Es heißt ja, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind. - Zu Beginn meiner Lehre wollte ich das nicht glauben. Was sollte schon so schlimm daran sein, wenn man einen Beruf erlernte? Die Leute müssten doch wissen, dass man neue Handgriffe erst lernen muss. Und Tricks und Kniffe bringt man auch nicht gleich aus der Schule mit...
Der Spruch stimmt! Ich habe eine Lehre in einem Hotel begonnen. Obwohl ich in diese Richtung nie gehen wollte. Aber im Endeffekt habe ich zugestimmt, weil ich sonst gar nichts gehabt hätte...
Ich war im „Hotel auf der Wartburg“ gelandet. Es stellte damals schon etwas Besonderes dar, denn der Ruf des Hauses war weit über die Grenzen von Thüringen hinaus bekannt. - Ich war enttäuscht, als ich dann hinter die Kulissen geblickt hatte. Und ich merkte täglich mehr, dass der Job nichts für mich ist.
An dem Tag meiner „großen“ Begegnung sollte ich ursprünglich frei haben. Alle Azubis hatten an dem Tag frei, da sich Herr Clinton und unser damaliger Bundeskanzler Helmut Kohl zu einem Besuch auf der Wartburg angekündigt hatten.
Ich war um den freien Tag nicht böse. Denn es war Hochsaison und freie Tage waren da purer Luxus. Besonders für Azubis. Und ganz besonders für die, welche über den Ausbildungsverbund da waren.
In der Stadt wurde totale Bambule gemacht wegen der Sicherheit des hohen Besuches und es war mit der totalen Verstopfung in der Stadt zu rechnen.
Ich wollte statt dessen einfach mal wieder ausspannen, lesen und vielleicht ein paar Livebilder des hohen Besuches im TV schauen.
Herr Clinton strahlte gerade von einem Balkon der Wartburg in die Kamera. Es hieß, dass die beiden nicht gemeinsam drauf dürften, wegen dem Gewicht und dem Alter des Gemäuers...
Ich schmunzelte gerade über die Tatsache mit dem Gewicht, als das Telefon klingelte. - Das Hotel war dran. Ich müsse unbedingt auf Arbeit kommen. Drei Stunden würden auch reichen. Sie bräuchten unbedingt jemanden für die Getränke, um den geplanten Ablauf zu gewährleisten. Gerade heute, bei den hohen Herren und bla bla bla...
Gesteigerte Lust hatte ich nicht. Es war gerade so gemütlich... und dann für drei Stunden. Lohnte sich ja mal gar nicht. - Trotzdem, man will ja zeigen, dass man zuverlässig ist, bin ich los getobt. - Ein Spaß war der Weg so gar nicht. Ein Hindernis nach dem anderen. Und das für einen Job hinter den Kulissen, wo ich von dem Zirkus nicht mal was mitbekommen sollte. Wie dumm konnte man eigentlich sein, bei so etwas zuzustimmen...
Da stand ich nun, in voller Kluft mit Weste und Fliege, wurde inspiziert, dass ich auch ja aussehe, wie aus dem Ei gepellt. - Und wie man sah, passierte nichts.
Die Herren tummelten sich noch auf der Burg. Das gesamte Gelände war für Otto-Normalbürger heute geschlossen, also wollte auch niemand etwas zu trinken. - Ganz ehrlich, da hätte ich zu Hause am Fernseher mehr mitbekommen...
Mir wurde langweilig. Nur so dastehen und auf Dinge warten, die nicht kommen, war noch nie mein Ding. Also tiegerte ich im Hotel rum, um zu sehen ob noch etwas zu tun war. Und wenn ich auf Etage ein Bett bezog, war mir ganz egal. Alles besser als dumm rumstehen.
Ich kam gerade mal bis zum Wappensaal. Er war leer, weil man die Wandmalereien und Wappen an der Decke vorführen wollte. - Halt nein, da lag was auf dem Parkett. Leuchtete weit weg und sah nicht schön aus.... das wollte ich weg machen!
