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~*Prolog*~




Seine Füße sollten zum letzten Mal das weiche Gras unter ihnen spüren, welches allein das sanfte Gefühl von Geborgenheit in ihm hervorrief. Es war ihm klar gewesen, dass er diesen Ort nie wieder besuchen würde, nie wieder den Duft der tausenden Blumen einatmen durfte und sich nie wieder in Gedanken an ihre Stimme, die über der Wiese schwebte, verlieren konnte.
Er fuhr durch die Federn seiner Flügel, die mit goldenen Ketten verhangen waren, sodass er nicht fliegen konnte. Die prachtvolle Rüstung an seinem Körper war verschwunden. Nur das weiße Tuch eines Neugeborenen schlang sich um ihn. Er spürte dieselbe Angst tief in seinem Inneren. Wie damals. Schwach und weit entfernt, aber sie war anwesend gewesen. Aber diesmal war ihre Stimme nicht da, ihn zu beruhigen.
Doch eigentlich war es ihm alles gleichgültig geworden. Er hatte den Entschluss gefasst, zu tun, was er getan hatte. Kannte die Konsequenzen, die nun folgen würden. Doch seiner Meinung nach hatte er das Richtige getan, auch wenn er für immer verschwinden würde. Sein Licht am Himmel verblassen würde.

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Er stieg die weißen Stufen aus Wolkenmarmor empor. Der matte Glanz des himmlischen Gesteins ließ sein Leben wiederspiegeln, das er in den hohen Gefilden geführt hatte. An der letzten Stufe blieb er stehen. Das Bild, wie sein Gegner verschwand, sich auflöste, genau wie er. Er hatte gedacht, wenn er dies sah, würde seine Wut vergehen, sein Körper wieder rein von jeglichen Gefühlen, aber so war es nicht. Er fühlte sich leer. Aber es war eine bedrückende Leere, nicht eine vollkommene. Sein Herz war unruhig, obwohl es vollkommen absurd für Seinesgleichen war eines zu besitzen.
„Du wusstest, was auf dich zukommt, mein Freund“, sagte eine ruhige Stimme. Er blickte auf in die weißen Augen eines Altweisen. Einem seiner Freunde. Während die anderen ihn verachteten, sich abgewandt hatten, blieb er an seiner Seite - bis zum Schluss. Doch es war nicht verwunderlich. Sein Freund war der Mildtätige. Es war selbstverständlich, dass er ihm beistand.
Er nickte und wandte den Blick von seiner Sünde. Schritt den langen Gang zum Letzten Tor entgegen. Ins Nichts übergehen konnte nur sein Gutes haben. Immerhin würde er aufhören diese zum Verhängnis gewordenen Gefühle zu verspüren. Frei sein von jeglicher Emotion. Nach fast 700 Jahren würde er sich endlich aufgeben können.
„Ich werde dich vermissen“, sagte sein Begleiter. Der wallende Stoff um seinen Körper tränkte sich Grau vor Trauer. Er wusste, dass es die Wahrheit war. Tugendhafte konnten nicht lügen. Genauso wie er. Dennoch ließ ihn das Gefühl nicht los, dass dies falsch war.
„Leb wohl, mein Freund“, sagte der Mildtätige.
„Mich erwartet kein Leben mehr“, erwiderte er und verschwand hinter einem hohen Vorhang aus himmlischer Seide.

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~*Kapitel 1*~




Sie saß auf dem kleinen Balkon, der sich vor ihrem Dachfenster befand. Von innen vernahm sie den flüsternden Gesang einer ihrer Lieblingssängerinnen, aber hörte nicht zu. Gedankenverloren rührte sie den Löffel in ihrer Tasse Cappuccino. Sie ließ sich in die Kissen zurücksinken, die auf dem Boden verteilt waren und legte ihre leicht geschwollenen Füße hoch. Die Party hatte sie geschafft. Sterne funkelten am Himmel, während sie ihren Blick über die Himmelsgebilde streifen ließ und an einem Punkt hängen blieb – ihrem Stern.
Die Straße war ruhig. Kein Auto fuhr mehr an den Häusern vorbei. Es war sehr spät abends. Oder auch sehr früh morgens, die genaue Zeit hatte sie vergessen.
Sie dachte an die Jungen, die heute Abend wieder mal um sie herum gestreift waren. Sie hatte keine Ahnung, warum sie ihr Interesse auf einmal so reizte. In der Schule hatte keiner sie eines Blickes gewürdigt. Ihr Äußeres hatte sich kaum verändert. Schlichtes dunkles, fast schwarzes Haar. Eine eher schmächtige, als trainierte Figur. Ihr Busen war nicht mal besonders groß, doch schienen ihr manche jungen Männer in letzter Zeit mehr als zugeneigt zu sein. Doch sie machte sich keine weiteren Gedanken. Sie hatte gelernt, dass kein Mann Liebe versprechen konnte, ohne das er reine, heiße Luft ausstieß.
Sie rieb sich ihre Füße. Das stechende Gefühl in ihnen hatte zugenommen. Aber die kühle Nachtluft machte es erträglich. Sie seufzte und stimmte in das Lied ein, das an ihr Ohr drang. Leise sang sie es vor sich hin und der Nachtwind trug den klaren Klang durch die Luft.
