Immer lauter werdende Geräusche drangen in sein Bewusstsein.
Das rhythmische Schnaufen einer Maschine, piepsende, immer wiederkehrende Töne, die allmählich an seinen Nerven zu zerren begannen.
Seine geschlossenen Lider begannen zu flattern und er versuchte die Augen zu öffnen.
„ Was war hier los, wo war er ? “
Eine Hand legte sich sanft auf seine und eine Stimme sprach ihn an.
> Bleiben sie ganz ruhig, ich bin Schwester Nele, <
sagte eine angenehme Frauenstimme
> es ist alles gut, sie sind im Krankenhaus.<
„Im Krankenhaus? Aber warum? Was war passiert?„
Angestrengt versuchte er nachzudenken, aber in seinem Kopf war nur Chaos.
Als er die Augen langsam öffnete, begegnete er dem Blick ihrer Augen.
Blau wie der Frühlingshimmel, eine Wärme ausstrahlend, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Sie nahmen ihn gefangen, hielten ihn fest.
Ein mitfühlendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus und ihre linke Hand strich über seine Stirn.
>Sie hatten einen Unfall, man hat Sie angefahren. Keine Sorge, nun wird alles gut.<
Er schloss wieder die Augen und versuchte sich zu erinnern…. Nichts. Die Hand auf seiner Stirn, leicht und kühl, hatte eine beruhigende Wirkung.
Mit geschlossenen Augen nahm er ein leises Stimmengewirr wahr, so als würden sich Personen leise im Zimmer unterhalten.
Er öffnete wieder die Augen, bemerkte dann aber, dass niemand Weiterer im Zimmer war.
>Ich werde die behandelnden Ärzte holen.<
sagte die warme Stimme mit den wundervollen Augen, lächelte und wandte sich ab.
Er wollte etwas erwidern, bemerkte aber, das er an ein Atemgerät angeschlossen und ein Tubus in seinem Rachen steckte.
Sie drehte sich vor der Tür noch einmal kurz zu ihm um, lächelte und verließ dann das Zimmer.
Er schaute noch immer auf die geschlossene Tür und ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er überall Geräte die vor sich hinpiepsten und summten, Monitore auf denen Amplituden rhythmisch auf und ab tanzten und er begriff, dass er auf einer Intensivstation lag.
Aber warum nur mussten all diese Geräte so einen Lärm verbreiten? Hinter seiner Stirn machten sich langsam Kopfschmerzen bemerkbar.
Bevor er diese Gedankengänge weiter verfolgen konnte, öffnete sich erneut die Tür und zwei Herren in weißen Kitteln betraten das Zimmer, offensichtlich seine behandelnden Ärzte, gefolgt von Schwester Nele.
>Schön das Sie wieder bei uns sind, ich bin Oberarzt Dr. Holzer und das ist mein Kollege Dr. Reinhard. Wie geht es Ihnen?<
Er schaute mit seinem Kollegen auf die Monitore und schien zufrieden zu sein mit dem, was er dort sah.
>So wie es aussieht, sind Sie stabil und wir werden Sie als Erstes von dem Tubus befreien, damit Sie wieder selbstständig atmen können.<
Er beugte sich über ihn, entfernte die Klebestreifen an Wange und Kinn und zog den Tubus dann vorsichtig aus seinem Rachen.
Der erste Atemzug war etwas schmerzhaft, sein Rachen fühlte sich wund an.
Er bemerkte sofort den typischen Krankenhausgeruch überdeutlich, die Schärfe von Desinfektions- und Reinigungsmitteln. Ein weiterer Atemzug offenbarte ihm sehr viel feinere Gerüche.
Holzig frisches Aftershave, viel zu stark aufgetragen, dann etwas, was ihn an Limonen und Schweiß erinnern ließ, der leichte Geruch von Waschmittel. Unglaublich was er alles wahrnahm. Er hatte unbewusst die Augen geschlossen und atmete noch einmal tief ein. Da war noch ein Duft, der so angenehm war, dass er die Augen öffnen musste. Er blickte in die Richtung und begegnete wieder den Augen der Schwester, die ihn freundlich anblickten.
