23. Säen und Ernten
Warum lautes Trommeln nicht peinlich ist
Ein Gärtner, der sein Gemüse erntet, tut dies selbstverständlich und ohne schlechtes Gewissen. Schließlich hat er sich viel Mühe gegeben, es zu säen und zu pflegen.
Mancher Verkäufer hingegen preist seine Produkte nur ungern an. Er hält dies für
unsauber und hat Angst, als Marktschreier daherzukommen. Diese Einstellung ist
nicht nur unbegründet, sie schadet auch dem Geschäft. Denn das Ernten ist die
eigentliche Leistung des Gärtners, das Säen ist nur Mittel zum Zweck.
Damit eine Saat aufgeht, müssen aber einige Voraussetzungen erfüllt sein. Wirft man
es auf eine Autobahn, wird selbst ein Super-Saatkorn nicht aufgehen. Um zu gedeihen
braucht es nämlich Wasser, Erde und Licht. Genauso ist es auch in der Wirtschaft: Ein
Geschäft setzt Kontakte, ein System und Energie voraus. Das Netz an Kontakten ist
das Wasser, das die Mühle in Gang setzt. Ein Unternehmer muss Kontakte haben und
weitere schaffen, um potenzielle Kunden zu finden.
Die Erde stabilisiert den Samen und die Pflanze. In der Wirtschaft übernimmt ein
System diese Rolle. Das System des PreSales Marketing etwa dient dazu, die vorhandenen Kontakte zu nutzen und sie wie mit einem Trichter zum Geschäftsabschluss
zu führen. Der Trichter wiederum besteht auch aus Kontakten, nämlich jene, zu
denen der Verkäufer eine Beziehung pflegt. Bei diesen Kontakten hat er immer die
Sicherheit, dass sie Interesse am eigenen Angebot haben.
Weiterhin braucht eine Pflanze Licht, um zu wachsen. Die Sonne liefert die nötige
Energie für die Photosynthese. In der Wirtschaft muss der Unternehmer diese Energie selbst beisteuern. Ohne seinen Einsatz und sein Engagement funktioniert das
System nicht.
Es gibt vermutlich kein Produkt, das sich ohne jeden Aufwand von selbst verkauft.
Ein Gärtner kann Sämlinge setzen und einige Jahrzehnte später einen Wald durchforsten, ohne dazwischen viel Aufwand zu betreiben. Das ist in der Wirtschaft nicht
möglich. Einige Produkte sind eher Selbstläufer, aber auch sie brauchen eine gewisse
Werbung.
Hinzu kommt der Faktor Zeit. Ein Halm wächst nicht schneller, wenn man daran
zieht. Selbst die Düngung beschleunigt das Wachstum nur begrenzt. Die Pflanze
muss bereit sein, die Nährstoffe des Düngers aufzunehmen. Sie wird durch den Dünger vielleicht größer und kräftiger, reift aber trotzdem nicht schneller.
Erst wenn alle Faktoren berücksichtigt wurden, ist die Pflanze reif für die Ernte – und
der Kunde für den Geschäftsabschluss. Trotzdem ist ein letzter Schritt nötig: Um das
Geschäft abzuschließen, muss ich den kaufwilligen Kunden kontaktieren. – Also aufs
Feld gehen.
Sichel oder Mähdrescher?
Zum Ernten braucht der Bauer Werkzeug. Er benutzt dazu entweder eine Sichel oder
einen Mähdrescher. Beide Instrumente sind geeignet, Korn zu schneiden, allerdings
ist dafür unterschiedlich viel Muskelkraft gefragt.
So ähnlich ist es in der Wirtschaft auch: Manche Produkte lassen sich schon mit
Mailings verkaufen, andere benötigen mehr Überzeugungskraft und Einsatz. Die
Mailings sind vergleichbar mit dem Einsatz des Mähdreschers. Dieser ist jedoch nicht
immer das geeignete Werkzeug. Manche Produkte lassen sich nur mit der feinsten
Handsichel verkaufen. So kann man vielleicht ein Buch per Mailing verkaufen, aber
nicht den Abschluss eines Friedensvertrags erreichen. Selbst Präsident Obama könnte
es sich nicht erlauben, bei Verhandlungen in Krisengebieten den Gesprächspartnern
seine neue Vision samt Lösungsvorschläge einfach per Mail zu senden: „Hier mein
neues Konzept, siehe Anhang.“ In einem solchen Fall muss er persönlich anreisen, an
den Verhandlungen teilnehmen und für sein Konzept werben.
Wie ein Produkt idealerweise beworben wird, damit es sich gut verkauft, hängt in
der Regel von der Art des Produktes ab. Ich selbst habe zum Beispiel noch nie eine
Mail bekommen, in der mir ein Atomreaktor angeboten wurde. Dieses Produkt ist
zu speziell, um es per Mail zu verkaufen. Wenn ich solche Mails nicht bekomme, so liegt es nicht daran, dass ich nicht zur Zielgruppe gehöre. Immerhin trudeln bei
mir dauernd Mails mit Angeboten für kleine blaue Pillen ein, obwohl ich nicht zur
Zielgruppe gehöre.
Everybody’s darling ist everybody’s Depp
In der Geschäftswelt sollte man sich entscheiden, ob man zum Typ „Hobbygärtner“
oder „Erwerbsgärtner“ gehört. Der Hobbygärtner umhegt seine Pflanzen, streichelt
die Rosen und spielt ihnen Mozart-Konzerte vor. Kein Aufwand ist ihm zu groß,
seine Arbeitszeit berechnet er nicht. Der Erwerbsgärtner hingegen hat sich zum Ziel
gesetzt, dass der Aufwand durch den Preis gedeckt werden muss. Er verkauft lieber
zehn Standard-Rosen für je einen Euro, als eine Rose, die vielleicht perfekt ist, für 1
Euro und zehn Cent.
Wer verdienen will, tut gut daran, immer das Pareto-Prinzip walten zu lassen. Dieses
besagt, dass sich mit 20 Prozent des Aufwands 80 Prozent des Ergebnisses erreichen
lassen. Die restlichen 20 Prozent erfordern unverhältnismäßig viel mehr Aufwand.
