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Vorwort:

Der Mauerfall, ein Ereignis, welches Deutschland in Aufruhr versetzte... Im Nachhinein betrachtet war der Mauerfall für mich die ganze Zeitspanne von den ersten Unruhen, bis hin zur tatsächlichen Beseitigung der Grenze. - Ich selber war derzeit noch in der Schule, ein Kind also. In dem Alter hat mich das jetzt nicht so brennend interessiert und somit habe ich nicht wirklich viel mitbekommen. - Was ich allerdings bemerkte, war die Tatsache, dass der Schulalltag um mich herum immer bunter wurde. Hier ein knallpinkes Lineal, dort ein neuer Füller mit bunten Motiven und dort eine neue, fetzige Sporttasche. Nicht mehr alles so einheitsfarben.

Klassenkameraden erzählten von den vielen Auslagen in den Schaufenstern im Land hinter der Grenze. Und davon , was man da alles kaufen konnte. Ohne Wartezeiten, Rennereien oder Vorbestellungen.

 

Und dann kam der Tag, an dem auch meine Eltern mal ins „andere Deutschland“ fahren wollten. Und bei diesem Ausflug gab es eine Begegnung mit einem älteren Mann, bzw. Ehepaar und einem sehnlichsten Wunsch von mir...

 

Aber lest selbst.....

Der nette Opa

Oh man, endlich hatten meine Eltern beschlossen, dass auch wir einen Trip in den „Westen“ machen würden. Alle aus meiner Klasse waren schon dort gewesen und hatten lauter tolle Süßigkeiten mitgebracht. Sie meinten, dass jeder 100 D-Mark geschenkt bekäme, von denen man sich dann kaufen konnte, was man wollte....

100 D-Mark, so viel Geld. Ich träumte schon von einem Überraschungsei, Kinderriegeln und Dickmanns. Das wollte ich mir von „meinem Geld“ alles leisten und war der Meinung, dass es dann auch schon aufgebraucht wäre.

 

Doch so einfach sollte es für mich nicht werden, mir meine Träume zu erfüllen. Ich musste doch tatsächlich mit anhören, wie meine Eltern miteinander diskutierten, ob sie mich denn auch mitnehmen sollten. - Dazu hätte ich nämlich in der Schule entschuldigt werden müssen. Ich hätte den Stoff verpasst und es musste jemand gefunden werden, der mir dann die Aufgaben vorbeibringt.

Außerdem war meine Klassenlehrerin, eine „tiefrote Socke“ so gar nicht begeistert von den Reisen zum Klassenfeind. Und schon gar nicht verstehen konnte sie, dass doch tatsächlich Schüler und Eltern von diesen Reisen nicht wiedergekommen sind...

 

Ich durfte mit! Und mein Bruder auch. Papa sagte, des Geldes wegen. Was genau er damit meinte, sollte ich noch merken...

 

Endlich war der Tag der Reise gekommen. Meine Mutter hatte mich doch tatsächlich aus der Schule frei boxen können. - Als Strafe für den Besuch hinter der Mauer sollte ich beim nächsten Schulappell ein Gedicht vortragen. - Das hatten andere auch überstanden. Dann würde ich das auch hinbekommen...

 

Wir bestiegen den blauen „Mossi“ und fuhren los. - Bis zur Autobahn war es nicht weit und dann standen wir auch schon an der Grenze in der Warteschlange.

Als wir an den Wachtposten vorbeifuhren, wurde mir schon etwas mulmig. Immer hatte man uns erzählt, dass uns die Grenze beschütze, und dass es gefährlich ist, sie zu übertreten. Es sollen ja sogar Leute deswegen erschossen worden sein... - Und jetzt konnten wir hier einfach so vorbei. Keiner hielt uns an oder sagte etwas. Das verwirrte mich schon etwas.

Nach dem einen Posten, kam ein paar Meter weiter noch einer. Wieder ein uniformierter Mann. Doch dieser hatte ein Lächeln auf den Lippen. Er hielt unser Auto an und Papa wollte ihm die Ausweise reichen. Die wollte er aber nicht. Statt dessen hielt er zwei golden eingewickelte Bonbons zum Fenster herein. Papa nahm sie, reichte sie uns rinter und wir durften weiter. Mir kam zum ersten Mal in den Sinn, dass die „anderen“ Deutschen ja gar nicht so böse waren, wie die in der Schule immer erzählt haben.