>Woran können sie sich erinnern< riss ihn Dr. Holzer aus seinen Gedanken.
Er überlegte, doch er konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Beide Ärzte nickten sich wissen zu, als sie in sein angestrengtes Gesicht blickten.
>Das ist nicht ungewöhnlich< ergriff jetzt Dr. Reinhard das Wort.
>Sie hatten schwere Hirnblutungen als sie hier vor 2 Wochen eingeliefert wurden. Die Operation war sehr kompliziert, doch wir sind sehr zufrieden mit deren Ergebnis, Herr von Tölling.<
„ Tölling? Ja, stimmt, er war Julian von Tölling „
>Bitte, könnten Sie bitte etwas
leiser sprechen?<
Beide Ärzte warfen sich einen kurzen Blick zu.
>Sie sind von einem Auto angefahren worden und das Kavernom, nahe ihres Stammhirns hat dadurch eine akute Hirnblutung verursacht. Ein Kavernom ist ein Hämangiom, also eine Gefäßmissbildung, mit der sie möglicherweise schon geboren wurden, die Ihnen aber bisher offensichtlich keinerlei Schwierigkeiten bereitet hat< fuhr Dr. Holzer nun um Einiges leiser fort.
>Das Ärzteteam von Dr. Reinhard, er ist Hirnchirurg, hat es in einer 12-stündigen, äußerst schwierigen Operation aber vollständig entfernen können. Sie hatten großes Glück, Herr von Töllig. Wir werden Sie schnellstmöglich in ein Einzelzimmer verlegen. Selbstverständlich werde ich auch sofort Ihren Bruder und Ihre Verlobte darüber informieren.<
Seine Gedanken fuhren Achterbahn. „Eine Anomalie in seinem Gehirn, er hatte nie etwas bemerkt. Er war angefahren worden, warum erinnerte er sich nicht daran ?„
Erschöpft atmete er tief durch.
>Ihre Erinnerungslücken werden sich bald schließen Herr von Tölling, keine Sorge.<
Dr. Holzer hatte seinem angestrengten Gesichtsausdruck wohl entnommen, womit er sich gerade gedanklich beschäftigte.
>Nun ruhen Sie sich erstmal aus und alles Andere wird sich finden, mit der Zeit.
* * *
> Pass doch auf Du Idiot < zischte Michele den Haarartist an, der ihre Haare für die nachfolgende Schau kunstvoll hochstecken sollte.
Pierre blickte sie entschuldigend durch den Spiegel an, rollte aber innerlich mit den Augen.
Diese Zicke ging ihm gehörig auf die Nerven.
Model’ waren in der Regel nicht sonderlich pflegeleicht, aber diese Michele war kaum zu ertragen. Ständig hatte sie etwas auszusetzen und giftete herum.
Er konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit.
Ihr Handy klingelte und sie kramte in ihrer Handtasche herum und ging ran.
> Oh vielen Dank, das sind hervorragende Neuigkeiten Dr. Holzer. Leider bin ich momentan in London, werde auf 3 Schauen laufen und komme erst in 3 Tagen nach Hamburg zurück.
Dann werde ich Julian sofort besuchen. Vielen Dank für die Nachricht.<
Das war ja wirklich eine erfreuliche Nachricht und ihre Laune besserte sich schlagartig.
„ Gott sei Dank, er hat also Alles gut überstanden „.
Michele lächelte ihr Spiegelbild an und war wieder einmal fasziniert von ihrem Aussehen.
Sie war eine absolute Schönheit, dunkelbraune Augen, von langen Wimpern umrahmt, eine klassische Nase, die ihr eine hoheitsvolle Ausstrahlung verlieh und langes dunkelbraunes Haar, an dem sich der Stümper von Coiffeur gerade zu schaffen machte.
