Ein lauer Wind weht an der Küste von Le Havre und es zeigen sich viele kleine Windwolken am Horizont. Unsere beiden, ein Meeresjunge und ein Menschenjunge, hocken in Marcels Boot und beraten jetzt, wie sie nach Paris gelangen können. Das Boot könnten sie nicht nehmen, erklärt Marcel Takko, da der Motor plötzlich kaputt gegangen sei. Sie könnten den Zug nehmen, meint er aber, doch eine Fahrkarte dorthin könne er nicht bezahlen, das wäre viel zu - teuer. Und auch Takko hat kein Geld dabei, denn im Gegensatz zu Neptun verfügt er nicht über eine eigene kleine Geldtruhe, in der Neptun umgetauschte Scheine und Münzen der Menschenleute drinnen aufbewahrt.
Da erscheinen plötzlich leuchtende Blinksignale aus Takkos Netzbeutelchen, welches er immer an seinem Gürtel trägt. Oh, eine Nachricht für ihn!
Na, da staunt Marcel jetzt nicht schlecht, als Takko seine Sprechmuschel herausholt, - wie er dann den grünen Abhörknopf anschaltet und eine zarte Mädchenstimme zu hören ist:
"Takko, hier spricht deine Cousine Miria zu dir. Du solltest dich bitte schon am morgigen Tag aufmachen nach Nizza. Neptuns Verhandlung mit den Menschenleuten war ohne Erfolg für uns. Nun braucht er dich auf jeden Fall für seine Aktion hier , - und er wird bestimmt sehr böse auf dich, wenn du nicht erscheinst. Bitte komm!"
'Tja, nun konnte man Marcels Megawasserrutschen wohl vergessen...'
"Was - hä? Was ist das denn für'n Gerät?", stottert aber Marcel jetzt ersteinmal verdutzt.
"Meine Sprechmuschel", sagt Takko, "soetwas kennt ihr eben nicht auf dem Strandland. Also du hast Mirias Sprechworte ja mitgehört. Ich werde dringend gebraucht bei einer notwendigen Aktion meines Meervaters. Hm, sie scheinen ohne mich wohl doch nicht klarzukommen..."
Ja, jetzt war wohl doch einiges zu erklären, und Takko versucht es etwas umstänlich, sodass der arme Marcel, der nichts von einem Meerreich weiß, zumindest verstehen muss, wie dringend Takko wieder los muss.
"Ist dein Vater oder - Meervater, wie du ihn nennst, bei der Armee oder so?", fragt Marcel, ohne wirlich etwas verstanden zu haben, entgeistert nach.
"Mmh ja, so - ähnlich", sagt Takko. "Na, bis zum morgigen Tag kann ich ja noch bleiben."
Da seufzt Marcel einmal auf. "Wie kommst du nach Nizza?", fragt er.
"Tauchgang", sagt Takko", wie denn wohl sonst?"
"War klar", sagt Marcel und stöhnt auf. "Ich geh nachhause, weißt du -" und klettert aus dem Boot.
"Aber nein, bleib doch!", ruft Takko da aus. "Es geht doch erst am morgigen Tag für mich weiter!"
"Ist mir egal", sagt Marcel. "Wir sehen uns nächstes Jahr. Bis dahin wird eure coole Wasserrutsche wohl repariert sein, - au revoire!"
Tja, soviel Merkwürdiges ist einfach etwas viel aufeinmal für einen unwissenden französischen Menschensohn, und wer weiss denn schon, ob dieser Takko kein Spinner ist...
"Ach Meeresmann - ", seufzt Takko einmal tief, als er Marcel nachschaut, wie der jetzt über die sandigen Hügel davon rennt, " - die Menschenleute sind wirklich merkwürdig." Dann geht er ein bisschen am Strand entlang und schaut in die südliche Richtung, dorthin, wo die Wohnbereiche und die Korallengärten seiner Mutter liegen, denkt bei sich: 'Eigentlich hätte er sich den Tauchweg zu Marcel auch sparen können.'