Liebe wird für mich wohl immer fernbleiben.
Sie sah zurück zum Himmel. Eine kleine Wolke strich sich langezogen über den dunklen, glitzernden Sternenvorhang der Nacht. Ein heller Schweif streifte hinter dieser hervor und sie schloss die Augen.
Kannst du die Liebe bitte für immer von mir fernhalten?
Sie schlug ihre Augen auf, dachte, der schnelle Strich wäre verflogen, aber widererwartend war die Sternschnuppe nicht verschwunden. Im Gegenteil. Sie wurde immer länger. Größer. Schien sich zu nähern.
Ihr Gesicht verzog sich verwirrt. Sie wandte ihren Blick ab und schüttelte den Kopf.
Ich träume. So viel habe ich nicht getrunken. Diese Sternschnuppe kommt nicht auf mich zu.
Sie trank einen Schluck des Cappuccino. Sie musste schnell wieder klar werden. Doch sie wartete vergeblich auf den Kopfschmerz. Um sie herum begann es zu zittern. Die Luft vibrierte und sie spürte die wogenden Hitzewellen über ihre Haut gleiten. Das Licht fesselte ihren Körper, stach ihr weiße Punkte in die Sicht.
„Die Abrechnung vom letzten Monat kann ich wohl vergessen. Wenn ich aufwache, werde ich einen dicken Kater haben“, murmelte sie, den schattenhaften Umriss des Sterns schon erblickend. Sie wandte den Blick ab und rieb sich die schmerzenden Augen.
Sie wartete, dass etwas geschah. Sie die weiche Decke ihres Bettes spürte. Ihr Wecker jeden Moment sie in die Hölle eines Katers zog. Doch nichts. Kein warmer Stoff auf ihrer Haut. Kein stechender Schmerz in ihren Schläfen. Nur ein leichter Windzug strich über ihre Wange. Langsam öffnete sie ihre noch pochenden Augen. Schwarz-weiße Flecken verschwanden und ihre verschleierte Sicht löste sich langsam. Der Windzug streifte ihre Wange erneut und sie wand ihren Kopf um. Geräuschvoll zog sie die Luft ein.
„WAS-?!“
Wenige Zentimeter über ihr schwebte ein bewusstloser, junger Mann. Ein heller Glanz schimmerte um ihn und einzig ein flatterndes, weißes Tuch war um seine Hüfte geschlungen. Ihr Mund fiel auf, doch sie bemerkte es nicht. Die hellschimmernden, goldenen Haare des Jungen färbten sich in fließenden Farben ins Schwarze. Die weißen Flügel auf seinem Rücken verblasten, wurden grauer und Federn flogen sanft schwebend im Wind davon.
„Was…? Aber das ist… unmöglich!“, keuchte sie. Sie starrte ihn an. Ihr Kopf war leer. Sie hob ihre Hand, um eine Haarsträhne aus seinem Gesicht zu streichen, hielt inne, zuckte zurück.
Es gab keine andere Erklärung, als das es ein Traum war. Sie würde ihn nicht berühren könne. Doch sie war wie gebannt. Sie ließ ihre Finger auf seine Haut sinken und sanft durch die schwarzen, blauglänzenden Strähnen gleiten. Glitzernder Staub tausender kleiner Kristalle stob auf und verschwand in der Nacht. Das Schimmern verschwand. Er fiel auf sie herab.
Unerwartet presste sich die Luft aus ihren Lungen, als seine kalte Haut ihre berührte, wie eiskaltes Wasser nach einem Sprung in einen Pool Mitte März. Sie spürte seinen heißen Atem auf ihrem Haar, spürte wie sich Muskeln spannten und er sich erhob. Sah ihm direkt in die Augen, seine Lippen wenige Zentimeter über ihren.
„Woher kommst du?“, flüsterte sie und strich über seine Wange. Das tiefe Blau seiner Augen saugte sie auf, wie der Nachthimmel über ihnen.
~+~+~
Die Vögel zwitscherten fröhlich. Die Sonnenstrahlen fielen durch das geöffnete Fenster. Warfen verspielte Muster auf das Holz des Fussbodens. Sommerliche Wärme drang durch den Raum.
Rya lag vergraben unter den Decken ihres Bettes im Schatten hinter der Fenstertreppe. Ein lautes Summen durchbrach die Idylle und ließ ihre Schläfen sich schmerzhaft im Takt zusammenziehen.
Verdammter Alkohol!
Suchend streckte Rya ihre Hand unter der Decke hervor und kramte auf der Ablage über ihrem Kopfkissen nach dem Störenfried. Als sie ihr Handy in der Hand hielt, drückte sie auf den Hörer.
„Ja?“, murmelte sie schlaftrunken.
„Rya?! Hast du die Abrechnung gemacht? Ich brauch sie heute!“
Rya stöhnte auf. Die laute Stimme ihrer Chefin stach ihr wie Messer ins Ohr. Sie rieb sich übers Gesicht und drehte sich in ihre Kissen zurücksinkend auf den Rücken.