Auf ihre Figur war sie besonders stolz. Lange schlanke Beine, ein kleiner fester Po und kleine Brüste, die perfekte Figur für ein Model.
Sie genoss die neidigen Blicke der anderen Modelle und war rundum zu frieden mit sich und der Welt.
Die Modenschau war wieder mal ein voller Erfolg und nachdem sie sich auf der Feier danach nur kurz blicken ließ, eilte sie nach Hause.
Immer wenn sie in London gebucht wurde, wohnte sie bei ihrer Freundin Valentina, ebenfalls Model und ihre engste Vertraute.
Sie war rothaarig mit dunkelgrünen Augen, die ihr ein schon fast mystisches Aussehen verliehen.
Valentina war, ebenso wie sie, sehr gefragt und wurde häufig gebucht. Einige Schauen sind sie schon zusammen gelaufen.
Michele zahlte das Taxi und fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf in Valentina’s Penthouse.
Nachdem sie sich begrüßt hatten, fiel Michele in einen der luxuriösen Sessel und legte ihre Beine auf einen großen Lederhocker, während Valentina in die Küche ging um eine Flasche Wein zu öffneten.
Genüsslich räkelte sie sich im Sessel und fand, das Valentina es doch gut getroffen hatte.
Ihren luxuriösen Lebensstil finanzierte ihr Freund, ein verheirateter Banker aus London, der ihr total verfallen war. Auch dieses Penthouse hatte er ihr gekauft und überschüttete sie regelmäßig mit teuren Geschenken.
Früher hatte sie ihre Freundin beneidet, bis sie dann Julian kennen lernte.
Ein Lächeln umspielte ihr Gesicht.
Ja, Julian von Tölling war ein echter Hauptgewinn und sie hatte ihn sich geangelt.
Von Hause aus schon sehr vermögend, betrieb er eine der angesagten Kunstgalerien in Hamburg, in denen er sowohl seine eigenen Bilder als auch die anderer namhafter Künstler anbot.
Auf verschiedenen Partys hatte sie immer wieder von ihm schwärmen hören, also besuchte sie, neugierig geworden, eine seiner Vernissagen.
Interessiert betrachtete sie seine Werke, wundervolle Farbspiele, die ihr außerordentlich gut gefielen.
Und dann stand er plötzlich neben ihr, beobachtete sie.
Er sah hervorragend aus, 1,92 m groß, dunkelhaarig mit einem markanten Gesicht und diesem gewissen Lächeln, das Frauen sofort schwach werden ließ.
Sein perfekter Körper steckte in einem Maßanzug, der ihn bestens zur Geltung brachte.
Wow…. und erst dieser knackige Hintern.
Michele leckte sich die Lippen bei dem Gedanken an diesen wohlgeformten Körperteil von ihm und ihr Lächeln vertiefte sich. Der Mann hatte Klasse, das stand außer Frage.
Das war nun 9 Monate her und sie hatte alle Register gezogen, um ihn für sich einzunehmen.
Vor 3 Monaten dann hatte sie es endlich geschafft, dass er sich mit ihr verlobte.
Michele malte sich in Gedanken das Leben als seine Ehefrau aus.
Sie brauchte nicht zu befürchten, dass er sie zu sehr einengte, war er doch mit seiner Malerei und der Galerie vollauf beschäftigt und auf Partys konnte sie mit ihm glänzen. Sie waren schon ein Paar das Aufsehen erregte.
Nur sein Zwillingsbruder Adrian war ein Wehrmutstropfen im Glase ihrer wundervollen Zukunft. Irgendwie bekam sie keinen Draht zu ihm.
Seinem Bruder so gleichend wie ein Ei dem Anderen, war er doch distanzierter als er.
> Na wo bist Du denn gerade mit Deinen Gedanken< fragte Valentina und hielt ihr lächelnd ein Glas Wein hin.