Ein geheimer Zauber liegt jetzt über dem Meer, dort in der Region der schottischen Strandlandküste. Poseidon, der Meereskönig, hatte dem Bitten und Drängen von Kidschi nachgegeben, denn sonst findet er ja nie seinen erholsamen Schlaf.
Ja, es muss also eine Wasserrutsche sein!
Da entsteht sie nun in dieser Vollmondnacht, - ganz geheim und unsichtbar noch für die Menschenleute.
Aus hohen festen Pflanzenstengeln wird sie aufgebaut, welche die stabilsten sind im Meerreich.
Und durchaus haltbar steht jetzt schon das Gerüst da. Neptun hat es persöhnlich aufgebaut, in der Dämmerungsnacht zuvor, denn es macht ihm Spaß etwas für seine kleinen Meeresbewohner zu bauen.
Und jetzt sind viele kleine Meerjungfrauen dabei, es zu verzieren und bunt zu bemalen. Und ein Elfenzauber liegt dabei in der Luft, alles kreist und schwirrt in Hypergeschwindigkeit, kaum in Einzelheiten zu erkennen, in konzentrierter Emsigkeit am Gerüst herum.
Takko sitzt auf dem Fenstersims seiner eigenen kleinen Wohngrotte in der Meeresburg und sieht dabei zu. Zwar sollte er eigentlich möglichst in der Dämmerungsnacht schlafen, doch das hier ist viel zu spannend, um schlafen zu können. "Yuhu u, di du! Endlich eine Wasserrutsche!"
Sie sieht aus wie eine große Schneckenmuschel, die mit der Spitze nach oben liegt und sich spiralförmig nach unten immer weiter ausdehnt. Jetzt naht der kräftige Olio heran.
Auf dem Rücken trägt er eine längliche glatte Schale aus glänzendem Silbermaterial und schiebt sich damit bäuchlings langsam die porösen Wände vom Gerüst hinauf.
Diese sind nämlich schon mit Meeresbodensand ausstaffiert. Ganz oben an der Spitze angekommen, legt er die beiden Schalen ab. Und nun kann Takko sehen, dass es zwei silberne Schalen sind und wie Olio sie zusammen montiert.
Dann springt Olio wieder ins Meer hinab, um noch weitere Schalen zu holen, denn aus diesen zusammengefügten Teilen soll wohl die geschwungene Rutschbahn entstehen...
Die kleinen Meerjungfrauen haben ihre Aufgabe beendet und schwimmen davon, zurück in ihre jeweiligen Burgbereiche, in denen sie dienen und einige wohl auch dorthin, wo Neptuns riesengroße Schlafmuschel in seinem Schlafgemach steht und, - wie wir schon wissen, um sich müde mit hineinzulegen.
Aber Takko sieht Olio noch beim Bau der Wasserrutsche zu, solange bis sie vollendet fertig geworden ist.
Kidschi hat also Geburtstag. Sie läuft ganz früh vor der ersten Mittagsstunde aufgeregt durch den Wohnpalast, tanzt und springt dabei herum, wie ein lustiger kleiner Seehund bei seinem ersten Ausflug über die Wellen.
Denn nun ist sie in ihrem neunten Lebensjahrzehnt und bekommt als Geschenk eine besondere Geburtstagsfeier, wie sie schon herausbekommen hat.
"Ich bin jetzt nicht mehr lange bei euch", verkündet sie den kleinen Meerjungfrauen, "denn ich ziehe um zu meiner Tante Marja, Neptuns schöner Meerfrau, und besuche dort eine Schule für außergewöhnliche Aufgabenbereiche.
Da müsst ihr nun leider ohne mich zurechtkommen für eine lange Zeit."
Da seufzen die kleinen Meerjungfrauen ein paarmal auf und nicken bedauerlich mit ihren Köpfen, obwohl es ihnen in Wahrheit gar nichts ausmacht.
