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Die Gefangene

Rikas Leben hing am seidenen Faden. Genau genommen, hing sie am Strick eines Römers, der das Mädchen wie ein Stück Vieh hinter sich her schleifte.

„Komm schon!“, sagte der Soldat.

Er trug Kurzschwert und Rüstung, wie es bei den Legionären Roms üblich war. Der Helm, der ihn in der Schlacht schützen sollte, war jetzt allerdings für den leicht untersetzten Mann zu einer Tortur geworden. Genau wie Rika schwitze auch er unter der gnadenlosen Sonne. Weder die Hitze, noch die Tatsache, dass man ihn alleine losgeschickt hatte, verbesserten seine Laune.

„Zier dich nicht so, oder ich schicke dich gleich in den Orkus. Ich hasse entlaufene Sklaven.“

Zorn auf die Ungerechtigkeiten des Lebens schwang in jeder Silbe.

Rika wollte ihm erst widersprechen, doch dann schwieg sie lieber. Nein, sie war keine Sklavin, doch das änderte nichts an ihrer verzweifelten Lage. Im Gegenteil: es machte die Sache nur noch schlimmer.

Vor sieben langen Jahren war sie als Geisel an den Legaten der 7. Legion ausgeliefert worden. Damals war sie noch ein Kind. Wie eine Römerin wuchs sie als Teil der Familie des Legaten Titus Cornelius Serverus auf.

Bis vor wenigen Tagen hatte sie sich selbst als Römerin gefühlt. Sie hatte mit der Hausherrin gelacht, gegessen, gebadet und nach römischer Art Feste gefeiert.

All dies änderte sich schlagartig, als ein Bote des Legaten aus dem Norden kam. Ein Aufstand der Suevi war ausgebrochen und Rekis, ihr Vater, hatte sich mit seinem Stamm daran beteiligt. Von einem Moment zum anderen hatte Rika erfahren, wie schnell sich die Gunst des Lebens wandeln konnte. Menschen, die sie als Freunde und Familie ansah, verwandelten sich über Nacht zu Feinden.

 

„Bei Plutos nacktem Arsch: komm! Beeil dich!“, fauchte der Soldat verächtlich.

„Ich will nicht deinetwegen im Freien schlafen müssen.“

Er riss an dem Strick und Rika taumelte dem Soldaten hinterher. Ihre Füße schmerzten, auch wenn ihre geschnürten Sandalen zumindest etwas Halt boten.

Die Verzweiflung in den Augen des Mädchens wurde nur von ihrer Erschöpfung übertroffen. Rika war seit drei Tagen auf den Beinen. In dieser Zeit hatte sie kaum etwas gegessen.

Entschlossen, sich nicht freiwillig ihren Henkern auszuliefern, hatte die blonde Germanin sich für die Flucht entschieden. Vergeblich. Eine römische Patrouille hatte sie nur eine Tagesreise von Ravenna entfernt gefasst.

Fortuna, die Göttin des Glücks, hatte sie verlassen. Sofern die römische Göttin je für sie gesorgt hatte. In dem Spiel der Mächtigen war die germanische Prinzessin immer schon nur eine Spielfigur gewesen. Doch jetzt war sie am Ende.

„Bitte. Ich kann nicht mehr“, keuchte Rika.

Wenig beeindruckt blickte der Soldat zu ihr. Er war um einiges Älter als Rika und gehörte zur Wache des Hauses Cornelius. Rika hatte sein Gesicht schon das eine oder andere Mal unter den hunderten Bediensteten gesehen. Mehr wusste sie allerdings nicht von ihm.

„Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du davongelaufen bist“, sagte er mit gehässiger Stimme.

Für ihn war sie offensichtlich nur mehr Abschaum. Als Geisel hatte sie gewisse Rechte genossen. Sicher, sie war nicht frei gewesen, doch man hatte sie als Tochter eines germanischen Vasallen wie eine richtige Prinzessin behandelt. Jetzt, da ihr Stamm sich erhoben hatte, war ihr ein schlimmeres Schicksal gewiss, als dass einer Sklavin. Sie kannte die Geschichten, was Römer ihren Gefangenen antaten.

 

Von Verzweiflung und Erschöpfung ausgelaugt, trottete die junge Germanin dem Soldaten hinterher. Rika fühlte sich am Ende ihrer Kräfte. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Vielleicht wäre es besser, wenn sie die Götter um einen gnädigen Tod bitten würde. Aber auch dafür fehlte dem Mädchen die Kraft.

Die Abendsonne blendete sie und der Durst quälte Rika. Ihre Schritte wurden unsicher, während der Römer sie gnadenlos weiterschleifte. Schließlich konnte sie nicht mehr. Ihr Körper gab nach. Rika stürzte in ein bodenloses Loch aus Finsternis.

