Sämtliche Namen von handelnden Personen, einschließlich meines eigenen, sind verfälscht. Es wird zu keinem Zeitpung die wahre Identität einer handelnden Person genannt.
Sollten trotz allem Überschneidungen entstanden sein, so sind dies keine Absicht.
Rika Wächter
Man sagte uns nach, wir wären eine schreckliche Klasse gewesen. Disziplin gab es bei uns nicht, sollte man den Aussagen der Lehrer glauben. Angeblich konnte man uns nur mit strenger Hand unterrichten. Nur ein Spaß konnte die Ruhe, bei uns in der Klasse, für den gesamten Tag stören und ein Lernen unmöglich machen.
Die hatten doch keine Ahnung. Die hatten keine Ahnung, dass mich die Disziplin in dieser Klasse so gar nicht interessiert hat. Dass ich jeden Tag mit einer riesigen Angst in die Schule gefahren bin, immer in Erwartung des nächsten groben Scherzes, den man mit mir abzog. - Nachdem meine Mutter mit unserer Klassenlehrerin geredet hat und diese doch tatsächlich eine Ansprache vor der Klasse deswegen gehalten hat, ist die ganze Sache nur noch schlimmer geworden. Das wusste nur keiner. Ich wollte es durchstehen. Irgendwann würde meine Schulzeit schon zu Ende gehen...
„Guten Morgen!“ Frau Müller hatte die Klasse betreten, bereit den langweiligsten Englischunterricht abzuhalten, den man sich vorstellen konnte. Trocken und streng nach Lehrplan, einfaches Vokabeln lernen und gleich auf zur nächsten Lektion. „Warum ist denn die erste Bankreihe schon wieder leer? Rika, wir hatten doch gesagt, dass du in meinem Unterricht hier vorne sitzt.“
Die Spannung in dem Moment war förmlich mit den Händen greifbar. Alle starrten mich an. Sie kannten es nicht, dass ich mal etwas nicht machte, was ein Lehrer gesagt hat.
„Ja, Frau Müller, das hatten wir. Aber ich reagiere auf den extremen Kreidestaub da vorne zu sehr. Ich hatte vermehrt Asthmaanfälle und mein Arzt meinte, dass das durchaus an dem Kreidestaub liegen kann.“
Wie sie höhnten, meine so genannten Klassenkameraden. Ich würde mich anstellen und ich würde mich auf der Krankheit ausruhen. - Auf der letzten horrormäßigen Klassenreise allerdings, wollte mich niemand mit im Zimmer haben, aus Angst mir mal helfen zu müssen.
„In Ordnung Rika, du setzt dich jetzt hier vor, wir halten dann hoffentlich eine Englischstunde ab und wenn dein Arzt das wirklich gesagt hat, kann er dir das sicher auch bescheinigen. Und jetzt hier vor und Ruhe in der Klasse!“
Wamm, das hatte gesessen. Wie ein geprügelter Hund, zog ich mit Sack und Pack und unter dem Gejohle der anderen in die erste Bankreihe. Total sauer, gekränkt und eingeschüchtert,saß ich da und hatte null Interesse mehr am Unterricht. Der komplette Tag war für mich gelaufen. Ganz besonders die Folgestunden, als die anderen dafür sorgten, dass ich in der ersten Bankreihe sitzen bleiben musste. Nicht nur an diesem Tag, sondern auch an den zwei folgenden Tagen.
Das Wochenende im Anschluss war der totale Horror für mich. Ein Asthmaanfall jagte den nächsten und ein Ende fand das Ganze erst, als wir den Notarzt nachts da hatten, der mir Cortison direkt in die Vene gespritzt hatte. - Diese Behandlung putschte mich nicht nur für ein paar Stunden, sondern sollte anderthalb Wochen vorhalten. Ich war ein neuer Mensch.
Und dieser neue Mensch wollte sich an Frau Müller rächen. Ich würde nicht nur ihr einen Denkzettel verpassen, sondern diesen Assis in meiner Klasse auch zeigen, dass ich nicht so war, wie sie mich hingemobbt hatten. - Ich, Rika Wächter, hatte einen Plan.
Oma hatte einmal wieder einen ihrer Nähanfälle. Das war der positive Punkt, die Oma direkt im Haus mit wohnen zu haben. Man konnte immer mal wieder etwas von ihr abstauben. In diesem Fall war es ein Fetzen Stoff. Ein Fetzen alter Stoff, denn er musste zerreißbar sein.
„Kind, was hast du denn vor?“ Oma war ganz verdattert. Sie dachte wahrscheinlich wirklich, ich hätte meine Leidenschaft für Handarbeiten wieder entdeckt.