Nur die Spiele mit Kidschi würden sie wohl auch etwas vermissen, aber bestimmt nicht ihre strengen Vorhaltungen, wenn Kidschi etwas angestellt hat und dann immer meint, die Meerjungfrauen sollten deswegen mitbestraft werden, - inform von launischen, eigens erfundenen, Predigten.
"Sobald Poseidon wach ist, bekomme ich mein Geschenk", fährt sie fort, "und ihr dürft dabei sein. Na, freut ihr euch jetzt?
Es gibt wieder leckeren Meereskuchen zum Frühbrunch und ihr bekommt auch davon. Na, freut ihr euch?!"
Ja, sie ist so aufgekratzt und voller gespannter Erwartung darüber, welches Geschenk Papa Poseidon wohl dieses Mal für sie ausgewählt haben mag.
Und deshalb umarmt sie die Kleinen ein paar Mal und ergreift ihre Händchen, um mit ihnen den Meeresreigentanz zu tanzen!
Da kommt Takko jetzt durch den Eintauch getaucht. "Heilidi ho!", sagt er ", störe ich beim Frühtanz oder was soll das hier sein?"
"Ich - habe Geburtstag", sagt Kidschi entrüstet, "das soll es sein."
"Ah so, ja, - weiß ich aber schon", sagt Takko und grinst dabei, während er sich ein Glas frische Nektarlimonade eingießt. "Bloß wusste ich noch nicht, dass man ihn mit albernen Meeresreigentänzen abfeiert."
"Tu ich gar nicht!", sagt Kidschi jetzt beleidigt maulig. "Meine große Feier ist erst am frühen Abend. Hast - du denn kein Geschenk für mich...?"
Ja, natürlich hat Takko für sie ein kleines Geschenk in seinem Gürtelbeutelchen.
Er holt es heraus und wirft es zu ihr hinüber, wie eine Muschel aus dem beliebten Spiel 'Fang die Muschel'.
Zum Glück ist Kidschi eine geschickte Fangdiemuschelspielerin und erwischt es mit einem Sprung nach oben.
"Hoch soll sie leben!", ruft Takko jetzt aus und hebt dabei lachend sein Glas in die Höhe. "Möge sie uns noch viele Jahrzehnte weiterhin auf die Nerven fallen, ha ha!"
Doch das überhört Kidschi gleich, denn sie weiß, dass Takko es nicht so ernst meint, obwohl sie oft mit ihm herumstreitet und wickelt lieber schnell ihr Geschenk aus dem Seidentuch heraus. Oh, - es ist eine kleine Sprechmuschel! Ganz für sie allein!"
"Damit du uns von Marjas Wohnpalast weiter ausspionieren kannst", sagt Takko aber bloß, als sie ihn vor Freude über das Geschenk einmal doll umarmt. "Nee, ich benutze sie nur bei Gefahr", sagt Kidschi nun etwas altklug.
Sie betrachtet die hübsche Gravur an den Seiten der Sprechmuschel, welche mit bunten Perlen eingestanzt ist und sieht sich die kleinen Tasten daran genau an. 'Welche ist für welches Signal? Na, da fragt sie lieber Miria gleich.'
"Ich kenne übrigens dein Geschenk von Poseidon", sagt Takko, nimmt sich einen kleinen Krabbenbürger vom Brunchbüffet und wendet sich wieder zum Austauch.
"Was ist es, was ist es!?", ruft Kidschi da sofort aufgeregt aus, besinnt sich dann aber gleich wieder, "ach nein, sag es mir lieber doch nicht!"
"Ich kann es aber von meinem Fenster aus sehen, ha!", sagt Takko laut und ist schon zum Eintauch hinaus.
Nach der ersten Mittagsstunde, am Frühnachmittag, stehen Neptun, Poseidon, Kidschi und Miria und
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Bildmaterialien: own Cover
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Tag der Veröffentlichung: 07.11.2018
ISBN: 978-3-7438-8569-1
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle beherzten abenteuerlichen kleinen und großen Meeresschützer