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Bruno der Bullenbär

Bruno entdeckt den Finanzmarkt

 

Die Bruno-Chroniken | Mattis Mustermann

 

 

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Mattis Mustermann

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Kapitel 1 – Das Leben des Bruno

Kapitel 1 - Das Leben des Bruno

Bruno und das Inflationsmonster

 

»So ein Mist«, meckerte Bruno. »Jedes Jahr wird alles immer teurer. Meine geliebten Honigbonbons kosten jetzt schon über einen Taler das Päckchen. Letztes Jahr gab es diese noch für 70 Pfennig. Das ist so gemein!«

 

Natürlich ärgerte sich Bruno über die Preissteigerung. In einer Zeitung hatte er gelesen, dass man das wohl »Inflation« nennt, wenn alles immer teurer wird.

Doch war das nicht seine größte Sorge, denn Bruno sparte für sein erstes, eigenes Auto. »Bald schon, in ein paar Jahren, habe ich das Geld zusammen und kann mir endlich mein Traumauto kaufen«, motivierte er sich ständig selbst. Denn: Sein Traumauto - ein roter Flitzer mit Hastdunichtgesehen-Alufelgen - war teuer. Also musste Bruno sparen.

 

»Aber«, schimpfte Bruno nun immer lauter völlig in Gedanken verloren und verzweifelt: »Wie soll ich das machen, wenn der Taler jedes Jahr immer weniger wert wird? Mein ganzes Erspartes wird ja wertlos, bevor ich mir das Auto jemals leisten kann!«

 

Resigniert ging Bruno in die Küche und holte sich ein paar weitere Honigbonbons. »Nur diese Woche im Angebot: 90 Pfennig statt 1 Taler!«, erinnerte er sich an die Werbung im Supermarkt zum Jahreswechsel, als der Preis von eigentlich 70 Pfennig auf 1 Taler erhöht wurde. Irgendwas kam ihn an diesem 'Angebot' sehr suspekt vor, aber er konnte nicht genau sagen was. Jedenfalls tröstete er sich damit, dass er dann gleich zugeschlagen und auf Vorrat eine ganze Palette Honigbonbons gekauft hatte. »Der Vorrat reicht mir monatelang«, grinste Bruno zufrieden - hatte er doch der Inflation wenigstens kurzfristig seiner Meinung nach damit ein Schnippchen geschlagen.

 

Aber, oh weh…das Problem mit dem gesparten Geld war ja dennoch nicht gelöst. Wie konnte Bruno auf sein Traumauto sparen, wenn das Geld ja dauernd wertloser wurde? Er hatte schon alles in Erwägung gezogen. Bei der Bank empfahl man ihm ein Sparbuch: 1% Zins pro Jahr. »Dann mache ich ja 9% Verlust, wenn wir 10% Inflation haben« dachte sich Bruno dazu nur. Die Versicherung des Herrn Kaiser-Pinguin bot ihm 5%, aber dann wäre die Laufzeit sehr lange gewesen, bis er an das Geld käme - und er hätte dennoch 5% Verlust gemacht.

 

Alternativ hätte er ja auch an die Börse gehen können und das Geld in Aktien anlegen - so wie es sein Onkel Otto Otter tat, der damals immer sagte: »Du musst Internetfirmen und Telekommunikationsunternehmen kaufen, mein Junge!« Das war vor rund 20-25 Jahren, als Bruno eigentlich noch ein Kind war und nicht verstand, was der Onkel meinte. Aber die Unternehmen kannte er durchaus. Eines davon war ein ehemaliger, staatlicher Telekommunikationsbetrieb, der ganz dem damaligen Zeitgeist üblich privatisiert wurde. Seltsamerweise war Onkel Otto nur wenige Jahre nach dieser Empfehlung sehr ruhig geworden, wenn man ihn auf seine Anlagen aus dieser Zeit ansprach. Er murmelte meist nur mürrisch, dass die Börse einfach spinnt und irgendwann alles wieder steigen müsste. Allerdings bräuchte man sehr viel Geduld, damit sich das lohnt.

