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Arbeitslos melden (12/2000) (12/2004) (09/2006) (11/2008)

Wieder einmal mußte ich zum Jobcenter, um mich arbeitslos zu melden. Ein dreiviertel Jahr war ich raus aus der Statistik gewesen, weil ich eine Beschäftigungsmaßnahme mitgemacht hatte, doch nun mußte ich mich wieder in die Reihen der Millionen eingliedern. Von meiner Seite aus hatte sich in dem dreiviertel Jahr im Verhältnis zum Jobcenter nichts geändert, doch die Behörde sah das anders. Ich war nun wieder ihr Kunde und mindestens eine Sache würde künftig anders sein – meine Sachbearbeiterin hatte ein anderes Zimmer und einen anderen Namen. Während ich im Wartezimmer saß und den Nummerncoupon knetete, bis die aufgedruckte Zahl kaum noch zu lesen war, dachte ich darüber nach, wer auf mich zukommen würde. Etwa der Typ Frau Hermann, die sich stets 10 Minuten Zeit nahm, um im Netz nach Stellenangeboten zu suchen und zu fragen, ob ich mich da beworben hatte? Oder jemand wie Herr Pinsler, der mir mal seine Visitenkarte in die Hand gedrückt hatte mit der Aufforderung, ihn anzurufen, wenn ich ein Begehr hätte und der auf diesen Anruf bis heute wartet? Über das Nachdenken verging eine Stunde.

Das Display zeigte meine Nummer an. Begleitet von den neidischen Blicken derer, die nach mir dran sein würden, verließ ich das Wartezimmer, ging rüber zu Zimmer 422 und trat ein.
Geschockt blieb ich stehen! Mir gegenüber saß Silke. Silke, mit der ich vor einigen Jahren mal zusammengewesen war und die ich von einem Tag auf den anderen wegen einer anderen verlassen hatte. Ich hatte ihr keine Gründe genannt oder später wieder Kontakt gesucht. Ich hatte sie so verlassen, wie alle Männer vor mir es getan hatten. Ich hatte gedacht, daß das okay sei für sie, schließlich war sie daran gewöhnt. Die Nebenbuhlerin war Silkes beste Freundin gewesen und die hatte Silke so betrogen, wie alle besten Freundinnen von Silke sie zuvor betrogen hatten. Insgesamt, und dieser Tatsache mußte ich mich in diesem Moment stellen, hatte ich Silke nicht gut behandelt.
„Hallo Robert, ich freue mich, dich wiederzusehen“, begrüßte sie mich. Es war keine „Begrüßung“ im positiven Sinne. Es hörte sich eher nach der unverhofften Freude an, den jahrelang aufgestauten Hass endlich in einem Augenblick der Rache entladen zu können.
Ich mußte handeln!
„Silke, laß mich erklären, wie das ...“, begann ich einen, schon oft so begonnenen Satz.

