Die Sonne strahlt auf meine braunen Haare mit einem starken Rotstichton, dass diese zu glänzen schienen. Ich saß wie jeden Morgen, unter der Woche, bei meiner besten Freundin Melody im Auto. Naja eigentlich ist sie erst seit 2 Jahren meine beste Freundin, als ich sie an meinem ersten Schultag auf der California High kennenlernte. Sie stellte nicht die üblichen Fragen wie die anderen: woher kommst du? wieso bist du hier? Wie man das eben so ertragen muss, als „Frischfleisch“ an einer neuen Schule, die man mitten unterm Jahr wechselt. Das war nach dem Umzug von Boston hierher nach Virginia. Von einem fünf Zimmer Apartment und einer Einwohnerzahl von knapp 700.000 in eine Kleinstadt mit ein bisschen mehr als 1500 Einwohnern. Aber es musste alles ziemlich schnell gehen nach dem Autounfall meiner Eltern, ich wurde also ins kalte Wasser geworfen oder vielmehr in ein neues Leben. Neues Haus, neue Gegend, neue Schule, neue Leute. Ich konnte mich anfangs nicht so richtig einbringen, war zwar überdurchschnittlich gut in der Schule, nicht nur weil wir den meisten Stoff schon in der alten Schule durchgenommen hatten, ich gehörte auch in meiner alten Schule zu den Besten der Klasse. Irgendwann ließen sie mich in Ruhe mit der Fragerei und stempelten mich als Freak ab, unter anderem weil mein Klamottenstil nicht gerade als „normal“ und schon garnicht als „in“ bezeichnet werden würde. Zerrissene Jeans, meine roten ausgeleiherten, alten Allstars und dazu entweder einen schwarzen oder weißen Longsleeve , ab und zu vielleicht mal grau, war mein täglicher Aufzug. So wie ich auch gerade wieder gekleidet war. Ich hatte meine schwarzen Lederjacke darüber, weil es relativ windig war, als ich das Haus heute Morgen verließ. Ich hörte Mel schon hupen, jedoch warf ich noch einen kurzen Blick in den Spiegel und mir schauten müde, blaue Augen entgegen. Ich hatte nichts Besonderes an mir. Blasse Haut, auf der vereinzelt ein paar Sommersprossen zu sehen waren, große Augen, die ich von meiner Mutter hatte und markante Wangenknochen. Im Unauffälligsein bin ich gut und auch froh darüber kein Aufsehen zu erregen. Ganz im Gegenteil zu meiner verrückten, farbenfrohen, schrillen Tante Amelia, bei der ich jetzt nach meinem Umzug wohnte. Sie ist die jüngere Schwester von meinem Vater und hat mich nach dem tragischen Unfall zu sich in ihr großes Haus aufgenommen, indem ich jetzt den Dachboden bewohne. Ich wollte nicht ins Gästezimmer, obwohl ich sogar ein eigenes Badezimmer gehabt hätte. Der Dachboden gefiel mir einfach besser, mit dem großen Erkerfenster und auch wenn es für die Möbel ein wenig unpraktisch war, fand ich die Dachschrägen und das unsymmetrische faszinierend. Ich machte damals an dem runden Fenster, durch das ebenso Licht herein schien, wie durch das rießige Erkerfenster, zu meinem Lieblingsplatz im ganzen Haus, indem ich eine alte olivgrüne Couch darunterstellte, die ich verstaubt im Keller von meiner Tante Amelia ausgegraben hatte. Es hat mich einen ganzen Samstagvormittag gekostet und war harte Arbeit das alte, schwere Teil allein bis in den Dachboden zu tragen. Insbesondere mit solchen Hürden wie die eiserne Wendeltreppe, die sich vom 2. Stock bis in mein Zimmer nach oben schlängelte. Als ich heute Morgen aufwachte oder eher aus dem Schlaf gerissen wurde, weil ich wieder einen dieser komischen Träume hatte, an die ich mich für gewöhnlich nicht erinnern konnte, ging mir dieser Traum jedoch nicht aus dem Kopf. Weswegen ich neben Melody in ihrem auffallend roten Audi A3 Cabrio immer noch vor mich hin grübelte. Sie bemerkte, dass ich ihr gar keine Aufmerksamkeit schenkte und die ganze Zeit im Gedanken versunken war, tippte sie mir als Warnung an die Schulter und strafte mich mit einem vorwurfsvollen Blick als ich zu ihr hinübersah:,,Also Liv jetzt mal ehrlich, hast du eigentlich ein Wort von dem mitgekriegt, was ich dir schon seit 10 Minuten hier erzähle?“ Ich versuchte sie zu beschwichtigen und erwiderte:,, Nein, tut mir leid. Hab nicht gut geschlafen. Du kannst mir nochmal alles erzählen. Also die Kurzfassung." Sie schien wieder etwas gelassener zu sein. ,,Ja die Kurzfassung, denn wir sind gleich in der Schule und ich hoffe ich finde einen Parkplatz." Ich hatte überhaupt keinen Nerv mir anzuhören, dass sie schon wieder einen Jungen kennengelernt hatte und wie toll dieser sei. Seinen Namen habe ich nach ein paar Minuten schon vergessen und wahrscheinlich ist der arme Kerl sowieso bald wieder Geschichte, so wie ich meine beste Freundin kenne. Melody ist die Schönheit in Person mit ihren schulterlangen, welligen, blonden Haaren, der Traum jedes Typen in unserem Alter. Ihr Kleidungsstil ist das Gegenteil von meinem, sehr unbedeckt meiner Meinung nach, aber sie kann sich zeigen mit der hammer Figur. Ich mustere sie seitlich aus den Augenwinkeln und muss zugeben dass ich oft ziemlich neidisch bin. Sie trägt heute einen schwarzen Jeansminirock mit Fransen, der ihre braun gebrannten, langen Beine zu Geltung bringen, ein enganliegendes hellgrünes Top mit V-Ausschnitt und dazu High heels, die sie jeden Tag an den Füßen hat. Manchmal frage ich mich, wie sie das macht, sich den ganzen Tag in hohen Hacken so elegant zu bewegen, es ist mir wirklich ein Rätsel. Ich würde wahrscheinlich rumlaufen, wie der größte Versager und mir täten die Beine nach ca fünf Minuten schon weh. Als wir mit dem Auto rechts in den Schulparkplatz einbogen, der zu dieser Zeit schon maßlos überfüllt war, suchten wir vergeblich nach einer freien Lücke. In fünf Minuten würde die Unterrichtsglocke zum Beginn der ersten Stunde leuten und wir sollten in diesem Moment schon auf unseren Plätzen sitzen, jedoch suchten wir, immer noch aussichtslos, nach einem Parkplatz. Endlich, ganz hinten in der letzten Reihe, entdeckten wir den ersehnten freien Platz und Melody lenkte ihr Auto in einer Bewegung perfekt in die Lücke, ohne einmal zu ranchieren. Wir holten unsere Taschen aus dem Kofferraum und sputeten ins Klassenzimmer ehe ein paar Sekunden darauf unser Geschichtslehrer Herr Bennett die Klasse betrat. Er begrüßte die Klasse gereizt wie immer und legte sofort mit dem Stoff los. Ich konnte mich garnicht richtig konzentrieren. Melody rempelte ein paar Mal mit ihrem Ellbogen gegen meinen, als ich in meinen Gedanken versunken war und sich Herr Bennett von der Tafel weg Richtung Klasse drehte, um uns den Ernst der römischen Gladiatorenspiele zu erläutern. Ich konnte nur ein kleines Lächeln aufbringen und ihr zunicken. Innerlich war ich ihr sehr dankbar dafür. Ich konnte nur noch an diesen seltsamen Traum denken, der mich seit dem Aufwachen verfolgte. Ich träumte von einem Jungen, ich weiß seinen Namen nicht und ich sehe nur einen schwarzen Fleck anstatt seinem Gesicht, doch es kribbelt in meinem Bauch und in meinem Körper breitet sich ein Gefühl der Wärme aus. Allerdings hat mein Traum nach dieser Begegnung immer ein Ende. Da ist nichts mehr, aber ich will wissen wie es weitergeht, wer ist der Unbekannte? Ich hatte keine Erklärung dafür, wieso ich das nicht als normalen Traum abstempeln und diesen einfach vergessen konnte. Aber irgendetwas ließ mir keine Ruhe und mein Körper reagierte, wenn ich mir die Erinnerungen ins Gedächtnis rief. Wieso erkenne ich sein Gesicht nicht, stattdessen ist da nur dieser schwarze Kleks und wieso..? ,,Frau Hale..., Frau Hale, würden Sie bitte wieder zurück ins Klassenzimmer kommen mit ihren Gedanken. Möchten Sie uns freundlicherweise mitteilen, an was sie so gespannt denken?" riss mich Herr Bennett aus meinen Erlebnissen von dem Traum letzter Nacht. ,,Ich ähm...es tut mir leid. Ich werde ab jetzt mehr aufpassen." entschuldigend sah ich ihn an. ,,Sie kommen nochmal mit einem blauen Auge davon. Es wird keine zweite Ermahnung mehr geben Miss Hale, haben Sie mich verstanden?" Ich nickte nur stumm und versuchte in den nächsten Stunden mehr auf den Unterricht aufzupassen, obwohl ich dennoch immer wieder abgelenkt war von meinem Traum. Ich schob meine Gedanken beiseite und fixierte mich auf die Tafel und den Worten meines Lehrers. Melody warf mir im Laufe der Stunden ein paar Mal besorgte Blicke zu die fragen sollten: alles okay bei dir? Aber ich wollte mir nicht nochmal Ärger von einem Lehrer einhandeln an diesem Tag und beschloss es ihr in der Pause zu erzählen.
Nach dem Klingeln setzte ich mich mit einem üblichen Kantinenessen und einem Apfel, der als einzigster Verzehrfähig sein würde, neben Melody. Ein paar Minuten darauf kam Blue mit einem Espresso dazu und drückte sich auf die Bank neben mich. Er wechselte auch unterm Jahr auf diese Schule, jedoch einige Zeit bevor ich hierher kam. Sein richtiger Name ist Roar aber in seiner alten Schule nannten ihn alle Blue, weil er seine Haare wegen einer Wette blau gefärbt hatte und diese dann einfach so ließ. Der Name blieb in der neuen Schule bestehen. Bis auf eine blaue Strähne, die ihm ins Gesicht hängt, sind seine restlichen Haare wieder komplett schwarz, wie seine Naturhaarfarbe. ,,Ich wär in Naturwissenschaften fast weggepennt. Ich habe das Fach eigentlich nur wegen der heißen, blonden Aushilfe im ersten Halbjahr gewählt. Statt der Blondine ist jetzt wieder die alte Davies zurück. Natürlich hab ich jetzt null Motivation mehr." Blue starrte gelangweilt in seinen Espresso vor ihm und pustete in den Schaum. ,,Wie kann man nur so sexistisch sein und einer Lehrerin nachgaffen, das ist so widerlich." Melody warf dramatisch ihr Haar zurück und beäugte ihn mit einem angeekeltem Blick. Ich hielt mich lieber da raus. Vorallem konnte ich ihn Sachen Jungs sowieso nicht mitreden, fast ohne Erfahrungen. Bis auf 3 Typen, die ich geküsst habe, aber das war eher spontan und nichts Festes. Ich hatte erst einen richtigen Freund auf der alten Schule. Er hieß Nick und war braun gebrannt und ziemlich attraktiv. Er war 2 Jahre älter als ich und wir waren fast soweit, bis das mit meinen Eltern passiert ist. Es war nicht einmal die Entfernung. Wie soll ich sagen, ich war einfach nicht mehr dieselbe Person. Ich bin seitdem viel ruhiger, es kommt manchen wahrscheinlich sogar so vor als wäre ich depressiv. Ich bin trotzdem froh dass wir es gelassen haben, auch wenn ich in Sachen Sex jetzt hintennach bin. Melody zog mich aus meinen Gedanken: ,,Hey Liv, du bist heute schon den ganzen Tag abwesend. Was war denn bei Bennett los? Hattest ja nochmal Glück, dass er dich nur ermahnt hat. Er kann dich nur leiden, weil du in Geschichte so gut bist." Ich wusste nicht, ob es ratsam ist, auch wenn sie meine besten Freunde waren, Blue und Melody von meinen Traum zu berichten. Ich meine, ich kann schlecht sagen, dass ich von einem Typen ohne Gesicht geträumt habe, der mich auf irgendeine Weise erregt hat. Ich will ihre Witzeleien und Andeutungen darüber gar nicht wissen. Aber ich bin immer noch besessen darauf, wer der Mann ohne Gesicht war, der meinen Körper so in rasche versetzt hat. ,,Hallooo, Erde an Liv? Ist sie da? Wenn nicht, dann sag mir wer meine beste Freundin entführt hat." Melody wurde schon ungeduldig. ,,Sry Mel, ich bin heute einfach nicht so auf Kurs. Hab schlecht geschlafen, mehr nicht." Sie beobachtete mich kritisch, beließ es jedoch noch weiter nachzustochern. Blue simste derweil die ganze Zeit mit seinem neuen Iphone. Sein Dad ist Geschäftsleiter bei einer der größten Firmen hier in der Nähe und hat haufenweise Geld. Er und sein Vater wohnen in einem riesigen Haus mit einer Veranda aus Holz und Glas und einem fünf Meter langem Pool. Seine Mutter blieb in Georgia zurück, als sich seine Eltern trennten. ,,Blue mit wem schreibst du die ganze Zeit?" fragte ich ihn neugierig, um nicht wieder in Grübeleien zu versinken. ,,Ich hab letztens auf der Party im Zouk ein Mädchen kennengelernt und wir haben uns lange Unterhalten und Nummern getauscht." Das Zouk ist eine alte Lagerhalle die in eine der berühmtesten und größten Diskotheken umgebaut wurde. Blue hat so gut wie nie ernstes Interesse an Mädchen. Verwundert fragte ich nach:,,Könnte das diesmal vielleicht was Ernsteres werden?" Melody staunte ebenfalls:,,Ach das ist doch bei Roar nichts Ernstes..." Blue und ich blickten uns verwirrt an, weil Mel ihn bei seinem richtigen Namen genannt hatte. ,,Seit wann nennst du mich Roar?" hakte er nach und zog eine Augenbraue nach oben:,,Und naja bei ihr bin ich mir nicht sicher. Sie heißt Isabelle und ist echt ne Granate. Vielleicht ergibt sich mehr. Am Wochenende gehen wir wieder miteinander weg." Melody bekam rote Backen, schnellte hoch und sagte:,,Ich hab mein Buch im Spind vergessen für den nächsten Kurs. Muss los, bis dann!" Ich wollte noch: Warte! Wir haben doch noch fünf Minuten! rufen aber sie hastete in einem Tempo davon und drehte sich nicht mehr um. ,,Was war das denn jetzt für ein Auftritt?" Blue und ich schauten uns entgeistert an. ,,Vielleicht läufts mit ihrem Typen wieder nicht gut...keine Ahnung, aber wenn es nicht um sie geht, wird sie schnell launisch." Blue zuckte mit den Achseln. Ich nickte zustimmend, war mir jedoch nicht sicher, ob es deswegen war.
Die letzten beiden Stunden vergingen noch langsamer als die Vorherigen und ich befürchtete schon, nie nach Hause zu kommen. Mittlerweile war ich schon voll erledigt und es machte es nicht besser, dass Mel kein Wort mehr redete, nicht mal während dem Stundenwechsel. Ich wollte sie fragen, was denn los sei, aber ihre Miene wechselte von zornig auf traurig, soweit ich das deuten konnte. Aus diesem Grunde beschloss ich sie im Auto nach ihrem schnellen Verschwinden in der Kantine zu fragen. Als es endlich klingelte, sagte Mel kurz sie müsse noch auf die Toilette und ich sollte draußen am Eingang warten. Als sie nach einer gefühlten Ewigkeit kam, war ihre Maskara leicht verwischt und ihre Tränensäcke hervorgehoben. Wir schlenderten zum Auto und ich zerbrach mir den Kopf, wie ich sie auf den Vorfall in der Kantine ansprechen sollte. Sie sagte immer noch keinen Ton, pfefferte ihren Rucksack mit einem Schwung auf die Rückbank, stieg ein und würdigte mich keines Blickes. Nachdem sie losfuhr fragte ich vosichtig:,,Mel, was ist denn los? Haben Blue oder ich was Falsches gesagt? Wieso bist du auf einmal so wütend?" Ich spähte zu ihr hinüber und sah, dass sie glasige Augen hatte. ,,Ich bin nur gestresst, mir fiel ein, dass ich ein Referat vergessen habe und heute der Abgabetermin war." Ich wusste, wir hatten kein Referat in irgendeinem Fach, denn wir haben dieselben Fächer belegt. Anscheinend wollte sie mir den wahren Grund nicht verraten und ich ließ es auf ihrer Aussage beruhen. Nach der letzten Ampel, die anscheinend gar nicht mehr auf grün umschwingen wollte, setzte sie mich mit einem:,,Bye, bis morgen Liv!" Zuhause ab und fuhr davon.
Ich ging durch den stark bewachsenen Garten auf dem Steinweg in Richtung der enorm großen, hölzernen Haustür, die schwer in den eisernen Angeln lag und drehte meinen kleinen goldenen Schlüssel im Schloss um. Mein Kater Caesar wartete schon auf seine alltäglichen Streicheleinheiten. Sein Platz ist immer rechts neben dem Eingang, auf einem riesigen Kissen mit den Persermustern. Er hatte nur noch ein Auge und war ein ziemlich griesgrämiger Geselle, aber seit ich bei meiner Tante in dem großen Haus wohnte, war er mir ein guter Begleiter geworden. Auf dem Dachboden, indem mein Zimmer eingerichtet ist, hat er seine eigene Ecke auf dem alten mintfarbenen Retro-Loungesessel, aus den 50er Jahren, den ich ebenfalls vom Keller meiner Tante stibitzt hatte. Die extravaganten, weißen Keramikfliesen mit den blauen Verschnörkelungern, die wie Blüten aussehen, führten den kompletten Gang entlang in die Wohnräume. Dieser ist so breit wie ein einzelner Raum, mit Holz veredelt und für meinen Geschmack durch und durch urig. Jedoch finde ich diesen Altbaustil trotzdem nicht veraltet, sondern gemütlich. Ich ging also in das umfangreiche Wohnzimmer mit dem angebauten Wintergarten. Durch die gigantische Glasfront fiel enorm viel Licht und wärmte somit den Raum von Außen, der in pastelltönen gehalten war. Unter anderem die Sitzgruppe, die aus einer langen, bepolsterten Sofagarnitur und zwei stoffüberzogenen Sesseln bestand. Ich ließ mich auf einen der Sessel nieder und genoss die helle Atmosphäre und gleichzeitig den tollen Ausblick, in den von Pflanzen bewucherten Garten. Auf dem kleinen, runden Holztisch, der schon fast antik war, standen jeden Tag Blumen in einer anderen Farbe. An diesem Tag waren es rote Mohnblumen, die Lieblingsblumen von Amelia. Die zwei Beistelltischchen aus Eibe, die ebenfalls in Kirschrot lackiert waren standen links und rechts neben dem Sofa. Meine Tante hatte die Möbel wohl alle aus Spanien, wie sie mir damals erzählte. Sie hielt viel von dem Interieur in ihrem Haus, auch wenn andere Leute den Geschmack als zu auffallend bezeichnen würden. ,,Hallo Liebes, wie war die Schule?" Ich hörte Amelia garnicht kommen, als sie plötzlich hinter mir stand. Ihr Auftreten war so unerwatet, dass mich ihre Frage zusamenzucken ließ. Sie trug einen Poncho aus brauner Wolle und riesige spiralförmige Ohrringe. ,,Hi...ach, nichts Besonderes. In Geschichte haben wir ein neues Thema, das ich ehrlich gesagt sogar für eine Kampfsportart zu blutig finde ." Meine Tante lächelte mich mit schräggelegtem Kopf liebevoll an:,,Meiner Meinung nach ist die Kombination zwischen Kampf und Sportart nicht in einem Wort möglich." Ich lächelte meine sanfte, gefühlvolle Tante an und ging nicht länger auf das Thema ein:,,Die Blumen sehen heute wunderschön aus." Amelia sah begeistert zu diesen hinüber:,,Ohja, die sind aus dem Garten. Ich muss jetzt sowieso wieder los." Sie hob einen Finger:,,Die Arbeit wartet nicht und das Leben auch nicht." Und damit ging sie durch den Wintergarten hinaus. Ich musste über ihren letzten Satz nachdenken und glitt langsam ich in den Schlaf.
Ich lag auf einer Wiese mit dichtem, hohen Gras, die mit Blumen übersät war. Blumen, die auch bei meiner Tante im Garten wuchsen, jedoch war ich nicht bei uns Zuhause im Garten. Ich setzte mich auf und sah mich um. Weit und breit war niemand zu sehen, aber in keiner all zu großen Entfernung vor mir, lag ein Waldstück. Irgendetwas ließ mich dazu verleiten, dieses zu betreten. Ich rannte schon fast darauf zu und auf einmal wurden die Bäume auffällig größer und mächtiger. Die breiten Stämme zogen sich bis zu den spitzen kräftig nach oben. Alle Bäume hatten etwas düsteres an sich, denn diese waren kahl, ohne Blätter oder Blüten. Ich betrat den Wald dennoch und schlängelte mich zwischen den Bäumen durch, vorbei an den dornenbedeckten Büschen. Im Inneren des Waldes war es hell. Sogar bemerkenswert hell, aber ich sah die Quelle des Lichts nicht. Da war keine Sonne und auch kein Himmel, denn die Bäume rakten so hoch hinauf dass man nur ihre dichten Kronen zu sehen bekam. Im Wald war es auch nicht mehr kahl. Die Baumstämme waren alle mit Moos bewachsen, ein Bach mit Steinen und kleinen bunten Fischen, ringelte sich bis zu einem kleinen See, der glitzernd vor mir lag. Die Äste einer Weide hingen anmutig an dem graziösen Baum herab und stahlen mir den vollen Blick auf das Wasser. Ich ging ein paar Schritte weiter. Hindurch der Zweige, voller Verlangen die Bandbreite des Sees zu erhaschen. Das tiefe blau, fast türkis, war so atemberaubend, dass ich blinzeln musste. Der See war bedeckt mit Seerosen in prächtigem Rot, Rosa und Weiß. Am Rand des Ufers erstreckte sich ein Schilf. Ich wollte unbedingt näher heran, fasziniert von dieser Herrlichkeit und Anziehungskraft, die dieser Ort ausstrahlte. Erst jetzt erblickte ich den gewaltigen Wasserfall, der sich in dem Gewässer erstreckte. Es war fast so, als würde kein Wasser von diesem herabfallen, vielmehr winzig kleine Diamanten. Ein Lichtstrahl, dessen Ursprung ich immer noch nicht ausmachen konnte, zog sich leuchtend hell quer über das Wasser. Der Schein fiel auf eine hölzerne Brücke, vor dem Wasserfall, die ich zuvor nicht wahrgenommen hatte. Wilder Wein verzierte der Längs nach die Felsen, bis an die Kante des Wasserfalls. Auf einmal sah ich eine Gestalt, es war ein Mensch, der ganz oben auf dem Gefälle stand.Der Statur zufolge war es ein Mann. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, denn er war zu weit weg. Er stand gefährlich nah an dem Abgrund. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich, wie er sich den Wasserfall hinunterstürzte. Ich musste helfen, aber was sollte ich tun. Ich beobachtete was da gerade vor meinen Augen geschah. Plötzlich kam mir, dass es gewollt war, denn der Körper war perfekt gestreckt mit den Kopf und den Armen voran nach unten. Die Hände spitz gefaltet. Es war ein vollendeter Hechtsprung. Ich sah auf den weiten See hinaus. Ruckartig schoss sein Kopf aus der Wasseroberfläche. Er schwam gezielt auf das Ufer zu, an dem ich mich befand. Er kraulte mit langen Zügen und einer Leichtigkeit durchs Wasser. Seine Bewegungen waren gleichmäßig und er glitt mühelos wie ein Fisch durch den See. Sobald seine Füße den Boden des Wassers erreichten und er darin aufrecht stehen konnte, wattete er langsam und triefend nass ans Ufer. Seine Muskeln zeichneten sich auf seinem Bauch ab. Er hatte einen definierten Körperbau. Auf seiner rechten Brust zog sich ein Tattoo entlang, bis zu seinem Oberarm und hörte bei der Armbiege auf. Es waren komplexe Motive. Kreisförmige, zackige Formen, wie von uralten Kulturen. Bis jetzt war ich so abgelenkt von seinem Körper, dass ich nun das Gesicht betrachtete. Doch stattdessen, war da nur ein schwarzer Fleck, ein endlos scheinendes Loch. Er streckte seine Hand nach mir aus. Ich wich zurück, wollte davonlaufen, doch ich konnte mich nicht von der Stelle rühren.