 

Da Bruno wenig Geduld hatte und sein Onkel ihm Kraft seiner Erfahrungen an der Börse mehr als deutlich machte, dass Aktien wirklich nur für sehr langfristige Anlagezwecke gedacht waren, aber er seinen Flitzer schnell haben wollte, musste auch diese Idee fallen gelassen werden.

 

Als letztes dachte Bruno noch über Immobilien nach; allerdings bräuchte man dafür viel Geld auf einen Schlag und dann käme man gar nicht so schnell wieder dran, wenn man es wirklich brauchen würde. Zwar kannte sich Onkel Otto da gut aus - er investierte Mitte der 2000er viel in Immobilien in Übersee im Land des großen Adlers, welches auf der anderen Seite des Ozeans im Westen lag - doch war das weniger was für Bruno. Er überließ das lieber den Profis wie seinem Onkel. Bruno brauchte was Einfacheres. Zumal, wenn Bruno so viel Geld hätte, er sich das Auto auch sowieso sofort leisten könnte.

 

»Am liebsten würde ich ja meine Taler unters Kopfkissen legen, wenn ich wüsste, dass die Inflation die nicht kaputtmachen würde.«

 

 

Am nächsten Tag traf Bruno beim Spaziergehen zufällig einen alten Bekannten: Igor den Igel. Er freute sich sehr ihn zu treffen, denn Igor war ein schlaues Kerlchen. Immer hatte er einen guten Ratschlag parat - so wie damals, als er Bruno den Tipp gab: »Wenn du dich mal einsam fühlst, musst du einfach einen Horrorfilm ansehen. Glaube mir, danach wirst du nicht mehr das Gefühl haben, ganz alleine zu sein!«

 

Igor ahnte schon, dass Bruno etwas wirklich auf der Seele brannte. Schließlich kannte er Bruno schon, als dieser noch ein kleiner Bullenbär und frisch zu seinem Onkel Otto, der ihn damals aufzog, in die Stadt gezogen war. Bruno und Igor besuchten damals gemeinsam dieselbe Grundschule. »Was ist denn los, Bruno? Ich sehe doch, dass dich irgendwas sehr bedrückt?«, fragte Igor.

 

»Es geht um mein Traumauto, d…«

 

»Ah, dieser rote Flitzer mit den tollen Felgen und der serienmäßigen Hupunterbrechung und den gelabweisenden Vollledersitzen inklusive verstellbarer Lärmbelästigungsbeschallungsrunterregelung für unerwartete Polizeikontrollen«, unterbrach ihn Igor.

 

»Ja, genau der…«, antwortete Bruno bedrückt. Musste denn Igor all die tollen Vorzüge seines Traumwagens unbedingt runterrattern? Das machte doch das Ganze nur schlimmer! »Ich werde mir den nie leisten können.«

 

»Aber du sparst doch seit gefühlten Ewigkeiten darauf hin? Und auf großem Fuß lebst du auch nicht gerade. Außerdem…soooo teuer ist der Wagen auch nicht. Ich verstehe nicht ganz, wie du da jetzt drauf kommst - oder hast du wieder auf Anraten deines Onkels in Kryptowährungen investiert?«, fragte Igor.

 

»Nein, es ist das Inflationsmonster.«

 

»Hä?« Igor verstand nicht, worauf Bruno hinauswollte.

 

»Ja, das Inflationsmonster«, wiederholte Bruno energisch: »Also halt die Inflation. Die ist wie ein Monster. Ich habe das Gefühl, die kommt des Nachts und knabbert an meinen hart ersparten Talern. Am nächsten Morgen sind die irgendwie leichter und weniger wert.«

 

»Was?« Igor war sichtlich irritiert.

 

»Ja, weniger wert. Oder halt…sie sind noch da, aber dann gehe ich einkaufen…und muss feststellen, dass meine Lieblingshonigbonbons teurer geworden sind. Als ob der Supermarkt wüsste, dass meine Taler weniger wert geworden sind, weil das Inflationsmonster die angeknabbert hat.«

 

»Ah«, entgegnete Igor: »Langsam verstehe ich. Alles wird teurer und dein Erspartes schmilzt nur so dahin? Ja, das ist wirklich nicht schön.«

 

»Wenn das so weitergeht, werde ich mir meinen Traumwagen nie leisten können«, schluchzte Bruno mit nun tränenunterlaufenen Augen.