„Sorry, Claire. Bin noch nicht dazu gekommen. Aber ich mache es gleich.“
„Heute Nachmittag muss sie da sein. Ich weiß, du hast deinen freien Tag, aber ich muss eine neue Bestellung machen und–“
„-und du musst wissen, wie viel Geld wir eingenommen haben mit der Letzten. Kein Ding. Ich bring sie nachher vorbei“, sagte sie, während sie sich innerlich vor Schmerz fluchend auf die Seite drehte. Ein eiskalter Arm schlang sich um ihre Hüfte und ließ sie frösteln. Doch gleichgültig zwirbelte sie schwarzes Haar zwischen den Fingern ihrer freien Hand. Der Junge drückte sie näher an sich. Sie schloss die Augen
„Also dann, Claire. Wir sehen uns nachher.“
Sie legte das Handy zurück und seufzte auf, als der kalte Arm über die Haut ihres Rückens wanderte und eisige Spuren hinterließ.
Rya riss die Augen auf und schrie auf. Sie stieß den Schwarzhaarigen von sich und polterte rücklings aus ihrem Bett. Sie wich hastig zurück, bis ihr Rücken gegen ein Stuhlbein ihres Schreibtischstuhls stieß. Eilig griff sie mit ihrer Hand auf der Tischplatte und fasste sogleich Metall. Sie riss die Schere herunter und hielt sie wie einen Dolch schützend vor sich.
„Wer bist du?!“, schrie sie und deutet auf ihr Bett. Ihr Herz machte einem Schnellzug Konkurrenz, während ihre Hände, die ‚Waffe‘ fest umschlossen, bereit sich zu wehren, unkontrolliert zitterten.
Unter der Decke regte sich der junge Mann. Er stützte sich auf einen Unterarm und warf die Decke zurück. Rya stieg kribbelnde Hitze in die Wangen. Der Fremde trug nichts - zumindest soweit sie erkennen konnte. Mit der freien Hand wuschelte er sich träge durch das dunkle, bläulich-schimmernde Haar. Als seine Augen ihre trafen, setzte er ein verschmitztes Lächeln auf. Ryas Herz setzte aus, als hätte ihr jemand den Strom abgestellt.
„Ich muss sagen, das Lila passt besser zu deinem dunklen Haar, als das Weiß der Himmelsgewänder“, sagte er und stützte sein Kinn auf. Nicht nur seine Lippen, auch seine Augen grinsten sie an.
Rya ließ die Schere fallen. Was hatte dieser Typ gerade gesagt? Sie atmete langsam, dann schneller. Ihr Gesicht überflutete vor Wärme.
„Wie bitte?“
Entsetzt sah sie an sich herab. Unter schwarz-samtiger Spitze blitzte das matt-schimmernde Lila ihrer Dessous auf. Rya sah zurück zu dem Jungen, dessen Grinsen sich breiter zog.
Wie vom Blitz getroffen, schlang sie die Arme um sich und versuchte vergeblich etwas dahinter zu verbergen. Ihre Wangen glühten wie eine rote Glühbirne und in ihre Augen stach das wässrige Salz, das sie zu unterdrücken versuchte. Wut und Scham sammelte sich wie ein brodelnder Sud in ihrem Bauch. Rya warf den jungen Mann einen finsteren Blick zu.
„Was ist passiert?“ Rya schlug eine Hand vor ihren Mund. Die Luft stockte ihr, sodass sie kaum die Worte hervorpressen konnte. „Wir haben doch nicht-!“
Das grauenhafte Gespinst vergrößerte sich in ihrem Kopf und sie spürte jegliches Blut aus ihrem Gesicht weichen. Ihr Magen drehte sich. Ihre Sicht verschwamm.
Der Schwarzhaarige warf den letzten bedeckenden Rest Decke von sich und eilte auf sie zu. Doch Rya zuckte auf. Noch ehe sie es überhaupt realisieren konnten, stand sie hinter dem Vorhang auf der anderen Seite des Zimmers, der vor ihrem großen Kleiderschrank hang. Ryas Herz raste wild. Sie starrte auf ihre Hände, blickte sich hastig um.
Wie? Wie bin ich so schnell… hierher…?
Sie blickte hinüber zu dem Fremden, der langsam aufstand und sie entgeistert ansah. Für einen kurzen Moment starrten sie einander an, bis Rya die Realität wieder einholte. Sie wickelte sich in den Vorhang und schlug sich eine Hand vor die Augen.
„Keine Sorge. Ich bin bedeckt.“ Das Lachen hallte förmlich aus seinen Worten.
„Dann willst du mir sicherlich erklären, warum ICH kaum etwas an habe?“
Rya zog die Hand von ihrem Gesicht und warf dem mit einem Tuch Bekleideten einen scharfen Blick zu. Der Schwarzhaarige hob die Hände.
„Bleib ruhig. Es ist nichts passiert, an das du dich nicht erinnern könntest.“
Rya sah ihm skeptisch entgegen und schlang den Vorhang fester um sich. Der Junge ließ die Hände sinken und schüttelte den Kopf.
„Du kannst mir glauben. Du bist ohnmächtig geworden und ich habe dich lediglich ins Bett gebracht.“
„Und wie bin ich dann meine Sachen losgeworden?“
Rya durchbohrte ihn. Kurz stach Rot auf den Wangen des jungen Mannes auf und er kratzte sich mit einer Hand am Hinterkopf.
