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Morgens:




Auf dem Ledersitz der Sitzbank neben mir, sitzt eine sehr elegante, ältere Dame.
Sie hat blond gefärbtes Haar. Doch an dem Haaransatz schimmert ihr graues Haar hervor. Die Ohren sind von den schweren großen Ohrringen lang gezogen und eine große Sonnenbrille bedeckt ihre Augen. Ein stark roter Lippenstift zeichnet sich von ihren Make-up überzogenen Wangen ab.
Gegenüber sitzt, etwas jünger, aber dennoch alt, eine lässige, alte Frau: Sie trägt einen Nasenpiercing, ist ungepflegt und kaut Kaugummi. Neben ihr hat eine schüchterne Frau mit einer Stupsnase Platz genommen.
Den Gang weiter entlang, sitz ein junges Mädchen mit blasser Haut und leicht rötlichen Haaren, daneben ein Asiate, welcher verträumt in der Bahn umher schaut.
Auf der benachbarten Sitzreihe hockt ein herausgeputzter Dreißigjähriger. Seine Augenbrauen sind gezupft worden. Er hat auffällig rote Stellen über den übrig gebliebenen Brauen.
Draußen am Bahnsteig fotografiert ein Mann ein Plakat, auf dem eine Frau für Brause wirbt.

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Ein pubertierender Junge steigt aus der U-Bahn mit seinem Kumpel aus. Seine Hose rutscht. Sein Kumpel will in die Schule gehen.
„ Ne, ich komm nicht mit. Ich hole mir erst eine Flasche Bier beim Alex ab!“
Es ist sieben Uhr und neununddreißig Minuten.

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Ein Pärchen und eine Frau lassen sich auf die Ledersitze in der Nähe der U-Bahntür fallen. Es ist zehn vor acht Uhr morgens. Sie sehen sehr alt aus, obwohl sie jung sind. Das Gesicht der Frau ist sehr faltig und blass. Ihre grauen, wenigen Haare hängen fettig ins aufgequollene Gesicht. Sie hat eine Alkoholikerstimme. Ihre Tüte platziert sie neben sich. Gegenüber sitzt das Pärchen. Beide sehen auch sehr heruntergekommen aus. Sie küssen sich, umarmen sich und schmusen ohne Rücksicht auf die Frau zu nehmen. Die ältere Frau steht auf und torkelt zum Mülleimer, wirft etwas hinein und setzt sich wieder unter einem dunklen schallenden Lachen.


Mittags:



Das Gefährt ist sehr voll. Man hört zwei Schulkinder miteinander reden:
„ Ich glaube, er spielt Klavier!“
Der andere zückt sein Handy aus seiner Hosentasche.
„ Soll ich dir etwas zeigen?“
„Ja!“
„Schau mal, das ist eine Oboe!“
„ Ach nee, das ist eine Klarinette!“
„ Dann ist es eben eine Klarinette, die aussieht wie eine Oboe!“


Nachmittags:



Auf dem Ledersitz der Sitzbank neben mir, sitzt eine Frau um die 40 mit einer Leiter in der Hand. Sie hat blondes Haar und trägt weiße Perlohrringe. Die Person ihr gegenüber, älter, aber gleiche Gesichtszüge, könnte ihre Mutter sein. Die Tochter redet, auf einer mir unbekannten Sprache und während sie spricht, schaut sie im Tunnel aus dem Fenster. Die Mutter blickt in meine Richtung.
Die Bahn hält: eine Frau setzt sich zu mir. Ich schätze sie um die dreiundzwanzig Jahre. Ihre Haare sind lang und braun- leicht zerzaust. Sie trägt in jedem Nasenflügel einen Nasenring. In den Ohren selbst, hat sie große Steinpfähle drin, welche so dick sind, dass ihre Ohrläppchen eine andere Form haben. Wären diese imposanten Pfähle draußen, hätte sie in den zwei Ohrläppchen riesige Löcher drin. Unter ihren Sitz schiebt sie ihre Reisetasche. Ihre Kleidung begnügt sich mit den abwechselnden Farben lila und grün.
Weiter den Gang entlang, ganz hinten, lachen lauthals zwei pubertäre Jungen. Sie drehen sich in der U-Bahn um. Sie sind für ihr Alter entsprechend „stylisch“, „cool“ und angesagt angezogen. Ihre Fettleibigkeit kann man unter den weiten T-Shirts nur erahnen. Die Skaterhosen rutschen dennoch.
Nächster Halt: ein alter Mann um die 80 Jahre betritt die U-Bahn und bleibt stehen. Den Kopf nach vorne gestreckt, wie eine Schildkröte schaut er aus den U- Bahntüren raus. Um seine Schulter eine Stoffhängetasche. Gleich, neben der Tür sitzt eine ältere Frau, vielleicht gleichen Alters- sie könnte auch um wenige Jahre jünger sein- mit einem aluverpackten Teller in ihren Händen. Unter der Alufolie befindet sich bestimmt ein Kuchen. Sie guckt streng und doch nett unter ihrer riesigen Brille hervor. Ihr Haar ist ergraut.