 

»Ach Bruno«, tröstete Igor ihn, »es gibt doch so eine einfache Möglichkeit, deine hart ersparten Taler vor dem Inflationsmon….ähm…der Inflation…zu schützen. Du machst dir total unnötig Sorgen.« Igor strotzte nur so vor Zuversicht und Selbstüberzeugung. Hatte er wirklich eine zündende Idee?

 

»Hä? Echt? Wie meinst du das? Alles was ich bisher probieren wollte, ging nicht. Auf der Bank gibt es kaum Zinsen, der Herr Kaiser-Pinguin kann mir auch nichts Gescheites anbieten und das mit der Börse ist auch nicht ideal. Was gibt es denn noch?« In Brunos Stimme klang Verzweiflung, aber auch Neugier durch in Bezug auf das, was Igor gleich vorschlagen würde.

 

Pause. Igor sagte nichts - die Sekunden kamen Bruno wie eine Ewigkeit vor. Igor LIEBTE es Spannung aufzubauen, wenn er eine LÖSUNG für ein PROBLEM kannte. Als es Bruno kaum noch aushielt, sagte Igor nur…ein…einziges…Wort.

»Gold!«

 

Stille. Bruno sortierte seine Gedanken. Er verstand nicht so Recht, was ihm Igor sagen wollte.

 

»Gold?«

 

»Gold!«

 

»Gold?«

 

»Gold!«

 

»Gold?«

 

»Ja Mann, Gold! Bist du blöd oder taub? Was ist daran so schwer zu verstehen an einem Wort mit vier Buchstaben. GEEE, OOO, ÄLLL, DEE. Ja, ich habe Gold gesagt. Dieses gelbe, harte Zeug aus den Minen von Moria und so«, unterbrach Igor jäh Brunos wiederholt geäußerte Frage.

 

»Aber«, fragte Bruno, »was hat Gold mit meinem Traumauto und den Talern zu tun?«

 

»Gold kann dir helfen dein Inflationsmon….gnahahaha…« Igor musste ein Lachen unterdrücken. »Sowas«, dachte er: »Ein Inflationsmonster, das nachts kommt und heimlich Geld frisst. Darauf kann nur Bruno kommen. « Er räusperte sich, unterdrückte den Wunsch loszulachen und begann erneut: »Gold kann dir helfen dein Inflations…problem… zu lösen. Die Inflation kann Gold nichts anhaben.«

 

»Ja, aber wieso ist das so?«

 

»Ach«, winkte Igor ab, »ich bin nicht der Fachmann. Geh lieber zum Goldhändler Leopold.«

 

»Ach, der alte Luchs Leopold ist Goldhändler?«

 

Igor wunderte sich ob der Ahnungslosigkeit von Bruno: »Ähm, seit Jahren. In der Innenstadt. Noch nie gesehen? Hinter der Kneipe von Biber Brigitte. Er hat angeblich aber auch Erfahrungen in anderen Bereichen gemacht. Das ist ein richtiger Tausendsassa.«

 

Bruno dankte Igor schnell für die Idee und versprach, gleich am nächsten Tag zu Leopold zu gehen. Er drückte in dieser Nacht kein Auge zu - das leise Knabbern des Inflationsmonsters raubte ihm jeden Schlaf. Doch immer, wenn er zu seinen Talern in seinem Geheimversteck im Keller hinrannte um nachzusehen - war es plötzlich verschwunden. Wenigstens dachte das Bruno. Zudem war er aufgeregt, was es mit diesem Gold denn so auf sich haben würde.

 

 

 

Goldschmiede haben es wahrlich nicht leicht

 

Am nächsten Tag kam Bruno nicht vor halb vier am Nachmittag aus dem Bett. Er muss wohl irgendwann in der Frühe dann doch eingeschlafen sein - am Küchentisch. »Oh verdammt, ich muss mich beeilen«, murmelte Bruno im Halbschlaf. »Der Leopold macht bestimmt bald zu. Es ist doch schon Samstagnachmittag…falls es nicht schon zu spät ist…«

 

In Windeseile eilte Bruno in die Innenstadt - zum Geschäft des Goldhändlers Leopold, welches er mühelos dank Igors Wegbeschreibung fand.