„Also das… War wohl etwas unüberlegt. Aber dir sah warm aus“, erwiderte er kleinlaut und konnte ihr nicht in die Augen sehen.
Der will mich verarschen. Definitiv!
„Was machst du hier? Wie bist du hier reingekommen? Bist du ein Perverser? Schleichst du dich immer in die Betten anderer Leute?“
Der Junge blickte sie wieder an. Sein Blick wirkte ernst.
„Du weißt genau, dass ich nicht so bin.“
Rya sah ihn verwirrt an.
„Woher? Ich hab dich noch nie gesehen“, erwiderte sie und verzog ihre Augenbrauen noch mehr.
„Du scherzt wohl.“ Ein leichtes Lachen kam über seine Lippen. Doch Rya schüttelte ihren Kopf.
Das Lachen verschwand und der Fremde wirkte zunächst nachdenklich, riss dann die Augen auf. Unverständnis und Verwirrtheit war in ihnen zu lesen. Dann seufzte er und legte erleichtert die Hand auf seine Brust. Jetzt war Rya vollends irritiert.
„Du hast mich wirklich erschreckt“, begann er und schritt mit einem Lächeln um die Lippen auf sie zu. „Aber wenn wir beide hier sind, dann ist es wohl sinnvoll, wenn du dich nicht mehr an mich erinnerst.“
Er blieb kurz vor ihr stehen und hob seine Hand zu ihrem Gesicht. Rya wollte zurückweichen, aber es schien, als hatte sie sich zu fest in den rauen Vorhang eingewickelt. Seine Finger streiften über ihre Wange und Rya zuckte zusammen durch die eisige Berührung.
„Dass du da bist… Ich bin so froh, Elaine. Das Nichts ist in Wirklichkeit der wahre Himmel“, murmelte er und seine Hand umfasste ihr Wange. Der Fremde schloss erleichtert seine Augen und sank mit seiner Stirn gegen ihre.
Rya glitt das Eis durch die Adern, gefror ihr den Atem. Doch für einen kurzen, unwillkürlichen Moment zuckte ihre Hand auf und wollte seine Wange genauso berühren, wollten Tränen sich in ihren Augen sammeln, wollte ein Lächeln auf ihren Lippen ausblitzen.
Was mache ich hier?
Rya stieß den Fremden von sich. Die Kälte zog sich zurück, sobald seine Haut sich von ihrer löste.
„Machst du Witze? Worüber redest du?“
Als sie sein Gesicht blickte, glitt eine Woge aus Eis ihren Rücken hinab, die sie unweigerlich erschaudern ließ. Der Schock in seinen Augen bereitete ihr Unbehagen und ein Gefühl von Reue schlich sich in ihren Magen. Doch vorher kam dieses nur?
„Aber… Erinnerst du dich nicht, Elaine?“, fragte er und seine Augen wirkten gequälter. Rya schnürte es die Brust zusammen. Sie wurde das Verlangen nicht los, ihn in die Arme zu nehmen und zu sagen, dass alles ein Scherz war.
Sie schüttelte den Kopf.
„Mein Name ist nicht Elaine. Ich heiße Ryanne. Ryanne Handson.“
Der Fremde ließ die Hand sinken. Seine Augen schienen jegliches Licht zu verlieren. Er sank zu Boden. Sein Gesicht war leer von jeglicher Emotion. Rya griff nach dem Mantel, den sie in den Augenwinkeln an der Wand hängend bemerkte, warf ihn über und hockte sich nieder.
Sie seufzte und konnte nicht glauben, was sie gleich fragen würde.
„Kaffee?“, fragte sie harscher als sie wollte.
Der Junge sah zu ihr auf. Das Blau seiner Augen ließ sie erschaudern, obwohl sie erkannte, dass er sie nicht einmal wahrnahm. Er nickte kaum merklich.
„Gut“, erwiderte Rya, erhob sich und drehte sich zu ihrem Schrank um. Mit einer schnellen Bewegung hatte sie ihn geöffnet und ein schlichte Sommerkleid herausgezogen. Sie wandte sich zu ihm um. Sie deutete auf den Kleiderhaken an der Wand. „Da hängt noch ein Bademantel“, sagte sie und verschwand im Flur.

~+~+~


Sie schritt durch den großen Torbogen. Dem Eingang zu einem einzig von schwarzen, samtenen Vorhängen begrenzten, deckenlosen Raum am Rande eines flammenden Abgrundes. Wärme und Kohlegerüche kämpften in der schweren Luft um den Vorrang. Das schwarze, spitzengesäumte Negligee umspielte ihren geschmeidigen Körper. Ihr schwarzes Haar glänzte im Schein der Flammen wie die seidenen Anthrazitvorhänge, die ein riesiges Bett in der Mitte des Raumes umhüllten.
Langsam, in katzenartigen Gang schlenderte sie auf das Bett zu, aus dem eine halbbekleidete Frau gestoßen wurde.
„Verschwinde!“, schrie der Mann hinter den Vorhängen und warf sich zurück in die großen Kissen, während die Halbbekleidete sich in einer großen Rauchschwade auflöste, die durch den Torbogen aus dem Zimmer zog.
