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Vorsicht, das piekt!

Mein Opa und sein grüner Daumen. Das war schon so ein Ding für sich. Wenn er nicht wie wild im Garten in der Erde gewühlt hat, dann hat er sich noch hingebungsvoller um seine Kakteen gekümmert. Die standen in der Wohnung in jeder freien Ecke rum und hatten in regelmäßigen Abständen die schönsten Blüten. Und dann gab es da noch das große Kakteenbeet neben dem Eingang zu der geheimnisvollen Werkstatt. - Die Werkstatt war deshalb so geheimnisvoll, weil die Weihnachtsgeschenkproduktion darin das ganze Jahr über in vollem Gange war. Oma und Opa hatten so viele Enkel, dass es unmöglich war, für jeden etwas zu kaufen. So bekam jeder nur eine gekaufte Kleinigkeit und ein handgemachtes Kunstwerk von Opa. - Ja, unser Opa. Der war schon ein Genie.

Nur seine Kakteen sollten mir in recht unangenehmer Erinnerung bleiben...

 

Sommerferien, oh welch süßes Wort. Acht Wochen lang keine Hausaufgaben, kein Ärger mit den Lehrern oder Stress wegen verhauener Arbeiten. Keine langweiligen Pioniernachmittage oder öde Besuche und Arbeitsalltagserzählungen der Patenbrigade. Es war einfach die herrlichste Zeit im Jahr, die man sich als Kind nur vorstellen konnte.

Diese herrliche Zeit bedeutete aber auch, eine Woche lang ein großes Treffen von Cousinen und Cousins bei Oma und Opa. Mindestens eine Woche lang ging das immer und bedeutete für uns das Paradies auf Erden. Und was wir nicht alles angestellt haben...

Wir haben Restaurant gespielt und Opa sein ganzes Bier verkauft. - Man war der sauer. Dann haben wir vom benachbarten Feld den Weizen geklaut, ihn im Garten von den Spelzen befreit und in der Kaffeemühle Mehl daraus gemacht. - Opa hatte noch Jahre später Weizen auf dem Kompost stehen. Aus dem Mehl wurden dann mit Omas Hilfe die leckersten Eierkuchen der Welt.

Nachts, im Zelt, haben wir die ganze Zeit Gruselgeschichten erzählt und nächtelang nicht geschlafen. Das ging aber nur, wenn Opa uns das Zelt aufgebaut hatte, weil wir sonst direkt im Zimmer neben Oma und Opa geschlafen hätten und die Wände so dünn waren...

Das Zelt war aber auch keins aus dem Laden. Das wäre im Leben nicht groß genug für uns alle gewesen. Nein, Opa hat uns eins aus einer Plane selber gebaut. Das war zwar ohne Boden, aber Oma hat uns immer die ganzen Decken gegeben, die sie da hatte.

 

In so einem Sommer sollte ich mit Opa seinen Kakteen genauere Bekanntschaft schließen. So nah wollte ich die eigentlich gar nicht kenne lernen. Na ja, aber mein Cousin war da wohl anderer Meinung.

Wir tobten gerade wie die Wilden durch den Garten und spielten eine Mischung aus Kriechling und Fangen. Ich wollte und wollte es nicht glauben, dass mein Cousin, der ja auch nur drei Monate älter ist als ich, doch tatsächlich so viel schneller sein sollte. Ich rannte, wie ich noch nie in meinem Leben gerannt war und konnte ihn am Ende doch nicht kriegen. Das konnte nicht sein, weil er mich binnen Sekunden ein hatte...

Seine Schwester und eine weitere Cousine sahen uns zu und konnten gar nicht verstehen, dass man so rumtoben konnte. Zu solchen Spielchen war es doch viel zu warm. Außerdem hatte Opa ihnen gerade das Schachspiel beigebracht. Das war viel erwachsener und besser geeignet als Sommerbeschäftigung.

