Es begab sich einmal zu einer Zeit, lange nachdem die Enkel der letzten Menschen die Welt auf die eine oder andere, teils originelle, teils gewöhnliche Art und Weise verlassen hatten, dass die liebevollen Lebewesen, die den Erdball nun größtenteils bewohnten, etwas für sie Unglaubliches erlebten: Sie empfanden Wut.
In der Welt dieser Lebewesen gab es - anders als seinerzeit bei den Menschen- keine Namensbezeichnungen, durch die sich Unterschiede ausmachen ließen, doch ich werde mich bemühen, möglichst verständliche Ausdrücke für all diese Dinge zu finden. Ich möchte, dass dieses Werk die Menschen erreicht und sie es vielleicht auch ein Stück weit verstehen können.
Worüber empfanden sie nun also diese Wut? Die "Pflanzen" spürten, dass etwas in ihre wundervolle, unbenannte und einige Welt eindringen wollte. Ein Quäntchen, dass nicht zur Einheit des universellen Etwas, des allumfassenden Nichts gehören wollte. Dies wäre für die Pflanzen kein Problem, wäre da nicht der Fakt, dass ein Ganzes mit einem fehlenden Teil nicht komplett sein kann. Also versuchten sie zu ergründen, was dieses Ding -nennen wir es der Einfachheit halber "Macht" - dazu bewegte, der Liebe und dem Glück abzudanken und sich Gedanken und Ideen zuzuwenden, welche die Pflanzen noch niemals zuvor auch nur geahnt hatten. Die Macht versuchte den Pflanzen klarzumachen, dass sie alle verschieden seien, dass gewisse Pflanzen, die ein wenig höher wuchsen, tiefer wurzelten und bunter blühten besser wären, als andere. Die Macht zeigte diesen Pflanzen, dass sie es sich erlauben könnten, über jegliche Lebewesen auf dem Planeten zu bestimmen.
Die bunten, hohen und festen Pflanzen waren erstaunlich begeistert von diesen neuen Aussichten, wobei die Anderen nichts davon gehört hatten.
Einige Zeit später hatte die Macht es geschafft, in die Wurzeln dieser Pflanzen einzudringen und sämtliche ihrer Ableger mit dieser Idee zu vergiften. Nachdem dies geschehen war, änderte sich die Welt drastisch: Die “mächtigen“ Pflanzen stellten Ansprüche, die höher waren, als jene, die sie vorher stellten.
Sie verlangten nach Wasser, das sie nicht benötigten, trieben so dicht aus, dass sie keiner anderen Pflanze mehr erlaubten, neben sich zu wachsen. Sie gingen davon aus, dass sie bekamen, was sie wollten, denn sie hatten ja das Recht dazu. Sie erließen alsbald “Gesetze“. Das bedeutete, dass es harte und schwere Regeln gab, an die kleine Pflanzen sich zu halten hatten und wenn sie gegen diese Regeln verstößen, so würden sie bestraft werden –beispielsweise mit Sonnen- oder Wasserentzug. Weiterhin begannen die Mächtigen alsbald den Planeten in Abschnitte, in ’’Herrschaftsgebiete’’ einzuteilen und stritten sich darüber, welcher Pflanzenart mehr Erde, mehr Sonne und mehr Wasser zustünde. Darüber entstanden viele “Kriege“ und so manche Pflanzenart wurde vollends zerstört.
Es ging den kleinen Pflänzchen sehr schlecht, da sie nicht mehr genug Wasser und Licht zum Leben erhielten. Wenn die “Großen und Mächtigen“ ihnen dann doch einmal ein winziges bisschen mehr von dem, was sie unbedingt brauchten, zukommen ließen, so erwarteten sie größte Dankbarkeit von den ihnen Unterlegenen. Diese gewöhnten sich alsbald an diesen Zustand der Abhängigkeit.
Und lebten stumpfsinnig und dumpf vor sich hin.
Es schien, als sei die Welt verloren in ewiger Unwissenheit.
In einem großen Feld voller kleiner, stummer Pflanzen, gab es ein kleines Individuum, dessen reiner Kern noch nicht vollkommen verkümmert war, ein starkes Pflänzchen, dass einen unfassbar großen Hoffnungsschimmer für die gesamte Welt darstellte. Diese standhafte Pflanze schaffte es, einem kleinen Trieb vor all diesem “schädlichen“ Gedankengut zu beschützen. Ihm berichtete sie von dem alten, fast ganz in Vergessenheit geratenen Wissen über Einheit und Gleichheit. So wuchs der kleine Spross, der den Gedanken von früher in sich trug, glücklich und unbesorgt zwischen all den Sorgen seiner Umwelt auf.
Er und die Pflanze, die ihn gehegt hatte, konnten diese Situation nun also aus einer neuen Perspektive betrachten und beraten, was zu tun sei, um wieder Frieden und Glück über die Erde zu bringen.
Da hatte der kleine Spross auf einmal eine Idee...
Er beriet sich mit seinem “Freund“ lange über diesen Plan, bis sie schließlich von ihrer Variante begeistert waren und sogleich mit den Vorbereitungen begannen. Sie brachten beide viele neue Triebe hervor, die alle ihren Plan und ihren Gedanken in sich trugen und wuchsen so Stück für Stück immer näher an die anderen Pflanzen heran. Als die ersten neuen Triebe andere Pflanzen erreicht hatten, stellten sie Fragen. Weiter nichts, sie stellten einfach nur kleine Fragen, über welche die Anderen lange nachdachten und auf deren Antworten sie selbst kommen sollten. Sie fragten beispielsweise: “Bist du nicht durstig?“ oder: “Wo liegt der Unterschied zwischen dir und den Großen und Mächtigen, die viel mehr Wasser bekommen als du?“
Die Pflanzen, die jene Idee und diesen einfachen Grundgedanken einer Einheit wieder verstanden hatten, verteilten somit ihrerseits Ableger zwischen all den großen, mächtigen, aber auch den kleinen, unterlegenen Pflanzen und überall wurden Fragen gestellt, überall wurde nachgedacht. Auf diese Art fanden sich immer zwei –der Fragesteller und der Befragte-, die feststellten, dass sie eins waren und zusammengehörten. Bald darauf also war der gesamte Planet nur noch mit glücklichen Pflanzenpaaren bewachsen.
Doch der frühere Zustand des universellen Weltfriedens war noch immer nicht wiederhergestellt. Also verbreitete der kleine Spross, welcher mittlerweile zu einem stattlichen Baum herangewachsen war, die Nachricht an seine Triebe, dass sie ihre Blätter öffnen sollten, um die Sonne und den Wind in ihnen spüren zu lernen.
Sofort nachdem sie diese Botschaft erreicht hatte, begannen die Triebe auch schon damit, diesen Wunsch zu erfüllen. Bald darauf, nachdem andere Pflanzen gesehen hatten, dass dieses Spüren glücklicher machte, und dieses Handeln nachahmten, begannen die Pflanzen ihre Umwelt wieder wahrzunehmen.
Und langsam...
Ganz langsam...
fühlte jede Pflanze, dass sie und der Wind, die anderen Pflanzen, die Welt, gar nicht so verschieden waren.
Und langsam...
Ganz langsam...
verstanden sie.
Tag der Veröffentlichung: 06.08.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine Lateinlehrerin, die mich dazu anregte, die Welt zu verbessern.