* * *
»Was ist los mit dir, du bist so abwesend?«
Thorne schreckte aus seiner Versunkenheit auf, als Marinda ihn ansprach und seine Schulter berührte.
»Hängt es mit der Hybride zusammen, die bei Euch weilt?«
Marinda hatte es auf den Punkt gebracht, er musste ständig an Isabel denken. Er war in der Nähe ihres Zimmers gewesen und hatte ihre Verzweiflung und ihre Wut gespürt. Merkwürdigerweise hatte es ihn tief berührt.
»Nein..... nein, es ist alles in Ordnung.«
Er riss sich zusammen und schenkte ihr ein Lächeln. Sie sah so wunderschön aus, wie sie da lag, neben ihm im Bett. Ihren Kopf hatte sie auf eine Hand gestützt und sah ihn konzentriert an. Thorne drehte sich auf die Seite und streichelte ihr Gesicht, zog sie dann zu sich und fuhr ihr sanft mit der Hand über den nackten Rücken. Ihr Gesicht ruhte auf seiner Brust, und das lange Haar floss wie Wasser über seinen Arm. Er drückte seine Lippen auf ihren Scheitel und hauchte einen Kuss darauf.
Marinda genoss diese Zärtlichkeit und seufzte leise.
Ein Zwitschern zog seine Aufmerksamkeit zum offenen Fenster, in dem jetzt ein Thamarol saß und ihn mit seinen dunklen Knopfaugen ansah.
Marinda löste sich seufzend von Thorne.
»Du musst gehen?«
»Ja, Liebste, Kharak hat eine Versammlung einberufen.«
Der Thamarol zwitscherte noch einmal, stieß sich dann ab und flog davon. Obwohl Marinda enttäuscht war, ließ sie es sich nicht anmerken. Er war nun mal der Sohn des Herrschers und hatte Verpflichtungen. Wenn er sie erst einmal zur Gefährtin genommen hatte, würde auch sie nicht mehr uneingeschränkt über ihre Zeit verfügen können. Wenn er sie doch endlich fragen würde, sie wartete schon lange darauf. Obwohl sie wusste, dass er sie liebte, schien er sich immer noch nicht ganz sicher zu sein. Beide Arme unter dem Kopf verschränkt lag sie im Bett und sah Thorne hinterher, der in die Reinigungszelle verschwand und dann fertig angekleidet wieder im Zimmer erschien. Er beugte sich über sie und hauchte einen Kuss auf ihren Mund. Bevor er sich zurückziehen konnte, schlang sie beide Arme um seinen Hals und forderte einen richtigen Kuss. Dann gab sie ihn lächelnd frei.
* * *
Als Isabel die Halle betrat, sah sie Kharak, Urth, Agatha und Hektor im Gespräch vertieft. Murith lümmelte auf einem der Sofas und hielt ein Gerät in der Hand, auf dem sie herumtippte. Isabel hatte weiche Knie, als sie sie dort sah. Am liebsten wäre sie sofort umgekehrt und davongelaufen, so schnell sie ihre Beine tragen konnten, so sehr schämte sie sich für ihr Verhalten, für ihre vorschnelle Verurteilung. Konnten sie ihr dies überhaupt verzeihen?
Sich innerlich einen Ruck gebend, straffte sie ihren Körper und ging zügig weiter. In dem Moment erschien Thorne, verhielt kurz den Schritt und ging dann weiter zu seinen Eltern, sah ihr aber die ganze Zeit entgegen. Dieser Blick brachte Isabel völlig durcheinander. Er würde ihr nicht verzeihen, glaubte sie, senkte den Blick und schluckte hart. Was hatte sie sich da nur eingebrockt. Als Urth sie bemerkte, kam sie ihr entgegen und streckte die Arme aus.
»Wie schön, dass du kommst, mein Kind.«
Voller Liebe umarmte sie Isabel, der sofort die Tränen kamen.
»Es tut mir so leid, was ich gesagt habe.«
»Tch, tsch, tsch... es ist alles gut.«
Sanft strich Urth ihr über den Rücken und versuchte sie zu beruhigen. Als Isabel sich wieder unter Kontrolle hatte, schob sie das Mädchen von sich und sah ihr in die Augen.