 

Vor allen Dingen war es ein Spiel für zwei Leute. Was sollten wir "Kinder" denn dabei?

 

"Hab dich schon wieder!" rief mein Cousin, stupste mich an und rannte weg.

Ich hatte aber doch so gar keine Lust schon wieder vergeblich hinter ihm her zu rennen. Außerdem quälte mich ein riesiger Durst nach der ganzen Rennerei. - In dem Moment kam Oma auch schon aus der geheimnisvollen Werkstatt mit einem Tablett. Sie hatte ihre Zironenlimo gemixt. Das war genau das, was ich jetzt brauchte.

Allerdings nicht nur ich. Meinen Cousinen ging es genau so. Schnell waren Oma und ihr Tablett auch schon belagert. Aber da hatten wir die Rechnung ohne unseren „Flüchtigen“ gemacht. Der hatte inzwischen auch mitbekommen, dass es eine Erfrischung gab und kam angerannt. Außer Atem fing er an, mich zur Seite zu drängeln.

"Geh zur Seite du lahme Ente. Ich war schneller und habe auch eher was zu trinken verdient."

"Ich stand aber eher hier. Du bekommst schon auch was."

Es nutzte nichts. Er schuppte und drängelte mich immer mehr zur Seite. Meine barfüßigen Fersen kamen der Umrandung vom Kakteenbeet schon gefährlich nahe. Aber ich wollte auch nicht so einfach aufgeben. Mir ging es längst schon nur noch ums Prinzip!

Oma hatte unsere Rangelei mitbekommen und gab die ersten gefüllten Gläser den großen Mädchen. Das bekam er mit und drängelte noch mehr. Ein letzter Stoß und ich hatte die Wahl in die Kakteen zu treten, ohne Schuhe, oder aber weiter um die Balance zu kämpfen. - Den Kampf verlor ich. Die Schwerkraft und mein Cousin hatten gewonnen und ich saß mit meiner leichten Sommerhose mitten in den piksenden Kugeln.

Im ersten Moment tat es gar nicht so wirklich weh. Nicht mal registriert hatte ich, wo ich eigentlich saß. Also nahm ich die Hand zur Hilfe, weil ich ja wieder aufstehen wollte. Aber jetzt tat es weh. Meine Cousinen registrierten gleichzeitig mit mir, was eigentlich passiert war und ich fing an zu schreien. Jetzt fing es an, höllisch zu brennen und ich glaubte, mich nie wieder irgendwo hinsetzen zu können.

 

Mein Cousin bekam seine Limo, mich holte Opa aus seinen Kakteen und untersuchte meine Hand. Die war in einer Sorte ohne Widerhaken an den Stacheln gelandet. Drüber wischen, kaltes Wasser aus der Gießkanne drüber und Opasalbe drauf.

Mit dem Hintern gestaltete sich das schon schwerer. Denn die Stacheln, die sich hier durch die Hose gebohrt hatten, besaßen Widerhaken! Und was für welche.

Oma nahm mich dann mit hoch, wo sie versuchte, mir so vorsichtig wie möglich die Hose auszuziehen. Dann weiß ich noch, dass ich quer über dem Ehebett lag, meine Limo aus einem Strohhalm schlürfte und Oma mit Lupe und Pinzette meinen Allerwertesten bearbeitete...

Dank der berühmten Opasalbe konnte ich am Abendbrotstisch schon wieder sitzen. Es lag zwar noch ein weiches Kissen drunter, aber ich saß.

 

Aber auch mit 12 ist es peinlich, wenn Oma quer durch den Garten ruft: "Elchen komm rein, wir müssen deinen Popo eincremen. Die Entzündung muss doch weggehen!" Ich glaube, die Nachbarn haben sich gut amüsiert.

Impressum

Texte: Rika Wächter
Bildmaterialien: Rika Wächter
Lektorat: - keines -
Tag der Veröffentlichung: 12.12.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meinen Opi mit dem grünen Daumen

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