gewinnspiel war recht einfach und bedurfte keiner großen Mitwirkung meinerseits. Ein Bekannter hielt mir einen Stimmzettel hin und bat mich, vier Kreuze zu machen und meine Anschrift zu vermerken. „Das ist der Stimmzettel für die Wahl zum Berliner Leichtathleten des Jahres 2008“, erklärte er und reichte mir einen Stift. Ich tat wie geheißen und kreuzte die Namen von vier Athleten an, die mir allesamt unbekannt waren. Ich gab den Stimmzettel zurück und hatte zwei Minuten später die ganze Angelegenheit schon vergessen.

Drei Wochen später lag ein Schreiben des Berliner Leichtathletikverbandes im Briefkasten, das mir mitteilte, ich sei unter 1865 Einsendungen als Gewinner des 2. Preises ermittelt worden. Zur Verleihung wurde ich in die Spielbank Berlin eingeladen. Ich war baff, erfreut, gerührt und tausend Dinge mehr. Ich kniete zu Boden und dankte Lieselotte dafür, dass sie mal wieder ihre glückbringende Aufmerksamkeit auf mich gerichtet hatte. Mein Preis würde ein Sachpreis einer großen, internationalen Sportzeugfirma sein. Was würde ich in Händen halten? Einen Rucksack? Einen Gutschein über 250 Euro? Ein Paar Sportschuhe der Größe 36, die mir gar nicht passten? Ich grübelte eine Weile darüber nach und beschloss, an der Preisverleihung teilzunehmen. Spielbank Berlin bedeutete Schlips und Kragen und nicht die üblichen kaputten Freizeitschuhe und die labbrige Hose. Ich kontaktierte den Bekannten, der sich erfreut zeigte und mir ein üppiges Buffet, womöglich hautnahen Kontakt mit dem Regierenden Bürgermeister sowie die Anwesenheit der wichtigsten Berliner Leichtathleten ankündigte. Das erstere klang lecker, das zweite interessant und das dritte …nun ja, jeder hat so seine Interessen.
Ich war gespannt auf den Tag und sah in Gedanken schon meinen kometenartigen Aufstieg in die Berliner High Society vor mir.

Ich sehe aus wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Ein frisches Sakko, eine neu gekaufte Hose sowie eine geliehene Krawatte von Paul Bokowski. Mir geht durch den Kopf, daß ich aussehe, als würde ich zu einem Bewerbungsgespräch gehen, von dem ich mir Erfolg verspreche. Die ungewohnte Maskerade hat aber auch ihr gutes. Nach zehn Jahren habe ich endlich mal meine Brille geputzt, was mein Sichtfeld enorm verbessert hat. Die sonst übliche Hose hat mal einen Abend lang Urlaub, wahrscheinlich aber länger. Die neue Hose gefällt mir besser und es ist gut möglich, dass ich sie so lange tragen werde wie die alte, die gerade zuhause rumsteht.

Ich betrete das Theater in der Spielbank Berlin und fühle, dass ich den Ort meiner Bestimmung erreicht habe. Um mich herum befinden sich lauter prominente Leute. Das will ich zumindest glauben, denn erkennen tue ich keinen einzigen. Bestimmt werde ich sie alle im Laufe des Abends kennenlernen und durch meine charismatische Art für mich gewinnen. Ich tippe dem Mann vor mir auf die Schulter. „Sach ma, Alter, weißt du, wo hier die Pissoirs sind?“ Der Mann kommt mir bekannt vor, aber ich weiß nicht woher. Ein anderer Mann wird auf mich aufmerksam. „Wie können sie es wagen, so mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit zu sprechen?“
„Ach, der Regi bist du!“, rufe ich aus. Da bin ich keine drei Minuten hier und freunde mich schon mit dem wichtigsten Prominenten an. „Laß mal“, sagt Wowereit zu dem Mann. „Der Präsident des Leichtathletikverbandes hat mich vorgewarnt, dass heute drei Angehörige von Bevölkerungsschichten, die unter normalen Umständen nie eine solche Veranstaltung aufsuchen werden, anwesend sein können. Sie sind einer der Preisträger der Publikumspreise, nehme ich an?“
„Jepp.“
„Wedding?“
„Klaro.“
„Hartz IV?“
„Natürlich.“
„Schulbildung Hauptschule?“
„Nee, Fachhochschulreife.“
„Oh, das hätte ich nicht gedacht. Dann aber nicht geschafft, die sich dadurch bietenden Möglichkeiten, was Karriere und sozialer Stand anbetrifft, zu nutzen?“
„Jepp.“
„Okay. Die Toiletten befinden sich dort hinten im Gang. Es war mir keine Freude, sie kennenzulernen.“
Vor dem Pissoir stehend merke ich, dass die Krawatte von Paul ziemlich lang und im Weg ist. Huch, jetzt ist die nass geworden. Hihi, was man für lustige Wasserspielchen mit so einem Schlips anstellen kann. Bis morgen, wenn ich die zurückbringe, wird die wohl getrocknet sein. Auf jeden Fall werde ich die zuhause mal mit dem Textilduft einsprühen.