 

Als er durch die Rennerei völlig außer Atem ankam, konnte er Leopold gerade dabei beobachten, wie er draußen an der Eingangstür ein Schild montierte, auf welchem stand: »Geschlossen - für immer. «

 

Bruno konnte erkennen, dass Leopold den Tränen nahe war. Es bereitete ihm sichtlich psychische und vielleicht sogar physische Schmerzen, das Schild anzubringen. Aber Bruno musste doch so viel lernen und brauchte Leopolds Rat. Ohne ihn würde er nie erfahren, was es mit diesem Gold auf sich hatte und wie er vielleicht doch an sein Traumauto kommen könnte.

 

Vorsichtig kam Bruno näher. Leopold schien tief in Gedanken versunken. Mit fast gänzlich leerem Ausdruck starrte er auf die Eingangstüre - und das angebrachte Schild.

 

»Ähm, schuldigung?«, stammelte Bruno. »Du bist doch der Leopold, oder?«

 

»Hmm?« Leopold drehte sich ganz langsam zu Bruno um, immer noch mit den Gedanken deutlich wo anders: »Is' zu. Komm morgen wieder.«

 

»Morgen ist Sonntag.«

 

»Ja…dann halt Montag«, knurrte Leopold.

 

»Aber«, entgegnete Bruno, »Auf dem Schild steht…nun ja…wenn das auf dem Schild stimmt, ist wohl Montag auch zu. Und Dienstag. Und Mittwoch. Wahrscheinlich auch Donnerstag. Sehr sicher auch Freitag und Samstag dann auch wieder. Also wenn nicht jetzt, wann dann?«

 

»Gut erkannt, mein Junge«, antwortete Leopold, seufzte tief und schüttelte nur den Kopf. »Tut mir leid, ich habe leider kein Gold für dich. Geh woanders welches kaufen.«

 

»Woher willst du wissen, dass ich Gold haben möchte?«, entgegnete Bruno.

 

Leopolds ganze Körpersprache änderte sich schlagartig. Energisch - fast schon manisch - gestikulierte er wild herum und sprach mit zittrig-donnernder Stimme: »Weil ALLE von mir Gold wollen. ALLE. Verstehst du? ALLE. Und weißt du was das Problem ist? Hä? Weißt du es? Kommst du drauf? Na, na, NA?«

 

»Woah, was soll das jetzt…ähm…ja…ähm.« Bruno war sehr überrascht. Mit so einer Reaktion hatte er wahrlich nicht gerechnet - und auf die Frage war er erst recht nicht vorbereitet. »Na, weil Du der Goldhändler Leopold bist. Steht ja da oben auf dem Schild, also dem Eingangsschild…nicht dem anderen Schild mit der Schließung…also dem Schild über dem Schild…oder so. Naja, du weißt sicher was ich meine.« Bruno räusperte sich und las laut vor, was über dem Eingang in großen Lettern geschrieben stand: »Leopold Luchs Goldhändler - Aurum est Aurum!«

 

»Und was sagst dir das, mein schlaues Kerlchen?«, entgegnete Leopold mit einem klitzekleinen Hauch Sarkasmus in der Stimme.

 

»Dass du Gold verkaufst - und wahrscheinlich auch kaufst…und, dass du denkst du bist viel hipper als ich, nur weil du Latein kannst.«

 

»Exakt!«, entgegnete Leopold. »Und weißt du was das Blöde an meinem Job in der letzten Zeit ist?« Bruno zuckte mit den Achseln.

 

»ICH. HABE. KEIN. GOLD!«

 

»Wie, du hast kein Gold?« Bruno war verdutzt.

