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Stille

Ich trat in meine Stille ein,
und suchte nach mir selbst in ihr,
doch hier,
am Abgrund meiner Einsamkeit,
entdeckte ich das Nichts in mir.

Der Lärm, der auf der Leere lag,
ein Brüllen, darauf ausgebreitet,
so wie ein Tuch sie zu verhüllen,
verschwand zu Schweigen, ich begann
das Nichts von innen aufzufüllen.

Nachtmoment

Ein Lampenschirm, der sich auf ein Notizbuch niederneigt,
ein stillgelegter Stift, der auf ein Fragezeichen zeigt,
ein Apfelstück, das sich im Licht der Schreibtischlampe bräunt,
der Schatten einer Fliege, der das Apfelstück umstreunt.
Ein Löffel lugt aus einem Becher, lehnt an einem Buch,
und aus dem Bauch des Bechers strömt ein milder Teegeruch.
Ein Mann, der einsam fragt und denkt und Tee im Träumen trinkt,
und langsam in den See der Seele, zu sich selber sinkt.
Der Zeiger einer alten Uhr, der kleine Schritte macht,
betritt, auf seinem Ziffernblatt, bedacht die Mitternacht.

1 und 2 und Herbst

1.
Wolkenwale schweben durch den Ozean da oben,
welke Blätter purzeln Pirouetten aus den Kronen,
werden willig in ein leichtes Luftballett enthoben
und entblößen Vögel, die in Baumgebäuden wohnen.
Kühle Hände, die an herbstergraute Seen rühren,
auf erblasstem Feld mit morschen Mühlenflügeln spielen
und verirrte Einsame durch Lauballeen führen,
stoßen Tore auf, die schwarz ins Zeitenlose zielen.
2.
Winde fischen Farben aus Novemberbäumen
und verwischen wilder Hand der Wälder Bild.
Greise, die sich schon in den Dezember träumen,
wo der Winde heller Sang noch kälter schwillt,
wandeln durch das Welke, das in wirren Wellen
an den alten Knien, alten Knochen bricht,
spähen in die Wolken, die den Blick verstellen,
hier und da nur fällt ein fahler Brocken Licht.

das Haus am Hang

Ein Blockhaus hockt am Hügelhang,
das alter Eichen Schatten trägt;
entlegen lockt, zum Grübelgang,
ein Weg, der in den Wald sich gräbt.

Der Efeu fließt vom Kacheldach
und färbt die Wände dunkelgrün;
die Fenster, offen, schauen wach
auf schmetterlingbeschmücktes Blühn.

Durch seinen Garten geht ein Hauch
und schmiegt sich in die Wiese, wiegt
den nahen Strauch, in dessen Bauch
ein bunter Ball vergessen liegt.

Aufs Dachpodest der Hütte hüpft
ein Vogel, singt ins Land hinaus -
verborgen durch die Büsche schlüpft
ein Bach und plätschert ihm Applaus.

Durchs Fenster schaut ein Augenpaar,
verengt zu einem dünnen Strich,
in seinem feinen Wimpernhaar
verfängt ein Strahl der Sonne sich.

Glühwurmfunke

Aus Wasserlinsen lugt bedeckt,
im Tümpelquell, die Rotbauchunke;
im Röhricht gaukelt, angesteckt
vom Abend, grün ein Glühwurmfunke.

 

Doch plötzlich löscht ein Frosch gefräßig
ihn mit gezieltem Zungenschuss -
der zähe Kopf schmeckt eher mäßig,
doch das Gesäßlicht! Ein Genuss.

Dank an einen Spaziergang

Ein Duft von Harz und Hyazinthen,
der mild in Tannentunneln hängt
umfängt ein Kind, das weiter hinten
mit Honiggläsern Hummeln fängt.

In moosgedämpfte Schritte fallen
die Flüsterfüße eines Rehs,
verirrte Amselrufe hallen
hinaus ans offne Ohr des Sees.

Mit ausgeworfnen Efeuangeln
verbeugt ein Baum sich vor dem See,
durchs grüne Haar ihm Hörnchen hangeln,
ins Wasser streckt er einen Zeh.