Das Prinzip stammt, wie der Name verrät, vom italienischen Ökonom und Soziologen Vilfredo Pareto. Dieser untersuchte die Verteilung des Volksvermögens in Italien
und fand heraus, dass etwa 20 Prozent der Familien rund 80 Prozent des Vermögens
besitzen. Wenn sich die Banken also vornehmlich um diese 20 Prozent der Bevölkerung kümmern, wäre ein Großteil ihrer Auftragslage gesichert.
Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn ich merke, ein Kunde will nicht von mir kaufen, sollte ich meine Bemühungen einstellen. Nach 19 Abfuhren lohnt es sich nicht,
noch ein 20. Mal anzurufen. Statt auf der Stelle zu verharren, ist es viel lohnender,
sich dem nächsten Kunden zuzuwenden.
Neulich las ich einen Ratgeber für die Kaltakquise, der empfahl, einen Kunden, der
eine Absage erteilte, nach einer halben Stunde erneut anzurufen. Der Verkäufer solle
nachfragen, was er beim Verkaufsgespräch hätte besser machen können. Ich klappte
das Buch zu und war irritiert. Was hat der Verkäufer denn davon? In der Zeit hätte er
bereits zehn neue Interessenten anrufen können, die seinen Bemühungen gegenüber
aufgeschlossener sind.
Wer so vorgeht, ähnelt einem perfektionistischen Koch. Den allermeisten Kunden
schmeckt sein Essen gut, einem einzigen Gast hingegen nicht. Deshalb betreibt der
Koch jetzt einen Riesenaufwand, um diesen einen Gast von seinen Kochkünsten zu
überzeugen. Dass dieser Übereifer nicht viel bringen kann, ist eigentlich von Anfang
an klar. So eine Handlung zeugt von völliger Selbstüberschätzung. Ein Angebot muss
und kann nicht allen schmecken.
Wer trommelt, sollte es möglichst laut tun
Kein Unternehmen kann erwarten, dass alle seine Werbemaßnahmen von jedem
willkommen geheißen werden. Wenn ich meinen Newsletter versende, schreiben mir
manche Empfänger lobende Worte zurück, andere bemängeln den Inhalt. Wieder
andere melden sich einfach ab, die große Mehrheit jedoch reagiert gar nicht. Diese
Reaktionen sind völlig normal. Daher bin ich nicht beleidigt, nur weil meine Maßnahmen keine hundertprozentige Zustimmung erhalten. Ablehnende Reaktionen halten
mich auch nicht davon ab, weiterhin Marketing zu betreiben. Denn wenn ich etwas
verkaufen will, muss ich trommeln. Und je lauter ich trommele, desto lauter werden
die Reaktionen – im Guten wie im Schlechten.
Ein potenzieller Kunde fühlt sich durch Verkäufer nicht belästigt. Er hat sogar einen
Nutzen davon. Amazon empfiehlt seinen Kunden Bücher, die aus demselben Segment
stammen wie die bisher erworbenen. Wenn ich zum Beispiel einen Schwangerschaftsratgeber kaufe, bekomme ich die Empfehlung für ein Buch wie „So schläft Ihr Kind
durch.“ Ich hatte noch nicht daran gedacht, dass ich einen solchen Ratgeber vielleicht
bald dringend brauche. Jetzt ist mir das klar – also bestelle ich das Buch gleich mit.
Das ist keine Belästigung, sondern Kundenservice.
Jede Fleischersfrau auf dem Markt fragt „Darf es auch ein bisschen mehr sein?“ Wenn
104 Gramm Wurst auf der Waage liegen statt 100 Gramm, habe ich noch nie erlebt,
dass ein Kunde sagt: „Nein, bitte geben Sie mir nur 100 Gramm.“ Zum einen ist es
technisch schlecht möglich, vier Gramm wegzunehmen, zum anderen würde sich der
Kunde schämen, so kleinlich zu sein. Auf die vier Gramm kommt es ihm nicht an. Die
Fleischerei hat aber gerade vier Prozent mehr Umsatz gemacht.
Deshalb müssen sich Verkäufer nie schämen, zu fragen: „Darf’s ein bisschen mehr
sein?“
Für jedes Produkt gibt es einen Käufer
Wer trommelt, sollte dabei ruhig so laut sein, dass ihn auch diejenigen hören, die er
nicht für seine Kunden hält. Manchmal finden die Kunden selbst Einsatzgebiete, an
die der Hersteller noch nicht gedacht hatte. Displays zur Kontrolle von Maschinen in
Fabriken kosten zum Beispiel mindestens 150 Euro. Ein findiger Bastler hatte einmal
die Idee, digitale Bilderrahmen ein wenig umzubauen und als Display zu verwenden.
Die Kosten für einen Bilderrahmen sind nur ein Bruchteil jener für industrielle Displays. Ein cleverer Hersteller von Bilderrahmen könnte diese Erkenntnis nutzen, um
neue Käufergruppen anzusprechen.
Der Verkäufer darf nicht denken, dass er die Kunden mit seinen Angeboten nervt.
Kunden warten meistens ungeduldig auf Lösungen. Lautes Trommeln ist daher keine
Störung. Bestes Beispiel dafür ist die Bild-Zeitung. Diese hat drei Millionen Käufer
– und überhaupt keine Scheu davor, laut und schrill zu sein. Sie trommelt, wo sie
nur kann. Dabei hat sie keinen hohen Anspruch auf journalistische Perfektion. Aber
das ist kein Nachteil. Die Leser wissen, was sie in dieser Zeitung erwartet: Die leicht
bekleidete Dame auf Seite Drei, der „Liebe ist...“-Spruch auf der Rückseite, dazwischen reißerische Nachrichten. Drei Millionen Leser mögen das. Und ich bin sicher,
dass es noch mehr als drei Millionen Menschen gibt, denen die Bild nicht gefällt.
Trotzdem: Was würde passieren, wenn man die Bild von heute auf morgen abschaffen
würde? Es würde einen Aufschrei geben. Die Macher der Bild-Zeitung sind deshalb
ganz selbstbewusst. Was interessieren sie die Kritiker? Sie leben ja von den Käufern
– und das sind immerhin drei Millionen Menschen.
