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Einkaufen, wie ich will (12/2006)

Manche Wege gehen sich von alleine. Zum Beispiel der zum gewohnten Supermarkt. Raus aus dem Haus, nach zehn Metern links, vorbei an einer ganzen Reihe von Weddinger Internet- und Telefonbuden, Pizzabringdiensten, dann rechts abbiegen (Vorsicht, Ampel!), vorbei an einem Second-Hand-Möbelladen, einem Glückspielsalon ohne Kundschaft sowie einem Geschäft für Inderbedarf. Dann noch mal über die Straße und schon stehe ich vor »meinem« ALDI. Dreimal die Woche derselbe Weg, stets im selben Schrittempo und nie ist etwas dazwischengekommen, daß mich aus dem gewohnten Trott hätte reißen können.
Bis auf heute.

Vor dem ALDI parken Wannen. Polizisten haben sich positioniert. Einige von ihnen halten Schaulustige auf. Ob es heute Supersonderangebote gibt? Ich trete zu der Schiebetür. Sie schiebt sich nicht zu den Seiten. Irgendwer ruft mir was zu, aber ich bin so in meinem Einkaufstrott, daß ich nicht genau hinhöre. Ich klopfe gegen die Glastür und rufe: »Aufmachen! Ich will einkaufen!« Niemand ist zu sehen. Ich schaue auf die Uhr und klopfe dann vehementer gegen die Scheibe. »Aufmachen! Verdammt!«, rufe ich. »Es ist noch nicht nach Acht!«
Dann sehe ich mit einem Mal den Filialleiter. Das ist der stets schlechtgelaunte Herr Majakowski, der immer die Leute zurechtweist, wenn sie ohne Einkaufswagen einkaufen oder die Flaschen nicht auf das Band legen, sondern stellen. Mehr Gründe, die Kundschaft zu kritisieren, habe ich bei ihm noch nicht entdeckt, aber ich bin sicher, es gibt noch mehr.
Der Filialleiter wird begleitet von einem Mann, der eine Hand hinter dem Rücken von Herrn Majakowski versteckt hält. Die Tür wird geöffnet. »Verschwinden sie gefälligst!«, faucht mich der Mann an. »Wir haben wegen Inventur geschlossen.«
»Da steht aber nichts von an der Tür«, entgegne ich und schlängele mich an dem Paar vorbei. »Ich will einkaufen! Das ist mein Recht als freier Bürger!«
»Verdammt«, höre ich den fremden Mann rufen, während ich mir einen Einkaufswagen ziehe. Ich sehe, daß er die Tür wieder zuschließen läßt und sich dann mit dem Filialleiter nach hinten begibt. Ich gehe durch das Drehkreuz und greife routiniert nach links, wo die Milch steht. Einen Meter weiter greife ich nach rechts, wo der Kaffee steht. Als ich zu dem Gang komme, wo der Pfandflaschenautomat steht, sehe ich einen Haufen Menschen auf dem Boden sitzen. Der fremde Mann steht an der Seite und bedroht die Leute mit einer Pistole. Vorne sitzt Frau Mustermann, die junge Kassiererin. In sie bin ich etwas verliebt.
Sie macht auf mich stets einen schüchternen Eindruck. Ich liebe schüchterne Frauen, denn bei denen muß man sich nicht so anstrengen, um sie zu beeindrucken. Oft frage ich mich, ob Frau Mustermann mit Vornamen »Erika« heißt. Vielleicht ist sie ja die berühmte »Erika Mustermann«, von der man viel hört, aber nichts weiß. Ich könnte sie zum Essen einladen und sie das als erstes fragen. Aber dazu müßte ich sie ansprechen. Wenn sie meinen Einkauf mit einem »15,99 Euro« kommentiert, traue ich mich nicht, sie nach einer Verabredung zu fragen. Wenn der fremde Mann nur sie allein mit einer Pistole bedrohen würde, dann könnte ich sie retten und bekäme als Danke schön eine Verabredung. Aber der fremde Mann bedroht den Haufen von Leuten, bestehend aus Filialmitarbeitern, Kunden sowie Herrn Majakowski und die alle will ich gar nicht retten, schon gar nicht den Filialleiter. Ich werfe eine Pfandflasche nach der anderen ein. Bei der fünften habe ich dann Pech – der Container ist voll.
»Der Container ist voll«, rufe ich zu dem Haufen Menschen. »Könnte mal einer der Mitarbeiter einen neuen in den Automaten reinstellen?«
Der fremde Mann reagiert sofort. »Sigrid, kümmere dich darum«
»Heinz, gib doch endlich auf! Du hast keine Chance, hier schadlos herauszukommen. Unsere Beziehung ist zu Ende. Mach dir das doch endlich klar!«
»Halt den Mund, Sigrid und kümmere dich um den Kunden. Und versuche nicht, zu fliehen. Sonst gibt es Tote.«
Sigrid steht auf und geht in den Lagerraum, um einen neuen Container zu holen. »Klären sie ihre Beziehungsangelegenheiten gefälligst zuhause. Sie sind hier auf der Arbeit und nicht im Privatleben«, ruft ihr Herr Majakowski hinterher. Aha, denke ich, über Beziehungskonflikte am Arbeitsplatz regt sich der Filialleiter also auch auf.
Sigrid kommt zurück und wechselt den Behälter. Ich lege meine restlichen Flaschen in den Automaten ein, drehe noch ein paar Runden und begebe mich dann zur Kasse. Keine der Kassen ist besetzt. Ich drehe mich um und rufe: »Können sie vielleicht mal eine Kasse aufmachen oder ist der Einkauf heute umsonst?« Manchmal, wenn ich hier einkaufe und sich eine ellenlange Schlange vor der einzig geöffneten Kasse staut, möchte ich ausrufen: »Können sie die Kasse vielleicht auch noch schließen?« Heute scheint das Wirklichkeit geworden zu sein.
»Verdammt«, höre ich den fremden Mann, der ja Heinz heißt, rufen. Kurz darauf taucht er zusammen mit Frau Mustermann auf, die sich an die Kasse setzt und dann meine Einkäufe über den Scanner zieht. Ich allein mit Frau Mustermann, denke ich mir und fasse einen Entschluß.
»Das macht 15, 99 Euro.«
»Hast du die Woche mal Zeit für ein Treffen?«
Sie starrt mich verwirrt an, blickt dann abwechselnd zu mir und zu Heinz.
»Wenn sie mit EC-Karte zahlen wollen, dann stecken sie die Karte in den Schlitz da«, sagt sie plötzlich. Ich überlege, wie sie das meint. Ist das ein Ja oder Nein?
Ich resigniere, lege ihr einen Schein hin und sie gibt mir das Rückgeld. Alles ist wie immer, die große Chance vertan.
Ich packe meine Einkäufe zusammen und lasse mich von Heinz und Frau Mustermann zur Tür bringen. So einen Kundenservice habe ich beim ALDI in der Seestraße noch nie erlebt! Frau Mustermann öffnet die Tür. Im gleichen Moment stürzen maskierte Männer, die offensichtlich an den Mauern links und rechts der Eingangstür gelauert haben, auf uns ein. Mir gelingt es, mich durch ihre Reihen durchzuschlängeln. Aufgeregt trete ich den Weg nach Hause an.
Ich habe es geschafft, Frau Mustermann anzusprechen. Okay, das Ergebnis war nicht das gewünschte, aber als ich losgegangen bin zum ALDI, habe ich mir das nur erträumt.

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Tag der Veröffentlichung: 23.09.2008

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