Ein Tier, auf kühlem Uferrand,
vom Schilfgemenge dicht umhüllt,
vergräbt die Hufe sanft im Sand
und trinkt von seinem Spiegelbild.

der Bach

Büsche, die am Bache sitzen,
fahren mit den Fingerspitzen
durch den Spiegel, der gespannt,
zwischen linkem, rechtem Land.
Lassen zu verspielten Wellen,
still ihr Spiegelbild zerschellen.
Wie Gazellen neigt sich nieder,
durstig, dieses Zweiggefieder.
Und der Bach lässt es geschehen,
ihn braucht niemand anzuflehen.
Saftigsatt von Regenzeiten
rauscht gebauscht, im trägen Schreiten,
er zum Horizont hinaus,
durch den Himmel und nach Haus.

Kaminkind

Das Kaminholz spreizt die Flammen,
hascht mit heißen Flimmerhänden
durch das Rost des Ofenrands.
Schatten tanzen sanft zusammen
an den weißen Zimmerwänden,
einen heimlich leisen Tanz.

Vor den Abendofenbränden,
unter braunen Kinderbrauen,
ein Pupillenpärchen glüht.
Und das Kind, mit warmen Händen,
wird im Staunen und im Schauen
langsam und zufrieden müd.

dürres Blatt

Nun, wofür hab ich mich geschunden?
Zwar kam ich stets, das ganze Leben,
gut durch die Stunden, um die Runden,
doch hab ich mich, im Welterkunden,
gesundem Suchen hingegeben,
auch schließlich selbst gefunden?
So will ich lange überlegen.

Die Ehrlichkeit will es verlangen,
ein Nein, es kriecht wie tausend Schlangen,
ich büße, denn ich hielt, ganz feige,
im steten Fürchten, Sorgen, Bangen,
mein armes Herz mir hinter Stangen
gefangen und es brach wie Zweige
auf vielgenutzten Wanderwegen.

Die alten Schultern eingefallen,
wie ein Verdorrtes unter Blättern,
im letzten Wettern, Fäusteballen
versuche ich im Wind zu wallen,
es endet nur in dürrem Zittern
und Rascheln und ich muss verhallen,
mich dörrend auf die Erde legen.

Wintermondnacht

Winternacht. Die Wolken schmelzen
in seinem Weiß - er ist erwacht.
und wie auf unmessbaren Stelzen
spaziert er lautlos durch die Nacht.

Er späht und sät sein Silberlicht
auf die verschneite Ackerfläche
und malt sein rundes Milchgesicht
in die von Eis gerahmten Bäche.

Er wirft mir vor die Füße in
den Schnee mein Schattenbild, und wir
sind tanzend eins. Ich weiß: ich bin,
und Mond und Schatten sind mit mir.

Neues Unbekannt

Gabelgäste singen von Geästpodesten,
locken junges Licht in das verschlafne Land.
Rauchruinen weitversprengter Luftpaläste
bröckeln in der Morgensonne mildem Brand.
Spiegelungen sprießen in den Regenresten,
die vom Himmel auf den Erdengrund verbannt.
Autos, lampenfiebrig, haben taubenässte
Stirnen, sitzen, blitzen blau am Straßenrand.
Wie zuvor, zu all den andern Morgenfesten,
freue ich mich auf das neue Unbekannt.

Müde

Gedanken gleiten weich,
als ob sie Vögel wären,
den trägen Wolken gleich,
in fernen, freien Sphären.

Und Winde wiegen kühl
mein Haupt, bis es geschieht,
dass ich mich müde fühl,
und raunen mir ein Lied.

Ein Halm neigt sich im Wind,
voll Güte zu mir hin
und streichelt mir das Kinn
wie einem kleinen Kind.

Ich liege friedvoll lange,
die Welt hält mich im Arm,
die Sonne legt mir warm
die Hand auf meine Wange.

Die Lider werden Stein,
Gedanken werden All
und Himmel, Wind, ich fall
ins Eins mit allem Sein

und schlafe schließlich...