Übersetzt in die Welt der Wirtschaft heißt das: Ich brauche mich nicht zu verstecken.
Für mein Produkt gibt es Käufer. Wenn ich denke, ich darf nicht trommeln, verbaue
ich mir selbst meine Marktchancen.
bedeutet das etwa, nur auf dem richtigen Terrain zu trommeln. Wurst-Dieter würde
ganz sicher nicht in eine Kirche gehen, um seine Waren dort anzupreisen, nur sich
weil dort potenzielle Kunden befinden könnten. Er geht vielmehr auf den Marktplatz.
Dort regt sich keiner über seine Werbung auf. Im Gegenteil: Dort wird er erwartet
und gesucht. Es gilt also, die Trommel zu rühren – aber nicht zu provozieren um jeden
Preis.
Gerade Handwerker oder Mittelständler scheuen davor zurück, lauthals für sich zu
werben. Sie setzen auf die Handwerker- oder Kaufmannsehre, sehnen sich nach dem
Geschäft per Händedruck und verabscheuen die laute Verkaufe. Sie möchten jeden
einzelnen Kunden zufrieden stellen. Das ist jedoch unmöglich. Wer Geschäftserfolge
verzeichnen will, braucht dringend eine andere Denkweise!
Was wäre, wenn jemand eine wichtige neue technische Errungenschaft allein durch
Flüsterpropaganda verkaufen würde? Das wäre ziemlicher Unsinn. Der Verkäufer
hätte es gar nicht nötig, den Ball so flach zu halten. Denn der Kunde fühlt sich nicht
auf den Schlips getreten, wenn man ihm etwas anbietet, was ihn interessiert.
Ernten ist selbstverständlich
Pflanzen brauchen Wasser, Erde, Licht und Pflege. Einige benötigen mehr Aufmerksamkeit, andere weniger. Doch sicher ist, dass der Gärtner sie nach der Pflege ernten
wird. Dies schadet den Pflanzen nicht. Eine Frucht ist dazu da, um Menschen oder
Tiere zu ernähren. Und einem Apfel kann es egal sein, ob er gegessen wird oder vom
Baum fällt und verschimmelt – in beiden Fällen wird er vergehen.
Ein Käufer, der Brötchen holt, wird sich nicht darüber aufregen, dass der Bäcker Geld
dafür verlangt. Es ist doch klar: Der Verkäufer macht seinen Job und verkauft. Der
Käufer erfüllt seine Bedürfnisse und kauft. Deshalb ist es unnötig, wenn Verkäufer
sich hinter Begriffe verstecken wie „Kundenbetreuer“ oder „Servicemitarbeiter“. Sie
können offen sagen, dass sie verkaufen wollen, niemand nimmt ihnen das übel. Der
Kunde weiß ganz genau: Er bekommt etwas und bezahlt dafür.
Der Verkäufer wird nicht belohnt fürs Säen, sondern für das Ernten. Würde er nichts
verkaufen, wäre er vergleichbar mit einem Bauern, der zwar sät, aber seine Ernte auf
dem Feld vergammeln lässt. Diesen Mann würde jeder für einen schlechten Bauern
halten. Darum sollen sich Unternehmer nicht zu schade sein, für ihre Produkte zu
trommeln und sie zu verkaufen.
Warum heute Persönlichkeiten über Erfolg und Misserfolg entscheiden – und
nicht Institutionen
Wörtlich übersetzt bedeutet Gatekeeper „Türsteher“. Der Türsteher einer Diskothek
ist vom Typ her breitschultrig, eher kahlköpfig und er trägt eine dicke Goldkette. Vor
allem aber ist er derjenige, der entscheidet, wer in den Club eingelassen wird und wer
nicht. Seiner Bedeutung ist er sich durchaus bewusst und er genießt es, wenn ihn die
Wartenden umgarnen.
Auch in der Gesellschaft gibt es Gatekeeper. In der Soziologie wird derjenige als Gatekeeper bezeichnet, der eine wichtige Position in einem Prozess der Entscheidungsfindung einnimmt. Diesen Begriff hat der amerikanische Sozialpsychologe Kurt Lewin geprägt. Er untersuchte, wer in einer Familie über den Umgang mit Lebensmitteln
entscheidet, und fand heraus: Die Hausfrau bestimmt, was gegessen wird. Was ihr
nicht schmeckt, kommt nicht auf den Tisch. Sie ist diejenige, die einkauft und kocht
– und die damit die Hoheit über die Verwendung von Lebensmitteln hat.
1950 hat David Manning White den Begriff auf die Journalismusforschung übertragen. Als Gatekeeper werden Menschen bezeichnet, die in den Massenmedien eine
Position ausüben, in der sie über die Verbreitung oder Nicht-Verbreitung bestimmter
Informationen entscheiden können. Im Zeitungsgewerbe sind das in der Regel die
Chefredakteure, im Rundfunk die Intendanten, im Fernsehen die Programmmacher.
Was diese Menschen nicht veröffentlichen wollen, erfährt der Leser nicht.
Gatekeeper kontrollieren also den Zugang zu Gruppen oder zu Nachrichten. Es sind
Schlüsselpersonen, die durch ihre Funktion oder ihren Status Macht ausüben. Dabei
ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass die persönlichen Vorlieben und Abneigungen,
die Interessen und Einstellungen der Gatekeeper Einfluss darauf haben, welche Informationen diese auswählen. Und es ist egal, ob ihnen diese Einstellungen bewusst sind
oder sie unbewusst vorhanden sind.
Ein Unternehmen, das Erfolg haben will, tut gut daran, sich mit seinen Informationen an diese Gatekeeper zu wenden, denn sie sind wichtige Multiplikatoren. Was
die Gatekeeper interessiert, wird die Öffentlichkeit erreichen. Und umgekehrt: Ein
Produkt oder Unternehmen, das nicht das Interesse der Gatekeeper weckt, wird es
schwer haben, die Öffentlichkeit anzusprechen.
Polarisierung der Gatekeeper-Funktion
Die Zahl der Gatekeeper bleibt nicht gleich. Mit der Einstellung oder Fusion zahlreicher Tageszeitungen wird zum Beispiel die Zahl der Chefredakteure immer kleiner.