»Mach dir keine Gedanken, Kind, hier ist dir niemand böse.«
Isabel wischte sich mit dem Ärmel die letzten Tränen aus dem Gesicht und nickte leicht. Dann ergriff Urth ihre Hand und zog sie mit sich.
»Du siehst wunderschön aus in dem Gewand«, lächelte sie Isabel an und nickte ihr zu. Dann wurde sie auch von den anderen begrüßt, und jeder versicherte ihr, dass man ihr nicht böse war. Auch Murith war aufgesprungen und herüber gekommen. Mit betretenem Gesicht stand sie vor Isabel und knetete ihre Hände.
»Tut mir furchtbar leid, ich habe mal wieder drauflos geplappert, ohne zu überlegen, wie es auf dich wirken muss. Bist du mir noch böse?«
Nun war Isabel diejenige, die Murith in den Arm nahm.
»Nein, bin ich nicht. Nun weiß ich wenigstens Bescheid.«
Murith atmete erleichtert durch, erntete aber einen ernsten Blick von ihrem Vater, der die Sache wohl nicht so schnell vergessen würde.
»Dies hier ist Meister Shurkan.«
Kharak deutete auf einen älteren Mann, der wohl, von Isabel unbemerkt, gerade den Raum betreten hatte und nun den Kopf vor ihr verneigte.
»Er wird dich ausbilden, Isabel.«
Isabel betrachtete den Mann, der sehr außergewöhnlich war. Sein langes weißes Haar fiel ihm weit über die Schultern und seine Augen hatten einen so zwingenden Blick, dass sie Gänsehaut bekam. Nie hatte sie ein intensiveres Blau gesehen als das seiner Augen. Sie schienen jeden Winkel ihrer Seele zu erfassen, sie komplett zu durchleuchten, sodass sie sich völlig nackt vorkam. Heiße Röte stieg in ihr auf und setzte sich auf ihren Wangen fest. Ihr Herz begann zu rasen, dass ihr ganz schwindelig wurde. Als Shurkan es bemerkte, lächelte er. Dieses Lächeln war wie Balsam, das sich schützend um ihre gebeutelte Seele legte.
»Ich freue mich auf unsere Arbeit, Isabel. Möge sie fruchtbar sein!«
Diese Stimme, Isabel stand wie betäubt da und lauschte dem Klang dieser unglaublichen Stimme. Sie schien jede ihrer Zellen in sanfte Schwingungen zu versetzt und löste regelrechte Glücksgefühle in ihr aus. Dazu dieser Blick, von dem sie sich nicht lösen konnte, der ihr sagte, dass sie diesem Mann uneingeschränkt vertrauen konnte. Er also war ihr Lehrer, der ihr beibringen würde mit ihren Kräften umzugehen.
»Shurkan ist der Lehrer der Herrscherfamilie seit Hunderten von Jahren. Bei ihm bist du in besten Händen.«
Kharak war zu ihnen herangetreten und legte seinen Arm um Isabels Schulter.
»In den nächsten Monaten wird er intensiv mit dir arbeiten.«
Isabel nickte zustimmend, denn sie konnte im Moment keinen Ton herausbringen. Glücklicherweise wurde sie abgelenkt, denn viele Bedienstete hatten begonnen, die lange Tafel zu decken. Auch wandte sich Kharak nun ihrem neuen Lehrer zu und ging mit ihm ein paar Schritte in Richtung des großen Fensters und besprach mit ihm noch ein paar Dinge. Isabel sah bewundernd Shurkan hinterher, der sich geschmeidig wie ein Panther bewegte. Sein schwarzes langes Gewand, das seinen Körper umschmeichelte, ließ kräftige Muskulatur erkennen.
»Wir werden nach dem Essen abreisen, Isabel.«
Agatha riss sie aus ihren Gedanken und hatte sofort ihre volle Aufmerksamkeit.
»So bald schon? Ich hatte gehofft, ihr bleibt noch eine Weile.«
Schlagartig war ihr klar, wie sehr sie diese Frau vermissen würde.