Von alten Händen bröckelt Brot

Von alten Händen bröckelt Brot
zum Erpel auf dem Uferstein,
die müde Sonne legt sich rot
ins Wellenbett des Sees hinein,
im Wasser trödelt noch ein Boot
und lässt die Ruder träge hängen.
Die Ruhe reift in grünen Gängen,
im Gras liegt ein vergessner Ball,
ein Alter träumt am Uferwall,
er sieht sich selbst im Seekristall
und denkt an seinen eignen Tod.
Und ferne wächst, aus hohem Schlot,
ein Wolkenbaum ins Abendall.

Morgendlich

An Blätter, die im Frühwind in den Bäumen baumeln
und Halme, die verschlafen aus den Träumen taumeln,
verteilt der junge Tag den Tau mit zarter Hand.

Und erste Sonnenstrahlen, die die Nacht verneinen,
die dunkle Welt wie einen tiefen Schacht durchscheinen,
entschlüpfen Seidenschleiern an der Erde Rand;

Ein warmes Schimmern schenken sie den kühlen Wiesen,
berühren sanft die Flügel düstrer Mühlenriesen
und spülen fort die Finsternis aus ihrem Land.

Morgen und Abend

Der Abend öffnet still die Tür.
Nun bete du, wie es dich dieser lehrt:
Sehr leise; sprich aus dem Gespür
und werde klein und in dich eingekehrt.

Wenn dann der Morgen aus den Bergen steigt,
tritt weich aus deinem tiefen Haus
und streck dein junges Staunen aus
nach allem Zauber, den die Welt dir zeigt.

Bäume, die sich flüsternd bücken

Bäume, die sich flüsternd bücken
bauen braune, flüchtge Brücken
über Wege, die sich schlank
schlängeln durch das Waldgerank;

Pflücken, in verspieltem Zank,
sich die vollen Äste blank,
die alsbald berauscht entrücken,
voll von zitterndem Entzücken.

Krank und welk auf Windes Krücken,
wankt das Laub, den Weg zu schmücken,
sinkt auf meine alte Bank,
auf der auch mein Leben sank.

der Park

Malvin Zucchini stapft durch die Straßen, auf dem Weg zum Park. Die Stadt ist ihm zuwider und die Dinge sind ihm unangenehm. Er scheut sich volle Züge des Qualms zu nehmen. Schnelle Schritte führen ihn.
Ein Stromkasten lehnt verkrampft und blass an einer Steinlaterne. Bodennistende Laubrudel rascheln Hilferufe als er durch sie walzt und apathisch schnalzt. Risse rinnen wie fahle Flüsse durch raue Quadratländer, die verschlissenen Platten des Bürgersteigs.
Herr Himmel hat Flausen im Haupt hausen, grau und schwer. Zwei Raben schweben wie schwarze Seelen in ihn hinein. Ein stolperndes Blatt kratzt matt und starr am Boden wie ein alter Narr am Leben. Wind ist schwach. Zucchinis weiche Ohren hören Gören, grelles Teenielachen, als gehöre ihnen die Welt. Er weiß, was sie nicht wissen: Sie werden später in städtischen Burgbüros verkümmern, Träume in Trümmern und weggeschmissen. Als Prinzessinnen des Stumpfsinns. Dieser Gedanke schweift, für einen Moment, durch seinen Schädel, wie Schatten von Flugratten über den kalten Asphalt.
Er wandert und sieht einen großkreuzigen Kirchturm, der überheblich in den Himmel langt. Katholischer Lümmel. Zum Gruß spuckt Zucchini ihm vor den frommen Fuß.
Vollgefressen schwer rollpert rechts, gesenkten Hauptes eine Tonne hinter einem müden Müllmann her. Ausgeschissen leer setzt sie sich wieder nieder.
Stadtfliegen schwirren stupide surrend im Schlaraffenschlitten und geben dem Müll Rüsselküsse.
Jetzt ist der Park in Sicht. Hinter einer Wiese liegt die grüngelbe Wand wie das Baumbett eines Riesen. Wind wird nun wilder, malt wirbelnd herbstliche Bilder. Am Bordstein nicken gestutzte Baumkronen wie gelbe Ballons an ihren Stricken und lassen entgrünte Federn.
Schwebend gelangt Zucchini von der Straße auf die Wiese und überquert sie, in welcher angeschrägt steil, wie ein Pfeil, ein einzelner Baum steckt. Maulwurfshügel lugen zur Begrüßung schüchtern hervor. Lächelnd hebt er die Hand und erreicht die alte, kreischende Rostpforte, die den Park bewacht (alternativ: des Parks), bewuchert wie Karl Marx. Eingetreten geben ihn Sünden und Sorgen frei, er fühlt sich geborgen.
Sein hechelndes Herz der menschlichen Hast beruhigt sich und passt sich der träumenden Ruhe der riesigen, raunenden Baumweisen an. Für Momente der Rast. Geschlossenen Auges will er mit ihnen atmen, lang und tief, in Zügen, die nach Freiheit und Frieden schmecken, die Arme recken und ihre wundersame Geduld in sich aufnehmen.
In innigem Dank setzt er sich auf eine Bank und verweilt dort, an diesem letzten Ort.