Die zehn größten Verlagsgruppen Deutschlands dominieren heute den Markt mit
ihren Printprodukten. Sie erreichen zusammen einen Anteil von 58,1 Prozent an der
verkauften Auflage von Tageszeitungen in Deutschland. Einige wenige haben also das
Zepter in der Hand.
Doch momentan erleben wir eine widersprüchliche Entwicklung: Zum einen werden
einzelne Gatekeeper immer wichtiger, zum anderen übernehmen Blogger die Funktion von Gatekeepern. Die sogenannten A-Blogger haben sich praktisch bereits zu
Gatekeepern entwickelt. Sie haben mindestens zehn bis 100 Mal höhere Zugriffszahlen auf ihre Texte als andere Blogger. Die Themen, die sie aufgreifen, werden nicht nur
stärker diskutiert als die der anderen Blogs. Sie landen mit ihnen oftmals sogar in den
bekanntesten deutschen Printmedien.
Jeder Privatmensch kann mit seinem Handy einen kleinen Film drehen und ins
Internet stellen. Das nennt sich Bürgerjournalismus. Jeder Bürger kann an den gro-
ßen Medien vorbei Informationen veröffentlichen. Oft werden sie gar nicht beachtet.
Aber manchmal erreichen diese Nachrichten Hunderttausende von Interessenten.
Kleine Tageszeitungen übernehmen inzwischen ihren Mantelteil, also den Teil mit
den überregionalen Nachrichten, von großen Blättern. Damit verlieren die Chefredakteure der Regionalzeitungen einen Teil ihres Einflusses. Auch im Buchmarkt
findet Ähnliches statt: Während einige wenige Autoren mit ihren Werken immer
wieder die Bestsellerlisten anführen, wird die große Mehrheit der Autoren kaum
wahrgenommen.
Diese Polarisierung findet nicht nur in den Medien statt, sondern auch in anderen
Bereichen der Gesellschaft. So entscheiden die Chefs der zehn größten Lebensmittelkonzerne weltweit, was die Mehrheit der Weltbevölkerung isst. Denn sie bestimmen
das Sortiment der Supermärkte. Seitdem ist das Zeitalter der Fertiggerichte angebrochen. Gleichzeitig bloggen aber immer mehr Feinschmecker im Internet über
leckeres, gesundes oder naturbelassenes Essen.
In diesem Prozess der Polarisierung verliert die Mittelschicht deutlich an Einfluss.
Wer erfolgreich in der Wirtschaft sein will, muss diese Entwicklungen aufmerksam
beobachten – und rechtzeitig reagieren.
Was macht den Gatekeeper aus?
Früher hatten Gatekeeper bestimmte Funktionen inne. Der Hausarzt kontrollierte
den Zugang zum Facharzt, die Sekretärin den Kontakt zum Chef und der Einkäufer
bestimmte, was ins Programm aufgenommen wird. Diese Funktionen haben heute
an Macht verloren: Lästige Zwischenhändler sind nicht mehr gefragt. Dank Internet
kann jeder herausfinden, welcher Facharzt für ihn zuständig ist. Dank Mail kann
jeder den Chef selbst ansprechen, ohne die Sekretärin zu fragen.
Heute werden Menschen nicht mehr durch ihre Funktion, sondern dank ihrer Persönlichkeit oder ihres sozialen Status zu Gatekeepern. Wenn der Schweizer Tennisstar
Roger Federer einen Schläger empfiehlt, wird dieser Schläger zum Bestseller. Denn
die Käufer wollen damit ein kleines bisschen an dem Erfolg des Profis teilhaben, der
als einziger Spieler dreimal in seiner Karriere drei Grand-Slam-Titel in einer Saison
gewinnen konnte.
Dass Institutionen ihre Macht als Gatekeeper an Persönlichkeiten abgeben, ist kein
Zufall. Die Macht von Institutionen hat ganz allgemein nachgelassen. Deshalb wird
kein Manager heutzutage mehr versuchen, auf seinen Führungsanspruch allein durch
seine Position zu beharren. Vielmehr gilt die Maxime: Führen durch Persönlichkeit.
Google als Gatekeeper
Drei Viertel der Internetnutzer weltweit erschließen neue Angebote über Suchmaschinen. In Deutschland verwenden fast 85 Prozent der User Suchmaschinen und
Web-Kataloge, um Informationen zu finden. Und die Zahl der Suchanfragen, die in
das World Wide Web eingegeben werden, steigt an.
Dabei ist Google unübertroffen: In den USA hält die Suchmaschine einen Marktanteil
von 60 Prozent, in den meisten europäischen Ländern sogar noch ein bisschen mehr.
Yahoo und Bing rangieren unter ferner liefen. Wer nicht per Google zu finden ist,
wird schlicht nicht wahrgenommen. Deshalb hat im Internet Google die Funktion des
Gatekeepers übernommen.
Um gefunden zu werden, reicht es nicht einmal mehr, irgendwo bei Google gelistet
zu werden. Untersuchungen zeigen, dass nur wenige User mehr als die ersten drei
Suchergebnisse anklicken. Das bedeutet: Wer nicht auf der ersten Treffer-Seite
rangiert, wird meist übersehen. Wie erreicht man eine Platzierung unter den ersten
drei Suchergebnissen? Dazu muss Google etwas geboten werden, nämlich Content.
Denn es ist der Content, also der Inhalt einer Seite, den der Google-Suchalgorithmus
bewertet.
Google hat die Funktion, relevante Informationen zu bieten. Und „relevant“ ist in
der Ära des Web 2.0 fast sinngleich mit „aktuell“. Ändert sich also der Content einer
Internetseite häufig, rutscht die Seite in den Suchergebnissen nach oben.
Wer bei Google ganz vorne stehen will, muss relevante Informationen liefern – so einfach ist das. Ein ganzer Geschäftszweig beschäftigt sich seither mit der Optimierung
von Webseiten, um sie in den Suchmaschinen, insbesondere bei Google, hoch oben
auf den Ergebnisseiten zu platzieren. Bestechung jedoch funktioniert nicht. Es sind
ja keine Menschen, die das Internet durchsuchen, sondern automatische Programme.