»Es geht nicht anders. Wir haben Aufgaben, die wir nicht aufschieben können. Und wir werden uns ja bald wiedersehen. In drei Monaten komme ich dich besuchen. Versprochen!«
Sie nahm das traurige Mädchen in den Arm und drückte sie an ihre Brust.
»Du bist jetzt bei deiner Familie. Hast du dir nicht immer eine gewünscht? Sie lieben dich, und es wird dir hier sehr gut gehen, Kindchen.«
Agathas Stimme war leise und Wehmut schwang in ihr. Auch ihr fiel der Abschied schwer, auch wenn er nicht von langer Dauer sein würde. Aber sie wusste, dass der Aufenthalt hier für das Mädchen wichtig war. Nicht nur der Ausbildung wegen, sondern auch um ihre Familie kennen zu lernen und eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Es würde sie stärken und selbstbewusster machen.
Isabel nickte an diesem weichen warmen Busen. Sie hatte die Augen geschlossen und spürte die streichelnde Hand auf ihrem Rücken. Sie fühlte sich wie ein Kind, beschützt und geliebt. Hier könnte sie den Rest ihres Lebens verbringen. Doch Agatha schob sie sanft von sich, was Isabel nur widerwillig geschehen ließ. Der Tisch war fertig gedeckt und Urth bat alle zum Essen. Nach und nach füllte sich die Tafel und als alle ihren Platz eingenommen hatten, wurden die Speisen aufgetragen. Es war eine muntere Gesellschaft, es wurde gegessen und gescherzt, alle unterhielten sich angeregt und bemühten sich, Isabel das Gefühl zu geben, dass sie voll und ganz zu ihrer Familie gehörte.
Isabel entspannte sich etwas, obwohl ihr die nahe Trennung von Agatha zu schaffen machte. Auch die Blicke von Thorne, die sie immer wieder verstohlen streiften, ließen ihre Gedanken nicht zur Ruhe kommen. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm, konnte ihn überhaupt nicht einschätzen. Er war ihr Onkel und hatte offenbar nichts gegen sie, zumindest hatte er ihr dies versichert. Aber warum sah er sie dann immer so komisch an?
* * *
»Sei nicht traurig, Kindchen. Wir sehen uns ja bald wieder.«
Betrübt nickte Isabel, sie hatte Agatha und Hektor zum Ausgang begleitet und stand nun mit hängenden Armen da. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, verschwanden die beiden in den tunnelartigen Raum, der zum Fahrstuhl führte, und Isabel winkte ihnen nach. Noch lange stand sie dort, obwohl beide schon längst verschwunden waren.
Voller Wehmut wandte sie sich endlich ab und ging langsam den Weg zurück. Eigentlich hatte sie vor, sofort zurückzukehren, überlegte es sich aber doch anders. Sie brauchte ein wenig Zeit für sich, verließ den Weg und lief über die sandige Wüste. Ihre Schuhe hatte sie ausgezogen und trug sie in der Hand. Die beiden roten Sonnen näherten sich dem Horizont, und der Abend senkte sich über diese gespenstisch schöne Landschaft. Ihre Zehen krallten sich bei jedem Schritt in den weichen warmen Sand, der ihr endlos erschien. Am Horizont sah sie etwas schimmern, von dem sie glaubte, dass es Wasser sei.
Tief atmete sie die warme feuchte Luft ein, die schwer ihre Lungen füllte und ging langsam Schritt für Schritt voran. Es war schön hier, eigenartig schön. Ihr Gewand flatterte leicht im sanften Wind und floss um ihren Körper. Je näher sie kam, desto mehr glitzerte es rot am Horizont und zog sie unweigerlich zu sich.
Als sie sich umwandte, entdeckte sie den Waldgürtel in der Ferne, von dem sie aufgebrochen war. Kaum zu glauben, wie weit sie schon gelaufen war. Das schummerig rötliche Licht des Abends hüllte sie ein und trieb sie voran. Als sie endlich das Ufer erreicht hatte, war sie fasziniert. Vor ihr lag ein dunkelrotes Meer, dessen Wellen langsam und schwerfällig ans Ufer rollten.