 

Die Landschaft sah hinter der Grenze auch nicht anders aus. Die Bäume waren die selben, hatten die selbe Farbe, die Wiesen waren nicht anders grün als bei uns und auch die Kühe waren nicht lila. Ich verstand immer weniger von der Welt, wie sie mir bisher erklärt wurde...

 

Dann kamen wir endlich in die erste Stadt. Wir fuhren nur durch, aber das reichte schon, um mich Bauklötzer staunen zu lassen. Was da alles in den Schaufenster lag und wie bunt das war... Oma hatte ja erzählt, dass hier drüben alles viel bunter wäre, aber so toll hatte ich es mir dann doch nicht vorgestellt. Von nun an klebte ich für den Rest der fahrt an der Scheibe und sog die ganzen neuen Eindrücke in mich auf.

 

Irgendwann hielten wir in einer kleinen Stadt vor einem Haus an. Es stellte sich als das Rathaus heraus und vor dem Geld, gab es einen Kakao für uns und einen Kaffee für die Erwachsenen. - Zunächst konnte ich daran nichts besonderes finden, aber als ich dann von dem Kakao gekostet hatte, war ich einmal mehr im siebenten Himmel. Auch der Kakao schmeckte hier so anders als bei uns. Viel sahniger.... oder cremiger? Auf jeden Fall um Längen schokoladiger als bei uns. - Bis heute habe ich keinen vergleichbaren Kakao mehr gehabt...

 

Und dann sind wir endlich das Geld holen gegangen. Vor meinem Papa lagen vier Scheine mit einer „Hundert“ drauf auf dem Tisch. Er bedankte sich und wollte gehen. Nur ich bin noch einmal zu der Frau hin und gab ihr meine Hand um mich richtig zu bedanken.

Sie lächelte und nannte mich richtig gut erzogen. Das hätte meine Mama toll gemacht. Ich aber sagte wahrheitsgemäß, dass wir das als das Pioniere so machen müssten, weil wir so den Erwachsenen unseren Respekt und unsere Hochachtung für ihre täglichen Leistungen zeigen würden.

Die Frau guckte reichlich verständnislos aus der Wäsche und meine Mutter zerrte mich eine Entschuldigung murmelnd aus dem Raum...

Schweigend liefen wir wieder zum Auto. Wir wollten wohl nun endlich in die Läden.

 

Nach einer weiteren, kurzen Fahrt hielten wir dann in einer kleinen Innenstadt. - Endlich ging es bummeln. Und jetzt war endlich Zeit, meiner Mutter zu erzählen, was ich von dem Geld alles kaufen wollte. - Sie sah mich nur mit großen Augen an und fragte: „Was für Geld?“

„Na, das was ich gerade bekommen habe.“ Ich war immer noch überzeugt davon, dass ich das Geld selber ausgeben dürfte. Doch da klärte mich meine Mutter auf. „Du hast kein Geld bekommen. Das hat alles Papa. Und der braucht es, weil er ein Werkzeug kaufen will, mit dem er das Haus noch schöner machen kann. In dem du am Ende auch mit wohnen wirst.“

Richtig, das Haus. Da war noch was. Dieses Gebilde aus Steinen und Mörtel, was mich schon seit Ewigkeiten dazu zwang, meine Wochenenden in dem Heimatdorf von Papa zu verbringen. Wo es immer so stinklangweilig war. Das Haus, was allein für den Rohbau schon 3 Jahre gebraucht hatte, weil wir erst Ewigkeiten auf die Zeichnungen gewartet haben und dann keine Baumaterialien zu bekommen waren...

 

Die Drohung meiner Mutter wurde traurige Wahrheit. Wir steuerten einen langweiligen Werkzeugladen nach dem andern an. Immer und immer wieder lies sich Papa ein und das selbe Werkzeug zeigen und immer wieder sagte er, dass er es sich überlegen werde. - So einen langweiligen Tag hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Und als ob das nicht schlimm genug wäre, sah ich die ganzen Spielzeugläden mit ihren bunten Auslagen. Aus dem einen kam gerade eine Familie mit vier Kindern. Und jedes Kind hielt glücklich ein neues Spielzeug in der Hand. - Himmel, war ich neidisch. Diese tollen Sachen. So nah und gleichzeitig doch so unerreichbar fern.