Männer sind in der Lage, sich augenblicklich an vergangene Begebenheiten zu erinnern und diese so ins Licht zu rücken, daß sie darin am besten erscheinen. „Ich wollte dich anrufen, aber mein Telefon war kaputt. Ich wollte dir einen langen, alles erklärenden Brief schreiben, aber ich wußte nicht mehr, wo man Briefmarken kauft. Das mit Susanne, das war ein Ausrutscher. Sie ... sie hat mich verführt, ehrlich, ich habe mich kurz mit Händen und Füßen gewehrt, sie hat mich betrunken gemacht, du weißt, wie ich dann bin, ja, und dann hat dieses verdammte Miststück behauptet, daß wäre mit dir abgesprochen gewesen.“
Das mußte reichen. Es war nicht besonders glaubhaft, aber der letzte Teil mußte ihr deutlich machen, daß ich das Opfer gewesen war und das würde ihr mitfühlendes Frauenherz mit einer großen Portion Verzeihung füllen. Doch Silke hatte meine Erklärung nur mit einem teuflischen Grinsen begleitet. Sie zeigte auf den Besucherstuhl.
„Setz dich doch, Robert.“ Wie konnte ich Silke entkommen? Schnell einen anderen Familiennamen annehmen? Nein, das ging nicht. Ich saß in der Falle.
„Ich wollte wirklich damals anrufen ...“, versuchte ich es abermals, doch Silke schnitt mir das Wort ab. „Hast du also immer noch nichts geschafft in deinem Leben?“, kommentierte sie meinen Datenbankeintrag.
„Ich bin Systemadministrator. Ich trage einen Titel, von Microsoft zertifiziert.“
„Achso“, antwortete Silke. „Weißt du, jeder vierte, der hier vor mir sitzt ist Systemadministrator. Kurze Frage, Robert. Warum sitzt du hier?“
„Silke, ich kann nicht dulden, daß in meinem Text so etwas gefragt wird.“
„Robert, das ist nicht mehr dein Text.“
Silke begann zu kichern und schlug mit den Händen auf die Tastatur. Früher hatte ich dieses Lachen gemocht, doch jetzt war es für mich nicht mehr als eine Verhöhnung.
Frauen können so schlimm, so niederträchtig sein und das zu Menschen wie mir, die gut sind, die sich nichts zu schulden haben kommen lassen.
„Kommen wir zur Sache, Robert, schließlich habe ich noch mehr von deiner Sorte vor mir. Der wichtigste Punkt deiner Arbeitslosmeldung ist die erste Frage im Formular. „Sind Sie (Bist du) bereit, alle Möglichkeiten zu nutzen, um Ihre (deine) Beschäftigungslosigkeit zu beenden?“
„Natürlich, Silke, ich werde alles tun, um ...“
„Was habe ich da gehört?“, rief Silke. „Ein „Nein.“ Wirklich ein „Nein.“ Oder habe ich mich verhört? Was für eine Frechheit gegenüber dem Jobcenter.
Nicht einmal der Dümmste würde diese Frage mit „Nein“ beantworten.“
„Silke, das habe ich nicht gesagt. Ich meinte: „Natürlich, Silke, ich werde alles tun, um ...“
„Aber Robert sagt natürlich „Nein.“ Das hatte ich auch nicht anders erwartet.“
Silke tippte wieder auf der Tastatur herum. „Dann muß ich leider deinen ALG II-Anspruch für einige Wochen, sagen wir, acht, nein, besser zwölf Wochen sperren. Verfügst du über Kapitalreserven, von denen du in dieser Zeit leben kannst?“
„Silke, ich bitte dich, ich bin pleite. Am liebsten würde ich das Geld gleich mitnehmen ...“
„Der Arbeitssuchende verfügt über genügend eigene Mittel.“ Silke entwickelte wachsenden Spaß daran, in meinen Datenbankeintrag irgendwas einzutippen, was nicht der Wahrheit entsprach. Ich saß inzwischen zusammengesunken da. Ich wünschte mir sehnlichst, daß Silke nur eine Praktikantin war und daß gleich meine eigentliche Arbeitsvermittlerin hereinkam. Aber die Tür blieb verschlossen. Silke riß mich aus meinen Hoffnungen.
„So, Robert, dann wollen wir doch mal schauen, ob wir dir nicht einen neuen Job geben können. Einen, der deiner Qualifikation gerecht wird. Ah, da haben wir ja etwas“, freute sie sich. „Gesucht wird jemand, der eine Jauchegrube mit einem Teelöffel ausbaggert. Die Bezahlung ist miserabel. Ehrlich gesagt, ich würde niemandem diesen Job anbieten. Für dich aber wäre das doch was, nicht wahr?“
„Silke, bitte ...“, versuchte ich ein letztes Mal an ihre Gutmütigkeit zu appellieren. Mit der Silke, die ich früher kannte, hatte dieses Scheusal vor mir nichts gemein. Ich fragte mich einen Moment lang, was sie so hatte werden lassen. Sie druckte eine Stellenbeschreibung aus. „Da wirst du dich morgen melden, nicht wahr?“
„Ja.“, nickte ich ergeben und stand auf. Während ich mich zur Tür schleppte, spürte ich den Blick, den Silke mir zuwarf. Es war ein kalter, schneidender Blick der Genugtuung.

Und so bin ich zu einer neuen Arbeit gekommen. Ich verschweige jedem gegenüber, womit ich den Tag verbringe, denn ich habe wirklich das unterste Ende der sozialen Leiter erreicht.
Und das habe ich Silke zu verdanken, wobei „verdanken“ ist nicht das richtige Wort.

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Tag der Veröffentlichung: 11.12.2008

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