Isabel ließ ihre Schuhe fallen und hockte sich hin, um ihre Hände in dieses fremdartige Wasser zu halten und zog sie erstaunt zurück. Es war kein Wasser im eigentlichen Sinne, denn es war eher dickflüssig, so wie Sirup. Deshalb wirkten die Wellen auch so schwerfällig. Fasziniert hielt sie wieder eine Hand hinein und spürte wie die weichen warmen Wellen sie umspülten wie Seide. Als sie die Hand herauszog, war sie vollkommen trocken. Verwundert betrachtete sie sie, drehte sie hin und her und überlegte, was es mit diesem eigenartigen Wasser wohl auf sich hatte.
»Hallo, Isabel.«
Erschrocken fuhr sie herum und entdeckte einen Mann ganz in der Nähe, der sie mit seinen blauen Augen musterte. Langsam erhob sie sich, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Irgendetwas an ihm kam ihr vertraut vor, obwohl sie ihn noch nie gesehen hatte. Sein Gesicht war ernst, doch sie wusste instinktiv, dass keinerlei Gefahr von ihm drohte.
»Wer bist du?«
Seine Körperhaltung drückte plötzlich Spannung aus und seine Hände schlossen und öffneten sich nervös. Dann sah er sie direkt an.
»Ich bin Rugall, dein Vater.«
Isabel stockte der Atem und sie schluckte schwer. Das also war er, der Mann, der sie gezeugt hatte. Sie wusste mittlerweile, dass er für seine Nachlässigkeit bestraft wurde und auch, wie schwer diese Strafe ausgefallen war. Er hatte seine besonderen Kräfte eingebüßt, über die nur die Herrscherfamilie verfügte, und war nun ein ganz normaler Bharulaner. Sie musste sich räuspern, bevor sie sprechen konnte.
»Was willst du von mir?«
Die Frage klang kühler als sie beabsichtigt hatte, denn sie hatte ihre Gefühle einfach nicht im Griff. Da waren noch immer der Schmerz ihrer Kindheit, die Einsamkeit und das Gefühl der Verlassenheit.
»Ich weiß, du hast allen Grund mich zu hassen. Ich war nie für dich da, und ich bedaure es aus tiefstem Herzen. Wenn ich gewusst hätte...«
In Isabel schwappten die Emotionen hoch, sodass sie ihn einfach unterbrach.
»Ja? Was wäre gewesen, wenn du es gewusst hättest?«
Herausfordernd sah sie ihn mit schmalen Augen an, den Mann, der sie gezeugt hatte und doch nie ein Vater war.
»Ich wäre für dich da gewesen, glaub mir das, bitte. Ich bedauere jeden Tag, den ich mit dir verpasst habe, seit ich weiß, dass es dich gibt. Ich weiß, ich kann die Zeit nicht zurück drehen, aber BITTE, bitte lass mich dich jetzt kennenlernen und dir vielleicht nun ein Vater sein. Oder ein Freund, wenn du willst.«
Sein Blick war so verzweifelt, dass Isabel die Tränen in die Augen stiegen. Eine Träne löste sich und rollte langsam ihre Wange herunter. Rugall bemerkte dies und war sofort bei ihr. Mit einer Hand berührte er vorsichtig ihre Wange und fing mit dem Zeigefinger die Träne auf, die er dann andächtig betrachtete.
»Du hast meinetwegen so viel Leid erdulden müssen, verzeih mir bitte, wenn du kannst.«
Isabel wurde von ihren Gefühlen übermannt und sackte langsam zu Boden, zog die Beine fest an sich und umschlang sie mit den Armen. Tränen rannen unaufhaltsam ihre Wangen hinunter und sammelten sich an ihrem Kinn. Rugall hatte sich neben sie gekniet und sah ihr verzweifelt ins Gesicht. Was hatte er seiner Tochter nur angetan. Er spürte ihren Schmerz und die ganze Verzweiflung, die noch immer in ihr war, und sein Herz krampfte sich zusammen. Vor ihm saß seine Tochter, eine wunderschöne junge Frau, die ihren Schmerz so offen zeigte.