Dass man gerade im Hotel angekommen war, war mir komplett entgangen. Ich hörte nur eine Männerstimme, die sagte: „Das ist gut erhalten. Wenn man nur wüsste, ob die Malereien eine Bedeutung haben.“
Klick! - Machte es in mir und mein Tonband sprang ganz automatisch an: „Das ist der Wappensaal. Hier wurde an den Wänden die Sage von Ludwig dem Springer nachgestellt. Er hat ja, der Sage nach, bei einer Jagd diesen Berg für gut befunden und mit dem Spruch `War´t Berg, du sollst mir eine Burg tragen.´den Bau der Wartburg beschlossen. Da das Land aber nicht ihm gehörte, lies er körbeweise den Boden seiner Ländereien hier aufschütten und darauf die Burg errichten.
Das „Gasthaus“, das heutige Hotel, gehörte nicht zum ursprünglichen Bau. Es wurde nachträglich angebaut, um Reisenden und Gästen der Burg ein Quartier bieten zu können.“
Damit hob ich den Störfaktor auf und wollte zurück laufen als ich sah, wem ich gerade meinen Text aufgesagt hatte... Es war Herr Helmut Kohl persönlich. Neben ihm Herr Clinton, der von einem Dolmetscher wohl alles übersetzt bekam, was gesagt wurde...
Panik stieg in mir auf. Der Bundeskanzler leibhaftig vor mir! Ich hatte mit ihm geredet, als wäre er ein normaler Mensch. - Äh Moment, er war doch eigentlich auch ein normaler Mensch... oder?!
Herr Kohl trat in den Saal und ließ die ganze Pracht auf sich wirken. Er schien meine plötzliche Verlegenheit entweder nicht zu bemerken oder ignorierte sie. Statt dessen sah er zur Decke und meinte: „Ah, die Wappen. Wem gehörten die?“
Und wieder mein Tonband: „Die gehörten den Minnesängern, die am legendären Sängerwettstreit teil genommen haben. Das sind allerdings keine Originale. Die wurden auf Holzplatten nach gemalt.“
„Schön!“
Und ich wieder: „Sehen Sie das recht außen, dritte Reihe von der Tür aus? Das war das Wappen von Walter von der Vogelweide...“ - Ups, wollte er das jetzt wissen? Fettnapf? Wie um alles in der Welt komme ich hier raus. Da sprang der andere Automatismus an: „Darf ich den Herren etwas zu Trinken anbieten?“
Herr Kohl bejahte sofort. Er hätte gern einen Kaffee. Her Clinton verneinte mein Angebot.
So schnell war ich noch nie im Kellneroffice an der Kaffeemaschine. Und ich war nervös, so nervös, dass ich die erste Tasse auch gleich erst mal am Boden zerschellen ließ. - Besen – Schaufel – auf kehren – einmal tief durchatmen und dann den nächsten Versuch. Die gewohnten Handgriffe halfen mir, wieder auf den Boden der Tatsachen zu kommen.
Als der Kaffee fertig war, ging ich in den Wappensaal zurück. Doch der war leer. Die Herren waren weiter gegangen. Nur wo hin?
Ich fand Herrn Kohl auf der ersten Etage. Sie hatten sich gerade das Stammzimmer des Prinzen von Sachsen-Weimar-Eisenach angesehen. - Nur mein Kaffee, der war inzwischen kalt.
„Sehr schön, mein Kaffee!“ freute sich Herr Kohl ganz normalmenschlich.
Ich erstarrte. Kalter Kaffee für den Bundeskanzler? Ging mal gar nicht. „Entschuldigen Sie bitte“, stammelte ich. „Leider ist er inzwischen kalt. Ich hole ihnen eine neue Tasse.“
Herr Kohl lächelte. Er sagte nur: „Danke gern.“
Also wieder ins Office und neuen Kaffee aus der Maschine ziehen. Dieses Mal ohne Bruch. Tasse auf den Unterteller, Zucker und Milch dazu, und los.
Im Flur angekommen, war keine Menschenseele mehr. Wie vom Donner gerührt starrte ich auf die Stelle, wo „mein Gast“ eben noch stand. - Also wieder suchen... und der Kaffee wurde schon wieder kalt.