Die grünen Augen der Angekommenen folgten der Schwade nur kurzweilig und fixierten wieder die Umrisse hinter den Vorhängen vor denen sie stehen blieb. Sie stemmte eine Hand in die Hüfte, die sie zur Seite kippte. Sie neigte ihr Kinn nach unten und wartete. Die Smaragde auf der Lauer.
Der Mann auf dem Bett seufzte und drehte sich zu der jungen Frau mit dem taillenlangen, leicht zerzausten Haar.
„Komm her“, sagte er. Sanfter.
„Musste das sein?“, erwiderte sie und zog den Vorhang auf hinter dem sich ihr eine Hand entgegenstreckte. Hinter schwarzen Strähnen sahen sie stechende, smaragdgrüne Augen an, die den ihren glichen. Das restliche Gesicht wurde von einem großen Kissen verhüllt, aber sie konnte erkennen, wie sich sein Gesicht zu einem genervten Ausdruck verzog.
„Komm her“, wiederholte er harscher und rollte sich auf seinen Rücken zurück. Die junge Frau warf ihr Haar zurück und stieß einen genervten Seufzer aus. Er war unverbesserlich.
Sie kroch zu ihm in die Mitte des riesigen Bettes, das so breit wie lang war, dass in beiden Längen 6 Personen hätten nebeneinander liegen können. Die Seide unter ihren Fingern fühlte sich an wie Wasser. Kühl und geschmeidig. Genau wie er war. Sie hockte sich neben ihn. Der junge, muskulöse Mann starrte auf das Feuer, dass durch eine Aussparung in den Stoffwänden umrissen von einem kaminartigen Rahmen zu sehen war. Sie besah den freien Oberkörper des Mannes, dessen Körper einzig eine schlichte, schwarze Hose zierte. Sie folgte den noch immer Rot schillernden Narben der Risse auf seiner Brust. Ihre Augen kniffen sich zusammen als sie an dem langen Schnitt an seiner Wange hängen blieben.
Es war, als würde der Mann ihren Blick spüren. Seine Augen stellten sich ihren entgegen. Sein Blick war scharf und stechend, aber sie wich nicht zurück und erwiderte den Blick. Der Mann schnaufte und riss sie in seine Arme. Küsste ihr Haar.
„Fyena. Sei nicht sauer“, sagte er sanft, aber seine existente Wut konnte er nicht gänzlich verschleiern.
Fyena, an seine Brust gedrückt von seinen Armen umschlungen, zog einen Schmollmund. Dann wandte sie ihre Augen von ihm ab und stemmte sich seinem Griff entgegen.
„Glaubst du wirklich, dass du dich so benehmen solltest?“, zischte sie leise und ihre Augen zogen sich zu schlitzen, als sie ihn fixierte. „Du weißt genau, dass du diese Frauen brauchst. Und dennoch schickst du Eine nach der Anderen fort.“
Der Mann stöhnte entnervt auf und warf seinen Kopf zurück, bevor er wieder hervorschnellte und seine Lippen ihre trafen. Fyena erwiderte den Kuss kaum, so sinnlich er ihn auch zu gestalten versuchte. Seine Lippen lösten sich und seine Zunge umspielte ihren Mund. Doch sie reagierte nicht und sah ihn unverwandt an.
Der Schwarzhaarige knurrte.
„Hör auf, mir Vorwürfe zu machen. Ich brauche niemanden außer dir!“
„Du weißt, dass ich dir nicht geben kann, was diese Frauen können“, erwiderte sie eiskalt. „Jin. Du solltest dich zusammenreißen und deine Wunden ausheilen lassen.“
Er stieß sie grob zur Seite und setzte sich auf.
„Halt den Mund. Sag mir nicht, was ich tun soll“, brüllte Jin und seine Stimme halte von den steinernen Wänden, die sich fern der Feuerklippe empor ragten, wider.
„Manchmal benimmst du dich wie ein kleines Kind, Jin“, sagte Fyena ruhig. Der Mann warf ihr einen vernichtenden Blick zu, aber das beeindruckte sie keineswegs. Sie kannte ihren Bruder nur zu gut.
Sie setzte sich auf, als er seinen Blick wieder dem Feuer widmete. Fyena fuhr mit einer Hand über seinen Rücken und schmiegte sich an ihn. Ihren Lippen glitten über seinen Hals. An seinem Ohr blieben sie hängen.
„Du weißt, dass du es nur zu wünschen brauchst“, flüsterte sie und ihre andere Hand fuhr über seinen Oberschenkel. Jin stieß mit seiner Schulter gegen ihre Brust und Fyena löste sich einige Zentimeter von ihm. Doch er griff ruppig nach einem ihrer Beine und legte es in seinen Schoß. Seine Augen blickten ihre fordernd an, aber zugleich lehnten sie sie auch ab.
„Und du weißt…“, begann er mit ruhiger Stimme. „…dass ich es mir nicht erlauben kann. Ich benötige SIE, nicht DICH.“
Die Kälte seiner Stimme lief wie Eis ihren Rücken hinab. Und doch erregte sie dies mehr als alles andere.