Um die Gatekeeper als Multiplikatoren zu nutzen, müssen die User sie erst identifizieren. Wenn ich mit 1000 potenziellen Kunden in einem Raum bin und wissen
möchte, wer der Multiplikator ist, muss ich herausfinden, an wem sich die Menschen
orientieren. Das ist dann der Gatekeeper, dessen Aufmerksamkeit ich auf mich ziehen muss.
Der Gatekeeper kann für jede Gruppe von Kunden eine andere Person sein. Wer für
die einen als Gatekeeper fungiert, ist für die anderen vielleicht völlig uninteressant.
Wenn etwa Franz Beckenbauer für das Getränk Red Bull werben würde, würde das
nicht funktionieren, weil Beckenbauer für Red Bull-Trinker kein Vorbild ist. Er gehört
einer anderen Generation an als die typischen Käufer des Energy Drinks. Nicht zufällig sponsert Red Bull vor allem Funsportarten und organisiert sogar ein Event für
extremes Snowboarding. Hier sind diejenigen unterwegs, die das Getränk wirklich
kaufen.
Red Bull enthält neben Koffein auch Taurin und Glukuronolakton – Substanzen,
die den Stoffwechsel anregen. Nun hat der Getränkehersteller aber das Gerücht in
die Welt gesetzt, dass Red Bull weitere Substanzen enthält oder sogar in manchen
Ländern illegal ist. Dies entspricht zwar nicht der Realität, hat aber ein Markenimage
geschaffen, das vor allem junge Menschen anspricht. Auch deshalb gilt der Konsum
von Red Bull in gewissen Kreisen als „cool“. Das Vorgehen von Red Bull zeigt den
intelligenten Einsatz von Marketinginstrumenten. Ein Gatekeeper im Stil von Franz
Beckenbauer wäre in diesem Umfeld völlig fehl am Platz.
Wieso Provisionen wenig nützen
Um die Gatekeeper zu erreichen, wird oftmals vorgeschlagen, zu Provisionen zu greifen. Dies funktioniert jedoch nur begrenzt. Angenommen, eine Frau geht zu einem
Schönheitschirurgen und lässt sich operieren. Der Chirurg bietet ihr eine Provision,
wenn sie ihn weiterempfiehlt. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Die Frau wurde an
einer intimen Stelle operiert und möchte daher über den Eingriff am liebsten gar
nicht reden. Da mag die Provision noch so hoch sein – sie wird den Chirurgen nicht
weiterempfehlen.
Nehmen wir aber an, der Frau wurde ein Muttermal im Gesicht entfernt. Jeder
Bekannte, den sie nach der OP trifft, gratuliert ihr zu dem Mut, den entstellenden
Leberfleck beseitigen zu lassen. In diesem Fall ist sie wahrscheinlich gern bereit, den
Chirurgen weiter zu empfehlen. Denn sie erweist nicht nur ihrem Arzt einen Dienst,
sondern profiliert sich auch selbst: „Ich habe mich gut informiert und bin daher zu
Chirurg xy gegangen. Mit dem Ergebnis bin ich mehr als zufrieden und kann ihn
gerne weiterempfehlen. Wenn du willst, stelle ich einen Kontakt her.“ In diesem
Fall ist die Provision lediglich ein nettes Zubrot. Im Zweifel würde die Patientin den
Chirurgen auch ohne die Provision empfehlen.
Der Einsatz von Provisionen ist also im ersten Fall nicht sinnvoll und im zweiten Fall
nicht notwendig. Deshalb ist es überflüssig, Gatekeeper zu bestechen, um wahrgenommen zu werden. Viel wirkungsvoller ist es, Gatekeepern das zu liefern, was sie
benötigen, um ihre Funktion auszuüben. Genau wie ein Türsteher wollen auch sie ein
wenig umgarnt werden. Sie haben die Macht, ein Gut künstlich zu verknappen, etwa
den Zugang zu einem Business-Treffen. Und es tut ihnen einfach gut, sich in ihrer
Funktion wahrgenommen zu fühlen. Wer eine gute und stabile Beziehung zu einem
Gatekeeper pflegt, dem öffnet sich automatisch der Zugang zu vielen neuen Kunden.
Gatekeeper trifft PreSales Marketing
Verbraucher müssen heute aus einer Vielzahl von Informationen auswählen. Wer bei
Google nach einem Begriff sucht, erhält eine Million Ergebnisse – und ist damit noch
keinen Schritt weiter gekommen. Im Gegenteil, die unendliche Trefferliste ist eher
verwirrend.
Sinnvoller als solch eine Ergebnisliste wäre eine Suchmaschine, die meine persönlichen Vorlieben und Abneigungen kennt. Würde ich nach Telefondienstleistern
suchen, kämen dann nicht die Namen von Telefongesellschaften, sondern das Angebot eines Dienstleisters, der mir alles rund ums Telefonieren abnimmt. Dies gibt es
bislang jedoch nicht. Noch immer übernehmen Gatekeeper die Auswahl relevanter
Informationen. Und weil sie eine große Hilfe sind, genießen sie die Achtung der
Internetnutzer.
Gatekeeper lenken Aufmerksamkeitsströme. Wenn ein Gatekeeper auf einen neuen
Trend aufmerksam macht, bekommt der Trend weiteren Zulauf. Ein Unternehmen
tut also gut daran, die Gatekeeper und ihre Funktion bewusst zu nutzen.
Je mehr Gatekeeper ein Unternehmen entdeckt und in sein Beziehungsgeflecht
einbaut, desto breiter wird die Meeresfläche, auf der es sein Netz auswirft. Denn
PreSales Marketing sucht die Meere nach potenziellen Kunden ab, hält ihnen dann
eine Angel mit einem attraktiven Köder ins Wasser und wartet ab. Dazu können
Gatekeeper enorm helfen. Denn wenn es darum geht, die Schleppnetze am richtigen
Ort auszuwerfen, sind sie unübertroffen. Mehr noch: Sie können auch potenzielle
Kunden auf den leckeren Köder aufmerksam machen. – Und betreiben damit, vielleicht sogar ohne es zu wissen, ganz gezieltes Marketing!