Ich wachte schweißgebadet auf und sah mich um. Ich war immer noch im Wohnzimmer, eingekuschelt auf dem Sessel, nur dass es jetzt stockdunkel war, bis auf ein fahles Licht das vom Mondschein herrührte. Eine Wolldecke bedeckte meine Füße und Beine. Amelia musste diese auf mich ausgebreitet haben. Sie ließ mich öfters einfach auf dem Sofa schlafen, denn sie wusste, dass ich zurzeit schlecht schlief. Ich hab ihr von den Träumen nichts erzählt, weil ich nicht wollte, dass sie Vermutungen aufstellt, die höchstwahrscheinlich ziemlich verstörend wären und mich nur noch mehr in Panik versetzen würden. Plötzlich fiel mir der Traum wieder ein, wegen dem ich aus dem Schlaf schreckte. Wieso erkenne ich das Gesicht des Mannes nie. Es macht mir Angst, diese undurchdringliche Leere zu sehen. Ich zitterte, denn es Drang kein Licht mehr durch die Fenster. Es muss schon sehr spät sein. Ein Schauder überkam mich und ich merkte, dass sich meine Kehle trocken anfühlte. Ich beschloss in der Küche nach etwas Trinkbarem zu suchen, um das unangenehme Gefühl loszuwerden. Vielleicht hatten wir ja noch Milch da. Ich kam vom Sessel hoch und tappte barfuß auf den kalten Fliesen entlang, durch den Gang, in die Küche. Diese war im Landhausstil eingerichtet, mit weißen Schränken, an denen jeweils ein geschmückter Knauf aus Zinn war. Ich machte die Kühlschranktür auf und ein kalter Luftstoß kam mir entgegen, der mich frösteln ließ. Wir hatten zwar keine Milch mehr, doch dafür war noch ein Orangensaft greifbar. Ich holte mir ein Glas aus den oberen Schränken und goß mir ein wenig davon ein. Ich nahm im Stehen schon einen Schluck, um die Trockenheit in meiner Kehle zu Stillen. Ich wollte mich gerade auf den Weg in mein Zimmer machen, als ich ein Geräusch hörte. Kurz darauf kam meine Tante mit ihren Wollpuschen an den Füßen um die Ecke gebogen und erschrack ebenfalls als sie mich wahrnahm. Sie gab einen kurzen, gellenden Laut von sich. ,,Liv, um Gottes Willen, du hast mich erschreckt." ,,Tut mir leid, Tante Amelia. Ich bin wohl im Wohnzimmer eingeschlafen und habe Durst bekommen. Willst du einen Schluck?" Sie gab ein:,,Nein, danke" zurück. ,,Du bist ziemlich blass. Fühlst du dich nicht gut?" erkundigte sie sich. Ich wollte ihr immer noch nicht von meinen Träumen erzählen und es vorerst für mich behalten, denn es kam mir noch immer schräg vor. Auch wenn das, der wohl passenste Charakterzug meiner Tante ist und sie mich niemals als Freak sehen würden, wollte ich dennoch nicht, dass sie irgendetwas in meinen Traum hineininterpretierte. Möglicherweise würde mich das noch mehr verrückt machen. ,,Blasser als sonst meinst du. Ich bin einfach nur k.o. und gehe jetzt auch wieder ins Bett. Ach und danke für die Decke." Sie schaute mich mit besorgtem Ausdruck auf ihrem Gesicht an:,,Mach das Liebes! Welche Decke?" Ich blickte sie verwundert an:,, Na du hast mich doch zugedeckt?" ,,Nein, ich wollte dich nicht wecken und bin gleich nach der Gartenarbeit ins Badezimmer und dann schlafen gegangen." Mir entkam nur ein leises:,,Oh!" ,,Naja vielleicht hast du dir die Decke im Halbschlaf genommen und dich damit selbst zugedeckt und hast dann gleich weitergeschlafen." Ich dachte kurz darüber nach und erwiderte einfach nur:,,Gut möglich. Also dann, gute Nacht." Ich gab ihr noch einen raschen Kuss auf die Backe und trotete schlaftrunken in den Dachboden. Ich legte mich in mein Bett und hoffte noch einmal einzuschlafen, um meinen Traum erneut zu durchleben und die Person endlich zu identifizieren.
Ich erwachte durch das Schnurren von Caesar. Er tippte von einer Pfote auf die andere und trat mich leicht mit seinen Schritten in die Magengegend. Der morgendliche Sonnenschein schien mir durch die Erkerfenster ins Gesicht. Es blendete mich und ich musste ein paarmal blinzeln, bis ich tatsächlich wach war. Ich kraulte meinen mürrischen Kater am Rücken, der mich in der Zwischenzeit dauerhaft angeschnurrt hat, um mich auf sich aufmerksam zu machen. Ich griff nach meinem Handy neben dem Bett. Es blinkte eine Nachricht auf. Sie war von Melody: Hi Liv, ich komme heute nicht zur Schule, ich fühl mich nicht gut. Ich denke ich werde krank. Ich geb dir Bescheid,wenn ich wieder fit bin XO .Ich simste ihr eine gute Besserung und ebenfalls einen Kusssmiley und machte mich für die Schule fertig. Meinem Kleidungsstil blieb ich folglich treu mit einer schwarzen Jeans, einem grauen Longsleeve und meinen roten Allstars, die ich von meinen Eltern zu meinen 15 Geburtstag bekommen habe. Das war der letzte Geburtstag, den ich mit ihnen feierte, bevor der schreckliche Unfall geschah. Das ist nun zwei Jahre her und es vergeht trotzdem kein Tag, an dem ich nicht an sie denke. Bevor ich mich in die Schule aufmachte, nahm ich mein Zimmer nochmal unter die Lupe. Es war ziemlich ordentlich, eigentlich wie immer. Auch ich hatte, wie meine Tante, einen ungewöhnlichen Geschmack, was Möbel betrifft. Mein Bett war aus Paletten gemacht. Mein Dad hat es damals für mich gebaut. Auch mein Schreibtisch war makellos und tip top aufgräumt. Im Großen und Ganzen war der Raum überdurchschnittlich sauber für mein Alter. Ich denke an Mel`s Zimmer, das Chaos pur, mit den vielen Klamotten, die alle am Boden verstreut liegen. Ihren Schreibtisch hat sie kurzer Hand zu einem Schminktisch umfunktioniert, auf dem sich unzählige Schminkartikel befinden. Ihre konservativen Eltern passt das natürlich überhaupt nicht in den Kragen, weshalb sie auch die meiste Zeit unterwegs oder bei mir ist. Vorallem wenn sie sich wieder mit ihnen wegen einer Kleinigkeit gestritten hatte und deshalb Hals über Kopf ihre Sachen packte und abhaut. Aber nach ein paar Tagen, wenn nicht sogar am Selben, beruhigt sie sich meist wieder und ließ sich doch bei ihren Eltern blicken. Ich dachte an ihre SMS heute Morgen, dass sie nicht in die Schule kommt, desalb musste ich mich selbst darum kümmern irgendwie hinzukommen. Heute war es nicht mehr so windig wie gestern, also ließ ich meine Jacke Zuhause und schnappte mir das Fahrrad von Amelia. Es stand in einem Schuppen hinter dem Haus und war deutlich verstaubt. Sie hatte wie erwartet noch ein älteres Model mit einem durchgebogenen Chromlenker. Das Fahrrad selbst war in der Farbe hellblau metallic lackiert, mit einem weißen Sattel. In dem Körbchen auf dem Gepackträger stopfte ich meine Tasche hinein und fuhr los. Ich hatte keine Zeit mehr es zu putzen. Die Gangschaltung ging nicht mehr richtig und blieb immer im fünften Gang hängen, sodass ich mit dem Treten zu kämpfen hatte. Nachdem ich ankam standen mir Schweißperlen auf der Stirn, die ich mit dem Handrücken abwischte. Ich sputete die Treppen hinauf in den zweiten Stock zum Unterrichtsraum für Philosophie. Frau Jones saß bereits an ihrem Pult und korrigierte anscheinend Klassenarbeiten von einem anderen Jahrgang. Ich hatte noch drei Minuten übrig bis zum Gong. Sofort nach dem dieser ertönte lag sie los:,,Nicht nur in der Literatur nehmen Träume eine besondere Stellung ein. Auch in der Philosophie ist der Traum ein großes Thema, mit dem sich bereits die bedeutendsten Philosophen auseinander gesetzt haben. Meine Damen und Herren in der letzten Reihe." ermahnte sie zwei Mädchen und einen Jungen, die sich angeregt unterhielten. Die drei hörten abrupt auf zu nuscheln. ,,Wären sie nun so weit... Schön. Also wir beschäftigen uns heute mit Ihren Träumen. Dazu schreiben Sie den letzten Traum auf, an den Sie sich erinnern können und wir beginnen gemeinsam, die Traumdeutung darin zu erkennen." Ich war mit Angst erfüllt. Niemals würde ich diesen Traum von gestern aufschreiben und meiner Lehrerin, geschweige denn, meinen Mitschülern mitteilen.
Auch wenn mich schon alle für den größten Freak der Schule hielten, würde ich dem nicht noch mehr Stoff geben und diesen Traum von letzter Nacht laut vor allen präsentieren. Was würden sie denn schon denken, wenn ich von einem unbekannten, jungen Mann, der mir immer wieder in meinen Träumen erschien, erzählen würde. Dass ich verzweifelt bin und von Jungen träume, die ich niemals haben kann. Sie denken ja sowieso schon, dass ich für immer alleine bleiben werde und egal wohin ich gehe, der Freak bleiben würde. Mich interessieren zugegeben auch keine Typen auf unserer Schule und auch sonst keine. Ich meine, woher sollte ich schon welche kennen, geschweige denn kennenlernen. Ich verbrachte am Wochenende die meiste Zeit mit meinen Freunden Mel und Blue. Wenn ich diese nicht sah, saß ich bei meiner Tante im Garten oder in meinem Zimmer und laß ein Buch, hörte Musik, kraulte meinen alten Kater oder spielte ein paar Lieder auf der Gitarre. Deshalb entschied ich kurzer Hand mir etwas auszudenken. Ich habe wirklich was gegen Lügen, aber in diesem Fall war es eher eine Notlüge, also war es schon in Ordnung so. Wegen meinen Grübeleien, kam ich nicht dazu irgendetwas auf meinen Block zu schreiben. ,,Miss Hale, würden Sie uns vielleicht als nächstes Ihre Ergebnisse vorstellen bitte?" Frau Jones unterbrach mich leider zu früh, damit ich nicht mehr genug Zeit hatte mir was sinnvolles zu überlegen, das ich der Klasse berichten könnte. Ich starrte auf mein leeres Blatt Papier vor mir. Es stand nichts darauf, das mich aus dieser Situation befreien würde. Ich versuchte so spontan wie möglich zu reagieren und es mir nicht anmerken zu lassen, dass die Gedanken in meinem Kopf gerade so ratterten, was ich denn nun sagen könnte. Ich warf einen Seitenblick aus dem Fenster, als ich merkte, dass ich schon rot anlief und beobachtete einen älteren Mann, der mit seiner Enkelin spazieren ging. Sie hatte einen kleinen Welpen an der Leine, der ihr nicht einmal bis zu den Knien reichte. Ich wollte eine souveräne Geschichte daraus machen, stotterte jedoch vor Aufregung dahin:,,Ich ähm... habe von einem Welpen geträumt... also eigentlich von vielen kleinen Welpen. Sie waren in einem Korb mit einem lila Tuch und... naja ich spielte mit ihnen und streichelte sie. Einer von ihnen, ich glaube der kleinste, leckte mir über das Gesicht und ich schloss ihn so ins Herz, dass ich ihn mitnehmen wollte." Vor mir kicherten zwei Mädchen vor sich hin, ein Junge drei Plätze neben mir verdrehte bloß die Augen und kritzelte wieder auf seinem Block weiter. Eine Schülerin prustete sogar los und demütigte mich nicht nur mit ihrem abwertenden Blick, sondern tat so als würde sie nur ihrer Banknachbarin erzählen, was denn so lustig sei, war sich jedoch bewusst, dass die ganze Klasse ihren Worten lauschte :,,Aaah wie rührend! Ich glaube es waren keine Welpen, sondern irgendwelche Typen mit denen sie lieber gekuschelt hätte. Sie wird sowieso nie einen finden, der sich mit so einem Freak abgeben würde." Ihre Worte trafen mich mitten ins Mark. Ich war gekränkt über ihre harte Aussage, aber es war noch schlimmer, dass sie es vor den ganzen anderen in der Klasse sagte. Frau Jones wollte aus Mitleid eingreifen und ermahnte die Klasse mit folgenden Worten:,,Ruhe! Es wird keiner wegen seinem Traum ausgelacht. Erst recht nicht in meinem Unterricht. Die restlichen Ergebnisse sammle ich bis Montag ein. Wir werden jetzt die Kraft der Symbole, die in Träumen vorkommen, deuten und erläutern." Und wieder, wie so oft, wünschte ich mir ein tiefes Loch im Boden, indem ich versinken könnte. Wenn diese Stunde endlich um ist, wede ich Mel schreiben, wie es ihr geht. Ich hoffte nur das Beste, denn ich brauche sie morgen hier. Ich schlug mein Buch auf Seite hundertsechsunddreißig auf und laß die Überschrift Traumdeutung: Träume deuten und verstehen. Frau Jones setzte den Unterricht fort und erklärte:,,Seit Anbeginn der Zeit glauben Menschen auf der ganzen Welt daran, dass ihre Träume Botschaften des Unbewussten sind. Über die Jahrhunderte bewiesen Traumforscher mittels Studien, unter anderem Sigmund Freud und viele weitere, die Bedeutung von diversen Traumbildern, indem sie diese genau analysierten. Sie entwickelten ein Lexikon über die Traumdeutung und katalogisierten dieses in Form von Traumsymbolen, die geordnet, aufbereitet und übersichtlich in dem Nachschlagewerk für die Traumanalyse zusammengefasst werden. Träume sind weitaus mehr als nur willkürliche, unterhaltsame oder beängstigende Erlebnisse im Schlaf. Sie können komplexe Geschichten und sogar Gefühle im Kopf Realität werden lassen." Der letzte Satz ließ mich aufhorchen. Konnte es sein, dass ich deshalb immer ganz aufgebracht war, nachdem ich wieder einen von diesen Träumen hatte. Wenn ich daran denke, wie der Mann ohne Gesicht direkt vor mir stand, kribbelte es von meinem Haaransatz bis zu den Füßen. Ich musste unbedingt mehr darüber erfahren, deshalb nahm ich mir vor, dass ich gleich nach der Stunde in unsere Schuleigene Bibliothek im zweiten Stock schlenderte. Auch wenn die California High nur zu den kleineren Schulen in den USA zählt, gibt es dort trotzdem ein relativ großes Sortiment an Büchern. Nach dem Gong ging ich geradewegs wie ferngesteuert zu meinem Zielort. Was Frau Jones vorher über die Gefühle von Träumen erwähnte, das diese real werden konnten, ließ mir keine Ruhe. Weil ich nicht aufpasste und im Gedanken versunken war, die mich so beschäftigten, rempelte ich mit voller Wucht eine Schülerin. Mit weit aufgerissenen Augen blickte ich in ihr wutverzerrtes Gesicht. Ich lief tiefrot an und dachte mir nur: Nein bitte nicht sie, oh nein. Denn es war nicht irgendeine Schülerin, sondern ausgerechnet Mandy. Das Mädchen, das mich noch in der letzten Unterrichtsstunde zum Gespött der Klasse machte, als sie wegen meinem erfundenen Traum mit den Welpen, so über mich herzog. Sie setzte zum Schlag an, schubste mich mit voller Kraft, dass ich den Halt verlor und zu Boden ging. Mein Rucksack und die Bücher, die ich zwischen meinen Armen eingezwängt hatte, stürtzen ebenfalls mit mir. Zu meinem Bedauern, hatte ich den den Rucksack nicht richtig geschlossen und aus dem Spalt flogen mir sämliche Schreibutensilien entgegen. Alles verteilte sich quer auf dem Schulflur. Und als ob das nicht schon reichen würde, grinste mich Mandy von oben herab an, zog ihr Handy aus der Tasche und machte mit ein paar Klicks Bilder von mir, wie ich auf den Boden kauerte. Umringt von einer Schar Schülern, mit den Meisten teilte ich eine Klasse, wurde ich lächerlich gemacht. Tränen stiegen mir in die Augen, ich raffte mich auf, sammelte mein Zeug so schnell wie möglich ein und rannte Richtung Toilette.
Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt hatte, kam ich aus der Toilettenkabine und ging ans Waschbecken. Ich drehte den silbernen Hahn auf und ließ mir das kalte Wasser über die Finger gleiten. Ich formte mit meinen Händen eine Schale, sodass die Flüssigkeit darin blieb und spritzte es mir ins Gesicht. Es war angenehm kühl auf meiner heißen Haut. Die Augen brannten mir noch immer von den Tränen, die ich vergossen hatte. Das war mit Abstand einer der schrecklichsten Tage an der neuen Schule, dachte ich mir. Ich sah auf, direkt in den Spiegel und geschwollene Augen blickten mir entgegen. Ein paar Strähnen von meinem Haar, die mein Gesicht umrandeten, waren jetzt nicht mehr rotbraun, sondern dunkel vom Wasser. Ich war eigentlich nie geschminkt, aber heute hatte ich ein bisschen Eyeliner aufgetragen, der nur noch verschmiert meine Augen zur Geltung brachte. Ich versuchte so gut es ging, den Rest des Dramas mit meinen Ärmeln wegzuwischen. Doch so sehr ich auch rubbelte, es ließ sich nicht vollständig beseitigen. Irgendwann gab ich es auf und wandelte Richtung Kantine, um noch einen Happen zu essen. Ich hoffte Mandy oder irgendeinem anderen meiner Peiniger, nicht über den Weg zu laufen, während ich kraftlos in die restliche Pause ging. An den Doppeltüren um die Ecke gebogen, blieb ich kurz stehen, um mich zu vergewissern, dass mich wirklich niemand anstarrte, wegen des Vofalls auf dem Flur. Zu meiner Erleichterung, stellte ich fest, dass ich, wie sonst auch, wieder unsichtbar war für die anderen. An einem der runden Tische, vor den langen Panoramafenstern, die sich über eine komplette Seitenfront der Kantine erstreckten, saß Blue. Alle anderen hielten sich bei dem herrlichen Wetter draußen auf dem Gelände auf. Ich ging näher auf ihn zu und bemerkte, dass er etwas in der Hand hielt und daran herumfuchtelte und zerrte. Als ich direkt vor ihm stand, erkannte ich, dass es einer seiner Schuhe war. Er beschäftigte sich so damit, dass er mich nicht kommen hörte und zuckte leicht als ich verdutzt:,,Hi, was machst du da?" fragte. Er sah von seinem Schuh hoch in mein Gesicht und schenkte mir ein Lächeln, das sofort wieder erstarb, als er meine geröteten Wangen und immer noch verquollenen Augen wahrnahm. ,,Scheiße, was ist denn mit dir passiert Liv?" Ich zwang mir ein Lächeln auf und versuchte ihn zu beschwichtigten:,,Nichts, ich hab nur vorhin den ganzen Unterricht lang in meinen Augen gerieben, weil sie mich so jucken. Vielleicht geht bei mir dieses Jahr der Heuschnupfen ein bisschen früher los. Aber alles in Ordnung." Ich weiß nicht recht, ob er mir das abnahm. Wahrscheinlich bemerkte er, dass ich keine Lust hatte, es ihm zu erzählen. Unter anderem müsste ich das Szenario noch einmal erleben, wenn ich ihm davon berichten würde. Vorallem war Blue zwar immer sehr locker, man würde fast schon meinen gefühllos, aber ich kenne ihn jetzt schon gut genug auf die kurze Zeit, um sagen zu können, dass er Mandy damit konfrontieren würde. Nicht nur meinetwegen, sondern weil er sie mindestens genauso wenig leiden kann, wie viele der Schüler hier. Er ist, was das betrifft, auch ziemlich offen mit seiner Meinung. Ich würde mir manchmal wünschen ich wäre auch nur ansatzweise so, dass ich meine Gedanken oft aussprechen könnte. Nur dass ich mich niemals trauen würde, weil es dann entweder peinlich für mich ausgeht, wenn ich mich lächerlich mache oder ich sowieso kein Wort rausbekommen würde und zu stottern beginne. Ich gehe lieber jedem Ärger aus dem Weg. ,,Also nochmal zu meiner Frage, was genau machst du da?" schnitt ich ein anderes Thema an. Er sah nach unten und seine blaue Haarsträhne hing ihm leicht ins Gesicht, als er sich wieder seinem Schuh zuwendete:,, Ähm, ich ziehe schwarze Schnürsenkel rein, die Braunen sehen so normal und langweilig aus. Hab die Stiefel gestern im Hillward gekauft, die hatten aber keine Schwarzen mehr da. Unglaublich, eines der größten Geschäfte in der Stadt, aber keine schwarzen Schnürsenkel. Deshalb hab ich mir extra noch schwarze Vans aus dem Hot topic Laden gekauft, damit ich die Schnürsenkel von denen, in meine neuen Stiefel einfädeln kann." Ich musste Lachen. Ich konnte mir den Wert der Stiefel vorstellen, wenn er sie aus dem Hillward gekauft hatte, das deutlich das teuerste Einkaufszentrum in der Stadt war. Für so ziemlich die Meisten wäre ein Paar von diesen Schuhen unerschwinglich vom Preis, jedoch besaß Roar`s Vater eine Firma, deshalb spielte Geld auch keine Rolle. Es konnte nur jemanden wie Roar einfallen, extra "Billigschuhe" wie Vans (wie er sie immer bezeichnete) zu kaufen, nur um schwarze Schnürsenkel zu haben, die er mit den Braunen aus den extra designten Markenstiefel austauscht. Aber so ist er nun mal, wenn er sich was in den Kopf gesetzt hatte, musste es auch so passieren. Sein Kleidungsstil war zwar extravagant und abgefuckt, jedoch in Designerklamotten und Markenschuhen, die die Frauen reihenweise schwärmen ließen. Es gab fast kein Mädchen an der Schule oder auf der Straße, die sich nicht nach Roar umdrehte und zu ihren Freundinnen tuschelte, die ihn selbst schon mit den Blicken auszogen. Als er fertig war mit dem einfädeln, nahm er einen großen Schluck aus seinem Espresso und fragte plötzlich:,,Hey, wo ist Mel eigentlich? Ich hab sie heute noch garnicht gesehen." Mir fiel ein, dass ich ihr nach der Stunde simsen wollte, ob es ihr schon besser ging und sie morgen wieder zur Schule kommen würde, vergaß es jedoch nach dem Vorfall mit Mandy. Ich nahm mir vor, es deswegen gleich zu erledigen und schickte ihr eine SMS mit: Hi Mel, geht`s dir schon besser? Ich brauche dich morgen zwischen den ganzen Verrückten. Du fehlst mir. XO Während ich schrieb, erkärte ich Blue:,,Mel ist krank. Sie hat mir heute morgen gesimst, dass sie sich nicht gut fühlt." Ich konnte seinen Blick nicht genau deuten, aber er wirkte gekränkt, als er sagte:,,Sie hat mir seit vorgestern nicht mehr geantwortet und dir schreibt sie heute morgen. Normalerweise gibt sie mir auch Bescheid, wenn sie krank ist." Ab jetzt war mir klar, wieso er beleidigt war. Ich wollte ihn beschwichtigen:,,Mach dir nichts draus, vielleicht hat sie einfach Stress mit einem Typen. Mel ist doch öfters launisch." Blue brummte nur etwas unverständliches vor sich hin. Mein Handy leuchtete auf und machte einen Piepston. Auf dem Display stand Nachricht von Mel. Er warf einen Blick darauf und sagte im gereizten Tonfall:,,Ach und ihr schreibt jetzt gerade auch? Wieso ist sie nicht fähig mir zu zurückschreiben?" Noch bevor ich ihn beruhigen konnte, griff er nach seinem Rucksack, sprang auf, nuschelte noch etwas wie "Bis dann" und war schon und die Ecke der Kantinentür gebogen. Ich öffnete die SMS von ihr, in der stand: Mir geht es schon ein bisschen besser. Ich denke morgen bin ich wieder fit. Dann machen wir sie alle. XO Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Sie war einfach meine chaotische, liebvolle beste Freundin, die man sich nur wünschen konnte. Ich warf einen Blick auf die Uhr und bemerkte, dass meine Mittagspause gleich zu Ende war. Mit der Bibliothek, werde ich wohl bis nach Schulende warten müssen. Davor wollte ich Mel wenigstens noch zurücksimsen, also glitten meine Finger schnell über die Tasten: Ich freu mich. Nochmal gute Besserung. Was ist denn mit Roar und dir los? Er ist ziemlich sauer auf dich, weil du ihm nicht antwortest. Kaum drückte ich auf die Senden Taste, hatte ich auch schon eine neue Nachricht von ihr. Ich öffnete sie noch schnell. Antworten könnte ich später auch noch, aber ich musste schön langsam los zum Unterrichtsraum. Die SMS war ohne Smiley: Ich bin müde und will nicht den ganzen Tag am Handy hängen. Wollte er nicht am Wochenende auf diese Party mit Isabelle. Er sollte sich eher darauf konzentrieren. Ich verstand ihre genervte Reaktion zwar nicht, machte mir aber nicht länger Gedanken dazu, denn ich musste mich beeilen, um es noch rechtzeitig zu schaffen, bevor der Gong ertönt. Mel war öfters launisch, das konnte nach einer Stunde schon wieder ganz anders aussehen.