„Es ist in Ordnung, solange ich nicht dein Blut koste.“ Mit diesen Worten zog Fyena ein winziges Messer aus dem Strumpfband des Beines, auf dem ihr Bruder eine Hand ruhte. Doch bevor die Klinge ein zweites Mal aufblitzen konnte, stoppte er ihre Hand.
„Nein.“ Er griff nach ihrem Arm und küsste die Stelle, an der die Pulsadern am dunkelsten durch die elfenbeinfarbene Haut traten. Seine Lippen wanderten ihren Arm hinauf, bis er ihr in die Augen sah. „Ich will dein Blut zu sehr, als dass ich riskieren könnte, einen Blutsband zu schließen. Das weißt du.“
Fyena seufzte.
„Ja, Bruder. Ich weiß.“ Dann zog sie eine kleine Phiole aus ihrem Dekolletee, gefüllt mit einer dunkelroten, zähen Flüssigkeit. Jin schlang eine Hand herum.
„Benutze meines nur, wenn du dem Tode nah bist. Es ist stark genug.“
Sie zog das Fläschchen aus seinen Fingern.
„Genau wie meines.“
„Sei nicht so stur, Fyena. Meine Wunden heilen schnell genug.“
„Dann sollten sie schneller heilen“, entgegnete sie und erwiderte seinen zornigen Blick. „Ich habe sie gespürt. Ihre Seele hat auf irgendetwas reagiert.“
Jin starrte sie an. Sein Gesicht spiegelte Überraschung wider. Fyena kreuzte ihre Arme vor der Brust.
„Bist du dir sicher?“, fragte er und eine Braue zog sich skeptisch nach oben.
„Ich trage ihr himmlisches Blut in meinen Adern. Was erwartest du? Natürlich bin ich mir sicher!“
Jin starrte erneut zum Feuer. Fyena konnte sehen, wie Gedanken über seine grüne Iris rasten. Dann zuckte er. Ein Kichern wurde laut, schwoll zum Lachen an.
„Und du willst immer noch nicht mein Blut?“, fragte Fyena und zog eine Braue empor.
Jin grinste sie in verführerischster Weise an, die sie jemals gesehen hatte. Er zog sie an seine Lippen und hauchte auf ihre.
„Nein. Aber ich werde es auch nicht brauchen.“ Und sie spürte sein Grinsen noch, als seine Zunge ihr schon den Atem raubte.

~+~+~


Eine gute Stunde saßen sie schon hier. Rya lehnte sich mit verschränkten Armen zurück in ihre beigefarbene Polstercouch und tippte mit einem Finger auf ihrem Oberarm. Im Schatten ihrer Dachschräge war es kühl, obwohl es Sommer war, so dass sie eine Fließdecke um sich geschlungen hatte. Ihr gegenüber saß der Fremde auf einem Sessel und rührte kraftlos mit einem silbernen Löffel in seinem bereits kalten Cappuccino.
Rya legte ihr Kinn in die Hand, deren Ellenbogen sich auf den Lehne der Couch stützte. Nachdem sie den Schwarzhaarigen beim Rühren einige weitere Minuten beobachtete hatte, fuhr sie sich letztendlich durchs Haar und seufzte.
„Vielleicht wärst du so freundlich, mich über deine Anwesenheit hier aufzuklären. Oder muss ich dich wirklich für einen Perversen halten?“
Der Fremde stoppte seine Hand und hob den Löffel aus dem kalten Getränk. Für einen Moment hielt er inne, dann legte er den Löffel auf der Untertasse ab. Das Klirren der Keramik verklang im Zwitschern der Vögel.
Als Rya den Mann vor sich betrachtete, zog sie die bisher achtlos umwickelte Decke über ihre Schultern.
„Das hier ist das Nichts.“ Er sah auf und blickte in ihre Augen. „Nicht wahr?“
Rya zog eine Braue nach oben.
„Hast du…“, sie hielt kurz inne, „Pillen geschluckt?“
Skeptisch erwiderte sie seinen Blick. Der Fremde sah zur Seite. Seine Augenbrauen zuckte unmerklich zusammen. Seine Finger schlangen sich ineinander und er ließ den Kopf sinken, bevor er wieder aufsah.
„Wo bin ich dann?“
Rya verschränkte die Arme.
„Du machst keine Witze.“
Er schüttelte den Kopf.
„Wirklich?“
Er schüttelte abermals den Kopf.
„Und dein Gedächtnis hast du auch noch?“
Er nickte zögerlich.
„Zuerst jedoch würde ich gerne wissen, wen ich vor mir habe.“
Seine Augen fixierten sie. Er sah sie nicht mehr an wie zuvor. Sein Blick war kühler, misstrauisch. Sein Gesicht verzog keine Miene. Ryas Augenbraue zuckte.
„Erst fällst du über mich her und jetzt misstraust du mir, obwohl du in meiner Wohnung bist?“
„Ich bin nicht über dich hergefallen“, fuhr er auf, doch fasste sich gleich wieder. Sein Gesicht spiegelte wider, dass er sich selbst für seine fehlende Kontrolle verfluchte. Seine Hand verkrampfte sich zur Faust. Er wich ihrem Blick aus. „Ich… habe dich nur verwechselt.“
Ryas Braue schwang sich erneut in die Länge.