Warum auch Premiumkunden in der Masse schwimmen
Was ist besser, Fliegenfischen oder Schleppnetze auslegen? Diese Frage lässt sich
natürlich nicht pauschal beantworten. Was besser ist, kommt auf die Umstände an.
Fliegenfischer werfen Köder für jeden einzelnen Fisch aus, Fischer mit Schleppnetzen
vertrauen darauf, aus der Masse der Fischschwärme zu schöpfen. Ähnliche Strategien
wurden früher im Marketing verfolgt: Bei der Kundenwerbung wurde entweder auf
Klasse oder auf Masse gesetzt. Mit Hilfe der neuen Medien ist es heute möglich,
beide Strategien gleichzeitig zu verfolgen und sogar mit Hilfe der Masse zur Klasse
zu kommen.
Nach wie vor sind für die meisten Unternehmen die potenziellen Kunden und das
angebotene Produkt eng miteinander verknüpft. Ein Hersteller von edlen Möbeln
sucht seine Kunden unter den Vermögenden, während ein Textilien-Discounter
die breitere Schicht einfacher Menschen ansprechen wird. Wer also Luxusartikel
anbietet, setzt bei der Kundenwerbung von vornherein auf die Premium-Strategie.
Wer Massenprodukte verkauft, spricht von vornherein die Massen an. Soweit so gut.
Denn an sich klingt das logisch. Wenn der Lebensmittel-Discounter Aldi anfangen
würde, mit seiner Werbung Manager und CEOs anzusprechen, würde das ziemlich
deplatziert wirken. Aber ich lege die Hand ins Feuer, dass es durchaus Manager und
CEOs gibt, die bei Aldi einkaufen. Und da steckt der Hase im Pfeffer!
Premium oder Low Budget?
Manche Unternehmer setzen auf absolute Top-Klasse und träumen davon, ausschließlich Premiumkunden zu bedienen. In vielen Fällen geht diese Strategie auf.
Edle Restaurants oder Hotels haben oft regen Anlauf, exklusive Kleider sind nach wie
vor gefragt, die Designer-Szene wird sogar Jahr für Jahr vielfältiger.
Aber nicht alle Branchen erzielen mit dem Premiumsegment die höchsten Umsätze.
Die Luxussparten der Autokonzerne etwa geraten immer mehr in finanzielle Schwierigkeiten. Vergleicht man die Umsätze, die ein Konzern mit seinen Luxusautos
macht, mit jenen, die er durch den Verkauf gängiger Autos erzielt, so wird das Pendel
deutlich in Richtung der Zweiteren ausschlagen.
Zugespitzt bedeutet die Premium-Strategie, nach dem einen Kunden zu suchen, der
den Millionenumsatz bringt. Ein Unternehmen, das darauf setzen würde, würde
sogar nach mehreren Insolvenzen immer noch nach dem einen Millionen-Kunden
suchen.
Inzwischen ist allgemein bekannt, dass nicht nur das Premiumsegment zum
Geschäftserfolg führt. Der amerikanische Journalist Chris Anderson hat in seinem
Buch The Long Tail nachgewiesen, dass eine Masse von vielen kleinen Kunden genauso
viel oder sogar mehr Umsatz bringen kann wie wenige große. Ein Anbieter kann
im Internet durch eine große Anzahl an unscheinbaren Nischenprodukten richtig
Gewinn machen.
Dieser Effekt trifft insbesondere für den Musik- und Bücherverkauf zu, wo selten verkaufte Titel in einem konventionellen Verkaufsgeschäft zu hohe Kosten verursachen
würden. Bei Amazon jedoch erzielen die Musiktitel, die lediglich auf Verkaufsrang
500 bis 1000 stehen, in der Summe mehr Umsatz als die ersten 20 Titel. Hier bringt
die Masse tatsächlich mehr als die Klasse.
Es gibt Musikproduzenten, die zwar nie einen Superstar wie etwa ABBA herausgebracht haben, die aber zwanzig weniger bekannte Gruppen managen und damit in
der Summe mehr Umsatz machen als der Produzent eines einzigen Topstars. Die
deutsche Pop-Gruppe Die Flippers etwa hat in Deutschland mehr umgesetzt als die
schwedische Top-Band ABBA. Ihr Absatz von Tonträgern in zweistelliger Millionenhöhe wurde mit zwölf goldenen Stimmgabeln, zwei Echo-Trophäen, 31 goldenen und
neun Platin-Schallplatten ausgezeichnet.
Spätestens seitdem Mark Zuckerberg durch die Erfindung von Facebook zum Milliardär wurde, ist jedem klar: Manchmal lässt sich mit einer breiten Bevölkerungsschicht
der viel größere Gewinn erzielen. Bestes Beispiel ist Aldi, das unter dem Firmennamen Albrecht Discount mit Billigprodukten startete. Wer hat den höheren Absatz,
Aldi oder Feinkost Käfer? Aldi Nord und Süd zusammen machten trotz der harten
Preiskämpfe im Discounter-Segment einen Umsatz von 22 Milliarden Euro im Jahr 2010. Der Münchner Delikatesswarenhändler Käfer, der sich ausschließlich an die
wohlhabende Schicht wendet, lag 2008 bei gerade einmal 114 Millionen Umsatz,
obwohl er ebenfalls international tätig ist.
In den meisten Fällen bringt die Masse mehr Umsatz als die kaufkräftige Schicht.
Nicht umsonst eröffnen all die Ein-Euro-Shops stets neue Filialen. Es gibt eben zwei
Strategien, Umsatz zu generieren. Dabei sollte man sich vom Image des Premiumsegments nicht blenden lassen.
Dies gilt nicht nur für den Einzelhandel, sondern auch in der Kulturbranche. Wer ist
der bekannteste Filmproduzent? Sicherlich Steven Spielberg. Doch was viele Menschen nicht wissen: Mit einem weltweiten Umsatz von 15 Milliarden Dollar ist der
Amerikaner Jerry Bruckheimer der erfolgreichste Filmproduzent aller Zeiten. Dieser
hat mit zahlreichen mittelgroßen Erfolgen weitaus mehr Geld an den Kinokassen
eingespielt als Großmeister Spielberg, auch wenn sein Pearl Harbour lange nicht so
bekannt ist wie Schindler’s Liste.