Nachdem die Stunde mit Mrs Davies vorbei war, hatten wir noch eine Doppelstunde in Geographie mit Mr Greeny. Ich konnte es kaum erwarten, endlich in die Bibliothek zu gelangen. Als der Gong leutete, sputete ich mich, meine Sachen in den Rucksack zu verstauen. Ich eilte mit so schnellen Schritten in den zweiten Stock, dass ich fast eine Stufe übersehen hätte. Unsere Schulbibliothek war noch der urigste Raum im ganzen Gebäude und nahm fast die Hälfte des zweiten Stockwerks in Anspruch. Diese war auch im Umkreis die Einzige, mit einer der größten Sammlungen an Meisterwerken, die dort aufbewahrt waren. Die Flügeltüren aus Eschenholz waren so schwer, dass sie mir Mühe beim Öffnen bereiteten. Ich betrat den Raum und war wie immer, wenn ich diesen Ort aufsuchte, überwältigt von der Schönheit des Altertums. Ich gönnte mir einen kurzen Moment der Stille, die hier herrschte und die ganze Räumlichkeit mit Ruhe erfüllte. Ich betrachtete die hohen Decken, die oval geschwungenen Bögen aus dunklem Holz, die sich Abschnitt um Abschnitt aneinanderreihten. In den hölzernen Regalen lagen extrem dicke Wälzer, diese hatten bestimmt schon einige Jahre hinter sich, wenn man die verstaubten Buchbände ansah. Ich durchforstete die angeschriebenen Rubriken über den Regalen. Unter den Kategorien Traumdeutungen, Forschung und Philosophie wurde ich zum Teil fündig. Vollgeladen mit Büchern ging ich in den Lese- und Arbeitsbereich, der mit alten Stühlen und langen, eckigen Tischen zugestellt war. Außer mir war hier kein Mensch zu sehen, deshalb setzte ich mich an einen der leeren Tische, schlug die Beine übereinander und begann zu lesen. Ich überflog im groben nur Stichwörter, bei denen ich dachte, dass sie mir vielleicht weiterhelfen konnten. Ab und zu kritzelte ich Notizen auf meinen karierten Block. In der Zwischenzeit mussten schon einige Stunden vergangen sein, denn durch die milchigen Glasfenster fiel nur noch schwach Licht herein. Ich wollte die Suche schon beinahe abbrechen, denn mein Magen rumorrte vor Hunger und ich bin in der ganzen Zeit bis jetzt noch nicht fündig geworden. Ich stützte mein Gesicht auf die Hände und seufzte. Ich legte alle Bücher auf einen Stapler. Als ich mit dem Durchstöbern des letzten Exemplars fertig war, die ich ausgesucht hatte, verstaute ich diese wieder auf ihren zugehörigen Platz im Regal. Plötzlich fiel mir eine Überschrift, direkt vor mir, ins Auge. Der Fremde, dem ich jeden Tag in meinem Traum begegnete. Da war es! Ich holte das Buch aus dem Fach. Es hatte einen mitternachtsblauen Umschlag und war nur um die hundert Seiten dick. Ich eilte an meinen vorherigen Platz zurück und schlug das Werk vor mir auf. Ich überflog die ersten Seiten und kam endlich zu der Information, nach der ich die ganze Zeit gesucht hatte. Immer wieder laß ich Wort für Wort die Zeilen vor mir.
Menschen gehören zu den Traumsymbolen, die wohl am häufigsten auftreten. Ganz selten sind wir in unseren Träumen ganz alleine, doch nicht immer wissen wir, wer diese Menschen eigentlich sind. Fremde Menschen schleichen sich gelegentlich in unsere Träume. Meistens sind solche Träume sehr verwirrend, weil wir uns an die Gestalten, die im Traum auftreten, im wahren Leben noch nie begegnet sind. Dies kann verschiedene Ursachen und Bedeutungen haben. Ein fremder Mensch kann also für einen Persönlichkeitsanteil stehen, dessen wir uns noch nicht bewusst sind und der durch den Traum an die Oberfläche, also in unser Bewusstsein, gelangen will. Für die Deutung sind Gefühle von Wichtigkeit, welche man während der Begegnung mit dem Fremden im Traum empfunden hat. Wenn uns die fremde Person unheimlich ist oder Gefühle des Unbehagens in uns hervorruft, dann kommen Verhaltensweisen oder Eigenschaften unseres Selbst an die Oberfläche, die wir normalerweise ablehnen, unterdrücken oder nicht wahrhaben wollen. Wenn wir die Person mit einem Wohlbefinden verbinden, diese ein Kribbeln in uns hervorbringt und uns sympathisch ist, dann ist der in diesem Sinne ein Repräsentant dessen, was wir ausdrücken und darstellen wollen.
Ich dachte darüber nach, ob ich vor dem Unbekannten Mann in meinem Träumen Angst hatte oder nicht. Ich empfand gemischte Gefühle, denn es machte mir nur Furcht, dass dieser kein Gesicht hatte. Wenn er mir jedoch näher kam, so wie in meinem letzten Traum, kribbelte mein Körper und ich hatte Schmetterlinge im Bauch. Ich musste unbedingt noch mehr darüber lesen...
Ich war irgenwann so müde, dass mir schon die Lider zufielen. Ich hielt mich die ganze Zeit wach, aber mir brannten mittlerweile schon die Augen so sehr, dass ich beschloss es für heute gut sein zu lassen und mich auf den Heimweg zu machen. Mühsam stand ich auf und reckte meinen erschöpften Körper. Meine Gliedmaßen waren schon eingeschlafen und es prickelte an den Fußsohlen und Fingerspitzen. Schleppend ging ich durch die leere Bibliothek, die inzwischen schon in düsteres Licht gehüllt war. Es musste schon nach Mitternacht sein, wahrscheinlich war ich eingeschlafen. Ich zog die Ärmel meines Pullis über die Hände und verschränkte die Arme vor der Brust, denn mich überkam ein Frostgefühl und ließ mich erschaudern. Der normalerweise lebendige Flur, lag menschenseelen allein vor mir, fast schon unheimlich. Mit schnellen Schritten huschte ich zwischen den kahlen Wänden zur Eingangstür der California High und öffnete diese. Vor mir lagen die weißen Betonstufen, die mich nach unten führten, aber nach der Treppe war nicht die sonstige Umgebung zu sehen, sondern eine Skyline, die sich über mein ganzes Sichtfeld erstreckte. Ich rieb mir mit dem Handrücken die Augen. Vielleicht war ich noch so weggetreten von meinem Nickerchen in der Bibliothek. Ich ging ein paar Stufen nach unten, aber es änderte sich nichts an dem Panorama, das vor mir lag. Ich erblickte die Silhouette von der schönsten Stadt, die ich je gesehen hatte, aber es war keine Stadt, die man kannte. Die Spitzen der Wolkenkratzer reichten bis in den Himmel, der sich von dunkelrot in ein tiefes Blau färbte, das sich bis nach oben zum Sternenzelt zog. Die Gebäude waren mit winzig kleinen Lichtern übersät, die in verschiedenen Farben leuchteten. Es waren die höchsten Bauwerke, die ich je erblickte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass etwas noch weiter in den Himmel ragen könnte. Auch die Strukturen der einzelnen Gebäude waren so einzigartig, dass ich mich fragte, ob diese von Menschenhand erbaut wurden. Die ganze Stadt zeichnete sich vor dem Horizont mit einer immensen Lichtflut ab, dass ich meine Lider zusammenkneifen musste. Es war so hell wie reines Tageslicht. Ich konnte es nicht glauben, dass das alles nur aus einer künstlichen Lichtquelle hervorgerufen wurde. Doch auf einmal bemerkte ich, dass auch wie in der Schule, keine Menschenseele weit und breit zu sehen war. Ich wollte diese Metropole unbedingt von Nahem sehen, mich mitten hinein in diese Lichterquelle stellen und mich überfluten lassen. Aber ich kam nur bis zur vorletzten Stufe der Betontreppe und blieb ruckartig stehen, denn unterhalb der letzten Stufe war Wasser. Vor der Stadt bis hin zu dieser Stufe erstreckte sich ein endlos langer Fluss, so breit wie die komplette Reichweite der Skyline. Ich wollte mich dennoch nicht davon abbringen lassen weiterzugehen. Irgendetwas in mir, verleitete mich diese Stadt zu erkunden, die sich in dem weiten, dunklen Gewässer spiegelte. Die Lichter, die bis zu den Wolkenkratzern hinauf ragten, bildeten symmetrisch an der Wasseroberfläche Striemen, die sich bis über das gesamte Wasser zogen. Plötzlich hörte ich ein leises Geräusch hinter mir. Ich wagte es nicht mich umzudrehen und nach der Ursache zu sehen, denn ich war doch eigentlich alleine. Was würde mich da erwarten? Instinktiv spürte ich, dass dieses Ding mir immer näher kam. Ich war begierig meine Neugier zu stillen und einen Blick nach hinten zu werfen, doch die Angst siegte und ich ließ es bleiben. Dennoch machte ich mich auf das Schlimmste gefasst und bereitete mich auf einen Kampf vor. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und versuchte mich auf jedes noch so kleine Geräusch zu konzentrieren. Würde ich nur die geringste Chance haben? Schweißperlen liefen mir über die Stirn. Ich nahm keine weitere Regung war. Anscheinend war dieses Ding stehen geblieben, aber weshalb? Ich entschied meinen ganzen Mut zusammen zu nehmen und mich langsam umzudrehen. Wenn es kein Angreifer war, wollte ich diesem Ding keine Angst einjagen. Aber wieso verfolgte es mich? All meine Fragen würden sich gleich aufklären, ob nun zum Guten oder Schlimmsten, würde sich zeigen. Innerlich zersprang ich gerade vor Aufregung, als ich mich umwandte. Ein paar Schritte vor mir stand ein Mann mit dunklem, zerzaustem Haar, dessen Gesicht nicht zu erkennen war. Statt diesem war nur ein schwarzer Fleck zu sehen, der in einer unendlichen Weite in sich hinein versank. Doch seine Züge kamen mir irgendwie vertraut vor, ich wusste jedoch nicht weshalb. Bis es mir plötzlich ins Gedächtnis schoss. Es war der Unbekannte aus meinen Träumen. Es war der Typ, der in den Wasserfall hechtete. Nur war sein Oberkörper diesmal mit einem weißen Shirt bedeckt. Als ich ihn genauer inspizierte, sah ich unter dem hellen Stoff seines Ärmels das Tattoo auf seinem Arm, das mir in Erinnerung blieb. Das Mal mit seinem tiefen Schwarz, schien trotz der Bedeckung noch kräftig. Mein Blick blieb an den Linien der Formen kurz hängen und wanderte dann nach unten zu seinen definierten Bauchmuskeln, die sich leicht auf seinem Shirt abzeichneten. Unfähig irgendetwas zu sagen oder mich zu bewegen, blieb ich wie angewurzelt stehen und betrachtete ihn. Er tat es mir gleich, indem er ebenfalls an Ort und Stelle blieb. Ich vermied es in den schwarzen Fleck, wo sein Gesicht sein sollte, zu sehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit streckte er mir seine Hand entgegen. Normalerweise zeigte diese Bewegung eine vertrauensvolle Geste, doch ich machte Anstalten danach zu greifen. Ich wich einen Schritt zurück, um Abstand zu gewinnen, doch der Unbekannte ließ seine Hand sinken und kam stattdessen auf mich zu. An der letzten Treppenstufe angekommen, blickte ich entsetzt hinter mich und stellte fest, dass da nur noch das Wasser war. Was sollte ich tun? Sollte ich springen? Mit seinem tiefen Blau stellte ich es mir eiskalt vor. Meine Gedanken wirbelten nur so im Kopf, sodass ich keinen klaren, ersichtlichen Weg finden konnte. Ich war nun fast in der Reichweite des Unbekannten. Er brauchte nur noch seine Hände nach mir auszustrecken, um mich anzufassen. Ich hatte auf einmal solch eine Angst. Sogar das Wetter veränderte sich schlagartig. Es begann erst leicht, dann immer stärker zu regnen, sodass mir dicke Tropfen auf meine Haut und ins Gesicht klatschten. Ich versuchte die Ursache für diesen schnellen Wetterumschwung auszumachen, doch ich konnte nicht denken. Als dann auch noch ein starker Sturm einsetzte, ging das Unwetter erst richtig los. Im Wasser bildeten sich tobende Wellen die hoch anstiegen. Meine Füße waren klitschnass, denn das Wasser hatte bereits so eine Höhe angenommen, dass es die erste Stufe bedeckte und mir bis zu den Knöcheln stand. Es zogen dunkle Wolken auf, zudem donnerte es so laut, dass ich mir am Liebsten die Ohren zuhalten wollte. Die Blitze, die sekundenweise einsetzten, erhellten den Himmel. Ich war starr vor Angst. Ich sah noch ein letztes Mal zu dem Typ und sprang in hohem Bogen in das Wasser. Es war noch kälter als ich es mir vorgestellt hatte. Die Flüssigkeit war irgendwann in meiner Nase und breitete sich unaufhaltsam in meinem Mund aus, als ich diesen automatisch öffnete um nach Luft zu schnappen. Ich strampelte wie wild und trat um mich, doch sank immer tiefer in die schwarze Leere. Ich streckte meine Hände nach oben und versuchte damit Paddelbewegungen zu machen, doch es half nichts. Langsam ließ ich nach und versuchte erst garnicht mehr mich anzustrengen. Ich gleitete hilflos in die Tiefe. Würde es so enden? Würde ich jetzt sterben? Ich legte den Kopf in den Nacken und warf einen letzten Blick hinauf an die Wasseroberfläche. Die Umrisse des Unbekannten waren an der letzten Stufe der Treppe zu erkennen. Aber nein, das konnte nicht sein - der schwarze Fleck hatte sich aufgelöst. Ich sah deutlich die Konturen seines Gesichts, doch es reichte nicht, mehr als diese wahrzunehmen, denn wegen dem ganzen Wasser in meinen Augen war da alles nur verschwommen. Ich ruderte so kräftig mit den Armen, wie es mein Körper letztendlich noch zuließ, denn ich wollte es aufklären. Wer war der Unbekannte? Ich probierte noch ein paar Versuche, bis mich das Wasser mit sich riss und ich in der Tiefe des Flusses versank.
Ich schlug die Augen auf und schnappte nach Luft. Ich wusste erst garnicht, wo ich war, deshalb hob ich den Kopf und blickte umher. Da erkannte ich die vertraute Umgebung mit den Regalen und Büchern. Ich war in der Bibliothek. Noch einmal rief ich mir die Bilder, die sich in mein Gedächtnis brannten, vor meinem geistigen Auge ab und zu meinem Glück war ich sicher in dem Schulgebäude. Da war kein Wasser und auch sonst nichts aus den letzten fünf Minuten, die ich anscheinend geistig durchlebt hatte. Es war Mitternacht, was mir die große, runde Uhr, die über der Tür hing, zeigte. Ich musste wohl weggenickt sein. Oh nein ich habe Amelia nicht Bescheid gegeben, dass ich nach der Schule noch in der Bibliothek stöberte, zudem bin ich auch noch eingeschlafen. Sie wird wahrscheinlich voller Panik Zuhause sitzen und sich gerade die ganze Zeit Vorwürfe machen, dass sie die schlechteste Erziehungsberechtigte der ganzen Welt sei. Was sie aber nicht wusste war, dass ich ihre verplante Art liebte und dass sie nicht so spießig war, wie andere Eltern. Meine verrückte, besorgte Tante. Ich war Pubertär und im besten Alter irgendwelchen Blödsinn zu machen, sowas wie sich jede Nacht mit Drogen zuzudröhnen und Fensterscheiben einzuschlagen. Nur hatte sie nicht die leiseste Ahnung, dass ich niemals ein Rebell war und auch nie sein werde, denn ich gehörte nicht zu den coolen Mädchen der Schule, sondern war eher eine Anlaufstelle für sie, ihre Machtspiele an mir auszuüben. Um Amelia endlich von ihrer Angst zu erlösen, musste ich mich auf dem schnellsten Wege nach Hause begeben. Ich steckte das Buch unter Zeitdruck in meine Tasche und beschloss auf eigene Faust, es einfach "auszuborgen". Es war ja kein Diebstahl, denn ich würde es ja wieder an Ort und Stelle zurückbringen, wenn ich mit dem durchforsten fertig war, aber ich brauchte es einfach, erst recht nacht diesem Traum. Ich war schon so nah dran den Unbekannten zu identifizieren. Um ehrlich zu sein brannte ich vor Neugier, ihm endlich ein Gesicht zuordnen zu können. Wie würde er wohl aussehen? Welche Augenfarbe würde er haben? Hatte er volle Lippen? In meiner Fantasie stellte ich ihn mir wunderschön vor. Das würde er auch sein, wenn sein Gesicht so schön war, wie sein restlicher Körper. Ich versank schon wieder so sehr im Gedanken, dass ich ganz vergaß, mich so schnell wie möglich auf den Heimweg zu machen. Mittlerweile hatten wir schon 1 Uhr morgens. Ich warf mir meinen Rucksack über die Schulter und eilte zu dem Parkplatz, wo ich mein Fahrrad abgestellt hatte. Jetzt musste ich auch noch mit dem Rad fahren. Natürlich hatte ich meine Jacke Zuhause gelassen, weil ich dachte, dass es ja sowieso relativ warm werden wird, doch ich hatte nicht damit gerechnet so spät noch heimfahren zu müssen, denn um diese Zeit war es schon unangenehm frisch und mit dem Fahrtwind würde es wahrscheinlich noch kälter werden.
Zuhause angekommen verstaute ich das Rad noch in dem Schuppen und sperrte langsam die Haustüre auf. Ich drehte dabei den Schlüssel besonders vorsichtig im Schloss um, um ja kein Geräusch zu machen. Als die Öffnung mit einem Klack aufging, öffnete ich nur einen Spalt breit, um ein Quietschen der ausgeleiherten Angeln, in der die alte, schwere Türe hing, zu vermeiden und zwängte mich elegant hindurch. Ich warf einen Blick auf das Kissen, rechts neben dem Eingang, auf dem Caesar immer auf mich wartete, wenn ich von der Schule nach Hause kam, doch es war leer. Sogar mein Kater hatte sich schon irgendwo einen Schlafplatz gesucht und war bestimmt schon am dösen. Ich wusste, dass meine Tante ziemlich böse auf mich gestimmt wäre und wollte mir die Vorwürfe, die sie mir mit Sicherheit machen würde, für den heutigen Tag ersparen und mich in mein Zimmer schleichen. Ich kam sowieso nicht drum herum, das wusste ich, aber jetzt wollte ich nur noch ins Bett und schlafen. Vielleicht hätte sich die Situation auch schon beruhigt bis Morgen, denn meine Tante wird ebenfalls schon beim Warten eingeschlafen sein. Ich konnte den Gedanken kaum zu Ende überlegen, soeben kam sie im Schlafmantel um die Ecke gebogen, die Hände in die Hüften gestemmt und mit einen wutverzerrten Blick. So verärgert hatte ich sie noch nie gesehen, deshalb machte ich mich auf das Schlimmste gefasst als sie anfing:,,Na Fräulein, wo kommen wir denn her um halb 2 Uhr morgens?" Ihr Gesicht lief so rot an, dass ich Angst hatte ihr Kopf würde gleich explodieren. Ich wollte sie beschwichtigen, als ich erwiderte:,, Oh Tante Amelia es tut mir so leid, ich weiß dass du sauer bist, aber..." Mitten im Satz schnitt sie mir das Wort ab:,,Ich bin fast verrückt geworden vor Angst, noch dazu bin ich bis jetzt wach geblieben und habe auf dich gewartet. Dir ist doch wohl klar, dass du ab sofort Hausarrest hast." Ich rechnete schon mit dieser Methode, die unter Eltern sehr beliebt ist, ihren Kindern die Freiheit zu rauben und diese damit zu bestrafen. Für mich war es jedoch eine milde Bestrafung, weil ich sowieso die meisten Wochenenden in meinem Zimmer verbrachte. Ich hatte nicht viele Hobbies und mein Freundeskreis beschränkte sich auf Mel und Blue, die an den Wochenenden meistens mit ihren Dates ausgingen oder wie andere Jugendliche, in meinem Alter, in eine Diskothek. Auf meiner alten Schule war das anders. Ich hatte eine Menge Freunde und ich ging so gut wie jedes Wochenende weg und sogar unter der Woche hangen wir oft im Galaxy rum. Das war sozusagen der coolste Laden für uns und auch unser liebster Aufenthaltsort. Dort gab es Pizzas, man konnte Billard spielen und es gab sogar eine Bowlingbahn. Immer wenn ich zu stark in alte Erinnerungen schwellgte, bekam ich danach wieder das Gefühl, als zog sich mein Magen zusammen. Schnell verdrängte ich den Gedanken daran. Nachdem sich meine Tante anscheinend ein wenig beruhigt hatte fügte sie noch hinzu:,,Wo warst du überhaupt? Ich kenne dich ja eigentlich garnicht so... Hast du Hunger?" So war sie, meine schrille, liebevolle Tante. Im ersten Moment einen derartigen Wutanfall und ich nächsten schon wieder ganz entspannt und gelassen. Ich lächelte ihr verstohlen zu:,,Ich war in der Bibliothek und bin eingenickt. Entschuldige, ich hätte dir Bescheid geben sollen, dass ich gleich nach dem Unterricht noch dorthin wollte und nein, danke. Ich bin immer noch ziemlich müde. Ich gehe jetzt ins Bett und hau mich aufs Ohr. Das solltest du übrigens auch machen." Sie zog den Schlafmantel enger um ihre Taille und entgegnete gähnend:,,Ja ich werde jetzt auch gleich ins Bett gehen. Ich bin hundemüde und muss morgen früh raus. Gute Nacht, Liebes." Ich machte mich auf den Weg in mein Zimmer. ,,Gute Nacht."