 

»Kein Gold. Nix. Nada. Aurum no habeo. Wäre doch ein gutes Motto, nicht?« In Leopolds Stimme klangen Wut, Verzweiflung und Galgenhumor gleichzeitig hervor. »Oder wie wäre es mit: 'Je n’ai pas d’or, mais j’aimerais en avoir.'«

 

»Ich bin nicht sicher, ob das nun grammatikalisch und von der Aussprache her korrekt war - und nach Latein klang das auch nicht«, entgegnete Bruno. »Aber wenn du kein Gold hast, wie kannst du dann Goldhändler sein?«

»Das ist das Problem, Jüngelchen! Es gibt kein Gold. Niemand bekommt Gold. Es kommt keine Lieferung. Gold ist alle. ALLE. Naja…zumindest bekomme ich deutlich weniger geliefert und im sonstigen Einkauf nur dann was angeboten, wenn mal wieder Jemand völlig verzweifelt bei mir aufkreuzt und den geerbten Schmuck von Großmutter loswerden bzw. schnell zu Geld machen möchte. Ich kann meine Kunden nicht beliefern. Das ist nicht gut fürs Geschäft und macht echt keinen Spaß. Ich mache jetzt zu, mir reicht's!« Leopolds Stimme klang ernst - sehr ernst. Das war keine Spontanreaktion. Viel mehr klang es so, als ob es ihn schon eine ganze Weile beschäftigt habe, wie es mit dem Geschäft weitergehen sollte.

 

»Aber ich brauche doch Gold«, entgegnete Bruno, »ich möchte mir meinen Lieblingsflitzer kaufen und muss dafür sparen. Aber ich kann nicht sparen, weil…«

 

»…weil die Finanzeliten und das SYSTEM dich ausbeuten und du dein Erspartes nun in Sicherheit vor schleichender Enteignung, Notenbanksozialismus und der bösen Regierung, die nur das Wohl der Eliten im Kopf hat, bringen möchtest?«, unterbrach Leopold Bruno.

 

»Ähm, äh, hehehe….« Bruno verstand nicht, was der alte Leopold da sagte: »Ich habe…öh…naja, nachts kommt immer das Inflationsmonster und das…sorgt dafür, dass meine Honigbonbons im Supermarkt, die ich echt voll lecker finde, immer teurer werden. Und andere Sachen auch. Wie soll ich genug Geld sparen, wenn alle meine Taler immer vom Inflationsmonster angeknabbert werden? Da werde ich nie fertig, wenn mir das immer 10% pro Jahr wegknuspert!«

 

Leopold stand mit offenem Mund da. Seine Augen waren weit aufgerissen und aus ihm sprach unendlicher Unglauben gegenüber dem gerade von Bruno geäußertem. »Das ist die wahnwitzigste Verschwörungstheorie, die mir je eh ein Kunde aufgetischt hat. Und glaube mir – ich bekomme TÄGLICH welche erzählt. Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll.« Leopold rang eine kleine, gefühlte Ewigkeit nach Fassung. Er schüttelte den Kopf und versuchte seine Gedanken zu sortieren. »Wenn ich dich richtig verstehe, willst Du dir was kaufen und musst dafür sparen. Dann kommt das…Inflationsmonster…und sorgt dafür, dass das nicht so klappt wie du möchtest? Und irgendwas mit Honigbonbons?«

 

»Das ist die Wahrheit«, entgegnete Bruno völlig entrüstet. »Ich möchte einfach meine Taler in Sicherheit bringen. Auf der Bank gibt es keine Zinsen und anderswo anlegen ist auch nicht so toll. Zuhause aber kommt immer das Infla…« »Ist ja gut, ist ja gut«, unterbrach ihn Leopold. »Bitte, rede nicht weiter. Meine Lachmu…ich halte das sonst nicht aus. Ich werde sonst noch verrückt. Nicht nur, dass ich meine Kunden nicht mit Gold beliefern kann, zumindest die meisten nicht - JEDER, wirklich JEDER erzählt mir SEINE Geschichte. Eine verrückter als die andere. Aber im Kern ist es immer das Gleiche: Du willst wie ALLE anderen AUCH, die zu mir kommen, dass deine vermaledeiten Taler SICHER sind vor…ja…öhm…ALLEM.«

 

»Genau, damit ich mir noch morgen für meine Taler dieselbe Menge Honigbonbons kaufen kann…oder halt meinen Traumwagen.« Bruno war sichtlich erleichtert, dass Leopold zu verstehen begann.

