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as Telefon schrillte. Es war ihre beste Freundin Margarete.
„Einen wunderschönen guten Mo-orgen, meine Liebe“, klang ihr fröhliches Flöten, wobei sie es schaffte, einzelne Buchstaben über ganze zwei Oktaven nach oben und wieder in die Tiefe zu jagen. „Heute ist dein Gebu-urtstag, ich wünsche dir alles, alles Gute und einen wunderschönen Tag!“
„Halt die Klappe, du dumme Ziege“, knurrte Agathe und warf den Hörer auf die Gabel. Ein paar Minuten lag sie noch regungslos auf dem Rücken und verscheuchte den letzten Rest Müdigkeit, dann breitete sich ein boshaftes Grinsen auf ihrem Gesicht aus und sie erhob sich. Geburtstag! In diesem Jahr hatte sie sich besonders gut vorbereitet. Alles war geplant.
Es war acht Uhr morgens. Agathe brauchte nicht aus dem Fenster zu schauen, um zu wissen, dass ihr Nachbar exakt in dieser Minute die Tür seines Hauses öffnete, seine Frau sittsam auf die Wange küsste und voller Energie, die Aktentasche unter dem Arm, zu seinem BMW schritt.
Agathe brauchte auch nicht in den Spiegel zu schauen, um zu wissen, wie sie aussah. Sie hatte sich gestern Abend mit Margarete in einer Kneipe ein Päckchen Zigaretten und eine Flasche Wodka geteilt, ihre Haare seit drei Tagen nicht gewaschen und seit zwei Wochen die Beine nicht rasiert. Die dunklen Stoppeln waren schon von Weitem sichtbar. Zumal sie zur Feier des Tages ein extra kurzes Nachthemd mit der Aufschrift „Ficken!“ trug, das ihre Zellulite ganz wunderbar zur Geltung brachte. Vor dem Schlafengehen hatte sie das Hemd noch sorgfältig mit ein wenig Tee bekleckert.
Agathe räusperte sich heftig, dann war sie zufrieden und öffnete hustend die Haustür. Schlurfend zelebrierte sie den Gang zu ihrem Briefkasten. Das Husten hatte sie lange geübt, und der Schleim aus der Lunge kam planmäßig hinzu. Gezielt spuckte sie ihn direkt an die Grenze zum Nachbarhaus. Aus den Augenwinkeln warf sie einen Blick auf zwei entsetzte, angewiderte Gesichter.
Hervorragend!
Agathe öffnete den Briefkasten, und während sie die Zeitung und ein Reklameprospekt entnahm, griff sie wie in Gedanken versunken nach hinten und zog sich die Unterhose aus der Poritze. Nebenan wurde eine Autotür zugeschlagen, und die 225 PS des Edelschlittens heulten ein wenig lauter auf als sonst.
Dieser Tag ließ sich gut an! Zum Frühstück gab es nur ein Glas Orangensaft, dann zog sich Agathe einen weiten, schrecklich geblümten Rock und ein enganliegendes, ärmelloses Top an. Das Wetter war so, wie sie es vorrausgesagt hatten: sonnig und schwül. Schon gestern war Agathe in denselben Kleidern ein paar Mal durch den Park gelaufen, um sie richtig durchzuschwitzen. Jetzt wollte sie in die Stadt.
Sonst legte sie diese Strecke gerne mit dem Fahrrad zurück. Heute nahm sie den Bus. Um diese Zeit war er immer rappelvoll.
Agathe ging heute nicht einfach nur durch die Stadt, sie promenierte! Ihre BH-freien Brüste wippten bei jedem Schritt auf und ab und sie gab sich Mühe, bei einem Döner Kebap mit extra viel scharfer Soße darauf zu achten, dass diese ihr an Händen und Armen hinunterlief. Schließlich bot sich der Stadtbrunnen an, sowohl das Gesicht und die Hände einzutauchen als auch die heißen Beine zu kühlen. Die irritierten Blicke der Kinder währten nur kurz – ihrer Mutter gefiel es allerdings nicht, dass Agathe anfing, sich mit den Kleinen eine Wasserschlacht zu liefern.
„Kommt her, Joschi und Beatilein, Mama muss jetzt gehen“, schrillte die entsetzte Stimme von einer Bank in der Sonne.
„Hey“, lachte Agathe, als sie die Enttäuschung der Kinder sah. „Fragt Mama doch mal, wo man hier in der Nähe ein Diaphragma entsorgen kann. Di-a-phragma, habt ihr das?“
Die nassen Klamotten loszuwerden war keine Kunst, Agathe konnte sie sowieso nicht mehr leiden. In einer abgelegenen Ecke verschwanden sie in einer Mülltonne, nur die Handtasche behielt sie. Mit weit ausgestreckten Armen tanzte sie splitternackt über den Platz vor dem Rathaus – gerade zur rechten Zeit, denn die Flügeltüren öffneten sich und eine Hochzeitsgesellschaft durchschritt würdevoll den Torbogen.
„Ich bin die Königin der Welt!“ kreischte Agathe und drehte sich im Kreis.
Zwei Menschen in Uniform bedeuteten ihr mitzukommen. Da Agathe sie nur mit einem fröhlichen „Wo kann ich denn hier Haarwuchsmittel kaufen?“ bombardierte, durchsuchten sie ihre Handtasche und fanden darin einen Zettel. Freundlich, aber energisch verfrachteten sie Agathe in ein Polizeiauto mit Klimaanlage und chauffierten sie einmal quer durch die Stadt. In einem Vorortgebiet öffnete ihnen eine gepflegte Dame mittleren Alters die Tür und erklärte mit augenscheinlicher Erleichterung ihre Dankbarkeit gegenüber den Rettern.
„Passen sie das nächste Mal etwas besser auf ihre Schwester auf, ja“, knurrte einer der Helden zum Abschied. Die Tür fiel ins Schloss, und Margarete und Agathe lehnten sich laut prustend an die Wand.
„Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr“, lachte Margarete.
„War so schönes Wetter“, kicherte Agathe.
„Und? Was machen wir jetzt?“
„Oh.“ Agathe hatte alles geplant. „Ich werde jetzt erst mal ausgiebig duschen. Und anschließend fahren wir in den Zoo. Ich weiß jetzt, wie man die verdammten Schlösser aufkriegt.“
Tag der Veröffentlichung: 18.08.2009
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