Der Wecker riss mich viel zu früh aus dem Schlaf. Es kam mir so vor, als wäre ich vor fünf Minuten erst eingepennt. Aus Gewohnheit schielte hinunter zu meinen Füßen, wo Ceasar immer lag, denn er war gestern nicht in meinem Zimmer, als ich zu Bett ging. Er musste sich später noch irgendwann dazugeschlichen haben, denn er lag jetzt zusammengerollt auf seinem üblichen Platz. Anscheinend war er ebenfalls ziemlich müde, so wie ich, denn er war noch im Tiefschlaf und bewegte sich nicht. Nur das Heben und Senken seiner Brust beim Atmen verriet mir, dass er noch lebte. Er war schon ein alter Zeitgenosse und meine Tante rechnete schon länger damit, dass er bald nicht mehr unter uns weilen würde. Als er damals sein Auge verlor, stand es sehr schlecht für ihn, doch er erholte sich wieder und war griesgrämiger denn je. Ich glitt so langsam und schonend es ging, aus der Bettdecke, damit ich Caesar nicht weckte. Währenddessen ruhte mein Blick auf ihn und ich hielt inne, als er sich regte, doch er streckte nur kurz seine Pfoten aus, zog sich wieder in sich zusammen und döste weiter. Erstmal aus dem Bett gekrochen, schälte ich mich aus meinen getragenen Sachen. Ich war gestern so müde, dass ich nicht mal mehr meine Schlafsachen anzog. Ich warf einen Blick auf meinen Wecker, der auf dem kleinen Eisentischchen, neben meinem Palettenbett stand und stellte zufrieden fest, dass mir noch genug Zeit für eine Dusche blieb, die ich dringend nötig hatte. Danach fühlte ich mich schon um einiges fitter und nicht mehr ganz so schwach. Als ich in mein Shirt schlüpfte, nahm ich den Geruch frisch gewaschener Haare wahr. Ich liebte den Duft, von dem Kokosshampoo, der nun von meiner Mähne ausging. Leider hatte ich Naturhaare, die nach dem Kontakt mit Wasser wild in alle Richtungen durcheinander hingen. Nicht einmal das Föhnen brachte noch was, das sozusagen meine letzte Hoffnung zerstreute, also beschloss ich diese zu einem Dutt zusammenzubinden. Ich warf einen Blick auf mein Handy und hoffte dass Mel mir gesimst hatte, ob sie nun zur Schule kommen und mich abholen würde oder ich am letzten Schultag den Weg noch mit dem Fahrrad überwältigen müsste. Zum Glück stand ihr Name auf meinem Display mit der Nachricht: Guten Morgen, komme heute wieder in den Knast. Bin in 10 Minuten da. Warte im Auto. Ein Lacher entfuhr mir, als ich Knast laß, wie sie die California High gerne bezeichnete. Im selben Augenblick hörte ich sie draußen schon hupen. Meine Nachbarn würden sich mit Sicherheit wieder bei meiner Tante beschweren und Mel verärgerte Blicke zuwerfen, wenn sie zu mir kam. Aber das war mir egal, hauptsache sie war wieder da. Wie ich sie vermisst habe, meine aufgeweckte, durchgeknallte beste Freundin. Wir kamen garnicht mehr aus dem Quatschen heraus, die ganze Autofahrt lang quiekten wir wie Kinder. Mich wunderte es, dass wir heute nicht über ihr Lieblingsthema - Typen redeten. Ich ließ auch meinen stundenlangen Besuch in der Bibliothek aus. Ich wusste nicht genau wieso ich es meiner besten Freundin nicht erzählte, aber ich wollte es einfach für mich behalten. Nicht als Geheimnis, ich meine es war belanglos, aber ich wollte, dass niemand davon wusste. Somit erzählte ich ihr von den Gemeinheiten von Stacia und den anderen, über die sie wutentbrannt losschimpfte:,,Oh die soll nur warten bis ich wieder da bin! Wenn ich diese Kuh heute in die Finger bekomme, dann setzt es was! Dann braucht sie bald nochmal einen Schönheitschirurgen, aber nicht nur für ihre Nase, die übrigens immer noch krum ist. Vielleicht sollte sie ihre Professoren mal wechseln und anschließend zum Psychiater gehen! Wenn das überhaupt noch hilft bei der!" Sie geriet so richtig in Rage und ich krümmte mich vor Lachen. Ich wäre am Liebsten auch so direkt wie Mel, aber ich hielt mich eher im Hintergrund und ließ es einfach über mich ergehen. Es würde sowieso nichts nützen, wenn ich mich aufregte, deswegen sagte ich zu Mel:,,Was sollte ich denn tun? Ihr eine reinhaun? Du weißt doch, dass ich nicht so bin." Sie strafte mich mit einem strengen Blick. ,,Das wäre mal ein Anfang." Und wieder schossen mir Tränen aus den Augen vor Lachen und ich hielt mir den Bauch.
Bis zur Mittagspause wurden wir während den Unterrichtsstunden vier Mal ermahnt ruhig zu sein und unser Tratschen oder Kichern aufzuhören. Wir konnten uns jedoch nicht zusammenreissen. Wir waren einfach wieder froh uns zu sehen und mussten uns eben austauschen, denn die Autofahrt war dafür natürlich zu kurz. Als es endlich gongte machten wir uns auf den Weg in die Kantine. Blue saß wie immer als Erster auf einem der Tische und hatte schon sein Tablett vor sich. Als wir näher kamen sahen er und Mel sich direkt in die Augen. Es machte den Anschein, als wusste keiner richtig, was er sagen sollte, denn die zwei hatten ja seit dem Vorfall in der Kantine, als Mel einfach aufgebracht davoneilte, keinen Kontakt mehr. Irgendwann machte Blue doch einmal den Anfang:,,Hey du, sag mal wieso schreibst du mir nicht mehr zurück. Ich bekomme seit Tagen keine Antwort mehr von dir." Mel setzte einen verachtenden Blick auf und erwiderte:,,Na und? Ich hatte eben Besseres zutun." Verärgert verschränkte sie dir Arme und warf ihr blones Haar über die Schulter:,,Und überhaupt bin ich dir keine Rechenschaft schuldig." Blue blieb der Mund offen stehen:,,Was soll das denn jetzt bitte?! Ich erwarte doch nur eine normale Antwort und ach ja, Besseres zutun...ich dachte du warst krank?" Mel wurde nur noch wütender und keifte zurück:,,Vielleicht war ich das auch, aber ich hatte jemand der sich um mich kümmerte." Blue wollte erneut ansetzen doch, es wurde alles zu viel und ich musste wohl oder übel einschreiten, auch wenn das nicht meine Absicht war:,,Leute, was ist denn los mit euch? Bitte beruhigt euch wieder. Und Mel...setz dich hin und komm runter." Zu meinem Erstaunen folgte sie meinen Anweisungen kommentarlos. Nachdem beide endlich Ruhe gaben, trat langes Schweigen ein. Mel tipste belanglos an ihrem Handy rum. Blue stocherte in seinem Essen, das ich nach längerem Beobachten, als Knödel mit Ketchup identifizierte. Es wurde so unerträglich still, dass ich beschloss ein anderes Thema anzuschneiden und fragte mit verzogenem Gesicht:,,Sind das etwa Knödel mit Ketchup?" Den Mund voller Essen grinse er mich an und mampfte:,,Mhhjoo, isch echt gut dasch so schu Essen. Magschte probiern?" Ich dankte angewidert ab:,,Ne, danke. Iss mal lieber selber. Ich hab sowieso keinen Hunger und außerdem kocht meine Tante heute was, wenn ich von der Schule heimkomme. Ich kann garnicht verstehen, wieso die Mädchen alle so auf dich fliegen." Blue grinste nur noch breiter und sagte:,,Isch bin eben heisch." Nun sah Mel von ihrem Handy auf und konnte es natürlich nicht lassen, ebenfalls ihren Kommentar abzugeben:,,Du meinst wohl du bist der Größte! Denkst du auch mal daran, dass vielleicht alle nur wegen deinem Geld auf dich abfahren und keine eine wirkliche Beziehung mit dir will, sondern nur rummachen, um damit anzugeben, dass sie dich schon hatte?" Missmutig über diese Aussage lenkte Blue ein:,,Na und? Dann ist es eben so. Is mir auch egal, solange ich Mädls abkrieg." Und damit schob er sich noch einen großen Happen Knödel in den Mund. Für Mel jedoch war das zu viel. Demonstrativ stand sie mit solch einem Schwung auf, dass ihr Stuhl quietschend nach hinten rutschte und hetzte davon. Blue schrie ihr noch nach, sodass es durch die ganze Kantine hallte:,,Na dann renn doch davon." Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu, dass er ruhig sein sollte und er zuckte nur mit den Schulter. Daraufhin fasste ich den Entschluss Mel hinterherzulaufen und sie zur Rede zu stellen, was denn eigentlich los sei. Ich machte mich zuerst bei ihrem Spind auf sie Suche, war jedoch erfolglos. Dann sputete ich weiter in die Damentoilette - den Ort, den jedes Mädchen aufsuchte, wenn es heulte oder davonlief, um die Sorgen rauszulassen und wie dem so sei, fand ich sie dort in einer der Kabinen. Ich erkannte sie an ihren weißen Sneakern, die unter der Kabinentür hervorlugten. Ich klopfte leise gegen die Tür und fragte mit sanfter Stimme:,,Hey Mel, was ist denn los?" Ich vernahm ein leises schniefen, als sie antwortete:,,Ach nichts, ich musste nur dringend auf die Toilette." Ich wusste dass sie mich anlog, denn wir kannten uns mittlerweile zu gut dafür, nur diesmal werde ich nicht nachgeben und es auf sich beruhen lassen. Sie musste endlich mit mir reden, deshalb ließ ich nicht locker:,,Mel, ich weiß dass du weinst. Sag mir doch endlich was los ist. Es ist doch seit längerer Zeit schon irgendetwas mit dir. Komm...mach die Tür auf," bittete ich sie. Der Riegel drehte sich von Rot auf Weiß und ich öffnete die Kabinentür langsam. Sie sprang mir mit einem Satz entgegen und fiel mir in die Arme. Jetzt konnte sie sich nicht mehr halten und heulte drauf los. Ich streichte über ihr gewelltes Haar und versuchte sie zu trösten, indem ich sie einfach an meiner Schulter weinen ließ. Irgendwann als sich die Situation beruhigte, reichte ich ihr ein Stückchen von dem Klopapier, weil ich gerade keine Taschentücher zur Hand hatte. Sie erfüllten ihren Zweck, woraufhin sie fest schneuzte. Melody schniefte noch einmal und sagte mir dann:,,Ich weiß nicht wie ich es dir erklären soll. Irgendwann hättest du es sowieso rausgefunden. Puh, also ich liebe Roar." Mir blieb die Spucke weg. Im wahrsten Sinne des Wortes war ich sprachlos. Mir klappte die Kinnlade herunter und ich war nicht im Stande, etwas darauf zu antworten. Sie übernahm den Part deshalb für mich und gestikulierte wie wild drauf los:,,Also es ist einfach passiert und ich merke es seit Längerem schon. Erst wollte ich es mir nicht eingestehen, aber mir wurde es immer bewusster und irgendwann gab es kein Zurück mehr." Sie schluchzte:,,Ich steckte zu tief drin und ich wollte es dir anfangs nicht sagen, weil ich glaubte, dass dieses Gefühl sich von selbst wieder auflösen und verschwinden würde. Wirklich, das musst du mir glauben...ich hätte es dir noch gesagt. Nur wollte ich den passenden Moment abwarten. Es tut mir leid. Ich bin so dumm." Ich gewann nach einigen Minuten meine Fassung wieder und schloss sie nochmals kräftig in meine Arme:,,Du hättest es mir von Anfang an gleich sagen sollen, aber du bist nicht dumm! Gut ich gebe zu, ich bin geschockt. Vorallem verstehe ich nicht, wieso du deshalb so gemein zu Blue bist, aber ich hätte dich doch in jedem Fall unterstützt und du hättest nicht alleine mit deinem Kummer fertig werden müssen." Sie schneuzte noch einmal in das Klopapier und begann zu erzählen:,,Weil er mich zur Weißglut bringt mit seinen Frauengeschichten. Früher hatt es mir nichts ausgemacht, aber jetzt da ich Gefühle für ihn habe, da verletzt es mich und ich bin dann innerlich so aufgewühlt, dass ich ihm alles entgegenwerfe. Und als er auch noch von dieser Isabell geschwärmt hatte, da hab ich komplett den Boden unter den Füßen verloren. Da wurde es mir einfach zu viel und ich musste davonrennen, sonst hätte ich noch vor ihm geweint und er hätte es rausgefunden, wieso ich so reagierte. Deshalb war ich auch nicht in der Schule. Ich war nicht krank, sondern einfach zu fertig. Ich wollte und konnte ihn in keinen Umständen sehen." Ich sah sie mitleidig an. Ihre Wimperntusche war über ihr ganzes Gesicht verteilt und ihre Wangen waren vom weinen gerötet, dennoch war sie in meinen Augen immer noch wunderschön. Ich versuchte sie zu beschwichtigen:,,Ja, aber wenn er von keinen Frauen mehr reden soll, wieso sagst du es ihm dann nicht einfach? Roar ist ein lässiger Typ. Er würde bestimmt nicht sauer werden. Vielleicht könnte ja auch etwas aus euch werden." Ich lächelte ihr aufmunternt zu. Ihre Augen weiteten sich und sie rief schrill:,,Was? Nein! Niemals! Du darfst es ihm nicht sagen Liv. Versprich mir, dass du es ihm nicht erzählst." Ich verstand ihre Sorge nicht:,,Aber Mel, dann musst du es dir immer wieder anhören und tust dir damit selbst weh. Du kannst dich auch nicht immer krankmelden. Denkst du nicht, dass er es verstehen würde?" Doch sie blieb strikt bei ihrer Einstellung, es ihm nicht zu erzählen. ,,Und was willst du jetzt machen? Für immer unglücklich verliebt sein und ihn bei jeder Gelegenheit, in der du ihn siehst, anschreien?" Sie dachte kurz einen Moment nach und sagte dann:,,Nein, natürlich nicht. Ich warte einfach, bis ich mich in jemand anderes verliebe und solange gehe ich ihm aus dem Weg oder ignoriere ihn, wenn es sich nicht vermeiden lässt." Ich war entsetzt:,,Du spinnst doch! Das wirst du niemals schaffen." Aber sie ließ sich nicht umstimmen und brach das Gespräch ab, indem sie sagte:,,Ich schaffe das schon. Los komm...gehen wir schon mal in den Klassenraum. Mrs Davies ist heute nicht besonders gut drauf. Ich will keinen Ärger und du sicher auch nicht." Sie war schon auf dem Weg, als ich noch sagen wollte, dass ihre Maskara im ganzen Gesicht verschmiert war, doch sie bemerkte es selbst sofort, als sie wie aus Gewohnheit noch einen Blick in den Spiegel warf. Sie blieb abrupt stehen, schaute sich entgeistert ein paar Sekunden lang an, woraufhin sie einen Schreianfall bekam. ,,Mach das weg, Liv! Ich kann so niemals rausgehen. So darf mich niemand sehen, hörst du mich." Sie wedelte mit den Händen und hyperventilierte, sodass ich meinte, sie würde gleich umkippen und Ohnmächtig werden. ,,Wir kriegen das schon wieder hin. Wasch dein Gesicht im Spülbecken." Ich versuchte mit aller Macht sie zu beruhigen, aber mein Vorschlag machte das Ganze nur noch schlimmer. ,,Aaahhh Liv! Ich seh noch schrecklicher aus. Das is ne Katastrophe." Ok, das war es wirklich, dachte ich, dennoch würde ich ihr das nicht sagen. Ich überlegte, wie wir die Situation in den Griff bekommen würden, doch ohne Erfolg. Mir fiel kein schlauer Gedanke im letzten Moment ein, so wie man es in dem Filmen immer sah. ,,Geh einfach nach Hause. Ich sage Mrs Davies Bescheid, dass du noch nicht ganz fit bist und du dich nicht selbst bei ihr abmelden konntest, weil du einen Kotzanfall hattest." Angeekelt verzog sie das Gesicht:,,Iiiiihhh, nein, was würde sie denn dann von mir denken? Das ist ja widerlich." Ich stemmte die Hände in die Hüften:,,Willst du lieber, dass dich alle so sehen, wenn du aussiehst wie ein Waschbär auf Koks oder wie sich Mrs Davies vorstellt, wie du kotzt?" Sie nickte nur:,,Ja, du hast ja recht! Na gut, ich warte währenddessen hier, bis die Flure leer sind, dann fahre ich nach Hause." Ich legte fast schon einen Sprint hin zum Klassenzimmer. Der Gong ertönte genau, als ich gerade die Tür erreicht hatte. Ich setzte mich auf meinen Platz, einzelne Schweißperlen liefen mir übers Gesicht. Mein Blick ging zu dem leeren Platz neben mir, der eigentlich von Melody besetzt war. Hoffentlich hat sie auf der Toilette gewartet, bis wirklich alle weg waren, nicht dass sie noch jemand sieht. Mrs Davies bemerkte den leeren Platz neben mir ebenfalls sofort und erkundigte sich nach Mel:,,Weiß zufälligerweise jemand wo sich Miss Melody Walker aufhält?" Ihr Blick wanderte zu mir und ich stammelte:,,Eh ja, also Mrs Davies...sie äh, also ihr ist schlecht. Sie war die letzten Tage krank und naja ähm...ihr geht es noch nicht so gut. Muss die ganze Zeit kotzen...üüüble Sache. Deshalb ist sie nach Hause." Oh Gott, ich konnte wirklich nicht vor Leuten reden, vorallem nicht nachdem mich Stacia vor der Klasse bloßgestellt hatte. Mrs Davies zog die Augenbrauen hoch und antwortete nur:,,Nun denn. Beginnen wir ohne Miss Walker den Unterricht. Und an Sie Miss Hale. Sagen Sie ihr bitte Sie soll mir das nächste Mal selbst Bescheid geben. Auch bei einem Kotzanfall." Bei dem letzten Wort rümpfte sie die Nase und begann mit dem Stoff. Mir fiel der fragende Blick von Blue auf, seine Augen suchten die meinen und er deutete unauffällig auf sein Handy. Ich verstand sofort und holte meines ebenfalls aus der Tasche, dabei blieben meine Augen an dem Buch in meiner Tasche hängen. Ich musste es unbedingt bald wieder zurückbringen, bevor jemand merkte, dass es verschwunden war. Heute werde ich es bestimmt schaffen durchzublättern, denn es ist ja Freitag und ich kann es mir leisten länger wach zu bleiben. Verstohlen warf ich einen kurzen Blick auf mein Handy, da stand Roar`s Name. Ich öffnete die SMS in der stand: Was ist denn nur mit Mel los? Du lügst doch mit dem Kotzanfall...das hat dir hier keiner abgenommen. Nun, da ich wusste was mit Mel wirklich los war, bekam ich ein schlechtes Gewissen gegenüber Roar. Aber ich konnte es ihm nicht sagen, es war eine Sache zwischen Melody und ihm, das zu klären und wenn dann musste sie das schon selbst tun. Nein, diesmal mischte ich mich nicht mehr ein, versprach ich meinem Verstand hoch und heilig. Ich tippte so unauffällig wie möglich auf das kleine Display: Sie hat ein Date. Das konnte ich ja wohl schlecht sagen. Als er die SMS von mir las, steckte er sein Handy in seine Hosentasche, drehte sich um und würdigte mich den ganzen Unterricht lang keines Blickes mehr.
Ich verstand die Welt nicht mehr, war er etwa eifersüchtig? Das werde ich schon noch rausfinden. Die beiden würden meiner Meinung nach so gut zusammenpassen. Gott sei Dank hatte Amelia früher Schluss auf der Arbeit, somit konnte sie mich gleich von der Schule mit nach Hause nehmen, denn das lag direkt auf dem Weg. Sonst hätte ich wahrscheinlich laufen müssen, weil Mel ja schon nach der Mittagspause Heim ist. Während der Autofahrt redeten wir nur über belanglose Dinge, die heute in der Schule oder in der Arbeit passiert waren. Amelia arbeitete nämlich in einem Ramschladen, indem es alles mögliche Zeugs gab, wie eine eigene Abteilung für Teesorten, skurile ausgestopfte Tiere, Schrauben jeglicher Art und Vasen in verschiedensten Formen, die so angemalt waren, als wäre der Farbkessel explodiert. Also bei aller Liebe, ich wollte nicht über eines der aufgezählten Dinge oder über Sonstiges, das es noch in diesem verrückten Laden gab, reden. Zu Hause angekommen tummelte ich gleich in mein Zimmer, denn meine Tante würde sowieso erst noch Essen machen und das konnte dauern. Ich hoffte sie würde nicht wieder irgendein Experiment ausprobieren, ich hatte wirklich Hunger. Ich warf meinen Rucksack aufs Bett, kramte das Buch heraus und machte es mir im Schneidersitz gemütlich. Ich las noch eine Zeit darin, jedoch fielen mir langsam die Augen zu und ich zwang mich sie aufzuhalten und wach zu bleiben. Mir misslang es dennoch, ich konnte mich nicht einmal mehr konzentrieren und gab der Müdigkeit nach. Ich kuschelte mich in die rote, weiche Wolldecke, blinzelte noch ein paar Mal und sank in den Schlaf.
Ich stand vor einem Spiegel, dieser war umhüllt von einem weißen, seidenen Tuch, sodass ich mich darin nicht sah. Ich fasste mit einer Hand nach dem Stoff und zog ihn ruckartig von dem Möbelstück. Vor mir war das Spiegelbild einer Frau, sie hatte ein langes blutrotes Kleid an dass bis zur Taille enganliegend war, wie eine zweite Haut und nach unten in einem weitem Bogen auseinanderglitt. Es war ein Ballkleid, oben mit Spitze umgeben, die das Dekolletè geradezu unsterstrich. An der Taille war das Kleid über und über mit winzigen Strasssteinen besetzt, diese blinkten im Licht wie kleine Diamanten. Am Hals entlang wickelte sich eine Perlenkette und ich ging mit dem Blick weiter rauf zu dem Gesicht, das von einer Hochsteckfrisur umrandet war. Aber nein, das konnte nicht sein. Meine Augen mussten mich täuschen, als ich das Gesicht näher betrachtete, erkannte ich die Züge und die unverkennbaren blauen Augen plötzlich. Die Frau in dem Spiegel war ich. Ich hatte mich noch nie selbst so gesehen, vorallem nicht in einem annähernd so schönen Kleid wie diesem. Es war tatsächlich mein Spiegelbild, egal wie ich es auch betrachtete, das war ich. Ich warf einen Blick über die Schulter und begutachtete den Raum, indem ich mich befand. Er war mir fremd, ich erkannte nichts von dem wieder. Dieser Raum erinnerte mehr an einen Saal, der zum Tanz vorgesehen war, mit seinen hohen Wänden. Es gab außer dem Spiegel keine weiteren Möbelstücke. Es gab überhaupt keine Einrichtung außer ein paar Statuen, wenn man diese so bezeichnen konnte, nur die Wände waren verziert mit Gemälden, ich glaube sie stammten vom 18. Jahrhundert. An der Decke hing ein gewaltiger Kronleuchter mit tausend kleinen Kerzen, die alle brannten. Diese Architektur erinnerte an das Innere eines Schlosses, die Schönheit in diesem Raum war unabstreitbar. Ich fragte mich, ob dieser Ort verlassen war, denn wenn man genauer hinsah, war der gefließte Boden mit Schutt bedeckt, die roten Vorhänge waren an ein paar Stellen schon heruntergerissen und auch die Gemälde waren mit einer Staubschicht überzogen. Einzelne Rahmen lehnten an den dicken Mauern, es war stickig, obwohl der Saal riesig war. Wer hier wohl gelebt haben wird? Eine Adelsfamilie vielleicht, ich stellte mir den leeren Saal voll mit Leuten aus vergangenen Zeiten vor, wie sie tanzten und lachten. Es ist ein besonderes Gefühl, wenn man dort steht, wo sehr lange niemand war. Auf einmal war ich traurig darüber, wenn keiner sich um dieses Gebäude kümmerte, würde es bestimmt verfallen. Ganz plötzlich, aus der Stille hörte ich eine Tür zufallen. War ich doch nicht alleine? Vielleicht war es nur der Wind oder ein Tier...man wusste ja nie genau, was sich so alles in alten Gebäuden wie diesem aufhielt, versuchte ich mich zu beruhigen. Aber das Geräusch ertönte noch einmal, es war das Selbe wie vorhin, nur näher. Ich war neugierig und ängstlich zugleich. Ich spürte, dass jemand bald durch die Türe zu dem großen Saal kommen wird, in dem ich mich befand. Und wie vermutet, öffnete sich die Türe ein paar Sekunden später, aber als ich sah, wer dieses Geräusch verursacht hatte, war meine Angst wie weggeflogen. Es war ein stattlicher Mann, ich nahm an, dass er jung sein würde, denn seine Augen und die Hälfte seines Gesichts, waren mir einer schwarzen Maske bedeckt. Er trug eine sehr aufwendige und prächtige Kleidung, die mich an Mozart erinnerte, auch die Haare waren unter einer weißen Perrücke versteckt, wie man das im 18. Jahrhundert, der Zeit des Rokoko, getragen hat. Seine lange Jacke und die Kniebundhose waren in einem Cremeton gehalten, die mit goldenen Details verziert waren. Es war eine Formelle Kleidung, wie für einen Ball. Er kam näher und machte eine tiefe Verbeugung, ohne ein Wort zu sagen. Es ertönte aus dem Nichts plötzlich Musik und er streckte mir seine Hand entgegen. Woher kam nur die Musik auf einmal? Ich machte einen Knicks und spielte einfach mit. Wir tanzten irgendeinen historischen Tanz, zu der die Klaviermusik perfekt abgestimmt war. Ich wusste nicht, wie dieses Stück hieß und ich hörte es noch nie zuvor, doch es war wunderschön und so gefühlvoll. Ebenfalls wunderte ich mich, wieso ich diesen Tanz konnte, aber ich machte einfach und meine Füße bewegten sich, wie durch Zauberhand, selbst. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der wir tanzten, ohne außer Atem zu kommen, blieb er nach einer Drehung plötzlich stehen und griff sich an den Hinterkopf, um das Band seiner Maske zu lösen. Als mir klar wurde, was er vor hatte, war ich so gespannt, dass ich fast platzte. Wie würde dieser Mann wohl unter der Maske aussehen? Ich stellte ihn mir atemberaubend schön vor, denn er hatte volle Lippen und ein reines, makelloses Gesicht - soweit man das erkennen konnte. Er nahm die Hände langsam von seinem Kopf hervor, in jeder Hand ein Band, an das die Maske befestigt war. Gleich würde ich ihn sehen..."Liv!"..."Liv!"