Michele seufzte, nahm das Glas entgegen und weihte ihre Freundin in ihre Gedankengänge ein und nippte hin und wieder an ihrem Weinglas.
Berichtete ihr auch, dass Julian nach der Operation auf dem Wege der Besserung sei.
> Na das sind doch erfreuliche Neuigkeiten, ich hatte mir schon so meine Gedanken gemacht. Niemand weiß ja genau, was bei derartigen Operationen alles schief gehen kann <
Michelle schaute zu Valentina herüber und nickte.
> Du sagst es meine Liebe, ich bin heilfroh das alles so komplikationslos verlaufen ist und er das Krankenhaus wohl bald verlassen kann. Ich hasse Krankenhäuser und Krankenbesuche im Besonderen, ich muss mich regelrecht dazu zwingen ihn dort zu besuchen. Aber er weiß ja, das ich viel unterwegs bin und ich werde ihn täglich anrufen <
Valentina nickte verstehend.
> Julian möchte gern das ich zu ihm ins Loft ziehe, jetzt wo wir verlobt sind, findet er das nahe liegend <
> Und? <
> Ich weiß nicht so recht. Ich finde die Variante Deiner Lebensführung doch um Einiges attraktiver. Warum müssen Männer immer gleich so klammern? Warum kann ich nicht weiterhin bis zu unserer Hochzeit in meiner Wohnung bleiben? < schmollt Michele.
> Bevor er für uns nicht das passendes Domizil gekauft hat, habe ich wenig Lust auszuziehen
* * *
Julian schrak aus dem Schlaf als ihn eine Hand an der Schulter berührte und sah in das Gesicht von Adrian.
Sein Bruder lachte und Julian zuckte zusammen.
> Bitte nicht so laut, mir platzt sonst der Kopf <
> Tut mir leid, ich wollte Dich nicht erschrecken, wie geht’s Dir ? < sagte Adrian leise.
> Schon gut, meine Wahrnehmung spielt noch ein wenig verrückt aber sonst geht es mir gut.
Hast Du Dich um die Galerie gekümmert und ist alles in Ordnung ? <
> Keine Sorge, alles läuft hervorragend, Frau Mertens hat alles im Griff. Du hast wieder mal ein gutes Händchen bewiesen, als Du sie damals eingestellt hast. Ich bewundere immer wieder Deine Menschenkenntnis, außer wenn es um Michele geht. <
Adrian verzog das Gesicht, er konnte diese oberflächliche Egozentrikerin nicht ausstehen.
Es war ihm ein Rätsel, was Julian an ihr fand.
Nun gut, sie war unbestritten eine äußerst attraktive Frau, die die Blicke der Männer auf sich zog, aber ihre Oberflächlichkeit und Koketterie nervten ihn.
Er hatte Julian schon des Öfteren zu Rate gezogen wenn in seiner Firma Neueinstellungen anstanden. Und er hatte immer richtig gelegen, jeder neue Mitarbeiter passte sich gut ins Team ein.
Nur bei Michele war er einfach blind. Diese Frau passte einfach nicht zu ihm, da war er sich sicher.
Julian verzog das Gesicht. > Nicht schon wieder dieses Thema Adrian. Akzeptiere einfach, dass ich Michele heiraten werde. <
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihr Gespräch und Schwester Nele trat ins Zimmer.
> Oh, Entschuldigung, ich wusste nicht das Sie Besuch haben Herr von Tölling, ich wollte nur nach Ihnen sehen und mich vergewissern das es Ihnen an Nichts fehlt <
Adrian schaute in das das sympathische Gesicht der hübschen Krankenschwester, das plötzlich einen irritierten Ausdruck annahm.
Er lachte leise, diese Reaktion kannten er und sein Bruder seit sie kleine Buben waren.
Die Krankenschwester fing sich schnell und schaute Julian fragend an.
> Danke, ich benötige nichts, aber wären Sie so freundlich den Blumenstrauß mit hinaus zu nehmen?