„Ach Oma, das ist was für die Schule. Quasie für meine Englischlehrerin.“
Ich erntete von Oma einen seltsamen Blick. Sie konnte mit meiner Aussage wohl nicht wirklich was anfangen, aber das machte erst einmal nichts. Ich griff wortlos zur Schere und schnitt den Stoff leicht an. Dann folgte eine Reißprobe. - Es gab einen herrlichen Ratsch und meine Oma rollte mit ihren Augen. „Ich glaub nicht, dass du was Gutes im Sinn hast.“, sagte sie nur.
„Das hab ich auch nie behauptet.“, war meine knappe Antwort. Ich schnitt noch ein zweites Mal in das größere Stück Stoff und war dann wieder aus dem Raum.
Am nächsten Tag, gleich in der ersten Stunde, war Englisch angesagt. Allen meinen Klassenkameraden war die Lust ins Gesicht zu geschrieben und die Augen wurden groß, als ich gut gelaunt in den Raum kam, mich freiwillig in die erste Bank setzte und meine Sachen zurecht legte.
„Ey sage mal, wir hatten uns schon auf die übliche Streiterei gefreut.“, meinte einer.
Ein anderer Schüler motzte: „Ist das Asthma weg oder warum verträgst du den Kreidestaub plötzlich so gut.“
Ich stellte meine Tasche neben meinen Tisch, legte das Stück Stoff bereit und fing an, die Kreide verschwinden zu lassen. Ein Stück allerdings, legte ich auf das tiefste Ablagefach, was diese Tafel zu bieten hatte. Knapp über dem Boden, direkt neben dem Schwamm war ein perfekter Ort. Die restliche Kreide verfrachtete ich in den Lehrmittelschrank.
„Was soll das denn werden?“ - Die Neugier hatte gesiegt und man vergaß glatt, dass man doch normalerweise gemein zu mir ist.
Ich grinste. „Ganz einfach, ich habe weder Bock auf Kreidestaub noch auf die Gemeinheiten von der Müller. Ich denke, die heutige Stunde geht recht schnell vorbei.“
Meine Mitschüler fingen schon wieder an zu lachen. Nur ein Mädchen wollte wissen, was ich vor hatte. Natürlich stellte sie diese Frage in ihrem typisch hochnäsigen Ton, den ich aber in dem Fall mal überhörte. Denn ich war mir sicher, wenn der Plan gelingen würde, wäre ich zumindest für heute mal ein vollwertiges Klassenmitglied.
„Überlasst das mal mir. Dann wird die Überraschung um so besser.“
„Die spinnt doch!“, wiegelte ein Jung ab und begab sich auf seinen Platz.
Keinen Moment zu früh, denn in dem Moment kam auch Frau Müller schon in den Raum. Sie trug ihren engsten langen Rock, der sogar die Konturen ihrer Unterhose sichtbar machte. - Perfekt für meinen Plan.
„Good morning, children!“ begann sie sofort ihr Programm, stellte ihre Tasche ab, legte das Klassenbuch an seine angestammte Kannte und begann sich suchend umzusehen. Das war mein Einsatz. Klammheimlich griff ich das Stück Stoff und hielt es unter dem Tisch rissfest bereit.
Frau Müller sah das einzige Stück Kreide, welches noch bereit lag, krempelte ihre Ärmel hoch und bückte sich dann schwungvoll danach. Das war mein Signal, denn in dem Moment, als sie sich schwungvoll bückte, zerriss ich genauso schwungvoll das Stück Stoff. Es gab einen herrlichen Ratsch und er verfehlte seine Wirkung nicht.
Frau Müller fuhr schlagartig wieder hoch, hielt ihre Hände an ihren Po und bekam einen hochroten Kopf. „Sorry“, stammelte sie. „Ich muss da mal ein Missgeschick ausbügeln. Seit bitte still.“, sprach es und war auch schon aus dem Raum
Eine Weile herrschte Schweigen im Raum. Genau so lang, bis auch der dümmste in dem Haufen begriffen hatte, was denn da gerade passiert war.
Ich stand auf, legte sämtliche Kreide wieder an ihren angestammten Platz und präsentierte der Klasse dann die zwei Stofffetzen. „Ich denke mal, Englisch fällt haute aus.“, sagte ich nur.
Das Gejohle war groß, meine Banknachbarin von der letzten Bankreihe half mir höchstpersönlich, meine Sachen wieder nach hinten zu schaffen und ich musste allen erklären, was ich denn da jetzt genau gemacht hatte.
Englisch viel aus für diesen Tag und ich hatte einen Tag mal keine Probleme mit meinen Mitschülern.
Ein wirklich herrliches Erlebnis!!!
Texte: Rika Wächter
Bildmaterialien: Rika Wächter
Lektorat: *keine*
Tag der Veröffentlichung: 11.02.2014
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