Ich schreckte hoch...Nein, das konnte einfach nicht sein. ,,Essen ist fertig. Kommst du?" Tante Amelias Stimme unterbrach meinen Traum, aber ich wollte doch wissen, wie dieser Mann aussah! Ich wusste nicht einmal seinen Namen. Es klopfte an der Tür. ,,Liv?" fragte Amelia noch einmal leise vor der Tür. Ich antwortete ein bisschen schroffer als beabsichtigt mit:,,Ja!" Sie öffnete einen Spalt breit die Türe zu meinem Zimmer und steckte ihren Kopf durch. ,,Hast du geschlafen?" Mit einem entschuldigenden Blick begutachtete sie mich. Natürlich konnte ich ihr in diesem Moment nicht mehr böse sein und meine Wut verflog auf der Stelle. Ich meine, sie konnte ja nichts dafür, denn im Grunde war ich ja vorzeitig eingenickt.
Es war Samstag und ich schlief bis in die Mittagsstunden. Meine Tante sagte immer, dass das nicht gut sei, denn ich vergeudete im Grunde den ganzen Tag. Den restlichen Tag verbrachte ich, eingewickelt in eine Decke, auf der olivegrünen Couch im Zimmer. Ab und zu wechselte ich mal ins Bett oder ging ein paar Schritte in die Küche, um die Zeit totzuschlagen. Amelia arbeitete derzeit im Garten, bei ihren Blumen war sie einfach am Liebsten, vorallem in dieser Jahreszeit, in der sie besonders blühten. Irgendwann wollte ich einen Blick auf mein Handy werfen, ebenfalls zum Zeitvertreib, doch wo hatte ich es das letzte Mal hingelegt? Ich überlegte angestrengt und suchte auf dem Bett, wo es meistens lag und siehe da, ich wurde unter der Decke fündig. Ich tippte auf das Display. Nachricht von Mel stand darauf. Oh nein, ich hatte garnicht mitbekommen, dass es geklingelt hätte. Ich war zu diesem Zeitpunkt bestimmt gerade unten im Haus. Aber von wann war die Nachricht? Ich sah nochmal genauer hin und erkannte dass diese um 15:12 Uhr eingegangen war. Mist! Das war mittlerweile schon vor vier Stunden. Ich drückte auf "Nachricht lesen". Hey Zuckerschnecke, Lust heute Nachmittag bisschen was zu untrnehmen? Brauche dringend neue Klamotten...vielleicht Shoppen? Hatte letztens ein so cooles Kleid im Favour gesehen, dass will ich mir holen. Bitte komm mit. Das wird bestimmt lustig. Brauche Ablenkung von du weißt schon wem...XO Auf einmal bemerkte ich, dass da noch zwei ungelesene Nachrichten waren. Eine von 15:34 Uhr, diese SMS war ebenfalls von Mel und ich drückte auf öffnen: Halloooo? Jemand Zuhause? Antworte mir mal schneller... Die Dritte hatte ich um 16:03 Uhr empfangen. Mein Daumen glitt über die "Bestätigen" Taste: Erde an Liv???? Wo bist du denn? Ich hoffe du hast kein Date mit einem süßen Typen, von dem du mir nichts erzählt hast... Auf die letzte SMS hinauf, musste ich laut Lachen. Ich, ein Date mit einem Typen? Ich dachte sie kannte mich besser, vorallem käme auch dafür niemand in Frage, denn ich war eben ein Freak und hatte in meiner Fantasie besondere Vorstellungen, wie dies ablaufen sollte. Wenn ich ein Date hätte, dann müsste es so richtig "Old School" sein, wie aus einem alten Kitschfilm, der in den fünfziger Jahren im Kino lief. In dem sich der Auserwählte noch die Erlaubnis bei den Eltern holen musste, mich vor der Haustüre in einer Lederjacke mit aufgestellten Kragen abholen würde, mit Blumen in der Hand, die vom Nachbarsgarten gestohlen waren und er mir in einem alten Cadillac, den er sich extra von seinem Vater unter betteln geborgt hatte, die Türe aufhielt zum Einsteigen. Wir würden romantische Musik von Frank Sinatra hören und er würde mich um jeden Preis beeindrucken wollen. An einem lauschigen Örtchen, an einem nahe gelegenen See, würden wir Halt machen und uns irgendwann in einem besonderen Moment leidenschaftlich Küssen. Leider werde ich heutzutage niemanden finden, aber so war ich schon immer. Meine Mom hat immer zu mir gesagt: Du bist schon mit dreißig auf die Welt gekommen. Dann hat sie mich umarmt und eher zu sich selbst, als zu mir geflüstert: Du wirst mir einfach zu schnell erwachsen... Wann bist du nur so erwachsen geworden? Mir stiegen bei dem Gedanken Tränen in die Augen und kullerten mir über die Wangen. Ich vermisste meine Mom so sehr... Sie war so eine liebevolle Mutter und zudem ein herzensguter Mensch. Schnell verdrängte ich die Erinnerung und mir fiel ein, dass ich meiner besten Freundin ja noch zurückschreiben musste, bevor diese total die Fassung verlor, denn Mel, musste man wissen, war die Ungeduld in Person. Also antwortete ich ihr: Hi, tut mir Leid, hab nicht auf mein Handy geschaut. Das Favour schließt, um fünf. Für Shoppen wohl zu spät, sry.Wenn du Lust hast können wir bei mir bisschen gammeln. Machen uns einen Mädchenabend, was hälst du davon? XO Ein paar Minuten darauf kam die Antwort auf meine SMS: Ja, bin voll dabei! Mega Idee. Bin in ner halben Stunde bei dir. Bis dann. Mir blieb gerade noch so viel Zeit mich zu duschen und in ein paar ansehlichere Klamotten zu schlüpfen, als den Schlabberlook, in dem ich die ganze Zeit schon rumlief. Mel war das anscheinend total egal, sie kam in einer weiten Jogginghose und auf ihrem hellblauen XL T-Shirt war ein Fleck. Ich vermutete schwer, dieser stammte von Erdbeereis, denn wenn es eines gab das Mel liebte, dann war es diese Eissorte. Sie war generell ganz vernarrt in Süßigkeiten jeglicher Art und ich verstand die Welt nicht mehr, wie konnte man nur so viel Essen und so eine bomben Figur haben? Sie hatte ebenfalls zwei Flaschen Rotwein dabei, als sie diese hinter ihrem Rücken versteckt hervorholte, ging ein breites Grinsen über ihr Gesicht, wie bei einem Kind an Weihnachten und ich konnte schlecht nein sagen. Vorallem nach der Sache mit Blue, benötigte sie eine Ablenkung, auch wenn ich diese nicht für richtig hielt, ließ ich es, ihr das Trinken auszuschlagen, um schlechte Laune zu vermeiden. Wir maschierten in den Garten und machten es uns im Pavillon gemütlich. Mel war bester Stimmung und sagte:,,Komm, hol die Gläser. Wir köpfen jetzt die erste Flasche und gönnen uns ein paar Schlücke." Ich versuchte ihr auszuweichen:,,Ja, ähm...Was machen wir eigentlich nachher noch?" Sie zog eine Augenbraue in die Höhe und setzte einen vielsagenden Blick auf:,,Liv Hale, du Streberin! Denkst du ich weiß etwa nicht, was du vor hast? Du willst nichts trinken, aber mir das auch nicht sagen, weil du Angst hast, dass ich wütend werde." Ich fühlte mich ertappt, aber wie sollte es auch anders sein. Mir hätte klar sein müssen, dass sie es merkt. Jetzt half auch die beste Ausrede nicht mehr. ,,Ich hab nicht wirklich Lust zu feiern und ja es stimmt, ich wollte dir die Laune nicht verderben." Ich zuckte unschuldig mit den Schultern. ,,Aber Liv es ist ein Notfall, das weißt du doch. Lass und ein bisschen feiern. Biiiiiitteee." Sie machte einen Schmollmund und sah mich mit großen Augen an. Natürlich ließ ich mich erweichen und erwiderte:,,Ich hole die Gläser. Komme gleich wieder." Sie strahlte übers ganze Gesicht und ich hörte das Ploppen, als sie die erste Flasche öffnete.
Irgendwann spätabends: Ich wusste nicht genau wie viel Uhr es war, aber wir mussten schon Stunden hier draußen sitzen, denn es war mittlerweile schon dunkel. Nur das schwache Licht der bunten Lampiongirlande spendete uns noch Helligkeit. Wir waren währenddessen schon bei der zweiten Flasche angelangt, die Stimmung war inzwischen auf dem Höhepunkt, denn mittlerweile waren wir schon mehr als betüdelt. Ich hielt sowieso nicht viel Alkohol aus, aber es machte so einen Spaß, meine Wangen glühten und mir war schwummrig, als ich kurz auf die Toilette ging. Meine Tante kam auf einmal aus dem Haus, sie war in eine Decke gewickelt aus verschiedenen Stoffen, die verschiedene eckige Formen hatten. Sie besaß so absurde Kleidungsstücke, dass ich mich manchmal fragen musste, welcher Laden solche anbot und vorallem wer soetwas sonst noch kaufte, aber in diesem Moment musste ich einfach nur aus vollem Halse lachen. Mel sah kurz zu mir herüber und brach ebenfalls in schallendes Gelächter aus. Amelia blickte verwirrt drein und fragte fröhlich:,,Nun meine Damen, was ist denn wohl so lustig? Ich denke ihr habt schon zimelich viel getrunken, wenn ich die leere Flasche und eure roten Gesichter betrachte." Mel stand auf und verbeugte sich, was nur dazu führte, dass ich noch mehr lachen musste. ,,Tante Amelia", fing sie an. ,,Würdest du dich nicht liebend gern zu uns gesellen und ein Gläschen mit uns mittrinken?" Amelia hielt sich den Bauch vor lachen und antwortete:,,Naja gut ein Gläschen könnte nicht schaden." Damit verschwand sie im Haus und kam mit einem Glas in der Hand wieder. Mel schnappte sich die Flasche und meine Tante ermahnte:,,Also ein Glas, nicht mehr und nicht weniger." Sie hob den Finger:,,Ihr wisst doch ich halte nicht mehr so viel aus, wie in meinen jungen Zeiten", doch Melody hatte das Glas schon bis zum Anschlag gefüllt und kicherte:,,Wenn du das ausgetrunken hast, dann erzählst du uns von diesen Zeiten." Amelia legte den Kopf schräg:,,Vielleicht...mal sehen, aber ich kann euch sagen, das waren wilde Zeiten damals..." und so begann es. Sie erzählte und erzählte und wir hörten ihr gespannt zu und prusteten bei jeder Kleinigkeit. Ich warf einen Blick zu Mel und sah wie sie Tränen lachte. Die beste Geschichte, die meine Tante auf Lager hatte, war die, in der sie mit einem langhaarigen Typen auf einer Harley durchbrannte. Sie hatte sich mit ihren Eltern gestritten und ihren damaligen Freund angerufen, der sie sofort mit seinem Motorrad abholte. Ich war geschockt, denn ich dachte nie, dass meine Tante auf Draufgänger stehen würde, anscheinend hatte ich mich getäuscht, als sie jünger war, war sie ein Rebell, wie sie uns erzählte, die Hippie Phase kam erst später irgendwann. Auf jeden Fall sind sie mit dem Motorrad durchgebrannt, sie schmückte es noch ein bisschen zu sehr aus meiner Meinung nach, indem sie erzählte, dass sie wie in einem Film in den Sonnenuntergang fuhren. ,,Damals hätte ich diesen Typen, er hieß übrigens Slade, sofort geheiratet. Natürlich hätten mich deine Großeltern umgebracht", sie sah zu mir und zwinkerte mir zu. Ich krümmte mich vor Lachen und sagte gespielt theatralisch:,,Oh ich kann garnicht verstehen weshalb." Als ich zu Mel hinüber sah, fiel mir auf dass die total an Amelia`s Lippen hing, ich wusste garnicht dass sie auf solche fertigen, rocker Typen steht, aber wenn ich mir Blue mit seinem Style und seiner blauen Haarsträhne so ansehe wird mir da einiges bewusst. Ich musste lächeln, meine verrückte beste Freundin war einfach so unglaublich schön, auch jetzt in ihrem Schlabberoutfit. Sie könnte jeden haben und das ist nicht übertrieben, denn jeder auf der Schule fliegt auf sie, wenn sie nur durch die Flure schlendert. Anfangs, als ich neu auf der Schule war, hat es mich gewundert, dass sie sich mit mir abgab. Sie wollte nur den Einen, Blue, aber der wollte Isabelle und andere, viele andere...
Irgendwann war sie ebenso besäuselt wie wir:,,Also ich gehe jetzt ins Bett", Mel gab darauf gleich ein:,,Neeein, bleib doch noch", aber meine Tante erhob sich schwankend von ihrem Stuhl und verabschiedete sich. ,,Es ist Zeit für mich. Viel Spaß noch und komm uns mal wieder besuchen Mel." Auf wackligen Beinen schritt sie davon. Ich merkte, dass mir kalt war und Mel ebenfalls, wie ich unschwer an ihrer Gänsehaut erkennen konnte, deshalb sagte ich:,,Gehen wir lieber auch rein. Es ist sowieso schon ziemlich dunkel und mich friert." Sie nickte zustimmend, hakte sich in meinen Arm ein und wir gingen in das Haus. Kaum über die Türschwelle packte sie mich an den Schultern und schüttelte mich:,,Oh, ich hab die Idee. Amelia hat doch bestimmt noch Wein oder irgendwas anderes, das betrunken macht. Stöbern wir doch mal und sehen, was wir finden." Wahrscheinlich würde ich das normalerweise für keine gute Idee halten, doch ich war zu voll von dem Alkohol, um zu erkennen, dass es eigentlich dumm war noch mehr zu trinken. Mit war einfach alles egal und ich erwiderte aufgeweckt:,,Im Keller könnten wir was finden. Amelia trinkt zwar selten was, doch ich kenn meine Tante. Irgendo versteckt hat sie bestimmt einen Vorrat, fragt sich nur was genau dieser beinhaltet." Wie erwartet fanden wir ein paar Flaschen in einer alten Kiste. Mel inspizierte die Etiketten darauf und entschied sich für eine eckige mit langem Hals, in der eine braune Flüssigkeit schwappte. ,,Whiskey, hört sich doch gut an!" Sie wedelte mit der Flasche vor meine Augen. ,,Die nehmen wir! Komm mir gehen in dein Zimmer." Wir saßen uns im Schneidersitz auf den Teppich am Boden und kramten alte Geschichten aus, nun da Amelia uns keine mehr von ihren erzählen konnte, weil sie schlafen gegangen ist. Wir stießen jede paar Minuten erneut auf irgendeinen belanglosen Blödsinn an, unter anderem auf den Weltfrieden, dem Spaceshuttle, auf Jelly Beans und unseren Geschichtslehrer Herrn Bennett. Der Whiskey hatte es in sich. Ich merkte wie mir bei jedem Schluck flauer im Magen wurde und ich hatte schon direkte Schwindelanfälle, doch ich trank weiter. Wäre ich nüchtern gewesen, hätte ich diesen Fehler nicht gemacht, als ich ohne nachzudenken mit Blue`s Namen herausplatzte:,,Weißt du noch, als du, Blue und ich im letzten Sommer..." Oh nein, es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Der Punkt, der das, was jetzt vorprogrammiert war ins Rollen brachte, war erreicht. Ich wollte aus einem Tag im Sommer erzählen, uns war langweilig und wir hatten beschlossen einen Ausflug zu machen. Wir waren uns alle unschlüssig wohin, somit setzten wir uns einfach ins Auto und fuhren los. Blue fuhr, wir kamen an einen lausigen, stillgelegenen Ort mit einem kleinen See. Umrandet von einem Waldstück, war dieser kaum zu finden. Wir hatten ihn selbst nur mit Glück entdeckt, als wir uns verfahren haben und eigentlich wieder umdrehen wollten. Natürlich hatten wir keine Badesachen dabei, deshalb zogen wir uns bis auf die Unterwäsche aus, die ja sowieso nicht recht viel anders wie ein Bikini war und badeten in dem See. Es war eines der schönsten Erlebnisse, die wir zu dritt hatten und es machte mir die schwere Phase, die ich durchstand nach dem Unglück mit meinen Eltern, um einiges leichter. Damals fiel eine riesen Last von mir, trotz der Ablenkung konnte ich das natürlich nicht ganz vergessen, jedoch eine Zeit lang verdrängen. Der Alkohol ließ mich total mit meinen Gedanken abschweifen, Mel riss mich in die Realität zurück, denn sie weinte jetzt bitterlich vor mir. Sofort rutschte ich näher an sie heran und nahm sie in den Arm. Mein T-Shirt war mittlerweile an der Stelle, auf die sie ihr Gesicht presste schon ganz warm und feucht. Sie nuschelte ein wenig, weil sie so stark weinte, als sie sagte:,,Es tut mir so leid. Es ist nicht deine Schuld, aber ich kann einfach nicht mal an ihn denken, geschweige denn seinen Namen hören, ohne drauf loszuweinen. Ich bin einfach so eine blöde Kuh, jetzt mach ich auch noch unseren Abend kaputt und dabei ist der doch so lustig verlaufen." Sie war ziemlich aufgebracht, der Alkohol trug nur noch mehr dazu bei und verstärkte ihr Gefühlschaos. ,,Ach Mel, du musst dich für nichts entschuldigen, hörst du? Alles halb so wild, der Abend kann doch immer noch weitergehen, wenn du willst." Doch sie war zu abgelenkt. Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so schlimm war und sie sich so unglücklich verliebt hatte. ,,Mich will er nicht, obwohl wir immer so viel zusammen unternommen haben und wir über alles redeten, weißt du. Und und...ich sehe doch eigentlich auch überdurchschnittlich gut aus oder? Na gut ich hätte gerne vollere Lippen so wie du, aber meine sind doch auch in Ordnung und vorallem kommt es doch nicht nur aufs Aussehen an hab ich recht? Ich würde gerne wissen wie diese Isabelle aussieht, hat bestimmt riesen Möpse und lange, dunkle Haare und mega volle Lippen. Vielleicht hat sie die ja sogar aufgespritzt", damit heulte sie noch mehr. ,,Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass Blue auf sowas steht. Nein...ich bin mir eigentlich ziemlich sicher. Jetzt zieh dich nicht selbst so runter. Du siehst wunderschön aus und diese Isabelle kann dir wahrscheinlich nicht mal das Wasser reichen." Mel hörte abrupt auf zu weinen, löste sich mit einer raschen Bewegung von mir und schaute mir direkt in die Augen. ,,Ich sag dir was wir machen. Wir sehen uns diese Tussi an...jetzt. Blue ist doch jedes Wochenende im Zouk unterwegs, du weißt schon, diese alte Lagerhalle. Er wollte Isabelle doch wieder sehen und die beiden sind bestimmt auch gerade dort. Wir donnern uns so richtig auf, laufen an ihnen vorbei und ignorieren sie richtig." Das war ganz und gar keine gute Idee. Wie kam sie nur darauf, ich wusste dass dieser Einfall nur in einem Desaster enden würde, jedoch konnte man Mel nicht wirklich dagegen reden, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Wenn Mel richtig aufdonnern sagte, dann meinte sie das auch so. Sie war gerade dran mich zu schminken, weil ich ihr nicht genug geschminkt war, als ich ihr berichtete, dass ich fertig sei, räusperte sie sich und sagte:,,Meine Liebe, du siehst aus wie vorher. Wir gehen ins Zouk, da sehen alle mega auffallend aus. Also nochmal ab ins Bad, setz dich auf den Stuhl und ich richte dich her." Ich fühlte die Makeupmasse direkt in meinem Gesicht, doch sie hatte kein Erbarmen, irgenwann beäugte sie mich zufrieden:,,So, mein Meisterwerk ist fertig. Na los, wirf einen Blick in den Spiegel! Sieh dich an und sag ja nicht, dass es dir nicht gefällt." Ich stand von meinem PLatz auf und erkannte mich kaum wieder. Meine Augen waren mit einem hellblauen Lidschatten und schwarzem Kajal umrandet, der meine helle Augenfarbe zur Geltung brachte. Meine Lippen waren in einem rosigen Ton angestrichen, der sich nur ein bisschen von meiner normalen Lippenfarbe abhob. Ich sah ungewohnt aus, aber mir gefiel es, denn sonst schminkte ich mich so gut wie nie oder nur leicht. Es war wirklich ein Meisterwerk, ich könnte das niemals selbst. ,,Es ist wirklich gelungen", Mel sah mich kritisch an. ,,Nein, wirklich. Es gefällt mir echt gut." Ich setzte ein Lächeln auf und sie war beruhigt. ,,Ok, dann machen wir noch deine Haare. Was sagst du zu leichten Wellen?" Aber bevor ich antworten konnte, hatte sie schon den Lockenstab aus der Schublade gekramt. Sie zauberte mir kleine, zarte Löckchen, die sie noch auskämmte, damit es feine Wellen wurden. Nach einer gefühlten Tonne Haarspray war ich, ihre Bastelpuppe, fertig. ,,So, ich mache mich jetzt noch schnell selbst fertig, dann ziehen wir uns noch um und gehen los. Von hier aus ist es nicht weit bis ins Zouk. Nur den Berg runter und dann ein paar hundert Meter bis in die Stadt." Ich wartete derweil in meinem Zimmer, als sie kam sah sie sogar aufgetakelter als ich aus, wenn das überhaupt noch möglich war. Sie hatte einen goldenen Lidschatten und ihre Augen waren noch schwärzer umrandet als meine, aber es passte perfekt zu ihr und wirkte garnicht künstlich. Ihre Lippen waren mit einem Blutroten Lippenstift überzogen und einwandfrei in Szene gesetzt. Ich wusste nicht einmal, dass ich diese ganzen Schminkutensilien noch besaß, vor meinem Umzug benutzte ich diese öfters, jedoch war ich nach dem Tod meiner Eltern nicht mehr dieselbe und mir war egal, wie mich andere sahen. Mel machte sich in der Zwischenzeit an meinem Kleiderschrank zu schaffen und warf ein paar Klamotten heraus, manche musterte sie bloß mit großen Augen, schüttelte den Kopf und warf sie wieder in den Schrank zurück. Bis sie an meine Kiste gelangte, die ich eigentlich nie wieder öffnen wollte. Es war die Schachtel mit meinen alten Sachen, zu der Zeit ging ich noch jedes Wochenende weg und trug noch Kleider und ausgeschnittene Tops. ,,Liv, du hast ja rattenscharfe Sachen versteckt! Wieso ziehst du sowas nie an." Mel war begeistert, für sie war das wie Ostern und Weihnachten zugleich. ,,Ach, das sind die Sachen von damals, bevor ich hierher kam, weißt du." Mel widmete mir einen entsetzten Blick und sah mich mitleidig an:,,Es tut mir ja so leid. Ich wusste nicht..." Ich schnitt ihr das Wort ab, denn ich wollte davon jetzt nichts hören:,,Schon gut. Nicht so schlimm." Sie bemerkte mein Ausweichmanöver, ich war ihr innerlich dankbar dafür, dass sie nicht weiter nachhakte. Mel nahm die Kiste und wollte sie wieder in den Schrank verräumen, doch ich wusste, dass ich sonst keine vorzeigbaren Weggehsachen in ihrem Stil hatte und es waren ja nur Klamotten, also sagte ich zu ihr:,,Nein, lass nur. Such dir was aus, das dir gefällt und wir ziehen uns um." Sie begutachtete mich, ob ich wirklich die Wahrheit sagte. ,,Es ist schon ok, wirklich. Na los, such dir was aus." Als ich beobachtete, was sie herausnahm, hätte ich mir gewünscht, dass ich lieber nicht nachgegeben hätte.