»Ich werde das alles nie wieder gutmachen können, das weiß ich. Aber bitte, lass es mich versuchen.«
Seine Stimme war leise und Isabel spürte, wie ernst es ihm war. Als sie seinem Blick begegnete, sah sie seine Reue, aber auch die Liebe, die in ihm war. Er meinte es ernst, jedes einzelne Wort war so gemeint, wie er es sagte. Mit den Händen wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und nickte. Rugalls Augen begannen zu leuchten, und er legte seine Hand auf ihre.
»Danke«, sagte er voller Inbrunst.
»Würdest du mir erlauben, deine Erinnerungen zu lesen?«
Seine Frage kam sehr vorsichtig, er hatte Angst, Isabel könnte abwehrend reagieren, doch sie nickte nur. Dankbar schaute er sie an und konzentrierte sich. Was er dann erfuhr, brachte seine ganze Welt ins Wanken. Lange war Stille, in der er mit geschlossenen Augen dasaß und um Fassung rang.
»Was habe ich getan!« flüsterte er so leise, dass Isabel es kaum verstand. Sie sah ihn an, sah, wie er sich zu sammeln versuchte und strich langsam mit ihrer Hand über seinen Arm.
»Das ist meine Vergangenheit. Ich will nicht mehr daran denken, sondern nur noch an die Zukunft.«
Rugall atmete tief durch und öffnete die Augen. Sein Blick war so voller Liebe und Dankbarkeit, dass Isabel schon wieder die Tränen zurückhalten musste. Er tat ihr leid, doch nun wusste er, wie es ihr ergangen war, und sie konnten in die Zukunft schauen.
Lange saßen sie dort am Ufer und redeten. Die Sonnen waren längst untergegangen, und sanfte Dunkelheit hatte sich ausgebreitet. Zwitschernd umflog sie ein kleiner Thamarol, umrundete sie mehrmals und flog wieder davon.
»Ich denke, wir sollten langsam zurückgehen. Man vermisst dich schon.«
Rugall hatte sich erhoben und hielt Isabel seine Hand entgegen, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Sie ergriff diese und ließ sich hochziehen. Langsam traten sie den Rückweg an, noch immer Hand in Hand, denn Rugall hatte sie nicht mehr losgelassen. Isabel fühlte sich irgendwie befreit und erleichtert. Neben ihr lief ihr Vater, der ihre Hand fest umklammert hielt, so als würde er sie nie wieder loslassen wollen. Das war ein schönes Gefühl und sie genoss es. Viel zu schnell hatten sie das Haus erreicht und Rugall verabschiedete sich von ihr.
»Ich bin so froh, dass wir uns ausgesprochen haben. Und dass du mir verziehen hast. Das bedeutet mir unendlich viel.«
Warm sah er sie an und nahm sie dann einfach in den Arm. Zuerst war Isabel etwas erschrocken, entspannte sich aber schnell und genoss die Umarmung.
»Schlaf schön, mein Kind.«
»Das werde ich, gute Nacht, Rugall.... Vater.«
Rugalls Augen leuchteten auf, als sie leise das Wort 'Vater' ausgesprochen hatte. Damit hätte er niemals gerechnet, und es machte ihn unendlich glücklich.
»Schick einen Thamarol, wenn du Lust und Zeit hast mich zu sehen!«
Isabel nickte, wusste aber nicht so recht, wie sie das anstellen sollte. Sie würde Murith fragen, die würde ihr schon helfen. Sie sah ihrem Vater noch hinterher, wie er hinter dem Baumgürtel verschwand und ging dann ins Haus. Als sie die Halle betrat, erhob sich Urth, die offenbar auf sie gewartet hatte, und kam ihr mit einem strahlenden Lächeln entgegen.