* * *
Nele schaute vom Schreibtisch auf. Eigentlich müsste sie die längst fälligen Eintragungen ins Stationsbuch erledigen aber ihre Gedanken schweiften immer wieder ab.
Julian von Tölling ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Seufzend schüttelte sie den Kopf und versuchte sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.
> Mist…. So wird das nie was <
Was war bloß los mit ihr ?
Eben in seinem Zimmer war sie zuerst völlig verwirrt, als sie seinen Bruder sah. Unglaublich die Ähnlichkeit. Sie hatte keine Ahnung, dass er einen Zwillingsbruder hatte. Glücklicherweise hatte sie sich sehr schnell gefangen.
Gedankenverloren strich sie sich eine vorwitzige Strähne aus der Stirn, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatte und ihr Gesicht bekam einen verträumten Ausdruck.
Julians Gesicht zog durch ihre Gedanken, blass, die Augen geschlossen. Wie sie ihn das erste Mal erblickte als er aus dem OP auf die Intensiv kam.
Er war ihr zugeteilt worden, „oder ich ihm „ ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
Sie hatte ihn lange betrachtet, diesen schönen Mann. Er sah so zerbrechlich aus, 12 Stunden Operation hatten ihm zugesetzt.
Sie hatte ihm immer wieder über sie Stirn gestrichen, ganz sanft. Alles in ihr wollte ihn beschützen, wollte für ihn da sein.
> Oh… das kann doch nicht war sein, was ist denn los mit mir >
Nele atmete einmal tief durch, reckte sich kräftig und schüttelte den Kopf um diese Gedanken los zu werden.
Sie musste sich jetzt auf ihre Arbeit konzentrieren, durfte sich nicht von ihren Gedanken ablenken lassen.
„ Reiß Dich zusammen Mädchen, das ist schließlich nicht Dein erster Privatpatient. Du wirst jetzt konzentriert Deine Arbeit erledigen „
So motiviert machte sie sich wieder an die Arbeit.
Wieder sein Gesicht, flatternde Augenlieder die sich langsam öffnen. Seine braunen Augen, die sie verwirrt anblicken, sich dann in ihren Blick saugen. Gänsehaut überzieht ihren Körper.
Dieser Blick war unglaublich, er ging ihr durch und durch und……
> Schwester Nele ?< Sie zuckte erschreckt zusammen und sah verwirrt Adrian von Tölling vor ihr stehen.
„ Oh Gott, wie lange steht er schon hier ? „
Mit einem verschmitzten Lächeln deutete er eine leichte Verbeugung an.
> Entschuldigen sie bitte, ich habe Sie nicht erschrecken wollen < Er lächelte sie offen an, doch sie würde am liebsten im nächsten Mauseloch verschwinden.
„ Was soll er nur denken, ich sitze hier und träume vor mich hin anstatt meine Arbeit zu machen, wie peinlich „
> Ich habe eine Bitte an Sie, die Sie mir hoffentlich erfüllen können <
Er legte den Kopf leicht schief und lächelte sie an.
> Natürlich, selbstverständlich, das ist doch selbstverständlich < Stotterte sie vor sich hin und wurde immer nervöser
„ Mein Gott, reiß Dich zusammen, der hält Dich doch für ‚ne komplette Idiotin „ Sie merkte, wie sich ihre Wangen röteten.
„ Auch das noch „
> Was kann ich für Sie tun Herr von Tölling ?<
> Ich möchte Sie bitten sich intensiv um meinen Bruder zu kümmern, ich habe das Gefühl, er hat Schwierigkeiten sich zurecht zu finden. Unterhalten Sie sich mit ihm, gehen Sie mit ihm im Park spazieren, verbringen Sie einfach Zeit mit ihm. Können Sie das für mich tun ? <
Wieder lächelte er sie an.