Auf dem Weg zum Zouk, nahmen wir uns noch die Whiskeyflasche mit und tranken den restlichen Alkohol aus. Nun war ich total am Ende und wenn ich Mel so ansah, dann erging es ihr genauso. Die "kurze" Strecke zur Diskothek, erwies sich länger...viel länger, als wir dachten. Vielleicht kam es uns auch nur so vor, denn wir waren mittlerweile sturzbetrunken von dem übergebliebenen Whiskey, der nun leer war. Auch wenn es nur noch ein paar Schlücke waren, war es das absolute Ende. Wenigstens taten mir durch den Alkohol die Beine nicht mehr ganz so weh in den High heels, die Mel für mich aussuchte. Die Dinger bestanden nur aus einer Sohle und hielten meine Füße, nur durch Riemchen und Schnüre, die im Zickzackmuster bis zu den Schienbeinen gebunden waren, darin. Ich spürte ebenfalls keine Kälte mehr und das üble Gefühl im Magen, war wie betäubt, auch wenn ich wusste, dass ich es spätestens Morgen früh wieder haben würde, nur tausend Mal schlimmer. Aber darüber machte ich mir gar keine Gedanken, denn es war mir schlichtweg egal. Ich war richtig in Stimmung und als wir endlich vor dem Zouk waren, artete diese in Partylaune aus. Anscheinend war es schon so spät, dass am Eingang keine Warteschlange war, nur eine Gruppe aus jungen Männern wurde noch von dem Türsteher inspiziert. Als wir uns hinter diesen Typen anstellten, zogen sie uns mit ihren Blicken aus, einer pfiff sogar, als wir näher kamen. Normalerweise fand ich so ein Verhalten nur widerlich, doch der Alkohol tat seinen Rest und ließ mich breit Grinsen. Als die Männer nach dem Eingang im Dunklen verschwanden, rief der letzte, der durch die Türe trat noch zu uns:,,Hey Mädls, wir sehen uns drinnen. Ich geb euch auch einen aus." Mel und ich sahen uns an und kicherten, wie kleine Mädchen. Wir mussten zu meiner Verwunderung nicht mal unseren Ausweis herzeigen und kamen so durch die Kontrolle, aus den Augenwinkel sah ich, dass sogar der Türsteher seinen Kollegen mit dem Ellbogen in die Seite rempelte und und mit seinem Kopf zu uns nickte. So viel Aufmerksamkeit bekam ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr, unser Look musste ziemlich anziehend auf Männer wirken. Ich hatte ein enganliegendes, knielanges, Kleid an, das meine Figur mehr als gewollt betonte. Es war Royalblau, hatte lange Ärmel und einen so tiefen V-Ausschnitt, dass sich die Wöllbungen meiner Brüste ersichtlich waren. An den Hüften war auf beiden Seiten eine Auskerbung, die meine Haut durchblitzen ließ. Vorne, direkt unter meinen Brüsten, war ebenfalls ein rautenförmiger Ausschnitt, der einen Teil von meinem Bauch freilegte. Ich fühlte mich keines Wegs unwohl, sondern mehr selbstsicher und sexy. Mel hatte ein schulterfreies, schwarzes Minikleid an, das ebenfalls lange Ärmel hatte. Ihr Kleid machte seinem Namen alle Ehre, denn der Saum endete bis kurz nach ihrem Gesäß. Mit dem herzförmigen Ausschnitt und ihren freien Schultern, die ihre Schlüsselbeine hervorhoben, wirkte sie ausgesprochen feminin. Dazu hatte sie High heel Sandalen in Rosé-Gold, die treffenderweise in der gleichen Farbe wie ihr Lidschatten waren. Meine Augen mussten sich erstmal an die Dunkelheit gewöhnen, von der ich umgeben war. Nur einzelne Laser warfen bunte Lichter über die Menge. Kaum hatten wir das Zouk betreten, griff Mel nach meiner Hand, sie schrie schon fast, weil die Musik und der Bass gellend laut waren:,,Komm, wir gönnen uns einen Kurzen an der Bar." Ich konnte wirklich nichts mehr trinken, doch mit meiner Feierlaune, ließ ich mich einfach mitziehen. Sie bestellte zweimal Absinth, das war eine grüne Flüssigkeit in einem Schnapsglas, auf dem ein Löffel mit einem Stück Würfelzucker, der in der Flüssigkeit getränkt, positioniert war. Das Zuckerstück wurde angezündet, karamelisierte sich und wurde mit dem Inhalt im Glas verrührt. ,,Auf uns und eine legendäre Nacht." Mel erhob ihr Glas, ich nickte ihr zu und trank die Flüssigkeit in einem Zug leer. Es brannte in meiner Kehle und ich musste stark husten. Mel kriegte sich gar nicht mehr ein vor Lachen und grinste mich breit an. Ich erregte mit meinem Hustenanfall so ein Aufsehen an der Bar, dass uns alle anstarrten, auch Blue, der ebenfalls ein paar Meter weiter, an der Bar lehnend, stand. Vor ihm tänzelte, ich nehme an, dass das Isabelle war, herum. Statt einfach wegzusehen, riss ich die Augen auf und Mel folgte meinen Blick. Ihre und Blue`s Augen trafen sich und Isabelle schaute, nun da ihr seine Aufmerksamkeit nicht mehr galt, ebenfalls in unsere Richtung. Isabelle hatte lange, dunkle Haare, die ihr bis zum Po reichten. Diese waren glatt und dicht, sie glänzten in dem künstlichen Licht, wenn sie ihre Mähne beim Tanzen hin und her schwang. Das Mädchen hatte einen derart kurzen Jeansrock mit Fransen an, dass ich dachte man würde gleich ihren Po sehen. Sie trug ein bauchfreies Top, das ihr Nabelpiercing im Licht blinken ließ. Das Oberteil war von hinten nach vorne zusammengebunden und wurde nur von einem Doppelknoten gehalten. Dieses Outfit zeigte so viel Haut, die sich sehen lassen konnte, denn Isabelle hatte eine makellose Figur und leichte Bauchmuskeln und trainierte, braun gebrannte Beine, die mich ahnen ließen, dass sie bestimmt viel Sport machte. Sie merkte genau, dass wir Blue anstarrten und tanzte jetzt noch enger um ihn, nahm seine Hand und legte sich diese selbst an den Oberschenkel. Mel`s Eifersucht war nun bestätigt, denn Blue machte keine Anstalten sie zu berühren, seine Hand wanderte an ihrem Schenkel auf und ab und Isabelle grinste zu uns herüber. Sie drehte Blue`s Kopf zu ihr, dass er sie direkt ansehen musste, streckte sich zu ihm hinauf und küsste ihn. Das war zu viel für Melody, sie fuchtelte wild mit ihren Händen und brüllte mir zu:,,Das reicht! Hast du gesehen, was diese Schlampe mit ihm macht? Und er hat uns einfach ignoriert, so als würden wir uns nicht mal kennen. Es juckt ihn nicht die Bohne, dass wir hier so aufgetakelt stehen. Mistkerl!" Ich wusste nicht was ich sagen sollte, deshalb nickte ich nur zustimmend. Eigentlich hatte Blue ja jedes Recht, mit einer anderen zu knutschen. Er wusste nicht mal von Mel`s Gefühlen für ihn, aber sie hatte auf jeden Fall damit Recht, dass es so nicht ging, dass er uns ignorierte. Jedoch kam es auch nicht gut andere Mädchen zu grüßen und anzulächeln, wenn er gerade sein Date im Arm hatte. Ich war zwischen die Fronten geraten. Ich wollte für meine beste Freundin da sein, die unglücklich verliebt war in unseren gemeinsamen Kumpel, jedoch kannte ich Blue auch schon lange und er war mir immer ein guter Freund gewesen. Ich verstand seine Reaktion genauso wie die von Mel, deshalb konnte ich keine Partei ergreifen. Eigentlich hatte ich erwartet, dass Mel wieder weinen würde, doch ihr Temperament war jetzt erst Recht entfacht. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menge und ich ahnte schlimmes. Bevor ich verstand, was sie vorhatte und sie aufhalten wollte, war sie schon zu weit vorne, sodass ich sie nicht mehr zu greifen bekam. Ich eilte ihr hinterher und versuchte ihrem Vorhaben ein Ende zu bereiten, um für alle Beteiligten eine Demütigung zu ersparen, doch sie war schon bei Isabelle angelangt. Voller Euphorie packte sie Isabelle an ihren langen Schopf und riss sie von Blue weg, dieser realisierte vorerst gar nicht was überhaupt passierte, denn es ging alles so schnell. Mel schrie Isabelle an:,,Was fällt dir eigentlich ein. Lass die Finger von ihm, klar!" Erst jetzt erkannte Blue den Auslöser für den schnellen Abbruch der Knutscherei und packte Mel an den Handgelenken:,,Was ist denn nur in dich gefahren? Hör sofort auf damit und lass sie los. Du spinnst doch!" Mel ließ von Isabelle ab und stand direkt vor Blue, der immer noch ihre Hände umfasste. Ich kam derzeit endlich im Gedränge voran, die das Schauspiel mitverfolgte, das sich gerade vor ihnen abspielte. Isabelle warf mir einen erbosten Blick zu, doch ich wusste in dieser Situation nicht zu helfen. Ich wollte sie beruhigen, nicht dass sie noch auf Mel losging, jedoch griff sie nach dem Glas Wasser, wie ich der Flasche nach urteilte und schüttete es Blue ins Gesicht. Sie rief ihm noch zu:,,Hast du mit der auch was ja? Du Schwein! Du siehst mich nie wieder. Bleib mir bloß fern." Damit drehte sie sich um und verschwand in der Menge. ,,Siehst du was du angerichtet hast?" Jetzt war auch Blue ungehalten und warf heftig schimpfend um sich:,,Du wirst das wieder in Ordnung bringen hörst du mich? Und du...", sein Blick galt nun mir und er sprach mich direkt an:,,...wieso hast du sie nicht zurückgehalten? Wolltet ihr mir beide die Tour versauen oder was? Ich versteh die Welt nicht mehr." Ich stand nur sprachlos da und wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Natürlich hätte ich ihm mit Isabelle das Glück gewünscht, aber auf der anderen Seite war da noch meine beste Freundin, die das mit ansehen musste. Ich stand wieder zwischen den Fronten, an denen jetzt ein erbitterter Kampf herrschte. Mel setzte erneut an und ich befürchtete einen Zusammenbruch, denn was Blue ihr alles an den Kopf geworfen hatte, konnte sie nicht mehr verdauen und ließ ihren Gefühlen freien Lauf. ,,Ich liebe dich verdammt nochmal. Das ist los!" Ich sah wie alles Farbe aus Blue`s Gesicht wich. Er war schockiert, nein völlig neben der Spur. Seine Kinnlade klappte herunter und er starrte Mel mit aufgerissenen Augen an. Nachdem er seine Fassung wieder einigermaßen zurück gewann, fuhr er sich durch die Haare und versuchte irgendetwas zu sagen:,,Ehm...ich..." Doch Mel wollte nichts zuhören, nachdem sie ihre Gefühle jetzt offenbart hatte, flüchtete sie durch die Diskothek. Ich wusste nicht was ich sonst machen sollte, also rannte ich ihr, so gut es ging, einfach hinterher durch die Menschenmenge. Manche Leute waren ziemlich verärgert darüber und rempelten uns mit ihren Ellbogen oder riefen uns unfreundliche Beschimpfungen hinterher. Auf einem Parkplatz direkt neben dem Zouk, machte sie schließlich halt, ich war völlig aus der Puste und kam kaum zu Atem:,,Mel...wieso...hast...du...es ihm gesagt?" Mel rieb sich die Augen und fing nun zu weinen an. ,,Ich weiß es auch nicht. Der Alkohol hat mich total aus der Bahn geworfen und ich wollte das ja alles nicht. Außer diese Bitch von ihm wegzukriegen...das war mein Absicht, aber doch nie, dass er die Wahrheit über meine Gefühle erfährt." Ich konnte ihr in dieser Situation keinen Rat geben, denn ich war selbst überfordert und hatte keinen Einfall, die Sache wieder geradezubriegen, deshalb sagte ich einfach, was ich dachte:,,Wenigstens ist es jetzt raus und du musst dich vor nichts mehr rechtfertigen oder verstecken ok?" Aber sie brüllte mich nur frustriert an:,,Ach Liv, du hast ja keine Ahnung! Er hätte es nie wissen dürfen und es ist ein Desaster, also komm mir nicht mit solchen Klugscheißer Sprüchen wie "es wird alles wieder gut"...es nervt nämlich!" Ich musste erstmal schlucken und ihre Worte auf mich wirken lassen. Es war bestimmt nur der Alkohol und der Vorfall vorhin im Club, dass sie so erbost war. Natürlich nahm sie das alles ziemlich mit, aber deswegen musste sie mich nicht auch noch so zusammenstauchen. Ich wollte trotzdem nicht mit ihr streiten und nahm sie einfach in den Arm. Sie ließ es über sich ergehen und hielt mich fest gedrückt. Jetzt kam alles zum Vorschein und sie schluchzte und weinte so heftig, dass ich dachte sie bekommt keine Luft mehr. Plötzlich tauchte Blue aus dem Schatten auf und kam auf uns zu. ,,Mel, es tut mir leid ich wusste nicht...nicht was ich sagen sollte." Er raufte sich die Haare, Mel drehte sich zu ihm um und sah ihm direkt in die Augen:,,Ich weiß nicht was du meinst." Ich konnte seinen Blick nicht deuten:,,Was? Du hast mir gerade gestanden, dass du Gefühle für mich hast? Was soll das denn jetzt?" Ihre Miene war kalt und unergründlich:,,Ach, das hab ich doch nur so gesagt. Mich hat nur dieses Arrogante an der Tussi aufgeregt." Jetzt war auch ich baff. Wieso zog sie ihre Aussage zurück? Ich sah zu Blue und er erwiderte meinen Blick hilflos, doch ich konnte ihm auch nicht weiterhelfen, denn ich verstand meine beste Freundin ebenfalls nicht mehr. Nun wurde Blue richtig wütend:,,Du machst einen riesen Aufstand und treibst mich zur Weißglut, nur weil du Isabelle arrogant findest?" Mel`s Gesicht machte keine Regung:,,Ja...du hast es erfasst." Blue tat mir im Augenblick so leid, aber ich durfte mich nicht einmischen, deshalb wollte ich zwischen den beiden vermitteln und sagte unparteiisch:,,Wir sollten jetzt alle nach Hause gehen und eine Nacht darüber schlafen ok? Ich meine, wir sind doch alle ziemlich kaputt von dieser Nacht." Blue sah mich aus zusammengekniffenen Augen an:,,Natürlich helft ihr zusammen und mich lasst ihr stehen wie einen Vollidioten." Ich hob abwehrend die Hände:,,Nein, so war das nicht gemeint. Ich dachte doch nur, dass wir..." Doch Mel fiel mir ins Wort:,,Schrei sie nicht so an. Sie wollte doch nur helfen verdammt." Er schaute uns beide mit angewidertem Blick an, den ich noch nie bei ihm gesehen habe und sagte zähneknirschend:,,Wisst ihr was...unsere Freundschaft ist somit beendet. Ich lass mich doch nicht verarschen. Ich hau jetzt ab. Fuck off." Er ging schnellen Schrittes, die Hände in den Hosentaschen und den Kopf gesenkt, davon. Ich fühlte mich wie das Letzte, doch ich hatte auch die Pflicht meiner besten Freundin beizustehen, die wie aufgelöst vor mir stand. ,,Wir kriegen das wieder hin. Du wirst sehen, es wird sich alles wieder einrenken..." hoffte ich zumindest. Sie sah mich eindringlich an:,,Nein Liv. Das war`s!"
Arm in Arm schlenderten wir wieder zurück in den Club. Ich wartete an der Bar, Mel machte sich derweil kurz auf der Toilette frisch. Auf einmal kamen zwei von den Typen, die ich vom Eingang wiedererkannte. ,,Ich wollte dir doch noch einen ausgeben. Wo ist denn deine Freundin?" Eigentlich war meine Laune in Keller, doch ich wollte nicht unhöflich sein und seine Einladung ausschlagen. Also setzte ich ein charmantes Lächeln auf und erwiderte:,,Die kommt gleich wieder. Na, da sag ich nicht nein. Ich heiße übrigens Liv." Ich reichte ihm die Hand, er ergriff diese und gab mir einen Kuss auf den Handrücken. Von dieser Geste musste ich grinsen und er ebenfalls. ,,Ich bin Silas und das hier..." er deutete auf seinen Freund hinter sich:,,...ist Lucas. Freut mich dich kennenzulernen." Der andere Typ nickte nur gelangweilt in meine Richtung. Ich schenkte meine Aufmerksamkeit wieder Silas, legte den Kopf leicht schräg und antwortete:,,Dito." Ich hab es gar nicht mitbekommen, doch plötzlich stand Mel hinter mir und grinste breit, wie wenn in der letzten Stunde nichts dergleichen passiert wäre. ,,Hey, moment mal. Ich kenn euch doch irgendwoher. Ja...jetzt fällts mir wieder ein, ihr seit die Typen vom Eingang. Hi, ich bin Melody." Es sah ganz so aus als hätte sie es auf Silas abgesehen und setzte das bezauberndste Lächeln für ihn auf, das er natürlich auch erwiderte. ,,Nun sind wir ja alle vollzählig oder kommen noch so hübsche Damen wie ihr?" Mel und ich lachten im Chor. Er bestellte vier Wodka Lemon und erhob sein Glas:,,Auf eine zufällige Bekanntschaft und was der Abend noch so bringen möge." Dabei sah er mich eindringlich an, was mir Bestätigung gab. Wir tranken noch ein paar Runden und ich war mittlerweile bereit zu allem. Der Alkohol machte sich zeigbar und breitete sich unangenehm in der Magengegend aus. Mel warf sich ungeniert die ganze Zeit an Silas, berührte ihn mit ihren Händen an den Oberarmen, jedoch nur durch sein dunkles, lamgärmliges Sweatshirt oder fuhr ihm mit einem Finger über den Rücken. Ich war immer wieder baff, wie direkt sie sein konnte. Sein Freund Lucas war gelangweilter als zuvor, hatte ich das Gefühl, denn aus dem angefangenen Smalltalk, gab er jetzt nur noch ein "mhm" oder "ok" zurück. Vielleicht war er einfach nur noch fertig vom Alkohol. Aus meiner anfänglichen Partylaune, war ebenfalls nicht mehr viel übrig und das flaue Gefühl in meinem Magen, wurde mit jeder Minute schlimmer. Silas löste sich irgendwann freundlich aus Mel`s Umklammerung, diese bekam allen Anschein nach nicht mehr viel mit und tanzte eng umschlungen mit einem Typen, den sie vor ein paar Sekunden kennengelernt haben musste. Ich kannte sie zu gut und wusste, dass sie sich nur ablenken wollte und auch wenn es nicht funktionieren würde, denn man kann Gefühle nicht einfach abschalten, gönnte ich ihr die Pause von dem Drama mit Roar und hielt sie nicht davon ab. Ein Typ, der neben mir an der Bar aufgetaucht war, beobachtete mich aufmerksam und bemerkte anscheinend meinen schlimmer werdenden Zustand. Er rutschte näher zu mir heran, es kitzelte in meinem Ohr, denn ich spürte seinem Atem als er sagte:,,Du siehst nicht gut aus...soll ich dich nach Hause bringen?" Ich hielt in meinem Schwindel nach Mel ausschau, doch diese tanzte vergnügt mit ihrer "Ablenkung". Ich konnte nicht mehr klar sprechen und nuschelte:,,Muss meiner Freundin Bescheid sagen...Bett...mir ist schwindlig." Er hielt mir seinen Arm entgegen, um mich zu stützen, jedoch rutschte ich so ungeschickt vom Barhocker und fiel ihm entgegen. Er gab mir halt und zog mich zu sich nach oben, so dass unsere Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. ,,Ich sag ihr Bescheid und dann begleite ich dich nach Hause." Seine Kiefermuskeln spannten sich an und ich spürte seinen leicht nach Alkohol riechenden Atem an meinen Lippen, doch es war nicht unangenehm, im Gegenteil, er roch süßlich und verleitete mich ihn jetzt sofort zu küssen. Ich ließ es jedoch bleiben, denn ich war zu fertig. Unter anderem drang mein Unterbewusstsein leicht an die Oberfläche und erinnerte mich daran, dass das nicht ich war. Die nüchterne Liv würde nie einfach so einen Typen küssen, denn sie zufällig in einer Disco getroffen hat und erst ein paar Sätze mit diesem gewechselt hatte, auch wenn ich mich zu ihm unerklärlicherweise hingezogen fühlte. Ich verwarf den Gedanken, denn mein schmerzender Magen riss mich zurück in die Gegenwart. Ich wollte eigentlich lieber ein Taxi nehmen und gemeinsam mit Mel nach Hause fahren, die wieder ganz fit zu sein schien. Der Typ von der Bar, wand sich elegant durch die tanzende Menge zu Mel und redete kurz mit ihr. Sie gestikulierten in meine Richtung, was mir zu verstehen gab, dass er ihr gerade sagte, dass er mich nach Hause bringen wird. Ich wollte eigentlich etwas dagegen einwenden mit ihm und ohne Mel zu gehen, doch ich war zu müde. Als er zu mir zurück kam, legte er einen Arm um meine Hüfte und stützte mich bis zum Ausgang. Erst jetzt fiel mir auf, dass wir alleine waren. Silas und Lucas waren anscheinend zurückgeblieben und wir standen nun zu zweit in der Kälte vorm Zouk. ,,Ich bin übrigens Tyler." Er reichte mir seine schwarze Lederjacke, die er plötzlich in seiner Hand hielt. Wo hatte er diese auf einmal her, dachte ich? Ich hörte irgendwen meinen Namen rufen und sah eine Gestalt näher kommen. ,,Liv, wo ist Mel?" Als er fast vor mir stand, sah ich, dass es sich um Blue handelte. Seine blaue Strähne stach mir sofort ins Auge. Tyler, der mich fest im Arm hielt, stellte sich schützend vor mich, doch ich schob ihn leicht beiseite, um damit zu sagen:,,Ist ok, ich kenne ihn." Ich registrierte Blue`s Frage erst, als er sie wiederholte und antwortete ihm:,,Sie ist noch drinnen mit irgendeinem Typen." Er war aufgewühlt und raufte sich die Haare. ,,Liv, du musst mir jetzt die Wahrheit sagen. Stimmt es...ist Mel verliebt in mich?" Ich dachte ein paar Sekunden darüber nach, was ich ihm darauf antworten sollte, denn ich wollte ihn auch unter keinen Umständen anlügen. Er wartete nicht einmal meine Antwort ab und sagte einfach:,,Das genügt mir..." Ich verstand nicht, was er damit meinte, doch bevor ich nachfragen konnte, war er schon beim Eingang im Zouk. Ich wollte ein weiteres Drama verhindern, doch ich war einfach zu kaputt vom Alkohol und der langen Nacht. Diesmal müssten sie es selbst unter sich klären und ich sagte zu Tyler:,,Bringst du mich jetzt bitte nach Hause." Er schenkte mir ein warmherziges Lächeln, zog mich enger zu sich und fragte:,,Wo musst du denn hin?" Ich erklärte ihm, so gut es ging in meinem Zustand, den Weg. Mein Unterbewusstsein sollte mich eigentlich vor solchen Momenten warnen, mit einem Fremden, nach einer Partynacht mitzugehen, jedoch war es mucksmäuschenstill. Ich fühlte mich einfach wohl bei ihm, auch wenn ich ihn erst ein paar Minuten kannte. Es herrschte angenehme Stille, die ich nutzte, ihn unauffällig im Schein der Straßenlampen, an denen wir vorbeikamen, zu begutachten. Er hatte dunkle, fast schwarze Haare, seine Augen waren so blau wie der Ozean, umrandet von langen, dichten Wimpern, sein Körper war athletisch gebaut und seine Gesichtszüge waren sehr hart durch seine Wangenknochen, jedoch wurden sie weicher, wenn er mich anlächelte. Er bemerkte anscheinend, dass ich ihn anstarrte und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, sodass ich lachen musste. ,,Jetzt siehst du aus wie ein Serienkiller", auf meine Aussage musste er selbst lachen und blieb plötzlich stehen. Wir waren nicht mehr weit von meinem Zuhause entfernt, es wären nur noch fünzig Meter, also weshalb blieb er stehen. Das Lachen verschwand auf seinem Gesicht und ich verstummte ebenfalls. ,,Liv, ich will ehrlich zu dir sein. Als ich dich an der Bar angeredet habe, war das kein Zufall. Mir hat es nicht gefallen, wie Silas mit dir geflirtet hat...", ich wand mich aus aller Kraft, die ich noch hatte, aus seinem Arm, doch er hielt mich zurück und redete weiter:,,Liv, bitte lass mich ausreden...es ist nicht so wie du denkst." Ich hielt inne und starrte ihn finster an. ,,Also, was ich sagen wollte...Ich habe das Bedürfnis, dich einfach zu beschützen. Vorallem als Silas in deiner Nähe war... Du hast irgendetwas an dir, das mich ziemlich aus der Bahn geworfen hat, bitte versteh mich nicht falsch...Ich habe nicht solche Absichten. Ich würde gerne...nein ich...wollte dich fragen, ob...Ach, scheiß drauf..." Er kam so schnell auf mich zu und meine Reaktion war durch den Alkohol ziemlich geschwächt, dass alles so schnell ging. Er legte beide Hände um mein Gesicht und presste seine Lippen auf meine. Der Kuss war wild und drängend, doch er hatte trotzdem etwas sanftes an sich. So eilig er das machte, so schnell ließ er auch wieder von mir ab und ging ein paar Schritte zurück. Er raufte sich mit beiden Händen die Haare:,,Oh mist. Ich bin ein Idiot. Es tut mir so leid." Ich war eigentlich ziemlich überwältigt von seiner Wärme und es kribbelte so heftig in meinem Bauch, dass ich mehr wollte. Ich wollte ihn...jetzt. Soetwas hatte ich mich noch nie getraut, aber der Alkohol in mir, ließ mich meine Scham überbrücken und ich konnte meine Gedanken in die Realität umsetzen. Ich stürmte auf ihn zu und ließ mich in seine Arme fallen, denn ich hatte nicht mit dem Schwindelgefühl gerechnet, das eintrat, als ich mich so schnell in Bewegung setzte. Mit einer Hand packte ich sein T-Shirt am Kragen, zog ihn herunter zu meinem Gesicht und küsste ihn so leidenschaftlich, wie ich noch nie zuvor jemanden geküsst hatte. Ich wollte nie wieder damit aufhören ihn zu küssen, seine vollen Lippen zu schmecken und seinen Geruch einzuatmen. Meine zweite Hand wanderte von seiner Hüfte zu seinem Nacken. Ich zog leicht an seinen Haarspitzen, seine Zunge wurde fordernder und er presste seinen Körper fest gegen meinen. Seine Hand glitt meinen Rücken nach unten und verharrte dort. Er löste sich mit einem Ruck von mir, ich musste erst wieder zu Atem kommen und schnappte nach Luft. ,,Wir dürfen nicht. Tut mir leid, es war meine Schuld. Komm ich bring dich noch zur Tür." Ich wusste erst garnicht wo mir der Kopf stand. Er wich so schnell von mir zurück, dass plötzlich ein Schwindelgefühl eintrat und mich schwanken ließ, doch Tyler war gleich an meiner Seite und stützte mich:,,Alles ok?" Ich sah ihn eindringlich an, war es das? Ich fühlte mich deprimiert und zurückgewiesen zugleich. Vielleicht hatte ich etwas falsch gemacht oder war zu drängend. Wollte er plötzlich doch nur seinen Spaß? Ich wollte ihn das alles fragen und den Grund dafür wissen. Der Kuss war so atemberaubend...jedenfalls für mich, doch ich nickte nur und wich seinem Blick aus. Vor der Türe angekommen, holte ich mit zittrigen Händen den Schlüssel aus der goldenen Clutch. Ich hörte das Schloss klicken und öffnete die Tür einen Spalt breit, bevor ich hineinging, drehte ich mich jedoch nochmal zu Tyler um, der mit seinen Händen in den Hosentaschen vor mir stand. Keiner von uns wusste recht, was er sagen sollte, deshalb machte ich den Anfang:,,Danke, dass du mich gebracht hast. Es war noch ein schöner Abend mit dir." Bei den letzten Worten, drehte er seinen Kopf zur Seite und ließ seinen Blick über den, in dunkel getauchten, Garten schweifen. Seine Gesichtszüge wirkten nun wieder hart und er erwiderte beiläufig:,,Schon gut. Ich geh dann jetzt mal." Ich wollte ihn nicht so davongehen lassen, so abweisend und kalt, also fügte ich hinzu:,,Gute Nacht. Schlaf gut." Nun sah er mir direkt in die Augen und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel als er sagte:,,Träum schön."