Natürlich, sie waren zum nächsten Vorführpunkt weiter gegangen und standen im Kaminzimmer. Der Kamin prasselte, trotz der sommerlichen Außentemperaturen und die Herren redeten angeregt. Der Hotelchef und die Restaurantleiterin standen schweigend daneben und warfen mir böse Blicke zu, als sie mich sahen. So unwohl habe ich mich selten in meinem Leben gefühlt. Allerdings focht ich nun auch einen inneren Kampf aus. Sollte ich bleiben, bis Herr Kohl mich sah oder sollte ich lieber stiften gehen? - Zu spät, Herr Kohl sah mich, löste sich aus der Gruppe und kam zum mir.
„Es tut mir leid“, stammelte ich. „Der Kaffee ist schon wieder kalt geworden.“
Herr Kohl schmunzelte. „Das dachte ich mir fast. Können Sie mir noch einen an den Tisch bringen? Wir werden jetzt essen. In einer Landgrafenstube, so weit ich weiß.“
Ich nickte, so heftig, dass ein Tropfen Kaffee auf der Untertasse landete. „Ja, da wurde bereits für sie eingedeckt.“
Herr Kohl legte seine Hand auf meine Schulter, was mir erführchtige Schauer durch den ganzen Körper rasen ließ.
„Wissen sie, mich wundert, dass hier kaum junge Leute arbeiten.“ überlegte Herr Kohl.
„Hier arbeiten schon jede Menge junge Leute. Viele davon sind Auszubildende. Nur leider haben die heute alle ihren freien Tag. Nur mich hat man angerufen, weil ich einspringen sollte.“ - Ups... hätte ich das jetzt sagen dürfen? Das würde mit Sicherheit Ärger geben.
„Schade“, meinte Herr Kohl. „Ich hätte gern mehr von der neuen Generation Facharbeiter kennen gelernt.“
Ich konnte nichts weiter als schief grinsen. Was bitte sollte ich jetzt darauf sagen?
Erlöst wurde ich dadurch, dass man die Gruppe jetzt offiziell zu Tisch bat. Herr Kohl klopfte mir noch einmal auf die Schulter und meinte dann schmunzelt: „Dann bitte jetzt einen Kaffee.“
Ich nickte, wartet bis alle aus dem Raum waren und holte dann den dritten Kaffee, den ich dann auch endlich warm und ohne Unfall dem Herrn Kohl direkt am Tisch servieren konnte.
Herr Clinton wurde von der Restaurantleiterin verwöhnt. Sie umschwirrte ihn, wie eine aufgeregte Biene. Ich konnte förmlich sehen, dass auch sie die ganze Situation leicht überforderte und sie nicht recht wusste, wie sie sich verhalten sollte.
Herr Kohl wollte auch das Essen nur von mir vorgesetzt bekommen, was ich auch bereitwillig tat. Immer wenn ich die Teller brachte oder abräumte, hatte er ein nettes Wort für mich. Wir grinsten uns sogar einmal schelmisch an. - Der Hotelchef stand dekorativ hinter dem Tresen und kochte vor Wut. - Er hätte Herrn Kohl bedienen sollen...
So sehr mich dieses Erlebnis in diesem Moment auch aufgebaut und motiviert hat, so musste ich es im Nachhinein doch büßen. Sowohl der Hotelchef, als auch die Restaurantleiterin ließen mich spüren, wie sehr sie meine „Verbrüderung“ mit Herrn Kohl missbilligten. - Der so schon recht stressige Ausbildungsalltag wurde noch schlimmer. Ich hatte noch weniger Wochenenden frei, musste Überstunden schrubben und bekam nicht ein Gramm Vergünstigungen mehr.
Die Ausbildung habe ich dann auch abgebrochen. Die Gesundheit machte nicht mehr mit und auch das Mobbing trug seinen Teil zu dieser Entscheidung bei.
Jahre später kehrte ich als Gast in dieses Restaurant zurück und es wirklich noch die selbe Restaurantleiterin im Dienst. - Ich habe es genossen, dass sie mich nicht mehr mobben konnte, sondern mir „in den Arsch“ kriechen musste.
Texte: Rika Wächter
Lektorat: *niemand*
Tag der Veröffentlichung: 10.07.2014
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