 

»Oh…okay, warte kurz.« Leopold griff in seine Jackentasche und kramte eine Packung Zigaretten hervor. Er entnahm eine Zigarette aus der Schachtel mit der Aufschrift 'Lungenböller Extra Stark', zündete diese hastig mit einem Feuerzeug an und nahm ein paar tiefe, genussvolle Züge.

 

»Aaaahhh, viel besser«, sprach Leopold erleichtert und beruhigt. Kundenkontakt, besonders solcher wie mit Leuten vom Schlage eines Brunos, ließ in Leopold immer den Wunsch aufkommen, erst mal eine Zigarette zu nehmen. Er meinte immer, dass das seine Nerven so gut beruhigte - und ihm als deutlich bessere Alternative erschien, als ansonsten den Kunden wegen offensichtlichem Wahnsinn anzuschnauzen.

 

»Du«, sprach Leopold nun vom Zigarettenqualm deutlich entspannt, »möchtest also Gold kaufen, weil du deine Taler in Gefahr siehst. Dann bist du hier bei mir genau richtig. Ich habe viele Leute wie dich bei mir als Kunden, die denselben Wunsch verspüren. Leider, mein Freund, habe ich nicht genügend Ware. Es ist alles ausverkauft. Seit Wochen - ach was, MONATEN! Immer mehr Leute kommen, erzählen mir ihre Lebensgeschichte und kaufen mir im Anschluss den Laden leer. Anfangs habe ich mich noch gefreut, aber inzwischen…« Leopolds Blick wurde plötzlich traurig und leer. »Keine Ware, kein Umsatz, kein Geld. So einfach ist das für mich. Es ist vorbei.«

 

»Immer mehr Leute möchten Gold, echt?« Bruno war überrascht, dass auch andere Leute gerne mit ihren Talern Honigbonbons kaufen wollten oder für einen Traumwagen sparten.

 

»Ja, es ist wahr«, antwortete Leopold auf Brunos Frage. »Die Leute kaufen immer verzweifelter Gold, weil sie dem Geld nicht mehr vertrauen. Sie haben Angst, dass ihre Taler bald nichts mehr wert sind. Ich musste immer mehr mit leeren Händen wegschicken. Einige gingen aus Verzweiflung sogar zum illega….ähm…freischaffenden Edelmetallhändler Pingpong Panda gegenüber von mir.« Leopold zeigte mit einer bewegungsarmen Geste auf die andere Straßenseite, wo Bruno eine unscheinbare Türe erkennen konnte, auf der ein kleines Schild mit der Aufschrift »Pingpong Panda - Ankauf und Velkauf. Wil kaufen alten Schlott. Wil velkaufen weltvolle Antiquitäten« stand. Daneben sah er im Schaufenster des Geschäftes ein Fahrrad mit einem Preisschild. »4999 Talel«, konnte Bruno darauf geschrieben erkennen. Darunter hatte wahrscheinlich der Inhaber des Geschäftes höchstpersönlich einen schmissigen Slogan geschrieben: »Gutel Lad ist teuel.« Noch weiter daneben im Schaufenster wurde für eine Fahrradfinanzierung geworben, bei welcher der Kunde mit vollkommen vertretbaren, kurzen Lieferzeiten geködert wurde: »Waltezeit nul ein Jahl. Kommt Zeit, kommt Lad.«

 

»Das ist ein Mischwarenladen«, unterbrach Leopold Brunos Gedankenverlorenheit. »Der Pingpong Panda dort kauft und verkauft alles Mögliche. Was eben gerade so gefragt ist. Das da im Fenster ist so eine E-Bike-Aktion, habe ich mir sagen lassen - und aktuell fragen viele Leute bei ihm nach Gold.«

 

Leopold nahm einen weiteren, tiefen Zug an der Zigarette und erzählte weiter - nun mehr mit einer Spur Schadenfreude in der Stimme: »Ach, du kannst es dir nicht vorstellen. So viele Leute haben zu mir gesagt, wenn ich nicht liefern kann, dann gehen sie eben zum Panda. Ha, alle hinters Licht geführt hat der! Hat denen immer geliefert. Aber weißt du was dann passiert ist? Ein paar Wochen später standen die ALLE wieder bei mir. ALLE. Warum? Weil er ihnen minderwertige, gestreckte Ware angeboten hat. Da stand 30 Gramm Gold pro Münze drauf, zumindest laut Rechnung. Drin waren aber nur FÜNF. Und keiner hat es gemerkt.«

 

»Ja, sind die Leute dann nicht zur Polizei? Das ist doch Betrug?«, fragte Bruno entsetzt.