»Ich freue mich sehr, dass du dich mit deinem Vater ausgesöhnt hast, Kind.«
»Ja, ich war sehr überrascht, als er plötzlich vor mir stand. Aber ich bin froh, dass wir uns ausgesprochen haben.«
Urth lächelte, nahm Isabel in die Arme und drückte sie an sich. Schnell verabschiedete sich Isabel von Urth und ging in ihr Zimmer, denn sie musste jetzt erstmal allein sein und all ihre Gedanken und Gefühle ordnen. Nachdem sie die Reinigungszelle benutzt hatte, legte sie sich in ihr Bett und ließ den gesamten Abend noch einmal Revue passieren. In ihr war Ruhe eingekehrt, endlich. Sie war so erleichtert, dass sie nun ihren Platz gefunden hatte und dass sie ihrem Vater viel zu bedeuten schien. Er war nicht der gewissenlose Lump, für den sie ihn gehalten hatte. Ganz im Gegenteil, er war warmherzig und gefühlvoll und schien sehr um sie bemüht. Dass er nichts von ihr gewusst hatte, war einfach eine Verkettung unglücklicher Umstände, die nicht mehr zwischen ihnen stehen sollten. Sie freute sich darauf, ihn richtig kennen zu lernen.
Irgendwann war sie dann zufrieden eingeschlafen, bis Murith wie ein Wirbelwind quietschend auf ihrem Bett landete und sie gewaltsam aus dem Schlaf riss.
»Du hat dich gestern Abend mit Rugall getroffen?«
Mit überschäumender Freude sah Murith sie an und wartete offenbar auf einen Bericht mit allen Einzelheiten.
»Du wirst mich noch zu Tode erschrecken, du verrücktes Huhn.«
Isabel grinste und schüttelte den Kopf. Murith saß vor ihr auf den Knien im Bett und wippte aufgeregt auf und ab.
»Ach komm schon, erzähl. Ich bin so neugierig. Wie findest du ihn?«
Mit leuchtenden Augen wartete sie gespannt auf eine Antwort.
»Er ist mein Lieblingsbruder, weißt du«, flüsterte sie ihr verschwörerisch zu.
Isabel hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und lächelte versonnen vor sich hin.
Dann erzählte sie ihr, wie der gestrige Abend verlaufen war und dass sie sich mit ihrem Vater regelmäßig treffen wollte.
»Er hat gesagt, ich soll einen Thamarol schicken. Kannst du mir erklären, wie ich das machen muss?«
»Ja klar, sag einfach Bescheid, wenn es soweit ist, und dann zeig ich es dir.«
Leichtfüßig sprang sie vom Bett und stemmte die Arme in die Hüfte.
»So, nun aber raus aus dem Bett. Wir müssen frühstücken, und dann musst du zu Meister Shurkan! Beeil dich!«
Schnell wie ein Wiesel war sie verschwunden, Isabel schwang sich aus dem Bett und machte sich fertig. Voller Erwartung ihrer ersten Unterrichtsstunde begab sie sich hinüber in die Halle, um mit Murith zu frühstücken.
* * *
»Bist du bereit?«
Isabel nickte. Sie saß im Schneidersitz auf einem kleinen Felsen mitten in der Wüste, neben ihr ein weit verzweigter Baum, der mit seinen überhängenden Ästen Schatten spendete. Dies war ein ganz besonderer Ort, sie spürte es sofort, als sie hier ankamen.
Shurkan trat leise hinter sie und legte beide Hände auf ihre Schultern.
»Schließe deine Augen und spüre in dich hinein!«
Isabel tat, was er sagte und wartete gespannt, was passieren würde. Shurkan hatte ihr erklärt, dass er ihren Geist öffnen müsse, damit sie ihre Fähigkeiten benutzen und verstehen lernen konnte.
Plötzlich spürte sie eine starke Wärme durch ihren Körper strömen und dann ein starkes Ziehen in ihrem Kopf, das zuerst sehr unangenehm war, dann aber schnell verflog. Unwillkürlich hatte sie die Schultern hoch gezogen, so als wollte sie sich dagegen wehren, doch Shurkan drückte sie sanft wieder herunter. Was dann kam, war so fantastisch, dass sie vor Überraschung die Luft anhielt.
In ihrem Geist tauchte über ihrem Solarplexus ein blauer, leicht durchscheinender, leuchtender Ball auf, der schwerelos dort schwebte und leicht vor sich hin pulsierte. Er schien aus purer Energie zu bestehen.