 

~~ * ~~

 

Wein benetzte ihre Lippe. Etwas Kühles und Feuchtes berührte ihre Stirn. Neue Lebenskräfte kehrten in ihr Bewusstsein zurück. Das Mädchen öffnete die Augen. Ein Spiel aus orangenem Licht und verschwörerischen Schatten huschte über die steinerne Decke.

„Wo bin ich?“, fragte Rika.

Sie blickte in das makellose Gesicht einer dunkelhaarigen Frau. Ihre nussfarbene Haut verlieh ihr im Licht der Fackeln einen fast mystischen Glanz. Rika blinzelte verwirrt. War dies die Unterwelt?

„Bin ich tot?“

Ihre Stimme war frei von Frucht.

 

Die junge Frau lachte auf. Erst jetzt bemerkte Rika den Kelch mit Wein und den Lappen in ihrer Hand. Weitere Details ihrer Umgebung wurden ihr bewusst. Sie erkannte die ockerfarbenen Verzierungen an der Wand.

„Du bist im Fundus des Hauses Vettius. Dein Bewacher hat dich zu uns gebracht, nachdem du das Bewusstsein verloren hattest“, erklärte die Dunkelhaarige.

Mit dem Lappen strich sie erneut über Rikas Gesicht. Die junge Germanin seufzte dankbar. Im Haus des Legaten war sie es gewohnt gewesen, von Sklavinnen verwöhnt zu werden, so dass sie diese Berührung einer Frau nicht scheute.

„Ich bin Miriam. Ich gehöre dem Hause Vettius.“

Als das Mädchen sich aufrichtete, hörte sie das Klippen von Ketten. Überrascht blickte sie auf ihre von Eisen umringten Handgelenke. Auch an ihrem Hals lag jetzt das Gewicht eines Eisenrings. Miriam bemerkte ihren erschütterten Blick.

„Die Domina Letizia hat dir die Ketten anlegen lassen. Sie will wohl nicht riskieren, dass du erneut davonläufst, bevor deine Herrin dich abholt.“

Rika sah sich um. Der Raum wirkte nicht wie eine Zelle. Das Fenster war nicht vergittert und in den Türrahmen hingen lediglich Vorhänge aus rotem Stoff. Ihr Blick schweifte über die Ketten. Ihre Handfesseln gaben ihr nur wenig Spiel, doch das andere Ende der Kette, die mit ihrem Halsband verbunden war, lag lose neben ihr auf dem weichen Lager. Sofort überlegte die Germanin ob eine Flucht von hier möglich war, doch Miriam unterbrach ihre Gedanken.

„Draußen steht eine Wache“, sagte die Sklavin, als hätte sie Rikas Gedanken gelesen.

„Und wo ist der Soldat, der mich hier her gebracht hat?“, fragte Rika.

Nicht, dass sie sich für sein Schicksal interessierte, doch sie wusste nicht, was sie sonst fragen sollte.

 

„Meine Herrin hat ihm eine Botschaft für die edle Aurora, Frau des Cornelius Serverus, gegeben. Sie hofft, dass deine Besitzerin dich persönlich abholt. Meine Herrin wird ihr zu Ehren ein Fest geben.“

Rika schluckte bei der Erwähnung von Auroras Namen. Seit zwei Jahren war sie die Frau des Legaten und das Verhältnis zwischen ihnen war kompliziert. Anders als Julia, ihre verstorbene Vorgängerin, war Aurora häufig launisch und liebte es, Spielchen zu spielen.

Die Sklavin ließ sich von Rikas Miene nicht beirren. Sie wusch ihr weiter Gesicht, Hals und Schultern. Nach drei Tagen auf der Straße hatte sie dies wohl bitter nötig.

 

Plötzliche Schritte ließen die Beiden aufhorchen.

„Miriam, da steckst du ja“, tönte eine vorwurfsvolle Stimme.

„Wie ich sehe, ist die ungehorsame Sklavin aus dem Hause Cornelius auch erwacht. Wie heißt du?“

„Rika“, sagte das Mädchen.

Ihre Stimme klang heiser und kraftlos.

„Dein Bewacher hatte schon Angst, du könntest sterben, bevor du deine Strafe erhältst. Oder, dass er sie an deiner Stelle bekommt.“

Rikas blaue Augen betrachteten die Frau mittleren Alters, die eine feine Tunika aus blassblauem Stoff trug. Das dunkelrote Haar war zu einem Zopf geflochten, der mit einer Bronze Nadel fixiert wurde.

„Kommt! Beide!“

Die Worte der Domina klangen freundlich, doch hatte sie einen herrischen Unterton, der keinen Widerstand duldete.

Miriam griff nach dem Ende der Kette und führt Rika damit wie ein Tier, ohne sie jedoch zu ziehen. Der Weg durch das römische Landhaus führte sie durch einen von Säulen gestützten Durchgang. Rika blickte neugierig nach draußen, doch in der Dunkelheit konnte das Mädchen nichts weiter erkennen. Sie ahnte jedoch, dass dieses Landgut keinen einfachen Leuten gehörte. Der Name Vettius kam ihr bekannt vor.