Als ich die Tür hinter mir schloss fiel mir plötzlich auf, dass ich nichts über Tyler wusste. Weder seinen Nachnamen, noch seinen Wohnort. Ich hatte nicht einmal seine Handynummer. Nein, ich konnte diesen Kerl nicht einfach vergessen, auch wenn er zum Schluss ziemlich abweisend war und ich nicht wusste weshalb so plötzlich, konnte und wollte ich ihn nicht einfach so gehen lassen. Mir kam sein Lächeln in den Sinn, als er mir schöne Träume gewünscht hat. Mir war zwar nicht klar, warum er das tat und auf einmal wieder lächelte, doch ich wusste, dass ich ihn unbedingt wieder sehen musste. Unser Gespräch fiel mir wieder ein, ich machte mir keine Gedanken darüber, woher er Silas kannte und wieso die Begegnung an der Bar kein Zufall war. Ich war so berauscht von dem Kuss, dass ich über diese Informationen garnicht nachdachte. Ich brauchte Antworten auf diese Fragen, deshalb zog ich mit einer Bewegung die Tür wieder auf, doch zu meinem bedauern starrte ich ins Leere. Er war schon weg. Ich blieb noch eine Zeit lang so stehen, in der Hoffnung er würde plötzlich nochmal zurückkommen, was natürlich lächerlich war. Ich gestand mir selbst ein, dass ich verwirrt war und einfach zu viel getrunken hatte. Mit einem flauen Gefühl im Magen, einerseits wegen dem Alkohol, andererseits wegen Tyler, legte ich mich in mein Bett und schlief sofort ein.
Ich blinzelte ein paar mal, um wach zu werden und meine Umgebung wahrzunehmen. Ich war in meinem Bett, eingekleidet in die Klamotten von gestern und einer schwarzen Lederjacke. Moment mal, ich hatte doch garkeine Jacke mitgenommen. Plötzlich kam mir vergangene Nacht wieder in den Sinn und... Tyler! Die Jacke war von ihm. Es lief vor meinen Augen ab wie ein Film. Der Mädlsabend, dann der Streit mit Blue und Mel, der Flirt mit Silas, ich lerne Tyler kennen, der mich nach Hause brachte und... röte stieg mir ins Gesicht, wir hatten uns heftig geküsst. Mit den Erinnerungen von letzter Nacht, machte sich auch die Übelkeit vom Alkohol bemerkbar. Ich beschloss daher aufzustehen, mir die Zähne zu putzen und mich frisch zu machen. Eine Dusche würde mir bestimmt gut tun. Beim Aufstehen fuhr mir ein stechender Schmerz durch den Kopf. Ich fasste mir an die Stirn und wankte, dass ich fast das Gleichgewicht verlor. Mir ging es noch schlechter als befürchtet, mein Körper rächte sich für vergangene Nacht, den Alkohol, den hohen Schuhen und der Kälte, indem meine Beine schmerzten und mich ein heißes Gefühl am Kopf, wie Fieber, umgab. Oh nein, ich würde doch nicht noch eine Woche vor den Ferien krank werden. Ich hing die Lederjacke von Tyler, in der ich immer noch eingewickelt war, an die Stuhllehne, schälte mich aus dem engen Kleid und sprang unter die Dusche. Nachdem das warme Wasser auf meinen Körper herab prasselte, fühlte ich mich um einiges besser, doch die Übelkeit war noch präsent wie zuvor. Ich holte wahllos frische Sachen aus meinen Kleiderschrank, schlüpfte schnell in diese hinein und ging in die Küche. Dort traf ich auf Amelia, die gerade Geschirr abgspülte. Eigentlich wollte ich ihr heute aus dem Weg gehen, denn ich hatte ihr erneut nicht Bescheid gegeben, dass ich noch mit Mel wegging und mit einem heftigen Kater erst in den frühen Morgenstunden nach Hause kam. Als ich sie sah, wollte ich auf Zehenspitzen wieder kehrt machen und in meinem Zimmer warten, bis die Luft rein war und Amelia sich im Garten beschäftigte, doch sie hatte mich natürlich schon kommen hören. ,,Guten Morgen, wie war den der Abend noch Madam?" Sie richtete den Blick starr auf das Spülbecken und würdigte mich keines Blickes. ,,Wir sind noch im Zouk gewesen und haben ein bisschen was getrunken." Sie spülte weiter ab ohne hochzusehen:,,Ein bisschen was?" Wut brodelte in mir und ich schleuderte diese meiner Tante gereizt entgegen:,,Ok, ich hätte dir Bescheid geben sollen, ja, aber du warst schon im Bett und hast geschlafen und wir haben viel getrunken, aber die Strafe dafür bekomme ich doch sowieso von dem Kater. Ich bin kein Kind mehr, auch wenn du denkst, dass du mich so behandeln musst. Ich denke, dass ich selbst entscheiden kann, ob ich Samstagnacht noch weggehe und wie viel ich trinke." Nun sah sie endlich auf und sie war stinksauer, was ich ihrem Blick entnahm:,,Wenn du so erwachsen bist wie du tust, dann müsstest du erkennen, dass man sich als Frau nicht so gehen lässt und trinkt, bis zum umfallen. Du hast nächste Woche noch Schule und es interessiert mich nicht, ob du krank wirst. Ich sage dir, du wirst diese letzte Schulwoche vor den Ferien durchhalten...egal wie." Damit verschwand sie in den Garten. Ich blieb wie angewurzelt stehen und musste das Gespräch zwischen mir und meiner Tante erstmal verdauen. Sie meinte es nur gut und wusste nicht mit der Situation umzugehen. Ich war eigentlich immer sehr zuverlässig, aber ich bin nun älter und man probiert aus. Meine Tante wollte als Vormund ihr bestes geben und meine leiblichen Eltern so gut es ging vertreten seit ich nach dessen Unfall bei ihr wohnte und sie das Sorgerecht hatte. Mich überkamen Schuldgefühle, weil ich sie so angefahren habe. Ich nahm mir deshalb vor, mich später bei ihr zu entschuldigen. Aus dem Kühlschrank holte ich Wasser und nahm eine Kopfschmerztablette in der Hoffnung, dass diese mir meine Qualen erleichtern würde. Ich wusste nichts mit mir anzufangen, normalerweise verbrachte ich die Sonntage immer mit Amelia im Garten, aber nach dem Streit in der Küche, konnte ich diese Option vergessen. Somit beschloss ich in mein Zimmer zu gehen und Mel anzurufen. Nach der Sache mit Tyler hatte ich sie total vergessen. Ich wählte ihre Nummer und drücke auf die grüne Taste am Display. Erst nach öfterem leuten, ging sie endlich ran. ,,Ja?" Hat sie meine Nummer auf ihrem Display nicht gesehen, dass ich es war, die sie anrief? ,,Hey Mel, wie gehts dir? Ich bin`s Liv." Sie antwortete müde:,,Oh Liv, sorry. Ich bin noch so müde. Mir ist schlecht, aber ansonsten ganz gut." Mir kam alles ein bisschen komisch vor:,,Ist wirklich alles ok mit dir? Wie kannst du noch müde sein, es ist schon so spät am Nachmittag." Sie flüsterte:,,Ach ka. Hör mal Liv. Sei mir bitte nicht böse, aber ich muss jetzt auflegen. Ich ruf dich später zurück." Nach diesen Worten hatte sie auch schon aufgelegt und die Leitung war tot. Ich verstand überhaupt nichts mehr, was war denn nur los mit allen. Ich wollte es mir gerade auf der olivgrünen Couch bequem machen, als mein Handy klingelte. Mühsam stand ich auf und schlenderte zum Bett, auf dem ich es liegen lassen hatte. Mel`s Name stand auf dem Display. Ich ging ran und konnte nicht einmal ein Wort sagen, weil sie bereits zu sprechen begann:,,Liv, hast du Zeit? Kann ich bitte vorbeikommen?" Ich war verdutzt:,,Ja klar, hab eh gerade nichts zutun." Es hörte sich an, als würde Mel gerade am anderen Ende der Leitung auf der Straße laufen, denn sie atmete heftig, als sie sagte:,,Ok super! Dann bis gleich." Diesmal ließ ich sie nicht so einfach davonkommen und wurde etwas lauter:,,Sag mal gehts dir gut?" Doch sie antwortete nur mit:,,Klar" und legte mir erneut auf. Eine viertel Stunde später klingelte es an der Tür. Ich eilte die Treppe hinunter und öffnete diese. Mel stand vor mir, ich musterte sie von oben bis unten und war perplex. Sie hatte noch ihr Outfit von gestern, genauso wie wir das Haus verließen, an. Bevor ich fragen stellen konnte, packte sie mich an meinen Arm und zog mich hinter sich mit, nach oben in mein Zimmer. Sie knallte die Tür zu und sagte in einem Befehlston:,,Setz dich." Ich tat wie mir geheißen und sie begann zu erzählen:,,Also wie du siehst...hab ich heute Nacht nicht Zuhause geschlafen. Gleich vorweg, also falls jemand fragen sollte, ich war bei dir verstanden?" Ich nickte und jetzt konnte ich es nicht mehr zurückhalten:,,Warst du etwa bei dem fremden Typen mit dem du letzte Nacht auf einmal getanzt hast? Aber Mel...du kannst doch nicht einfach mit einem Fremden mitge..." Sie schnitt mir das Wort ab:,,Ich hab mit Blue geschlafen." Mir klappte die Kinnlade herunter. ,,Letzte Nacht war ich bei ihm und von dort komm ich auch gerade her, deshalb hab ich mein Kleid von gestern noch an, wie du ja schon bemerkt haben wirst." Ich wusste nicht was ich darauf sagen sollte. Mein noch angeschlagener Magen musste diese Info erst einmal verdauen. Ich schluckte und sagte:,,Ok...ok. Wie dass den auf einmal?" Sie ging auf und ab in meinem Zimmer und warf sich schließlich rücklings auf mein Bett. ,,Er kam nochmal ins Zouk zurück und hat gesehen wie ich gerade mit einem anderen getanzt hab." Mir fiel ein, dass ich Blue draußen getroffen hatte:,,Ich habe Blue draußen noch getroffen. Er hat nach dir gefragt und ob es wahr ist, dass du in ihn verliebt bist. Ich hab nichts darauf geantwortet und er sagte das genüge ihm und ist anscheinend dann zu dir." Sie setzte sich auf und ihr Blick durchbohrte mich:,,Also warst du draußen, als er kurz darauf zu mir ins Zouk ist?" Ich starrte sie verwirrt an:,,Klar, Tyler hat dir doch Bescheid gegeben, dass er mich nach Hause bringt." Mein Magen zog sich unangenehm zusammen, als ich seinen Namen aussprach. Mel runzelte die Stirn:,,Moment mal, du bist einfach verschwunden, ohne mir ein Wort zu sagen und welcher Tyler?" Mir war klar, dass Mel ebenfalls gestern viel getrunken hat:,,Hast du das schon vergessen? Ihr habt beide in meine Richtung geschaut, als er dir erklärt hat, dass er mich nach Hause begleiten wird." Sie sah mich eindringlich an:,,Nein. Liv, da war niemand bei dir. Ich hab dich an der Bar sitzen sehen und dann warst du auf einmal weg. Ich wollte dich suchen, aber dann hat mich Blue überrascht, als er plötzlich neben mir stand." Etwas wütender als geplant fuhr ich sie an:,,Ich war aber nicht alleine. Blue natürlich...er hat Tyler draußen auch gesehen, als er nach dir fragte." ,,Wie auch immer...und wer ist Tyler und er hat dich nach Hause gebracht?" Sie hob die Augenbrauen und warf mir ein verschmitztes Lächeln zu. Meine Laune änderte sich schlagartig. Ich wollte ihr von Tyler und dem Kuss zwischen uns erzählen, doch dann musste ich ihr auch von dem abrupten Ende berichten und nochmal die Bilder vor meinem geistigen Auge ablaufen lassen, wie weh mir seine Zurückweisung getan hat...das wollte ich mir ersparen. Deshalb sagte ich nur:,,Er war höflich und nett und ja er hat mich nach Hause gebracht. Mehr war da nicht." Mel sah mich verdutzt an:,,Er war?" Ich war mir ziemlich sicher, dass ich ihn nicht mehr sehen würde, denn ich wusste nicht das geringste über ihn, noch nicht einmal wo er wohnte. ,,Wir werden uns nicht mehr sehen. Ich hab nicht mal seine Handynummer. Nichts...bis auf. Warte mal...seine Lederjacke." Ich sah zu meinem Schreibtischstuhl, auf dessen Lehne ich die Jacke gehängt hatte, doch sie war verschwunden. Ich überlegte, ob ich sie irgendwo anders hingelegt hatte, doch ich war mir sicher, dass die Jacke über der Stuhllehne war. Jetzt machte ich mir selbst sorgen, ob ich mir das alles nur eingebildet hatte. Mel folgte meinem Blick:,,Wo starrst du denn hin? Liv? Hallo? Welche Jacke?" Ich konnte meine Gedanken nicht mir ihr teilen, sonst würde sie mich als total verrückt abstempeln, also sagte ich nur:,, Oh hab ich ganz vergessen. Ich hab sie ihm an der Tür wieder zurückgegeben." Mein Gehirn arbeitete und ließ den Abend nochmal revue passieren, in dem Moment, als ich Tyler kennenlernte. Nein, ich konnte mir das nicht alles eingebildet haben. Es war zu echt, der Kuss, das konnte nicht alles in meinen Gedanken passiert sein. Ich schob die Zweifel beiseite und konzentrierte mich wieder auf meine Freundin:,,Erzähl mir lieber was jetzt zwischen dir und Blue ist." Sie sah mich aus traurigen Augen an:,,Nichts. Ich hab mich aus dem Haus geschlichen, als er noch geschlafen hat. Deshalb hab ich so schnell aufgelegt und vorher geflüstert, weil er fast von deinem Anruf wach geworden wäre." Nach diesen Worten brach sie vor mir in Tränen aus. Ich war so überrascht, setzte mich neben sie aufs Bett und fragte:,,War es denn nicht schön? Die Nacht mit ihm?" Sie sah mich aus traurigen Augen an und schluchzte:,,Es war wunderschön. Ich liebe ihn so sehr." Ich merkte ihr trotzdem an, dass sie etwas bedrückte:,,Und jetzt kommt das aber?" Ich schaute sie fragend an. Mel antwortete:,,Er hat bestimmt nur wie mit allen anderen Mädchen mit mir geschlafen und lässt mich jetzt fallen wie eine heiße Kartoffel. Das wars endgültig mit unserer Freundschaft. Jetzt kann er mich so behandeln wie die anderen und muss nicht mehr nett zu mir sein. Er hat mit mir geschlafen, dass er die Verpflichtungen mir gegenüber wegen der Freundschaft aufgeben kann." Sie weinte nun heftig und vergrub das Gesicht in ihren Händen. ,,Nein, so ist Blue nicht. Hör auf damit dir soetwas einzureden. Das würde er dir nie antun. Ich bin mir sicher du bedeutest ihm mehr, als diese Tussis, die er sonst hat. Er wird dich nicht so behandeln glaub mir. Soll ich mit ihm reden?" Sie schaute auf und ihr Blick wurde ängstlich:,,Ich will dich da nicht mitreinziehen und es würde nichts daran ändern." Ich wollte ihr nicht widersprechen und nickte nur. Nach einer Stunde ging Mel nach Hause und holte Schlaf nach, denn sie dringend nötig hatte.
Ich musste noch einiges gut machen. Nachdem ich die Tür hinter Mel schloss, ging ich durch das Wohnzimmer Richtung Garten, wo ich meine Tante finden würde. Auf dem Weg dorthin legte ich mir verschiedene Formulierungen zurecht, um mich mit Amelia wieder zu versöhnen. Als ich den Garten betrat, kam sie schon auf mich zu und fiel mir in die Arme. ,,Es tut mir so leid. Ich hasse es mich mit dir zu streiten. Verzeih mir, was ich gesagt habe, war nicht fair." Ich war unendlich glücklich, dass wir nicht lange um den heißen Brei redeten. Sie hatte sich anscheinend auch so viele Gedanken gemacht wie ich und hatte ein schlechtes Gewissen. Ich umarmte sie ebenfalls fest:,,Es tut mir auch leid. Ich bin so froh, dass wir uns wieder vertragen und was ich gesagt habe, war auch nicht gerade nett von mir. Ich weiß, dass du es nur gut mit mir meinst." Sie nahm mein Gesicht in beide Hände und antwortete:,,Es fällt mir immer noch schwer, plötzlich einen Teenager in meinem Haus zu haben. Also nicht, dass du meinst ich hätte dich nicht gerne bei mir. Nur, du wächst so schnell heran und musst deine Erfahrungen machen. Es ist so schwer meiner Rolle gerecht zu werden und meinen Bruder, deinen Vater, zu vertreten und dich zu einem eigenen Leben zu begleiten und dich irgendwann ganz loszulassen." Beim Gedanken an meinen Vater stiegen mir Tränen in die Augen. Auch meine Tante blinzelte schnell das Glitzern in ihren Augen weg. ,,Ich versuche mich zu benehmen und dir ab sofort immer Bescheid zu geben." Amelia lächelte:,,Selbsterkenntnis ist der Weg zur Besserung." Jetzt stimmte auch ich in ihr Lachen ein. ,,Also Schluss mit den ernsten Reden über das Leben. Willst du mir beim pflanzen helfen?" Ich erinnerte mich daran, wie ich als Kind mit meinen Eltern immer zu Besuch war. Ich und meine Tante haben zusammen im Garten gearbeitet und Blumen gepflanzt, meine Eltern haben uns von der Terasse aus zugesehen. Ich vermisste diese Momente, es hat sich alles so verändert, dennoch fühlte sich ein Teil von mir zurückversetzt in diese Zeit, als ich ihr half. Und ich vergaß für eine Weile die zusammenhanglosen Bilder vom gestrigen Abend und Tyler, den Typ mit den wunderschönen blauen Augen, die mir so vertraut waren.