Manche Anbieter stehen mit ihrem Angebot im Rampenlicht, während andere mit
unscheinbaren Massenprodukten unglaubliche Umsätze generieren. Beide Wege sind
möglich und beide werden auch weiterhin bestritten. Denn sie spiegeln das Kaufverhalten der Kunden wider. Die meisten Menschen kaufen heutzutage entweder,
weil der Preis extrem niedrig oder die Qualität unschlagbar ist. Für die Mittelklasse
hingegen geben sie ihr Geld nur ungern aus. Die Folgen für Wirtschaft und Marketing: Die Polarisierung zwischen den beiden Strategien wird immer stärker. Unternehmen setzen entweder gezielt auf Masse oder gezielt auf Klasse – sowohl bei der
Produktentwicklung als auch bei der Kundenansprache. Und jetzt bin ich wieder bei
dem Hasen im Pfeffer.
Aldi spricht mit der gesamten Unternehmenskommunikation nur die breiten Massen
an. Aber aus welchen Gründen auch immer machen auch gut situierte Kunden ihre
Einkäufe bei dem Discounter. Warum also sollte Aldi nicht auch diese Kunden ansprechen? Wenn sie so kaufkräftig sind, könnten sie noch zu Großkunden werden. Meine
Erfahrung zeigt: Egal, in welches Preissegment sich meine Produkte einordnen, es gibt
dafür in der Regel viel mehr Interessenten, als ich denke. Und die Strategie, die Masse
anzusprechen, kann langfristig sogar dazu führen, klasse Kunden zu bekommen.
Durch Masse Klasse erreichen
Häufig ist nicht klar, welches Kundenpotenzial gewisse Produkte haben. Organisiert
jemand eine Tupperparty, so werden in der Regel Frauen eingeladen. Dabei kann es
sein, dass ihre Männer die viel leidenschaftlicheren Köche sind. Oder dass sich neben
den Frauen und den leidenschaftlichen Köchen auch ein Bastler für die Tupper-Dosen
interessiert, der seine Schrauben darin aufbewahren möchte.
Daher ist es günstig, sich nicht von vornherein auf eine Zielgruppe festzulegen, sondern sich auf die Masse der Kunden einzulassen, um dann die Klasse herauszufiltern.
Kunden, die Einmalkäufe tätigen, hat jedes Unternehmen. Diese bilden die Masse,
in der auch potenzielle Stamm- oder Großkunden zu finden sind. Woher kann ich
aber wissen, welcher meiner Kunden plant, mehr bei mir zu kaufen? Da hilft nur, die
Kunden immer wieder anzusprechen.
Ein Restaurant könnte eine Aktion starten: „Heute alle Gerichte zum halben Preis“.
Damit wird die Masse der Kunden angelockt. Unter diesen vielen Kunden könnte
aber auch einer sein, der jeden Mittag auswärts isst. Wenn ihm das Restaurant
gefällt, wird er wieder kommen. Und wenn er bei jedem Besuch aufmerksam bedient
wird und das Essen schmeckt, wird er womöglich zum Stammgast werden. Dieser
Stammgast wurde jedoch nur geworben, weil zunächst auf die Masse gesetzt wurde.
Auch die Neuen Medien bieten eine gute Möglichkeit, die Masse der Kunden
anzusprechen. Amazon etwa richtet sich an die große Masse und fordert mit seinen Buchempfehlungen die Kunden zum wiederholten Kauf auf. So kann aus dem
Einmalkäufer ein Amazon-Stammkunde werden. Auch Amazon macht Umsatz mit
der Masse und schafft es gleichzeitig, aus einzelnen Kunden durch Empfehlungen
wahre Umsatzspitzen herauszukitzeln – eine geniale Kombination. Und eine gewinnbringende dazu: Allein in Deutschland erzielte Amazon in den vergangenen Jahren
jährlich eine Milliarde Euro Umsatz.
Viele Marketing-Konzepte predigen das Alleinstellungsmerkmal als den Weg, sich
von anderen abzusetzen und Kunden zu gewinnen. Dabei ist es absolut unnötig, für
jedes Unternehmen ein Alleinstellungsmerkmal zu finden. Ein Heizungsbauer baut
die Heizung auch nicht anders ein als sein Mitbewerber. Man kann ihn hinbiegen und
konstruieren, aber ein Handwerker hat einfach kein Alleinstellungsmerkmal.
Der Unique Selling Point wird heutzutage völlig überbewertet. Selbst für Unternehmen, bei denen eine Alleinstellung möglich ist, bringt diese nicht unbedingt
mehr Kunden ein. Denn sie ist weiterhin dem alten Denken verhaftet, wonach ein
Unternehmen sich auf eine starre Zielgruppe fokussieren muss. Und diese Strategie
bedeutet ganz konkret, Ehemänner und Bastler von den Tupperpartys auszuschlie-
ßen – mit dem Ergebnis: weniger Umsatz.
Meine feste Überzeugung: Wer sich nicht auf eine Zielgruppe beschränkt, sondern
die Masse der Kunden anspricht, die Bedarf an seinen Diensten haben könnte, dem
stehen deutlich mehr Möglichkeiten offen. Wer auf diese Weise eine Menge Kunden
gefunden hat, kann in einem zweiten Schritt zielgerichtet überprüfen, wer von ihnen
Interesse an einer engeren Zusammenarbeit hat.
Das Schleppnetz auslegen
Wie kommt man aber an diese potenziellen Kunden heran? Um auf das Bild des Fischens zurückzukommen: Indem man zunächst das Schleppnetz auslegt und schaut,
welche Fische sich darin verfangen.
Das klassische Marketing wendet eine Menge Energie auf, um Daten zu erheben und
Adressen zu sammeln. Dabei wird versucht, in die Tiefe vorzustoßen – ein reichlich
ineffizientes Verfahren. Denn das Risiko, bei diesem Vorgehen ein Kundensegment
vollkommen zu übersehen, ist extrem hoch. Außerdem ist unklar, ob die mit Mühe
gesammelten Daten aktuell, korrekt und fundiert sind. Der Mensch ändert ständig
seinen Lebensstil. Und manchmal gehen diese Änderungen rasend schnell.