„Das ist mir nicht entgangen.“ Als sie sich an das Eis auf ihrer Haut erinnerte, schüttelte es sie leicht und sie zog die weiche Decke enger um sich.
Der Schwarzhaarige schnaubte auf.
„Was?“, fragte Rya leicht angesäuert.
„Du tust gerade so, als ob es vollkommen abscheulich gewesen war. Wer hat mit meinem Haar rumgespielt?“
Blitze flogen durch die Luft und luden sie statisch auf. Rya hätte das Prickeln auf ihrer Haut spüren können, würde sie das Grollen in ihrer Brust nicht davon ablenken.
„Ich sollte dir mitteilen, dass ich nicht eines der schwachen, wehrlosen Mädchen bin“, sagte sie kühl.
„Das habe ich auch nicht angenommen“, entgegnete der junge Mann und lehnte sich zurück. Als er seine Beine überschlug und das Kinn herausfordernd hochstreckte, wollte Rya ihm zu gern die Gurgel umdrehen.
Wie ungehobelt kann eigentlich jemand sein?! Er ist hier in MEINEM Haus!
Rya spürte das Feuer der Wut durch ihren Körper fluten. Wo sie zuvor noch einen Anflug von Zuneigung für ihn verspürt hatte, drängte sich nun Abscheu dazwischen. Das Gefühl der Abstoßung wuchs an, bis ihr Körper beinahe bebte vor Sehnsucht danach, ihn so weit wie möglich von sich wegzustoßen, ihn einfach rauszuwerfen.
Aber wenn er nicht mal weiß, wo er ist? Und seine Klamotten…
Rya holte tief Luft und atmete langsam aus. Versuchte Wogen zu zügeln.
„Okay. So kommen wir nicht weiter. Da du es vorziehst, mir deinen Namen nicht zu nennen, sollte ich dir wenigstens erklären, wo du dich befindest. Damit du verschwinden kannst“, sagte sie ruhig, selbst als die Wut weiterhin durch ihre Adern züngelte. „Du bist hier in Hamilton. Und nicht im Nichts oder irgendwo sonst, was buddhistischer Natur sein könnte.“
„Dann bin ich also auf der Erde“, murmelte der Fremde.
„Wie ich sagte“, erwiderte Rya und warf ihre Hand zurück, bevor sie ihre Wange abermals darauf stützte. Irrer.
Der Schwarzhaarige versank in Gedanken und starrte auf die Flüssigkeit in der Tasse vor sich. Einige Minuten herrschte Stille. Die Vögel zwitscherten fröhlich, während Autos die Straße entlangfuhren.
Plötzlich ertönte ein lautes, penetrantes Piepen. Als der Ton an Ryas Ohr drang, zuckte ihr ganzer Körper zusammen, aber der Mann ihr gegenüber regte sich keinen Zentimeter.
Rya warf die Decke zur Seite und stand auf. Das Kleid flatterte um ihre Beine, als sie zu ihrem Handy lief. Sie hatte ganz vergessen, wie spät es war. Sie drückte den Alarm aus und ging zum Schreibtisch hinüber. Aus ihrer darauf liegenden Tasche wühlte sie eine kleine Packung hervor. Sie griff nach der Flasche Wasser, die auf dem Schreibtisch seit mehreren Tagen stand und öffnete sie. Als sie eine Pille in ihre Hand gedrückt hatte, schluckte sie diese mit abgestandenem Wasser herunter und verzog das Gesicht.
Das Wasser hätte schon längst entsorgt werden sollen.
Eine Hand schob sich an ihre vorbei und griff nach der Medikamentenpackung. Erschrocken fuhr Rya herum. Sie hatte ihn nicht kommen hören.
„Bist du krank?“, fragte der Schwarzhaarige, der so dicht neben ihr stand, dass sie seinen angenehmen, warmen Geruch wahrnehmen konnte.
„Bist du ein Geist?“, fuhr sie ihn an. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Normalerweise war sie nicht so schreckhaft. Der Blick des Schwarzhaarigen wanderte zu ihr, langsam, sich verengend.
„Nicht wirklich“, erwiderte er leise und legte die Packung zurück auf den Tisch.
Rya sah ihn perplex an. Sollte das wieder ein Witz sein?
Er wandte sich ihr zu und sah ihr mit festem Blick in die Augen. Doch sogleich nahmen sie einen traurigeren Zug an.
„Es tut mir leid“, sagte er. Rya fiel der Mund auf. „Es war nicht meine Absicht, dir Angst einzujagen oder etwas zu tun, was du nicht willst. Ich war wohl…“ Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und durch sein Haar, während seine Augen sich von ihr lösten. Sie schwirrten verwirrt durch den Raum ohne einen Punkt zu suchen, ohne Worte zu finden. Er seufzte.
„Du bist nicht Elaine. Das wusste ich eigentlich schon, als ich deine grünen Augen sah. Aber die Vorstellung, dass sie… Das Gefühl…“
„Hat dich wohl überwältigt, hm?“, beendete Rya. Sie schlang ihre Arme ineinander. „Schon gut.“ Sie winkte ab und lief zu ihrem Bett, um sich auf der Kante niederzulassen.