 

Das Atrium war von zahlreichen Öllichtern erhellt. In der Mitte befand sich ein großes Wasserbecken. Die Domina ließ sich auf einem Liegesofa nieder und bedeutete ihrer Sklavin, sich davor hin zu knien.

Auch Rika sollte diese Stellung einnehmen. Für sie war die Haltung ungewohnt, sodass es einer sanften Unterweisung durch Miriam bedurfte, um die gewünschte Pose einzunehmen.

„Rebellische Sklaven: die Plage unserer Zeit“, schmunzelte Letizia. In ihrer Stimme lag ein neckischer Tadel. „Nun Rika, deine Herrin wird dich bestimmt für deine Aufmüpfigkeit bestrafen. Vielleicht sogar töten. Was ich jedoch für eine Verschwendung halte.“

Die Augen der Herrin fixierten das blonde Mädchen.

„Ich will dir aber einen kleinen Vorgeschmack darauf bieten, was ich mit ungehorsamen Sklaven anstelle.“

Die Domina klatschte hinter Rika in die Hände.

Augenblicklich brachten zwei Wächter eine weitere junge Frau in das Atrium. Strähnen ihres langen, schwarzen Haars fielen ihr ins blasse Antlitz und betonten ihre tiefe Verzweiflung.

„Suna, Suna“, wiederholte sich Letizia und schüttelte den Kopf. „Glaubtest du, dass es mir nicht auffällt, dass du dich heimlich an den Vorräten des Hauses bedient hast. Du hältst mich wohl für dumm?“

„Nein Herrin“, entgegnete die Frau mit gesenktem Kopf.

 

„Entblößt sie und bindet sie da an die Säulen.“

Suna stieß einen Schrei aus, als die Soldaten ihre ohnehin schon knappe Tunika mit einem Ruck in zwei Teile rissen. Nackt stand die junge Sklavin vor ihnen. Rika schätzte sie auf Mitte zwanzig. Ihre blasse Haut und ihre zierliche Gestalt ließen sie jünger wirken, als sie vermutlich war. Wie bei den meisten Sklavinnen in einem gehobenen Haushalt war auch ihre Scham rasiert. Suna zitterte, doch nicht vor Kälte, sondern vor Angst. Und Rika ahnte wieso.

Die kraftstrotzenden Männer genossen ihren Anblick. Ihre lüsternen Blicke mehrten die Furcht der Sklavin, denn römische Soldaten waren überall für ihren brutalen Umgang bekannt. Nicht nur auf dem Schlachtfeld.

 

„Bitte Herrin, ich …“, flehte Suna.

„Schweig, oder ich lasse dich in den Ställen von den Schweinen ficken!“

Rika wusste nicht, ob diese Drohung ernst gemeint war, doch allein der Gedanke ließ ihr die Knie weich werden. Sie hatte Geschichten gehört, dass Menschen und Tiere manchmal miteinander verkehrten. Doch von einem fetten Schwein missbraucht zu werden, stellte sich das Mädchen als den Gipfel der Perversion und Demütigung vor. Auch Suna schien diesen Gedanken zu haben, denn sie versuchte keine weitere Diskussion über ihre Schuld.

Auf einen Wink der Herrin hin, griffen die Wachen nach der ängstlichen Sklavin. Sie zerrten die Arme der jungen Frau auseinander. Suna schrie verzweifelt um Gnade, doch die Domina dachte nicht daran. Im Gegenteil. In Letizias Augen funkelte Erregung, als sich die nackte Sklavin zwischen den kräftigen Männern wand.

Stricke wurden um ihre Handgelenke gebunden. Anschließend wurde ihr Körper damit zwischen die Säulen des Atriums gespannt. Die Herrin des Hauses genoss den Anblick und ließ sich von Miriam einen Kelch mit Wein reichen.

„Sieh genau hin, Rika“, sagte Letizia und beugte sich zu dem Germanenmädchen hinunter.

Ihre langen Fingernägel streiften über Rikas Wange. Ein Schauer durchfuhr sie.

„Gleich bekommt die ungehorsame Sklavin die Peitsche zu spüren.“

Letizias Berührung wurde intensiver. Für einen Moment schloss das Mädchen die Augen, wodurch Sunas Angstgeschrei und die Berührung der Domina noch stärker auf sie einwirkten. Keuchend riss sie an ihren Ketten.

„Du bist keine gewöhnliche Sklavin, oder? Ich habe dich doch schon mal gesehen.“

„Nein, Herrin“, gestand Rika.

Es ergab nicht viel Sinn, sich zu verstecken. Sobald die Botschaft im Hause Cornelius ankam, würde man sie hohlen. Entweder mit einer bewaffneten Eskorte, oder Aurora kam mit ihrem

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Krystan Knight
Bildmaterialien: Krystan Knight
Lektorat: Ursula Jany
Tag der Veröffentlichung: 12.07.2016
ISBN: 978-3-7396-6424-8

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