 

»Bestimmt hatten das Einige vor«, sagte Leopold und nahm einen weiteren Zug, »aber erklär mal der Polizei, dass dich Jemand betrogen hat, weil du von deinem Schwarzgeld Gold kaufen wolltest.«

 

Bruno verstand nicht ganz, worauf Leopold hinauswollte. Als der Goldhändler dies erkannte, schüttelte er nur den Kopf und meinte lapidar: »Ist nicht so wichtig. Komm rein. Du scheinst nicht viel über Gold zu wissen, richtig? Ich zeige dir was.«


 

 

Inside the house of Goldfinger

 

Leopold ging nach drinnen in sein Geschäft. Bruno trottete mit fragendem Gesichtsausdruck hinterher. Der Laden des Goldhändlers wirkte sehr aufgeräumt. Ein paar Münzen und Goldbarren lagen in den - natürlich gesicherten - Auslagen noch zur Ansicht da. Wahrscheinlich die letzten Ausstellungsstücke, denn ansonsten wirkten die leeren Regale so, als ob es tatsächlich ein Problem mit den Lieferungen gäbe.

 

»Weißt du, es ist so«, begann Leopold zu erzählen und goss sich und Bruno einen Schluck aus einer seltsam-mysteriösen Flasche in zwei Gläser ein. Dem Geruch und Geschmack nach zu urteilen, musste es sich um sowas wie die Medizin von Brunos Großvater Grizzlybär handeln. Diese roch sehr ähnlich und Großvater nahm diese immer morgens mit einem Lächeln auf den Lippen ein. »Tja, mein Enkel. Der Großvater braucht jetzt seinen Startpilot«, pflegte der alte Bär damals immer zu sagen. Ach…Bruno dachte gerne an seinen Großvater zurück, der leider viel zu weit weg in einer anderen Gegend wohnte. Er wuchs bei diesem auf, bis eines Tages sein Onkel Otto Otter ihn hierher mitnahm. Wieso? …das hatte Bruno nie ganz verstanden. Er wusste nur, dass es vermutlich etwas mit dem Verschwinden seiner Eltern zu tun haben musste.

 

Leopold nippte an seinem Glas und sagte zu Bruno: »Früher, noch bevor die großen Pyramiden gebaut wurden, hatte man schon Taler gebraucht. Die hat man aus Gold und anderen wertvollen Metallen geprägt. Das hat den Handel viel, viel leichter gemacht. So musste keiner mehr zwanzig Hühner gegen eine Kuh tauschen, sondern konnte einfach in einer einheitlichen Währung zahlen: dem Goldtaler. Das hat sich rasend schnell durchgesetzt. Und noch wichtiger…« Leopold erhob seinen Zeigefinger und deutete nach oben: »Die da oben - das SYSTEM - konnten mit Gold nicht so leicht betrügen.«

Er nahm einen weiteren Schluck, bevor er fortfuhr: »Zwar haben alle Könige und Fürsten immer wieder im Laufe der Jahrhunderte versucht, bei den Goldtalern ein Stück am Rand abzufeilen, den Anteil an Gold zu reduzieren oder sonst wie die Münze leichter zu machen…«

 

»Wie das Inflationsmonster!«, unterbrach Bruno Leopold freudig.

 

»Wie das Inflationsmonster, ja…von mir aus«, stimmte Leopold kopfschüttelnd zu. Er beschloss, sein Glas nochmal gänzlich mit Medizin aufzufüllen und dann den ganzen Inhalt auf einmal runterzukippen.