Wieder zurück im Theatersaal setze ich mich in eine geräumige Loge. Auf dem Tisch steht eine Flasche Rotwein. „Kann ich die saufen?“, frage ich eine vorbeikommende Kellnerin. „Ja, sie können sich davon bedienen“, höre ich die Antwort. „Dann bring doch gleich noch ne Pulle oder zwei vorbei“, versuche ich mein Glück und höre zu meiner Freude ein „Ja, kommt gleich.“
2006 Villa Heitlinger Rotwein Baden lese ich auf dem Etikett und eine innere Stimme sagt mir, dass dieser Wein um ein Vielfaches besser ist als dieser Spritverschnitt aus dem ALDI, den ich sonst so in mich hineinkippe. Auch die Auflistung der Bestandteile des Buffets klingen danach, als könnte ich meinem Magen heute mal was gutes gönnen. Frischkäseterrine mit bretonischen Flusskrebsen klingt aber so exotisch, daß ich lieber die Finger davon lasse. Ebenso werde ich darauf achten müssen, die Finger von den Kleinen Lachssteaks auf Schmorgurken zu lassen. Variation von Fruchttörtchen klingt für mich, nun, wie soll ich sagen … tuntig. Nicht anders klingt Kürbis Samtsüppchen mit Zimtcroutons. Das einzige Gericht, mit dem ich was anfangen kann, ist hausgemachter Kartoffelsalat. Gut, dann werde ich mir davon ein paar Teller auftun und mich mit ein paar Flaschen vom Heitlinger in der Loge aufhalten, bis ich vom Regi auf die Bühne gerufen werde und vermutlich meinen Gutschein über 250 Euro erhalte. Ich sehe schon die Schlagzeilen der morgigen Presse vor mir: „Robert Rescue von Klaus Wowereit mit Preis bedacht“ oder „Verdiente Ehrung von Robert Rescue.“

Der Moderator auf der Bühne beginnt die Show und weist auf Prominente im Publikum hin. Bestimmt, so denke ich, wird er gleich meinen Namen sagen. Tut er aber nicht. Statt dessen bittet er die Athleten hoch und stellt sie vor. Ich höre ellenlange Berichte über Ergebnisse, was man erreicht hat und noch schaffen will. Ich schaue zum Buffet, das allmählich vor sich hin zerkocht. Ich habe Hunger und warte zugleich gespannt auf meinen Auftritt. Wird er mich auch so lange interviewen? Was soll ich sagen? Das ich mich für Leichtathletik, diplomatisch ausgedrückt, nicht wirklich interessiere? Das mein letzter sportlicher Höhepunkt die Bundesjugendspiele 1985 waren? Werde ich damit einen Eklat auslösen? Gehen die Verantwortlichen davon aus, das jeder hier ein sportliches Basisinteresse hat? Soll ich erwähnen, daß ich im Internet eine virtuelle Fußballmannschaft betreue? Die Zeit schreitet voran und plötzlich stehen die Sportler mit Klaus Wowereit zusammen auf der Bühne und lassen sich von den Fotografen ablichten. Ich bin nun sicher, dass ich hier keinen großen Auftritt mehr haben werde. Von der Seite aus meldet sich der Moderator und bittet die drei Gewinner der Publikumspreise zu sich. Ich trotte nach vorne und spüre die Blicke der anderen im Raum. Das ist also einer der Publikumspreisträger, denken die bestimmt, mal schauen, was der für eine Kleinigkeit bekommt. Vorne angekommen erhalte ich eine gelbe Tüte mit einer Umhängetasche des Sponsors drin. In der Loge angekommen, durchsuche ich die Tasche ausgiebig, finde aber nur noch ein Badetuch. Mehr nicht. Kein Gutschein und keine Sportschuhe Größe 36.

Später auf dem Heimweg denke ich: Na gut, eine Tasche und ein Badetuch sind ja auch nicht schlecht, das Büffet war okay und Rotwein umsonst ist doch auch mal was anderes. Außerdem habe ich mal den Kiez verlassen und diesen Potsdamer Platz gesehen, von dem so viele Leute seit Jahren reden.
Lieselotte sei Dank.

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Tag der Veröffentlichung: 04.02.2009

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