Den ganzen Tag habe ich mich einfach nur mitschleifen lassen. Es hat mich einfach nicht mehr interessiert. Der „Westen“ war gar nicht so toll wie alle immer sagten. Da gab es auch bloß langweiligen Erwachsenenkram....

 

Irgendwann saßen wir dann wieder in unserem Auto. Im Kofferraum lag Papa seine Neuanschaffung und er reichte Mutti stolz wie Oscar das restliche Geld rüber. Jetzt könne sie noch sagen, wo sie noch hin wolle...

 

von den vier Scheinen mit je einer „100“ drauf war gerade mal noch einer mit einer „10“ und einer mit einer „20“ geblieben. Dazu noch ein oder zwei Geldstücke.

Meine Mutter ließ Papa dann an einem normalen Lebensmittelladen halten. Dort ging dann allein für den rollenden Einkaufskorb schon mal eins der Geldstücke weg.

Im Laden selber steuerte Mutti all die Regale an, die ihr gefielen. Kaffee, ich mein richtiger Kaffee, landete als erstes im Korb. Dann ganz seltsame Obstsorten. Mutti meinte, die wären für uns alle und so eine Kiwi wäre total lecker. - Interessierte mich nur nicht.

Dann gab es noch Schokolade, natürlich die Lieblingssorte von Papa und für sie noch irgendein Nougatgelumbe.

Zum Schluss legte sie doch tatsächlich noch zwei Überraschungseier in den Korb. Mein Bruder freute sich wie ein Schnitzel und mich sah man erwartungsvoll an. Von mir kam aber: „Darf ich das Ei gegen eine Packung „Dickmanns“ tauschen?“

Eine Diskussion entspann sich: „Die ist aber viel größer als so ein Ei. Das wäre gemein deinem Bruder gegenüber.“

„Ich teile sie auch mit ihm! Ehrlich.“ So habe ich noch nie in meinem Leben gefleht, wie in diesem Moment.

„Und dann beschwerst du dich, dass er mehr hatte, weil er das Spielzeug nicht teilen kann.“

Ich war den Tränen nahe und schluchzte schon bei meinem Protest. „Ehrlich nicht! Er darf das Ei komplett für sich haben. Ich möchte aber Dickmanns, bitte.“

Papa beendet die Diskussion dann ziemlich rüde. Er meinte, wenn ich das Ei nicht wolle, bekäme mein Bruder eben zwei. Das war der Moment, in dem ich losheulte. Mir war alles egal. Und den „Westen“ fand ich absolut dämlich.

Wir bezahlten und wollten gerade mit einer bunten Plastiktüte den Laden verlassen, als ein Opa hinter uns her kam. Er rief nach uns und drückte mir dann eine riesige Packung Dickmanns in die Hände. Er lächelte und forderte mich auf auch dem Ei eine Chance zu geben und die Dickmanns zu teilen und nicht alle auf einmal zu essen. - Ich konnte nur glücklich lächeln. Und schon zerrte mich meine Mutter wütend aus dem Laden.

Auf dem Parkplatz bekam ich eine Standpauke gehalten, dass man sich mit mir schämen müsse, dass man nicht bettelte und schon gar nichts von fremden Leuten annehmen solle. - Das zog alles an mir vorbei. Ich hatte meine Dickmanns.

Kurz bevor ich ins Auto zitiert wurde, kam auch der nette Opa mit seiner Frau aus dem Laden. Ich rief noch ein „Dankeschön“ über den Parkplatz und schon war die Autotür zu. Der nette Opa und seine Frau winkten noch einmal herüber.

 

Die Dickmanns waren lecker. Und ich habe sie geteilt. Ich hatte aber einen mehr, da mein Bruder beide Eier bekommen hat. - Ist doch ok so, oder?!

Die Kiwi`s waren nicht so toll. Nachdem ich sie gegessen hatte, war alles in meinem Mund so gereizt, dass ich nur Wasser trinken konnte. Alles andere tat einfach nur höllisch weh, sobald es nur meine Zunge berührte. - Das glaubte mir allerdings keiner....

Kiwis meide ich jedenfalls bis heute!

Impressum

Texte: Rika Wächter
Bildmaterialien: Cover selfe made by Rika Wächter
Tag der Veröffentlichung: 02.10.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Beitrag zum 38. Biografie-Wettbewerb der Bio-Gruppe

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