> Natürlich Herr von Tölling, das ist meine Aufgabe, ich bin allein für Ihren Bruder eingeteilt worden <
> Ausgezeichnet, das beruhigt mich sehr. Wenn Sie etwas benötigen sollten, zögern Sie bitte nicht sich an mich zu wenden < Er legte seine Visitenkarte vor ihr auf den Tisch und verabschiedete sich und ließ Nele, leicht verwirrt, zurück.
Was war das denn? Darum musste man sie doch nicht ausdrücklich bitten. Es war ihr Job und den nahm sie schon immer sehr ernst. Und was meinte er mit „wenn Sie etwas benötigen sollten“ ?
Egal, sie hatte jetzt Wichtigeres zu tun als sich darum Gedanken zu machen.
Da wartete schließlich noch das Stationsbuch auf sie.
Seufzend setzte sie sich wieder an den Schreibtisch und erledigte ihre Aufgabe.
„ Puh…. Fertig „ Der Schreibkram gehörte nun mal nicht zu ihren Lieblingsaufgaben, sie beschäftigte sich lieber mit Menschen.
Apropos Menschen, sie musste nach ihrem Patienten sehen.
Als sie die Tür öffnete, sah sie Julian mit geschlossenen Augen auf seinem Bett liegen und wollte sich leise wieder zurückziehen.
> Kommen Sie nur herein, ich schlafe nicht, ich habe nur etwas Kopfschmerzen <
Besorgt ging sie zu ihm.
> Soll ich Ihnen ein Schmerzmittel bringen Herr von Tölling ? <
> Nein, vielen Dank, so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Und würde es Ihnen etwas ausmachen mich Julian zu nennen, das wäre mir angenehmer <
Er lächelte sie etwas gequält an.
> Nein, natürlich nicht.< lächelte sie zurück.
> Darf ich Sie dann auch bei Ihrem Vornamen nennen? <
> Natürlich, ganz wie sie wollen Julian < erwiderte sie lächelnd.
> Haben Sie Ihre Kopfschmerzen schon die ganze Zeit oder war nur der Besuch nur anstrengend? <
> Nein, der Besuch meines Bruders war nicht anstrengend, oder doch. Im Moment ist alles anstrengend für mich <
Er atmete einmal tief durch und erzählte ihr dann von seinen Wahrnehmungen.
Interessiert hörte sie ihm zu.
Was er da berichtete war erstaunlich, von solchen Nachwirkungen hatte sie noch nie gehört. Wollte er ihr allen Ernstes weismachen, dass er Gespräche in den Nebenzimmern und auf dem Gang klar verstehen konnte? Nele konzentrierte sich, konnte aber absolut nichts hören. Sie wird den Ärzten berichten müssen und empfahl dies auch Julian.
> Wissen Sie Nele, es ist sehr anstrengend ständig irgendwelchen Gesprächen zuhören zu müssen, die mich überhaupt nicht interessieren.
Das Merkwürdige dabei ist, das es zuerst nur ein Gemurmel ist und wenn ich meine Aufmerksamkeit darauf richte, verstehe ich jedes Wort. <
Er schmunzelt in sich hinein.
> Sie glauben gar nicht über welche Belanglosigkeiten Menschen Gespräche führen. Wenn es beginnt mich zu langweilen, geht das Gespräch wieder in ein Gemurmel über. Wenn ich mich darauf konzentriere nicht hinhören zu wollen, höre ich auch nichts mehr. Doch gerade dieses Konzentrieren ist anstrengend und verursacht die Kopfschmerzen <
Nele überlegte kurz und hatte dann eine Idee.
> Was halten sie von Entspannungsübungen? Ich denke sie könnten ihnen helfen, etwas gelassener zu werden. Autogenes Training vielleicht und eine CD mit Entspannungsmusik vor dem Einschlafen <
>Eine gute Idee, einen Versuch wäre es wert. <
Nele zog einen der bequemen Sessel an das Bett, setzte sich hinein und bat ihn, es sich im Bett bequem zu machen und die Augen zu schließen.