Morgens werde ich zum Beispiel gefragt, ob ich Vegetarier bin. Ich verneine. Mittags
erreicht mich die Meldung über den neuesten Fleischskandal. Ich beschließe, ab sofort
kein Fleisch mehr zu essen. Und schon ist meine Aussage vom Morgen überholt und
der Datensatz der Umfrage veraltet.
Unternehmen sollten sich nicht auf starre Daten verlassen, sondern selbst mit den
Kunden in ständigem Kontakt bleiben. Dabei ist es besser, bei diesen Kundenkontakten mit weit gefassten Fragen zu beginnen, wie etwa „Möchten Sie gesund leben?“
anstatt „Sind Sie Vegetarier?“. Wer seine Anfangsfragen allgemein hält, verringert
das Risiko, falsche Antworten zu bekommen. Offene Fragen bieten dem Kunden
die Möglichkeit, seine Wünsche zu äußern, ohne eingeengt zu werden. Vielleicht
kommen damit Bedürfnisse zur Sprache, die mit einer zugespitzten Frage nie erfasst
würden.
Die Neuen Medien bieten einen idealen Weg, um mit vielen potenziellen Kunden
Kontakt aufzunehmen. Anhand der in den sozialen Netzwerken veröffentlichten
Profile kann ich potenzielle Kunden aktiv auswählen und mit ihnen in Dialog treten.
In diesem Punkt wird das klassische Marketing nie an die Möglichkeiten des PreSales
Marketing herankommen, weil es die Kunden nicht so zielgenau filtern kann. Außerdem ist PreSales Marketing wesentlich preiswerter als klassisches Marketing.
Wer sich noch nicht mit klassischem Marketing beschäftigt hat, wird sich wundern,
wie viel Geld für Datensätze potenzieller Kunden bezahlt wird. Experten gehen von
einem Wert von etwa 30 Euro für jede Kundenadresse aus. Aber auch höhere Zahlen
sind im Umlauf. So wurden die Datensätze von 260.000 Kunden des in Konkurs
gegangenen Internet-Spielzeugladens Toysmart als das größte noch aktivierbare
Kapital des Unternehmens angesehen. Jeder Kundeneintrag wurde auf einem Wert
von 500 US-Dollar geschätzt. Durch den Einsatz digitaler Netzwerke macht PreSales
Marketing solche Ausgaben überflüssig.
Der Weg zum Stammkunden
Wie wird ein Kunde Stammkunde? Zunächst kauft jeder Kunde irgendwo zum ersten
Mal. Dann erhält er ein neues Angebot, er kauft noch einmal. Und dann kauft er wieder. Und wieder. Auf die Dauer wird er damit zum Stammkunden. Kein Unternehmer
ruft irgendjemanden an und fragt: „Möchten Sie nicht mein Stammkunde werden?“
Ein Stammkunde erringt seinen Status mit der Zeit. Am Anfang war auch er nur ein
Einmalkäufer. Deshalb ist es entscheidend, zunächst Schleppnetze auszulegen und
erst nach einer gewissen Vorsortierung mit der Angel zu arbeiten – also die Beziehung
zu einzelnen Kunden gezielt zu intensivieren.
Wie der Fischer beim Angeln braucht auch der Unternehmer ein System, um seine
Kunden dazu zu bringen, immer und immer wieder bei ihm zu kaufen. PreSales
Marketing ist genau das Konzept, das auf den Massenmarkt setzt und gleichzeitig
Stammkunden heranzüchtet. Ich selbst habe damit meinen Stamm an Großkunden
deutlich erweitert.
Wenn jemand zum ersten Mal Folienverpackungen bei mir kauft, ist das für mein
Unternehmen ein Erfolg. Denn es bedeutet: Dieser Kunde hat grundsätzlich Bedarf
an Verpackungen. Der Fisch ist also im Schleppnetz hängen geblieben. Nun gilt es
zu prüfen, inwieweit er wieder kaufen will. Weil er bereits Kunde ist, bekommt er
einen für ihn relevanten Newsletter, er wird mit den Pressemitteilungen meines
Hauses versorgt, und erhält zusätzlich eine Übersicht über die Produkte, die er bei
mir gekauft hat. Nun sind Verpackungen Gebrauchsmaterial, das nach einer Weile
ausgeht. Da ich den Kunden kenne, kann ich abschätzen, wann ungefähr sein Bestand
aufgebraucht ist. Deshalb schicke ich ihm rechtzeitig ein neues Angebot, verbunden
mit der Frage nach einem Anschlusskauf. Damit habe ich ihm praktisch das Denken
abgenommen: Noch bevor er bemerkt, dass sein Bestand zu Ende geht, kommt die
Erinnerung. Die meisten Kunden sind mehr als glücklich über diesen Service und
unterschreiben sofort. Dabei empfinden Sie mein Angebot nie als Werbung – denn
ich habe sie kontinuierlich mit Informationen versorgt. Hätte ich nach dem Erstkauf
den Kontakt nicht gehalten und Monate später lediglich ein neues Angebot geschickt,
hätte ich mit Sicherheit lauter Absagen bekommen. Denn Kunden brauchen eine
Beziehung zum Verkäufer.
Auch Apotheken schicken monatlich Abrechnungen an ihre Kunden. Aber mir ist
noch keine begegnet, die zusätzlich einen Flyer über zusätzliche Angebote mit in den
Umschlag packt. Dabei wäre es viel wirkungsvoller, dies zu tun, als die Flyer lose zu
verteilen. Denn verknüpft mit wertvollen Informationen – in diesem Fall mit einer
wichtigen Abrechnung – nehmen die Kunden den gleichen Flyer nicht als lästige
Werbung sondern als persönliche Empfehlung wahr. Und sind dann vielleicht bereit,
viel mehr Dienste der Apotheke in Anspruch zu nehmen. So werden aus anonymen
Einmalkunden mit etwas Geschick und Beharrlichkeit glückliche Stammkunden. Und
die Apotheke kommt über die Masse zur Klasse!
Tag der Veröffentlichung: 14.10.2012
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