»Das ist deine Energiequelle, Isabel. Du kannst sie vielfältig nutzen. Mit ihr bist du in der Lage, Materie zu verändern, jede Blockade zu durchbrechen, du kannst komplette Erinnerungsinhalte oder nur partielle löschen und durch neue ersetzen, und mit ihr kannst du auch töten.«
Isabel zuckte zusammen. Plötzlich war da eine Erinnerung, die aus den Tiefen ihres Bewusstseins auftauchte. Panik stieg in ihr auf, sie fühlte sich bedrängt und konnte sich gegen die Kraft des jungen Mannes nicht wehren. Das Gefühl der Explosion in ihrem Körper war wieder da, und dann sah sie ihn vor sich liegen.....tot.
„Oh mein Gott, ich habe ihn umgebracht“
Der Gedanke ließ sie aufstöhnen, ihr Herz begann zu rasen, und dann sah sie, wie ihr blauer Energieball um das Doppelte angewachsen war, nun rot wie ein Rubin heftig pulsierte und gar nicht mehr harmlos wirkte .
Shurkans Händedruck auf ihren Schultern verstärkte sich.
»Versuche, dich zu beruhigen. Du musst deine Energie wieder unter Kontrolle bringen. Ich helfe dir.«
Isabel versuchte es, doch das war gar nicht so leicht. Immer wieder sah sie das bleiche Gesicht des Mannes vor sich, den sie unabsichtlich getötet hatte, und es war schwer, sich auf den Energieball zu konzentrieren. Je mehr sie versuchte, ruhig zu werden, desto schneller schlug ihr Herz und ihr ganzer Körper begann zu beben. Panik stieg wieder in ihr auf, denn sie sah, wie der Ball immer dunkler wurde und immer heftiger zuckte, so als wolle er endlich frei gelassen werden. Dann griff Shurkan ein. Sie spürte seine Energie durch ihren Körper fließen, sah wie der Ball heller wurde und dann ganz ruhig und hellblau waberte.
Isabel ließ verzweifelt den Kopf hängen.
»Es tut mir leid, ich habe es nicht geschafft.«
Shurkan kam um sie herum und hockte sich vor sie hin, damit er ihr in die Augen blicken konnte.
»Aber das ist nicht schlimm. Niemand schafft das beim ersten Mal.«
Seine Stimme war warm und ruhig, und Isabel hob den Kopf.
»Ehrlich?«
»Aber ja. Wenn alles so einfach wäre, bräuchtest du doch keine monatelange Ausbildung.«
Isabel seufzte erleichtert auf und schloss kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnete, begegnete sie dem verschmitzten Blick von Shurkan.
»Das heißt aber nicht, dass du nun faulenzen kannst. Wir haben viel Arbeit vor uns!«
Isabel atmete tief durch und nickte.
Viele Stunden übten sie, und Isabel brauchte immer wieder die Hilfe ihres Lehrers. Sie bekam es einfach nicht hin. Nicht nur einmal war sie wütend aufgesprungen und hatte die Füße in den Sand gestampft und hätte am liebsten alles hingeworfen. Doch Shurkan ließ nicht locker, bis sie es endlich schaffte. Irgendwie hatte es 'klick' gemacht, und von da an ging es eigentlich ganz leicht. Voller Freude und Stolz sah sie ihren Lehrer an.
„Der erste Schritt ist getan. Gute Arbeit, Isabel!“
„Danke!“
Plötzlich stockte sie und sah Shurkan mit großen Augen an. Hatte sie gerade in Gedanken mit ihm gesprochen? Aber wie war das möglich?
Shurkans Lächeln wurde breiter, und er zwinkerte sie an.
„Dein Geist ist nun offen, für dich gibt es keine Grenzen mehr. Außer der, die du dir selber setzt!“
„Was heißt das?“
Isabel war etwas irritiert.
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG Texte: alle Rechte bei der Autorin Alle Rechte vorbehalten
„Das heißt, dass du sehr sorgsam mit deinen Fähigkeiten umgehen
Impressum
Tag der Veröffentlichung: 12.11.2011
ISBN: 978-3-95500-513-9