„Sie hat dir wohl viel bedeutet.“
Der Schwarzhaarige ließ sich auf den Stuhl neben dem Schreibtisch sinken. Sein Fuß stieß gegen die Schere, die Rya zuvor hatte fallen lassen. Er bückte sich und hob sie hoch, ließ das glatte Metall über seine Finger rutschen.
Rya stach es in die Wangen. „Sorry. War keine böse Absicht mit dem Ding“, sagte sie.
Der Fremde legte die Schere auf den Tisch.
„Wahrscheinlich hätte ich genauso reagiert“, entgegnete er. Ein leichtes Lächeln umspielte einen seiner Mundwinkel. „Dein Name ist Ryanne, nicht wahr? Du bist vollkommen anders, aber trotzdem erinnerst du mich an sie.“
„Wenn du mich verwechselt hast, muss ich ihr ja sehr ähnlich sehen.“ Rya schnalzte mit der Zunge.
„Bis auf die Augen… Du könntest ihre Zwillingsschwester sein.“
Rya strich sich eine Strähne hinters Ohr. Ein weiterer heißer Stich in ihren Wangen.
„Verfallen wirst du mir jetzt aber nicht.“ Ein Lächeln schlich über ihre Lippen, als ihre Augen kurz unsicher den Blick von ihm lösten, bevor sie sich wieder an ihn hefteten.
Der Schwarzhaarige lachte kurz auf. Seine Spannung hatte sich fast gänzlich gelöst, doch sein Blick war schmerzhaft. Er verschränkte seine Finger und sah nachdenklich zu Boden.
„Aber… warum bin ich auf der Erde? Das lässt mir keine Ruhe. Es sieht den alten Knackern nicht ähnlich, ihre Entscheidungen zu ändern. Ich sollte im Nichts sein.“
„Worüber auch immer du sprichst“, unterbrach Rya sein Gemurmel. Er sah zu ihr auf. Selbst wenn sie lächelte, musste er ihr die Unwissenheit ansehen.
„Wie erkläre ich dir das?“, nuschelte er in seine Hände, die er vor seine Lippen gehoben hatte.
„Fang damit an, wie du auf meinen Balkon geflogen bist.“ Rya deutete mit ihrem Daumen hinter sich, während sein Blick ihrer Hand folgte. Ihr Lächeln verschwand, als sie ihre Brauen fordernd hochzog.
„Ich bin nicht geflogen. Ich bin gefallen.“
„Gefallen? Aus einem Flugzeug?“
Nun zog der Fremde eine Augenbraue hoch.
„Was ist ein Flugzeug?“
Rya fiel abermals der Mund auf.
„Wie bitte?“ Doch sie wollte nicht nachfragen. Sie fasste sich und wedelte mit der Hand. „Okay. Erzähl mir einfach, was passiert ist.“
„Die Altweisen haben mich zum ‚Nichts‘ verurteilt. Daraufhin wurde ich vom ‚Marmornen Balkon‘ in die ‚Tiefe Schlucht‘ gestoßen. Zuvor brach man meine Flügel. Ich wurde wohl ohnmächtig. Und als ich aufwachte, sahst du in mein Gesicht.“
Sie konnte nicht umhin. Das klang so abstrus, dass ihr Kiefer sich schon beinahe ausrenkte, als ihr Kinn abermals herunterfiel.
„Du willst mich verarschen. Was soll das sein? Altweisen? Marmorner Balkon? Von wo bist du gefallen?“
Der Schwarzhaarige seufzte. Der Zeigefinger seiner linken Hand deutete nach oben. Rya war zu geschockt, um zu atmen. Und dann prustete sie los, konnte es nicht zurückhalten, hielt sich den Bauch vor Schmerzen.
„Ja klar! So ein Schwachsinn.“ Sie lachte aus vollem Hals und sah zu ihm auf. „Und du? Du bist ein Engel, oder was? Sagtest du nicht etwas von Flügeln?“ Ihre vor Lachen zitternde Hand deutete auf ihn, während sie mit der anderen Hand eine Träne aus ihren Augenwinkeln wischte. Der junge Mann verdrehte die Augen.
„Okay.“ Sie festigte sich. „Jetzt ernsthaft.“
„Das war mein Ernst.“ Die eiskalten Augen waren kühl. Kein Scherz blitzte in ihnen auf.
„Du bist ein Engel?“, schrie Rya und sprang auf. Dabei rutschte sie auf der überhängenden Decke aus und fiel gegen ihr Bett.
„Autsch!“ Sie rieb ihren Hinterkopf, als der Fremde sich neben sie hockte und ihr eine Hand hinhielt.
„Um korrekt zu sein, bin ich ein Stern.“
Ryas Augen weiteten sich. Kein Laut konnte ihrer Kehle entweichen, so tief ihr Kinn doch fiel.
„Mein Name ist Aiden.“
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Impressum

Texte: Riiyaa
Bildmaterialien: Bearbeitung: Riiyaa; Himmel: Grace (Stock zur freien Verwendung, DeviantArt) http://grace-stock.deviantart.com/art/Sky-Stock-XXIX
Tag der Veröffentlichung: 15.03.2012

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