 

»Irgendwann hat man gemerkt, dass Goldtaler doch ein wenig viel Gewicht zum Tragen in der Brieftasche bedeuten. Vor allem konnte man trotz allen Methoden nicht unendlich die Taler…naja…abfeilen, den Goldanteil reduzieren und so weiter. Deswegen kam man auf die Idee, statt Gold Papiertaler zu nutzen. Papier ist viel leichter als Gold und vereinfacht den Handel noch weiter. Und wenn dann doch Jemand mal auf Nummer Sicher gehen möchte, kann er jederzeit bei der Bank seine Papiertaler in Gold, oder genauer gesagt: Goldtaler - umtauschen. Das hat alles noch viel mehr vereinfacht.«

 

Bruno verstand sofort. Die Vorstellung, mit einem ganzen Sack an schweren Edelmetallmünzen zum Autohändler zu müssen, um den ersehnten Traumwagen zu kaufen, klang echt unbequem. Und auch der Kauf der geliebten Honigbonbons mit Goldtalern? Der Goldbeutel musste früher echt schwer gewesen sein. Wie praktisch waren also die schönen Papiertaler, die alles so bequem machten - und wenn man doch mal ein paar Pfennigmünzen brauchte, waren die vom Gewicht her kaum die Rede wert.

 

»Aber, Leopold?«, hakte Bruno nach, »was ist, wenn Jemand Papiertaler in Gold hätte umtauschen wollen?«

 

Leopold goss sich erneut ein: »Kein Problem. Wie gesagt, ab zur Bank und die Papiertaler gegen Goldtaler eintauschen. Das haben hier und da ein paar natürlich gemacht. Aber selbst diesen paar unverbesserlichen Echtgoldfans ist bald aufgefallen, dass Goldtaler eigentlich unpraktisch waren. Im Alltag waren Papiertaler im Vergleich einfach deutlich bequemer. Also WARUM dann unnötig GOLD herumschleppen, wenn das Papier quasi GOLD ist?«

 

Bei diesem Gedanken starrte Leopold tief in sein Glas, als ob ihm eine wichtige Erkenntnis fast, aber eben nur fast…offenbar wurde. »Papier wird Gold«, murmelte Leopold, »irgendwas übersehe ich da…«

 

Bruno wollte mehr wissen. Leopold verdrängte den Gedanken, dass Papier doch Gold sein könnte, und erzählte weiter. Thematisch ging es in Leopolds Vortrag von den großen Eroberern, die in fernen Landen Gold raubten und damit ihrer Heimat Reichtum bescherten und durch das folgende Überangebot an Gold auch dessen anschließenden Zerfall einläuteten, über die goldgedeckte Währung zu Kaisers Zeiten bis hin zum immer wieder auftretenden Argument mitsamt Beweisen in der Geschichte, dass alle Währungen irgendwann zu ihrem wahren Papierwert zurückkehren: Null. »Gold aber, das edle Metall«, schloss Leopold sein Referat, »bleibt immer Gold.«

 

»Eine Unze ist eine Unze ist eine Unze. Eine Unze kauft dir einen Herrenanzug. Immer. Merke dir das, lieber Bruno«, schloss Leopold seine Predigt. »Unze, was ist das?«, fragte Bruno. »Eine Goldmünze mit ca. 31,1034768 Gramm Goldgehalt. Das ist eine Maßeinheit«, antwortete Leopold knapp. Draußen war es inzwischen dunkel geworden und die Flasche längst leer. Bruno fühlte sich, nachdem er auch seinen Anteil an der Medizin genommen hatte, seltsam beschwingt. Ihn überkam ein Hochgefühl. Dadurch erschien ihm Gold als DIE Lösung schlechthin.

 

»Jetzt verstehe ich, Leopold«, sprach der nun leicht schwankende Bruno. »Gold ist die ultimative OPTION. Ein Goldtaler bleibt IMMER ein Goldtaler. Mal ein bisschen mehr wert, mal ein bisschen weniger. Aber kauft mir immer einen Herrenanzug…oder viele Honigbonbons…oder viele Goldtaler meinen Traumwagen. Aber nie wird mein Traumwagen in Gold gerechnet teurer, gleichzeitig jedoch auch nicht billiger. Der Wert bleibt quasi stabil.«

»Sooo…in…etwa«, lallte Leopold.

 

»Also besiegt Gold das böse Inflationsmonster!«, fasste Bruno das Gespräch freudig zusammen.

 

Leopold lachte nicht

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 12.05.2022
ISBN: 978-3-7554-1355-4

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