Joe und Bob

Das Gras wächst, meine Damen und Herren. Die grüne Bühne eines namenlosen Nachttheaters. Stücke von Mäusen und Mücken krücken durch die Stunden und die Grillen zirpen. Bob ödet es alles an und alles macht ihn aggressiv. Er geht an einer Wiese entlang. Ein Baum, dessen dissoziative Identitätsstörung (Zwiesel) auf eine traumatische Windesmisshandlung zurückzuführen ist, tuschelt mit sich selbst. Bob sagt ihm, er soll die Klappe halten und tritt einen Stein, der sich stolpernd in einen Gulli flüchtet. Und eine Bierflasche, die er in einen Bach tritt, platscht ihm ironischen Beifall. Ein erschreckter Igel ballt sich darauf zur Faust. Was tut Bob? Er tritt die zackige Faust und schaut hinauf zum Himmel. Dem Mond fällt eine Sternschnuppe in den runden Rücken. Und Bob denkt sich, dass ketzerische Kometen getreten gehören. Die anstrengenden Sternmengen am Firmament drängen seinen Blick schnell zum Grund. Wo schwarze Asphaltblitze den Boden aufbrechen. Unkrauteiter quillt daraus hervor. Im Rinnstein ruht ein rotes, verlassenes Zigarettenhaus und wartet vergeblich auf einen Einsiedler. Das Meer ist zu weit entfernt. Bob erreicht die Innenstadt, deren flackerndes Licht ihn vor den Sternen schützt. Ein hektischer Himmel, der wenig Zeit für Gedanken lässt. Sein Himmel. Scherben schielen in seine Seele, seine Seele schielt zurück. Er biegt in eine Seitengasse ein.

Die stillen Stücke der Mäuse und Mücken entzücken den Mann.
Er passiert eine Wiese und bestaunt glücksgelaunt und neugierig das Nachttheater der Natur. Die Sterne sehnen sich nach seinen Augen und sie bekommen ihr Pupillenpublikum. Versunken strahlt Joe (so heißt er) die Sterne an, die Sterne strahlen zurück. Ein Hund beheult den Mond, der Mond behellt den Hund. Joe, der schlendert, oft die Richtung ändert, geht, wohin der Wind ihn führt. Ein einzelnes Verkehrsschild schaut ihm scheu und neugierig geneigt nach. Dem sensiblen Typen mit Halbglatze und tiefen, traurigen Augen. Ein Vogelzirpen tropft ihm in die kahle Schädelschale. Benetzt die vielverletzte Seele (Balsam). Die Sterne sind mir lieber als die Menschen, denkt er sich. Und verirrt sich in die Innenstadt, deren flackerndes Licht die kosmische Kirsche entsternt. Und der Kosmoskerne beraubt, flieht er in eine Seitengasse.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 10.10.2013

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