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Eine schwarz gekleidete Frau mit einem langen blonden Pferdeschwanz setzt sich nach vorne um. Ihre Freundin folgt ihr. Die Frau sieht sehr männlich aus und hat einen Weihnachtskalender in der Hand. Sie öffnet jede Tür und isst genüsslich die Schokolade. Ihre Freundin, neben ihr, ärgert sich und redet unentwegt:
„ Dann koche ich eben nicht mehr für dich!“
Die Schwarzgekleidete, oder ist es doch ein Mann- isst unbeirrt weiter. Eine dicke Frau ganz in violett gekleidet verlässt die U-Bahn. Sie schiebt mich dabei zur Seite. Die Freundin von der schwarz gekleideten regt sich nun mehr auf.
Jetzt sind nur noch wenige Türchen im Weihnachtskalender ungeöffnet, wobei der Dezember noch nicht mal angefangen hat.


Abends:



Ein rundlicher Junge in Joggingshosen legt seine Füßen auf dem Sitz.
„Es ist so unfair: andere kriegen ihr Geld in den Hintern gesteckt und ich soll auf der Straße verrecken!“
Das gelangweilt guckende Mädchen, welche ihm gegenüber sitzt:
„ Du musst deine schlechte Laune nicht an mir rauslassen!“
„Aber ist doch wahr!“


Anderer Morgen:




Meine Uhr geht nach. Die U-Bahn fährt ein. Ich renne als ob ein Löwe hinter mir her wäre. Ich drücke fest auf den Türknopf. Atemlos und schweißgebadet setze ich mich in die überhitzte Bahn. Ich ziehe meinen farbenfrohen Schal aus und öffne meine schwarze Jacke. Die anderen Leute beobachten mich. Ich trage eine alte Jeans, weil ich ins Labor muss und ein schlichtes Oberteil. Mein Kopf muss rot sein. Ich merke, dass mein Schweiß den Rücken runter läuft. Meine Tasche fällt zu Boden. Ich hebe sie auf und merke, wie viele verträumt gedankenverloren mir dabei zu schauen. Es dauert ein bisschen bis ich wieder einen ruhigen Puls habe. Bis dahin haben sich die Betrachtenden an mich gewöhnt. An einer anderen Haltestelle wird die Aufmerksamkeit auf eine junge Mutter gelenkt, die mit einem Kinderwagen zur U-Bahn rennt und sich anschließend beim Fahrer bedankt, dass er ihr die Tür aufgemacht hat.
An der nächsten Haltestelle packt der Fahrer seine Sachen und steigt aus. Schichtwechsel. Ein älterer Kollege steigt ein. Es dauert eine Weile bis er seinen Sitz eingestellt bekommen hat. Er lässt die Blende der U-Bahn etwas runter. Draußen ist es neblig. Weiteres zieht er seine Sonnenbrille auf. Ich lege meine Handschuhe in die Tasche und hole einen Ordner heraus. Ich muss etwas in meinen Unterlagen für die Universität nachlesen. In der U- Bahn ist es wirklich sehr heiß. Meine Mütze lege ich in meinen Schoß.
Kurz bevor ich aussteigen muss, ziehe ich meine Handschuhe an und lege den Ordner in die Tasche zurück. Mir graust es vor der Kälte. An der nächsten Haltestelle muss ich aussteigen. Unmotiviert stehe ich auf und überlass meinen von mir beheizten Sitz sich selber und steige aus. Im gleichen Moment wie die U- Bahn abfährt, wird es kalt um meinen Kopf. Ich gehe ein paar Schritte. Doch jetzt fällt es mir ein, was fehlt:

Meine Lieblingsmütze!

Die U- Bahn fährt weiter-
tagtäglich, mehrmals am Tag mit anderen Leuten
und wechselnden Gegenständen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.03.2009

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