Die Sonnenstrahlen, die durch das große Fenster in mein Zimmer fielen, ließen mich aus dem Schlaf erwachen. Ich gähnte und reckte mich genüsslich. Mein Blick fiel auf den Wecker. Ich hatte noch eine dreiviertel Stunde, bis dieser seinen Wecklaut von sich geben würde, jedoch war ich nicht mehr müde und so beschloss ich aufzustehen. Caesar war das garnicht recht, er miaute nur mürrisch und wechselte den Platz vom Fußende zur Mitte meines Bettes. Ich musste grinsen und kraulte ihn zwischen den Ohren. Er strafte mich mit einem missbilligenden Blick und ich machte mich auf in die Dusche. Ich hatte den Temperaturregler auf heiß gestellt und es dampfte im Bad, dass die Spiegel angelaufen waren. Heute entschied ich mich für eine hellblaue Jeans und einen schwarzen Kapuzenpulli. Es würde bestimmt im Laufe des Tages noch wärmer werden, doch zu diesem Zeitpunkt würde ich schon längst von der Schule zu Hause sein und konnte mich umziehen. Derweil fröstelte es mich noch nach der heißen Dusche. Mit handtuchtrockenen Haaren ging ich nach unten und machte mir einen Kaffee. Die Terasse war in sanftes Morgenlicht geflutet, ich entschied mich jedoch, es mir im Wohnzimmer auf dem Sessel gemütlich zu machen und dort meinen Kaffee zu trinken. Es war bestimmt trotz der Sonnenstrahlen noch frisch draußen. Auf dem runden Tisch vor mir standen weiße Rosen, die bestimmt Amelia in die Vase gestellt hatte. Sie tauschte jeden Tag die Blumen aus und ersetzte diese durch andere, die ebenfalls im Garten wuchsen. Nachdem meine Tasse fast leer war, warf ich einen Blick auf die Uhr an der Wand. Mist! Ich hatte total die Zeit vergessen. Ich kippte den letzten Schluck in einem Zug hinunter, wärme breitete sich in meinem Hals aus. Ich sputete die Treppe nach oben und föhnte meine Haare einfach nur komplett trocken. Diese fielen mir in Wellen über die Schulter, denn ich hatte keine Zeit mehr sie glatt zu föhnen. Schneller fertig als erwartet, weil meine Haare größtenteils schon an der Luft getrocknet waren, trug ich noch Mascara auf und einen leicht lila schimmernden Lippenstift, der sich dezent von meiner natürlichen Lippenfarbe abhob. Weil die Lidschattenpalette von Samstag noch rumlag, experimentierte ich ein wenig und trug mit einem Pinsel etwas braun und darüber leicht gold auf. Ich klaute noch ein bisschen Rouge für die Wangen von dem untersten Schubladen unter dem Waschbecken, indem Amelia ihre unbenutzten Schminkutensilien vergraben hatte. Mit einem letzten Blick, den ich noch in den Spiegel warf, war ich zufrieden und ich fühlte mich frisch und weiblich. Ich hatte mich seit einer Ewigkeit nicht mehr geschminkt, um genau zu sein, nach dem Unfall meiner Eltern, nachdem ich mich so gehen ließ. Vielleicht hatte es etwas mit diesem Wochenende zutun, doch ich schob den Gedanken beiseite, packte mein Handy in meinen Rucksack und eilte nach unten. In der Zwischenzeit war Amelia schon in der Küche. Ich gab ihr einen raschen Kuss auf die Wange und sah aus den Augenwinkeln, dass sie die Augen aufriss und mich anlächelte. Sie pfiff anerkennend:,,Wer sind Sie und was haben Sie mit meiner Nichte gemacht?" Ich lachte und warf ihr einen Luftkuss zu. Mel wartete schon im Auto, als ich die Beifahrertür ihres Audis öffnete, sah auch sie mich verwundert an und grinste:,,Guten Morgen, aber hallo. Hat das vielleicht etwas mit einem gewissen Tyler zutun, dass sich meine beste Freundin plötzlich aufbrezelt?" Meine Laune war auf einmal deutlich verändert, ich atmete tief aus und schnalte mich geistesabwesend an. ,,Wir werden uns ja nicht mehr sehen." Ich konnte Mel`s Blick nicht deuten und sie wechselte schnell das Thema:,,Du siehst echt heiß aus Liv! Jetzt kannst du sämtlichen Typen auf der Schule das Herz brechen und Mandy die Nase." Ich warf ihr eine empörten Blick zu. Mel zuckte mit den Schultern:,,Waaas? Das ist endlich mal nötig." Sie verdrehte die Augen und wir mussten lachen. Eigentlich wollte ich sie auf Blue ansprechen, doch ich wollte die Stimmung nicht kaputt machen, weil ich nicht wusste, ob sie schon miteinander geredet haben, also ließ ich es vorerst bleiben. Es klärte sich jedoch von selbst, als wir auf den Parkplatz zum Schulgelände einbogen und Roar ein paar Sekunden später mit seinem schwarzen 6er BMW neben uns parkte. Mel machte keine Anstalten auszusteigen und blieb demonstrativ im Auto sitzen. Sie klappte die Sonnblende herunter, schaute in den kleinen Spiegel und tat so als würde sie sich den Lippenstift nachziehen. Ich hob die Augenbrauen und schüttelte den Kopf:,,Ignorierst du ihn gerade?" Ihre Augen blieben an dem Spiegel hängen als sie sagte:,,Nope, aber ich habe gerade keine Zeit. Siehst du doch." Im Seitenspiegel sah ich, dass Roar bereits ausgestiegen war, an dem Kofferraum seines Wagens lehnte und anscheinend darauf wartete, bis wir ebenfalls ausstiegen. Weil Mel dem wahrscheinlich nicht nachkommen würde, solange er da stand, machte ich den Anfang. Ich öffnete meine Tür, warf noch einen Seitenblick auf Mel, die immer noch ganz beschäftigt in den Spiegel starrte und ihre Lippenform das gefühlt hundertste Mal nachzog und stieg aus dem Audi. Ich ging direkt auf Roar zu:,,Hey..." Ich wusste nicht wie ich ihm beibringen sollte, dass Mel wegen ihm nicht aus dem Auto steigen wird, doch er merkte es von selbst. ,,Hey. Sie wird da nicht rauskommen bis ich weg bin oder?" Er lächelte gequält und ließ seinen Blick über den Parkplatz huschen. ,,Nein. Hör zu, ich weiß Bescheid und ihr solltet wirklich miteinander reden." Ich warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. Die ganze Situation lief mächtig aus dem Ruder. Sie konnten sich doch nicht für immer aus dem Weg gehen, es waren schließlich beide meine besten Freunde. Er warf sich seinen Rucksack über die Schulter und antwortete geknickt:,,Dann werd ich mal gehen. Vielleicht bis später. Tschau Liv." Mir schoss plötzlich ein Gedanke durch den Kopf:,,Warte Roar" Er blieb abrupt stehen und drehte seinen Kopf in meine Richtung. ,,Als wir im Zouk waren, hast du mich doch noch gesehen, bevor ich gegangen bin." Seine Miene war ausdruckslos:,,Ja." Ich war kurz davor endlich alles aufzuklären. Wenn Mel Tyler nicht gesehen hatte, dann vielleicht Roar, als wir uns draußen noch begegnet waren, denn Tyler war zu diesem Zeitpunkt genau neben mir und stützte mich. Er wollte sogar dazwischen gehen, weil er dachte Blue wollte etwas von mir, als er so aufgelöst nochmal ins Zouk zurückkehrte. Deshalb fragte ich ihn:,,Hatte ich eine männliche Begleitung dabei?" Er runzelte die Stirn:,,Nein, wieso?" Mit einer Handbewegung gab ich ihm zu verstehen, dass es nicht so wichtig sei:,,Ach, schon gut." Die Schultern hängend und den Kopf gesenkt, schlenderte er zum Eingang. Aber das war es nicht. Jetzt war ich mir absolut sicher, dass keiner Tyler gesehen hatte, außer mir. Ich konnte mir allerdings keinen Reim darauf machen weshalb. Vorallem weil ich mit Abstand am meisten getrunken hatte an dem Abend. Als Blue außer Sichtweite war, stieg Mel endlich aus dem Auto. Ich verdrängte meine im Kopf durcheinander wirbelnden Gedanken und ich strafte sie mit einem verärgerten Blick. ,,Er wollte mit dir reden und du gibst ihm nicht mal die Chance dazu. Es hat ihn mitgenommen und er wirkte ausgesprochen unglücklich." Sie seufzte:,,Ich weiß nicht was ich machen soll Liv. Ich will nicht, dass er mich verletzt und das wird er." Ich lockerte meinen Blick und trat einen Schritt auf sie zu:,,Das weißt du nicht und du wirst es auch nicht herausfinden, wenn du nicht endlich mit ihm redest. Ich denke es geht ihm ebenso nah wie dir." Sie legte ihren Arm um meine Hüfte und zog mich Richtung Eingang. ,,Komm. Wir müssen los. Es klingelt bald und ich kann keinen Ärger gebrauchen." Die Stunden zogen sich und nach der Mittagspause wurde es noch unerträglicher. Blue war nicht mehr zu sehen, seit wir auf dem Parkplatz ausgestiegen sind und das änderte sich auch den restlichen Tag nicht mehr. Ich bemerkte, dass auch Mel ab und zu den Blick über die Menge gleiten ließ, um nach Blue Ausschau zu halten. Als sie bemerkte, dass ich sie dabei beobachtete, fühlte sie sich ertappt und widmete sich wieder ihrem Handy. Ich bekam die Tatsache nicht mehr aus dem Kopf, wieso keiner Tyler gesehen hatte, doch ich sträubte mich zu glauben, dass ich ihn mir nur eingebildete. Nach dem Gong der letzten Stunde gingen wir gezielt zu Mel`s Auto, ihre Anspannung war kaum zu übersehen, doch auch sein BMW stand nicht mehr neben ihrem Wagen. Er hatte Mel`s Botschaft anscheinend verstanden und ging ihr gekonnt aus dem Weg. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie die Schultern straffte und erleichtert ausatmete. Wortlos fuhren wir bis zu mir nach Hause. Ich wollte aussteigen und öffnete bereits die Tür, als ich mich nochmal umdrehte und versuchte auf sie einzureden:,,Es tut ihm auch weh, Mel. Bitte überleg dir, ob du nicht doch mit ihm redest. Es täte euch beiden gut und du wüsstest endlich was Sache ist." Sie blickte starr geradeaus, doch ich sah, dass ihr Griff um das Lenkrad fester wurde, denn ihre Handknöchel traten weiß hervor. Mit zusammengebissenen Zähnen antwortete sie wutverzerrt:,,Liv ich sag es dir noch einmal. Ich werde nicht mir ihm reden. Misch dich bitte nicht mehr ein." Das brachte das Fass zum überlaufen. Nun war auch ich zornig und schnaubte:,,Nun hör mal, ich mische mich ein. Ihr seid beide meine besten Freunde und ich habe deswegen sogar das Recht mich einzumischen, vorallem weil ihr das alleine anscheinend nicht hinbekommt. Soll der Streit schon wieder von vorne losgehen wie im Zouk? Ich habe keine Lust mehr euch beiden zuzusehen, wie ihr euch gegenseitig quält. Meiner Meinung nach würdet ihr toll zusammenpassen. Lass deinen Stolz hinter dir und schreib ihm endlich! Und du kennst Roar genauso gut wie ich, also müsstest du wissen, dass er dir nie...aber niemals wehtun würde!" Jetzt sah sie mich an. Tränen standen ihr in den Augen als sie ein:,,Danke" hauchte. ,,Du hast ja recht. Ich muss mich mal zusammenreissen und mit ihm reden. So schnell wie möglich." Ich entspannte mich wieder ein wenig:,,Das wollte ich hören. Schreib ihm. Und kein verstecken mehr klar? Falls du morgen "krank" sein solltest, fahr ich zu dir, zieh dich eigenhändig aus dem Bett und schleif dich zur Schule." Sie grinste und ein Lächeln kam über ihre Lippen. Bevor ich die Tür zuschlug rief sie noch:,,Hey!" Ich duckte mich unter den Rand ihres Audi`s, um sie sehen zu können. Sie grinste nun breiter als vorher:,,Ich mag diese neue Liv! Weshalb auch immer du so bist."
Den restlichen Tag beschäftigte ich mich noch mit lernen, denn jeder Lehrer außer Herr Bennett, befand es für Notwendig noch eine letzte Klausur vor den Ferien zu schreiben. Wenigstens waren die Prüfungen angekündigt und man konnte sich darauf vorbereiten. Ich holte mir einen Kaffee nach dem anderen, um mich möglichst lange wach zu halten. Als Amelia die Küche ebenfalls betrat, legte sie ihre Hand kurz auf meine Schulter und schenkte mir nur wortlos ein aufmunterndes Lächeln. Meine Konzentration erreichte jedoch nach ein paar Stunden ihren Tiefpunkt und sank schließlich komplett in den Keller. Es lag nicht an mangelnden Schlaf, das wusste ich. Es war Tyler und die Tatsache, dass ihn niemand sehen konnte außer mir, die mir die ganze Zeit im Kopf herumschwirrten. Fakt ist, dass ich mich noch eindeutig an ihn erinnern konnte. Ich habe ihn gesehen, wir haben uns berührt und seine Lippen waren auf meinen... Der Kuss. Die Erinnerung schoss mir wie ein Blitz durch meine Gedanken und verursachte dort ein heftiges Donnerwetter. Ein Kribbeln ging mir durch die Bauchgegend und ich bekam am ganzen Körper Gänsehaut. Nein, es musste real sein. Er musste real sein! Ich beschloss meinem Kopf eine Pause zu gönnen und mich eine Weile hinzulegen, denn es dämmerte inzwischen schon. Vielleicht würde ich später nochmal lernen, wenn mich nicht der Schlaf übermannte. In meinem Zimmer schlüpfte ich aus meiner Kleidung und zog bequemere Schlafsachen an. Ich entschied mich für eine kurze, babyblau karierte Hose mit einer Schleife am Bund und dem farbig dazu passenden T-Shirt. Erst einmal unter die Decke gehüllt, glitt ich schneller als erwartet in einen tiefen Traum.
Sein Lächeln ging mir nicht aus dem Kopf, als er mir noch schöne Träume gwünscht hatte. Ich brauchte Antworten auf all die Fragen. Ich wusste nicht einmal seinen Nachnamen oder wo er wohnte, deshalb zog ich mit einer Bewegung die Tür wieder auf. Er war gerade im Begriff zu gehen und wand sich deshlab zu mir. Mein Atem ging schnell, aber ich überlegte nicht lange, ging mit schnellen Schritten auf ihn zu, um den Abstand zu vernichten, der noch zwischen uns lag, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Er erwiderte den Kuss ohne zu zögern. Meine Finger vergruben sich in seinen Haaren und ich zog ihn näher an mich. Plötzlich lösten wir uns voneinander. Ich wich einen Schritt zurück, mein Atem ging schnell. Ich sah dass auch er mitten aus der Leidenschaft gerissen heftig atmete, denn seine Brust hob und senkte sich rasant. Aus seinen tiefblauen Augen sah er mich lüsternd an, ich war ebenfalls gierig und wollte mehr. Binnen Sekunden packte ich ihn an seiner Hand und zog ihn hinter mich ins Haus. Amelia würde sowieso nichts davon mitkriegen, denn sie hatte getrunken und war bestimmt gerade im Tiefschlaf. Wir eilten in mein Zimmer, ich schaffte es gerade noch die Tür mit einem Fuß zu schließen, als wir uns auch schon gegenseitig in die Arme fielen und uns sinnlich küssten. Voller Begierde hob er mich mit beiden Armen hoch, ich schlang meine Beine um seine Hüften und er trug mich zum Bett. Sanft ließ er mich auf den weichen Untergrund nieder, meine Hände umfassten währenddessen immer noch seinen Nacken und ich zog ihn mit meiner ganzen Kraft so nah es ging an mich. Es war soweit, ich wusste dass es kein zurück mehr gab und wir jetzt miteinander schlafen würden. So hatte ich es mir nie vorgestellt, dass ich das erste Mal mit einem fremden Mann erleben würde. Doch Tyler war der Richtige und es war perfekt. Er lag auf mir und ich spürte sein Gewicht auf meinem Körper. Seine Lippen wanderten nach unten und neckten meinen Hals, ich schloss die Augen, warf den Kopf in den Nacken und rekelte mich unter seinen Berührungen. Als er an meinem Bauch angekommen war, keuchte ich und sah ihn lüstern an, erpicht darauf mehr davon zu kriegen. Meine Lust reichte so weit, dass ich anfing mich auszuziehen und er tat es mir nach. Er legte sich erneut auf mich, stützte sich auf seine Unterarme links und rechts neben meinem Kopf und sah mir tief in die Augen. Gleich würden wir miteinander schlafen...
Ich riss die Augen auf und sah in ein blaues Augenpaar direkt über mir. Es war das schönste Blau das ich je gesehen hatte, es war so tief und undurchdringbar, wie der Ozean. Angezogen von diesem Paar Augen, fühlte es sich so an, als würde sich für eine Weile die Welt aufhören zu drehen. Mein Atem ging langsam und gleichmäßig. Ruckartig setzte sich die Person auf, sah mich traurig an und sagte:,,Ich dachte es mir schon, aber ich hatte ja keine Ahnung, dass es so stark sein würde." Abgelenkt von seinen Augen, erkannte ich dass es Tyler war. Er saß vor mir auf meinem Bett und es fühlte sich real an. ,,Kannst du mich mal zwicken. Ich muss träumen." Tyler schüttelte den Kopf und antwortete niedergeschlagen auf meine Aussage, die ich eher mir selbst eingeredet hatte:,,Du träumst nicht. Ich bin real, das sollte ich aber nicht sein." Mich durchfuhr ein Gefühl der Lust und mir stieg röte ins Gesicht. Wenn ich nicht geträumt hatte, würde das heißen, dass wir fast miteinander geschlafen haben. Irgendwie wusste er über meinen Gedankengang Bescheid und antwortete auf meine ungestellte Frage:,,Nein, haben wir nicht." Ein Lächeln kreiste um seine Munkwinkel, als er plötzlich wieder ernst wurde:,,Das hast du geträumt. Doch jetzt sitze ich vor dir und das sollte nicht sein." Er bedachte mich mit einem ruhigen Blick:,,Du bist etwas ganz besonderes Liv." Ich fühlte mich in diesem Augenblick stark zu ihm hingezogen. Am liebsten hätte ich meine Hände ausgestreckt, um ihn zu berühren, doch ich ließ diese auf meinen Beinen ruhen. Mir fiel auf, dass ich nur in einer kurzen Hotpants vor ihm saß, deshalb bedeckte ich meine nackten Beine mit der Decke, um die Stille, die plötzlich aufgetreten war, zu überbrücken. Es sah so aus als würde er innerlich mit sich selbst ringen, denn sein Gesichtsausdruck wirkte gequält. Ich wollte ihm diese Last nehmen und zog seine Aufmerksamkeit mit einer Frage auf mich:,,Konnten dich meine Freunde deshalb nicht sehen? Im Zouk meine ich." Er blickte auf und nickte stumm. Ich setzte erneut an, doch er kam mir zuvor:,,Liv, du bist in großer Gefahr. Du hast ja keine Ahnung was das bedeutet." Plötzlich wurde ich ziemlich wütend. Wieso musste er aus allem so ein Geheimnis machen. Er sollte endlich auf den Punkt kommen und nicht lange um den heißen Brei reden. Etwas grimmig sagte ich:,,Wieso sagst du mir nicht einfach, was das Problem ist?" Er war aufgebracht und raufte sich erneut die Haare:,,Es ist nicht so einfach Liv. Wir dürften dieses Gespräch normalerweise garnicht führen, verstehst du." Ich hatte jede Menge fragen, die alle ungestellt waren. Diesmal etwas sanfter, sagte ich nun:,,Wenn ich in Gefahr bin, musst du mir wenigstens sagen vor wen oder was. Ich kann mir nicht alleine helfen, wenn ich nicht einmal weiß, um was es hier eigentlich geht. Ich brauche Antworten, sonst bin ich ausgeliefert...bitte." Er griff mit seiner Hand nach meiner und zog sie sofort wieder weg, als ich erschauderte. Das Gefühl war keineswegs unangenehm, ganz im Gegenteil, nur war die Berührung so unerwartet und mein Körper reagierte enorm darauf. Er sah mich eindringlich an:,,Ich würde dich mit meinem Leben beschützen." Ich rückte ein Stück näher zu ihm und beugte mich vor. Mein ganzer Körper prickelte, denn wir waren nur noch eine Hand breit voneinander entfernt. Unsere Lippen waren kurz davor sich zu berühren, denn ich spürte seinen heißen Atem, doch er wich im letzten Augenblick zurück, indem er ruckartig vom Bett aufstand und den Blick von mir abwandte. Ich blieb still sitzen und starrte auf meine Hände, um ihn nicht anzusehen, die Situation war zu peinlich. Irgendwann sagte er doch etwas:,,Liv, ich kann nicht." Mit einer abweisenden Geste schnitt ich ihm das Wort ab:,,Schon gut. Du willst nicht. Ist ok." Tyler ging im Zimmer auf und ab:,,Nein! So ist das nicht. Ich will ja, aber wir dürfen nicht. Sie würden uns jagen und einsperren oder schlimmeres mit uns machen. Liv, ich will nichts mehr als dich, aber es ist zu gefährlich." Die Angst war ihm ins Gesicht geschrieben. Ich musterte ihn von oben bis unten. Er war nahezu perfekt, sein Körper und die makellosen Züge, die sein Gesicht ausmachten. Ich musste mich fragen, wie er nur mich wollen konnte. An mir war nichts besonderes, ich sah an mir herab. Aus dem nichts war er plötzlich wieder neben mir auf dem Bett, jedoch mit einem gewissen Abstand und umfasste mit beiden Händen mein Gesicht. ,,Hör zu. Ich sehe es dir an, dass du Zweifel hast, aber ich kenne dich schon mein ganzes Leben, nur dass du bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts von mir wusstest." Ich wollte nachhaken, was er damit meinte und wollte ihn mit einer Frage unterbrechen. Er bemerkte meinen fragenden Blick und dass ich dazwischenreden wollte, doch er redete ohne Pause weiter und schob das Thema mit dem nächsten Satz beiseite:,,Zu dem kommen wir später. Du musst das, was du bis jetzt schon weißt, erst einmal verdauen. Nur darfst du es keinem erzählen Liv, versprich es mir! Du musst es unbedingt für dich behalten, das ist wichtig." Ich rührte mich nicht von der Stelle und hörte ihm aufmerksam zu. Nun sprach er langsam und eindringlich:,,Ich lasse dich nicht alleine. Niemals." Ich dachte nur daran ihn zu küssen und meine Gedanken vergaßen für einen Augenblick die Gefahr, über die er sprach und galten im Moment nur ihm. Seine auffällig blauen Augen, die von langen, dunklen Wimpern umrandet waren und die Wärme, die von seinen Händen an meinen Wangen ausging. Ich wollte ihm so gerne glauben schenken und dass das alles gerade wirklich passiert, doch er war zu perfekt um wahr zu sein. ,,Er lächelte mich stumm an und sagte:,,Und jetzt leg dich hin und schlaf noch ein bisschen. Ich weiß, dass du müde bist." Er grinste und mich überkam in diesem Moment tatsächlich ein Anfall von Müdigkeit, der mir ein Gähnen entlockte. Meine Gliedmaßen fühlten sich schwer an, doch ich wollte nicht schlafen, sondern ihn einfach nur ansehen. Insgeheim hatte ich Angst, dass ich ihn nie mehr wieder sehen würde, wenn er jetzt ging. ,,Ich kann nicht schlafen, wenn du jetzt gehst." Er grinste wieder und sagte:,,Ich bin immer bei dir wenn du schläfst." Ich starrte verwirrt drein, denn er sprach immer rätselhafter:,,Rutsch rüber, ich leg mich noch dazu." Ich inspizierte ihn, ob er das wirklich ernst meinte und rückte nach einem prüfenden Blick auf die linke Bettseite. Er legte sich aufrecht sitzend, mit dem Rücken an die Mauer dazu, jedoch mit einem gewissen Abstand zu mir. Ich wusste, dass er das mit Absicht tat, um mich nicht zu berühren, doch es war mir egal und ich rutschte mit einem Schwung an seine Seite, legte meinen Kopf auf seine Brust und ließ meine Hand ebenfalls darauf ruhen. Ich beobachtete seinen gequälten Gesichtsausdruck, seine Augen waren ausdruckslos und starrten ins Leere, bis er schließlich doch ein wenig lächelte, auch wenn dieses nicht bis zu seinen Augen reichte, war ich glücklich. Nach ein paar Minuten sagte ich schläfrig:,,Tyler?" Er zögerte kurz und antwortete schließlich doch mit:,,Mhm?", als ich fragte:,,Wenn ich aufwache, bist du dann noch da?" Er holte tief Luft:,,Nein, wahrscheinlich nicht mehr so wie jetzt, aber ich bin immer bei dir Liv...jede Sekunde. Ich lasse dich nicht aus den Augen und wir werden uns bald wiedersehen." Somit streichte er mir übers Haar. Ich kuschelte mich so gut es ging an ihn und vergrub das Gesicht in sein T-Shirt. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen und welcher Ausdruck darauf lag, deshalb roch ich an ihm, nahm mit jedem Atemzug seinen Duft auf und speicherte diesen im Gehirn. Ich wollte mich daran erinnern, an ihn erinnern. Irgendwann, ohne es zu bemerken, glitt ich erneut in einen tiefen Schlaf.
Tag der Veröffentlichung: 19.09.2018
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