Sie atmete einmal tief durch und begann dann mit ruhiger Stimme das autogene Training.
>Sie liegen bequem und völlig entspannt in Ihrem Bett, Sie spüren die weiche Matratze unter sich und lassen sich fallen. Sie atmen ruhig ein und aus, mit jedem Atemzug entspannen Sie sich mehr und mehr.
Sie spüren ihren Körper immer schwerer werden, die Gedanken in Ihrem Kopf werden immer ruhiger…….<
Ihre ruhige sanfte Stimme führt ihn durch das gesamte Training und sie sah, wie er immer ruhiger und entspannter wurde.
Julian lauschte dieser Stimme, die ihn mehr und mehr faszinierte. Weich und warm war sie und er spürte ihr Timbre leicht in seinem Körper nachhallen. Sie führte ihn hinab in sein Unterbewusstsein und er folgte ihr nur allzu willig. Schon nach kurzer Zeit spürte er seinen Körper nicht mehr und hatte das Gefühl, auf einer Wolke zu schweben und dahin zu fliegen. All seine Gedanken und Gefühle strebten dieser Stimme zu, wollten, dass sie nie verstummte.
Sein Gesicht wirkte völlig gelöst und sie konnte ihren Blick nicht von ihm abwenden. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus und dem Verlangen, dieses Gesicht zu streicheln, konnte sie kaum widerstehen.
Ja, sie wußte genau was da los war mit ihr….sie hatte sich verliebt in diesen wundervollen Mann, als sie ihn das erste mal so daliegen sah, nach der Operation.
Mit einem Seufzen riss sie sich von seinem Gesicht los.
Nele blickte zum Fenster in die untergehende Sonne und spürte, wie Traurigkeit sich in ihr ausbreitete.
Es war so hoffnungslos, sie musste all diese Gefühle tief in sich begraben. Er war vergeben, das musste sie sich immer wieder klar machen.
Der Tag nach Julians OP kam ihr in den Sinn. Sie hatte die Intensivstation kurz verlassen und da kam sie angestöckelt, eine Schönheit wie aus einem Modemagazin….seine Verlobte, Michele Nebel.
Nach einem kurzen Gespräch mit Dr. Reinhard verließ sie die Station wieder ohne nach Julian geschaut zu haben. Es würde sie nur deprimieren, hatte sie erklärt. Man möge sie sofort informieren wenn er aus dem Koma erwachte.
Nele schüttelte leicht den Kopf. Ihr war das Verhalten unbegreiflich, an ihrer Stelle würde sie Nichts und Niemand von Julians Seite bringen, da könnte die Welt einstürzen.
Ein kurzer Blick zu Julian erinnerte sie daran, dass sie das autogene Training nun beenden musste.
> Sie kehren nun langsam ins Hier und Jetzt zurück < sagte sie mit sanfter Stimme > Sie ballen ihre Hände zu Fäusten, winkeln Ihre Arme an und recken und strecken Ihren gesamten Körper. Und nun öffnen Sie ihre Augen <
Julian kam langsam zu sich, reckte sich genüsslich und blickte sie mit leicht verschlafenen Augen und völlig entspanntem Gesicht lächelnd an.
> Das war unglaublich, einfach herrlich, ich fühle mich wohl wie lange nicht mehr. <
Er horchte in sich hinein, die Kopfschmerzen waren wie weg geblasen.
Von dem guten Ergebnis der ersten Sitzung beflügelt, machten beide einen Plan für die Sitzungen der nächsten Tage und Nele verabschiedete sich und versprach, ihm morgen noch ein paar CDs mit Entspannungsmusik mit zubringen. Es war kurz von 20 Uhr und ihr Dienst endete gleich.
Julian blieb in seinem Zimmer zurück und dachte noch lange über das Erlebte nach.
Texte: Alle Rechte liegen bei mir, der Autorin – Jenny B.Cover Copyright by Google Bilder
Tag der Veröffentlichung: 21.02.2011
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